4. Würzburger Infektiologisches Symposium, 1. April 2006 Firstline bis Salvage: HIV-Therapie 2006 – Was wann für wen? Prof. Dr. med. Matthias Stoll Abteilung Klinische Immunologie,Zentrum Innere Medizin, Medizinische Hochschule Hannover, Carl Neuberg Str. 1, D-30625 Hannover Vor gut zehn Jahren endete mit der Einführung von HAART eine Phase von nur begrenzt wirksamen Therapiemöglichkeiten der HIV-Infektion. Seither ermöglichen die hoch wirksamen antiretroviralen Kombinationstherapien (HAART) eine lang anhaltende virologische Kontrolle. Die Optimisten von vor 10 Jahren wurden in ihren kühnsten Erwartungen fast noch übertroffen: Die Hemmung der Virusreplikation mittels HAART bewirkte nicht nur ein Aufhalten der Krankheits-Progression. Vielmehr kommt es zu deren Umkehr mit immunologischer Rekonstitution und nachhaltiger Reduktion von Morbidität und Mortalität. Das überraschende Ausmaß des therapeutischen Erfolgs lässt sich auch daran ablesen, dass unter HAART klinisch der Immundefekt ganz in den Hintergrund tritt und teilweise zuvor kaum erwartete hypererge immunrekonstitutionelle Immunreaktionen (IRIS) antiphlogistisch oder immunsuppressiv behandelt werden müssen. Auch die Pessimisten von vor zehn Jahren behielten allerdings mit einer Vorhersage recht: Die Hoffnung auf eine Eradikation der latenten VirusReservoire, als eine potentiell kurative Behandlungsoption bietet HAART nicht. Der Preis dieses Erfolgs ist recht hoch: Nicht allein im ökonomischen Sinne aus der Sicht von Kostenträgern unseres Gesundheitswesens, weil antiretrovirale Therapien kostenintensiv sind. Den höchsten Preis tragen weiterhin die Patienten aus drei Gründen: Erstens müssen sie HAART dauerhaft einnehmen. Zweitens ist deren Verträglichkeit nicht immer zufrieden stellend. Drittens besteht die Gefahr eines Wirksamkeitsverlusts mit der Entwicklung von resistenten HI-Viren unter HAART. Ein wesentlicher Paradigmenwechsel hat sich seither vollzogen: Wurde früher möglichst frühzeitig mit der Therapie begonnen („Hit hard and early“) und diese auch asymptomatischen Patienten mit gutem Immunstatus nicht vorenthalten, so stellen heute in der Regel selbst symptomatische Patienten von sich aus kritisch die Frage, „ob denn die Einleitung einer HAART nicht noch hinasusgezögert werden könne“. Dabei schwingt das Pendel derzeit wieder zu einem früheren Therapiebeginn zurück. Gründe dafür sind einerseits die Zulassung einiger neuerer Substanzen mit besserer Verträglichkeit und andererseits die Erkenntnis, dass überraschenderweise Morbidität und Mortalität auch von nicht-HIVassoziierten Erkrankungen unter HAART geringer sind. Wo genau allerdings der ideale Zeitpunkt für die Einleitung einer HAART beim asymptomatischen Patienten liegt, bleibt damit weiterhin kontrovers. HAART ist für viele Patienten völlig unproblematisch. Nicht wenige Patienten, die vor zehn Jahren auf eine der damals ganz neuartigen Kombinationen eingestellt wurden, vertragen diese gut - bei anhaltender Wirksamkeit. Für andere Patienten ist HAART allerdings mit belastenden Nebenwirkungen und/oder einem raschen Wirksamkeitsverlust verbunden. Die Therapie kann virologisch, immunologisch oder klinisch versagen – und in allen Kombinationen dieser drei Qualitäten. Aus nicht gut verstandenen Gründen bewahrt auch eine immunologisch oder virologisch versagende HAART trotzdem den Patienten meist noch recht gut vor klinischen Ereignissen. Allerdings ist es bei jeder versagenden antiretroviralen Therapie nur ein kurzer Weg zur Notwendigkeit einer Salvage-Behandlung. Auch für diese gilt das Prinzip der Kombinationsbehandlung mit mehreren voll wirksamen Substanzen. Hier ist jüngst großer Fortschritt erzielt worden: Ein erster Vertreter einer neuen Substanzklasse (Fusionsinhibitor) ist seit wenigen Jahren verfügbar. Zahlreiche neue Wirkprinzipien sind z.T. bereits in klinischer Entwicklung: Attachement-Inhibitoren, Chemokinrezeptorantagonisten (CXCR4 und CCR5) als weitere Entry-Inhibitoren; außerdem Integrasehemmer, Maturationshemmer und Antisense-Drugs. Auch in den bisher schon verfügbaren Wirkstoffklassen gibt es wirksame Neuentwicklungen. Ein erster 2nd-line Proteasehemmer wurde Ende 2005 zugelassen, weitere Kandidaten sind in Phase III Studien oder kurz davor. Entwicklungen von noch bei multipler Resistenz wirksamen Substanzen gibt es auch bei den Nukleosidanaloga, den nicht-nukleosidalen Hemmstoffen der RT und den Fusionshemmern. Eine wirkliche Salvagetherapie muss wegen der begrenzt verfügbaren Optionen daher wohl auch in absehbarer Zukunft vorwiegend im Rahmen klinischer Studien stattfinden.