Alfred Nobel

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Alfred Nobel
Der Krieg, die Liebe, die Preise
Schauspiel in zwei Akten
Stockholm (Schweden) 1890
Personen: Nobel ca. 55 Jahre, Guerend ca. 40 Jahre, Claire ca. 35 Jahre,
Angelo ca. 40 Jahre.
Buehnenbild: Ein luxurioeses Buero. Eine Sprechanlage auf dem Schreibtisch. Eine
Tuer, ein Fenster, ein Sofa. Beim oeffnen des Vorhangs steht Nobel
neben seinem Schreibtisch.
NOBEL: - (Drueckt einen Knopf der Sprechanlage) – Sag Guerend, er soll sofort
hereinkommen. (Er wartet.Er nimmt eine Pistole aus der Schublade. Er haelt sie hoch.
Sieht sie mit Genugtuung an und legt sie auf den Tisch. Es klopft an der Tuer.
- Herein! (Guerend tritt ein)
- „Pourquoi“, Tritt ein! (Nobel lacht ironisch) Ich nenn dich „Pourquoi“ , nur
wenn wir allein sind oder wenn mir jemand nahe steht. Vor anderen nenn ich
dich immer Guerend. Ich bin vorsichtig. Setz dich dorthin, gegenueber der
Tuer. Oder vielleicht nicht. Es koennte gefaehrlich sein. Geh dorthin, an die
andere Seite meines Schreibtisches.
(Guerend begibt sich dorthin und bleibt stehen. Nobel nimmt die Pistole, haelt sie
hoch und sieht sie an.)
- Kannst du es sehen? Was fuer einen aerodynamischen Lauf. Jetzt wirst du es
auch hoeren.
(Nobel dreht sich in Richtung Tuer und zielt auf eine metallene Platte neben der Tuer.
Er schiesst ein- zwei- dreimal. Guerend haelt seine Ohren zu.)
-
Schnell, eh? Fast automatisch. Meine neue Erungenschaft. Sie heisst „Quick“.
Sie durchschlug eine dicke Metallplatte, drei Millimeter dick. Es durchlochte
ihren Wulst. Ha, ha! Ich bin ein guter Scharfschuetze. Es ist eine Vier-SchussPistole. Die vierte Kugel behalte ich zurueck fuer...Pourquoi.
(Guerend dreht sich langsam zu ihm um.)
- Komm, sei nicht erschrocken, du weisst, dass ich scherze. Ich sagte...fuer
Pourquoi, nicht fuer Guerend, nicht fuer dich. Pourquoi, dein romantisches
Ich, der Utopist, der Traeumer, muss sterben. Aber du bist es, der ihn toeten
wird, nicht ich...so dass der echte Guerend ueberleben wird und erfolgreich
sein wird. Du mein guter Interpreter und Begleiter auf meinen Reisen. Sieben
Sprachen, wie hast du sie alle so gut gelernt, mein alter Freund? ...Welch gute
Aussprache...Als wenn du ein Einheimischer waerst, in jedem Land wohin wir
gehen. Ich wuerde dir sehr gerne auf franzoesisch sagen hoeren „Pourquoi la
guerre, pourquoi mes freres?“, Warum der Krieg, meine Brueder, warum?
Trag es bitte noch einmal vor, damit ich es geniesse.
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Die zwei grossen Armeen, die einen von den Preussen, die anderen von Napoleon,
in Kampfstellung. Ploetzlich laeuft ein junger franzoesischer Soldat zwischen den
beiden Armeen und beginnt zu schreien:
„Pourquoi la guerre, pourquoi mes freres, pourquoi? Traegst du es noch einmal
vor?
GUEREND: - (Sieht Nobel einen Moment unbeweglich an.)
- Haben Sie etwas Herr Nobel?
NOBEL: - Dein Buch? Ich habe es dem besten Herausgeber in der Stadt gegeben,
welcher ein enger Freund von mir ist. Wenn er damit einverstanden ist, werde ich
die Herausgabe bezahlen. Bis zu diesem Zeitpunkt keine Antwort. Ich werde ihn
jetzt anrufen.
(Er waehlt die Nummer. Er spricht am Telefon:)
- Hallo, Geits, ich rufe dich an wegen Guerends Buch „Pourquoi la guerre?“
„Warum der Krieg?“ Hast du es gelesen? Hast du es geprueft? Nur die Haelfte
davon? Bist du damit einverstanden? Genehmigst du es? Abgelehnt?
(Kurze Pause) Prima. Auf Wiederhoeren.
(Er legt auf. Er laechelt Guerend zufrieden an.)
Verstehst du jetzt? Habe ich es dir nicht schon vorher gesagt?
GUEREND: - Ich koennte es selbst drucken und herausgeben. Aber mein Gehalt
reicht nicht. Kannst du wenigstens das Papier bezahlen?
NOBEL: (Hart) – Ich? Bezahlen fuer ein Buch welches die Abschaffung des
Krieges propagiert? Eine bloede Idee. Krieg ist der Vater aller Dinge. Feindschaft,
Anziehung und Abstossung, FILOS und NIKOS, das ist Krieg. Das sind die zwei
fundamentalen Elemente des Universums, sagt Heraklitus. Ich habe selbst
Philosophie gelesen, nicht nur du.
GUEREND: - Entschuldigung, du gibst es falsch wieder. Heraklitus meinte es
nicht genauso. Anziehung und Abstossung sind die These und die Antithese, die
aktiven und die passiven Kraefte, welche mit der Einwirkung einer dritten Kraft
zur Synthese und Kompensation, zur Kreation, zu einem neuen Status fuehrt.
Philosophie ist nicht einfach. Es ist nichts, was jemand auf sich anwenden kann.
Entschuldigung.
NOBEL: - Vergess die Philosophie. Siehe die Fakten an. Du willst, dass ich, der
groesste Kriegsindustrielle in der Welt, fuer dein Anti-Kriegsbuch bezahle?
Solange du fuer mich arbeitest, wirst du von mir bezahlt, lasst uns sagen, durch
den Krieg. Siehst du wie widerspruchsvoll du bist?
GUEREND: - Ich arbeite nicht fuer den Krieg. Ich arbeite fuer dich.
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NOBEL: - Ich liefere fuer den Krieg. Ich besitze die groessten KriegsmaterialWerke in der Welt. So, du schreibst fuer den Krieg, aber du schreibst fuer seine
Abschaffung. Bist du kein Hypokritiker wie die meisten Intellektuellen?
GUEREND: - Mit zwei mehr Gehaeltern werde ich es schaffen mein Buch
herauszugeben. Dann werde ich gehen.
NOBEL: - Und von was willst du leben?
GUEREND: - Ich werde von meinem Buch leben.
NOBEL: - Ha, ha, ha! Idiot! Du wirst nicht einmal zehn Ausgaben verkaufen.
Hoer nur auf ihn hin. Er wird von seinem Buch leben.
GUEREND: - Entschuldigung. Du hast mich miss...missverstanden.
NOBEL: (Hoehnend) – Du hast mich miss...missverstanden.
GUEREND: - Ich meinte nicht, ich wuerde von diesem Buch finanziell leben. Ich
meine, ich werde mit meinem Buch leben, dass heisst, mit den Ideen des Buches.
Ich werde fuer diese Ideen leben...
NOBEL: - Und dein Brot? Wie willst du es verdienen?
GUEREND: - Der Mensch lebt nicht vom Brot allein...
NOBEL: - Ah! Du bist also auch ein Christ? Das vertraegt sich nicht mit
Philosophie.
GUEREND: - Die Wahrheit, die wahren Ideen, sind identisch mit der Lehre von
Jesus und in jeder wahren Philosophie.
NOBEL: - Quatsch! Du wirst nicht ueberleben. Du bewegst dich auf den Abgrund
zu. Du vergeudest dein Leben. Nur fuer eine Idee, einer Utopie, eine dickkoepfige
Sache. Angenommen, deine Idee wird angenommen, etwas Unmoegliches,
natuerlich. Ich sagte,vorausgesetzt. Was wuerde mit den zweitausend meiner
Arbeiter und deren Familien geschehen? Da sind noch weitere zehntausend Leute
die von den Gehaeltern leben, die ich bezahle. Was wuerde mit den tausenden
Leuten passieren, die das Material produzieren, dass sie mir verkaufen? Und das
Vermoegen, das ich in meine Fabriken investiert habe? Millionen und
Abermillionen? Meine Vertreter und Haendler an so vielen Orten rund um die
Welt? Du wuerdest ihren wirtschaftlichen Ruin verursachen...
GUEREND: - Hast du mein Buch gelesen?
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NOBEL: - Die ersten zehn Seiten. Ich habe es verstanden. Es ist eine AntikriegsProklamation. Ich habe keine Zeit Utopien zu lesen. Ich bin nicht interessiert.
GUEREND: - Wenn du es durchgelesen haettest, wuerdest du den Plan erkannt
haben, die volle Perspektive der Abschaffung des Krieges. Es ist eine grossartige
Perspektive. Die Wirtschaft wuerde nicht zerstoert. Sie wird die Richtung
aendern. Sie wird ihre Ziele, ihr Vorhaben aendern. Nicht der individuelle
finanzielle Profit, sondern der Lebensstandard, die Qualitaet der menschlichen
Beziehungen, koennte das Objekt der ekonomischen Aktivitaet werden.
NOBEL: - Nicht mehr deine unsinnigen...(Drinn...!) (Nobel hebt den Hoerer ab.)
Qui, un moment, mon interprete. (Zu Guerend :) – Dolmetscher, Telefon...
GUEREND: (Er nimmt den Hoerer) – Qui, d`accord. (Er nimmt einen Stift und
schreibt, waehrend er eine Zeitlang am Schreibtisch sitzt.) (Nobel reibt zufrieden
seine Haende.) (Guerend haengt auf.)
- Es war Payot, dein franzoesischer Vertreter.
NOBEL: - Das weiss ich. Fahre fort. Seine Bestellung.
GUEREND: - Zwoelfhundert Quick-Pistolen. Sechshundert fuer Paris und
sechshundert fuer Bruessel, Belgien.
NOBEL: - Ein Triumpf. Das ist, was ich erwartet habe. Diese Bestellung. Jetzt
werden dutzende von Bestellungen folgen. Morgen frueh, vielleicht heute, wenn
ich es zeitlich schaffe, werde ich den letzten Teil der Zentral Bank kaufen. Es wird
alles mir gehoeren. Die groesste Bank im Land mit vielen Zweigstellen.
Vermoegensmasse? Billionen Kronen...Ich sag dir nicht wieviel, damit es dich
nicht schockiert.
(Nobel sieht beaengstigt aus, ungeduldig.)
- Wie spaet ist es? (Er sieht zur Uhr an der Wand.) Genau zwoelf. (Die Uhr
schlaegt ein-, zwei-, dreimal, dann, ein schrecklicher Knall einer Explosion ist zu
hoeren, der das Fenster zum Fibrieren bringt. Guerend springt von seinem Sitz auf
und haelt sich am Schreibtisch fest, waehrend Nobel stehend seine Haende mit
Genugtuung reibt.)
NOBEL: - Das war es. Ein perfekter Erfolg. Ein hundertprozentiger Treffer. Zwei
Treffer gleichzeitig. Zwei Voegel mit einem Stein. Was Voegel? Loewen!
(Zu Guerend) – Was ist los mit dir? Wurdest du ohnmaechtig? Du bekamst einen
grossen Schock. Du wirst es verstehen, sobald ich dir die Fakten erklaert habe.
Komm zum Fenster. Kannst du das Feuer auf der Huegelspitze sehen?
GUEREND: - Aber dort, dort war das Waisenhaus der Stadt. Ein zweistoeckiges
Gebaeude. Ein traditionsreiches Meisterstueck der Architektur. Was ist mit dem
Waisenhaus passiert?
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NOBEL: - Welches Waisenhaus? Dort waren im ganzen zehn Kinder. Sie wurden
in die Pension im Zentrum der Stadt transportiert.
GUEREND: - Sie haben den Landsitz, die Felder, den Himmel verloren.
NOBEL: - Das Gebaeude war alt, zerbroeckelt. Ich kaufte das Stueck Land.
GUEREND: - Und warum hast du das Gebaeude in die Luft gesprengt?
NOBEL: - Das ist, weshalb ich das Land erworben habe. Um das Gebaeude zu
bombardieren. Mit Granaten. Ich habe es nicht von Innen in die Luft gejagt,
sondern aus der Entfernung. Ich habe die groesste Entdeckung des neunzehnten
Jahrhunderts gemacht, in ihrer letzten Dekade. Weisst du wieviele militaerische
Abgeordnete von auslaendischen Staaten die Explosion gesehen haben? Dutzende.
Sie waren meine Gaeste.
GUEREND: - Und wie nennt sich deine Erfindung?
NOBEL: - Ballistik. Rauchloses Schiesspulver. Denk an dieses Wort. Es wird den
Krieg industrieller, fortschrittlicher machen. Keine Kaempfe Mann gegen Mann
mit Schwert und Bajonett. Sondern mit Granaten aus grosser Entfernung.
Derjenige, der die meisten Granaten besitzt, wird gewinnen. Es werden nicht so
viele Soldaten in der Hoelle des Schlachtfeldes in Schlamm und Schnee getoetet.
GUEREND: - Und mehr Zivilisten, Bewohner in den Staedten und Doerfern,
werden getoetet. Noch viel mehr Tote und Verwundete.
NOBEL: - Ich sprach ueber zwei Erfindungen. Fraegst du mich nicht, welche die
zweite ist?
GUEREND: - Welche?
NOBEL: - Der Startmechanismus. Leicht, mit Dreifuss-Stativ, um ihn an den
Grund zu befestigen. Ich mag gross in der Chemie von explosivem Material sein,
aber ich bin auch ein sehr guter Ingenieur und Mechanik-Ingenieur. Ich habe in
der USA bei unserem grossen Landsmann John Erikson studiert. Ich sehe vorher,
dass Kanonen abgeschafft werden, da sie schwer sind und so schwer zu bewegen
sind. Jetzt, diese Haubitze kann ueberall hin. Sie kann von zwei Mann
transportiert werden, sogar von einem starken Mann. Sie kann sogar durch enge
Pfade bewegt werden. Der Krieg wird sein Gesicht aendern, mit diesen, meinen
Erfindungen. Er wird industrialisiert sein. Das Ende dieses Jahrhunderts, ihre
letzte Dekade, wird den Beginn einer neuen Art Krieg zu fuehren markieren und
nicht das Ende der Abschaffung des Krieges sein, wie du in deinem Buch
schreibst.
GUEREND: (Ueberrascht, gluecklich) – Du hast also mein ganzes Buch gelesen!
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NOBEL: - Bis zu dem Punkt, wo du diese Dinge erwaehnst.
GUEREND: - Dieses ist nahe dem Ende des Buches erwaehnt. (Bewegt:) Danke.
Das genuegt fuer mich. Jetzt kennst du die volle Wahrheit.
NOBEL: - Welche Wahrheit?
GUEREND: - Diejenige, die ich in meinem Buch ueber die tieferen Ursachen des
Krieges enthuellt habe. Ueber die Verruecktheit der Rache, der Pflicht-, Herrsch-,
Autoritaetssucht von einigen kraftbesessenen, ehrgeizigen Menschen. In der Tiefe
ihrer Herzen neurotisch, ungluecklich und tief verwundete Menschen, welche den
Weg des Sadismus eingeschlagen haben, oder auf der Ansammlung von Reichtum
durch Kriegshandlungen und Auspluenderung. Menschen, die eher in
Anstaltskleidung angekleidet sein sollten, als in die von einem Koenig oder
Marschall. Sie hetzen zum Krieg auf. Die Kriegsindustrie liefert genau fuer diese.
Krieg kann enden, kann abgeschafft werden, so schnell bis zum Ende des
Jahrhunderts, wenn die Menschheit diese Wahrheit erkennen wuerde, wenn viele
Menschen mein Buch lesen.
NOBEL: - Ha, ha, ha! Die meisten Menschen sind analphabetisch, ungebildet.
Nur wenige koennen lesen.
GUEREND: - Diejenigen, die es koennen, werden es anderen vorlesen, werden
ihnen davon erzaehlen, mit ihren eigenen Worten. Es wird ein Aufstand geben,
eine grosse Welle von Ablehnung des Krieges, durch die Kenntnis der Wahrheit.
Die Menschen werden nicht akzeptieren an Kriegshandlungen teilzunehmen. Die
Chefs, Koenige, Presidenten und andere, werden gezwungen ihre Feindschaft,
jedes Problem, durch Gespraeche, Ablehnung, gegenseitige Einwilligung und
Austausch zu ueberwinden. Eine neue Aera des Friedens wird beginnen, eine neue
Aera der Menschlichkeit, Zivilisation und Gutherzigkeit. Die Industrie wird
friedensorientiert sein. Armut wird ueberwunden.
NOBEL: - Du fantasierst! Bist du vielleicht sehr hungrig und bist angefangen zu
fantasieren ? Aehnlich, als ich dich in deinem Zimmer fand, dich schuettelnd vor
Kaelte und Hunger? Komm zurueck zu dir selbst. Sonst wirst du verloren sein.
Umsonst!
GUEREND: - Nein, nicht umsonst. Ich muss nicht umsonst verloren gehen. Ich
muss mein Buch herausgeben. Ich muss gegen die Zeit arbeiten.
(Es klopft an der Tuer.)
STIMME: (Von draussen) – Ich bin es, Claire.
NOBEL: - Tritt ein! (Claire kommt herein.)
CLAIRE: - Die Explosion…
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NOBEL : (Zufrieden) – Erfolgreich, he ? Hast du es gesehen? Hast du das Feuer
gesehen? Bist du gluecklich?
CLAIRE: (Bleibt ruhig, um nicht seine Fragen beantworten zu muessen.) Die
Explosion hat die Militaer-Attaches der auslaendischen Botschaften und die
Handlungsbevollmaechtigten der auslaendischen Armeen, welche Sie eingeladen
haben, dabei zu sein, stark beeindruckt. Einige wuenschen ein Treffen mit Ihnen,
sobald wie moeglich. Wenn moeglich, noch heute.
NOBEL: - Natuerlich. Um zwei Uhr sind sie zum Essen im grossen Rathaus, das
fuer diese Gelegenheit als Esshalle dient. Nach dem Essen werde ich zu ihrer
Verfuegung stehen. Weisst du vielleicht, ob sie einige Bestellungen unserer neuen
Produktion erteilen werden?
CLAIRE: - Ja, einige von ihnen.
NOBEL: - Und wie werden sie bezahlen? Haben sie es dir gesagt?
CLAIRE: - Sie sind von ihren Ministerien autorisiert, Garantie-Schreiben zu
hinterlegen und einige Vorauszahlungen in bar an die Zentral Bank zu machen.
NOBEL: (Reibt sich seine Haende zufrieden) – Hervorragend. Claire, du bist
wunderbar. Ich mochte dich vom ersten Kontakt an. Ich fuehlte etwas dabei, als
ich beschloss, dich in mein Buero aufzunehmen. Aber jetzt...
(Claire fuehlt sich ueberrascht, sich schaemend, verlegen. Sie sieht Guerend an, er
sieht sie an. Nobel sieht beide an, zoegert einen Augenblick und faehrt dann fort:)
- Ich verdanke meinen Erfolg, meine Erfindungen auch euch, wenigsten fuer
einen kleinen Teil.
CLAIRE: - Mir?
NOBEL: - Mit deinen Experimenten mit Nitro-Glyzerin in meinen Labors, hast du
mir geholfen, Dynamit zu entdecken. Es ist die groesste Entdeckung in der
Kriegsgeschichte, die es jemals gegeben hat. Herzlichen Glueckwunsch.
CLAIRE: - Ich habe keine Experimente mit Nitro-Glyzerin fuer Kriegsmaterial
gemacht, fuer den Kriegsgebrauch. Ich bin dagegen. Ich bin ablehnend
gegenueber das, was Sie tun. Ich habe es Ihnen bereits gesagt.
NOBEL: - Dagegen? Ich hoere es jetzt zum ersten Mal.
CLAIRE: - Erinnern Sie sich nicht daran, dass ich Ihnen gesagt habe, dass wir mit
der gewaltigen explosiven Kraft dieses Materials einen radikalen Wandel in der
Herstellung von Strassen, Tunnel, Bergwerken, Kanalisation und Daemmen
bewerkstelligen koennen?
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Wir koennen die Entfernung zwischen den Staedten und Laendern reduzieren. Wir
koennen die harte, inhumane Arbeit von tausend von Arbeitern im Strassenbau,
mit den Hacken, den Brecheisen, abschaffen. Ich dachte nur an diesen Gebrauch
des Materials.
NOBEL: - Und nicht die Bombengranaten. Ich habe es verstanden.(Sieht sie
pruefend an, dann sieht er Guerend an, bleibt fuer eine Weile still.)
Traeumst du vielleicht auch vom Ende der Kriege, der Abschaffung des Krieges?
CLAIRE: - Warum nicht? Jede logisch, rational denkende Person wuerde es
wuenschen.
NOBEL: - Hast auch du vielleicht Guerends Manuscript gelesen? Pourquoi la
guerre – Warum die Kriege?
CLAIRE: - Ja, ich habe.
NOBEL: - Ha, ha, ha! Hast du gesehen, was fuer unsinnige Ideen er entwickelt?
Er glaubt, dass der Krieg schon bald, in wenigen Jahren, vor dem Ende der
Dekade dieses Jahrhunderts, abgeschafft werden kann. Ist er nicht ein bloeder
Kerl, unrealistisch, ein Tagtraeumer?
CLAIRE: - Ganz und gar nicht. Ich finde seine Ideen rational und durchfuehrbar,
erreichbar.
NOBEL: - Was sagtest du? Bist du durch diese Ideen beeinflusst worden?
Hypnotisiert? Glaubst du ausserdem, dass Krieg in ein paar Jahren abgeschafft
werden kann?
CLAIRE: - Ich glaube nichts. Ich sagte, diese Idee sei realisierbar, dass heisst, sie
koennte ausgefuehrt, angewendet werden, wenn...
NOBEL: - Wenn Nobel seine Erfindungen von explosivem Material fuer die
Kriegsmaschinerie einstellen wuerde. Wenn er seine Fabriken schliesst. Wenn er
seine Erfindungen nicht an die Staatsmaenner verkaufen wuerde...
CLAIRE: (Zustimmend) – Wenn Nobel dies tun koennte. Oh! Was fuer ein
grosser Schritt des Fortschritts fuer die ganze Menschheit.
(Das Telefon klingelt. Nobel hebt ab.)
NOBEL: - Hallo! (Hoert) Ich komme sofort.(Zu den zwei Personen:) Der Koenig
hat mir eine eilige Mitteilung durch seinen Abgeordneten Lord Chamberlain
mitteilen lassen. Ich muss gehen und ihn sofort treffen. Ihr bleibt hier. Ich sollte
mich nicht verspaeten. Worum kann es sich handeln? Wahrscheinlich, (Er
laechelt)...mir eine bestimmte Bestellung von Quick-Pistolen aufzugeben. In
seiner Person habe ich einen sehr guten Vertreter, einen grossen Handelsmann.
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Alles bleibt zwischen uns. Ich halte euch beide, meine eigenen Leute, fuer
vertrauensvoll. Ich will, dass ihr es wisst.
(Nobel geht hinaus. Claire und Guerend bleiben eine Weile ruhig, ohne sich
einander anzusehen. Dann sehen sie sich laechelnd einander an.)
GUEREND: - Seine eigenen, vertrauensvollen Leute...Aber versteht er nicht den
Abstand, der uns trennt? Wie verschieden wir denken und fuehlen? Wie kannst du
es erklaeren, Claire?
CLAIRE: - Er sieht nur sich selbst. Er sieht sich selbst oder die andere Person als
sein Spiegelbild. Er ist so verblendet bei seiner Selbstvergoetterung, dass er alle
anderen Leute als ein Spiegelbild von sich selbst ansieht. Denkst du nicht auch so?
GUEREND: - Ja, sicher, aber warum? Mag sein wegen seines Erfolges?
CLAIRE: - Ja, wahrscheinlich. So wie er seinen Erfolg, seinen finanziellen
Aufschwung sieht, macht ihm glauben, dass er selbst der Erfolg ist. Er hat es mit
dem Bild von sich selbst gleichgesetzt und ist unfaehig unabhaengig davon zu
denken, abseits vom Zustand seines Verstandes. Nur Gott weiss, wo dieser
Zustand aufhoeren koennte.
GUEREND: - Er scheint zu fuehlen, dass alle anderen zusammen unwichtig sind.
Sie existieren nur fuer ihn, um ihn zu bewundern, um ihm zu gehorchen.
CLAIRE: - Das koennte die Art sein, wie die damaligen Imperatoren gefuehlt
haben, wenn sie von ihren Untergebenen verlangten, sie als Goetter anzubeten.
Absolute Vormachtstellung, absolute Egozentrik, absolute Eitelkeit.
GUEREND: - Absolut gefaehrlich.
CLAIRE: - Warum sagst du das, Guerend?
GUEREND: - Weisst du wieviele Menschen getoetet, verwundet und zu
Krueppeln wurden, verursacht durch das Material, dass Nobel an die Armeen von
ganz Europa verkauft und nicht nur dort?
CLAIRE: - Ist es das, was du meinst? Du hast Recht. Das ist, warum ich dein
Buch so gern mag. Weil es auf Tatsachen beruht, auf den Fakten die wir beim
Arbeiten, durch Zusammenleben mit dem grossen Erfinder und Industriellen
Alfred Nobel, bestaetigt finden. Ich danke dir, dass du mir das Manuskript vor der
Veroeffentlichung anvertraut hast.
GUEREND: - Glaubst du, dass es jemals herausgegeben wird?
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CLAIRE: - Warum nicht? Solch gute Ideen, so kraftvoll, so aufschlussreich, so
wahr. Wer wuerde die Wahrheit nicht akzeptieren, wenn du sie ihnen zeigst?
GUEREND: - Ich werde die Bemuehung nicht aufgeben, aber ich habe nicht viel
Hoffnung.
CLAIRE: - Was mich betrifft, ich habe mein Poem, mein Lied, veroeffentlicht,
fuer welches ich die Inspiration von deinem Buch habe.
GUEREND: - Was fuer ein Lied?
CLAIRE: - Sie hier! (Sie nimmt eine Zeitschrift aus ihrer Handtasche und weist
auf eine Seite)
GUEREND: (Liest) Krieg und Liebe.
CLAIRE: (Steckt die Zeitschrift zurueck) Ich moechte es dir gerne vorlesen, um
es der richtigen Intonation zu geben. Oder, eher, ich singe es dir vor.
(Bevor sie zu singen anfaengt, hoert man eine laute melodische Musik, Rythmik,
vielleicht eine Polka, Mazurka.)
Hoer, sie haben das koenigliche Orchester fuer den Empfang der militaerischen
Represedanten hergebracht. Sie werden essen, sie werden trinken, sie werden
tanzen, auf Kosten von Nobel.
GUEREND: - Und sie werden Dynamit und Granaten kaufen, um Nobels
Einnahmen zu vergroessern. (Sie lachen)
CLAIRE: - Hoer dir die Melodie aufmerksam an. Es ist ein traditioneller
Volkstanz, eins der besten in unserem Land. Pam, pam, pam, param, param. Pam,
pam, pam, param, param. Mein Lied ist exakt auf dem Rythmus abgestimmt.
Derselbe Takt. Sieh her! (Sie zeigt auf eine Seite.) Die Musik ist geschrieben. Soll
ich es dir vorsingen?
GUEREND: - Mit Vergnuegen. Ich wuerde mich freuen, es zu hoeren.
CLAIRE: (Singt, waehrend sie zu dem Takt tanzt. Sie streckt ihren Arm Guerend
zu. Er ergreift ihn, und sie tanzen ‚alla bracetta’. Am Ende lachen sie gluecklich
und zufrieden.)
DAS LIED:
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- Wie verbringst du jeden Morgen,
Jeden Morgen, bis zum Abend?
- Mein Morgen, mein Abend
Ist nur Hektik, ist nur Qual.
In der Fabrik, an Maschinen,
Ich bereite jeden Tag,
Nitro-Glyzerin-Granaten,
Die Haeuser, Doerfer verbrennen,
Weisse, schwarze Kinder toeten.
- Nun sag mir bitte, lieber Freund,
Wie du deinen Tag verbringst?
- Morgens gehe ich spazieren,
In die Waelder, in die Berge.
Ich atme frische und reine Luft
Und ich singe voller Freude.
Und Nachmittags geniesse ich
Gesunde Arbeit in unserem Garten.
Und am Abend mit den Kindern,
Spiel ich und erzaehle Maerchen.
(Claire wiederholt die ersten vier Zeilen und Guerend singt die letzten vier Zeilen)
CLAIRE: - Morgens und Nachmittags…weiss und grau...
GUEREND: - Am Morgen gehe ich spazieren, ich atme die frische Luft und
singe. Keine Arbeit an der Maschine fuer das Nitroglyzerin. Dies ist die
Revolution, kein Lied. Es ist ein Katalysator, wie man in der Chemie sagt.
CLAIRE: - Seit ich Chemie-Ingenieur bin, erfand ich, schuf ich, einen
Katalysator. Er koennte sich als explosiver erweisen, als Nobels Dynamit.
GUEREND: - Aber wie wird es verbreitet werden?
CLAIRE: - Dieses Magazin geht an die Schulen, an die Schueler und Studenten.
Einige Kinder, Experten in Musik, koennten es schaffen, die Melodie zu den
geschriebenen Noten zu finden, und dann, wer koennte unser Lied arrestieren? Es
wird seine Fluegel ausbreiten und ueberall hinfliegen.
(Sie singen und tanzen zusammen zwei weitere Zeilen bei der Musik, die von
draussen zu hoeren ist. Ploetzlich oeffnet sich die Tuer und Nobel tritt herein.Er
bleibt stehen. Siet sie an.)
NOBEL: - Guerend, hinaus! (Weist ihm die Tuer. Guerend macht sich auf den
Weg hinauszugehen.) – Geh nicht weg, ich werde dich wiederrufen. Ich brauche
dich zum Dolmetschen mit den auslaendischen Abgeordneten, nach dem Essen.
Hoer! (Guerend hoert auf zuzuhoeren) Dein Buch, dein Manuskript, gut, ich
werde es vom Verleger holen, dem ich es gegeben habe und verbrenne es.
GUEREND: (Aengstlich) – Sie haben kein...kein Recht das zu tun. Wenn Sie das
tun, verlasse ich Ihr Beschaeftigungsverhaeltnis.
NOBEL: (Verhoehnt ihn durch Nachahmung) – Sie haben kein...kein Recht das zu
tun. (Er veraendert den Ton) Ich habe Spass gemacht...weisst du noch nicht wenn
ich Spass mache? Geh jetzt.
(Guerend geht hinaus. Nobel geht ein paar Schritte langsam in Richtung Claire)
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NOBEL: (Zaertlich) – Claire, mein Liebling, ich habe von dir nicht erwartet...
CLAIRE: - Ich bitte Sie, ich erlaube nicht, dass Sie so mit mir sprechen.
NOBEL: - Aber warum? Ich habe dir bereits gesagt, dass ich dich liebe, dass ich
dich vom ersten Augenblick wo ich dich sah, mochte und nahm dich in meine
Dienste.
CLAIRE: - Was...was hat das zu bedeuten? So viele Frauen arbeiten hier.
NOBEL: - Das ist nicht dasselbe. Du hast vergessen, dass ich dich in die
Universitaet brachte und du vier Jahre Chemie studiert hast, auf meine Kosten?
Du hast mir erzaehlt, dass du dich sehr fuer Chemie interessierst und ihre grossen
Moeglichkeiten, und ich tat dir sofort einen Gefallen.
CLAIRE: - Ich haette sowieso Chemie studiert.
NOBEL: - Wie? Mit welchem Geld? Ohne dem Gehalt, dass ich dir gab? Und mit
einigen Abwesenheits-Genehmigungen die ich dir fuer Pruefungen und Seminare
gab?
CLAIRE: - Ich habe nicht aufgehoert zu arbeiten.
NOBEL: - Ich sage nicht, ueberhaupt nicht. Du warst produktiv, aber ich half dir
auch. Erkennst du das nicht?
CLAIRE: - Bis zu einem gewissen Punkt. Und dies zu Ihrem eigenen Interesse.
Sie wuenschten einen guten Chemie-Ingenieur fuer Ihre Arbeit, Ihren
Experimenten, Ihren Erfindungen.
NOBEL: - Einen guten Chemiker und eine vertrauensvolle Person. Eine Person
von mir. So ist es, wie ich dich haben wollte, Claire. Kannst du eine
vertrauensvolle Freundin und die meine sein?
CLAIRE: - Ich kann nicht verstehen, was Sie meinen.
NOBEL: - Du musst es verstehen. Ich habe es dir auf verschiedene Weise und
oftmals gesagt. Bis jetzt standest du dich sehr gut mit mir. Wir haben so
reibungslos zusammen gewirkt. Was ist passiert, dass du deine Haltung gegen
mich gerichtet hast?
CLAIRE: - Nach der Zerstoerung des Waisenhauses, dem schoenen Gebaeude auf
der Spitze des Huegels.
NOBEL: - Das ist es, was dich erschrocken hat? Ich werde es wieder aufbauen,
zweimal groesser. Dort werde ich mein Zentralbuero errichten und ein kleines
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Hotel fuer die Repraesendanten und den Haendlern der Produkte meiner Fabriken.
Dorthin werden viele wichtige Leute aus vielen Laendern kommen. Wie gefaellt
dir diese Idee?
CLAIRE: - Entschuldigung, aber Sie verstehen mich nicht. Es gibt eine grosse
Distanz die uns trennt...Ich bin vollkommen entgegengesetzt zu Ihrem Charakter.
NOBEL: - Zu meinem Charakter? Was ist es, dass du nicht an meinem Charakter
magst?
CLAIRE: - All diese Kriegsindustrie, alle diese Erfindungen im Dienste der
Vernichtung, fuer den Horror des Todes, fuer die massive Kriminalitaet, genannt
Krieg, fuer die Verstuemmelungen, der Verstuemmelung von tausenden von
Menschen.
NOBEL: - Wie kannst du so reden, Claire? So sentimental? Hast du noch nicht die
Realitaet des Lebens verstanden? Du hast jetzt eine gewisse Reife, und du solltest
die Realitaet annehmen.
CLAIRE: - Realitaet ist fuer jeden so, wie er ueber das Leben denkt, seine eigenen
Gefuehle und Ideen, wie er die Bedeutung von Leben und seiner Qualitaet
wahrnimmt.
NOBEL: - Und siehst du nicht, dass das Leben Krieg, Feindschaft, der Instinkt
von Vormachtstellung, die Ausnutzung des einen durch den anderen ist? Weisst
du noch nicht, dass der grosse Fisch den kleinen frisst? Das der Wolf die Schafe
frisst, die Katze die Maus frisst, weisst du das nicht bereits? Muss ich dich daran
erinnern?
CLAIRE: - Ich weiss es. Aber all dieses steht zu keiner Relation zum Menschen.
NOBEL: - Aber die Menschheit ist genau so. Die Menschen funktionieren mit
demselben Instinkt. Hast du es noch nicht bemerkt?
CLAIRE: - Der Mensch als Tier, ja. Funktionen wie diese. Aber Sie vergessen,
wie ein Mensch als Mensch funktioniert. Sie haben die gesunde menschliche
Qualitaet vergessen. Die Sensitivitaet, die feine Art, die Ueberlegenheit seiner
Gefuehle, das Mitleid, Barmherzigkeit, Freundlichkeit, die Unschuld der
Meinung, die Liebe, die Freude der Existenz. Sie haben vergessen, dass das
menschliche Dasein die Faehigkeit hat sich selbst zu sehen, sich selbst anzusehen,
sein eigenes Verhalten zu verstehen, zu bereuen, sich zu transformieren. Wenn Sie
den Kindern Beachtung geschenkt haetten, haetten eine Menge ueber die
grossartige Moeglichkeit des Menschen gelernt, sich vollkommen zu befreien von
der unsinnigen, groben, gewaltsamen Verhaltens-Charakteristik von Tieren, den
Kampf um Ueberlegenheit, Jagen, Toeten. Die Menschheit kann ohne Gewalt
leben.
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NOBEL: - Ho, ho, ho! Wie redegewandt, was fuer eine wunderbare Art darueber
zu sprechen, Liebling, eine Utopie. Jetzt sehe ich deutlich, welchen Schaden
Guerends Buch dir zugefuegt hat. Was fuer ein boeser Einfluss. Jetzt werde ich es
wirklich verbrennen.
CLAIRE: - Wenn Sie das tun...
NOBEL: - Wenn ich es tue, was?
CLAIRE: - Ich wuerde Sie hassen.
NOBEL: - Siehst du jetzt, dass du denselben Instinkt hast wie jedermann, dass du
hasst wie jedermann? Hass fuehrt zum Krieg.
CLAIRE: - Ich sagte, ich koennte Sie hassen. Ich sagte nicht, ich werde Sie
hassen. Die Menschheit kann fuer bestimmte ueble Dinge Hass empfinden, die
andere ihm oder ihr zufuegen, aber man kann Hass hinter sich lassen, es gestatten
ihn zu mildern, nicht ihn zu kultivieren. Hass ist ein momentaner Reflex.
Waehrend Liebe der permanente Zustand unserer Existenz ist. Sie ist unsere
Existenz selbst, durch sich selbst. Wir wurden geboren um zu lieben, aber einige
Erwachsene lehren uns zu hassen, seit dem kleinsten Alter, zu einer Zeit, wo wir
noch nicht selbst nachdenken koennen. In den Haenden der Wolfs-Lehrer, die
zum Hass vorbereiten, zum Krieg. Sie vergiften uns mit Nationalismus, mit
religioeser und tribaler Feindschaft und Hass.
NOBEL: - Das ist genug der Rede. Theorien. Du kennst das wahre Leben noch
nicht. Claire, komm nah zu mir, um das Leben dynamisch zu leben. Zu gewinnen,
zu besiegen. Das was du brauchst, das was dir Zufriedenheit gibt: Freude. Liebe
ist fuer die Schwachen. Sie geben vor dich zu lieben, bis sie bekommen haben,
was sie wollten. Dann treten sie auf dich. Hast du es nicht bemerkt?
CLAIRE: - Ich rede nicht ueber diese Art von Liebe, mit ihren Motiven von
Selbstinteresse, die Not, die Zufriedenstellung, Profit, Ausbeutung von anderen.
Ich spreche ueber ECHTE Liebe, aus der tiefe des Herzens, ohne irgendein
Geheimnis, unbewusster Hoffnung, nur zur Befriedigung, nur auf Profit aus.
NOBEL: - Und wo hast du selbst diese Liebe gesehen? Hast du sie in irgend
jemand gefunden?
CLAIRE: - Ja, diesen hier.
(Sie nimmt eine Kette von ihrem Hals und zeigt Nobel das Medallion. Er haelt es,
nimmt es in die Naehe seiner Augen und sagt:)
NOBEL: - Ich sehe hier ein Foto von einem Mann auf einem Rollstuhl, ein
Krueppel, eine verkrueppelte Person. Hast du diesen geliebt? Ha, ha, ha.
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CLAIRE: - Das ist mein Vater, Herr Nobel.
NOBEL: - Dein Vater? Verstuemmelt? Von was?
CLAIRE: - Vom Krieg. Sie zogen ihn ein, zwangen ihn zweimal zum Krieg, jene,
die vom Krieg leben und profitieren. Das zweite Mal als er ernsthaft verwundet
wurde und verkrueppelt blieb. Er zog uns auf, drei Kinder, unter harter Arbeit.
NOBEL: - Was fuer Arbeit, betteln?
CLAIRE: - Die Person die liebt, bettelt nicht. Diese Person ist kreativ. Mein Vater
lernte Alt-Griechisch im Selbststudium, mit Buechern und uebersetzte die
altgriechischen Schriftsteller, Euripides, Sophokles, in unsere Sprache. Er lernte
Deutsch und uebersetzte Faust und andere Werke von Goethe. Er machte dasselbe
wie Shakespeare...Er uebersetzte die besten seiner Werke in unsere Sprache.
Hattest du niemals die Gelegenheit ein von diesen Buechern zu lesen? „Ich wurde
geboren zu lieben, nicht zu hassen“, sagte Antigoni in Sophokles Schauspiel zu
dem schrecklichen Tyrannen Kreon. Und Portia in Shakespeares “Merchant of
Venice”, sagte zu dem Sadisten Shylock: „Mitleid, Vergebung kommt nicht durch
Zwang, es ist wie der sanfte Regen, der vom Himmel kommt. Sie sind doppelt
gesegnet. Es segnet denjenigen der gibt und segnet wiederum denjenigen, der
nimmt.“
NOBEL: - Gute Arbeit, aber nur Worte. Und wie geschah es, dass du nicht dem
literarischen und philosophischen Hauch von deinem Vater gefolgt bist und bist in
Liebe zur Chemie verfallen, so wie ich es tat? In diesem Punkt gleichst du mir und
nicht deinem Vater.
CLAIRE: - Weil ich die enormen Moeglichkeiten der Chemie sah, die Armut und
den Hunger der Menschheit auszutilgen. Chemie ist Landwirtschaft, in der
Herstellung und in der Konservierung von Nahrungsmitteln und multipliziert die
Produktion und Lagerung von Nahrung und den Hunger und all die Krankheiten
von Millionen von missgebildeten Personen in den armen Laendern die er
verursacht, ausrottet.
NOBEL: - So, ausser dem Mitleid fuer die Armut, da du selbst arm warst als ein
junges Maedchen, fandest du Interesse an die Chemie? Ich verstehe es. Ich gab dir
die Moeglichkeit sie zu studieren und so trafen wir aufeinander. Jetzt sollten wir
uns nicht trennen. Ich weiss, ich bin viele Jahre aelter als du, aber ist dies wichtig
in der Liebe?
CLAIRE: - Welche Liebe, Herr Nobel?
NOBEL: - Die Liebe, die ich fuer dich fuehle. Ich sagte es dir. Glaubst du mir
nicht, vielleicht? Ich brauche dich.
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CLAIRE: - Aber Sie haben gerade gesagt, es gibt keine Liebe, nur Selbstinteresse
und die Notwendigkeit. Jetzt sagen Sie gerade, dass Sie mich lieben?
NOBEL: - Du magst es so sehen. Lasst uns annehmen, dass es mein
Selbstinteresse ist, dich zu lieben. Aber, nein, es ist etwas anderes, ich kann es
nicht ausdruecken. Es ist etwas sehr tiefes, sehr starkes. Etwas, was ich ignoriere.
Ich stellte es mein Leben lang beiseite. Ich muss jetzt lernen. Moechtest du mir
helfen lieben zu lernen?
CLAIRE: - Haben Sie keine Angst, dass diese Lektion Ihnen sehr kostspielig
kommen koennte? Es koennte Sie zerstoeren...
NOBEL: - Mich zerstoeren? Finanziell? Unmoeglich. Ich bin sehr wohlhabend,
vielleicht der reichste Mann in der Welt.
CLAIRE: - Sie sehen immer noch alles vom finanziellen Standpunkt. Ich meinte
die Zerstoerung Ihrer Persoenlichkeit, der grossen Idee die Sie von sich selbst
haben, Ihrer Selbstachtung, der Kraftposition und Vormachtstellung von der Sie
glauben, dass Sie sie haben...Liebe kann dies alles zerstoeren...Wuerden Sie das
riskieren?
NOBEL: - Nein, das wuerde ich nicht moegen. Aber, noch einmal, ein sehr
starkes Gefuehl in mir, sagt mir, dass zu lieben mehr wert ist, als all dieses. Es ist
irgendwie angenehmer als alles andere.
CLAIRE: - Eben jetzt sagten Sie was sich lohnt zu gewinnen. Dort wo
Zufriedenheit und Freude liegen. Sie brauchen nicht zu lieben. Liebe ist fuer die
Schwachen.
NOBEL: - Ja, dies ist so wie ich denke, dass heisst, wie ich bis jetzt gedacht habe.
Vielleicht muss ich mich nicht aendern. Vielleicht muss ich nicht dort stehen. Und
dies ist, warum ich dich nicht nochmals bitten werde. Ich befehle dir meine Liebe
zu akzeptieren und mich zu lieben. Meine eigene Person zu werden. Ziehst du es
so vor?
CLAIRE: - Liebe besteht nicht aus Befehlen, Herr Nobel. Liebe wird aus Liebe
geboren. Wenn Liebe nicht innerhalb von Ihnen waechst, von der tiefsten Tiefe
Ihres Herzens, werden Sie sie nicht in irgendeiner anderen Person finden.
NOBEL: (Er nimmt sie an die Hand, zieht Claire nahe zu sich) Ich will dich,
Claire, ich will, dass du die meine wirst. Du wirst mir gehorchen. Du wirst mich
akzeptieren. Ich habe gelernt das zu bekommen was ich will, es zu besitzen, wenn
noetig mit Gewalt. Du kannst alles von mir haben was du von mir verlangst. Ich
bin steinreich, ich bin kraftvoll.
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CLAIRE: (Gleitet friedvoll aus seinen Armen) – Liebe ist die einzige Sache die
nicht durch Gewalt erreicht werden kann, Herr Nobel. Die einzigste Sache die
nicht kaeuflich ist oder sich bestechen laesst. Auf Wiedersehen. Vielleicht
koennen wir wieder miteinander reden. (Geht hinaus. Nobel bleibt eine Weile
ruhig.)
NOBEL: - Guerend! (Keine Antwort) Rufe und schicke mir Guerend! (Keine
Antwort.) Claire, komm sofort! (Claire kommt nach ein paar Sekunden herein.)
Sieh dich um nach Guerend, finde ihn. Warum ist er nicht im Buero nebenan? Ich
habe ihn darum gebeten zu warten.
CLAIRE: - Guerend ist gegangen, Herr Nobel.
NOBEL: - Gegangen? Wohin ist er gegangen? Wann wird er zurueck sein? In
einer Stunde habe ich ein Treffen.
CLAIRE: - Er wird nicht zurueck kommen, er ist fuer immer gegangen.
NOBEL: - Fuer immer? Aber warum? Ich mochte ihn. Und was soll ich jetzt ohne
Dolmetscher tun? Wer wird die Bestellungen von den Abgeordneten annehmen?
(Er bleibt eine Weile nachdenklich, in Verlegenheit. Dann auf Claire zeigend:) Du
kannst genug Deutsch und Franzoesisch fuer...
CLAIRE: - Nein, Herr Nobel.
NOBEL: - Warum?
CLAIRE: - Auch ich verlasse Ihre Dienste.
NOBEL: (Ueberrascht) Verlaesst du meine Dienste? Wie ist dir der Gedanke
gekommen? Ich werde es dir nicht erlauben. Du wirst bleiben. Von heute an wird
dein Gehalt verdoppelt.
CLAIRE: - Ich bin nicht kaeuflich. Ich bin nicht Ihr Sklave.
NOBEL: - Sag mir warum. Ich will die Ursache wissen.
CLAIRE: - Nach der Explosion der Granate.
NOBEL: - Die Ballistik, das nichtrauchende Dynamit? Aber es ist meine groesste
Erfindung. Es wird der groesste Triumpf des 20sten Jahrhunderts sein. Es wird
mir enormen Profit einbringen, solange ich lebe und sogar nach meinem Tod.
CLAIRE: - Es wird die Tragoedie des 20st Jahrhunderts sein. Seine riesengrosse
zerstoererische Kraft wird die Wahnsinnigen des Krieges aufwiegeln noch mehr
zu benutzen, auf viele verschiedene Wege.
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Die verrueckten der Rache, des Fanatismus, Nationalismus, religioeser und
rassistischer Dogmatismus, werden es im Terrorismus benutzen. Sie werden
Bauwerke, Zuege und Wagen in die Luft jagen. Es werden Millionen von
Menschen getoetet, zu Invaliden und Krueppeln.
NOBEL: - Eine schwarze Prophezeihung. Aber wenn sie sich als wahr erweist,
wenn sie es so wollen, wenn die Menschen so sind, was ist dabei mein Fehler? Ich
machte eine grosse, eine grossartige Erfindung. Lass sie sie anwenden wie sie
wollen. (Pause) Wenn du auch keine Befehle annimmst, Claire, so bitte ich dich,
zum Treffen dabei zu sein, um mein Dolmetscher zu sein und die Bestellungen
aufzuschreiben.
CLAIRE: - Entschuldigung, ich kann nicht. Es ist eine Sache des Gewissens.
NOBEL: (Verlegen) – Eine Sache des Gewissens..Was bedeutet Gewissen?
Unsinn!
CLAIRE: - Gewissen ist etwas, was tief verborgen in jedem menschlichen Wesen
ist. Wenn Sie danach suchen, wird es Ihnen erscheinen. Aber es koennte sehr
unangenehm, sehr stoerend, sehr gefaehrlich fuer die Selbstinteressen sein.
NOBEL: - Ich kenne diese... Dame nicht. Sie erschien so nicht vor mir.
CLAIRE: - Ah, sie ist sehr sensitiv. Wenn Sie sie einmal verleugnen, wenn Sie sie
ignorieren, zieht sie sich tief in sich hinein und wird es nicht wagen wieder zu
erscheinen. Sie ist sehr aengstlich, schamhaft. Aber wenn in einem seltenen
Moment das Selbst-Ego schwach wird, wenn es ein Zusammenbruch in der
Persoenlichkeit gibt, welche das Gewissen gefangen haelt, dann erscheint sie sehr
lebendig und schimpft sehr laut, macht Sie taub: „Warum haben Sie mich all diese
Jahre gefangen gehalten? Geben Sie mir jetzt meine Rechte?“ Dies ist Gewissen,
Herr Nobel. Auf Wiedersehen.
(Geht hinaus. Nobel bleibt verlegen, schockiert und traurig zurueck. Er beugt sich
nach vorne)
NOBEL: - Mein Herz schlug mich wieder...was fuer ein Schmerz! Oh, oh! Claire,
Claire, hilf! (Claire kommt herein) – Claire, mein Herz, du weisst...ein Arzt, ich
sterbe.
CLAIRE: - Bleiben Sie ruhig, Herr Nobel, bekommen Sie keine Panik. Sie
machen die Sache nur noch schlimmer. Legen Sie sich hier hin. (Hilft Nobel sich
auf das Sofa zu setzen.) So...Geht es Ihnen jetzt besser? Wollen Sie, dass ich den
Arzt rufe? (Pause)
NOBEL: - Nein, die Krise ist vorueber. Danke. Bitte, nenn mich bei meinen
Namen, Alfred, nicht Herr Nobel.
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CLAIRE: - Ich...ich kann nicht...Herr Nobel, ich kann nicht.
NOBEL: - Sag mir Claire, wo wirst du arbeiten, wenn du mich verlaesst?
CLAIRE: - Ich weiss nicht. Aber...Ich werde fuer den Frieden arbeiten, nicht fuer
den Krieg. In dem Augenblick wo wir sprechen, lodern viele Kriegsbraende ueber
ganz Europa auf. Frankreich, Deutschland, Oesterreich, Italien, Jugoslawien,
Russland, Tuerkei, Griechenland. Nicht zu erwaehnen die Kriege und die
Voelkermorde die durch die Kolonianisten, den Belgiern, Hollaendern,
Englaendern und Tuerken gefuehrt werden. Ich werde fuer den Frieden arbeiten,
Herr Nobel. Ich weiss nicht wo, wie und was ich tun werde. Ich werde aufdecken,
ich werde kaempfen.
NOBEL: - Kann ich dir helfen?
CLAIRE:- Sie koennen es nicht, Herr Nobel. Nicht jetzt. Jetzt arbeiten Sie fuer
den Krieg. Ihre Erfindungen werden von allen Regierungen, von allen Millitaers
in Europa, meist teuer verkauft. Ihre letzte und wichtigste Erfindung, das
rauchlose Pulver, oder Ballistik, wie Sie es nennen, werden weit verbreitet fuer
die Massenproduktion von Granaten fuer Waffen jeder Groesse und Form
verwendet. Jetzt wird es fuer alle moeglich sein, von einer grossen Entfernung aus
zu toeten, wo immer sie wollen und so oft sie wollen.
NOBEL: - Ich will fuer den Frieden arbeiten.
CLAIRE: - Sie koennen nicht. Sie sind ein Sklave Ihrer Erfindungen Ihrer
Fabriken, Ihrer Bank-Deponierungen...Vielleicht spaeter...wenn etwas passiert,
was Ihr Leben veraendern wuerde...etwas sehr unwahrscheinliches. Zum letzten
Mal, Auf Wiedersehen.
NOBEL: - Wirst du mir schreiben, Claire?
CLAIRE: - Ich werde Ihnen schreiben.
NOBEL: - Versprichst du es?
CLAIRE: - Ich verspreche es Ihnen. Von wo auch es sein mag, was ich auch tun
mag, ich werde Ihnen schreiben. Auf Wiedersehen. (Geht hinaus.)
ENDE des ersten AKTES
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ZWEITER AKT
(Einige Jahre spaeter, frueher Morgen, derselbe Buehnenaufbau. Nobel sitzt mit
gesengtem Kopf an seinem Schreibtisch. Er ist traurig.)
NOBEL: - Warum dieser Tod? Lieber Bruder, warum sollte ich sterben bevor ich
dich das letzte Mal gesehen habe? Ich habe dich so viele Jahre nicht gesehen.
Gestern bist du aus Bakou, von Russland zurueckgekommen und hast dich auf
dieses Sofa gesetzt. Bevor ich dich richtig sah, bevor wir anfingen uns zu
unterhalten, veriet dich dein Herz. Und du bist 68. Wir hatten so viel zu erzaehlen,
mein Bruder. Wie Schade, dass wir nicht genug Zeit hatten, Bruder Robert.
(Eine maennliche Stimme von draussen:)
STIMME: - Herr Nobel, sind Sie hier?
(Nobel antwortet nicht. Die Tuer ist offen. Angelo, sein Sekretaer, tritt ein. Er
haelt eine Zeitung in der Hand.)
ANGELO: - Herr Nobel, etwas tragisches ist passiert. Ein tragisches
Missverstaendnis. (Er zeigt ihm die Zeitung. Nobel bleibt gesonnen, ruhig.)
Wollen Sie, dass ich es Ihnen vorlese? Es ist etwas ueber Sie, persoehnliches.
NOBEL: - Lies es mir vor.
ANGELO: (Liest die Zeitung) – Die letzten Nachrichten. Nobel starb letzte Nacht,
um 8 Uhr, in seinem Buero.
NOBEL: - Richtig, wo ist das Missverstaendnis? Warst du nicht hier, auch du, als
mein Bruder letzte Nacht starb?
ANGELO: - Das Missverstaendnis steht unten. (liest) - Gestern Abend, auf dem
Sofa seines Bueros, tat Nobel, der weltberuehmte Erfinder und Industrieller,
Alfred Nobel, seinen letzten Atemzug infolge eines Herzanfalls. Sein Sarg wird
wahrscheinlich heue beigesetzt.
(Nobel sieht schockiert aus. Er erhebt sich.)
NOBEL: - Ein schlechtes Omen. Sag ihnen, dass sie es sofort korrigieren sollen.
Ruf sie an!
ANGELO: - Es ist zu spaet. Die Zeitung wurde schon herausgegeben. Sie wird
morgen frueh noch einmal in Umlauf sein. Die Korrektion wird natuerlich
gemacht. Ich werde sie anrufen. Aber...(zoegert). Die Tragik ist etwas anderes.
NOBEL: - Gibt es da noch etwas?
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ANGELO: (Zeigt eine andere Zeitung, die er unter seinem Arm haelt.) - Diese
Zeitung hier.
NOBEL: - Dasselbe Missverstaendnis natuerlich.
ANGELO: - Nicht genau. (zoegert)
NOBEL: - Also, leg los, Angelo. Du bist ein schwarzer Bote fuer mich heute
morgen.
ANGELO: - Ich wollte das nicht, Sir, es tut mir sehr Leid.
NOBEL: - Gut, erzaehle mir von dem anderen Missverstaendnis der Zeitung, die
du haelst.
ANGELO:- Wuerden Sie es vielleicht selbst lesen?
NOBEL: - Ich bin zu muede.
ANGELO: - Es ist etwas schwierig fuer mich.(zoegert).
NOBEL: - Das Missverstaendnis betrifft mich, nicht dich. Ich habe bemerkt, dass
du sehr sensitiv und sehr ruecksichtsvoll, sehr diskret bist. Aber wie auch
immer...lese!
ANGELO: (Schlaegt die Zeitung auf, liest) – Letzte Nacht, in seinem
sechsundachtzigsten Lebensjahr, starb Alfred Nobel, der groesste Industrielle,
eines Todes, den die Menschheit jemals erfahren hat. Kein barbarischer
Kriegsheld, kein verrueckter Emperiator, hat jemals so viele Menschenleben
ausgeloescht, wie Alfred Nobel mit seiner Erfindung in der Anwendung von
Nitroglyzerin fuer Kriegszwecke.
(Nobel fuehlt sich durcheinander, aber Angelo nimmt keine Notiz davon als er ihn
betrachtet. Und er setzt fort zu lesen)
- Nobels explosives Oel, wie es allgemein genannt wird, verursachte eie
Explosion seiner Fabrik in Heleneborg, nahe Stockholm, in welcher sein
juengerer Bruder, Oskar, getoetet wurde. Ohne zu zoegern, ohne
Gewissensbisse, ohne ein schlechtes Gewissen, transportierte er seine Fabrik
auf ein Schiff, verlud der Handlungsbevollmaechtigte des Todes seine Fabrik
auf ein Schiff, dass im Manlar-See nahe Stockholm vor Anker lag. Spaeter
gruendete er eine neue Fabrik auf einer Insel bei Hamburg in Deutschland, die
ebenfalls in die Luft flog, wegen des fluessigen Nitroglyzerins, das dort
hergestellt wurde. Nobel zoegerte nicht lange, eine neue zu bauen. Das
totbringende Produkt hatte grosse Nachfrage und Nobel besass den Wahnsinn
der Ansammlung von Reichtum. Als er seine Experimente mit Nitroglyzerin
und anderem explosivem Material fortsetzte, erfand er Dynamit, das Gour
Dynamit, das harte Material, das nicht so leicht explodierte wie das fluessige
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Nitroglyzerin, Nobels explosives Oel. Diese Entdeckung wurde Gour Dynamit
genannt, d.h. Dynamit mit pyritic, schwefeliger Erde. Dies war die groesste
Kriesentwicklung in der Welt nach dem Schwarzpulver. Dann reiste Nobel fuenf
Jahre lang durch ganz Europa und Amerika um seine totbringende Erfindung
anzubieten, sie sehr teuer an die Militaristen und Kriegsbesessenen Chefs jeder
Art zu verkaufen. Er gruendete eine Gesellschaft um die Besitzrechte von allen
Fabriken zu sammeln, welche dieses Material herstellen, welches hauptsaechlich
fuer Kriegswaffen jeder Art verwendet wird und ueberall Tod, Verkrueppelung
und Invaliditaet von Millionen von Menschen verursachte. Braende, in die Luft
jagen von Haeusern, Fabriken, Krankenhaeusern, Schulen, in Doerfern und
Staedten, in Gebieten mit Kriegsaktivitaeten.
(An dieser Stelle senkt Nobel seinen Kopf tiefer, legt seine Hand auf sein Herz.
Angelo, vertieft beim Lesen, nimmt keine Notiz von ihm.)
- Anstandslos, ohne Skrupel, mit pathologischem Durst zum Reichtum, setzte er
seine inhumanen Beschaeftigung mit Kriegsmaterial fort. Spaeter entdeckte er
die explosive Gelatine, kraftvoller als Dynamit und im selben Jahr erfand er
Gelato-Dynamit. Sein Wahnsinn in der Herstellung von all den verbesserten
Materialien zur massiven Zerstoerung, fuehrte ihn zur Entdeckung von
ballistischem, rauchlosem Schiesspulver, das er Ballistik nannte und welches
sein monstroeser Hoehepunkt seiner teuflischen Erfindungen ist.
Die Perfektion der Granaten, der Projektiele und den Kanonen, war seine
Beschaeftigung waehrend der letzten Jahre. Zu diesem Zweck kaufte er die
groesste Giesserei fuer Kanonen, genannt Bofors, in Schweden und ebenfalls
das groesste Stahlwerk in Bieneborg in Finnland auf. Der
Wahnsinn des Krieges, der Herrschsucht, des Militarismus, den
Menschenmoerdern, haben jetzt die Maschinen in der Hand, die von Nobel
erfunden wurden, und aus grosser Entfernung toeten koennen, wo immer und
wann immer sie wollen. Der Schmerz, Leid, Trauer, ueber tote Soldaten und
der Zevilbevoelkerung, Waisen und Witwen, von Muettern, wird seine
schwarze Seele fuer immer begleiten.
(Angelo faltet die Zeitung langsam zusammen, zoegert, diskret, ohne Nobel
anzusehen.)
NOBEL: (Ein tiefer Schmerzensschrei) – Oooh!
ANGELO: (Ist schockiert, tritt an Nobel) – Herr Nobel, was ist los? Soll ich
nach einem Arzt schicken? (Nobel antwortet nicht. Angelo spricht
nicht...darauf spricht Nobel:)
NOBEL: - Es ist eine Krise, sie wird voruebergehen. (Erhebt seinen Kopf. In
diesem Augenblick tritt Claire eilends herein. Sie spricht aus einigem
Abstand.)
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CLAIRE: - Alfred, wusstest du es nicht? Statt deinem Bruder, brachten sie
deinen Namen in die Todesanzeige.
ANGELO: - Er hat es erfahren. Ich bitte dich, bewahre Ruhe.
CLAIRE: - Was? (Sie geht nahe zu ihm) – Alfred...
NOBEL: (Langsam) – Danke, dass du mich Alfred nennst.
CLAIRE: - Nach so viel Briefwechsel wurden wir enge Freunde. Hast du
Schmerzen?
NOBEL: (Nicht bejahend.)
CLAIRE: - Leg dich hin. Hilf mir Angelo. (Sie helfen ihm aufs Sofa zu
liegen.) – Oeffne das Fenster, bitte, er braucht mehr Luft.
ANGELO: - Es ist kalt draussen.
CLAIRE: - Das macht nichts. (Sie zieht ihren Mantel aus und bedeckt seinen
Haupt, fuer eine Weile.) Bis er wieder zu sich kommt, werden wir es wieder
schliessen. Lasst und warten. (Claire sitzt tiefer am Sofa, nahe an seiner Brust.
Sie sieht ihn an, sie achtet auf seine Atmung. Mit Aufmerksamkeit, liebevoll.
Sie verweilt so einige Zeit, bis Nobel ein bisschen von seinem Schmerz befreit
ist. Er oeffnet seine Augen, siet Claire in die Augen.)
CLAIRE: - Geht es dir wieder besser? Ist der Schmerz vorbei?
NOBEL: - Ein bisschen...besser. Der akute Schmerz ist vorueber...aber nicht
vollstaendig. Es koennte eine boruebergehende Herzatacke sein.
CLAIRE: - Willst du, dass wir dich ins Krankenhaus bringen?
NOBEL: - Nein.
CLAIRE: - Warum nicht?
NOBEL: - Weil ich unterwegs sterben koennte.
CLAIRE: - Kann ich sonst etwas fuer dich tun, Alfred?
NOBEL: - Sprich! Ich will, dass wir miteinander sprechen, bevor ich sterbe.
CLAIRE: - Sag so etwas nicht. Du erschrechst mich. Wann wuenscht du, dass
ich kommen soll um miteinander zu sprechen?
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NOBEL: - Jetzt.
CLAIRE: - Jetzt? O.K.
NOBEL : - Sag Angelo, dass er gehen soll. Lass ihn im anderen Buero warten.
(Claire dreht sich Angelo zu. Aber er hat es bereits gehoert und begiebt sich
hinaus. Nobel sitzt aufrecht auf dem Sofa.)
NOBEL: - Angelo, lass die Zeitung hier. (Angelo laesst hastig eine Zeitung
da.) – Nicht diese!
ANGELO: - Mit dem Artikel?
NOBEL: - Ja! (Angelo nimmt die erste Zeitung und legt die andere auf den
Schreibtisch und geht diskret hinaus.) (Nobel zu Claire:) – Er ist ein Engel.
CLAIRE: - Genau wie sein Name bedeutet.
NOBEL: - Dein eigener Name, Claire, welche Bedeutung hat er?
CLAIRE: - Klarheit, Sauberkeit, Helligkeit.
NOBEL: - Sicherlich hat mich diese Klarheit in dich so stark beeindruckt. Es
hat mich verzaubert, von dem Moment an, wo wir uns zuerst begegneten. Wie
schade, dass ich dich nicht mein ganzes Leben bei mir habe...(Pause) – Hast
du den Artikel gelesen?
CLAIRE: (Zoegert zu antworten) – Nein...
NOBEL: - Du hast gezoegert zu antworten. Du hast ihn gelesen.
CLAIRE: (Mit Mitleid) – Ja.
NOBEL: - Und du stimmst zu...Es ist alles wahr, was dort steht?
CLAIRE: (Nachdruecklich) – Nein, ich stimme dem nicht zu. Es ist nicht
wahr. Der Mann, der dies geschrieben hat, wusste nicht, was er schrieb.
NOBEL: - Wer schrieb es?
CLAIRE: - Ein Journalist. Ein Populist, ein Demagoge.
NOBEL: - Aber er beschreibt mein Leben, meine Erfindungen, meine
Fabriken, das Kriegsmaterial das ich produzierte und verkaufte, mein
Reichtum. Es ist alles wahr.
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CLAIRE: - Die Fakten, ja. Aber nicht die Erklaerungen, nicht die
Charakterbeschreibung, die schmierigen Worte. Unskrupelhaft, sich der Sache
nicht bewusst sein, anstandslos, der Wahnsinn des Geldes, der tote
Industrielle. Das sind unzuverlaessige Worte, verleumderisch. Und sie zeigen
nur die Improvisation, die Gefuehllosigkeit, die Schamlosigkeit, die
Abgestumpftheit, der Gewissenlosigkeit, eines Mannes der das schrieb, aber
der sich der Sache nicht bewusst ist.
NOBEL: - Einmal hast du mir gesagt, dass ich kein Gewissen habe.
CLAIRE – Das habe ich nicht gesagt. Ich sagte, dass Gewissen sich
zurueckzieht, es tief in uns vergraben ist, wenn es verwundet wird.
NOBEL: - Sagst du das allgemein oder fuer mich?
CLAIRE: - Beides, im Allgemeinen und fuer dich.
NOBEL: - Gut, was weisst du ueber mich? Warum hab ich mein Gewissen
vergraben?
CLAIRE: - Es koennte sein, weil du sehr verwundet wurdest.
NOBEL: - Wann? Wie? Wo?
CLAIRE: - Dies musst du selbst herausfinden. In Russland, in Kronstadt, wo
euer Vater euch alle hinbrachte, als kleine Kinder, damit er die UnterwasserMinen herstellen konnte, die er erfunden hatte, gegen Angreifer welche das
Gebiet waehrend des russisch-tuerkischen Krieges belagerten. Er riss euch alle
heraus in eurerem zarten Alter, aus euerer Heimat und warf euch inmitten des
Terrors, dem Horror des Krieges. Vielleicht war es das, weshalb du dein reales
ICH vergraben hast. Dein Bedarf nach Liebe, nach Zuneigung, nach Frieden,
nach Sicherheit. Und spaeter dann, konntest du es nie wieder finden.
NOBEL: - Ja, genau so ist es. Ich kann es klar sehen, nach so vielen Jahren,
nach all meines Lebens Spanne. Und wenn mein juengster Bruder, Oskar,
durch die Explosion getoetet wurde dieselbe die meine Fabrik zerstoerte? Du
weisst, letzte Nacht, als mein Bruder Robert hierher kam, wollte ich mit ihm
genau ueber diesen Vorfall sprechen. Ich fuehlte eine Last von Schuld in
meiner Brust. Ich befuerchtete, dass er mich fuer den Tot unseres juengsten
Bruders verantwortlich, schuldig halten wuerde. Aber ich hatte Oskar gesagt,
dass er von der Fabrik weggehen sollte. Er gehorchte mir nicht. Er liebte mich
sehr, er wuenschte bei mir zu arbeiten. Aber Nitro-Glyzerin ist ein sehr
gefaehrliches Material. Durch einen Stoss, durch Umkippen eines Containers,
ruft es eine gewaltige Explosion hervor und zerfetzt ein ganzes Gebaeude in
Stuecke. Ich hatte es ihm gesagt. Geh weg vom Nitro-Glyzerin. Er hoerte nicht
auf mich. Ist es mein Fehler? Bin ich schuldig?
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(Einige Traenen kamen hervor. Er versuchte sie zu unterdruecken indem er
sie mit seinem Taschentuch abwischte. Claire nahm es diskret beiseite.)
CLAIRE: - Hoer nicht auf sie abzuwischen. Sei nicht beschaemt sie
abzuwischen. Ich werde es dir gut tun. Du wirst sehen.
NOBEL: - Das ist, was ich Robert sagen wollte. Aber ich hatte nicht die Zeit.
Sobald er kam und sich auf dieses Sofa setzte, starb er. Vielleicht die
Strapazen von der langen Reise. Er litt an Herzschwaeche, so wie ich. Jemand
fand ihn tot bevor ich kam. Und weil er mir sehr aehnlich ist, dachte er, dass
ich gestorben sei und rief eine Zeitung an, es bekannt zu geben. So kam es zu
diesem Missverstaendnis. Aber warum sollte er in meinem Buero sterben? Bin
ich vielleicht schuldig fuer seinen Tod? Wie kann ich all dies ertragen, was ich
aus dem Zeitungsartikel erfahren habe? Ich befuerchte, dass ich selbst noch
heute sterben koennte.
CLAIRE: - Nein, du wirst nicht sterben. Ich werde heute auf diesen Artikel
antworten. Morgen wird es herausgegeben. Ich werde den Artikel als
verleumderisch, unakzeptierbar und anstoessig, blosstellen. Die Schuld die sie
dir zuschieben fuer die Morde, fuer den Tod auf den Schlachtfeldern, ist nicht
bestaetigt, unrealistisch, unbegruendet.
NOBEL: - Du willst damit sagen, ich sei nicht schuldig?
CLAIRE: - Nein, schuldig sind die Kriegsanfuehrer jeder Art. Sie sind krank,
ehrgeizig, Militaristen und Staatsmaenner.
NOBEL: - Was ist mit meiner Erfindung des Dynamits, die jetzt
grossraeumig fuer Granaten verwendet wird und durch welche tausende von
Menschen aus grosser Entfernung getoetet werden? Bin ich dafuer schuldig?
CLAIRE: - Nein. Du versuchst das fluessige Nitroglyzerin, das durch den
geringsten Stoss explodierte, so umzuwandeln, in etwas festes, das nicht so
leicht explodieren wuerde, das gefahrloser transportiert werden konnte. Nobels
explosives Oel explodierte eben daher waehrend des Transports.
NOBEL: - Ja, das ist so. Wie weisst du das alles? Arbeitest du vielleicht mit
Explosivem?
CLAIRE: - Ich arbeite fuer den Frieden, Alfred.
NOBEL: - Wie du mir schon sagtest.
CLAIRE: - Ja. Wir gruendeten in Wien die World Peace Society, die WeltFriedens-Bewegung.
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Wir kaempfen fuer die Abschaffung des Krieges und der Armeen. Natuerlich
verfolge ich alle Nachrichten ueber Krieg und ueber Ihr Material. Ich habe nie
unsere Korrespondenz abgebrochen. Und ich weiss, dass tief in dir, du hungrig
nach Frieden und Liebe bist. Ich weiss, wie oft und was fuer grosse Summen
du ausgegeben hast, fuer Wohltaetigkeitszwecke, fuer Wohlfahrts-Stiftungen,
zur Hilfe der Verminderung der Armut ungluecklicher Menschen. Ich las auch
die Literaturstuecke die du geschrieben hast. Du hasst den Krieg. Dies ist, was
ich in meinem Artikel schreiben werde.
NOBEL: - Und du glaubst es?
CLAIRE: - Selbstverstaendlich.
NOBEL: - Somit bin ich also nicht fuer dich der verfluchte Industrielle von
Krieg und Tod?
CLAIRE: - Natuerlich nicht. Ich sehe dich nicht so, ganz und gar nicht.
NOBEL: - Ich danke dir, Claire, du hast mich befreit, du hast einen grossen
Stein von meinem Herzen genommen. (Mit Traenen) – Ich danke dir. (Sie
bleiben ruhig) – Du weisst, ich dachte, dass du mich gehasst hast, seit der Zeit,
wo du Guerends Buch gelesen hast, von Pourquoi, so wie ich ihn nannte. Und
weil ich mich weigerte fuer seine Herausgabe zu zahlen. Sag mir, wie
verlaufen die Dinge mit deinem Freund?
CLAIRE: - Unserem Freund. Ich denke, dass du ihn mochtest, tief in deinem
Gewissen.
NOBEL: - Ja, das ist so. Hat er es herausgegeben?
CLAIRE: - Ja.
NOBEL: - Und dann, was geschah mit ihm? Siehst du ihn? Geht es ihm gut?
CLAIRE: (Zoegernd) – Ja, es geht ihm...gut.
NOBEL: - Du verbirgst etwas vor mir...Sag mir die Wahrheit.
CLAIRE: - Nichts entgeht deiner Aufmerksamkeit, Alfred. Du besitzt eine
aussergewoehnliche Klarheit des Verstandes. Deine Intuition funktioniert
wunderbar.
NOBEL: - Sag mir, was geschah mit meinem guten Pourquoi?
CLAIRE: - Ich werde es dir jetzt nicht sagen. Ein anderes Mal.
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NOBEL: - Warum nicht jetzt?
CLAIRE: - Weil...weil du durch eine Krise gehst.
NOBEL: - Die Krise ist vorbei. Es geht mir wieder gut. Ich hoere. (Claire
zoegert) – Mit welchem Geld gab er das Buch „Pourquoi la Guerre – Warum
der Krieg“ heraus? Vielleicht half ihm sein neuer Arbeitgeber?
CLAIRE: - Niemand. Er machte Schulden.
NOBEL: - Und dann? Liess sich das Buch verkaufen?
CLAIRE: - Ganz und gar nicht. Nicht einmal fuenfzig Kopien.
NOBEL: - Genau, wie ich voraussah. Und dann?
CLAIRE: (Wird aufgeregt, nahe dabei zu weinen) – Und dann...Nichts.
NOBEL: - Claire, warum weinst du? Warum? Sags mir. Fahre fort.
CLAIRE: (Weint stark) – Dann sperrten sie ihn ein wegen den Schulden.
NOBEL: - Ein tierischer Akt! Unredlich! Beschaemend! Und wann kam er aus
dem Gefaengnis heraus?
CLAIRE: - Er konnte das Gefaengnis nicht vertragen und...(Sie weint
schluchzent und deutet mit ihren Haenden das Aufhaengen an.)
NOBEL: - Hat er sich selbst erhaengt? (Er bedeckt seine Augen mit seiner
Hand. Ruhe.) – Mein Gott, Pourquoi, dich hab ich auch getoetet, ich bin
erschuettert. Ich saehe Tod um mich herum. Der Artikel hat recht.
CLAIRE: - Nein, Alfred, du bist nicht der, den der Artikel beschreibt. Ich
haette dir nichts ueber den armen Pourquoi erzaehlen sollen. Ich habe dich
verletzt. Ich bin schuldig.
NOBEL: (Senkt seinen Kopf und sagt mit gedaempfter Stimme:) – Oh!
CLAIRE: - Hast du Schmerzen? Dein Herz?
NOBEL: - Es ist nichts, es wird vorueber gehen.
CLAIRE: - Nimm keine weitere Schuld auf dich. Es ist gefaehrlich in dieser
Situation in der du dich jetzt befindest.
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NOBEL: - Ich habe ihm gesagt, dass Pourquoi sterben wuerde, er, seine
Romantik selbst, der Pazifist, der Beschuetzer der Armen und der
Zivilbevoelkerung, so dass Guerend ueberleben und Erfolg haben wird, sein
wirkliches Selbst, mein guter Angestellter, mein Dollmetscher, mein
Uebersetzer, der Schoenschreiber. Jetzt verstehe ich meinen Fehler. Der
Pazifist, der Schriftsteller, der Autor des Buches „Pourquoi la Guerre –
Warum der Krieg?“ war sein wirkliches Ich. Ich lehnte jede Hilfe ab, jede
Unterstuetzung zu seinem wirklichen Ich. Ich verhoehnte ihn, beleidigte ihn,
entwuerdigte ihn und schliesslich toetete ich ihn. Jetzt kann ich meine Schuld
klar erkennen.
CLAIRE: - Du hast keine Schuld fuer irgend etwas. Es ist nicht dein Fehler.
Du wusstest nicht, was du getan hast.
NOBEL: (Er hat eine Intuition der Wahrheit in Claires letzten Worten.) – Du
sagst es ganz richtig. Jetzt bin ich nicht fuer alles schuldig. Jetzt sehe ich klar,
was ich getan habe. Nicht ich, ich kann sehen, was dem tief verwundeten Kind
getan wurde, das ohne jegliche Liebe aufwuchs, in der Hoelle des russischtuerkischen Krieges. Der aufwuchs mit einem Vater, der Dinge fuer den Krieg
erfand, der unablaessig fuer den Krieg arbeitete und seine explosiven,
zerstoererischen Minen an den russischen Militaers verkaufte. Jetzt kann ich
klar sehen. Ich fuehle, als ob ich aus Teilnahmslosigkeit eines ganzen Lebens
aufwache. Ich schlief. Ich gab all mein Leben fuer explosives Material hin,
nach dem Muster, der Nachahmung meines Vaters. Er hat mir nichts anderes
beigebracht. Er hat mir keine Liebe beigebracht, wie es dein Vater tat, Claire.
Liebe geht zusammen mit Klarheit, es klar zu sehen, Claire zu sein, klar.
Weisst du was Nobel meint? Es bedeutet Muenze, Geldmuenze, Geld in
Metallform.
CLAIRE: - Ich weiss, ich habe es nachgeschlagen. Der erste Gold-Nobel oder
Nobl, wurde gestanzt bei Edward III im Jahre 1344. Ich kenne Geschichte.
NOBEL: - Das war mein Vater, Nobel. Das ist Geld, Goldmuenzen. Das war
das einzige, was er kannte. Sein einziger Wert und Ziel, nach Geld zu jagen.
Aber er ging bankrott in Russland, wo er am Anfang mit der Herstellung
seiner Unterwasser-Minen Erfolg hatte. Vielleicht fuehlte ich dann, dass ich
Erfolg haben sollte, wo er versagte. Mit Geld. Und so wurde ich ein
besessener Jaeger nach Geld. Ich arbeitete unaufhoerlich in meinem
chemischen Labor. Ich entdeckte die neuen explosiven Materialien. Ich
verkaufte sie und haeufte Geld an. Ich sammelte Reichtum. Auf diese Weise
vergrub ich meinen Kummer in meinem Unbewussten tiefer und tiefer. Ich
wurde der steinreiche Nobel. Der groesste Erfinder in der Welt. Allein in
England hatte ich 129 Diplome von Erfindungen mit den Rechten eines
Erfinders, welche mich zum reichsten Mann der Welt machte. Und all dies mit
meinem Herz fuer die Liebe verschlossen. Erst als ich dich kannte, fuehlte ich
die Kraft, den Wert der Liebe. Aber du lehntest mich ab.
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Ich klage dich nicht an, du konntest nicht anders, als den skrupelosen
Industriellen des Todes, abzulehnen.
CLAIRE: - Sag dies nicht...du bist nicht...
NOBEL: - Ich war so, und du sahst klar wie ich war und wantest dich von mir
ab. Du hast gut gehandelt.
CLAIRE: - Ich konnte tiefer sehen, dein wirkliches Ich, dein Verlangen nach
Liebe, das Leid, das unterdrueckte Kind.
NOBEL: - Dann, warum? Warum hattest du mich verlassen und bist
weggegangen? Ich litt sehr viel, du weisst es nicht. Von da an brach mein
Herz.
CLAIRE: - Ich ging, weil die Persoenlichkeit des Industriellen zu stark war. Er
bedeckte, vergrub den Bedarf nach Liebe. Ich hatte einen Weg gefunden
Abstand zu nehmen von dem Schmerz des Verlustes der Liebe, der Sicherheit
und Freude. Erinnere dich an deine Worte: „Du brauchst keine Liebe. Um zu
gewinnen, zu verdienen, das ist was du brauchst...Liebe ist fuer die
Schwachen.“
NOBEL: - Ich habe Schopenhauer und Nietze gelesen. Ich wurde beeinflusst.
CLAIRE: - Alle beide tragische Personen. Sie hatten irgendeine grossartige
Idee gefunden, sehr bedeutende Ideen, aber sie missinterpredierten sie, weil
sie keine Selbsterkenntnis besassen. Sie haben nicht an sich selbst gearbeitet.
Liebe ist fuer die wirklich Starken, fuer jene, die psychisch gesund sind, nicht
fuer jene, welche durch Ruhm stark geworden sind, durch Heldentum, durch
Reichtum oder durch eine Vollmachtstellung und Autoritaet. Mit solchen
Dingen verdecken sie nur ihr Leid, ihre psychische Missere, ihre tiefe
Unfaehigkeit zu lieben. Sie sind fast geistesgestoert, sie sind gefaehrlich.
NOBEL: - Genau wie ich es war. Jetzt verstehe ich es, jetzt wache ich auf.
Erinnerst du dich, was du mir einmal sagtest? Nur in dem Falle eines
Zusammenbruchs der Persoenlichkeit, deines Gewissens, koennten dich
aufwecken. Etwas sehr unwahrscheinliches.Diese unwahrscheinliche Sache
passierte.Der Artikel. Und unsere Diskussion. Ploetzlich kollabierte die
Persoenlichkeit, stuerzte ab, die ganze Schlacht eines Lebens ging bankrott. Es
war eine Maske, eine Phantasie. Sie zerbrach in Stuecke...Sie ist nutzlos fuer
mich...(Ein Zucken von Schmerz in seinem Gesicht) – Ooh! Kurz bevor ich
sterbe. Wie schade!
CLAIRE: - Du wirst nicht sterben, Alfred, du wirst weiterleben und Freude
haben.
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NOBEL: - Ich lebe bereits jetzt. Diese Momente jetzt sind es Wert, eindeutig
mehr als all die Jahre meines Lebens. Es bedeutet mir nichts, wie lange diese
Momente dauern, sondern ihre Qualitaet. Ich fuehle mich selbst, mein
wirkliches Ich. Ich fuehle Liebe. Ich fuehle Klarheit, ich fuehle die Freude, die
ich all mein Leben unterdrueckt habe. Jetzt existiere ich wirklich. Claire, ich
bin dir grenzenlos dankbar fuer all das, was ich in diesem Augenblick fuehle.
Ohne dich wuerde ich sterben...tot. Jetzt habe ich meine Leblosigkeit
ueberwunden, ich habe den Tod in mir ueberwunden. Jetzt weiss ich, dass ich
auch nach meinem Tod weiterleben werde. Liebe stirbt nie.
(Ein Zucken von Schmerz in seinem Gesicht.)
CLAIRE: - Leidest du?
NOBEL : - Ich ? Nein. Mein Herz leidet. Eine normale Sache, eine Krise. Ich
werde es ueberstehen. (Er steht auf oder aendert seine Position. Entschlossen:)
Claire, setz dich an meinen Schreibtisch. Nimm ein Stueck Papier und ein
Schreibstift. (Claire durchfuehrt es.) O.K. und jetzt, vollkommene Ruhe einen
Moment (Stille) Schreib nieder...Mein letzter Wille und Testament. Mein
ganzer beweglicher und unbeweglicher Besitz soll auf ein Konto
zusammengetragen werden und dessen Verwaltung soll der Nationalbank von
Schweden anvertraut werden. Die jaehrlichen Zinsen von meinem Vermoegen
sollen als Preis vergeben werden, dem Mann oder dem Team von Leuten, die
effizienter arbeiten in Theorie oder in der Praxis, fuer die Bruederlichkeit aller
Menschen in der Welt, fuer die Abschaffung oder der groesstmoeglichen
Limitation der permanenten Armeen in allen Laendern der Welt, zur Kreation,
der Organisation und der Propagation des Friedens-Kongresses auf der ganzen
Welt, fuer die Abschaffung des Krieges, als ein Mittel zur Ueberwindung von
Differenzen jeder Art.
CLAIRE: (Zoegernd) – Herr Nobel...
NOBEL: - Alfred. Herr Nobel ist tot. Was ist los mit dir Claire? Hast du dich
selbst vergessen?
CLAIRE: - Ja,...Entschuldigung. Ich habe von deinem riesigen Vermoegen
gehoert und Herr Nobel kam mir in meinen Sinn und in meinen Mund.
NOBEL: - Du wolltest mir etwas sagen?
CLAIRE: - Du solltest vielleicht die Aufzeichnung deines Testaments auf eine
spaetere Zeit aufschieben.
NOBEL: - Warum nicht jetzt?
CLAIRE: - Weil du diesen Schmerz im Herzen hast und du vielleicht nicht
den klaren Verstand hast, die Einzelheiten des Testaments zu entscheiden.
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NOBEL: - Du liegst falsch, Claire, ich habe absolut...(Er schlaegt auf den
Schreibtisch, um seinen Worten Ausdruck zu geben.) absolut klaren Verstand,
vollkommen selbstbewusst und mein Gewissen ganz klar und lebendig.
Schreib jetzt nieder, was ich gerade zu Beginn gesagt habe. Bei absoluter
Klarheit des Verstandes, kompletter Selbstbewusstheit, mit meinem Gewissen
ganz klar und lebendig...(Angelo tritt ein.) - Ich habe dich nicht gerufen.
ANGELO: - Ich hoerte den Schlag auf den Tisch und ich dachte, Sie koennten
mich fuer etwas brauchen.
CLAIRE: - Ich glaube du brauchst ihn, Alfred. Dein Sekretaer weiss viel mehr
als ich, vielleicht mehr als du, das Testament aufzuzeichnen.
NOBEL: - Mein Sekretaer, ein Philosoph und mein Jurist. Du hast Recht.
Angelo, setz dich dort hin. (Claire steht auf und reicht ihm den Stuhl. Sie
selbst setzt sich auf das Sofa.)
ANGELO: - Herr Nobel.
NOBEL: - Alfred.
ANGELO: - Alfred, ich habe gehoert, dass heisst, ich habe es zufaellig
mitgehoert, ohne es zu wollen, es geschah als ich der Halle war und die Tuer
war offen. Ich habe ueber deine Entscheidung gehoert, ueber den jaehrlichen
Preis fuer die Kaempfer des Friedens. Ich denke, es ist uebertrieben. Die
Totalsumme von den Zinsen deines Vermoegens jedes Jahr, wird eine riesige
Summe Geld sein. Warum es nicht in mehrere Sektionen unterteilen, in
Aktionen im Dienst der Zivilisation und menschlichen Fortschritts?
NOBEL: - Was empfiehlst du?
ANGELO: - Ich empfehle einige Preise mehr. Einer, ein Wissenschafts-Preis
fuer die wichtigste Entdeckung oder Erfindung in der Physik. Ein Zweiter, ein
Chemie-Preis fuer die wichtigste Entdeckung, Verbesserung oder Perfektion
in der Chemie-Sektion. Ein Dritter, ein Medizin-Preis. Ein Vierter fuer
Physiologie, Biologie, fuer die wichtigste Entdeckung in diesen Sektionen.
NOBEL: - Ich bin einverstanden. Lass es so sein. Vergiss nicht zu
schreiben:...Alle Erfindungen und Entdeckungen sollten nuetzlich fuer den
Fortschritt der Zivilisation, fuer die Verbesserung des Lebens auf der Erde
sein. Wir werden jede Erfindung ausschliessen, die einen destruktiven
Gebrauch haben koennte.
ANGELO: - Ungluecklicherweise, Herr Nob...Alfred, haengt der Gebrauch
jeder Erfindung vom moralischen Standpunkt, von dem Grad des
Bewusstseins der Menschheit ab. Lass mich hoffen.
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NOBEL: - Mich auch.
CLAIRE: - Darf ich einen weiteren Preis vorschlagen?
NOBEL: - Wir hoeren dich.
CLAIRE: - Ein Preis fuer Literatur, fuer die beste Arbeit in der Literatur mit
hoeherer, positiverer, humanistischer Ideen und Richtungen.
NOBEL: - Ja, diesen auch. Und somit haben wir fuenf Preise. Angelo, du hast
jetzt alle Daten um meinen Letzten Willen und Testament aufzusetzen. Sobald
du es fertig hast, bring es zu mir, um es zu unterzeichnen. Ich danke euch
beide ganz herzlichst. (Ein Zucken und ein Anfall von Schmerz.) – Du darfst
gehen.
CLAIRE: - Leidest du immer noch? An Schmerzen? Willst du, dass ich einen
Arzt rufe? Willst du, dass ich hier bleibe?
NOBEL: - Ich moechte, dass du gehst, weil ich mit mir allein sein will, um
mich zu entspannen, mich zu erholen. Wenn ich sterbe, will ich, dass mein
Tod mir gehoert. Ich werde hier liegen, auf dem Sofa. Mach die Heizung an
bevor du gehst. Ich brauche Waerme. (Er begibt sich zum Sofa.) – Auf
Wiedersehen.
(Claire geht zu Nobel, nimmt seine Hand, kuesst sie, kniet vor ihm. Nobel legt
seine Hand auf ihren Kopf und hilft ihr aufzustehen. Sie trennen sich.)
ENDE des SPIELS
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