Günter Rexrodt – Politik als Beruf Mein Nachruf „Mister Wirtschaft“ war in Wahrheit „Mister Politik“. Wie von einer Rakete angetrieben raste er durch Gremien, preschte in hohe und höchste Positionen. Wenn andere für solche Positionen schon anstanden, forderte er sie heraus. So kam er in das Amt des Finanzsenators von Berlin. So wurde er im zweiten Anlauf Wirtschaftsminister, nachdem er im ersten noch Jürgen W. Möllemann unterlegen war. Für ihn war es eine Genugtuung, als er 1999 zum zweiten Mal Landesvorsitzender der Berliner FDP wurde, nachdem er dieses Amt 1995 wegen der 2,5%-Wahlschlappe hatte aufgeben müssen. Und welch ein Triumph war es, als er 2001 seine Berliner Landespartei wieder zurück in die Politik führte! Was trieb ihn an? Zuerst war es seine marktwirtschaftliche Grundausrichtung. In den siebziger Jahren war er da ein einsamer Rufer im sozial-liberalen Umfeld. Als es längst noch nicht Allgemeingut der Parteien - selbst der FDP nicht – war, forderte er Deregulierung, Reform und Umbau des Sozialsystems. Günter Rexrodt war, seit er in der Politik auftauchte, ein Anti68er. Er war ein Gesinnungsliberaler, längst bevor er in seine hohen Ämter gekommen war. Je steiler seine Karriere nach oben ging, desto vertrauter wurde ihm die Droge Macht. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bundesministers sah er sich von 200 auf 50 km Geschwindigkeit gedrosselt. Da war er schon so „drauf“, dass er das nicht als Vor-, sondern als Nachteil empfand. Gesinnung und Macht gingen eine Verbindung ein, die den Mann beherrschte. Die Gesinnung war ihm wie ein Panzer geworden, mit dem er seine Machtpositionen verteidigte. Kritik wehrte er zunehmend reflexartig ab, weil er sie als Angriff auf seine Überzeugung und Position interpretierte. Aber er hatte das für einen Politiker wichtige Augenmaß nicht verloren, und war fähig, seine erste, spontane Haltung zu revidieren. Aber ablassen von der Politik als Beruf wollte er nicht. Als durch die parteipolitischen Umstände hohe Staatspositionen nicht mehr offen standen, übernahm Rexrodt andere Ämter, bürdete sich sogar noch die undankbare Position des Bundesschatzmeisters seiner Partei auf. Schließlich hatte der Bundestagsabgeordnete Günter Rexrodt mehr „Nebenämter“ als die allermeisten seiner Kollegen. Alles erinnert an Max Weber und seinen Vortrag über „Politik als Beruf“: Der Gesinnungspolitiker: „Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind, so gilt nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der Menschen...“ Die Macht: An der Macht fessele „das Gefühl, einen Nervenstrang historisch wichtigen Geschehens mit in Händen zu halten...“ Dass es dem Gesinnungspolitiker nicht an Verantwortung mangeln müsse wie dem Verantwortungspolitiker nicht an Gesinnung, auch das hat Max Weber gesehen. Und so war Günter Rexrodt in der Praxis ein Mann der Verantwortung: In seinen Staatsämtern hat er gewusst, was Amtspflicht ist. Er hat sich dem Ganzen und nicht einer Partei verpflichtet gezeigt. Und wenn er einmal ein Versprechen gegebene hatte, eine Vereinbarung getroffen, dann hat er sich daran gehalten. Die Natur hat den Politiker Rexrodt zweimal vor seinem Beruf gewarnt: Die erste Warnung war die Malaria-Erkrankung. Danach redete Rexrodt über Abstand von der Politik und andere Prioritäten. Doch er verstrickte sich erneut ins politische Geschäft. Vielleicht war es Anfang 2004 schon zu spät für andere Prioritäten. Im Sommer erlosch das wie von einer Rakete angetriebene Politikerleben jäh. Es bleibt die Trauer der Familie und der Freunde. Die Kollegen in der Politik vom Rathaus bis zum Bundestag sind verstört. Hatten sie doch erwartet, mit Günter Rexrodt wieder zu planen, zu diskutieren und auch zu streiten. Vorbei. Nach einem kurzen Innehalten wird die Hektik des Politikbetriebes weiter gehen. Es wird nicht vergessen werden, dass Politik als Beruf mit Leidenschaft betrieben, gefährlich ist. Aber es wird verdrängt. Im Bundestag und in der Bundesregierung agieren Politiker aller Parteien, denen die Natur schon die „rote Karte“ gezeigt hat. Sie machen weiter. Und sie kennen die Gefahr: Vor Günter Rexrodt waren andere Liberale wie er gefangen von Leidenschaft und Verantwortung in der Politik und dabei abhängig geworden von der Droge Macht: Es waren Persönlichkeiten darunter wie Friedrich Naumann, Wolfgang Döring und Karl-Hermann Flach. Sie alle sind sehr früh gegangen - wie Günter Rexrodt. Und das Publikum blieb ratlos. Jürgen Dittberner