Schnellzugriff - Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht

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Privatdozent Dr. Joachim Kretschmer
Liebe Studierende,
ich begrüße Sie in der Vorlesung „Strafprozessrecht: Wiederholung und Vertiefung“. Hier
finden Sie ein Papier, das jedoch kein Vorlesungsskript ist. Ich kann es auch nicht besser und
kürzer als Beulke oder Volk oder Roxin/Schünemann sagen. Da oder in ein anderes Lehrbuch
müssen Sie schon einmal reinschauen. Vielmehr ist das eine Art kommentierter Gliederung zu
den einzelnen Vorlesungsstunden. Wobei sich hinter den einzelnen Gliederungspunkten auch
mehrere Stunden verbergen können. Aktuelle Entscheidungen und andere aktuelle
Informationen finden Sie unter der entsprechenden Rubrik.
Wollen Sie Strafrichter, Strafverteidiger oder Staatsanwalt werden? Wollen Sie die
strafprozessuale Zusatzfrage im Examen beantworten? Dann sollten Sie wenigstens die
Grundzüge des Strafverfahrensrechts kennen: die Funktion der Verfahrensbeteiligten, die
Verfahrensprinzipien, den Gang des Strafverfahrens, die Beweismittel und die
strafprozessualen Zwangsmaßnahmen in ihrer Problematik. Das Strafprozessrecht ist geprägt
von dem Konflikt zwischen der Effektivität der Strafrechtspflege und der Achtung der
Grundrechte des Individuums, der Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit. Das zeigt sich
im Strafverfahren besonders während des Ermittlungsverfahrens, in dem die strafprozessualen
Zwangsmaßnahmen Anwendung finden: Durchsuchung, U-Haft, Überwachung der
Telekommunikation, Lauschangriffe, online-Durchsuchungen und vieles andere mehr. Als
Veranstaltung des Schwerpunksbereichs werden wir uns auch mit eben diesen Maßnahmen in
ihrer tatsächlichen und rechtlichen Problematik beschäftigen unter weiterer Beachtung der
verschiedenen Verfahrensbeteiligten und der Rechtsschutzmöglichkeiten. Weitere Themen
werden sein die Hauptverhandlung und die Beweisaufnahme mit Beweisantrag und
Zeugenbeweis und fehlen darf nicht die Lehre der Beweisverwertungsverbote, die ein
beliebtes Prüfungsthema ist.
Bei allen Themen stehen rechtspraktische und rechtswissenschaftliche Bezüge
gleichberechtigt nebeneinander.
Und hier ein grober Terminplan:
22.10
Allgemeine Verfahrensprinzipien
29.10
Allgemeine Verfahrensprinzipien
5.11
Der Richter
12.11
Der Beschuldigte
19.11
Der Staatsanwalt
26.11
Der Verteidiger
3.12
Der Verteidiger
10.12
Das Beweisverwertungsverbot
17.12
Das Beweisverwertungsverbot
Merry Xmas and a happy new year!
7.1
Der Zeuge
14.1
Der Beweisantrag
21.1
Das faire Verfahren
28.1
Der Deal
4.2
Der Tatbegriff
11.2
Mal schauen, was noch fehlt
Bevor es losgeht: Haben Sie Wünsche oder Anregungen?
Strafprozessrecht
Stets von allgemeinem Interesse sind die Rechtsprechungsübersichten in der NStZ, die es
auch zum Thema Strafverteidigung gibt, und die Rubrik: Aktuelles Strafprozessrecht in der
JuS. Zuletzt in NStZ 2012, 308 von Müller/Schmidt und in JuS 2012, 705 von Mosbacher. Zu
beachten sind auch in den Zeitschriften veröffentlichte Klausurfälle wie Knauer, JuS 2012,
711 oder von mir, JuS 2007, 138.
1. Aufbau der StPO, Rechtsquellen, Prinzipien des rechtsstaatlichen Strafverfahrens,
Verfahrensgang (Beulke, §§ 1, 2)
-Was sind die Ziele eines Strafverfahrens (siehe Beulke, § 1, Rdn. 3 ff.)?
-Die Stadien des Verfahrens: Ermittlungsverfahren (Staatsanwaltschaft), Zwischenverfahren,
Hauptverfahren, Rechtsmittelverfahren -alle drei Stufen unterliegen der Verfahrensherrschaft
des Gerichts-, das Vollstreckungsverfahren (StA, § 451 StPO)
-Prozessmaxime: Offizialprinzip (§ 152 StPO), Akkusationsprinzip (§ 151 StPO),
Legalitätsprinzip (§ 170 StPO), Ermittlungsgrundsatz, freie Beweiswürdigung nach § 261
StPO, Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit (§§ 226, 250, 261 StPO),
Unschuldsvermutung, Beschleunigungsgrundsatz nach Art. 6 EMRK, faires Verfahren: alles
als Ausprägung eines liberalen Strafverfahrens in einem Rechtsstaat
-Begründet der Vorwurf der Folter ein Verfahrenshindernis aus rechtsstaatlichen Gründen?
Das LG Frankfurt aM, StV 2003, 325 verneint das bedauerlicherweise, hat aber
Rechtsprechung und Schrifttum auf seiner Seite. Siehe zur Problematik der absolut
verbotenen Folter Beulke, § 8, Rdn. 134a mit vielen Nachweisen. Lesenswert etwa Roxin, FS
für Eser, 2005, 461, „Kann staatliche Folter in Ausnahmefällen zulässig oder wenigstens
straflos sein?“. Dem „Nein“, und zwar dem absoluten „Nein“ von Roxin ist zuzustimmen.
Lassen Sie sich da nicht von abbringen!
Auszug aus meiner Kommentierung zu § 136a im Radtke/Hohmann, StPO:
g) Verbot der Folter: In den erwähnten Methoden spiegelt sich das ausnahmslos geltende Folterverbot1 wider.
Folter verstößt in jedem Fall in ihrer willensbrechenden und persönlichkeitszerstörenden Wirkung gegen die
Menschenwürde des Art. 1 GG.2 Was Folter ist, findet sich in dem „Übereinkommen gegen Folter und andere
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ der Vereinten Nationen von 1984: „Im
Sinne dieses Übereinkommens bedeutet der Ausdruck Folter jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich
große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem
Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder
einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder
aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder
Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden
Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis
1
Siehe Ambos/Rackow Jura 2006, 943, 948; Esser NStZ 2008, 657, 658; Jahn C 63; Jeßberger Jura 2003, 711, 713 f.; Chr. Jäger, FS
Herzberg, 2008, S. 539; Prittwitz, FS Herzberg, 2008, S. 515; Roxin, FS Eser, 2005, S. 461; Satzger Jura 2009, 759, 763 ff.;
HbStrVf/Jahn Rn. II. 313; HK-GS/Jäger Rn. 28; HK-GS/Duttge § 32 StGB Rn. 32; Löwe/Rosenberg/Gless Rn. 23;
Sch./Sch./Lenckner/Perron § 32 StGB Rn. 62 a; Beulke Rn. 134 a; Volk § 9 Rn. 14.
2 So auch Roxin, FS Eser, 2005, S. 461, 463 f.
verursacht werden.“ Der Gefolterte wird zum willenlosen Objekt einer staatlichen Zwangshandlung, die ihm jede
Privatautonomie nimmt. Das Folterverbot ist in keinem Fall einer Abwägung zugänglich. Wenn auch der Staat
verpflichtet ist, Leben und Menschenwürde seiner Bürger zu schützen, so ist ihm dieser Schutz nur in den
Grenzen des Rechtsstaats erlaubt. Diese rechtsstaatliche Schranke begrenzt auch die staatliche Schutzpflicht den
Verbrechensopfern gegenüber. Und zu diesen unverrückbaren Grenzen gehört das absolute Verbot der Folter in
ihrer persönlichkeitszerstörenden Wirkung. Es kann keine euphemistisch so genannte Rettungsfolter geben. Das
zeigen auch Art. 104 GG und Art. 3 EMRK.3 Insbesondere ein Blick auf Art. 15 Abs. 2 EMRK betont das
Verbot jeder Abwägung. Selbst in Krieg und im öffentlichen Notstand gilt das Folterverbot des Art. 3 EMRK.
Stimmen – die hier absichtlich nicht zitiert werden -, die das Folterverbot im Einzelfall relativieren, geben nicht
nur den Rechtsstaat auf, sondern verraten das Erbe der Aufklärung und die Grundsätze aller Humanität. Weder
dem Staat noch dem einzelnen Beamten ist ein solches menschenrechtswidriges Handeln erlaubt. Ein Fall der
Folter kann materiell-rechtlich in keinem Fall gerechtfertigt oder entschuldigt sein. Strafprozessual sympathisiere
ich mit einem Verfahrenshindernis, um den unerträglichen Tabubruch in einem Rechtsstaat deutlich zu machen.
Folter ist ein gravierender Verstoß gegen die elementaren Regeln des rechtsstaatlichen Verfahrens. Sie nimmt der
Fortführung des Strafverfahrens jede rechtsstaatliche Basis. Leider nehmen Praxis und Schrifttum im
einschlägigen Fall – Daschner/Gäfgen - nur eine Beweisverwertungsverbotslösung4 an. Art. 15 UN-AntiFolter-Übereinkommen bestimmt, dass jeder Vertragsstaat dafür Sorge trägt, dass Aussagen, die nachweislich
durch Folter herbeigeführt worden sind, nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden.
-Wichtig der Einfluss der EMRK – siehe Satzger Jura 2009, 759
2. Ermittlungsverfahren und die Staatsanwaltschaft (Kretschmer, Jura 2004, 452)
-Aufgaben, Funktion, Rechtsstellung der StA als Anklagebehörde in den verschiedenen
Verfahrensstadien. Sie ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege mit exekutiven Zügen.
-Die vier steten Rechtsprobleme um die StA:
(1) Frage einer Bindung an die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung (§ 150 GVG!)?
(2) interne und externe Weisungsbefugnisse (§§ 146, 147 GVG)
(3) Verfolgungs- und Anklagepflicht bei privater Kenntniserlangung eines Verdachts?
Auszug aus meiner Kommentierung des § 160 in Radtke/Hohmann:
Außerdienstlich – privat - erlangtes Wissen beim Angehörigen der Strafverfolgungsorgane – nicht bei
Strafvollzugsbeamten -– führt in Grenzen zur strafrechtlichen Pflicht der Strafverfolgung. Ein absoluter Schutz
der Privatsphäre, der eine strafrechtliche Pflicht bei außerdienstlich gewonnenen Erkenntnissen über Straftaten
generell verneint,6 ist im rechtsstaatlichen Gegeninteresse der Strafverfolgung abzulehnen. Die Rechtsprechung
folgt einer Abwägungslösung. Eine strafrechtliche Garantenstellung nimmt der BGH7 im Konflikt mit dem
grundrechtlich geschützten Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts an, „wenn ein Polizeibeamter
außerdienstlich Kenntnis von Straftaten erlangt, die - wie Dauerdelikte, fortgesetzte oder auf ständige
Wiederholung angelegte Handlungen - während seiner Dienstausübung fortwirken“. In diesem Fall bedarf es
nach Ansicht des BGH der Abwägung, ob das öffentliche Interesse privaten Belangen vorgeht. Von
entscheidender Bedeutung sei, ob durch die Straftat Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des Einzelnen betroffen
seien, denen jeweils ein besonderes Gewicht zukomme. Das könne auch außerhalb des Kataloges des § 138 StGB
bei schweren Straftaten wie z.B. schweren Körperverletzungen, erheblichen Straftaten gegen die Umwelt oder
Delikten mit hohem wirtschaftlichem Schaden der Fall sein. Beispielhaft nennt der BGH darüber hinaus Verstöße
gegen das Waffengesetz mit Dauercharakter, den nicht auf den Einzelfall beschränkten Handel mit harten Drogen
Siehe das Kammerurteil des EGMR v. 30. 6. 2008 – 22978/05 in Gäfgen gegen Deutschland, NStZ 2008, 699.
Siehe LG Frankfurt a.M. v. 9. 4. 2003 – 5/22 Ks 3490 Js 230118/02, StV 2003, 436; Satzger Jura 2009,
759, 765; Weigend StV 2003,
436 ff.; Roxin, FS Eser, 2005, S. 461, 470 f.
6 Vgl. Laubenthal JuS 1993, 907, 911; Löwe/Rosenberg/Rieß, 25. Aufl. Rn. 29; Meyer-Goßner/Cierniak Rn. 10; SK-StGB/Hoyer § 258a
Rn. 6; Volk § 8 Rn. 11.
7 BGH v. 29. 10. 1992 – 4 StR 358/92, BGHSt 38, 388; auch BGH v. 3. 11. 1999 – 2 StR 326/99, NStZ 2000,
147.
3
4
oder Schutzgelderpressung und allgemein Straftaten aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität, die
erfahrungsgemäß auf Wiederholung angelegt sind. Diese Kombination aus – oft vernachlässigtem Fortwirkungselement und folgender Abwägung eröffnet dem Strafverteidiger einen Argumentationsspielraum
für seinen beschuldigten Mandanten, dem als Beamten Strafvereitelung durch ein Unterlassen vorgeworfen wird.
Es erscheint aber fraglich, ob der BGH dieser starken Restriktion wirklich folgt, wenn es einmal um die
Nichtverfolgung einer schweren Straftat wie Mord oder Vergewaltigung ohne den Fortwirkungscharakter gehen
wird, von der das Strafverfolgungsorgan außerdienstlich erfährt. So erscheint wiederholt8 auch die Formel, dass
außerdienstliche Kenntnisse zur Strafverfolgung verpflichten, wenn die Straftat nach Art und Umfang die
Belange der Öffentlichkeit und der „Volksgesamtheit“9 in besonderem Maße berührt. Ob diese Rechtsprechung
wirklich dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz entspricht, ist fraglich.10 Daher knüpfen Stimmen
im Schrifttum daran an, dass das Legalitätsprinzip bei Verbrechen im Sinne des § 12 StGB11 oder bei den in §
138 StGB12 genannten Straftaten eingreift. Ein weiterer Vorschlag13 geht dahin, den Schweregrad regelmäßig bei
allen Straftaten anzunehmen, die vom Gesetzgeber mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahre Freiheitsstrafe
bewehrt sind. Die Rechtsprechung bietet dem Verteidiger insbesondere unter dem Gebot der Fortwirkung eine
beschuldigtenfreundliche Argumentationsbasis, während aus Opfersicht Ansätze im Interesse der Strafverfolgung
möglich sind. Ungeachtet der Weite der strafrechtlichen Garantenstellung bleiben disziplinarrechtliche Folgen für
den Beamten.14
(4) Der Klassiker in Prüfungen: Der befangene Staatsanwalt und die §§ 22 ff StPO? Besteht
hier ein durchsetzbares Ablehnungsrechts?
Diese vier Probleme sollten Sie beherrschen, da sich anhand dieser Rechtsfragen die Funktion
und Rechtsstellung der StA darstellen lassen. Wo können Sie das nacharbeiten? Bei Beulke im
Lehrbuch, bei mir in obigen Aufsatz oder auch bei Roxin, DRiZ 1997, 109 und sonst in jedem
Lehrbuch, das Sie wollen. Lesenswert auch Heghmanns, GA 2003, 433 (Die prozessuale
Rolle der StA), der sich aber eben nicht den vier Problemen widmet.
Geschichtlich interessant: Ambos, Zum heutigen Verständnis vom Akkusationsprinzip und –
verfahren aus historischer Sicht, JURA 2008, 586
Stichwort: Der in der HV schlafende Staatsanwalt - OLG Hamm, NStZ-RR 2006, 315
3. Die Gerichte und der Richter: Zuständigkeit als Prozessvoraussetzung, Aufbau der
Gerichte, Sitzungspolizei (Beulke, §§ 3, 4)
-Zuständigkeiten und Besetzungen des AG, LG, OLG, BGH anhand des GVG - das muss auch
sein! Können Sie auch bei Volk, StPO, § 5 nacharbeiten. Wichtig ist, dass Sie stets die
entsprechenden Normen in der StPO und im GVG selbst nachlesen, um ein Gefühl für den
Aufbau des Gesetzes zu bekommen.
-sachliche, örtliche und funktionale Zuständigkeit
-Berufsrichter und Schöffen: schlafende Richter (Beulke, StPO, Rdn. 408) und zulässige (?)
Aktenkenntnis der Schöffen als Problem (BGH, NStZ 1997, 506 = Geppert, JK 98 StPO §
261/12). Lesen Sie: Nowak, JR 2006, 459 zu Aktenkenntnis und Schöffen, ein beliebtes
Prüfungsthema
Bei OLG Karlsruhe v. 9. 8. 1988 – 2 Ss 83/88, NStZ 1988, 503; OLG Köln v. 18. 3. 1981 – 3 Ss 1111/80,
NJW 1981, 1794; Pommer Jura 2007, 662, 663; Anw-StPO/Walther Rn. 8; Joecks Rn. 4; Pfeiffer Rn. 3; Beulke Rn. 91.
9 Der Begriff stammt aus der stets zitierten Entscheidung des RG v. 19. 6. 1936 – 4 D 402/36, RGSt
70, 251, 252 und sollte wie viele Entscheidungen und Aufsätze aus dieser Zeit nicht unbefangen zitiert
werden.
10 Zu unbestimmt bei KK-StPO/Griesbaum § 158 Rn. 29; Laubenthal JuS 1993, 907, 911.
11 So J. Kretschmer Jura 2004, 452, 455; ein schwerwiegendes Delikt fordert Heghmanns Rn. 184; siehe auch Artkämper ua. Rn. 78.
12 So Geppert Anm. zu OLG Köln v. 18. 3. 1981 – 3 Ss 1111/80, JK StGB § 258a/1; LR/Erb Rn. 29 a; Sch./Sch./Stree § 258a Rn. 11.
13 Von HbStrVf/Jahn Rn. I. 110.
14 Siehe Laubenthal JuS 1993, 907, 912; Meyer-Goßner/Cierniak Rn. 10.
8
-Befangenheit der Richter und der Staatsanwälte: §§ 22 ff StPO - für wen gelten die?
Aktuell BGH NStZ 2012, 519: Besorgnis der Befangenheit bei Vorbefassung des Richters
-Grundsatz der Öffentlichkeit (§§ 169 ff GVG) und revisionsrechtliche Folgen eines
Verstoßes: unzulässige Einschränkung und unzulässige Erweiterung
-Der Streit um den Vorsitz im 2. Strafsenat des BGH
Mosbacher, JuS 2012, 710
Sowada, NStZ 2012, 353
BVerfG NStZ 458
4. Überblick über die strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, verfassungsrechtliche
Probleme der Durchsuchung (Amelung, StV 2002, 161 - sehr lehrreich und lesenswert)
-Übersicht über die strafprozessualen Zwangsmaßnahmen (Beulke, § 12)
-Gesetzesvorbehalt, Systematik der Zuständigkeiten, unantastbarer Kernbereich der
Intimsphäre, Verhältnismäßigkeit
-der Beschuldigtenbegriff (§ 157 StPO)
-das Beibringen sog. Vomitivmittel (OLG Frankfurt, StV 1996, 651) - § 81a StPO ein Verstoß
gegen die Menschenwürde? Siehe dazu die unterschiedliche Ansicht: Rogall, NStZ 1998, 66;
auch BVerfG, StV 2000, 1. Der EGMR hat einen zwangsweisen Brechmitteleinsatz für einen
Verstoß gegen Art. 3 EMRK gehalten. Siehe Jalloh gegen Deutschland, Entscheidung vom 11.
7. 2006, Az 54810/00, homepage des Gerichts. Dazu: Safferling, Jura 2008, 100 (lesenswert).
-die Durchsuchung (§§ 102 ff) und die Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 103, 142;
Geppert, JK StPO § 105/2): Gefahr in Verzug und Richtervorbehalt, Bestimmtheit der
Anordnung.
Interessant
auch
das
Urteil
des
BVerfG
zu
„Cicero“
Beschlagnahme/Durchsuchung und Pressefreiheit, Urteil vom 27. 2. 2007, 1 BvR 538/06
-BVerfG, Urteil vom 2. 3. 2006: kein Fernmeldegeheimnis für gespeicherte emails und für
Verkehrsdaten auf Mobiltelefon; die Frage der Beschlagnahme von emails insbesonder beim
provider ist abhängig von der Kommunikationsphase, siehe BGH NStZ 2009, 397 mit Anm.
Bär; siehe auch Kudlich, Straftaten und Strafverfolgung im Internet, StV 2012, 560 mwN
-Die Mithörfalle: BGHSt. GrS 42, 139; siehe abl. Bernsmann, StV 1997, 116 und die weiteren
Nachweise bei Beulke, Rdn. 481g
-aktuell: BGH, Beschluss vom 31. 1. 2007 zur online-Durchsuchung; dazu Jahn/Kudlich, JR
2007, 57
-zur -präventiven- Rasterfahndung: BVerfG, DVBl 2006, 899, dazu Volkmann, Jura 2007, 132
-Erster Blick auf die Lehre der Beweisverwertungsverbote
Aktuell: BVerfG NStZ 2012, 496 zur strafprozessualen Verwertbarkeit rechtswidrig
erhobener Informationen
(1) Stichwort: Kernbereich privater Lebensgestaltung
Aktuell: BGH NStZ 2012, 277, dazu Mosbacher, JuS 2012, 705
Leitsatz: Ein in einem Kraftfahrzeug mittels akustischer Überwachung aufgezeichnetes Selbstgespräch eines sich
unbeobachtet fühlenden Beschuldigten ist im Strafverfahren – auch gegen Mitbeschuldigte – unverwertbar, da es
dem durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzurechnen
ist.
Siehe auch:
BGHSt 50, 206 (Krankenzimmerfall)
Ein bedeutsames Urteil liegt mit dem BVerfG zur online-Durchsuchung (v. 27.2.2008, 1 BvR
370/07) vor, in der sich der klassische Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit zeigt
(lesen!):
„aa) Heimliche Überwachungsmaßnahmen staatlicher Stellen haben einen unantastbaren Kernbereich privater
Lebensgestaltung zu wahren, dessen Schutz sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt (vgl. BVerfGE 6, 32 <41>; 27, 1
<6>; 32, 373 <378 f.>; 34, 238 <245>; 80, 367 <373>; 109, 279 <313>; 113, 348 <390>). Selbst überwiegende
Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in ihn nicht rechtfertigen (vgl. BVerfGE 34, 238 <245>; 109,
279 <313>). Zur Entfaltung der Persönlichkeit im Kernbereich privater Lebensgestaltung gehört die Möglichkeit,
innere Vorgänge wie Empfindungen und Gefühle sowie Überlegungen, Ansichten und Erlebnisse
höchstpersönlicher Art ohne die Angst zum Ausdruck zu bringen, dass staatliche Stellen dies überwachen (vgl.
BVerfGE 109, 279 <314>).
272
Im Rahmen eines heimlichen Zugriffs auf ein informationstechnisches System besteht die Gefahr, dass die
handelnde staatliche Stelle persönliche Daten erhebt, die dem Kernbereich zuzuordnen sind. So kann der
Betroffene das System dazu nutzen, Dateien höchstpersönlichen Inhalts, etwa tagebuchartige Aufzeichnungen
oder private Film- oder Tondokumente, anzulegen und zu speichern. Derartige Dateien können ebenso wie etwa
schriftliche Verkörperungen des höchstpersönlichen Erlebens (dazu vgl. BVerfGE 80, 367 <373 ff.>; 109, 279
<319>) einen absoluten Schutz genießen. Zum anderen kann das System, soweit es telekommunikativen Zwecken
dient, zur Übermittlung von Inhalten genutzt werden, die gleichfalls dem Kernbereich unterfallen können. Dies
gilt nicht nur für Sprachtelefonate, sondern auch etwa für die Fernkommunikation mittels E-Mails oder anderer
Kommunikationsdienste des Internet (vgl. BVerfGE 113, 348 <390>). Die absolut geschützten Daten können bei
unterschiedlichen Arten von Zugriffen erhoben werden, etwa bei der Durchsicht von Speichermedien ebenso wie
bei der Überwachung der laufenden Internetkommunikation oder gar einer Vollüberwachung der Nutzung des
Zielsystems.“
Heute findet sich solch ein Zugriff auf informationstechnische Systeme in § 20k BKA-G.
Denken sie einmal selbst daran, was Sie für private und intime Daten auf Ihrem Computer
haben!
Abgrenzung von unantastbarer Intimsphäre und einfacher abwägbarer Privatsphäre und nicht
geschützter Sozialsphäre – was ist was?
(2) Zum Richtervorbehalt
Nachweis: HRRS 2011 Nr. 478
BVerfG 2 BvR 1596/10, 2 BvR 2346/10 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom
24. Februar 2011 (OLG Dresden/OLG Düsseldorf)
Einfachrechtlicher Richtervorbehalt (Blutentnahme zum Nachweis einer
Trunkenheitsfahrt; fehlender richterlicher Bereitschaftsdienst;
staatsanwaltschaftlicher Bereitschaftsdienst; fehlende Dokumentation;
Beweisverwertungsverbot); Recht auf einen effektiven Rechtsschutz (Entscheidung
über das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots); Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit; Anspruch auf ein faires Verfahren; Willkürverbot.
Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 2 Abs. 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs.
1 S. 1 EMRK; § 81a Abs. 1 StPO; § 81a Abs. 2 StPO
Leitsätze des Bearbeiters
1. Die Auffassung der Fachgerichte, dass weder die fehlende Dokumentation über
die Anordnung der Blutentnahme nach § 81a Abs. 1 StPO unter Wahrnehmung der
Eilkompetenz von § 81a Abs. 2 StPO allein zu einem Beweisverwertungsverbot führt,
noch das Fehlen eines nächtlichen richterlichen Bereitschaftsdienstes für diese Fälle
ein Beweisverwertungsverbot begründet, ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
2. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor, wenn eine
Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und Anwendung
durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht
gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl.
BVerfGE 57, 250, 276; 122, 248, 272).
3. Der einfachrechtliche Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO gehört nicht zum
Bereich des rechtsstaatlich Unverzichtbaren. Er beruht auf einer Entscheidung des
Gesetzgebers, nicht auf einer zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe. Auch die
hohe Bedeutung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG gebietet verfassungsrechtlich nicht, dass die zwingend von einem Arzt
vorzunehmende Blutentnahme zum Nachweis von Alkohol, Betäubungsmitteln oder
Medikamenten im Blut nur durch einen Richter angeordnet werden dürfte.
4. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt des §
81a Abs. 2 StPO im nachfolgenden Strafverfahren keine verfassungsrechtliche
Bedeutung erlangen könnte. Es bleibt jeweils zu prüfen, ob die maßgeblichen
strafrechtlichen Vorschriften unter Beachtung des Fairnessgrundsatzes und in
objektiv vertretbarer Weise, also ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot
(Art. 3 Abs. 1 GG), ausgelegt und angewandt worden sind (vgl. BVerfGE 18, 85, 92).
5. Die Ansicht der Strafgerichte, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein
geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein
strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass die Frage
jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots
und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu
entscheiden ist, ist verfassungsgemäß. Die Annahme eines Verwertungsverbots
schränkt - auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um
jeden Preis“ gerichtet ist - eines der wesentlichen Prinzipien des
Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu
erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle hierfür
bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat. Daran gemessen
bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher
gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall
anzuerkennen ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug
oder das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers können danach ein
Verwertungsverbot nach sich ziehen.
6. Auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet nicht, im Falle eines unterstellten Verstoßes
gegen § 81a StPO im Zuge einer polizeilich angeordneten Blutentnahme ein
Verwertungsverbot hinsichtlich der erlangten Beweismittel anzunehmen.
Dazu: Pichon, Unendliche Geschichte: Neues zum Richtervorbehalt bei Blutentnahme, HRRS
2011, 472
Weiteres:
Toller Aufsatz von Beulke, Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote im
Spannungsfeld zwischen den Garantien des Rechtsstaates und der effektiven Bekämpfung von
Kriminalität und Terrorismus, JURA 2008, 653!
Trüh/Habetha NStZ 2008, 481
Jahn, Strafverfolgung um jeden Preis?, StraFo 2011, 117
5. Strafprozessuale Zwangsmaßnahmen und Lehre der Beweisverwertungsverbote
(Schroth, JuS 1998, 969)
-Noch einmal: Durchsuchung (§§ 102 ff) und Beweisverwertungsverbot
-Beweisverwertungsverbotslehre: Abwägungslehre
Schutzzweckgedanke? Das sind die Zauberworte!
der
Rsp
und
Literatur
oder
-Telefonüberwachung (§§ 100a ff) - Schutzbereich des Art. 10 endet beim Endgerät nach dem
abgeschlossenen Übertragungsvorgang! Was passiert, wenn bei einer rechtmäßigen TÜ wegen
Drogenhandels Erkenntnisse über einen Mord gewonnen werden? Stichwort: Zufallsfunde siehe: J. Kretschmer, StV 1999, 221.
-Die Gesetzesgeschichte des sog. Großen Lauschangriffs und die heutige -komplizierteGesetzeslage in § 100c ff (wichtiges Urteil: BVerfG, NStZ 2004, 270 = 109, 279 ff- das Urteil
führte zur Neuregelung der Materie in den heutigen § 100c; siehe LeutheusserSchnarrenberger, ZRP 2005, 1). Es erscheint fraglich, ob der Gesetzgeber die
grundrechtsschonenden Vorgaben des BVerfG hinreichend umgesetzt hat. Auch ich habe
mich zu dieser Maßnahme geäußert, allerdings bereits 1997 - Jura 1997, 581.
-Rechtsschutz gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (beliebt und wichtig und neue, den
nachträglichen Rechtschutz ausdehnende Entwicklung in der Rsp. des BVerfG (96, 27) - Volk,
§ 10, Rdn. 75 ff; Beulke, Rdn. 321 ff)- hier müssen Sie genaustens unterscheiden, wer die
Maßnahme angeordnet hat und ob sich die grundrechtsintensive Eingriffswirkung erledigt hat
(Rückgabe der beschlagnahmten Sache).
Es sind zwei Grundgedanken, die die Lehre der BVV prägen:
(1) Nicht aus jedem Fehler in der Beweiserhebung folgt auch ein Verwertungsverbot – kein
Automatismus.
(2) Die Beweisverwertungsverbote sind nicht abschließend in der StPO geregelt.
6. Die Untersuchungshaft und noch einmal Lehre der Verwertungsverbote (Volk, § 10,
Rdn. 6 ff)
Wer sich noch einmal mit dem Begriff des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
beschäftigen will: Lindemann, JR 2006, 199.
Wer sich noch einmal mit dem nur kurz angesprochenen Bereich der Zufallsfunde bei
technischen Überwachungsmaßnahmen beschäftigen will oder muss: ich, StV 1999, 221 und
aktuell Allgayer, NStZ 2006, 603 (ein wenig sehr abstrakt, um es vorsichtig zu formulieren,
aber lesen Sie selbst).
-Probleme der vorläufigen Festnahme nach § 127 StPO (Otto, Jura 2003, 685)
-Untersuchungshaft (Beulke, StPO, § 11): Zweck, Voraussetzungen, Rechtsmittel
(Haftbeschwerde und Haftprüfung), Rechtsprechung des BVerfG (NStZ 2006, 47)
-So etwas kennen wir aus dem „Tatort“: Spitzel in U-Haft = BGHSt. 34, 362 - sehr lesenswert
Kramer, Jura 1988, 520, § 136a StPO, Beweisverwertungsverbotslehre - für mich einer der
Lieblingsfälle!
-Fernwirkung: fruits of the poisonous tree (BVerfG, NStZ 2006, 46 = Geppert, JK 6/06 StPO,
§ 168a/2)
Die Polizeispitzelfälle gibt es in vielen Varianten. Die Strafverfolgungsorgane besitzen hier
eine rege Phantasie, um die Grenzen des Rechtsstaats auszuloten. Daraus werden
Prüfungsfälle gebastelt!
Beispiele:
BGHSt. 52, 11 (Mallorca-Fall)
BGHSt 53, 295 (Besuchsraum-Fall)
BGHSt 55, 138 (Bandido-Fall) = FAMOS Juli 2010 (FAMOS ist ein Projekt der HU Berlin,
in dem monatlich aktuelle Entscheidungen besprochen werden; perfekt für private AG und für
die Examensvorbereitung)
BGH HRRS 2010 Nr. 612
Aus: BGH NStZ 2009, 343:
"Ein verdeckter Ermittler darf einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen
hat, nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer
Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen zum
Tatgeschehen entlocken. Solchermaßen erlangte Angaben unterliegen einem
Beweisverwertungsverbot."
Der EGMR, StV 2003, 257 (Allan vs GB):
"Der Anwendungsbereich des Schweigerechts und des Schutzes vor Selbstbelastung ist nicht
auf Fälle beschränkt, in denen der Beschuldigte Zwang widerstehen musste oder in denen der
Wille des Beschuldigten in irgendeiner Weise direkt überwunden wurde. Das Recht, das zum
Kernbereich des fairen Verfahrens gehört, dient prinzipiell der Freiheit einer verdächtigten
Person zu entscheiden, ob sie in Polizeibefragungen aussagen will oder schweigen will."
Insgesamt dazu ich, Schutz vor staatlich veranlasstem Zwang und inszenierter Täuschung,
HRRS 2010, 343
Beschäftigen Sie sich noch einmal mit der Lehre der Beweisverwertungsverbote - ob bei
Beulke, Volk oder in einem anderen Buch, das ist egal! Es kommt dabei weniger auf das
Einzelergebnis an, sondern auf deren Inhalt und Argumentationsmuster (Schutzzweck- und
Abwägungsgedanke). Das Thema ist das Hauptproblem in den Prüfungen!
7. Der Beschuldigte als Prozesssubjekt: Rechte und Pflichten (Beulke, § 7)
-Der Begriff des Beschuldigten und die Begründung der Beschuldigteneigenschaft
BGHSt. 51, 367 = NStZ 2007, 367 mit Anm. Mitsch, NStZ 2008, 48
Die Verwertung der Vernehmung war unzulässig, weil der – noch nicht belehrte – Angekl. bereits
Beschuldigter war.
1
Die Beschuldigteneigenschaft setzt einen nach außen manifestierten Verfolgungswillen voraus.
2, 3
Bei der Frage, ob ein Verdächtiger als Beschuldigter zu belehren ist, besteht ein Beurteilungsspielraum; wird 4,5
dieser Spielraum willkürlich überschritten, ist die Behandlung als Zeuge unzulässig.
Vorliegend war die Verneinung eines ernsthaften Tatverdachts vertretbar; dem Verhalten der
Ermittlungsbeamten war aber zu entnehmen, dass sie den Angekl. als Beschuldigten betrachteten.
6
Das ungeklärte Verschwinden der Opfer und der Umstand, dass sich der Verdacht eines Tötungsdelikts
zunächst gegen den Angekl. gerichtet hätte, nötigte noch nicht dazu, die Beschuldigteneigenschaft zu
begründen.
7, 8
Den Umständen der Vernehmung war aber zu entnehmen, dass die Ermittlungsbeamten gegen den Angekl.
als Beschuldigten vorgehen wollten; Vorhalte, Fragen und Ermittlungsmaßnahmen zielten darauf ab, den
Angekl. zu überführen.
9–
13
Dass der Angekl. nach ordnungsgemäßer Belehrung weitere Angaben zur Sache machte, führt nicht zur
Verwertbarkeit, weil die früheren Aussagen weder wiederholt noch bestätigt wurden.
14
Der Hinweis, dass der Angekl. bei der Polizei nicht zur Aussage verpflichtet sei und sich selbst nicht
belasten müsse, ersetzte die Beschuldigtenbelehrung nicht.
15
-die Vernehmung des Beschuldigten und Folgen einer fehlerhaften Belehrung nach § 136
StPO: BGHSt. 38, 214, wenn Sie überhaupt eine Entscheidung lesen, dann lesen Sie diese!
-Vernehmung und informatorische Befragung
-richterliche, staatsanwaltliche und polizeiliche Beschuldigenvernehmung (§§ 133 ff, 163 a
StPO) - muss der Beschuldigte einer Ladung zur Vernehmung folgen?
-Rechte und Pflichten des Beschuldigten
-noch einmal der § 136a StPO
BGH: BGH hebt Freispruch eines Proberichters vom
Vorwurf der Rechtsbeugung auf
1. Nach den Feststellungen der Kammer hat der Angeklagte in mehrfacher Weise objektives Verfahrensrecht in
erheblicher Weise verletzt, indem er den Beschuldigten D. hinsichtlich offenkundig von vornherein nicht in
Betracht kommender Rechtsfolgen (stationäre Psychotherapie, Freiheitsstrafe ohne Bewährung) täuschte, um ihm
Angst zu machen, und dies durch das zwangsweise Einsperren in eine Gewahrsamszelle entsprechend unterstrich.
Dadurch hat er in grob rechtsstaatswidriger Weise nicht nur das Geständnis des D. bewirkt, sondern letztlich auch
erreicht, dass dieser in eine ambulante Therapie einwilligte und auf Rechtsmittel gegen die ergangenen
Entscheidungen verzichtete; er hat so die konkrete Gefahr eines unrechtmäßigen Nachteils für den Beschuldigten
D. geschaffen.
2. Das Vorgehen des Angeklagten war dabei nicht nur davon bestimmt, dem Beschuldigten D. Angst zu machen,
um ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Sein Ziel war es auch, das Verfahren unbedingt in der
Hauptverhandlung zu einem rechtskräftigen Abschluss zu bringen. Bei einer solchen Vorstellung des
Angeklagten hätte sich das Landgericht - auch wenn es von der Annahme des Angeklagten, der Einspruch sei nur
beschränkt eingelegt, ausgegangen ist - mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob nicht das gesamte
prozessuale Vorgehen des Angeklagten, das schließlich in das Einsperren des damaligen Angeklagten D. in einer
Gewahrsamszelle mündete, seinen Grund auch in der "Fixierung des Angeklagten auf einen rechtskräftigen
Verfahrensabschluss" gehabt haben könnte. In diesem Fall läge der dem Angeklagten objektiv anzulastende
Rechtsbeugungsverstoß in dem durch unzulässige Mittel erwirkten Rechtsmittelverzicht, der in dem Verlust der
Rechtsmittelbefugnis gegen ein prozessordnungswidrig zustande gekommenes Urteil ohne Weiteres eine
Benachteiligung des D. bedeuten würde. (Leitsätze der Redaktion)
BGH, Urteil vom 31.05.2012 - 2 StR 610/11, BeckRS 2012, 16613
-Der Beschuldigte als Zeuge: Rollentausch: siehe BGH, NStZ-RR 2005, 316 = Geppert, JK
5/06, StPO § 55/5; Beulke, Rdn. 185
-Nemo-tenetur-se-ipsum-accusare-Grundsatz oder: Polizeispitzel und andere: heute hoch
aktuell und Gegenstand vieler Entscheidungen – siehe: ich, HRRS 2010, 343
-Belehrung und qualifizierte Belehrung und Widerspruchserfordernis: BGH NStZ 2009, 281
Auszug aus Radtke/Hohmann, § 136 Rn. 34:
„Beachtenswert ist, dass zunehmend für die Heilung eines Belehrungsfehlers durch
Wiederholung der Vernehmung eine sog. qualifizierte Belehrung gefordert wird.15 Dem
Beschuldigten muss deutlich gemacht werden, dass seine frühere Aussage unverwertbar ist,
dh., dass sie weder im Wege des Urkundsbeweises noch durch Vernehmung der
Verhörsperson noch mittels Vorhalt zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden darf.
Angedeutet vom BGH selbst in BGH v. 22. 11. 2001 – 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 175; deutlich jetzt BGH v. 26. 7. 2007 – 3 StR
104/07, BGHSt 52, 11, 23 = NStZ 2007, 714, 716; auch OLG Hamm v. 7. 5. 2009 – 3 Ss 85/08, NStZ-RR 2009, 283; ebenso Geppert,
FS Oehler, 1983, S. 323, 339; AK-StPO/Achenbach § 163a Rn. 30; skeptisch weiterhin Anw-StPO/Walther Rn. 17; Eisenberg Rn. 577;
KK-StPO/Diemer Rn. 27; Löwe/Rosenberg/Gless Rn. 106; Löwe/Rosenberg/Hanack, 25. Aufl. Rn. 74; Beulke Rn. 119;
Roxin/Schünemann § 24 Rn. 33.
15
Nur auf diese Weise wird das geforderte Maß an Entscheidungsfreiheit als Prozesssubjekt
gewahrt. Der BGH16 fordert jetzt auch eine qualifizierte Belehrung. Wird ein Tatverdächtiger
zu Unrecht als Zeuge vernommen, ist er wegen des Belehrungsverstoßes bei Beginn der
nachfolgenden Beschuldigtenvernehmung auf die Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben
hinzuweisen. Geht der BGH damit einen erfreulichen Schritt, zögert er, indem er beim
Unterbleiben dieser geforderten qualifizierten Belehrung trotz erhobenen Widerspruchs die
nach der Belehrung gemachten Angaben nach Maßgabe einer Abwägung im Einzelfall für
verwertbar erklärt. Die Abwägung ist unter Berücksichtigung des Interesses an der
Sachaufklärung einerseits sowie des Gewichts des Verfahrensverstoßes andererseits
vorzunehmen.17 Der Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung soll nicht
dasselbe Gewicht haben wie der Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1. Als ein
Abwägungskriterium erachtet der BGH, ob der Betreffende nach erfolgter –einfacherBeschuldigtenbelehrung davon ausgegangen ist, von seinen früheren Angaben nicht mehr
abrücken zu können. Das überzeugt nicht.18 Die Belehrungspflicht soll eine irrtümliche
Selbstbelastung verhindern. Sie ist auch Ausdruck der Achtung der Menschenwürde. Dies
trifft auch auf die qualifizierte Belehrung zu. Der BGH19 selbst spricht in diesem
Zusammenhang von einem Kernstück des von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten fairen
Verfahrens. Ein Verwertungsverbot wäre die konsequente Folge.“
Lit: umfassend, aber nicht einfach Rogall, Grund und Grenzen der qualifizierten Belehrung,
FS Geppert, 2011, 519
8. Der Verteidiger - Organ der Rechtspflege oder was? (Widmaier, 50 Jahre BGH,
Festgabe der Wissenschaft, 2000, 1043)
-§§ 137 ff StPO
-Funktion und Rechtsstellung: Vertreter – Beistand - Organ der Rechtspflege?
-Rechte und Pflichten des Verteidigers:
im Ermittlungsverfahren (insb. Anwesenheitsrechte und Akteineinsicht)
in der Hauptverhandlung (insb. Fragerecht und Beweisantragsrecht)
-Schutz des Vertrauensverhältnisses (§ 148 StPO im Konflikt mit §§ 97, 100a StPO und
wichtig: § 160a StPO)
-Ist der Verteidiger an Weisungen seines Mandanten gebunden? Ist die Zielvorgabe des
Mandanten für den Verteidiger bindend?
-Darf der Verteidiger seinem Mandanten zur Unwahrheit raten? Darf er mitlügen?
16 Siehe BGH v. 9. 6. 2009 - 4 StR 170/09, NStZ 2009, 702; BGH v. 27. 5. 2009 – 1 StR 99/09, StV 2010, 3; BGH v. 18. 12. 2008 – 4
StR 455/08, NStZ 2009, 281 = NJW 2009, 1427 = StV 2010, 1; auch OLG Hamm v. 7. 5. 2009 – 3 Ss 85/08, NStZ-RR 2009, 283.
17 So BGH v. 9. 6. 2009 – 4 StR 170/09, NStZ 2009, 702, 703; OLG Hamm v. 7. 5. 2009 – 3 Ss 85/08, NStZ 2009, 283.
18 Siehe Geppert Anm. zu BGH v. 18. 12. 2008 – 4 StR 455/08, JK 2009 StPO § 136/19; Gless/Wennekers Anm. zu BGH v. 18. 12. 2008
– 4 StR 455/08, JR 2009, 383; Neuhaus StV 2010, 45, 51; Roxin HRRS 2009, 186.
19 So BGH v. 18. 12. 2008 – 4 StR 455/08, StV 2010, 1, 2.
-Parteiinteressenvertreter oder Organ der Rechtspflege (hM) - Konflikte? Ist der
Strafvereidiger auch einem öffentlichen Interesse verpflichtet, der Effektivität der
Strafrechtspflege? Und was folgt daraus? Ein Beispiel liefert BGHSt. 38, 111.
So ist es dem Verteidiger erlaubt, seinen Mandanten über die materielle und prozessuale
Rechtslage zu informieren und auch Auskunft über die Straflosigkeit von
Schutzbehauptungen und Lügen zu geben. Wer sollte sonst diese Informationen geben? § 137
StPO. Dabei soll er, wie es oft heißt, „stimulationsneutral“ vorgehen. Der Verteidiger darf
keine Lügen erfinden, er darf nicht zur Lüge raten. Der Mandant zieht gegebenenfalls selbst
die Schlussfolgerungen aus der Information, aber der Verteidiger darf die
Schutzbehauptungen nicht für ihn erfinden. Wo ist die Grenze zwischen allgemeiner Beratung
und „anstiftender“ Beratung? Skeptisch dazu Sommer, Effektive Strafverteidigung, Rn. 142 ff.
– ein schönes Buch!
-Wahl- und Pflichtverteidiger
-Ist Strafverteidigung Strafvereitelung nach § 258 StGB? Prozessual zulässiges Verhalten ist
nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 258 StGB! Aber was ist noch und was ist nicht mehr
zulässig? Da liegt das praktische Dilemma. Das Risiko müssen Sie tragen. Ein Beispiel bietet
BGH NStZ 2001, 145; auch BGH NStZ 2006, 510 = Geppert JK 12/06 § 258 Nr. 16.
-Übrigens: Die Organeigenschaft ist bei aller Umstrittenheit der Einzelheiten die
überwiegende Ansicht, die dann auch in den Gerichtssälen herrscht. Daraus folgen die
Weisungsunabhängigkeit des Strafverteidigers vom Mandanten und auch dessen
Wahrheitspflicht (alles umstritten).
-Müssen Sie sich als Strafverteidiger gegebenenfalls vor Betreten des Sitzungssaals auf der
Grundlage des § 176 GVG durchsuchen lassen? Siehe BVerfG, NJW 1998, 296 = JK 98 GG
Art. 12 I/Nr. 46.
-Und was ziehen Sie an (OLG München NStZ 2007, 120)?
Lesetipp:
OLG Stuttgart, StV 2011, 718 mit Anm. Kühne zum Verbot der Mitnahme von
Mobiltelefonen in die HV
Beulke, § 9
für die Fleißigen unter Ihnen: noch einmal Beulke, FS für Roxin, 2001, 1173 ff.
Roxin/Schünemann, § 19
Leitner, Was darf die Strafverteidigung, StraFo 2008, 51
Pananis, „Meine Frau halten wir raus!“ – Legitime Sonderinteressen im Mandat, StraFo 2012,
121
J. Kretschmer, zu § 160a StPO, HRRS 2010, 551
9. Hauptverhandlung, Beweisaufnahme und Zeugenbeweis (Kudlich, JA 2003, 565)
-Beweisaufnahme: Beweisantrag und dessen Ablehnung (§ 244 StPO)
BGHSt 38, 111 = NStZ 1992, 140: Missbrauch des Beweisantragsrechts
BGH NStZ 2007, 717: Frist zu Stellung von Beweisanträgen
Krell, Der Beweisantrag und seine Ablehnung, JURA 2012, 355
Kröpil, zur Konnexität als Element des strafrechtlichen Beweisantrages, JURA 2012, 459
-numerus clausus der strafprozessualen Beweismittel
-der Zeuge und seine Pflichten
-Eine wichtige, interessante und prüfungsrelevante Entscheidung zu § 53 StPO. Es geht um
den Seelsorgerbegriff, die Medien haben über den Fall berichtet - siehe BGH, JR 2007, 170
mit Anm. Schroeder.
-Zeugenbeweis und seine rechtlichen Probleme
-Stichwort: Rechtskreistheorie und § 55 als Teil der Lehre der Beweisverwertungsverbote (ein
Klassiker)
-§ 250: der Grundsatz der Unmittelbarkeit und seine Ausnahmen (§§ 251 ff)
-die schwierigste Vorschrift der StPO: § 252 StPO? Hier existiert eine wichtige
Differenzierung der Rsp. und Literatur in der Weite des Verwertungsverbots (Beulke, Rdn.
418 ff)
Aktuell: BGH NStZ 2012, 281 mit Anm. Geppert
Leitsatz: Die Angaben eines polizeilichen Vernehmungsbeamten über Schilderungen eines seinerseits von der
Schweigepflicht entbundenen Arztes sind strafprozessual selbst dann verwertbar, wenn der mit dem Angeklagten
verwandte Zeuge in der Hauptverhandlung die Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht widerruft. Die
Vorschrift des § 252 StPO steht der Verwertbarkeit der Angaben des Berufsgeheimnisträgers aus dem
Ermittlungsverfahren nicht entgegen, weil sich dieser infolge der Entbindung im Zeitpunkt seiner Bekundungen
über die Ergebnisse der Untersuchung der angehörigen Zeugen nicht in dem normtypischen Widerstreit zwischen
Wahrheits- und Schweigepflicht befand. (Ls d. Schriftltg.)
Zum Sachverhalt:
Der Angeklagten liegt zur Last, ihrem Ehemann mit einem Butterflymesser 2 Stichverletzungen in den linken
Oberkörperbereich versetzt zu haben, nachdem dieser sich schützend vor seine neue Partnerin gestellt hatte, der
die Angeklagte als Nebenbuhlerin das Gesicht zerschneiden wollte. Der Geschädigte – als Ehemann der
Angeklagten gemäß § 52 Nr. 2 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt – hatte zunächst die ihn
behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. In der Hauptverhandlung machten dann sowohl der
Geschädigte (gemäß § 52 StPO) als auch die behandelnden Ärzte (gemäß § 53 Nr. 3 StPO), gegenüber denen der
Geschädigte mittlerweile die Entbindung von der Schweigepflicht widerrufen hatte, von ihrem
Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Das LG hat deshalb die Angaben des behandelnden Arztes Dr. S. über die
Verletzungen des Geschädigten dadurch in die Hauptverhandlung eingeführt, dass es die polizeiliche
Vernehmungsbeamtin K zu den von diesem im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben
vernommen hat. Zum Zeitpunkt seiner polizeilichen Vernehmung waren die behandelnden Ärzte vom
Geschädigten von der Schweigepflicht entbunden gewesen. Das LG hat die auf diese Weise in die
Hauptverhandlung eingeführten Angaben des Arztes Dr. S. über die Verletzungen des Geschädigten dem Urteil
auch zu Grunde gelegt.
Überzeugt Sie das?
Der erwähnte Aufsatz von Kudlich ist wirklich sehr lesenswert und erläutert umfassend alle
Fragen, die auch ich bespreche. Außerdem: ich, JURA 2000, 461 zu einem Fall des § 252
StPO und wie immer alle anderen Lehrbücher.
Weitere Rsp. und Literatur:
BGHSt 40, 211 Fall Sedlmayr
BGH 46, 1 Verteidigergespräch als Vernehmung?
Bosch, Die strafprozessuale Regelung von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht, JURA
2012, 33
Kraatz, Das Beweisverbot des § 252 StPO, Jura 2011, 170
10. Zeugenbeweis, Verdeckte Ermittler, Zeugenschutz und anderes (Norouzi, JuS 2003,
74)
-Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung: §§ 250 ff StPO
-noch einmal § 252 StPO: eine wichtige Vorschrift, die Sie nacharbeiten sollten
(Geppert, Jura 1988, 305, 363; Mitsch, Jura 1998, 306; sehr lesenswert auch Roxin, FS für
Rieß, 2002, 451 zu neueren Entscheidungen zu § 252)
Frage:
Die zeugnisverweigerungsberechtigte Ehefrau erzählt in der Kneipe dem Wirt von den
Straftaten ihres Ehemanns. In der späteren Hauptverhandlung beruft sich die Frau auf ihr
ZVR. Darf der Wirt als Zeuge vernommen werden oder gilt das Verwertungsverbot des § 252
StPO? Welchen Interessenkonflikt will die Norm schützen? Die Antwort lautet „nein“, das
Verbot gilt nicht! Warum?
-Zeugenschutz und Beschuldigteninteresse
-Videovernehmung: §§ 58a, 247a, 255a:
Geppert, JK 5/03, StPO § 247a/2 = StV 2002, 639; BGHSt. 49, 72 - dazu mein Aufsatz in JR
2006, 453
Nacharbeiten: Beulke, §21; Volk, § 27; ich, JR 2006, 453 zur Videovernehmung
11. Urteil, Rechtsmittel, Rechtskraft
1. Stichwort:
Der prozessuale Tatbegriff des § 264 StPO im Verhältnis zur materiell-rechtlichen
Konkurrenzlehre. Es geht auch um den Grundsatz „ne bis in idem“. Kompliziert und
schwierig wird der prozessuale Tatbegriff dadurch, dass es in Art 54 SDÜ auch einen
europäischen Tatbegriff gibt.
Aus einem Vortrag:
„IV. Ne bis in idem
Eine logische Konsequenz aus dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung justizieller
Entscheidungen ist der Grundsatz von ne bis in idem. Steht der Europäische Haftbefehl am
Beginn der Strafverfolgung steht die Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen an deren
Ende. Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses bezeichnet den Grundsatz ne bis in idem als
Vollstreckungshindernis. Artikel 54 SDÜ: „Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig
abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht
verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits
vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht
mehr vollstreckt werden kann.“ Der Grundsatz findet sich heute auch in Art. 50 GrCh. Zu
unterscheiden sind das Urteilselement, das Tatelement und das Vollstreckungselement.20
Bezogen auf das Urteilselement gelten als rechtskräftige Aburteilung gemäß Art. 54 SDÜ
neben Verurteilungen auch Freisprüche und staatsanwaltliche Verfahrenseinstellungen nach
Erfüllung von Auflagen mit Sanktionscharakter. Das sagt der ÖGH.21 Es muss sich um eine
das Verfahren beendende Entscheidung der Strafrechtspflege mit Ahndungscharakter handeln.
Bezogen auf das Tatelement folgt der EuGH einem autonomen Verständnis. Für den
Tatbegriff könnte zum einen der Maßstab des Erstverfolgerstaates gelten oder aber der des
Zweitverfolgerstaates? Beispiel: Kann mich Deutschland für die Ausfuhr von Drogen
verurteilen, wenn mich bereits die österreichische Strafjustiz wegen der Einfuhr derselben
Drogen rechtskräftig abgeurteilt hat? Geht es um den Strafklageverbrauch, dann geht es um
die Frage, was dieselbe Tat ist. Das kann weit verstanden werden oder restriktiv, das kann
eher faktisch oder normativ bewertet werden. In Deutschland beurteilt sich das nach § 264
StPO. Im Interesse der Freizügigkeit in einem einheitlichen europäischen Rechtsraum folgt
der EuGH22 zu Recht einem autonomen Tatbegriff. Danach ist Art. 54 SDÜ dahingehend
auszulegen, dass „das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels das der
Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar
miteinander verbundener Tatsachen, ist, unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung
dieser Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse“. Dieser eigenständige
europarechtliche Maßstab des Tatbegriffs gilt auch zur Auslegung des Begriffs im
Europäischen Haftbefehl.23“
BGH, NStZ 2006, 350
Huber, Die Tat im prozessualen Sinn, JuS 2012, 208
Beulke, Der prozessuale Tatbegriff, 50 Jahre BGH, Band IV, 2000, S. 781
ich, Der europäische Grundsatz ne bis in dem und die europaweite Schleuserkriminalität,
ZAR 2012, 384
Radtke, NStZ 2012, 479
2. Die Rechtsprechung hat in letzter Zeit dem Angeklagten wesentliche Rügemöglichkeiten
entzogen. So wurde das Verbot der Rügeverkümmerung eingeschränkt und die sog.
Protokollrüge wurde als rechtsmissbräuchlich angesehen, sofern der Verteidiger weiß, dass
der gerügte Verfahrensverstoß nicht stattgefunden hat. Es dreht sich alles um § 274 StPO. Wie
weit reicht die eigene prozessuale Wirklichkeit, die die Norm schafft?
„Rügeverkümmerung” – Beachtlichkeit von
Protokollberichtigungen für das Revisionsverfahren
StPO
1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits
ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzogen werden. Die Urkundspersonen
haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung zunächst den Beschwerdeführer
anzuhören. Widerspricht er der beabsichtigten Berichtigung substanziiert, sind erforderlichenfalls weitere
20 Siehe Satzger, § 10 Rn. 62 ff.; J. Kretschmer, ZAR 2011, 384.
21 NStZ 2005, 344.
22 Siehe NJW 2006, 1781 (van Esbroeck).
23 Siehe EuGH, v. 16.11.2010, C – 261/09 (Mantello).
Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urkundspersonen trotz des Widerspruchs an der
Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen.
2. Die Beachtlichkeit der Protokollberichtigung unterliegt im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der
Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung.
BGH, Beschluß vom 23. 4. 2007 - GSSt 1/06 (LG München I), NStZ 2007, 661
12. Der „Deal“ - die strafprozessuale Verständigung
1. Was ist ein strafprozessualer „Deal“ und welchen Interessen dient er?
2. Welche verfassungsrechtlichen, strafprozessualen und materiell-rechtlichen Bedenken gibt
es gegen einen solchen „Vergleich“?
3. Was sind die gerichtlich bestimmten Mindestbedingungen für die Zulässigkeit einer
strafprozessualen Verständigung?
Die Rsp hat sich vielfach zu dieser Frage geäußert. Zwei Entscheidungen ragen aus der Masse
heraus: BGHSt. 43, 195 stellt umfassende Regeln auf und der Große Senat in BGHSt. 50, 41
(= JR 2005, 430 mit Anm. von Rieß. Urteilsanmerkungen sind in der Regel lesenswert, da sie,
und das ist ihr Sinn, dem Leser das Urteil erklären.) regelt die wichtige Frage des
Rechtsmittelverzichts, wobei er noch einmal die Mindestbedingungen betont (wenn Sie
wählen, wählen Sie die Entscheidung des GrS zur Lektüre).
Die Antworten auf obige Fragen finden Sie in einem heute beinahe unüberschaubaren
Schrifttum zu diesem Modethema: Küpper/Bode, Jura 1999, 351 und 393 geben einen
umfassenden Überblick.
4. Befangenheit?
„Der Angeklagte darf weder durch Drohung mit einer höheren Strafe noch durch Versprechen einer
schuldunangemessenen milden Strafe zu einem Geständnis gedrängt werden. In der Anwendung der
„Sanktionsschere” liegt ein Verstoß gegen §136a StPO, der zugleich die Besorgnis der Befangenheit begründen
kann.“ (Ls d. Schriftltg.)
BGH, Beschluß vom 14. 8. 2007 - 3 StR 266/07 (LG Hannover), NStZ 2008, 170
5. Und jetzt ist alles neu.
Seit dem 4. 8. 2009 ist die Verständigung gesetzlich geregelt, vor allem, aber nicht nur in §
257c StPO. Einen schnellen Überblick liefert Beulke, Rn. 394 ff. Es geht um Inhalt, Folgen
und Fehler eines Vergleichs.
BGH StV 2012, 134 zum Verwertungsverbot nach § 257c Abs. 4 Satz 3, dazu Velten, StV
2012, 172 mit Kritik an der einschränkenden Rechtsprechung
Siehe:
BGH StV 2010, 346 zum Rechtsmittelverzicht, eine sehr umstrittene Entscheidung
dazu Gericke, NStZ 2010, 110
Knauer/Lickleder, Die obergerichtliche Rechtsprechung zu Verfahrensabsprachen nach der
gesetzlichen Regelung, NStZ 2012, 366
Sommer, effektive Strafverteidigung, 2011, Rn. 1491 ff.
Jahn, Entwicklungen und Tendenzen zwei Jahre nach Inkrafttreten des
Verständigungsgesetzes, StV 2011, 497
13. Europäisierung des Straf- und Strafverfahrensrechts
Das Europäische Strafrecht ist Thema einer eigenen Vorlesung. Im Strafprozessrecht geht es
vor allem um den Einfluss der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR auf das
Strafverfahren.
1. EMRK
Als Beispiel soll das Problem der überlangen Verfahrensdauer und deren Kompensation
dienen. Von der Vollzugs- zur Vollstreckungslösung. Und dann stellt sich noch die Frage, wie
sich neuerdings die Verzögerungsrüge nach § 198 GVG auf all das auswirkt.
Siehe:
GrS BGHSt 52, 124 = NStZ 2008, 234 (Erfindung der Vollstreckungslösung)
Gercke/Heinisch, Auswirkungen der Verzögerungsrüge auf das Strafverfahren, NStZ 2012,
300,
EGMR, NJW 2006, 2753 = JK 3/07 MRK Art. 6 III/2
Satzger, Die EMRK, Jura 2009, 759
2. EU
Anschaulich die Entwicklung und Funktionsweise des Europäischen Haftbefehls: BVerfGE
113, 273; dazu ich, Jura 2005, 780; zur Neuregelung Hackner ua, NStZ 2006, 657; schnelle
Übersicht natürlich bei Beulke, in § 1.
Und dazu ein Blick auf ne-bis-in-idem: Art. 50 GrCh und Art. 54 SDÜ.
Radtke, NStZ 2012, 479
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