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Bulimie
Vorwort
I. Krankheitsbild
1. Diagnosekriterien und Begriffsdefinition
2. Leben mit Bulimie
3. Medizinische Folgeerscheinungen
II. Entstehung der Krankheit
1. Gesellschaftliche Aspekte
2. Rolle der Familie
3. Traumatische Ereignisse
III. Psychische Probleme Betroffener
1. Fehlendes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
2. Falsche / fehlende Wahrnehmung von Gefühlen
3. Starke Verlustängste
4. Perfektionismus
IV. Wege aus der Krankheit
1. Therapie in einer psychosomatischen Klinik
2. Ambulante Therapie
3. Selbsthilfegruppen
V. Leben nach der Krankheit
1. Neue Lebensinhalte finden
2. Die Gefahr eines Rückfalls
Anhang
Literaturverzeichnis
Vorwort
Für viele Menschen ist es absolut nicht nachvollziehbar, dass man Probleme mit dem
Essen haben kann: „Essen ist doch ganz normal.“ „Du musst doch merken, wann du
satt bist.“ „Aber essen muss doch jeder!“ Solche Kommentare hört man leider oft
und meist zeugen sie von Unverständnis und Unwissenheit. Dies ist ein Grund,
warum ich die Essstörung Bulimie als Facharbeitsthema gewählt habe. Ich möchte,
dass endlich begriffen wird, warum so viele Menschen täglich Probleme mit einem
normalen Essverhalten haben, Unmengen in sich stopfen und anschließend wieder
erbrechen. Ich möchte zeigen, dass ernsthafte Probleme hinter diesem Symptom
stehen und nicht nur eine pubertäre Spinnerei oder übertriebener Schlankheitswahn.
Eine weitere Tatsache hat mich in meiner Wahl bestärkt: Es ist kaum zu übersehen,
dass das Problem Essstörungen immer aktueller, präsenter, ja sogar bedrohlicher
wird. Die betroffenen Mädchen werden immer jünger und längst ist Bulimie nicht
mehr nur eine Frauenkrankheit. (Da die meisten Betroffenen jedoch Frauen sind,
werde ich im Folgenden hauptsächlich die weibliche Form verwenden.)
Darüber hinaus soll diese Facharbeit ein Stück Krankheitsbewältigung für mich
selbst sein. Ich leide seit etwa vier Jahren an Bulimie und befinde mich seit knapp
zwei Jahren in ambulanter Behandlung. Ich habe viel über die Sucht und mich selbst
gelernt und habe mich ausführlich mit der Thematik auseinandergesetzt. Vieles, was
ich in meiner Facharbeit schreiben werde, beruht auf eigener Erfahrung, oder auf
Wissen, das ich mir über die Jahre hinweg angeeignet habe. Auch der Kontakt zu
anderen Betroffenen hat mir viel geholfen und mir eines deutlich gemacht: Bei
diesem komplexen Thema darf auf keinen Fall verallgemeinert werden, denn jede
Kranke hat ihre eigene Geschichte, ihren eigenen Lebens- bzw. Leidensweg. Ich will
mit meiner Facharbeit also nicht sagen „So ist es“, sondern möchte Beispiele geben,
aufklären und zeigen, wie schwer es ist mit Bulimie zu leben. Es ist aber nicht
unmöglich, wieder einen normalen Umgang mit dem Essen zu lernen, wenn man
bereit ist, seine wahren Probleme zu erkennen und diese zu lösen. Der Weg ist
anstrengend und lang und Rückfälle sind vorprogrammiert – aber er ist in jedem Fall
besser, als ein Leben mit dieser Sucht.
Auch meine Facharbeit ist ein Weg. Von der Frage „Was ist Bulimie?“ , über die
Entstehung der Krankheit, bis hin zu ihrer Überwindung möchte ich die vielen Seiten
dieser relativ unbekannten Suchtkrankheit beleuchten. Ich hoffe, das wird mir
gelingen!
I. Krankheitsbild
1. Diagnosekriterien
„Essstörungen beginnen im Kopf.“ Diese Aussage ist mit Sicherheit richtig. Vielen
Betroffenen ist es am Anfang selbst nicht bewusst, dass ihre Gedanken nur noch um
die Themen Gewicht, Kalorien, Essen und Nicht-Essen kreisen. Langsam werden
diese Denkstrukturen und auch das Verhalten zwanghaft und schnell steckt man in
der Bulimie oder in einer anderen Essstörung. Lange denkt man, sein Essverhalten
jederzeit ändern zu können, aber das ist Illusion, denn es hat längst süchtigen
Charakter angenommen.
Die Übergänge zwischen Diät, kontrolliertem Essen und einer „echten“ Essstörung
sind meist fließend und nur selten abgrenzbar.
Was man unter Bulimie versteht, kann man in der Definition des klinischen
Fachwörterbuches „Pschyrembel“ lesen:
„Bulimia nervosa (gr. Heißhunger): synonym Ess- Brechsucht; psychogene
Essstörung bei der exzessive, meist hochkalorische Nahrungsmengen in kürzester
Zeit zugeführt und anschließend Maßnahmen ergriffen werden, das Körpergewicht in
einem (sub)normalen Rahmen zu halten (z. B. periodisches Fasten, selbstinduziertes
Erbrechen oder Missbrauch von Laxanzien und Diuretika mit entsprechenden
Komplikationen)“1
Jedoch fällt es sogar Ärzten und Spezialisten auf diesem Gebiet oft schwer, diese
Essstörung zu erkennen. Um dies zu erleichtern wurden für jede Essstörung gewisse
Diagnosekriterien erarbeitet. Am gängigsten ist das Klassifikationssystem der
Amerikanischen Psychiatriegesellschaft „Diagnostic and Statestical Manual of
Mental Disorders“ (DSM). In seiner vierten Fassung von 1994 lauten die
Diagnosekriterien für Bulimia nervosa wie folgt:
A.) Heißhungerattacken
B.) Kompensatorische Maßnahmen zur Vermeidung einer Gewichtszunahme
C.) Frequenz der Heißhungerattacken und der kompensatorischen Maßnahmen
mindestens zweimal pro Woche über drei Monate
1
Quelle siehe LV 6, S. 223
D.) Ausgeprägte Abhängigkeit des Selbstwertgefühls von Körpergewicht und Figur
E.) Störung tritt nicht ausschließlich bei einer Episode von Anorexia nervosa
(Magersucht) auf2
Die unter Punkt B) genannten „kompensatorischen Maßnahmen“ können in die
verschiedensten Richtungen gehen: Die meisten Bulimikerinnen erbrechen nach
einer
Heißhungerattacke.
Viele
verwenden
zusätzlich
Abführmittel
oder
Entwässerungstabletten, zumeist in großen Mengen. Außerdem ist es möglich, eine
Gewichtszunahme durch Hungerphasen oder übertriebene sportliche Aktivität zu
verhindern.
Was die Diagnose von Bulimie extrem erschwert, ist der fließende Übergang zu
anderen Essstörungen. Oft sind sich Bulimie und Magersucht sehr ähnlich und
unterscheiden sich nur in wenigen Merkmalen. Viele Patientinnen können ihre
Störung selbst nicht genau benennen, da sie oft verschiedene Phasen durchleben. Auf
eine Hungerphase folgt eine bulimische Phase, und umgekehrt. Sehr häufig geht eine
Magersucht auch in Bulimie über, wenn dem Hungergefühl nicht mehr Stand
gehalten werden kann.(60% der Magersüchtigen werden bulimisch.)
Nun noch einige Fakten und Zahlen zum Thema Bulimie:
-
Erst seit 1980 ist Bulimia nervosa als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt,
obwohl die Symptome schon lange beobachtet wurden.
-
Etwa 4% aller Frauen sind betroffen, allerdings ist die Dunkelziffer mit
Sicherheit noch höher und die Tendenz stark steigend.
-
Das Durchschnittsalter der Betroffenen ist 20-30 Jahre und ca. 85% davon sind
weiblich.
-
60% der Bulimikerinnen erbrechen 1-2 mal täglich, 10% häufiger als sechs mal.
-
Bei einem Fressanfall, der bis zu 70 DM kosten kann, werden etwa 6000 kcal.
verschlungen.3
2. Leben mit Bulimie
Nach den vielen nüchternen Zahlen und Fakten ist es nun wichtig, zu verstehen, was
es wirklich heißt, mit Bulimie zu leben.
2
3
Quelle siehe LV 2, S. 17
vgl. LV 3, S. 17
Als Bulimikerin befindet man sich in einem ständigen Auf und Ab zwischen
Fressanfall, Erbrechen und Hungern. Genauso schwanken auch die Gefühle zwischen
Euphorie, Verzweiflung und absolutem Selbsthass. Oft fühlt man sich nicht
liebenswert und völlig unfähig, da man es wieder nicht geschafft hat, normal zu
essen.
Viele Betroffene sind sich anfangs ihrer Krankheit nicht bewusst. Entweder wollen
sie sie nicht wahrhaben, oder sie haben ihr Verhalten bereits so verinnerlicht, dass sie
es als normal ansehen. Auch die Umwelt, das heißt Familie, Freunde oder Partner,
bemerken die Essstörung häufig nicht. Ein Grund hierfür ist, dass Bulimikerinnen
meist normalgewichtig sind und im Gegensatz zu Magersüchtigen nicht so extrem
durch ihre Figur auffallen. Darüber hinaus ist Bulimie eine sehr heimliche Krankheit.
Bei einem Fressanfall weiß man, dass man etwas Verbotenes tut (oft ist gerade das
reizvoll) und würde alles dafür tun, dass keiner etwas bemerkt.
Die Frage, wie der Tagesablauf einer Bulimiekranken aussieht, kann auf keinen Fall
pauschal beantwortet werden, da es hier große Unterschiede gibt. Es gibt
Bulimikerinnen, die beispielsweise nach außen hin normal essen und nur „verbotene“
Nahrungsmittel erbrechen, oder andere, die sich an sechs Tagen der Woche normal
ernähren, bis dann am siebten Tag das große Fressen kommt. Viele bulimiekranke
Frauen nehmen tagsüber kaum Nahrung zu sich und stopfen sich schließlich abends
voll.
Die Anzahl und das Ausmaß der Heißhungerattacken ist also von Fall zu Fall
verschieden. Man kann aber davon ausgehen, dass sich die Frequenz und auch die
Menge der verschlungenen Nahrung steigert, je länger und tiefer man in der Bulimie
steckt. Dies kann so weit gehen, dass die Betroffene gar keine Nahrung mehr bei sich
behält, sondern alles wieder erbricht.
Die Auslöser für einen Fressanfall sind meist psychische Probleme, mit denen die
Kranke nicht umgehen kann, und die durch das Fressen verdrängt werden sollen oder
aktuelle Ereignisse.
(Auf dieses Thema werde ich später noch ausführlich eingehen.)
Neutral betrachtet ist ein Fressanfall mit dem anschließenden Erbrechen absolut
geschmacklos, widerlich und eklig; er zeugt von purer Aggression gegen sich selbst.
Er ist aber auch irgendwie mit Genuss verbunden.
Bei einer Fressattacke werden wahre Berge von Nahrungsmitteln verschlungen. Die
meisten Bulimikerinnen entwickeln im Laufe der Zeit eine Art Liste mit verbotenen
Nahrungsmitteln, die sie zu den normalen Mahlzeiten nie zu sich nehmen würden.
Sie sind meist fett- und kohlenhydratreich und werden dann bei einem Fressanfall
bevorzugt. Dazu zählen vor allem Nudeln, Semmeln, Schokolade, Kuchen, Sahne,
Eis und andere Süßigkeiten. Viele Bulimiekranke stopfen auch Nahrung in sich, die
sie mit besonderen Gefühlen und Erinnerungen verbinden. So kann z.B. Pudding
oder Grießbrei die Illusion von Geborgenheit geben und an die Kindheit erinnern.
Wichtig bei der Auswahl der Nahrungsmittel ist auch, dass sie anschließend leicht
erbrochen werden können. Besonders geeignet sind deshalb z.B. Eis, Joghurt aber
auch Obst und Gemüse. Aus demselben Grund trinken Bulimikerinnen während oder
nach dem Fressanfall extrem viel.
Mit normalem Essen hat ein Heisshungeranfall nicht mehr viel zu tun. Man verliert
absolut die Kontrolle, spürt weder Hunger noch Sättigung und hat keinerlei Gewalt
mehr über sich selbst. Man hat das Gefühl, nicht mehr aufhören zu können und will
nur noch mehr, mehr, mehr... Dabei spielt auch Geschmack keine große Rolle. Man
verschlingt die Nahrung fast ohne zu kauen und nimmt daher oft gar nicht mehr
wahr, was man isst.
Die Orgie geht meist so lange, bis der Magen absolut voll ist und man kaum noch
gehen kann. Nun ist nur noch ein Gedanke im Kopf: „Ich muss das alles sofort
wieder los werden, sonst halte ich es nicht mehr aus.“ Was jetzt folgt, ist natürlich
sehr eklig, wird aber von den meisten Bulimikerinnen als Erlösung angesehen: Der
Gang zur Toilette. Hier wird versucht, so viel wie möglich wieder zu erbrechen, was
oft mit Schmerzen und großer Anstrengung verbunden ist. Um diese Tortur zu
erleichtern, stecken sich viele nicht nur den Finger in den Rachen, sondern auch
Gegenstände, oder sie trinken Alkohol bzw. Salzwasser.
Aus Angst vor Entdeckung haben bulimische Frauen oft Kaugummi, Mundwasser
und Parfüm dabei, um den unangenehmen Geruch zu überdecken, doch einem
aufmerksamen Blick werden die verräterisch geröteten Augen nicht entgehen.
Darüber hinaus gibt es auch Betroffene, die davor zurückschrecken, immer zu
erbrechen. Sie versuchen dann, ihre Tat anders rückgängig zu machen. Meist werden
dazu eine Überdosis Abführmittel oder auch Entwässerungstabletten verwendet. Es
ist durchaus bekannt, dass dies gefährlich ist und zu keinem Kalorienverlust führt,
sondern man nur Wasser verliert. Aber man macht es trotzdem, allein um sein
Gewissen zu beruhigen und um das Gefühl zu haben, dass alles schnell wieder
ausgeschieden ist.
Fast ebenso gefährlich ist die übertriebene sportliche Betätigung, die viele nach
einem Fressanfall betreiben. Es wird Gymnastik gemacht, gejoggt oder ins
Fitnessstudio gegangen. Oft belasten die Betroffenen ihren Körper bis an die
Grenzen, nur um sich zu beweisen, dass sie stark sind und etwas leisten können und
um die zuvor zugeführten Kalorien wieder loszuwerden.
Wenn alles vorbei ist, haben die meisten Bulimikerinnen große Schuldgefühle und
sind verzweifelt. Sie denken, dass sie versagt haben und nehmen sich vor, ab jetzt
ganz normal zu essen. Dies gelingt aber natürlich nicht und durch noch stärker
kontrolliertes Essen ist der nächste Fressanfall bereits vorprogrammiert. Man
befindet sich also in einem Teufelskreis aus Kontrolle, Kontrollverlust,
Schuldgefühlen und Wut, aus dem meist nur mit fremder Hilfe ausgebrochen werden
kann.
3. Medizinische Folgeerscheinungen
Bulimie ist eine Suchtkrankheit. Genau wie Alkoholismus oder Drogenmissbrauch
macht sie nicht nur physisch abhängig, sondern zieht auch ernsthafte körperliche
Schädigungen nach sich.
Durch
die
übermäßige
Aufnahme
von
Nahrung kommt
es
häufig
zur
Magenerweiterung, die sogar zum Magendurchbruch führen kann. Dies endet in
manchen Fällen sogar tödlich.
Das anschließende Erbrechen lässt häufig Speiseröhrenrisse oder Entzündungen
entstehen und führt zum Anschwellen der Ohrspeicheldrüse. Zusätzlich wird der
gesamte Mundbereich mit Magensäure verätzt. Karies bis hin zum Verlust der Zähne
ist die Folge.
Auch wenn Bulimikerinnen nicht so stark an Gewicht verlieren wie Magersüchtige,
so befindet sich der Körper doch in einem ständigen Zustand der Mangelernährung.
Das bedeutet, dass der Grundumsatz gesenkt und auch der Hormonhaushalt gestört
wird. Deshalb haben viele Betroffene nur sehr unregelmäßige oder ganz
ausbleibende Monatsblutungen. Nach sehr langer Krankheit ist sogar Unfruchtbarkeit
möglich. Meistens stellt sich aber wieder eine geregelte Menstruation ein, wenn das
Essverhalten normalisiert wird.
Darüber hinaus werden dem Körper durch häufiges Erbrechen wichtige Mineralsalze
entzogen. Besonders gravierend ist der Verlust von Kalium. Dieses Mineralsalz spielt
eine wichtige Rolle für die Funktion von Herz und Nieren. Extremer Kaliummangel
kann demnach Herzrhythmusstörungen und Nierenversagen nach sich ziehen.
Natürlich hat auch der Missbrauch von Abführmitteln und Entwässerungstabletten
negative Folgen. Durch den ständigen Wechsel zwischen Durchfall und Verstopfung
kann der Darm nicht mehr normal arbeiten, was zur Darmträgheit führen kann.
Außerdem verliert der Körper mit der Flüssigkeit auch sehr viele Mineralsalze, die
lebenswichtig sind.
Wie man sieht, ist Bulimie durchaus eine lebensbedrohliche Krankheit. Die große
Gefahr liegt hauptsächlich darin, dass viele Bulimikerinnen nicht zum Arzt gehen,
auch wenn die Schäden bereits offensichtlich sind. Oft spielt hierbei die Angst vor
Entdeckung eine große Rolle.
Problematisch ist auch, dass viele Ärzte nicht erkennen, woher der schlechte Zustand
ihrer Patientinnen kommt. Viele Hausärzte haben einfach keine Erfahrung und oft
schrecken sie auch davor zurück, jemandem auf eine mögliche Essstörung
anzusprechen. Hinzu kommt noch, dass viele Betroffene ihren Zustand
herunterspielen oder verleugnen und Ausreden erfinden.
Nicht zu unterschätzen sind auch die psychischen Probleme, die eine Bulimie nach
sich ziehen kann. Bulimiekranke haben oft kein Selbstwertgefühl. Um ihrer Sucht
nachgehen zu können, isolieren sie sich immer mehr von ihrer Umwelt. Viele sind
deshalb zusätzlich zu ihrer Essstörung auch noch depressiv. Die Ausweglosigkeit, die
viele im Bezug auf ihr ganzes Leben empfinden und durch ihre Ess- Brechsucht
kompensieren, hat schon manche in den Freitod getrieben.
Eine traurige Tatsache ist, dass 17% der an Bulimie Erkrankten frühzeitig sterben.4
II. Entstehung der Krankheit
Was bringt jemanden dazu, ein unnormales Essverhalten und schließlich eine
Bulimie zu entwickeln? Warum gehen gerade viele Frauen diesen heimlichen,
grausamen Weg? Die Antwort auf diese Fragen sind fast so vielfältig wie die Anzahl
4
vgl. LV 3, S. 16,17 ; LV 4, S. 25ff.
der Betroffenen. Jede Einzelne hat sich irgendwann bewusst oder unbewusst für
diese Sucht entschieden und sie anfangs als Lösung oder Erleichterung betrachtet.
Wahrscheinlich findet man nirgendwo zwei Bulimikerinnen, die genau denselben
Weg in die Krankheit gingen, denn meistens spielen viele Faktoren zusammen.
Trotzdem gibt es doch einige Muster und Strukturen, die man häufig beobachten
kann. Diese sollen nun genauer betrachtet werden.
1. Gesellschaftliche Aspekte
Kann unsere Gesellschaft mit ihrem Frauenbild und Rollenerwartungen einen
Menschen krank machen? Es wäre mit Sicherheit übertrieben zu sagen, dass sie
alleine dafür verantwortlich gemacht werden kann, aber man darf ihren Einfluss nicht
unterschätzen. „Höher, schneller, weiter“, sind Worte, die unsere derzeitige
Gesellschaft gut beschreiben. Man könnte allerdings genauso gut „schlanker,
erfolgreicher, beliebter“ sagen. Mit dieser Erwartungshaltung ist natürlich ein idealer
Nährboden für eine Essstörung gegeben.
Ständig wird jedem von uns vermittelt, wie er zu sein hat. Schaltet man den
Fernseher ein, sieht man nur noch junge, schlanke, erfolgreiche Menschen. Bei
etlichen Werbungen wird „schlank“ und „schön“ direkt miteinander in Verbindung
gebracht und für viele bedeuten diese Worte annähernd das gleiche.
Auch in der Modebranche zeigt sich ein trauriges Bild. Die Modells müssen extrem
schlank sein, um mit der großen Konkurrenz mithalten zu können. Das Business ist
hart, und da die meisten Frauen noch sehr jung sind, kommen sie mit dem Druck
nicht zurecht. Glücklicherweise geht der Trend derzeit wieder etwas von den
superdürren Modells weg. Trotzdem ist die Zahl der Bulimikerinnen und
Magersüchtigen in dieser Branche extrem hoch. Leider gerät diese Tatsache zu selten
und nur in Einzelfällen an die Öffentlichkeit. Umstritten ist auch der Einfluss, den
die Modeszene auf Jugendliche ausübt. Viele Teenager sind sehr empfänglich für
gewisse Idealbilder, denen sie versuchen nachzueifern. Meist ohne den gewünschten
Erfolg, denn schlank ist nicht gleich glücklich.
Außerdem sind die Ansprüche an Frauen heute sehr vielfältig und oft
widersprüchlich. Die Karriere wird immer wichtiger, und hier heißt es
durchsetzungsfähig, tough und immer perfekt zu sein. Gleichzeitig soll man die
liebevolle Mutter, fürsorgliche Ehefrau und sexy Geliebte verkörpern. Um diesen
zahlreichen Rollen gerecht zu werden, opfern viele Frauen sich selbst und ihre
Bedürfnisse. Bulimie passt sehr gut zu solch einem Leben, da diese Krankheit
heimlich abläuft und man endlich seine schwachen, aber auch aggressiven Seiten
ausleben kann. Für diese scheint nämlich im wahren Leben meist wenig Platz zu
sein.
Es wäre ungerecht, beim Thema Rollenerwartungen nur an Frauen zu denken, denn
auch an Männer werden immer höhere Ansprüche gestellt. Langsam aber sicher setzt
auch hier ein gefährlicher Fitnesskult ein und ein gut trainierter Körper wird zur
Pflicht. Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht auch die Zunahme der
männlichen Bulimiker.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob wir nicht grundsätzlich in einer bulimischen
Gesellschaft leben. Zum Einen macht das Überangebot an Nahrung die Entstehung
dieser Essstörung erst möglich. Zum Anderen ist es typisch für uns, alles haben zu
wollen, ohne dann die Konsequenzen zu tragen. Genau dieses Prinzip trifft auch auf
einen Fressanfall zu.
2. Rolle der Familie
Es wäre nicht richtig, der Familie die Schuld zuzuschreiben, wenn ein junges
Mädchen an Bulimie erkrankt. Trotzdem: Die Betroffene erkrankt innerhalb der
Familie und deshalb spielt sie meist eine unübersehbare Rolle.
Von einer pauschalen Aussage, die man des öfteren lesen kann, möchte ich mich
allerdings distanzieren. Es wird nämlich behauptet, Bulimikerinnen stammen aus
zerrütteten, gewalttätigen Familien, während Mädchen, die sehr behütet wie in einem
goldenen Käfig aufwachsen, eher an Magersucht erkranken. Damit macht man es
sich zu einfach. Vielleicht ist es passender zu sagen, dass Familien mit
magersüchtigen Kindern oft Probleme haben, diese in die Selbstständigkeit zu
entlassen. Meist ist hier das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sehr vertraut
und liebevoll, es gibt kaum eine Privatsphäre. Aber auch Bulimikerinnen können aus
solchen Familien stammen. Hier hat die Krankheit die Aufgabe, etwas Eigenes,
Privates und auch Heimliches auszuleben.
Es ist durchaus bekannt, dass sehr junge Kinder bereits viel mehr von ihrer Umwelt
miterleben und aufnehmen, als man erwarten würde. Sie reagieren sehr sensibel auf
Reize von außen und beginnen bereits, eine Persönlichkeit zu entwickeln. Deshalb
kann der Grundstein für eine Essstörung schon in den ersten Monaten gelegt werden.
Während dieser Zeit ist hauptsächlich die Mutter für das Baby da. Sie sorgt für die
nötige Geborgenheit und befriedigt die wichtigsten Bedürfnisse ihres Kindes. Dazu
gehören natürlich Hunger und Durst, aber auch Zärtlichkeit und Zuwendung.
Verwechselt nun die Mutter diese Bedürfnisse und interpretiert alles als Hunger, tut
sie ihrem Baby nichts Gutes. Denn wenn sie die Bedürfnisse ihres Kindes nicht
unterscheiden kann, lernt es selbst auch nicht, diese differenziert wahrzunehmen.
Auch als Erwachsener wird derjenige nämlich noch dazu neigen, seine Wünsche
nach Nähe und Aufmerksamkeit mit der Aufnahme von Nahrung zu befriedigen.
Ein anderes Thema ist der große Leistungsdruck, der in vielen Familien herrscht. Das
Kind muss funktionieren, um es nach außen stolz als Vorzeigeobjekt präsentieren zu
können. Oft ist es der Vater, dem das Mädchen besonders gefallen will, weil von ihm
die nötige Liebe und Anerkennung fehlen. Jugendliche, die sich selbst noch nicht
gefunden haben, setzen so hohe Ansprüche natürlich unter Druck. Schnell wird hier
die Ess- Brechsucht zum Ventil. Oft ist die Betroffene noch recht begeistert über das
Lob, das sie anfangs erhält, weil sie an Gewicht verloren hat. Ein Teufelskreis!
Besonders auffällig ist auch, dass viele junge Mädchen an Bulimie erkranken, wenn
sie zu früh in die Selbstständigkeit entlassen werden. Das kann z.B. der Fall sein,
wenn ein Elternteil stirbt, die Eltern sich trennen oder beide berufstätig sind. Das
Kind oder der Jugendliche ist dann auf sich allein gestellt und kann mit dieser
Verantwortung nicht umgehen. Oft werden aus Liebe zu den Eltern oder aus Angst
sie zu verlieren Rollen oder Aufgaben übernommen, die einfach nicht altersgemäß
sind und schlichtweg überfordern. Natürlich will die Betroffene diese Aufgaben
trotzdem meistern und niemanden enttäuschen, obwohl das kaum möglich ist. Dieser
Konflikt mit sich selbst kann leider sehr schnell krank machen.
Auch wenn es ein trauriges Thema ist: Man darf nicht übersehen, dass viele
Bulimikerinnen aus sehr gewalttätigen Familien kommen. Dabei ist es egal, ob es
sich um verbale, körperliche oder sexuelle Gewalt handelt, denn beides ist
gleichermaßen schlimm und verletzend. Die Betroffenen spüren ihre Hilflosigkeit
und Ohnmacht und können sich oft nicht wehren, weil sie die Schwächeren sind. Ihre
Aggression können sie nur in der Bulimie ausleben. Allerdings richten sie ihre Wut
gegen sich selbst, was oftmals tragisch endet.
3. Traumatische Ereignisse
Im letzten Kapitel ist vielleicht der Gedanke aufgekommen, dass bei der Entstehung
einer Bulimie von Anfang an sehr viel schief laufen muss. Das ist nicht ganz richtig,
denn Betroffene können auch aus ganz normalen Familien stammen, in denen die
Beziehungen und Verhältnisse völlig durchschnittlich sind.
Hier ist oft ein besonders prägendes, trauriges oder traumatisches Ereignis der
Auslöser für eine Ess- Brechsucht.
Natürlich kann die Pubertät nicht grundsätzlich als ein solches negatives Erlebnis
bezeichnet werden. Für viele junge Mädchen stellt sie allerdings eine schwere
Entwicklungsaufgabe dar, die durchaus eine Krise auslösen kann. Sie wollen die
Veränderungen in ihrem Körper nicht wahrhaben und für viele ist es schwer, die
neue Weiblichkeit zu akzeptieren. Natürlich erkrankt nicht jede Jungendliche, die mit
ihrem Erwachsenwerden nicht zurecht kommt, unweigerlich an Bulimie. Einige
protestieren jedoch auf diesem Weg gegen das Frau- bzw. Mannwerden und
beginnen ihren Körper so zu bestrafen. Manchmal scheint diese Wahnidee anfangs
durchaus zu funktionieren, denn der Körper entwickelt sich durch die mangelhafte
Ernährung tatsächlich langsamer und die Periode setzt verzögert ein.
Es könnte genauso gut eine Bulimikerin gewesen sein, die folgende Zeilen verfasste:
„Ich denke, ich bin in diese furchtbare Magersucht geraten, weil ich nicht erwachsen
werden wollte. (...) Eines Tages begriff ich, dass ich meinen Körper und mein
Erwachsenwerden manipulieren konnte, und zwar durch Hungern und Sporttreiben.
(...) Meine Periode blieb aus. Vor ihr hatte ich mich ohnehin nur geekelt, weil sie ein
greifbares Zeichen dafür war, dass ich nun kein kleines Mädchen mehr war."5
Für viele Jugendliche wird es auch zum traumatischen Ereignis, wenn die Eltern sich
trennen. Es ist allgemein bekannt, wie sehr Kinder darunter leiden, wenn die Eltern
sich nicht mehr verstehen, sich dauernd streiten oder die alte Liebe gar in Hass
umschlägt. Oft stehen die Kinder zwischen den Fronten und wissen nicht mehr, bei
wem sie Halt suchen sollen. Am Schlimmsten ist es wohl, wenn das Kind
Schuldgefühle hat und sich für die Trennung verantwortlich fühlt. Solch ein Konflikt
ist für einen Jugendlichen nur schwer zu bewältigen, oft führt er noch Jahre nach
dem tatsächlichen Vorfall zur Entstehung der Krankheit.
Erst kürzlich hat die Wissenschaft damit begonnen, sich für den Zusammenhang
zwischen Bulimie und sexuellem Missbrauch zu interessieren. Sie fand heraus, dass
sehr viele Frauen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden, später an
Bulimie erkranken. Sie spüren große Ablehnung und Hass gegen ihren Körper,
beides wird in der Bulimie ausgelebt. Es sind auch Fälle bekannt, bei denen eine
Essstörung entwickelt wurde, obwohl keine bewusste Erinnerung an den Missbrauch
vorhanden war.
Ein weiteres Beispiel für ein traumatisches Ereignis ist der vorzeitige oder plötzliche
Tod eines nahestehenden Menschen. So ein Erlebnis ist sicher für jeden kaum zu
verarbeiten und es ist schwer mit dem Verlust umzugehen und ihn zu betrauern.
Auch hier scheint die Bulimie anfangs ein Ausweg zu sein, um nicht mit dem
Schmerz konfrontiert zu werden. Anhand eines kurzen Textes, den ich vor einiger
Zeit für die Homepage meiner Selbsthilfegruppe erstellt habe, möchte ich zeigen,
dass ich aus solch einer Situation heraus erkrankte.
„Mein Name ist Nina und ich bin 18 Jahre alt.
Ich lebe bei meiner Mutter und gehe noch in die Schule. Soweit hört sich alles ganz
normal und gewöhnlich an, aber da ist noch etwas: Ich habe Bulimie. Mit 14 oder 15
fing es an, natürlich ohne dass es jemand wusste. Da mein Essverhalten nie extrem
auffällig wurde, konnte ich es auch lange verheimlichen. Außerdem erkrankte mein
Papa zu dieser Zeit an Krebs, und natürlich haben wir uns alle um ihn gekümmert
und gesorgt. Gemeinsam haben wir gehofft und gekämpft, aber leider hatte Papa
keine Chance. Er starb im Dezember 1998.
Natürlich hatten wir danach noch genug andere Probleme und eigentlich merkte
keiner, dass meine Essstörung immer schlimmer wurde - auch ich nicht. Ich hatte
zwar mit ein paar guten Freundinnen darüber gesprochen, aber so richtig Bewegung
kam erst im Sommer 1999 in die Sache. Ich vertraute mich meiner Mutter an, die mir
wirklich sehr geholfen hat. Erst dachten wir, dass wir es alleine schaffen könnten,
aber das klappte nicht. Kurz darauf haben wir einen ambulanten Therapieplatz
gesucht und hatten sofort Glück.
Ich kann nicht sagen, dass die Therapie sofort geholfen hat, aber wenn ich auf das
letzte Jahr zurückblicke, hat sich da doch einiges getan. Mit dem Essen habe ich
wesentlich weniger Probleme und meine Gedanken kreisen nicht mehr nur um dieses
Thema. Aber natürlich ist die Therapie anstrengend, schließlich lerne ich mich jetzt
auch neu und anders kennen, das ist oft auch erschreckend. Mittlerweile kann ich mir
auch eingestehen, dass Papas Tod doch einiges mit meiner Krankheit zu tun hat, ich
habe mich damals wohl ziemlich überfordert. Meine Therapeutin denkt, ich wäre so
weit, die Bulimie hinter mir zu lassen. Das finde ich auch, obwohl ich sehe, wie
schwer das ist. Ich werde noch einen weiten Weg gehen müssen, aber ich weiß, dass
es der richtige ist. Außerdem möchte ich meine Probleme jetzt aufarbeiten, solange
5
Quelle siehe LV 1, S. 27
alles noch überschaubar ist und ich mich noch gut an Papa und seine Krankheit
erinnern kann.“ 6
III. Psychische Probleme Betroffener
Bulimie ist eine psychosomatische Erkrankung. Der seelische Zustand äußert sich
über den Körper. Das Erbrechen ist also nur Symptom. Man könnte das Essen und
anschließende Erbrechen demnach als Spitze des Eisbergs betrachten, unter dem
noch zahlreiche andere Probleme liegen.
Aus diesem Grund soll im folgenden Kapitel gezeigt werden, mit welchen Problemen
sich Bulimikerinnen herumschlagen. Allgemein ist es so, dass sich diese Frauen und
Mädchen sehr viele Gedanken machen, wobei diese nach außen oft kompliziert und
nicht nachvollziehbar erscheinen. Genau diese Gedanken und die daraus
resultierenden Verhaltensmuster führen jedoch zu einem Fressanfall, halten die
Bulimie aufrecht und machen es so schwer, davon loszukommen. Es ist nämlich erst
möglich die Fressanfälle zu reduzieren, wenn man weiß, was dahinter steckt und
welche Ersatzfunktionen das Essen übernommen hat. Im Folgenden möchte ich mich
vor allem mit den Fragen „Wie denken Bulimikerinnen?“, „Welche Rollen kann
Essen übernehmen?“ und „Was führt zu einem Fressanfall?“ beschäftigen.
1. Fehlendes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
Meistens mögen sich Frauen mit Bulimie selbst nicht besonders gerne, sie trauen sich
nichts zu und verabscheuen ihren Körper, den sie oft als schwach und unförmig
empfinden. Das geht so weit, dass manche gar von Selbsthass sprechen.
Da die meisten Frauen ein sehr geringes Selbstvertrauen haben, wollen sie möglichst
kaum auffallen, bei allen beliebt sein und sich überall anpassen. Sie wollen genauso
schlank und schön sein, wie von ihnen erwartet wird und können dadurch ihren
Körper nicht akzeptieren. Aus diesem Gedanken heraus kann schnell eine
6
Quelle siehe LV 8
Magersucht entstehen, die allerdings auch in eine Bulimie übergehen kann, wenn es
nicht mehr möglich ist, dem Hunger standzuhalten.
Durch das fehlende Selbstvertrauen kommt auch schnell das Gefühl auf, versagt zu
haben. Um dies zu kompensieren und vielleicht auch um sich zu strafen, stopfen sich
viele mit Nahrung voll.
Bulimikerinnen neigen auch dazu, es immer auf sich selbst zu beziehen, wenn etwas
schief läuft und alle Ereignisse negativ zu bewerten. Zu diesem Thema gibt es ein
anschauliches Modell, das von Ellis 1997 im Rahmen der rational-emotionalen
Therapie entwickelt wurde. Es macht deutlich, dass nicht ein bestimmtes Ereignis
eine bestimmte Konsequenz nach sich zieht, sondern wie wir selbst es bewerten.
A (activating events)
B (beliefs)
C (consequences)
Auslösende Ereignisse
Bewertung
Konsequenzen
Überzeugungen
Demzufolge wird das Schema ABC-Modell genannt.7
Das Beispiel zeigt, dass Bulimikerinnen bestimmte Ereignisse grundsätzlich negativ
bewerten und die Schuld bei sich suchen.
A
Kein Anruf auf
Anrufbeantworter
A
Vor einer Prüfung
B
C
dem Niemand denkt an mich
Fressanfall
Niemand mag mich
Ich werde immer allein sein
B
C
Ich kann nichts
Null-Diät
Ich bin eine Versagerin
Joggen
Wenn ich durchfalle, bin ich
verloren
Das Einzige, was ich kann,
ist hungern
Kennt man das ABC-Modell, fällt es leichter sich der negativen Bewertung bewusst
zu werden, sie zu überprüfen und dann durch eine positive zu ersetzen.
2. Fehlende/falsche Wahrnehmung von Gefühlen
Viele Betroffene haben das Problem, dass sie ihre Gefühle kaum wahrnehmen, sie
unterdrücken und sich dadurch selbst kaum mehr kennen.
Meist hat das Essen zu lange die Funktion übernommen, negative Erlebnisse zu
kompensieren und die damit verbundenen Gefühle nicht zuzulassen. Wenn man
jahrelang gefressen und erbrochen hat, um das Gefühl von Trauer, Wut oder
Enttäuschung nicht zu spüren, weiß man irgendwann gar nicht mehr, wie sich so
etwas anfühlt und vor allem nicht, wie man damit umgehen soll.
Natürlich geschieht es nicht bewusst, dass man anfängt zu essen, um seine Gefühle
zu unterdrücken. Jedoch empfindet man die Aufnahme von Nahrung als beruhigend
(mechanisches Kauen), wohltuend (endlich ist man ausgefüllt) und vertraut, da man
genau weiß, wie der Fressanfall ablaufen wird.
Viele emotionale Enttäuschungen stehen mit dem Umgang mit anderen Menschen in
Verbindung. Eine junge Patientin des TCE (Therapie-Centrum für Essstörungen) in
München beschreibt ihre Erfahrungen wie folgt:
„... Zu Hause lief alles schief. Ich hatte ständig Streit mit meiner Mutter, wegen
Weggehen, Putzen und anderen Sachen, bis ich es nicht mehr aushielt und auszog.
Als ich wieder einmal eine Fressattacke beim Küchendienst hinter mir hatte und
mich meine Arbeitskollegen schon auf meine Gewichtszunahme angesprochen
hatten, ging ich zum ersten Mal auf die Toilette und steckte mir den Finger in den
Hals. Es war ein Ventil, um all die Anspannung und Wut über all die Umstände
rauszulassen.“8
Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass die Patientin ihre Wut und Aggression gegenüber
der Mutter bzw. den Arbeitskollegen nicht richtig annehmen und rauslassen konnte.
Diese Gefühle verschafften sich auf anderem Wege Ausdruck: Durch einen
Fressanfall.
Je länger Fressattacken Gefühle ersetzen, desto größeren und gravierenderen Einfluss
bekommt dieses Verhalten auch auf andere Lebensbereiche.
Bei mir selbst konnte ich folgendes beobachten: Zwar erkannte ich durch meine
Therapie, dass ich viele Gefühle unterdrückte und auch welche das waren. Trotzdem
scheiterten meine Versuche, sie auszuleben, anstatt zu essen nur zu oft. Ich wusste
7
8
Quelle siehe LV 2, S. 68,69
Quelle siehe LV 1, S. 32
einfach nicht mehr, wie es ist, traurig zu sein, oder wie sich Wut anfühlt und wie man
sie dort auslebt, wo sie hingehört. Auch für mein Umfeld war es oft sehr schwierig,
weil ich auf manche Situationen völlig unerwartet und unangemessen reagierte. So
wurde ich oft extrem aggressiv, obwohl mir nur langweilig war, oder ich fing aus
Ärger über jemanden zu weinen an und war traurig. Noch heute zweifle ich oft sehr
an mir und überlege, ob mein Verhalten und meine Gedanken überhaupt angemessen
sind, weil ich sie so lange einfach nicht zuließ und unterdrückte und deshalb nicht
mehr weiß, ob sie richtig sind.
3. Starke Verlustängste
Bei einem Großteil der Bulimikerinnen kann man extreme Verlustängste beobachten.
Sie leiden ständig unter dem Gedanken einen Freund, den Partner oder die Eltern zu
verlieren.
Aus diesem Gefühl heraus versuchen viele junge Frauen sich möglichst anzupassen
und harmonische Beziehungen zu führen. Deshalb kann schon ein kleiner Streit zur
Katastrophe werden, da bei der Bulimikerin schnell irrationale Gedanken
aufkommen. Sofort glaubt sie an ihre eigene Schuld, will den Gegenüber
beschwichtigen und so die Situation retten.
Oft kommt es auch vor, dass die Betroffene ihr ganzes Leben nur noch auf den
Partner fixiert, praktisch nicht mehr ohne ihn leben kann. Sie begibt sich also in eine
andere Art der Abhängigkeit, die fast so süchtigen Charakter wie die Bulimie
annehmen kann. Nur
übersieht
die
Betroffene
dabei
häufig,
dass
ihre
überschwängliche Liebe den Partner überfordern kann und sie damit ihre Beziehung
gefährdet, was sie ja gerade verhindern wollte.
Besonders problematisch bei diesem Thema ist, dass manche Bulimikerinnen nicht
mehr zwischen Abschied und Verlust unterscheiden können. Diese zwei Worte
werden praktisch gleichgesetzt und ein Abschied wird als etwas Endgültiges, sehr
Trauriges betrachtet. Deshalb kann es beispielsweise schon zu einem Drama werden,
wenn der Partner in Urlaub fährt, eine Freundin umzieht oder die Eltern nicht da
sind.
Im Allgemeinen fühlt sich eine bulimische Frau sehr einsam und leer, wenn sie allein
ist. Da sie dieses Gefühl kaum aushalten kann, muss die Leere mit Nahrung
ausgefüllt werden. Viele sprechen davon, ein Loch in sich stopfen zu müssen. Sie
empfinden die Nahrung dann als sehr angenehm und sind durch den Fressanfall von
ihrer Einsamkeit abgelenkt. Wenn alles vorbei ist, fühlen sie sich durchaus nicht
besser, da jetzt noch die Zweifel und Selbstvorwürfe wegen der Heißhungerattacke
hinzukommen.
Nun stellt sich noch die Frage, warum viele Bulimikerinnen so unter der Einsamkeit
leiden. Einerseits kann es daran liegen, dass viele Betroffene einfach nicht mit sich
allein sein wollen, weil sie glauben, nichts mit sich anfangen zu können und dann
schnell in sinnloses Grübeln verfallen.
Auf der anderen Seite liegen die Gründe oft schon viele Jahre zurück. Manchmal hat
die Bulimikerin nicht die nötige Liebe von ihren Eltern erfahren und fühlt sich
deshalb alleingelassen und kann kein Vertrauen aufbauen. Es ist auch möglich, dass
schon in früher Kindheit ein schmerzlicher Verlust erfahren wurde, der nicht
verarbeitet werden konnte. Das kann beispielsweise die Scheidung der Eltern oder
auch der Tod einer geliebten Person gewesen sein. Dabei erlebt die Betroffene sehr
intensiv, dass man gegenüber solch einem Ereignis absolut hilflos ist und man die
schmerzliche Erfahrung einfach hinnehmen muss.
Betrachtet man diese Hintergründe, ist es leicht verständlich, warum manche
Bulimikerinnen so starke Verlustängste haben und einen drohenden Abschied oft
überbewerten. Sie mussten nämlich schon einmal erfahren, dass sie keinen Einfluss
mehr hatten und jemand ging, ohne sie zu fragen.
4. Perfektionismus
Grundsätzlich kann man sagen, dass fast alle Bulimikerinnen sehr perfektionistisch
sind. Egal in welchem Lebensbereich, sie wollen immer durchhalten und alles
erreichen. Deshalb wird ein Scheitern als große Niederlage empfunden und der
Verlust von Selbstwertgefühl ist die Folge.
Dieser angestrebte Perfektionismus zeigt sich zum Einen natürlich im Essverhalten.
Zuerst werden Gefühle wie Hunger und Sättigung ignoriert und an ihre Stelle treten
genau geplante und zeitlich kontrollierte Mahlzeiten. Viele nehmen sich
beispielsweise vor, bis zum Abend nichts zu essen oder nur 1400 kcal. zu sich zu
nehmen. Andere verbieten sich bestimmte Nahrungsmittel oder wollen ganz auf Fett
verzichten. Jede Abweichung wird schließlich als Kontrollverlust angesehen und
kann zu einem Fressanfall führen.
Zum Anderen haben Bulimiekranke den Wunsch, auch in allen anderen
Lebensbereichen besonders gut zu sein. Deshalb setzen sie sich selbst unter großen
Leistungsdruck. Es ist auffällig, dass viele Betroffene nach außen sehr zufrieden und
beneidenswert wirken: Sie sind erfolgreich im Beruf oder der Schule, führen eine
harmonische Beziehung, haben teure Kleidung und ein perfektes Äußeres. Das
genügt den meisten aber nicht. Sie wollen immer noch besser und noch erfolgreicher
sein. Es macht sie also nicht wirklich glücklich, wenn ein Ziel erreicht ist. Oft wird
nun das Erreichte abgewertet und sofort ein neues Ziel gesucht, das natürlich noch
höher gesteckt ist. Zusätzlich brauchen sie viel Anerkennung von außen, um ihr
Selbstwertgefühl aufzubauen. Das liegt daran, dass sie nicht glauben, sie selbst seien
in Ordnung und zusätzlich glauben, etwas leisten zu müssen um geliebt zu werden.
Für die meisten Bulimikerinnen spielt auch Konkurrenz eine große Rolle. Sie
vergleichen sich ständig mit ihrer Umgebung und wollen immer die Schlankeste,
Hübscheste und Beste sein. Sie können es kaum ertragen, wenn jemand anderes in
irgendeinem Bereich erfolgreicher ist als sie und empfinden es als persönliche
Niederlage. Es kann sogar während eines Klinikaufenthalts passieren, dass eine
Essgestörte ihre Mitpatientinnen als Konkurrenz erlebt und ein Art Wett- Hungern
beginnt.
Wie vorher gezeigt wurde, sind die meisten bulimischen Frauen den ganzen Tag über
sehr streng mit sich selbst. Sie kontrollieren fast jeden Gedanken und jede Handlung.
Wenn allerdings etwas nicht ganz ihren Vorstellungen entspricht oder eine gewisse
Leere auftritt, bricht sofort Chaos aus. Schnell haben sie das Gefühl, dass alles
sinnlos ist, oder dass sie versagt haben. Folgt nun ein Fressanfall, kann er einerseits
dazu dienen, diesen Gedanken zu überspielen und ihn nicht wahrzunehmen.
Andererseits kann er ein Mittel sein, endlich locker zu lassen und die Kontrolle
verlieren zu dürfen.9
IV. Wege aus der Krankheit
9
vgl. LV 7, S. 39ff.
Die meisten Bulimikerinnen leiden nach einiger Zeit sehr unter ihrer Krankheit und
beurteilen ihre Situation als ausweglos. Dies ist aber durchaus nicht der Fall, denn
auch Bulimie ist heilbar oder man kann wenigstens eine Verbesserung der
Lebensqualität erreichen. Der beste Weg hierzu ist der Entschluss eine Therapie zu
beginnen. Allerdings ist das nur dann sinnvoll, wenn der Patient selbst dazu bereit ist.
Eine erzwungene Therapie kann unmöglich erfolgreich sein, da der Betroffene nie
dazu bereit sein wird, richtig an sich zu arbeiten und die Notwendigkeit einer
Änderung nie einsehen wird. Deshalb ist es häufig der Fall, dass es demjenigen
psychisch und körperlich extrem schlecht geht, bevor er sich professionelle Hilfe
holt.
Oft ist ein Gespräch mit den Eltern oder Freunden der erste Schritt. Am Einfachsten
ist es, im Anschluss eine Beratungsstelle, das Gesundheitsamt oder einen Arzt
aufzusuchen, um Kontakt zu weiteren Therapieeinrichtungen herzustellen. Natürlich
schrecken viele aus Angst vor diesem Schritt zurück, aber es ist keine Schande sich
Hilfe zu holen – im Gegenteil, es ist die einzige Möglichkeit wieder ein normales
Leben zu führen.
Die Wege, aus der Bulimie auszubrechen, sind vielfältig und im Anschluss sollen
einige Möglichkeiten beschrieben werden.
1. Therapie in einer psychosomatischen Klinik
Diese Art der Therapie ist besonders für Patientinnen geeignet, die schon sehr lange
an ihrer Krankheit leiden, ein extrem schlechtes Essverhalten haben oder zusätzlich
depressiv sind. Außerdem ist eine stationäre Aufnahme notwendig, wenn die
Betroffene stark untergewichtig ist oder andere medizinische Komplikationen
auftreten.
Wie eine stationäre Behandlung aussehen kann, möchte ich am Beispiel der
Medizinisch – Psychosomatischen Klinik Roseneck erklären. Diese Klinik in Prien
am Chiemsee ist eine der bekanntesten zur Behandlung von Essstörungen und hat
darüber hinaus einen sehr guten Ruf. Sie umfasst 352 Behandlungsplätze für
Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen ( u.a. Angsterkrankungen,
Zwangserkrankungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen), wobei ca. 100 Plätze
zur Behandlung von Essstörungen vorhanden sind.
Roseneck geht davon aus, dass essgestörte Menschen besonders anfällig für
Belastungen und chronische Schwierigkeiten sind. Außerdem haben sie den Wunsch
nach Kontrolle und oft ist die Wahrnehmung von Körper und Gefühlen gestört. Diese
Probleme sollen durch die Therapie bewältigt werden, deshalb werden folgende Ziele
formuliert:
-
„Verbesserung der Wahrnehmung eigener Körpersignale
Aufbau von Selbstsicherheit und Entkoppelung des Selbstwertgefühls von Figur
und Gewicht
Verbesserter Umgang mit negativen Gefühlen und Steigerung der angemessenen
emotionalen Ausdruckskraft
Normalisierung des Essverhaltens
Erweiterung der Problemlösefertigkeiten und Verbesserung der Interaktion und
Kommunikation im sozialen Umfeld
Erhöhung der Freizeitaktivitäten und Aktivierung von Eigenverantwortlichkeit“10
Die Bestandteile des Therapieprogramms in Roseneck sind sehr zahlreich und
beruhen alle auf einem „integrativen verhaltensmedizinischen Ansatz“. Das bedeutet,
dass medizinische, psychologische und psychotherapeutische Kenntnisse für die
Behandlung verknüpft werden.
In Roseneck wird jeder Patient von einem Bezugstherapeuten betreut, mit dem er
sich zu regelmäßigen Einzelgesprächen trifft. Hier wird die Vorgeschichte geklärt
und der Patient erkennt, warum es zur Bulimie kam. Außerdem versuchen der
Therapeut und der Betroffene gemeinsam ein Konzept zur Krankheitsbewältigung zu
erarbeiten und individuelle Probleme zu lösen. Der Bezugstherapeut hat darüber
hinaus die Aufgabe, den Ablauf der Therapie zu koordinieren und zu begleiten und
die Weiterbehandlung nach dem Klinikaufenthalt zu planen.
Das zentrale Behandlungselement in Roseneck ist allerdings die Gruppentherapie.
Hier kommt eine relativ kleine Anzahl von Patienten zusammen, um in Anwesenheit
eines Therapeuten ihre Erfahrungen auszutauschen. Dieser Kontakt zu anderen
Betroffene ist sehr wichtig, da man nun wieder lernen kann, zu kommunizieren und
Kritik zu üben oder anzunehmen. Außerdem ist es oft leichter, bestimmte Probleme
innerhalb der Gruppe zu lösen, da man viele verschiedene Standpunkte kennenlernen
muss. So kann man auch lernen, bestimmte Denk- und Gefühlsmuster zu überprüfen
und gegebenenfalls zu berichtigen.
Natürlich soll durch die Therapie auch wieder ein geregeltes Essverhalten erlernt
werden. Roseneck versucht hierbei den Mittelweg zwischen Eigenverantwortung und
Fremdkontrolle zu finden. Dazu wird eine „Anti- Diät-Gruppe“ angeboten. Die
Patientinnen sollen hier lernen, ihr Essverhalten zu normalisieren und wieder einen
normalen Umgang mit ihrem Körper, ihrem Gewicht und der Nahrung zu
bekommen. Außerdem werden die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen, oft ist
dabei ein Therapeut anwesend. Die Patienten sollen vor allem die Scheu vor
bestimmten Nahrungsmitteln verlieren, normale Portionen und ausreichend Kalorien
zu sich nehmen und wieder in Gemeinschaft essen. Da viele Betroffene verlernt
haben, was ausreichende Nahrungsmengen sind und wie man sie zubereitet, steht
eine Lehrküche zur Verfügung. Hier kann der Umgang mit Lebensmitteln mit Hilfe
einer Ernährungsassistentin erprobt werden.
Wie bereits erwähnt, stehen die meisten Bulimikerinnen ständig unter Stress oder
Belastungen und haben ein schlechtes Körpergefühl. Aus diesem Grund gibt es ein
Entspannungstraining, bei dem der Patient Strategien erlernen soll, um auch später
im
Alltag
die
nötige
Ruhe
und
Gelassenheit
zu
finden.
Durch
die
Bewegungstherapie bzw. durch Sport soll wieder ein besseres Körpergefühl erlangt
werden. Dadurch werden auch Belastbarkeit und Wohlbefinden gesteigert.
Unterstützend kann hierbei auch die Therapie mit Bädern und Massagen sein.
Natürlich ist dies nur möglich, wenn der Betroffene körperlich dazu in der Lage ist.
Die Gestaltungstherapie kann helfen, die Gefühle auf nonverbale Weise
auszudrücken, z.B. durch Malen oder Tonarbeiten.
Natürlich werden die Patienten während ihres Aufenthalts kontinuierlich von einem
Arzt betreut. Einerseits wird das Gewicht überwacht, andererseits werden aber auch
körperliche Folgeschäden behandelt.
Man muss sagen, dass auch eine Behandlung in der Klinik Roseneck, die
durchschnittlich sechs bis zwölf Wochen dauert, keinen Erfolg garantiert. Es wird
deshalb davon ausgegangen, dass nach der Entlassung noch eine ambulante
Betreuung notwendig ist oder die Patientin anderweitig Unterstützung braucht.
Um nun noch einen direkten Eindruck von Roseneck zu erhalten, sollen abschließend
zwei ehemalige Patientinnen zu Wort komme. Eva (18) war bereit, mir ihren
Tagesablauf zu schildern. Sie schreibt:
„So, nun zu meinem Tagesablauf in Roseneck.
7.25-8.10 Uhr Frühstück, 12.10-13.00 Uhr Mittagessen, 17.45- 18.30 Uhr
Abendessen. Das sind die festen Zeiten, an die man sich jeden Tag halten muss.
Am Montag und am Donnerstag ist zwischen 6.45- 7.15 Uhr wiegen. Ebenfalls
Montag und Donnerstag hatte ich Gruppentherapie.
10
Quelle siehe Behandlungskonzept (im Anhang)
Einmal wöchentlich Einzeltherapie, zweimal pro Woche GSK (soziale Kompetenz),
zweimal
AntiDiät,
einmal
BWT
(Bewegungstherapie),
einmal
Wirbelsäulengymnastik,
Atemtherapie,
dreimal
PME
(progressive
Muskelentspannung) nach Jackobsen, Lehrküche und Fangos. Ich hoffe, dass ich
keinen Kurs vergessen habe.
Ansonsten war noch zweimal die Woche medizinische Sprechstunde, zweimal
Blutabnahme und einmal EKG. So in etwa sah meine Woche in Roseneck aus. Ich
muss allerdings dazu sagen, dass ich Lehrküche z.B. erst hatte als Anti- Diät und
GSK schon vorbei waren. So dass es nicht so stressig wurde. Eines habe ich doch
übersehen und zwar war noch zweimal in der Woche Gestaltungstherapie.
Ich hoffe, dass ich dir einen kleinen Einblick in das Klinikleben geben konnte.“11
Auch eine andere Patientin, die fast ein halbes Jahr in Roseneck verbracht hat, war
bereit mir von ihren Erfahrungen zu erzählen. Ihr Name ist Birgit und sie ist 34 Jahre
alt.
„Durch meinen damaligen Therapeuten bin ich auf die Klinik Roseneck aufmerksam
geworden, worauf ich mich mit meinem Hausarzt besprach und anmeldete. Aufgrund
der Schwere der Erkrankung wurde ich binnen kürzester Zeit aufgenommen.
Die Klinik machte sofort einen positiven Eindruck, ich fühlte mich nach langer Zeit
geborgen und aufgehoben. Nach der Ankunft bekam ich eine „Klinik- Patin“, die
mich einführte und mir half mich zurecht zu finden. Mein Therapieprogramm
bestand aus Einzel- und Gruppensitzungen, Selbstsicherheitstraining, Progressiver
Muskelentspannung,
Feldenkreis,
Tanztherapie,
AntiDiätkonzept,
Gestaltungstherapie. Bei der Genusstherapie lernte ich wieder die Mahlzeiten zu
genießen. Manchmal war alles ganz schön stressig, aber ich lernte dadurch wieder
mit Stress und Hektik zu leben. Binnen weniger Wochen verspürte ich kein
Bedürfnis mehr Fressattaken zu haben, zu erbrechen, abzuführen oder Diät zu halten,
auch ließ das Verlangen nach diversen Medikamenten nach. Kurzum, ich fühlte mich
nach langen Jahren wieder befreit, konnte wieder lachen, mich des Lebens freuen.
Die Gemeinschaft unter uns Patienten war einfach toll, denn wenn es nötig war,
konnten wir uns gegenseitig das Herz ausschütten. Manche Kontakte hielten ca. zwei
Jahre.
Fazit: Aus meiner Sicht ist diese Einrichtung nur zu empfehlen.“12
2. Ambulante Therapie
Bei der Bearbeitung dieser Thematik war mir meine ehemalige Therapeutin Frau Erl
eine große Hilfe. Sie ist Diplom Psychologin und seit fünf Jahren bei der
Suchtfachambulanz in Altötting tätig, hat also lange Erfahrung mit der Behandlung
von essgestörten Frauen. Ich selbst war zwei Jahre lang bei Frau Erl in Behandlung.
Auf meinen Wunsch hin war sie sofort bereit mir meine Fragen zum Thema
„ambulante Therapie“ zu beantworten.
11
12
Quelle siehe Tagesablauf (im Anhang)
Quelle siehe Erfahrungsbericht (im Anhang)
1. Frau Erl, könnten Sie bitte zuerst erläutern, wie in der Regel eine ambulante
Therapie abläuft? Wie muss man sich eine gewöhnliche Therapiesitzung
vorstellen?
An unserer Fachambulanz besteht eine ambulante Therapie in der Regel aus einer
Kombination von Einzel- und Gruppentherapie, wobei in den Gruppen Patientinnen
mit Essstörungen gemeinsam mit Patienten mit stoffgebundenen Suchterkrankungen
behandelt werden. Jüngere, insbesondere minderjährige Patientinnen werden von mir
jedoch ausschließlich in Einzeltherapie behandelt, da wir für diese Personengruppe
derzeit keine eigene Behandlungsgruppe anbieten können. Die Einzeltherapie findet
i.d.R. einmal pro Woche statt. Kostenträger für die ambulante Therapie bei
Essstörungen ist die Krankenkasse. Eine gewöhnliche Therapiesitzung dauert 50
Minuten. Sie gestaltet sich je nach Phase der Therapie unterschiedlich. Während am
Anfang eher das Symptom im Vordergrund steht, geht es im weiteren Verlauf immer
mehr um die Hintergründe der Erkrankung. Grundsätzlich verstehe ich unter
Psychotherapie die Zusammenarbeit zwischen Patientin und Therapeutin mit dem
Ziel, das Symptom zunächst zu verstehen, um schließlich Verhaltens- bzw.
Einstellungsveränderungen zu erzielen, so dass das Symptom nicht mehr notwendig
ist. Eine Besonderheit bei der Behandlung von Suchterkrankungen und damit auch
bei Essstörungen ist, dass der Suchtkreislauf unterbrochen werden muss, um
schließlich herauszufinden, wofür das Symptom eigentlich steht. Ist es gelungen, den
Automatismus zu unterbrechen, tritt das Symptom nur noch in psychodynamisch
bedeutsamen Situationen auf, die dann einer Bearbeitung zugänglich werden.
2. Was sind die realistischen Ziele einer solchen Behandlung?
- Verbesserung der Symptomatik, bzw. Symptomfreiheit
- Wiedererlernen eines normalen Essverhaltens
- Alternativen zum Symptom erarbeiten
- Verstehen der Hintergründe
- Integration von abgelehnten Persönlichkeitsanteilen
- Zugang zu den wahren Gefühlen wiederfinden
- Verstehen und Bearbeiten der Familiendynamik
- Fähigkeiten erlernen, eigene Bedürfnisse und Gefühle adäquat auszudrücken
3. Für wen ist eine ambulante Therapie geeignet? Gibt es Fälle, bei denen sie nicht
ratsam ist?
Grundsätzlich für eine leichte bis mittelschwere Ausprägung der Symptomatik. Die
Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit muss vorhanden sein, insbesondere zu Beginn die
Bereitschaft, das gestörte Essverhalten unter therapeutischer Begleitung zu
verändern. Falls dies auf ambulantem Weg nicht gelingt, liegt eine stationäre
Therapie nahe. Wenn bei Magersucht das Körpergewicht in einem
lebensbedrohlichen Bereich liegt, ist eine ambulante Therapie nicht ratsam.
4. Über welchen Zeitraum hinweg ist diese Art der Therapie sinnvoll?
Solange die Patientin an Veränderungen arbeiten möchte, bei denen sie
therapeutische Unterstützung bzw. Begleitung benötigt.
5. Können Sie aus Erfahrung abschätzen, welche Erfolgsaussichten bei der
ambulanten Behandlung bestehen? Mit welchen Erwartungen kommen
Betroffene zu Ihnen?
Wenn die Patientin wirklich an einem Punkt angelangt ist, wo ihr klar ist, dass es so
nicht mehr weitergehen kann und die ernsthafte Bereitschaft zu einer Veränderung
und Arbeit an sich vorhanden ist, bestehen gute Erfolgsaussichten, Verbesserungen
im Essverhalten und in vielen Fällen eine völlige Aufgabe des Symptoms zu
erreichen. Betroffene kommen oftmals mit dem Wunsch, nur ihr gestörtes
Essverhalten „loszuwerden“. Tiefergehende Hintergründe ihrer Erkrankung können
sie sich gar nicht vorstellen, da sie durch die Symptomatik von ihrem wahren Erleben
völlig entfremdet sind. Auch gibt es untergewichtige Patientinnen, die beispielsweise
zwar nicht mehr erbrechen wollen, aber eine Normalisierung ihrer Ernährung und
damit eine Gewichtszunahme auf Normalgewicht noch völlig ablehnen. Hier geht es
zunächst um eine Aufklärung über die Zusammenhänge von kontrolliertem
Essverhalten und Heisshungerattacken und eine anschließende Motivation, ernsthafte
Veränderungen zuzulassen.13
3. Selbsthilfegruppen
Man kann davon ausgehen, dass eine Selbsthilfegruppe nur in den seltensten Fällen
eine Therapie ersetzen kann. Trotzdem sind solche Gruppen wichtig, da sie
verschiedene Funktionen übernehmen.
Für viele Frauen oder Mädchen ist es beispielsweise leichter, mit Gleichgesinnten
Kontakt aufzunehmen, als sich gleich an eine Beratungsstelle zu wenden. Oft gehen
Betroffene in diesem Rahmen zum ersten Mal aus sich heraus und sprechen über ihre
Probleme. Sie sehen dabei, dass sie durchaus nicht alleine sind, und dass ihr
Verhalten nicht abnormal oder verrückt ist. Viele merken durch die Gespräche mit
anderen Betroffenen, dass es noch Hoffnung gibt, und dass es Zeit wird, etwas zu
ändern. Oft wird dadurch die Selbsthilfegruppe zum Sprungbrett für eine richtige
Therapie.
Auch während einer Therapiephase kann der Besuch einer Selbsthilfegruppe eine
gute Unterstützung sein. Da alle hier dieselben Probleme haben, ist eine gute
Grundlage für ergiebige Gespräche gegeben. Schnell baut sich Vertrauen auf und
man kann seine Schwierigkeiten und Zweifel offen aussprechen und gemeinsam
13
Quelle siehe Fragebogen (im Anhang)
Lösungen finden. Manchmal tut es aber auch sehr gut, wenn der Betroffene sich
einfach die Last von der Seele reden kann und er endlich das Gefühl hat, ihm hört
jemand zu.
Viele werden auch nach der Therapie, wenn es ihnen schon wieder besser geht,
Mitglied einer solchen Gruppe. Manche tun dies, um weiter an sich zu arbeiten und
sich weiter mit der Krankheit auseinanderzusetzen. So können z.B. auch eventuelle
Rückfälle besser verkraftet werden. Für viele bietet die Gruppe auch den festen
Rahmen und die Sicherheit, die sie noch dringend brauchen. Andere wiederum
wollen ein gutes Beispiel sein und diejenigen motivieren, die noch tiefer in der
Essstörung stecken.
Auch in unserem Landkreis gibt es eine Selbsthilfegruppe für Mädchen und Frauen
mit Essstörungen, die sich jeden Freitag um 19.00 Uhr in den Räumen der
Suchtfachambulanz Burghausen trifft. Die Gruppe existiert seit April 2000 und
besteht derzeit aus etwa sechs Frauen zwischen 18 und Mitte 30. Allerdings
schwankt die Mitgliederzahl ständig, da manche unregelmäßig kommen oder derzeit
einen Klinikaufenthalt machen. Ich selbst bin seit Juni 2000 Mitglied.
Die Treffen beginnen immer um 19.00 Uhr, wobei in den ersten Minuten meist
Neuigkeiten ausgetauscht werden. Oft hat man beispielsweise Nachricht von
ehemaligen Mitgliedern bekommen oder die Öffentlichkeitsarbeit muss besprochen
werden (Plakate, Flyer, Visitenkarten, Ausstellungen usw.). Wenn zu diesen Themen
alles gesagt worden ist, startet die Leiterin die sogenannte „Runde“. Das bedeutet,
dass nun jeder erzählt, wie es ihm die letzte Woche ergangen ist, welche Probleme er
hatte, was ihn geärgert oder gefreut hat usw. Dabei geht es natürlich nicht nur um
Fressanfälle oder Hungern, sondern um das ganze Leben und den Alltag. Die
wichtigste Regel ist, dass jeder die Zeit bekommt, die er braucht und die anderen ihm
aufmerksam zuhören. Natürlich soll man auch ehrlich zu sich selbst und den anderen
sein. Deshalb hat die Gruppe den Grundsatz „Es gibt kein eigentlich“ aufgestellt.
Dadurch sollen Sätze wie „Eigentlich geht es mir gut.“ oder „Eigentlich bin ich mit
dem Erzählen fertig.“ vermieden werden.
Um mir bei meiner Facharbeit zu helfen, war meine Gruppe bereit, folgendes
Gespräch mit mir zu führen und dabei ihre Meinung zum Thema Selbsthilfe zu
erklären.
Nina: Daniela, gab es einen bestimmten Grund dafür, dass du die Gruppe gegründet
hast?
Daniela: Der eigentliche Auslöser war ein Artikel über Essstörungen im
Wochenblatt. Es wurde behauptet, der Grund für Essstörungen sei oft die Werbung.
Das hat mich geärgert und da ich zeigen wollte, was wirklich los ist, habe ich mich
bei der Zeitung gemeldet. Dort habe ich erfahren, wie groß die Resonanz gewesen
war und wie großer Bedarf für eine Selbsthilfegruppe bestünde. Es gibt nämlich
meines Wissens keine richtige Gruppe für essgestörte Frauen in den Landkreisen
Altötting, Mühldorf, Pfarrkirchen und Traunstein. Daraufhin habe ich mich mit Hr.
Brand von der Suchtfachambulanz getroffen und die Rahmenbedingungen
ausgemacht.
Nina: Ihr anderen gehört alle seit kurzem oder schon recht lange zur Gruppe. Könnt
ihr mir sagen, worin ihr allgemein den Sinn von Selbsthilfe seht?
Birgit: Ich finde den Erfahrungsaustausch am Wichtigsten, denn dabei sieht man
endlich, dass andere die gleichen Probleme haben. Außerdem kann man private
Kontakte knüpfen und wieder aus der Isolation herauskommen.
Daniela: Genau das finde ich auch. Ich bin jetzt sogar schon öfter gemeinsam mit
Birgit zum Essen gegangen und wir konnten uns dabei gegenseitig helfen und
unterstützen.
Nina: Hat sich für eine von euch auch etwas verändert, seit sie in der Gruppe ist?
Beate: Ich habe in letzter Zeit wesentlich weniger erbrochen, was teilweise auch an
der Gruppe liegt.
Daniela: Für mich ist die Selbsthilfegruppe ein fester Punkt, an dem ich mich
orientieren kann. Der Freitag Abend gehört einfach mir, und daran darf sich auch
nichts ändern.14
V. Leben nach der Krankheit
Gibt es das überhaupt? Grundsätzlich kommt das wohl ganz auf die jeweilige Person
und ihre individuelle Krankheitsgeschichte an.
Sehr junge Frauen und solche, die nur einen begrenzten Zeitraum an Bulimie
erkrankt waren, können es sicher schaffen, wieder ein normales Leben zu führen.
Dazu gehört nicht nur, dass sie sich gesund und ausgewogen ernähren, keine
Fressanfälle mehr haben und nicht mehr erbrechen, sondern auch, dass sie wieder
normal mit ihrem Körper, ihren Gefühlen und Problemen umgehen können. Dies
wäre natürlich der Idealfall, aber die Realität sieht meist anders aus.
Viele Bulimiekranke können nach einer Therapie zwar entspannter mit der Nahrung
umgehen, werden aber trotzdem immer ein problematisches Verhältnis dazu haben.
14
Quelle siehe Gesprächsprotokoll (im Anhang)
Das kann z.B. bedeuten, dass sie weiterhin Light- Produkte bevorzugen, bestimmte
Lebensmittel meiden oder in Extremsituationen wieder Heißhungerattacken haben.
Bei manchen Betroffenen ist die Bulimie zur Lebenseinstellung geworden. Ihr ganzer
Tagesablauf ist von Fressen und Kotzen bestimmt und normales Essverhalten haben
sie längst verlernt. Man kann das vielleicht nachvollziehen, wenn man bedenkt, dass
manche über Jahrzehnte an Bulimie leiden. In solchen Fällen scheitern auch die
meisten Therapieversuche (da sich die krankmachende Problematik durch das ganze
Leben zieht oder sehr weit zurückliegt) und ob es ein „Leben nach der Krankheit“
gibt, ist fraglich.
Davon soll aber im Folgenden nicht ausgegangen werden, denn es gibt durchaus ein
lebenswertes Leben ohne Bulimie. Deshalb möchte ich als Abschluss zeigen, was
wichtig ist, wenn man die Bulimie einigermaßen überwunden hat und welche
Probleme dabei auftauchen können.
1. Neue Lebensinhalte finden
Wenn man sich bewusst macht, wieviel Zeit eine ausgeprägte Bulimie in Anspruch
nimmt, ist es leicht verständlich, dass man diese sinnvoller gestalten muss, um die
Krankheit hinter sich zu lassen. Schon während der Therapie und vor allem danach
sollte man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass eine Stunde mit Fressanfall
und Erbrechen eine verlorene Stunde ist. Man hätte diese Zeit wesentlich sinnvoller
gestalten können, indem man sich etwas Gutes tut.
Ich persönlich finde es etwas leichtfertig, wenn Bücher den Rat geben, zu lesen, ein
Bad zu nehmen, zu schreiben oder zu telefonieren, wenn ein Fressanfall naht. Wenn
wirklich Fressdruck vorhanden ist, kommt es meistens tatsächlich zu einer
Heißhungerattacke und die Betroffene wird sich kaum auf ein Buch oder Ähnliches
konzentrieren können.
Deshalb verstehe ich unter „neue Lebensinhalte finden“ nicht, dass man krampfhaft
versucht sich abzulenken und von einer Beschäftigung zur nächsten hetzt, denn das
kann nur eine kurzfristige Strategie zur Vermeidung von Fressanfällen sein. Man
muss hingegen erkennen, was wirklich wichtig ist und was wirklich gut tut. Wenn
man lernt, entspannter und ruhiger zu leben, wird auch das Verlangen nach
Fressanfällen abnehmen.
2. Die Gefahr eines Rückfalls
Es wird wohl kaum eine Bulimikerin geben, die ihre Sucht hinter sich lassen kann,
ohne einmal rückfällig zu werden. Viele sind wohl noch Jahre nach der eigentlichen
Bulimie gefährdet. Vielleicht kann man diese Tatsache mit Fahrrad fahren
vergleichen: Man hat es zwar gelernt und kann sich sicher auf dem Rad fortbewegen,
aber ein Sturz ist trotzdem jederzeit möglich. (Besonders dann, wenn man nicht gut
auf sich achtet oder mit den Gedanken woanders ist.)
Ist man einmal rückfällig geworden, ist es das Wichtigste, diesen Vorfall nicht als
Katastrophe zu bewerten. Man sollte sich auf keinen Fall als Versager abstempeln
und denken, dass man nun alles Erreichte wieder verloren hat. Sonst ist die Gefahr,
sich gehen zu lassen, sehr groß.
Im Gegenteil: Hat man die Bulimie für einen gewissen Zeitraum hinter sich gelassen,
hat man viel Stärke bewiesen und kann stolz auf sich sein. Der Rückfall zerstört also
nicht die bisherigen Fortschritte, sondern er ist ein wichtiger Hinweis! Man sollte
nun genauer hinsehen, was in letzter Zeit schief gelaufen ist, was einem gefehlt hat
oder vor was man sich mit dem Fressanfall schützen wollte. Oft kann es auch zu
einem Anfall kommen, wenn man sich wieder kontrollierter ernährt oder Diät hält.
Allgemein muss man bedenken, dass sich die Bulimie langsam eingeschlichen hat,
und dass man Jahre mit ihr gelebt hat. Wie soll dann der Abschied von dieser Sucht
von heute auf morgen gehen? Das ist mit Sicherheit kaum möglich und man sollte
nicht ungeduldig werden, sondern sich die Zeit geben, die man braucht. Dazu gehört
auch, sich Rückfälle einzugestehen und etwas Positives aus ihnen zu ziehen.
Literaturverzeichnis
1. Backmund, H. und Gerlinghoff, M., Essen will gelernt sein, Weinheim, Beltz
Verlag, 2000
2. Backmund, H. und Gerlinghoff, M., Was sind Ess- Störungen?, Hemsbach,
Druckhaus Beltz, o.J.
(Informationsschrift des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und
Sozialordnung,
Familie, Frauen und Gesundheit)
3. Baeck, S., Ess- Störungen, Bundeszentale für gesundheitliche Aufklärung, Köln,
o.J.
4. Cavelius, A. und Grasberger, D., Befreiende Wege aus der Bulimie, München,
Südwest Verlag, 1999
5. Keppler, C., Bulimie – Wenn Nahrung und Körper die Mutter ersetzen, Solothurn
und Düsseldorf, Walter Verlag, 1995
6. Pschyrembel, klinisches Wörterbuch, Berlin und New York, Walter de Gruyter,
1994, 257. Auflage
7. Wise, K., Wenn Essen zum Zwang wird, Mannheim, PAL Verlagsgesellschaft,
1992
Internetquellen
8. www.heisshunger.net
Weitere Quellen (im Anhang)
Behandlungskonzept der Klinik Roseneck
Erfahrungsbericht der ehemaligen Roseneck Patientin Birgit
Tagesablauf von Eva S. in Roseneck, Briefform
Fragebogen an die Dipl. Psychologin Karin Erl
Gesprächsprotokoll „Interview mit der Selbsthilfegruppe“
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