Durchsuchung/Gefahr im Verzuge und

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Durchsuchung/Gefahr im Verzuge und Verwertungsverbote
1. Anforderungen:
Gem. § 102
StPO ist Voraussetzung jeder Durchsuchung, dass eine be-
stimmte Straftat bereits begangen, nicht nur straflos vorbereitet ist; hierfür
müssen tatsächliche Anhaltspunkte vorhanden sein (BVerfG NJW 1991, 690).
Der Betroffene muss als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig sein.
Die Ermittlungsdurchsuchung setzt keinen gesteigerten Verdacht gegen
den Verdächtigen voraus (BGH Beschluss vom 30.8.78, 4 BJs 128/78 StB
185/78).
"Vage Hinweise genügen allerdings nicht." Laufhütte in KK, § 102 Rz. 1; das
AG Saalfeld hat in einem Beschluss vom 3.7.2001 (StraFo 2001/424,425) den
Antrag der StA auf Erlass eines Durchsuchungsbefehls abgelehnt:
Eine nur statistische Wahrscheinlichkeit, dass eine Straftat begangen worden
ist, kann regelmäßig nur zusammen mit Umständen genügen, die auf eine bestimmte Person hinweisen und gegen diese einen durch Tatsachen konkretisierten individuellen Verdacht begründen.
„Die in dem polizeilichen Vermerk angeführten Erwägungen, denen sich die
Staatsanwaltschaft ohne eigene sachliche Prüfung angeschlossen hat, laufen
vielmehr auf das aberwitzige Ergebnis hinaus, dass solche Personen, bei denen im Laufe einer früheren Durchsuchung bereits einmal BTM aufgefunden
worden sind, ohne sonstige (neue) Verdachtsgründe in regelmäßigen Abständen Durchsuchungen ihrer Person und ihrer Wohnung dulden müssten. Dass
ein solcher, auf bloße Vermutungen und vage Verdächtigungen der Ermittlungsbehörden gestützter Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen gegen Art. 3 Abs.1 GG verstößt, weil sich für ihn sachlich zureichende Gründe nicht finden lassen, so dass sein Ergebnis bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht
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mehr verständlich ist und sich somit der Schluss auf Willkür aufdrängt, bedarf
keiner weiteren Ausführungen..“
Der Verdacht muss durch Tatsachen konkretisiert sein; und zwar Tatsachen
dahingehend, dass eine Straftat begangen worden ist und dass der Betroffene
als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (vgl. BGH Beschluss v. 11.5.81,
4 BJs 67/80/I BGs 63/81; Beschluss vom 18.2.82, 6 BJs 24/82/IV BGs 2/82).
Hierfür müssen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen (LG Offenburg, StV 97,626,627).
Als Durchsuchungszweck wird die Ergreifung des Verdächtigen und das Auffinden von Beweismitteln genannt.
Durchsuchungsgegenstände sind Wohnungen und Räume, Personen und
Sachen.
§105 StPO bestimmt, dass die Anordnung durch den Richter erfolgt, bei
Gefahr im Verzuge durch den Staatsanwalt und/oder seine Hilfsbeamten.
Ist der Richter oder Staatsanwalt nicht anwesend, ist nach Abs.2 ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde zuzuziehen.
Die richterliche Anordnung sollte schriftlich ergehen, in Ausnahmen auch fern/mündlich und inhaltlich die Straftat bezeichnen, deretwegen die Durchsuchung
angeordnet wurde und soweit der Ermittlungszweck nicht gefährdet wird, auch
nähere Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthalten. Ferner müssen
Zweck und Ziel der Durchsuchung genannt werden und der Umfang der zu
durchsuchenden Räumlichkeiten näher gekennzeichnet sein. Im Falle der Suche nach Beweismitteln sollte beispielhaft angegeben sein, wonach gesucht
werden soll.
Nur Wiedergabe des gesetzlichen Tatbestandes und keine tatsächlichen Angaben über den konkreten Tatvorwurf = nicht ausreichend BbgVerfG 17.9.98,
NStZ-RR 98,366
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BVerfG StV 2000,465 f.:
Ein Durchsuchungsbeschluss, der keinerlei tatsächliche Angaben über den
Inhalt des Tatvorwurfs enthält und der zu dem weder die Art noch den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen lässt, wird
diesen Anforderungen jedenfalls dann nicht gerecht, wenn solche Kennzeichnungen nach dem Ergebnis der Ermittlungen ohne weiteres möglich und den
Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind).
Zur Bestimmtheit einer Durchsuchungsanordnung siehe auch Schoreit, NStZ
99,173 ff.
Die Vollstreckung einer Durchsuchungsanordnung wird nach 6 Monaten unzulässig (BVerfG NJW 97,2165). Die StA und die Polizei können insoweit nicht
beliebig zuwarten.
Eine sogleich in Verbindung mit der Durchsuchung angeordnete Beschlagnahme von Gegenständen ist nur dann zulässig, wenn diese exakt bezeichnet
sind. Andernfalls bleibt das Rechtsmittel der Antragstellung gem. § 98 StPO
erhalten.
Die Zuziehung des Inhabers nach § 106 StPO und die Erstellung einer Mitteilung über die Durchsuchung und eines Verzeichnisses über sichergestellte
Sachen gem. § 107 StPO werden als schlichte Ordnungsvorschriften eingestuft, aus deren Verletzung keinerlei Rechtsfolgen abgeleitet werden können.
Zur BVerfGE vom 20.02.2001:

Der Begriff „Gefahr im Verzug“ ist eng auszulegen. Einen Beurteilungsspielraum haben die Strafverfolgungsbehörden nicht.

Durchsuchung nur zulässig, wenn die Einholung der richterlichen Anordnung
den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde;

Gerichte und Strafverfolgungsbehörden müssen Vorsorge treffen, dass auch
in Alltagsfällen dem gesetzlichen Anspruch Genüge getan werden kann.
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
Fallunabhängige kriminalistische Alltagserfahrungen, hypothetische Erwägungen oder gar reine Spekulationen sind nicht ausreichend für die Annahme von
Gefahr im Verzuge. Diese muss mit Tatsachen begründet werden.

Die bloße Möglichkeit eines Beweismittelverlustes reicht nicht.

Die tatsächlichen Voraussetzungen dürfen nicht selbst geschaffen werden; es
darf nicht zugewartet werden, bis es für eine richterliche Anordnung zu spät
ist.

Regelmäßig muss wenigstens ein Versuch unternommen werden, einen zuständigen Richter zu erreichen.

Die Anordnungsvoraussetzungen unterliegen im vollen Umfange der richterlichen Kontrolle.

Deshalb sind alle Umstände, Tatsachen und Überlegungen der eingesetzten
Beamten zeitnah aktenkundig zu machen: konkrete Sachlage zum Zeitpunkt
der Entscheidung, Versuch den zuständigen Richter /StA zu erreichen.

Auf der Grundlage dieser Dokumentation haben die Strafverfolgungsbehörden
ihre Durchsuchungsanordnung in einem späteren Strafverfahren zu begründen – einschließlich der Voraussetzungen für eine Durchsuchung selbst.
2. Konsequenzen
Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot bei unzulässigen Durchsuchungen
Die Frage, ob ein Verstoß gegen prozessuale Vorschriften jeweils ein Verwertungsverbot nach sich zieht, ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Allgemeine Regeln gibt
es im deutschen Strafprozessrecht nicht. Von Bedeutung ist dabei immer, ob die verletzte Vorschrift gerade dem Schutz des Beschuldigten dient und von welchem Gewicht der Verfahrensverstoß ist (BGH StV 1992, 211, 213 m.w.N.; Fezer a.a.O.)
Eine ursprünglich rechtswidrige Durchsuchung kann nicht bei Auffinden von Beweismitteln nachträglich als rechtmäßig qualifiziert werden (so aber BGH a.a.O.; dagegen
Roxin, NStZ 1989, 376, 379; Rogall, NStZ 1988, 385, 391) wenn die Annahme von
Gefahr im Verzuge z. Zt. des Eingriffs nicht begründet war, da andernfalls der Richtervorbehalt regelmäßig umgangen und damit wirkungslos würde.
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Der Strafprozess kennt keine Wahrheit "um jeden Preis" (BGHSt 31, 304, 309). Der
Staat verliert die Legitimation des Strafanspruches, wenn Verurteilungen aufgrund
rechtswidrig beschaffter Beweise erfolgen. Solche Beweise müssen der Wahrheitsfindung vielmehr entzogen sein (vgl. Fezer StV 89, 290, 295).
Nun soll nicht jeder Verfahrensverstoß bei der Durchsuchung oder Beschlagnahme
ein Verwertungsverbot hinsichtlich der aufgefundenen Beweismittel begründen (vgl.
Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl., § 94 Rz.. 21; LR Schäfer, 24. Aufl., § 98 Rz..
82; KK-Laufhütte, 4. Aufl., Rdn. 7 vor § 94).
Danach soll es insbesondere auf die Schwere des Verfahrensverstoßes ankommen
und darauf, ob Grundrechte des durch die unrechtmäßigen Zwangsmaßnahmen getroffenen in einem solchen Maße beeinträchtigt sind, dass der durch den Eingriff verursachte Schaden außer Verhältnis zu dem mit ihm angestrebte und erreichten Erfolg steht (BVerfGE 44, 353, 383 f = NJW 1977, 1489).
Die Anordnung der Durchsuchung in eigener Zuständigkeit unter Umgehung der originären Zuständigkeit des Richters ist in grober Weise rechtsfehlerhaft.
Hier handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift, welche ein Verwertungsverbot für die in ihrem Rahmen gefundenen Beweismittel begründet (vgl. KG StV 85, 404, LG Bremen, StV 84,
505; LG Wiesbaden StV 88, 292; LG Stuttgart, NStZ 85, 568; neuerdings zieht auch
der 5. Strafsenat des BGH die Grenzen der Verwertungsverbote weiter, vgl. BGH StV
92, 211 ff.; BGH 1.Ss StV 01,604 f.)
Das Gesetz , insbesondere auch die Verfassung in Art. 13 GG, haben die Zuständigkeit für die Anordnung von Durchsuchungsmaßnahmen grundsätzlich dem Richter
übertragen. Dessen Einschaltung soll gewährleisten, dass die Interessen auch der
vor der Anordnung und Durchführung der Durchsuchung nicht gehörten Beteiligten
gebührend berücksichtigt und insbesondere die gesetzliche Voraussetzungen derartiger Eingriffe genau beachtet werden (zu den besonders strengen Anforderungen
auch an einen richterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss vgl.
BVerfG, Beschl. v. 03.09.1991, StV 92, 49 f.).
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Von daher liegt eine klare gesetzliche und verfassungsrechtliche Zuständigkeitsverteilung vor. Ein Verstoß dagegen muss die Verwertbarkeit des so erlangten Beweismittels betreffen, da auf andere Weise die Einhaltung der vom Gesetz und Verfassungsgeber aus gutem Grund so gefassten Verfahrensvorschriften nicht wirksam
durchgesetzt werden kann.
Der Betroffene wird in der Regel vorher nicht angehört, um den Durchsuchungszweck nicht zu gefährden. Bei fehlerhafter Annahme von Gefahr im Verzug ist daher
in der Regel ein Verwertungsverbot dann anzunehmen, wenn die Zuständigkeit willkürlich, nämlich objektiv unter keinem Gesichtspunkt vertretbar angenommen wurde
(so LR-Schäfer § 98 Rdn. 37).
Die Annahme eines Verwertungsverbotes wird auch daran gemessen, ob der Verfahrensverstoß gegenüber der aufzuklärenden Straftat ein so geringes Gewicht hat,
dass er noch hinzunehmen ist. Derartiges wird nach LR Schäfer zu Recht ohnehin
nur im Hinblick auf Kapitalverbrechen angenommen (vgl. LR-Schäfer, a.a.O.).
Die bewusste Umgehung verfassungsrechtlich angeordneter richterlicher Zuständigkeit durch willkürliche Annahme von Gefahr im Verzuge stellt einen Verfahrensverstoß dar, wie man ihn sich gravierender wohl kaum vorstellen kann.
Darüber hinaus wäre es mit rechtsstaatlichen Vorstellungen unvereinbar, die Aufklärung des wirklichen Sachverhalts mit allen Mitteln zu betreiben. Eine Ermittlung der
Wahrheit kommt nur in geregelten Verfahren und nur mit justizförmigen Mitteln in Betracht. Die Prozessordnung kennt keinen Grundsatz, dass die Wahrheit um jeden
Preis erforscht werden müsste (BGHSt 14, 358, 356). "Es geht in der Strafrechtspflege nicht nur um die materiell-rechtliche Richtigkeit der Urteile, sondern ebenso sehr
auch um ihre Gewinnung auf keinem anderem als dem justizförmigen Wege" (Eb.
Schmidt, JZ 58, 601).
An der Beurteilung der Rechtslage ändert sich im übrigen nichts, wenn man davon
ausgeht, dass die Durchsuchungsaktion - zumindest auch - polizeirechtlichpräventiven Charakter haben kann. Zwar darf die Polizei nach Polizeirecht Wohnun-
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gen zur Gefahrenabwehr betreten und durchsuchen; aber auch hier ist für die Anordnung der Durchsuchung außer im Falle von Gefahr im Verzug ausschließlich der
Richter zuständig. Auch hier hat der Wohnungsinhaber das Recht, anwesend zu
sein; im Falle der Abwesenheit ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Damit liegen im wesentlichen die
gleichen Voraussetzungen vor wie bei der Durchsuchung nach der StPO.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer früheren Entscheidung festgestellt, dass
das rechtswidrige Eindringen in grundrechtlich vermittelte Geheimbereiche ohne Differenzierung nach den einzelnen Freiheitsrechten ein absolutes Beweis-, Verfahrensund Verwertungsverbot, dem zudem Fernwirkung zukommt, nach sich zieht (BVerfGE 44, 353, 383 f; zust. Vogel, NJW 79, 2524; Knauth NJW 77, 1511; Gusy JuS 86,
89, 94). Insofern ist vielleicht die Klage einiger Kommentatoren, auch die neue Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit der Annahme von Gefahr im Verzuge enthalte
leider keinerlei Hinweise darauf, welche Konsequenzen denn aus der unzulässig angeordneten Durchsuchung zu ziehen seien, nicht ganz unberechtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 24.Mai 1977 (BVerfGE a.a.O) ausgeführt: „Aus der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Beschlagnahmeanordnung
folgt hier –ohne das es hierüber eines gesonderten Ausspruchs bedürfte- unmittelbar, dass die beschlagnahmten Klientenakten nicht verwertet werden dürfen. Sie unterliegen einem Beweisverwertungsverbot. Dies schließt jede Verwendung der Akten
und des in ihnen verkörperten gedanklichen Inhalts zu Beweiszwecken im Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen die Klienten der Drogenberatungsstelle aus.“ Das
Wörtchen „hier“ im ersten Halbsatz dokumentiert, dass es das Verfassungsgericht
auch bei Einzelentscheidungen belassen will.
„Hier“ fiel die Entscheidung allerdings insofern nicht so ganz schwer, weil die Akten
ohnehin schon herausgegeben waren und die Staatsanwaltschaft eine Verwertung
nicht beabsichtigte.
In einer Entscheidung vom 27.4.2000 entschied der 2. Senat des BVerfG (NStZ
2000,429):
„Es besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Falle einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnen Beweise stets unzulässig sei.“ Allerdings scheint die Verfassungsbeschwerde auch ausgesprochen unglücklich formu-
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liert worden zu sein; dort war mehr oder weniger umfassend unzulässig vorgetragen
worden zu sein.
Einige Beispiele für erfolgreiche Durchsetzung eines Verwertungsverbotes:
Das Beweisverwertungsverbot bei Beschlagnahme von Verteidigerunterlagen entgegen § 97 Abs.1 Nr.1 StPO i9st gesetzlich geregelt und scheitert allenfalls an der
Verdachtslage.
Der 1. Ss hat in einer Entscheidung vom 28.6.01 (StV 01/604) bezüglich einer nicht
richterlichen und durch den Staatsanwalt vollzogenen Beschlagnahme von Verteidigungsunterlagen jedenfalls dann ein Verwertungsverbot angenommen, wenn kein
Teilnahmeverdacht vorliegt.
LG Bremen vom 20.04.05 (StV 2005, 318 ff.):
Trotz Auffindens erheblicher BTM-Mengen auf einem Fischtrawler, erklärte die
Kammer die Durchsuchung für rechtswidrig, da weder ein Durchsuchungsbeschluss
vorlag, noch ein die Durchsuchung rechtfertigender Anfangsverdacht.
LG Heilbronn vom 16.12.2004 (StV 2005, 380 ff.):
In der Tendenz wie LG Bremen, s.o.
AG Braunschweig vom 23.4.2001 (StraFo 01,422 ff.):
Die Polizei hatte wegen Gefahr im Verzuge eine Wohnung durchsucht, in der von
außen sichtbar Haschischpflanzen gezogen wurden. Einige Tage zuvor war die Kripo
bereits auf diesen Sachverhalt hingewiesen worden, hatte aber nichts unternommen.
Am Durchsuchungstage um 09:30 Uhr wurde festgestellt, dass die Pflanzen scheinbar abgeerntet waren und die polizeilichen Beobachter befürchteten eine Beseitigung
dieser Pflanzen durch die Bewohner.
Das Amtsgericht bemängelte, dass ganz abgesehen von der frühzeitigen Meldung,
die keinerlei Reaktionen auslöste, auch die Situation am Durchsuchungstage wegen
der räumlichen Nähe von Polizei, StA, Gericht und Tatwohnung die Anordnung durch
den Richter notwendig machte und verneinte die Annahme von Gefahr im Verzuge ;
die Angeklagte wurde freigesprochen.
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Die Entscheidung ist von großer Sachkunde geprägt, auch was den Anbau und die
Verwertung von in der Wohnung gezüchteten Hanfpflanzen angeht: Wenn die Polizei
feststellt, die Pflanzen seien abgeerntet, dann bestehe kaum die Gefahr der Vernichtung, da jedermann wisse, dass derartige Pflanzen vor der Verköstigung getrocknet
werden müssten. Es bestand insofern eine größere Wahrscheinlichkeit, dass sich die
Pflanzen auch noch in der Wohnung befinden würden, wenn nach gewissen Zeitablauf auf richterliche Anordnung durchsucht worden wäre.
LG Bremen, 25.2.98, StV 98,180:
Das LG hat festgestellt, dass keine Gefahr im Verzuge vorgelegen habe; die Wohnung war unmittelbar nach der Festnahme durchsucht und sodann versiegelt worden. Am Folgetag und eine Woche später erfolgten weitere Durchsuchungen, die
nach Auffassung der StA sozusagen die Fortsetzungen der einmal begonnen Durchsuchung darstellen sollten. Da die Beschuldigten sämtlichst in Haft waren, konnte
sich die Polizei und StA nicht mehr auf ihre Eilkompetenz beschränken, da schon bei
der 2. Durchsuchung keine Gefahr im Verzuge mehr vorlag. Ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der sichergestellten Sachen hat das LG allerdings nicht beschlossen.
LG Darmstadt vom 12.08.93, StV 1993,573:
Hier war eine Woche vor dem Vollzug der Durchsuchung, diese auf einer Dienstbesprechung zwischen Polizei und StA verabredet worden und die Einschaltung eines
Richters bewusst umgangen worden, weil die StA im Amtsgericht eine „undichte Stelle“ vermutete. Das LG bestätigte das Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei
der Durchsuchung aufgefundenen Gegenstände und der von den Polizeibeamten
dabei gemachten Beobachtungen Die Beschwerde gegen die Nichteröffnung der
Verfahrens wurde verworfen. Vorausgegangen war in diesem Verfahren, dass schon
das Amtsgericht Offenbach (StV 91,153 ff.) die richterliche Beschlagnahme der sichergestellten Sachen abgelehnt hatte.
LG Osnabrück vom 26.11.1990 (StV 91,152):
Die Polizei hatte angenommen, am Nachmittag sei auf dem Amtsgericht eh niemand
mehr erreichbar, der Hinweis der zur späteren Durchsuchung führte, ging um 14:30
10
Uhr bei der Polizei ein. Angesichts der konkreten Umstände, es wurde vermutet, der
Tatverdächtige werde aus einer vor 6 Wochen begangenen Straftat Beweismittel
aus der Wohnung schaffen, konnte das Landgericht nicht erkennen, dass nach derartig langem Zeitablauf eine Wahrscheinlich bestehen soll, dass nun ausgerechnet
innerhalb der nächsten 24 Std. derartiges geschehen könnte. Hier erfolgte Freispruch.
LG Wiesbaden vom 31.8.87 StV 88,292 f.:
Das LG stellt einerseits auf die Schwere des Tatvorwurfs und die Schwere des prozessualen Verstoßes ab: Die Angeklagten waren erstinstanzlich wegen Verstosses
gegen § 27 VersG zu einer Geldstrafe von 30n Tagessätzen verurteilt worden. Die
Durchsuchung fand aufgrund einer richterlichen Durchsuchungsanordnung statt, die
sich gegen eine andere Person richtete, die zwischenzeitlich aus der durchsuchten
Wohnung ausgezogen war, was sowohl von den Betroffenen sofort mitgeteilt wurde
aber auch den Beamten aufgrund der Vorfindesituation nicht verborgen geblieben
war. Hier hat das LG ein Verwertungsverbot hinsichtlich der sichergestellten Sachen
bejaht und die Angeklagten freigesprochen.
KG vom 29.5.85 in StV 85, 404 f.:
„Der Umstand, dass ein Gegenstand aufgrund einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung erlangt worden ist, steht einer Beschlagnahme grundsätzlich nicht entgegen.
Dies gilt jedoch nicht, wenn der Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen als so
schwerwiegend anzusehen ist, dass bei Abwägung aller Umstände im konkreten Fall
das öffentliche Interesse an einer Aufklärung der Tat zurückzutreten hat. Dies kann
dann der Fall sein, wenn die durchsuchenden Beamten nicht nur versehentlich die
richterliche Festlegung und Beschränkung des Zwecks der Durchsuchung außer acht
gelassen haben und die dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten nicht dem
Bereich der Schwerkriminalität angehören.“
Hier war dem Angeklagten Beihilfe zum fortgesetzten Betrug, zum Missbrauch der
Berufsbezeichnung Arzt sowie Beihilfe zum Betrug und zum Gebrauch unrichtiger
Gesundheitszeugnisse zur Last gelegt worden. Die StA ermittelte noch wegen Waffenbesitzes; in diesem Verfahren ordnete das AG die Durchsuchung an. Die Durchsuchung führte zur Sicherstellung schriftlicher Unterlagen, die nach Auffassung der
eingesetzten Beamten für das laufende Verfahren von Belang sein könnten. Die
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Strafkammer ordnete die Beschlagnahme an, das KG gab der Beschwerde statt und
lehnte die Beschlagnahme ab. Hier war die Wohnung bereits einmal durchsucht worden, dann erfolgte der Hinweis auf das Vorhandensein einer Waffe; dem KG erschien schon zweifelhaft, ob allein wegen der früheren Durchsuchung und des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs eine Durchsuchung überhaupt noch sinnvoll
war. Die Polizei vollstreckte den Durchsuchungsbefehl mit dem Ziel eine Waffe zu
finden mit 6 Beamten, darunter einem Leitenden Kriminaldirektor und einem Leitenden Polizeidirektor, die Durchsuchung dauert 6 Stunden und 20 Minuten. Dies nimmt
das KG zum Anlass zu vermuten, die durchsuchenden Beamten seien unabhängig
vom genannten Durchsuchungszeck (Waffe finden) zur planmäßigen Ausforschung
nach den Angeklagten belastenden Gegenständen tätig geworden. Dies sei grob
rechtsfehlerhaft, deshalb sei die Beschlagnahme abzulehnen.
3. Rechtsmittel
Während der Durchsuchung aufgrund richterlicher Anordnung ist die Beschwerde
gemäß §§ 304 ff unstreitig zulässig. In der Praxis ist dies in erster Linie von Bedeutung, in denen gemäß § 110 mitgenommene Papiere noch nicht vollständig vom
Staatsanwalt gesichtet worden waren. So lange nämlich gilt die Durchsuchungsmaßnahme als noch nicht abgeschlossen (BGH StV 88, 90). Es sind aber auch Durchsuchungen größerer Komplexe denkbar unter Einbeziehung der vorhandenen EDVAnlagen, die sich über mehrere Tage erstreckt. In derartigen Fällen besteht ja noch
die theoretische Möglichkeit, im Anfechtungswege wenigstens die Sichtung der Papiere oder die Fortsetzung der Durchsuchung zu stoppen. In der Praxis ist dies allerdings selten genug gelungen, weil der Aktenlauf über das Abhilfeverfahren und die
Vorlage der Akten durch die Staatsanwaltschaft an das Beschwerdegericht der
Staatsanwaltschaft genügen Zeit gelassen hat, ihre Durchsuchungsmaßnahme durch
Abschluss der Sichtung der Papiere zu beenden und einen Antrag auf deren Beschlagnahme zu stellen (BGH wistra 95, 348; LG Oldenburg, wistra 87, 38).).
Allerdings ist durch die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine
realistische Möglichkeit eröffnet worden, den Anfechtungsantrag bei zwischenzeitlich
eintretender Beendigung der Maßnahme im laufenden Beschwerdeverfahren auf einen Feststellungsantrag umzustellen. Bislang war die Rechtsprechung hierzu wegen
der „prozessualen Überholung“ äußerst zurückhaltend, jetzt gibt es jedoch dafür kei-
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ne Rechtfertigung mehr (vgl. LG Freiburg, StV 89, 424 ff und OLG Hamm NStZ 89,
85 f.). Beschwerde ist zulässig gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung auch
nach vollzogener Durchsuchung (BVerfG Beschl. vom 30.4.97 NJW 1997,2163)
Das Bundesverfassungsgericht hat das Rechtsschutzbedürfnis im Beschwerdeverfahren nach §§ 304 ff grundsätzlich anerkannt und hierzu folgende Leitsätze verfasst:
1. Eröffnet das Prozessrecht eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4
GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame richterliche Kontrolle.
2. a.) Dieses Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes gibt dem Betroffenen das
Recht, in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe auch dann die Berechtigung des Eingriffs klären zu lassen, wenn
die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensverlauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen
Instanz kaum erlangen kann.
b) Die Beschwerde gegen eine richterliche Durchsuchungsanordnung darf somit
nicht allein deswegen, weil sie vollzogen ist und die Maßnahme sich deshalb erledigt hat, unter dem Gesichtspunkt prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden.
Im Falle einer nichtrichterlich angeordneten Durchsuchung kann während der Durchsuchung zunächst die richterliche Entscheidung gem. § 98 StPO beantragt werden,
nach abschlägiger Bescheidung auch noch das Rechtsmittel der Beschwerde. Dies
gilt auch wegen der Überprüfung der Art und Weise des Vollzugs einer nach § 105
Abs.1 Nr.1 StPO nichtrichterlich angeordneten abgeschlossenen Durchsuchung,
selbst nach Abschluss der Durchsuchung (BGH vom 7.12.98, NStZ: 99,200 f.).
Gegen alle richterlich angeordneten Durchsuchungsmaßnahmen, auch im Hinblick
auf die Art und Weise der Durchführung, ist nach Auffassung des 5. Strafsenats (KKNack, 4.Aufl. § 98 Rz.27) der Beschwerdeweg eröffnet. Die herrschende Meinung
vertritt allerdings noch, dass zumindest bei abgeschlossenen Durchsuchungen ein
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Feststellungsantrag nach § 23 EEGVG beim zuständigen OLG angebracht werden
muss.
4. Fernwirkung
Es mag zwar sein, dass die "fruit of the Poisonous tree doctrine" des amerikanischen
Rechts nicht schematisch, sondern nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten
des deutschen Rechts übernommen werden kann (vgl. zum ganzen LR-Schäfer, Einl.
Kap. 14, Rdn. 46ff.). Sie muss jedenfalls dann gelten, wenn das Beweismittel , das
aufgrund einer fehlerhaften Durchsuchung gewonnen wurde, zur einzigen oder wesentlichen Voraussetzung für weitere Ermittlungseingriffe gemacht werden soll (so
KK-Laufhütte, § 100 a, Rdn. 26 für Ergebnisse einer fehlerhaften TÜ).
Leider hält die Rechtsprechung aber daran fest, dass sich das Verwertungsverbot
lediglich auf das konkrete unverwertbare Beweismittel bezieht und nicht etwa auf nur
durch dieses Beweismittel mittelbar erlangte Kenntnisse und Schlussfolgerungen, die
ggf. eine Urteilsfindung zum Nachteil des Beschuldigten ermöglicht oder wesentlich
gefördert haben.( BGH NStZ 84, 419 zur rechtswidrigen Beschlagnahme der Verteidigerhandakten).
5. Was tun?
Exkurs 1:
Hilfsbeamter der StA - § 152 GVG – die Landesregierungen sind ermächtigt, durch
Rechtsverordnung diejenigen Beamten und Angestelltengruppen zu bezeichnen, auf
die diese Vorschrift anzuwenden ist. Die Angestellten müssen im öffentlichen Dienst
stehen, das 21. Lebensjahr vollendet haben und mindestens zwei Jahre in dem bezeichneten Beamten- oder Angestelltengruppen Dienst tun. Hier sind die entsprechenden VO der Landesregierungen bzw. Landesjustizverwaltungen einzusehen.
Ab 1.9.04 (JustizModernisierungsGesetz) gibt es nur noch Ermittlungspersonen.
Exkurs 2:
Freibeweisverfahren: Die Feststellungen von Prozessvoraussetzungen und sonstigen
Prozesstatsachen können im Freibeweisverfahren ermittelt werden (Strafantrag, Fra-
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gen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots; Sachkunde Sachverständiger, örtliche Zuständigkeit u.a.). Das Freibeweisverfahren unterliegt
nicht den Beschränkungen der §§ 243 ff. StPO. In bestimmten Verfahrensabschnitten ist das Freibeweisverfahren weder öffentlich, noch mündlich. Die schlichte Lektüre der Akte kann zur Feststellung bestimmter Verfahrensvoraussetzungen ausreichend sein. Zu beachten sind allerdings Fragen des rechtlichen Gehörs und Beteiligung von Gerichtsmitgliedern, denen Akteneinsicht verwehrt ist. Der Antrag auf Einvernahme eines Zeugen und Verlesung eines Vermerks im Freibeweisverfahren im
Rahmen der Hauptverhandlung ist dort zu bescheiden und durchzuführen. Schlüsse
für die Feststellung von Schuld- und Rechtsfolgentatsachen sind draus nicht zu ziehen, da diese zwingend im Strengbeweisverfahren zu ermitteln sind (StV 95,339).
In der Praxis erfahren wir vor Beginn einer Durchsuchung und auch selten während
des Vollzugs von den genauen Umständen ihrer Anordnung, die Anlass geben darüber nachzudenken, ob diese Durchsuchung den gesetzlichen Anforderungen entspricht. In der Regel erfahren wir erst über die Akteneinsicht von der Verdachtslage
als Ausgangspunkt, von der genauen Formulierung der Anordnung, vom Umstand
der fehlenden richterlichen Anordnung und von Einzelheiten des ermittlungsmäßigen
Verlaufs.
Im Zusammenhang mit dem Antrag auf richterliche Entscheidung hinsichtlich evtl.
sichergestellter Sachen erreichen wir eine rasche Akteneinsicht, da durch die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme eine weitere Beschwer droht (KleinknechtMeyer-Goßner, § 98 Rz.17). Insofern ist unter Einsichtnahme in die Akten rechtliches
Gehör zu gewähren. Die Verteidigung muss über den bisherigen Verlauf des Verfahrens, den der Durchsuchung zugrunde liegenden Tatsachenstoff informiert werden,
andernfalls erscheint eine Stellungnahme unmöglich.
Ein solcher Antrag könnte wie folgt aussehen:
zeige ich an, dass mich XXXYYY mit der Verteidigung beauftragt hat. Vollmacht liegt der Staatsanwaltschaft vor.
Ich vertrete XXXYYY auch wegen der Hausdurchsuchungen am X.Y.2002,
sowie der Beschlagnahme der in den durchsuchten Räumen sichergestellten
Gegenstände.
Namens und kraft Vollmacht wird zunächst der Beschlagnahme dieser Gegenstände
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widersprochen
und die Herausgabe gegenüber der zuständigen Staatsanwaltschaft beantragt.
Sofern diesem Begehren nicht entsprochen wird, beantrage ich gem. § 98
StPO
die Beschlagnahme dieser Gegenstände richterlich nicht zu bestätigen.
Derzeit ist nicht überschaubar, inwieweit die sichergestellten Sachen für das
vorliegende Verfahren von Bedeutung sein könnten.
Es bestehen auch Bedenken gegen die Zulässigkeit der richterlichen Anordnung vom xxx hinsichtlich der Ziffer 2.), da hier die Beschlagnahme von Gegenständen richterlich angeordnet worden ist, deren Auffindung zum Zeitpunkt
der Beschlussfassung weder dem zuständigen Richter, noch der Staatsanwaltschaft oder ihren Hilfsbeamten bekannt sein konnten. Eine Beschlagnahmeanordnung, die vor Ingewahrsamsnahme einer Sache durch die Strafverfolgungsbehörden ergeht, muss die zu beschlagnahmenden Gegenstände so
genau bezeichnen, dass keine Zweifel darüber bestehen können, ob sie von
der getroffenen Beschlagnahmeanordnung erfasst sind (vgl. BVerfG Beschluß
v. 3.9.91 in NStZ 92,91,92). Das ist vorliegend nicht der Fall.
Gegebenenfalls ist der vorliegende Antrag als Gesuch um Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses anzusehen (vgl. Kleinknecht-Meyer-Goßner, StPO, §
98 Rz. 19).
Sollte sich das Gericht keiner dieser Auffassungen anzuschließen in der Lage
sehen, bitte ich den vorliegenden Antrag als B e s c h w e r d e gegen die Beschlagnahme zu werten.
Vor Entscheidung über diesen Antrag beantrage ich die Gewährung r e c h t l
i c h e n G e h ö r s . Die Gewährung rechtlichen Gehörs ist zwingend (vgl.
Kleinknecht-Meyer-Goßner ,§ 98 Rz. 17; Einl. 23-25,28,29; KK § 98 Rz.20),
weil dem von der Beschlagnahme Betroffenen durch die richterliche Entscheidung eine weitere Beschwer droht.
Unter diesem Gesichtpunkt beantrage ich A K T E N E I N S I C H T
um deren Gewährung ich bei der Staatsanwaltschaft nachzusuchen bitte.
Der Verteidigung muss zumindest der bisherige Tatsachenstoff des Ermittlungsverfahrens, insbesondere die Tatsachen, die den angenommenen Verdacht begründen sollen, sowie die bisherigen Beweisergebnisse und der
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Grund der Beschlagnahme im Zusammenhang mit dem konkreten Tatverdacht bekannt sein.
Ich mir bitte deshalb,
die Akte mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft für angemessene Frist
auf mein Büro zu überlassen.
Unterschrift
Da in manchen Fällen das Verfahren tatsächlich nach einer Durchsuchung doch
noch nach § 170 II StPO eingestellt wird, eröffnet ein solcher Antrag eine spätere
Antragstellung nach dem StrEG. Die alleinige Verteidigertätigkeit würde nicht zur Erstattung der Verteidigerkosten führen. Das StrEG verlangt Tätigkeiten im Zusammenhang mit in § 2 StrEG genannten Strafverfolgungsmaßnahmen –z.B. die Herausgabe sichergestellter Sachen, wenn man denn nicht an der Durchsuchungsmaßnahme selber beteiligt war.
Zur Verhinderung einer Verwertung der sichergestellten Sachen zu lasten des Mandanten kann bereits jetzt anhand des vorliegenden Aktenmaterials die Unzulässigkeit
der Durchsuchung problematisiert werden. Diese Prüfung erfolgt im Freibeweisverfahren anhand des Akteninhalts. Selbstverständlich besteht auch jetzt die Gefahr,
dass nach entsprechendem Verteidigervortrag durch die eingesetzten Beamten
„nachgekantet“ wird, der Sachverhalt er- oder verklärt wird. Es wird darauf ankommen, ob der sich aus den Akten ergebene Sachverhalt noch Nachbesserungen duldet oder nicht. Im Zweifel erscheint es angebracht, die Problematisierung der Zulässigkeit solange zurückzustellen, bis weiteres Tatsachenmaterial zu den Akten gebracht oder durch den Verteidiger ermittelt wurde, um zu befürchtende Rechtfertigungen von vorneherein als wenig Glaubwürdig darzustellen.
Das gleiche Problem stellt sich im Zusammenhang mit anderen prozessualen
Zwangsmassnahmen wie Untersuchungshaft. Schnellschüsse sind zu vermeiden,
sorgfältige taktische Planungen sind erforderlich, will man sich ein greifbares günstiges Ergebnis nicht kurz vor dem Ziel noch aus der Hand nehmen lassen.
Nach Anklagerhebung muss sich der Verteidiger erneut fragen, ob jetzt im Rahmen
des Eröffnungsverfahrens ein entsprechender Vortrag angebracht ist. Das Ziel kann
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insofern nur die Nichteröffnung des Verfahrens sein. Bedacht werden sollte aber,
dass gem. § 211 StPO das Verfahren jederzeit von der StA wieder aufgenommen
werden kann, sobald neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen. Eine Sperrwirkung –wie beispielsweise der Freispruch- entfaltet die Nichteröffnung nicht.
Es kann durchaus sinnvoll sein, mit einer entsprechenden Problematisierung bis zur
mündlichen Verhandlung zuzuwarten, häufig wird die Verteidigung ja auch erst durch
einen sehr späten Auftrag mit dem Verfahren kurz vor der Hauptverhandlung betraut.
Hier kann durch die Mündlichkeit der Verhandlung kurzfristig auf neue Gegebenheiten reagiert werden und wir wohnen der Vernehmung der beteiligten Zeugen unmittelbar bei, können deren Vernehmung evtl. sogar inhaltlich steuern.
Es bleibt dem Geschick des Verteidigers überlassen, einen Vorsitzenden davon zu
überzeugen, dass die geladenen Zeugen zunächst im Freibeweisverfahren zu den
Umständen der Anordnung der Maßnahmen befragt werden sollen, evtl. gelingt es
auch – weil man selbst das Thema bereits vorbereitet hat- selbst mit der Befragung
zu beginnen. Der Vorsitzende kann der Verteidigung des Fragerecht insofern zunächst gewähren. Wenn bisher das Thema der Unzulässigkeit prozessualer Maßnahmen noch nicht aktenkundig ist, liegt das Überraschungsmoment bei der Verteidigung. Weder der Vorsitzende, noch die Staatsanwaltschaft und möglicherweise
auch nicht die zu hörenden Zeugen sind auf eine derartige Auseinandersetzung vorbereitet. Im Falle der nacheinander zu hörenden Zeugen können sich dadurch für
den Mandanten durchaus Breschen schlagen lassen. Ein interessierter Vorsitzender
wird der Verteidigung den Vortritt lassen.
Erzwingen lässt sich aber weder das Freibeweisverfahren noch die Übernahme des
Erstfragerechts. Ein geschickter Vorsitzender kann durchaus die sich aus den Akten
ergebenden Lücken durch plumpe Befragung der beteiligten Zeugen wieder schließen.
Insofern könnte die Verteidigung durchaus ein Interesse daran haben, den Sachverhalt allein durch Verlesung von Akteninhalt einzuführen. Dieser dürfte für ein Revisionsgericht auch eher einer Nachprüfung zugänglich sein. Hier wäre dann ausdrücklich noch in Abwesenheit irgendwelcher Zeugen zu beantragen, näher zu bezeichnende Aktenteile im Freibeweisverfahren zu verlesen. Dazu können gehören: Die
Vermerke und Vernehmungen, welche den Tatverdacht begründen sollen und die
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konkreten Einsatzumstände beschreiben, einschließlich der aussichtslosen oder unterbliebenen Versuche, über den Staatsanwalt beim zuständigen Richter um eine
Anordnung nachzusuchen. Die nunmehr vom Bundsverfassungsgericht erwarteten
Dokumentationen innerhalb der Akte, müssen aus sich heraus bei nichtrichterlicher
Anordnung die Annahme von Gefahr im Verzuge nachvollziehen lassen. Eine ergänzende Einvernahme von beteiligten Zeugen wäre danach möglicherweise gar nicht
mehr zulässig, jedenfalls erscheint eine solche Rechtsposition nicht abwegig.
Bei richterlicher Anordnung sollte neben dem eigentlichen Durchsuchungsbeschluss
ebenfalls das dem damals anordnenden Richter vorgelegte Tatsachenmaterial verlesen werden. Auch insofern erscheint eine ergänzende Zeugenvernehmung entbehrlich, da nur die in den Akten enthaltenen Mitteilungen ja auch bei Anordnung vorgelegen haben; es sei denn, der anordnende Richter hat sich zuvor den Sachverhalt
von den eingesetzten Beamten bei Aktenübergabe berichten lassen.
Im Rahmen der Verlesung der Urkunden sollte die Verteidigung von den Erklärungsrechten nach
§ 257 StPO Gebrauch machen und die enthaltenen Tatsachen kritisch hinterfragen.
Soweit die Urkunden einen unzutreffenden Sachverhalt beschreiben und dies dem
Schreiber auch bekannt gewesen ist, muss durch entsprechende Beweisanträge
(immer noch im Freibeweisverfahren) versucht werden, diese Umstände aufzuklären.
Stellt sich heraus, dass die eingesetzten Beamten wissentlich das Gericht über die
Tatsachengrundlagen getäuscht haben, dürfte auch die richterlich angeordnete
Durchsuchung unzulässig sein (vgl. LG Münster StV 96, 203).
Denkbar ist schließlich noch die Variante, das Gericht völlig im Unklaren darüber zu
lassen, worauf die Verteidigung denn nun eigentlich hinaus will. Dies ist eine Frage
der Prozesstaktik, die nicht zuletzt von den konkreten Erfahrungen mit oder Einschätzungen der erkennenden Richter abhängt.
Die Anordnung des Vorsitzenden, den Zeugen zu den Ergebnissen der Durchsuchung zu befragen, kann als unzulässig beanstandet und eine Gerichtsentscheidung
gem. § 238 Abs.2 StPO beantragt werden. Die Befragung des Zeugen sei deshalb
unzulässig, weil die vollzogene Durchsuchung nebst anschließender Sicherstel-
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lung/Beschlagnahme unzulässig gewesen sei und damit einem Verwertungsverbot
unterliege. Eine weitere Begründung wolle man aber erst nach Zugang der schriftlichen Urteilsgründe mitteilen.
Nun ist denkbar, dass die Strafkammer nach kurzer Beratung wieder erscheint und
mitteilt, man wolle die Frage eines evtl. Verwertungsverbotes zunächst im Freibeweisverfahren durch Verlesung der entsprechenden Aktenteile und/oder Vernehmung der eingesetzten Beamten klären. Dann sind wir da, wo wir auch mit ausdrücklichem Antrag gelandet wären.
Es geschieht aber häufiger, dass sich das Richtergremium für geraume Zeit zur Beratung zurückzieht und dann einen Gerichtsbeschluss verkündet, wonach die Anordnung des Vorsitzenden bestätigt wird, da die Durchsuchung nicht unzulässig gewesen sei.
Diese Entscheidung kann nun in zwei Richtungen interpretiert werden:
a.) Entweder ist mit den Schöffen gemeinsam im Beratungszimmer der Akteninhalt
erörtert worden, um die entsprechenden Tatsachengrundlagen zu ermitteln, dann
erweisen sich die Schöffen als befangen, weil sie sich außerhalb der HV Kenntnisse
verschafft haben, von denen nicht auszuschließen ist, dass sie diese entgegen § 261
StPO auch zum Gegenstand ihrer Urteilsberatung machen.
b.) Oder der Akteninhalt ist nicht erörtert worden, dann folgen sie „blind“ den Einschätzungen der aktenkundigen Berufsrichter, was ebenfalls den bösen Schein der
Voreingenommenheit begründen kann.
Die abzugebenden dienstlichen Äußerungen offenbaren dann ergänzende Sachverhalte, die Anlass zu weiteren Überlegungen seitens der Verteidigung geben könnten.
Allerdings sind die Aussichten bei diesem Gericht ein Verwertungsverbot durchzusetzen eher bescheiden.
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6. Schlusswort
Ein Verwertungsverbot durchzusetzen ist im konkreten Verfahren mehr als schwierig;
es setzt interessierte und unvoreingenommene Richter voraus, die eine Sachaufklärung wünschen und die Hauptverhandlung nicht nur als Bühne betrachten, die in der
Anklage zum Ausdruck gebrachte Arbeitshypothese der Staatsanwaltschaft zu verifizieren.
Die Form ist die Freundin der Freiheit und die geschworene Feindin der Willkür! Die
Verteidigung muss insofern allergrößtes Interesse an der Einhaltung der Form haben; jeder rechtswidrige Eingriff muss nachhaltig zurückgewiesen werden, gerade die
jüngst veröffentlichen Entscheidungen der Untergerichte offenbart doch, dass es
durchaus auch in der Richterschaft Bündnispartner dafür gibt.
Einem naiven Gemüt mag es unproblematisch, ja gar verdienstvoll erscheinen, wenn
die Polizei auch auf nicht gesetzmäßigem Wege und unter willkürlicher Umgehung
richterlicher Anordnungskompetenz Erkenntnisse gewinnt. Die Würde der Rechtspflege und die Stellung eines jeden Beschuldigten als Subjekt des Verfahrens verbieten es aber, auf solche Mittel zu verfallen. Auch der schwerster Straftaten Beschuldigte und dringlich Verdächtigte hat Anspruch auf ein faires, gesetzmäßiges Verfahren (LR-Schäfer, Einleitung Kapitel 6 Rdn. 7). Der lässige Umgang mit Verfahrensgarantien, zumal Grundrechten, auch zu angeblich ehrenwerten Zwecken, führt zu einer
Erosion der Grundwerte der Verfassung nicht nur im Auge der Bevölkerung, sondern
schließlich auch im Bewusstsein der Justiz, viel eher noch allerdings im Bewusstsein
der Polizei in ihrer Rolle als derjenigen Institution, die in der Bekämpfung der Kriminalität an vorderster Front steht. Deren Veröffentlichungen lesen sich allesamt so, als
seien Grundrechte nur lästige Hindernisse auf dem Weg zur wirksamen Bekämpfung
des Verbrechens, die es möglichst aus dem Weg zu räumen und in ihrer Beschränkung polizeilicher Ermittlungsbefugnisse unwirksam zu machen gelte. Es muss aber
tagtäglich darauf hingewiesen werden, welch unabsehbare Schäden für den Rechtsstaat entstehen, wenn man solcher Einstellung auch nur einen Finger breit Boden
überlässt.
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