Quellensammlung zu der Theorie des „Pluralismus“

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Quellensammlung zu der Theorie des „Pluralismus“
von Sven Sebastian Grundmann und Ulf Schaper
Gliederung

Zum Begriff selber

Die Geschichte des Pluralismus

Gegenpositionen

hier beginnt dein Teil, Sven!
Quellen
[1] „Meyers Enzyklopädisches Lexikon“, Bibliographisches Institut,
Mannheim, 1976, 9. Auflage, Bd. 18, S. 804ff.
[2] „Demokratie“, Informationen zur politischen Bildung, BpB, Bonn,
1992, Heft 165
[3] „Deutschland und die westlichen Demokratien“, Ernst Fraenkel, 5.
erw. Aufl., Stuttgard, Berlin u.a. 1973, S. 199ff, nachgedruckt u.a.
in [2].
[4] Schumpeter, J.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie.
München: Franke Verlag, 1972, (Unterrichtsmaterial LK Politik
12.1, SE)
[5] „Interessenverbände“, Informationen zur politischen Bildung, BpB,
Bonn, 1996, Heft 253
[6] „Duden Fremdwörter neu“, CDROM, Dudenverlag
Sven Grundmann, Ulf Schaper: Pluralismus
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Zum Begriff selber
Der Begriff „Pluralismus“ stammt aus dem lateinischen und kann mit „Vielfalt“ übersetzt
werden [6]. Man kann ihn auf Entscheidungsprozesse beziehen:
„Eine Beratungssituation, [in der] kein Argument von vornherein […] aus der Diskussion
ausgeschaltet
ist
(Argumente-Pluralismus)
[oder]
die
Zusammensetzung
des
Teilnehmerkreises die Vertretung aller […] berührten Interessen sichert (InteressenPluralismus).“ [1]
Oder aber, man bezieht ihn auf eine Gesellschaft:
„Gesellschaften, in denen eine Vielzahl […] von vom Staat autonomen Interessengruppen […]
um politischen und gesellschaftlichen Einfluss ringen.“ [1]
Letzterer Definition schließt sich der Theoretiker Schumpeter an:
„Die demokratische Methode ist diejenige Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer
Entscheidungen, bei welcher Einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines
Konkurrenzkampfes um die Stimmung des Volkes erwerben.“ [4]
Bei Ernst Fraenkel klingt dies wie folgt:
„Der Pluralismus beruht vielmehr auf der Hypothese, in einer differenzierten Gesellschaft
könne im Bereich der Politik das Gemeinwohl lediglich a posteriori als das Ergebnis eines
delikaten Prozesses der divergierenden Ideen und Interessen der Gruppen und Parteien
erreicht werden […].“ [3]
Der Pluralismus kommt jedoch nicht ganz ohne Voraussetzungen aus. Ernst Fraenkel schreibt
weiter:
„Eine jede pluralistische Demokratie geht davon aus, dass, um funktionieren zu können, sie
nicht nur Verfahrensvorschriften […], sondern auch einen allgemein anerkannten Wertekodex
bedarf, der ein Minimum abstrakter regulativer Ideen generellen Charakters enthalten muss;
sie glaubt jedoch nicht, dass in politisch relevanten Fällen diese regulativen Ideen ausreichend
konkret und genügend substantiiert zu sein vermögen, um für die Lösung aktueller politischer
Probleme unmittelbar verwendungsfähig zu sein.“ [3]
„Die pluralistische Theorie des Gemeinwohls bestreitet keineswegs, dass es weite Gebiete
des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, über deren Ordnung ein consensus
omnium vorliegt; ja sie betont mit Nachdruck, dass auf die Dauer ein Staat nicht lebensfähig
ist, in dem weder über ein Minimum fundamentaler, noch über zahlreiche detaillierte Fragen
[…] eine weitgehende Übereinstimmung besteht. Sie nimmt jedoch den Umstand, dass es
weite Gebiete des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, über deren Regelung
Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Gruppen existieren, nicht nur mit
Gleichmut hin, sondern erachtet dies als unvermeidlich, ja geradezu als ein Indiz eines in
Freiheit pulsierenden öffentlichen Lebens. Sie hält es weder für wünschenswert noch für
Sven Grundmann, Ulf Schaper: Pluralismus
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möglich, dass in einem freiheitlichen Staatswesen ein einheitlicher Gemeinwille besteht, der
die divergierenden Gruppenwillen restlich in sich aufsaugt.“ [3]
Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet uns folgendes:
„[Die]
wesentlichen
Aussagen
[der
Pluralismustheorie
kann]
man
wie
folgt
zusammenfassen […]:

Die in einer Gesellschaft existierenden Interessengegensätze werden akzeptiert.

Ein Gemeinwohl lässt sich nicht von vornherein (a priori) feststellen.

Das Gemeinwohl ist das Resultat eines nachträglich (a posteriori) zustande
gekommenen Kompromisses im politischen Konkurrenzkampf.

Der Ausgleich der verschiedenen Interessen ist nur möglich bei einem Minimalkonses
über bestimmte Spielregeln (Wertordnung). Das heißt, die politisch handelnden
Gruppen müssen fähig und bereit zum Kompromiss sein. Wenn sie Politik als
Weltanschauungskampf betreiben und den politischen Gegner als Feind betrachten
und bekämpfen, ist einer pluralistischen politischen Ordnung die Grundlage entzogen.

Die Rolle des Staates in einer pluralistischen Gesellschaft besteht im Wesentlichen
darin, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass dieser Ausgleich stattfinden kann und
die Spielregeln eingehalten werden.“ [2]
„Ein pluralistisches Idealmodell müsste folgende fünf Minimalbedingungen erfüllen:

Alle wesentlichen Interessen der Gesellschaft sind über Verbände und Parteien
organisiert.

Zwischen diesen verbändemäßig organisierten
Machtgleichgewicht und Changegleichheit.

Das System ist offen für sich neu artikulierende Interessen.

Bei drohender einseitiger Interessendurchsetzung
Gegenverbands- und -machtbildung.

Es herrscht ein
Wettbewerbs.“ [5]
Grundkonsens
über
diese
Interessen
besteht
Spielregeln
herrscht
ein
Garantie
der
die
des
pluralistischen
Die Geschichte des Pluralismus
Der Begriff der Demokratie war nicht immer mit dem des Pluralismus verknüpft:
„Auch frühe radikal-demokratische Demokratietheorien, wie die von Jean-Jacques Rousseau,
wollten dem ganzheitlichen Volkswillen insgesamt zum Durchbruch
Einzelinteressen von Verbänden und Parteien könnten hier nur stören.“ [5]
verhelfen.
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„Nur wenige frühe Gesellschaftswissenschaftlicher, wie Otto von Giercke, der von alten
Genossenschaftsgedanken ausging, oder Lorenz von Stein, der das Interesse als den
‚Mittelpunkt der Lebenstätigkeit jedes Einzelnen’ und ‚daher als das Prinzip der Gesellschaft’
erkannte, waren im vorherigen Jahrhundert [Anm.: dem 19.] bereit, die Verbände als
unverzichtbare Bestandteile von Gesellschaft und Politik anzuerkennen.“ [5]
„Der große deutsche Soziologe Max Weber [hatte] 1919 auf dem ersten Deutschen
Soziologentag gefordert [..], freiwillige Vereinigungen in den Mittelpunkt des
Forschungsinteresses zu stellen.“ [5]
Auch muss man feststellen, dass der Pluralismus keinesfalls der Vorreiter auf seinem Gebiet
war:
„Der inhaltliche Kern der Konkurrenztheorie deckt sich weitgehend mit der neueren
Pluralismustheorie.“ [2]
Einer der Vorreiter des Pluralismus war der Brite Laski:
„Der politische Begriff Pluralismus wurde zuerst – unter Bezugnahme auf die Lehre Otto von
Gierkes von der realen Verbandspersönlichkeit – 1915 von Harold Laski verwendet, der den
Staat als Verband unter Verbänden bezeichnete, der von seinen Angehörigen nicht mehr
Loyalität verlangen dürfe als andere Verbände auch und diese durch Leistungen zu
legitimieren habe. Damit lehnte er eine Souveränität des Staates und seinen mit dem
Gewaltmonopol durchsetzbaren Gehorsamsanspruch ab und sah den Staat lediglich als
Etappe zur eigenen Aufhebung auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft an.“ [1]
Entsprechend aus einer anderen Quelle:
„Da es in der Gesellschaft unterschiedliche Interessen gibt, werden diese Interessen durch
Verbände organisiert, die miteinander und gegeneinander um die Durchsetzung ihrer Ziele
ringen. Dabei geht Laski so weit, diese Gruppenautonomie nicht einzuschränken. Der Staat
stehe nicht souverän über den Gruppen, sondern sei ein Verband unter anderen.“ [2]
In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der Pluralismus abgemildert:
„Der Neopluralismus [soll] als regulative Idee das Gemeinwohl deutlich machen und die
Grenzen pluralistischer Freiheiten kennzeichnen.“ [2]
„Ernst Fraenkel, der den Begriff des ‚Neo-Pluralismus’ prägte, […] [bestritt] im Gegensatz zu
Laski […] nicht den Souveränitätsanspruch des Staates, der für die Einhaltung der
rechtsstaatlichen Verfahrensweisen und die Garantie
Grundrechte zu sorgen habe.“ [1]
der
sozialen
und
politischen
„[Die] Gründungsbedingungen und [die] innere Organisation [der Verbände] werden zwar
rechtlich geregelt, aber nicht staatlich reglementiert. Der wichtigste Unterschied dieser neopluralistischen Demokratietheorie zur Pluralismuskonzeption Laskis liegt darin dass hier ein
Gemeinwohl anerkannt wird. Das Gemeinwohl begrenzt als regulative Idee die pluralistische
Freiheit. Das pluralistische Kräftespiel wird durch den neutralen Rechtsstaat geregelt.“ [2]
Sven Grundmann, Ulf Schaper: Pluralismus
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Gegenpositionen
Man kann den Pluralismus an verschiedenen Punkten angreifen. Zuerst lässt sich Kritik am
Pluralismus als Situation im Entscheidungsprozess üben:
„Es
sind
z.B.
möglich:
Konflikte
mit
an
partikularen
Interessen
ausgerichteten
Koalitionsentscheidungen, allgemein akzeptierte Kompromisse sowie Orientierungen am
größten empirischen gemeinsamen Nenner.“ [1]
Dahinter verbergen sich die Zweifel an der pluralistischen Hypothese, aus vielen
Einzelinteressen würde das Gemeinwohl hervorgehen.
Auch der Pluralismus als Gesellschaftszusammensetzung (Interessengruppen) lässt sich
kritisieren:
„Die durch den Pluralismus entstandene Komplexität der gesellschaftlichen Lebensbereiche
[…] macht die gesellschaftlichen Strukturverhältnisse für den einzelnen unüberschaubar,
fördert damit Organisierungs- und Bürokratisierungstendenzen […] und ersetzt damit die […]
Herrschaft des Staates durch die Herrschaft verschiedener Gruppen“. [1]
Hierhinter erschien 1955 das Werk „Herrschaft der Verbände?“ (von Theodor Eschenburg,
[5]).
Selbstverständlich hat auch Laskis radikale Pluralismustheorie viele Kritiker auf den Plan
gerufen:
„[Lasiks] Auffassung wurde in Deutschland vor allem von Carl Schmitt scharf als eine ‚Theorie
der Auflösung oder Widerlegung des Staates’ an Hand des Beispiels der Weimarer Republik,
in der soziale Machtkomplexe sich zur Befriedigung ihrer Interessen des Staates bemächtigt
hätten, kritisiert; er propagierte gleichzeitig das Gegenbild des totalen Staates, der die
Gruppeninteressen unter seine Herrschaft zwingen müsse.“ [1]
„Gegen [Laskis] weitgehende, die Autorität des Staates in Frage stehenden Auffassung erhob
sich Widerspruch, der am schärfsten und nachdrücklichsten von Carl Schmitt, einem der
führenden Staatsrechtler der Weimarer Republik, formuliert wurde. Seine Forderung nach
dem starken Staat, der das zerstörerische Wirken der Verbände und gesellschaftlichen
Gruppen bändigt, erwies sich als sehr folgen- und einflussreich und wirkt als Pluralismuskritik
bis heute nach.“ [2]
„Noch in den sechziger Jahren hat […] der Staatsrechtler Wilhelm Wertenbruch typisch
formuliert: ‚Da auch Verbände dem staatlichen Recht unverworfen und in den Staat
eingeordnete Glieder sind, stehen sie nicht auf vergleichbarer Seins- und Wertstufe mit dem
Staat und dürfen demgemäß nicht danach trachten, ihr partielles am staatlichen Gemeinwohl
gemessen nur unvollkommenes Gemeinwohl an dessen Stelle zu setzen.’“ [5]
Antipluralistische Gegenposition der Identitätstheoretiker:
Sven Grundmann, Ulf Schaper: Pluralismus
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„Vertreter einer antipluralistischen Staatsauffassung erkennen als demokratische
Legitimierung nur Plebiszite […] an und lehnen folglich alle ‚intermediären Gewalten’ wie
Parteien und Verbände ab. Sie gelten als Träger (eigensüchtiger) Sonderinteressen, deren
Wirken die Einheit von Regierten und Regierenden zerstört.“ [2]
Ernst Fraenkel erkennt selber die gesellschaftliche Ablehnung seiner Theorie:
„Wer sich zu dem Grundsatz der Inkompatibilität von Gemeinnutz und Eigennutz bekennt, darf
auch heute noch auf den Beifall seiner Zuhörer rechnen […].“ [3]
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