Kap.1.3_Z2_Scharpf

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Z 2: Verbraucherinteressen in der Verhandlungsdemokratie
Ökonomisch gesehen ist die Befriedigung des Verbraucherinteresses der einzige Zweck
der Wirtschaft. Im Markt konkurrieren die Unternehmen miteinander um die Chance, dem
Verbraucher dienen zu dürfen. Zugleich sind die Verbraucher politisch gesehen die größte
überhaupt mögliche Gruppierung, die alle Wähler aller Parteien und überdies auch noch
alle Nichtwähler einschließt – unvergleichlich viel größer als der Bauernverband oder die
IG Chemie. Warum also sollte dieses vom Markt befriedigte Interesse überhaupt einer
politischen Vertretung bedürfen? […]
Auf dem Markt steht den Anbietern jedoch nicht die kollektive Marktmacht der vereinigten
Verbraucherschaft gegenüber, sondern der einzelne Konsument. Anders als das früher
von den Konsumgenossenschaften versucht wurde […], können die Letztverbraucher ihre
Marktmacht nicht gebündelt einsetzen, um den Anbietern ihre Konditionen zu diktieren.
Fundamentale Informationsasymmetrie
In einem sich selbst überlassenen Markt könnten die Anbieter den Wettbewerb
untereinander zum Nachteil der Verbraucher beschränken. Schon die Sicherung eines
ökonomisch ausgeglichenen Preis-Leistungsverhältnisses ist also auf den Staat
angewiesen, der gegen Kartellabsprachen und marktbeherrschende Konzentration
vorgehen muss. […]
Der amerikanische Ökonom Mancur Olson hat gezeigt, dass [...] gerade große Gruppen
nicht in der Lage sind, aus sich selbst heraus eine gemeinsame Vertretung ihrer
Interessen aufzubauen. [...] Aber die Gründung allein reicht selbstverständlich nicht.
Erfolgreiche Interessenverbände brauchen Mitglieder, die bereit sind, den Verbandszweck
wenigstens durch einen finanziellen Beitrag und womöglich durch eigene aktive
Beteiligung zu unterstützen und gegebenenfalls das eigene Verhalten von den Direktiven
des Verbandes bestimmen zu lassen. Das erfordert vielleicht im Einzelfall keinen großen
Aufwand, aber ist doch viel verlangt in einer Welt, in der niemand die Zeit und die Mittel
hat, sich für alle ihn potentiell interessierenden privaten und öffentlichen Belange
einzusetzen. Hier liegen die eigentlichen Ursachen dafür, dass nicht alle gesellschaftlichen
Interessen als mitgliedsstarke Verbände organisierbar sind.
Moralische und egoistische Motive
Zur Erläuterung verwende ich zwei Unterscheidungen zwischen möglichen
Mitgliedschafts-Motiven, einerseits die zwischen moralischen und egoistischen Motiven,
und andererseits die zwischen konzentrierten und diffusen Interessen. Ein Beispiel für die
erste Unterscheidung ist der Vergleich zwischen den Mitgliedern von Amnesty
International und den Mitgliedern des Bauernverbandes. Den ersten geht es darum,
Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt anzuprangern, den zweiten geht es um
die Verbesserung des eigenen Einkommens. Beide sind auf kollektives Handeln
angewiesen. Aber während bei Amnesty der Verbandszweck mit der moralischen
[Politischer Entscheidungsprozess und Soziale Marktwirtschaft]
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Motivation des Mitglieds identisch ist und im Prinzip auch individuelle Opfer rechtfertigen
kann, ist beim Bauernverband eine Übersetzung notwendig: Bei egoistischer Motivation
lohnt die Mitgliedschaft nur dann, wenn das eigene Wohlergehen durch Unterstützung der
Verbandsarbeit mehr gefördert wird als durch andere Möglichkeiten der Verwendung von
Zeit und Geld. In dieser Unterscheidung gehören die Motive der Verbraucher grundsätzlich
zu den egoistischen Interessen. Aber weshalb sind die Verbraucherinteressen dann
offenbar doch schwerer zu organisieren als die ebenso egoistischen Interessen der
Bauern, der Handwerker, der Metallarbeiter oder der Zahnärzte?
Konzentrierte und diffuse Interessen
Zur Erklärung beziehe ich mich auf die zweite Unterscheidung zwischen konzentrierten
und diffusen Interessen. Die Konsuminteressen richten sich bei jedem von uns von Zeit zu
Zeit auf höchst unterschiedliche Güter und Dienstleistungen. Wenn man gerade ein Haus
renoviert, hat man ganz andere Probleme als wenn man eine Trekkingtour im Himalaya
oder eine Tagesmutter sucht. Noch größer sind die Diskrepanzen zwischen
Konsumentengruppen, die sich nach Einkommen, Bildungsstand, kultureller und
ideologischer Orientierung voneinander unterscheiden. Gewiss gibt es auch auf der
Konsumseite konzentriertere Interessen. Der ADAC und der Mieterbund profitieren davon.
Aber die nicht spezialisierten Verbraucherverbände wollen diffuse Interessen organisieren
und sie haben es besonders schwer, ihre potentielle Klientel als zahlende Mitglieder und
aktiv Mitwirkende zu gewinnen. […] Das kollektive Verbraucherinteresse kann nur durch
eine gemeinwohl-orientierte Politik befriedigt werden. […] Je mehr die Politik [aber] auf die
Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und die Entwicklung der Beschäftigung Rücksicht
nehmen muss, desto schwerer fällt es ihr, Forderungen der Verbraucher oder auch der
Umweltverbände gegen den Widerstand der Unternehmen, Wirtschaftsverbände und
Gewerkschaften durchzusetzen. Der Staat muss, wenn er nicht überhaupt auf politisches
Handeln verzichtet, nach Lösungen suchen, die das politische Ziel mit möglichst geringen
schädlichen Nebenwirkungen für Unternehmen und Arbeitsplätze erreichen können. In der
Praxis bedeutet dies, dass Gesetze und Verordnungen, die Wirtschaftsinteressen
tangieren [= berühren], in zunehmendem Maße in Verhandlungen mit den betroffenen
Unternehmen und ihren Verbänden formuliert werden. Wenn man sich nicht einigt, könnte
der Staat zwar immer noch einseitig handeln - andernfalls gäbe es für die Partner ja
keinen Grund, sich überhaupt auf Verhandlungen einzulassen. Aber beide Seiten wissen,
dass ein solcher Ausgang für die Politik mindestens so unerwünscht wäre wie für die
andere Seite. […]
Fritz W. Scharpf, Verbraucherinteressen in der Verhandlungsdemokratie, auf:
www.energieverbraucher.de vom 21.7.2002 (zuletzt abgerufen am 8.8.2011,
http://www.energieverbraucher.de/de/UmweltPolitik/Politik/Verbraucherpolitik/Verbraucherorganisation__1426/)
[Politischer Entscheidungsprozess und Soziale Marktwirtschaft]
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