2964 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 37. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 4. Mai 1999 Oswald Metzger (A) Da waren wir noch nie anderer Auffassung. Das können Sie sogar in unseren Wahlprogrammen des letzten Jahres nachlesen. Diese Debatte wird innerhalb der Koalition geführt. Sie wird übrigens auch in Ihren Reihen geführt. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Die Antwort auf diese Frage wird extrem schwierig, weil die bisherige Umverteilungsmechanik, bei den höheren Renten etwas wegzunehmen und die breite Masse der Renten aufzustocken, mehr Geld kostet. Das ist eine Binsenweisheit. Das ist versicherungsmathematisch und rechnerisch festzustellen. Folglich kann man aus der Sicht der Grünen an einem sogenannten Lebensaltersfaktor nicht vorbeikommen, weil wir nur damit die Generationengerechtigkeit und eine langfristige Finanzierung der Rente sichern. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Ein weiterer Gesichtspunkt: Die Steuerpolitik wird heute noch – wenn ich die folgenden Redner, und zwar vor allem Herrn Merz und Herrn Poß, betrachte – eine große Rolle spielen. Ich kann es nicht mehr hören, wenn Sie in der steuerpolitischen Debatte die Petersberger Beschlüsse vor dem Hintergrund der Kritik an den jetzigen knappen Haushaltsreserven immer wieder ins Spiel bringen und sagen: Wir hätten eine Nettoentlastung durchgeführt, dann hätte die Wirtschaft geboomt, und dadurch wären die Steuerausfälle nach kurzer Zeit durch entsprechende konjunkturelle Selbstfinanzierungseffekte kompensiert worden. Wie bitte könnten Sie einen verfassungsgemäßen (B) Haushalt für das Jahr 2000 vorlegen, wenn im Haushalt 1999 eine Nettoneuverschuldung von 53,5 Milliarden DM eingeplant ist und nach Art. 115 des Grundgesetzes die Grenze für die Neuverschuldung durch Investitionsausgaben bei 58,2 Milliarden DM liegt? Wenn Sie 30 Milliarden DM mit der Gießkanne über das Volk und die Wirtschaft verteilen wollen, ist Ihr Haushalt verfassungswidrig. Außerdem werden Ihnen die von Ihnen regierten Länder höllisch widersprechen, und Stoiber wird Schäuble noch viel stärker im Nacken sitzen, wenn es um das bayerische Geld geht und wenn der bayerische Landeshaushalt plötzlich Probleme bekommt, weil er die Steuerausfälle einer solchen alten Petersberger Reform nicht verkraften kann. Oder haben Sie im Hintergrund doch nicht die ganze Zeit lautstark – oder eher leise – die Mehrwertsteuermelodie gepfiffen, nach dem Motto, die Tarife bei den direkten Steuern senken und dafür die Mehrwertsteuer erhöhen zu wollen? Aber dann sollten Sie hier nicht wieder mit dem Finger zeigen und sagen: Ihr kalkuliert eine Mehrwertsteuererhöhung ein und wollt ja eigentlich nicht sparen. besetzt. Lesen Sie es nach. Es ist sehr vernünftig und überlegenswert, was sie schreiben. Finanzminister Eichel hat in allen Interviews eine Prüfung zugesagt. Er hat die Grundtendenz einer solchen Steuerphilosophie bereits seit Wochen bejaht. Die Grundmelodie heißt: Senkung der nominal hohen Tarife in Deutschland und Beseitigung der Schlupflöcher, der Ausnahmetatbestände. Das ist eine Philosophie, die in diesem Haus eigentlich eine ganz breite Mehrheit hat. Man muß sie nur endlich umsetzen. Glauben Sie etwa, daß die Selbstfinanzierung einer Unternehmensteuerreform à la Reagan, USA, 1986, was ich immer wieder höre – Selbstfinanzierung durch Laffer-Kurve –, in einem Land, in dem das größere Problem die Abgabenquote ist, also die Höhe der Lohnnebenkosten durch Sozialversicherungsbeiträge, möglich ist? Bei einer unterdurchschnittlichen volkswirtschaftlichen Steuerquote solche wundersamen Selbstfinanzierungseffekte zu erwarten ist Humbug. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Bei uns wird eine Steuersatzsenkung nicht in dem Ausmaß konjunkturpolitisch greifen können wie in einem Land wie Amerika, wo die Abgabenquote signifikant niedriger ist als in Deutschland. Darüber habe ich früher bereits mit Ihrem Kollegen Lambsdorff diskutiert. (Zuruf von der F.D.P.: Haben Sie etwas gelernt?) Meiner Auffassung nach gibt es durch eine konzeptionell vernünftige Steuerreform natürlich Selbstfinanzierungseffekte. Diese sind aber viel bescheidener. Deshalb kann das Versprechen einer Nettoentlastung nicht so aussehen, daß man der Wirtschaft zu Zeiten, in denen die Haushaltsmittel knapp sind, ab 1. Januar 2000 plötzlich 10 oder 15 Milliarden DM zur Verfügung stellt. Ich wäre schon froh, wenn wir eine Konzeption in zwei oder drei Stufen mit 35 Prozent inklusive Gewerbeertragsteuer in der Spitze überhaupt umsetzen könnten. Wenn wir zumindest die Körperschaftsteuersätze in der ersten Stufe auf 28 Prozent senken könnten, dann würden die Wirtschaftsvertreter mit ihrer Kritik plötzlich leiser; denn wenn die Wirtschaft etwas kann, dann ist es pragmatisch rechnen und planen, wenn sie Verläßlichkeit hat. Für diese Verläßlichkeit müssen wir in der Tat sorgen. Das ist eine Bringschuld unserer Regierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Das ist wahr!) Diese Verläßlichkeit werden Sie in diesem Jahr auch bekommen. (Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Was ist mit dem Glashaus?) (Dr. Günter Rexrodt [F.D.P.]: Das haben Sie in den letzten Monaten unter Beweis gestellt!) Stichwort Steuerreform: Daß Reformen im Steuersystem angezeigt sind, ist keine Frage. Angesichts dessen, was die Reformkommission letzten Freitag vorgelegt hat, können Sie nicht sagen, das sei fachlich inkompetent. Die Kommission war ja nun wirklich hochkarätig – Wissen Sie, Jack Lang, der frühere französische Kulturminister, hat einmal gesagt: Regieren kann man lernen. – Rotgrün regiert unser Land – das sage ich jetzt ohne Ironie – in einer Kriegssituation, was für eine demokratische Gesellschaft politisch eine extreme Be- SEITE ZURÜCK (C) SEITE VOR (D)