Krankenbericht über einen Patienten der Klinik für Wiederkäuer und Schweine Die Untersuchung findet am 27.4.00 in der Zeit von 12.00- 13.00 Uhr im Stall der Klinik für Wiederkäuer statt. Anamnese Das Tier wird am 21.4.00 in der Klinik vorgestellt. Es nimmt seit 2 Tagen kein Futter mehr auf, die Milchleistung ist zurückgegangen und der Pansen ist gebläht. Der Haustierarzt hat die Kuh mit einem Pansenstimulans vorbehandelt. Das Tier wurde erst 5 Tage vor der Vorstellung in der Klinik zugekauft, im Bestand sind 60 Kühe. Es handelt sich um einen IBR-freien Milchvieh-Bestand. Andere Tiere sind nicht erkrankt. Die Haltungsform ist Anbindehaltung. Die Fütterung erfolgt mit Grassilage und Kraftfutter. Die durchschnittliche Herdenleistung liegt bei 6000 kg Milch pro Jahr. Der Aufnahmebefund ist folgender: Die Kuh verhält sich ruhig, der Rücken ist aufgekrümmt. Die Körperinnentemperatur liegt bei 38,3 °C. Der Pansen füllt fast die gesamte Bauchhöhle aus, die linke Hungergrube ist vorgewölbt. Der Panseninhalt ist nicht geschichtet, die Bauchdecke ist gespannt. Das Leberperkussionsfeld ist physiologisch. Die Fremdkörperproben fallen negativ aus. Bei der rektalen Untersuchung fällt auf, daß der Pansen sehr groß ist und weit in die rechte Seite der Bauchhöhle ragt. Dorsal im Pansen befindet sich eine Gasblase, ventral Flüssigkeit. Das Peritonäeum ist glatt. Der Pansensaft ist von oliv-grüner Farbe und dickflüssiger Konsistenz mit Schaum. Der Geruch ist muffig, der pH liegt bei 7,5. Die Methylenblauprobe dauert 8 Minuten, die Infusorien sind vermindert. Die Blutwerte sind folgende: Leukozyten 19,2 G/l, Hämatokrit 0,37 l/l, Erythrozyten 6,81 T/l; das Differentialblutbild ergibt 7 % stabkernige und 63 % segmentkernige Granulozyten sowie 30 % Lymphozyten; Elektrolyte: Natrium 141 mmol/l, Kalium 3,13 mmol/l, ionisiertes Kalzium 1,06 mmol/l; der Glutaraldehyd-Test war 2 Minuten. Bei der Harnuntersuchung fällt auf, daß die Ketonkörper 3-fach positiv sind. Am 24.4.00 wird eine Labmagenverlagerung nach links diagnostiziert und operativ behandelt. Signalement Bei dem zu untersuchenden Tier handelt es sich um ein weibliches Rind der Rasse Deutsch Rotbunt namens „Rita“. Die Kuh ist von rassetypischer Farbe, alle 4 Gliedmaßen sind weiß, der Kopf ist rot. Im rechten Ohr befindet sich eine Ohrmarke mit der Nummer 44935. Das Gewicht der Kuh beträgt ca. 620 kg. STATUS PRÄSENS Allgemeine klinische Untersuchung „Rita“ belastet alle 4 Gliedmaßen gleichmäßig. Sie ist ruhig, aber aufmerksam. Die Pulsfrequenz beträgt 92, während die Atemfrequenz bei 40 liegt. Die Körperinnentemperatur beträgt 38,8 °C. Der Pflegezustand des Tieres ist als gut zu bezeichnen, der Ernährungszustand ist mäßig (BCS 2). Spezielle klinische Untersuchung Haare/Haut Das Haarkleid ist geschlossen, dicht und glänzend. Die Haare decken sich und sind fest. Haarausfall, Juckreiz und Parasiten sind nicht feststellbar. Die Haut am lateralen Abdomen der rechten Körperhälfte ist rasiert, hier befindet sich eine Operationsnarbe. Diese ist trocken und nicht vermehrt warm. Der Hautturgor ist geringgradig herabgesetzt, ansonsten weist die Haut keinerlei Veränderungen auf. Schleimhäute Die Konjunktival- und Maulschleimhäute sind blaß-rosa, feucht, glatt, glänzend und ohne Auflagerungen. Lymphapparat Die Lnn. cervicales superficiales und subiliaci sind nicht vergrößert und von prall-elastischer Konsistenz. Sie sind gut abgrenzbar und weder vermehrt warm noch schmerzhaft. Zirkulationsapparat Die kapilläre Rückfüllzeit an der Maulschleimhaut liegt bei 2 Sekunden. Die Episcleralgefäße sind nicht injiziert und gut konturiert. Die Herzfrequenz liegt bei 92 Schlägen pro Minute, der Herzschlag ist kräftig, aber unregelmäßig. Die Herztöne sind schlecht von einander abgesetzt. Nebengeräusche sind nicht zu auskultieren. Die Pulsfrequenz stimmt mit der Herzfrequenz überein. Die Pulswelle ist kräfig, gleichmäßig und symmetrisch, aber wie der Herzschlag unregelmäßig. Die Arterien sind gut gefüllt, die Arterienwände gut gespannt. Beide Venae jugulares sind geringgradig gestaut. Respirationstrakt Die Atemfrequenz liegt bei 40, der Atemtyp ist costoabdominal mit abdominaler Betonung. Atemrhythmus sowie Atemintensität sind physiologisch. Das Flotzmaul ist kühl und feucht. Die Ausatemluft kommt symmetrisch aus beiden Nasenlöchern. Die Auskultation der Trachea und der Lunge ergibt keine Anzeichen einer gestörten Atemfunktion. Digestionstrakt Der Appetit der Kuh ist gut, sie nimmt während der gesamten Untersuchung Heu auf. Futter- und Wasseraufnahme sowie Kotabsatz sind physiologisch. Die Bauchdecke ist locker, der Bauchumfang nicht vermehrt. Die Pansenschichtung ist erhalten, der Pansen ist gut gefüllt. Pansengeräusche sind sowohl in der linken Hungergrube als auch auf der rippengestützten Bauchwand zu auskultieren. Der Pansen kontrahiert sich 3 mal in 2 Minuten, die Intensität ist 1-fach positiv. Schwing- und Perkussionsauskultation sind beidseits negativ. Das Leberperkussionsfeld ist physiologisch. Der Kot ist mittelbreiig und oliv. Harnapparat Wasseraufnahme sowie Harnabsatz sind physiologisch. Nervensystem und Sinnesorgane „Rita“ zeigt ein normales Verhalten. Sie ist ruhig, aber aufmerksam und reagiert sowohl auf akustische aus auch auf optische Reize. Die zerebralen Reflexe (Droh-, Lid-, Cornea- und Ohrabwehrreflex) sind normoreflektorisch. Augen und Ohren sind adspektorisch unauffällig. Bewegungsapparat Die Kuh belastet alle vier Gliedmaßen gleichmäßig. An den Ballen der rechten und linken Hintergliedmaße befinden sich jeweils ca. 3 cm große umschriebene Läsionen. Weiterführende Untersuchungen Die Harnuntersuchung ergibt folgende Befunde: Leukozyten, Nitrit, Eiweiß, Ketonkörper, Bilirubin und Blut sind negativ. Der pH liegt bei 5-6. Glucose und Urobilinogen sind normal, das spezifische Gewicht beträgt 1007. Diagnose 1.Herzarrhythmie(Vorhofflattern/ -flimmern) 2.Dermatitis interdigitalis 3.Dislocatio abomasi sinistra post-operativ 4.therapierte Ketose Differentialdiagnosen zu 1.: Herzblock; Extrasystolen; Ersatzsystolen zu 3.: andere Indigestionen; primäre Azetonämie; Peritonitis; Pneumoperitonäeum; peritonäealer Abszeß; verlagerte, stark gasgefüllte Darmteile (Blinddarm) zu 4.: Digestive Form: Leberschädigung; Reticuloperitonitis traumatica; Dislocatio abomasi sinistra; alimentäre Indigestionen; Nervöse Form: Tollwut; traumatische After-Blasen-SchwanzLähmung; Bleivergiftung; Tetanie; Polioenzephalomalazie; Meningitiden; hypokalzämische Gebärparese Epikrise Störungen der Herzschlagfolge können zum einen Anpassungsvorgänge sein, zum anderen aber auch Störungen der Herzfunktion. Dies kommt beim Rind relativ häufig vor. Weiterhin muß zwischen Reizbildungs- und Reizleitungsstörungen unterschieden werden. Die untersuchte Kuh hat eine geringgradige Tachycardie von 92 Schlägen pro Minute. Den Tachycardien liegen Reizbildungsstörungen zugrunde. Vorübergehend treten Tachycardien bei Zuständen mit Anstrengung, Erregung, Angst und Schmerz sowie im Verlauf fieberhafter Erkrankungen auf. Anhaltende und stärkere Tachycardien dagegen sind Symptom bestimmter Kreislaufstörungen (Herz- oder Gefäßschwäche, Blutmangel), treten aber auch als Begleiterscheinung von Erkrankungen des Respirationstraktes auf. Herzarrhythmien kommen durch Heterotopien (örtliche Verlagerung der Reizbildung) zustande. Beim Herzflattern/-flimmern kontrahieren sich Vorhöfe und Kammern hochfrequent (Flattern) oder unkoordiniert (Flimmern) unabhängig voneinander. Folge ist die völlige Unregelmäßigkeit von Puls und Herztätigkeit. Beim Vorhofflattern und –flimmern ist die Auswirkung auf die Herzleistung gering, da die Vorhöfe nur eine geringe Förderleistung haben. Differentialdiagnosen: Hier sind zunächst Kammerflattern und –flimmern zu nennen, welche in kurzer Zeit zum Tod durch Herzversagen führen. Beim Herzblock handelt es sich um Erregungsleitungsstörungen. Er geht mit Bradycardie und zum Teil (bei Asynchronizität der Kammerrhythmen) mit Spaltung oder Verdopplung eines Herztones einher, welche bei der untersuchten Kuh nicht gefunden werden können. Extrasystolen entstehen durch vorzeitige Impulsgebung nachgeordneter Reizzentren. Sie können im Zusammenhang mit verschiedenen Herzmuskelerkrankungen und Arzneimittelschädigungen (z.B. Überdosierung von Herzglykosiden) auftreten. Bei Tieren mit Extrasystolen kann ein Pulsdefizit festgestellt werden, was bei „Rita“ nicht der Fall ist. Ersatzsystolen können bei starker Vagusbradycardie auftreten, was hier ebenfalls auszuschließen ist. Bei der Dermatitis interdigitalis handelt es sich um eine Infektionskrankheit. Ursache ist eine Mischinfektion. Die Manifestation der Krankheit wird durch hohe Feuchtigkeit (z.B. zu langer Verbleib der Einstreu auf den Standplätzen) begünstigt. Die Lederhaut der Klauen durchnäßt besonders, wenn viel Ammoniak vorhanden ist. Es können Rinder aller Altersklassen betroffen sein. In der Regel sind 1-2 Extremitäten betroffen, besonders die der Hintergliedmaßen. Die oberflächliche Hautentzündung befindet sich vor allem am Kronsaum und, wie bei der untersuchten Kuh, im Ballenbereich. Die Entzündung ist meistens begrenzt. Bei betroffenen Tieren ist eine ausgeprägt Stützbeinlahmheit zu beobachten, die erkrankte Gliedmaße wird leicht angebeugt gehalten. Die Dermatitis kann über Monate hinweg bestehen, ohne das sich die Läsionen ausbreiten oder in tiefere Gewebsschichten vordringen. Die Dislocatio abomasi sinistra ist nicht geschlechtsgebunden, es besteht aber eine Prädisposition für erwachsene weibliche Rinder, vor allem Hochleistungskühe der Milchrassen. Labmagenverlagerungen treten bei Tieren aller Altersklassen ab dem 3. Lebensmonat auf, besonders in den ersten 6-8 Wochen post partum; seltener bei hochtragenden oder später laktierenden. Zuchtbullen erkranken nur sehr selten, Mastbullen nie. Äthiologisch handelt es sich bei der Labmagenverlagerung um ein multifaktorielles Geschehen. Die einzelnen Faktoren sind wechselseitig voneinander abhängig und tragen individuell in unterschiedlichem Maße zur Labmagenverlagerung bei. Von besonderer Bedeutung ist die Ernährung. Die Labmagenverlagerung wird begünstigt durch einen zu hohen Anteil an Kraftfutter bzw. geringe Rauhfuttermengen, wenige Mahlzeiten mit jeweils großen Futtermengen, gering strukturiertes Futter sowie durch fehlerhafte Futterumstellung beim Übergang von der Trocken- zur Laktationsperiode. Einen weiteren fördernden Einfluß auf Labmagenverlagerungen stellen Stoffwechselbelastungen und Erschöpfungszustände dar. So treten Labmagenverlagerungen oft im Zusammenhang mit Endometritis, Azetonurie und Leberschädigungen (Leberverfettung) (sogenannter LEAL-Komplex) sowie mit Mastitis, traumatischer Retikuloperitonitis, chronischen Klauenleiden, Leukose, Kalziummangel, ... auf. Mechanische Einwirkungen (Druck des graviden Uterus auf den Labmagen, Preßwehen unter der Geburt, wälzen beim Kalben, transportbedingte Erschütterung, ...) spielen nur im Zusammenhang mit den eben genannten Faktoren eine Rolle. Genetische Dispositionen spielen eine Rolle in Bezug auf die Anlage zu hoher Milchleistung und die Anatomie, z.B. einen tiefen Rumpf. Von besonderer pathogenetischer Bedeutung ist eine Hypo-/Atonie des Labmagens mit Dilatation und Ansammlung einer Gasblase in der Labmagenkuppe: Nach zu energiereicher Fütterung entstehen im Pansen große Mengen Fettsäuren, welche nicht vollständig resorbiert werden können und so in den Labmagen weitertransportiert werden. Dieser reagiert mit einer Atonie und füllt sich dadurch immer mehr. Durch die vermehrt ablaufenden Gärungsprozesse bilden sich große Gasmengen. Der Labmagen ist cranial relativ starr am Psalter fixiert, die caudalen 2/3 sind aufgrund ihres langen Gekröses sehr beweglich. Der Labmagen verlagert sich zunächst unter dem Schleudermagen hindurch auf die linke Seite und zieht dann durch zunehmende Gasansammlung zwischen Pansen und Bauchwand nach dorsal. Die Labmagenverlagerung verläuft subakut bis chronisch. Sie beginnt mit verminderter und wechselhafter (Gas im Labmagen -> verminderter Appetit -> Gas wird resorbiert -> Appetit nimmt zu -> ...), zum Teil auch völlig aussetzender Futteraufnahme. Die Milchleistung sinkt und das betreffende Tier verliert an Gewicht. Die Bauchdeckenspannung ist oft erhöht. Ist der verlagerte Labmagen hochgradig mit Gas gefüllt, so ist die linke Bauchwand leicht vorgewölbt. Bei sehr weit nach caudal verlagertem Labmagen kann dieser in der linken Hungergrube palpier- und sichtbar sein, der Rest der Hungergrube ist aufgrund des schlechten Appetits eingefallen. Weiterhin führt die verminderte Futteraufnahme zu verringerter Pansenmotorik und stark wechselnder Rumination. Es werden geringe Mengen eines schwarzgrünen pastösen Kotes abgesetzt. Das Verhalten des Tieres kann reduziert oder normal sein. In über 50 % der Fälle entwickelt sich eine sekundäre Azetonämie und –urie, wie es auch bei „Rita“ der Fall war. Ohne Behandlung schreitet die Abmagerung über mehrere Wochen fort, bis das Tier schließlich an hochgradiger Erschöpfung verendet oder geschlachtet wird. Die Diagnose der Labmagenverlagerung erfolgt zunächst durch Doppelauskultation des Pansens (in der Hungergrube und über der rippengestützten Bauchwand) und Schwing- und Perkussionsauskultation (plätschern bzw. „Steelband-Effekt“ bei Labmagenverlagerung). Zur Sicherung der Diagnose können folgende Untersuchungen durchgeführt werden: „Pusteprobe“: über eine Nasenschlundsonde wird bei gleichzeitiger Doppelauskultation Luft in den Pansen eingeblasen (improvisierte Pansenmotorik); wird bei der rektalen Untersuchung festgestellt, daß der Pansen nicht gasgefüllt ist, so ist dieser nicht die Ursache für den „Steelband-Effekt“, in hochgradigen Fällen ist der Labmagen rektal palpierbar; Punktion am ventralen Ende des „Steelband-Bereiches“ (Labmagen: pH < 4); Laparoskopie; Laparotomie. Bei der Azetonämie handelt es sich um Störungen im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel, deren Ursache ernährungsbedingt sein kann, oder aber im Tier selbst zu suchen ist. Betroffen sind vor allem tierzüchterisch wertvolle Hochleistungskühe, die gut genährt bis fett sind. Besonders negativ wirkt sich eine intensive, auf hohe Milchleistung ausgerichtete aber unausgeglichene Fütterung aus. In der Regel setzt die klinisch manifeste Ketose auf dem Höhepunkt der Laktation bzw. einige Tage bis 6 Wochen nach dem Kalben ein, selten auch schon während der Hochträchtigkeit. Die meisten Fälle werden während der Stallperiode beobachtet. Man unterscheidet zwischen primärer und sekundärer Azetonämie: Bei der primären Azetonämie handelt es sich um ein selbständiges Leiden, die sekundäre Azetonämie dagegen ist eine Folge anderer Erkrankungen, welche die Futteraufnahme oder –verwertung verhindern. Die untersuchte Kuh hatte eine sekundäre Azetonämie, welche sich infolge der linksseitigen Labmagenverlagerung entwickelt hat. Ursache für die Azetonämie ist eine übermäßige Belastung des Kohlenhydrathaushaltes: 1.) Gegen Ende der Trächtigkeit und besonders zu Beginn der Laktation führt der hohe Glucoseverbrauch für die Bildung von Lactose zu einer Steigerung der Gluconeogenese. Reicht die so gebildete Glucose nicht zur Bedarfsdeckung aus, so kommt es zur Hypoglykämie, woraufhin körpereigenes Fett als Energiequelle mobilisiert wird. Hierbei fällt Acetyl-Coenzym A an, welches nur verwertet werden kann, wenn Oxalacetat zur Verfügung steht. Das Oxalacetat aber wird vorrangig für die Gluconeogenese verwendet. Folglich wird das Acetyl-Co A zu Ketonkörpern (ß-Hydroxybutyrat, Acetoacetat, Aceton) abgebaut, welche aus der Leber ins Blut ausgeschüttet werden. Wird das Vermögen des Körpers, diese Ketonkörper zu verbrennen und auszuscheiden, überschritten, sammeln sich abnorme Ketonkörpermengen im Blut an =Azetonämie. 2.) Bei Rohfaser-Mangel in ungünstig zusammengesetzten Futterrationen wird im Pansen viel Buttersäure, aber relativ wenig Propion- und Valeriansäure gebildet. Buttersäure kann nicht für die Gluconeogenese genutzt werden und wird zu dem Ketonkörper ß-Hydroxybutyrat umgewandelt. 3.) Ketogene Futtermittel, wie z.B. Kokosschrot und Silagen, enthalten einen hohen Anteil an kurzkettigen Fettsäuren, welche zu Ketonkörpern umgewandelt werden. Alles in allem läßt sich also die Ketose auf sämtliche Faktoren zurückführen, welche 1. den Glucose-Bedarf steigern, 2. die Gluconeogenese bzw. Energieversorgung hemmen, und 3. die Ketonkörperbildung fördern. Bei der hier untersuchten Kuh ist die Ursache zum einen die verminderte Energieversorgung aufgrund der herabgesetzten Futteraufnahme, welche Folge der Labmagenver-lagerung ist. Zum anderen führt der daraus resultierende vermehrte Abbau körpereigener Fettvorräte zur erhöhten Ketonkörperbildung. Die latente (= subklinische) Form der Azetonämie ist auf maximale Belastung der Gluconeogenese und des Fettabbaus im Verlaufe der Gestation, der Laktation und von Hungerzuständen zurückzuführen und wird deshalb auch als „physiologische Azetonurie“ bezeichnet. Das Allgemeinbefinden ist bei dieser Form ungestört, Futteraufnahme und Milchleistung einzelner Tiere gehen eventuell zurück. Die Ketonkörper sind in Blut, Harn und Milch erhöht. Ursache der digestiven Form („Laktationsdigestion“) ist wahrscheinlich die Hypoglykämie. Symptome sind wechselnder, einseitiger Appetit (oft nur Kraftfutter oder Heu), Verstopfung und Abmagerung. Rumination, Pansenmotorik sowie Milchleistung sinken und die Vormagenverdauung ist gestört. Die Tiere zeigen Apathie und Müdigkeit, sind schlapp und haben evtl. eine Nachhandparese, so daß eine scharfe Trennung zwischen digestiver und nervöser Form kaum möglich ist. Die nervöse Form ist auf die Wirkung der Ketonkörper im ZNS zurückzuführen. Betroffene Tiere sind somnolent bis komatös, es werden aber auch Aufregungserscheinungen beobachtet. Weiterhin kommen Nachhandparesen und das Benagen der Krippe vor. Die nervöse Form entsteht nur, wenn die Azetonämie verschleppt wird, und ist zum Teil mit einer Hypermagnesiämie kombiniert. Der Verlauf der Azetonämie kann subakut bis chronisch sein. Bei leichteren Fällen kommt es oft zur allmählichen Spontanheilung. Auch bei subakut erkrankten Tieren kann schon eine Futterumstellung zur Heilung führen. Unbehandelte Ketosen führen zwar sehr selten zu azetonämiebedingten Todesfällen, Ernährungszustand und Leistung solcher Tiere gehen aber so stark zurück, daß sie unwirtschaftlich werden. Bei länger bestehenden Ketosen sind als wichtigste Komplikationen Leberschäden zu nennen (Fettleber/ Leberdegeneration (puerperales Leberkoma)). Bei sachgemäßer Therapie, welche vor allem auch die Ernährung berücksichtigt, heilen leichtere Fälle von primären Ketosen nach 3-6 Tagen ab, schwerere spätestens nach 8-10 Tagen. Läßt die Milchleistung zu Beginn der Erkrankung deutlich nach, so gilt dies als prognostisch günstig. Nach überstandener Azetonämie ist die Milchleistung im Durchschnitt um 15 % erniedrigt, die ursprüngliche Leistung wird nur selten wieder voll erreicht. Die Diagnose der Azetonämie erfolgt über den Nachweis von Ketonkörpern in Harn- oder Milchproben mit Hilfe von Teststreifen. Während Harnproben schon bei subklinischer Azetonurie einen positiven Ketonkörper-Befund zeigen, fallen Milchuntersuchungen erst bei klinisch manifester Ketose positiv aus. Bei den als Differentialdiagnose genannten Erkrankungen fällt die Ketonkörper-Reaktion im Harn negativ aus. Sie sind auszuschließen, da bei der Eingangsuntersuchung Ketonkörper (3-fach positiv) im Harn nachgewiesen werden konnten. Es ist aber zu beachten, daß diese zum Teil mit einer sekundären Azetonurie einhergehen. Therapie Arrhythmie: Störungen der Herzschlagfolge, welche nicht rein symptomatisch sind, sind therapeutisch meist nicht zu beeinflussen. Dermatitis interdigitalis: Die Therapie erfolgt zunächst durch lokale Applikation von Medikamenten, welche Tetrazykline und Gentianaviolett enthalten (z.B. Aureomycin-ViolettSpray). Die Wundfläche sollte hierbei trocken sein. In der Regel sprechen die Läsionen bereits nach 2-3 Tagen auf die Behandlung an. Bleibt die konservative Therapie ohne Erfolg, so müssen die entzündeten Hautareale operativ unter Lokalanästhesie entfernt werden. Danach wird ein Verband mit einer antibiotischen Salbe angelegt. Dislocatio abomasi sinistra: Eine konservative Therapie durch wiederholtes wälzen von der halbrechtsseitigen in die halblinksseitige Rückenlage bei gleichzeitigem massieren des verlagerten Labmagens in Richtung auf den Nabel ist oft erfolgreich. Dies ist bei hochtragenden Kühen und anderen inoperablen Fällen indiziert. Da es aber bei 80 % der so behandelten Tiere zu rezidiven kommt, ist eine chirurgische Behandlung vorzuziehen. Bei der hier untersuchten Kuh ist die caudoventrale Omentopexie nach Dirksen durchgeführt worden: Nach rechtsseitiger Laparotomie geht man mit der Hand caudodorsal über den Pansen hinweg bis zur Kuppe des verlagerten Labmagens und entgast diesen mit Hilfe einer Kanüle, die mit einem Schlauch verbunden ist, welcher nach außen führt. Danach geht man mit der Hand in cranioventraler Richtung an der rechten Bauchwand entlang ein, und reponiert den Labmagen. Am großen Netz wird nun mit einem kräftigen Kunststoffaden eine Perlonscheibe ca. eine Handbreite vom Pylorus entfernt verankert. Die freien Fadenenden werden wenig oberhalb der rechten Kniefalte durch die Bauchwand nach außen gestochen und subcutan versenkt. Die Bauchhöhle wird antibiotisch versorgt und die Laparotomiewunde durch 2- oder 3- Schichtennaht verschlossen. Bei dieser OP-Technik liegen rezidive unter 2 %. Nach der Operation wird die Kuh rauhfutterreich gefüttert. Azetonämie: Therapeutisch haben alle Maßnahmen, welche den Glucose-Verbrauch vermindern und die Gluconeogenese sowie die Verbrennung der Ketonkörper steigern einen positiven Effekt. Der Glucoseverbrauch kann vermindert werden, indem man das Melken auf 1 Mal täglich einschränkt oder die Kuh sogar zeitweise trockenstellt. Die Milchleistung wird dadurch so gut wie nicht gesenkt. Sachgemäße Ernährung (hoher Kohlenhydrat- bzw. Rohfaseranteil; den Bedarf nicht übersteigender Gehalt an Proteinen und Fett; Vitamine; Mineralstoffe; Spurenelemente), perorale oder intravenöse Gabe glukoplastischer Substanzen (Dextrose, Stärke, Zucker oder Melasse, Propionate, Glyzerin, Propylenglykol oder Laktate) und intramuskuläre Injektionen von Glucocorticoiden fördern die Vormagenverdauung, und gewährleisten somit die Versorgung mit Glucosevorläufern. Muskelbewegung (Laufstall, Weidegang) fördert die Verbrennung der Ketonkörper. Größten Wert muß bei der Ketose-Behandlung aber zunächst auf die Normalisierung des Blutzuckerspiegels gelegt werden. Dies erreicht man zunächst durch intravenöse Applikation von Glucose-Lösung (100-200 g als 10-20 %-ige Lösung) möglichst als Dauertropfinfusion. Da aber der Bedarf an Glucose größer ist als die Menge, die verabreicht werden kann (-> Hyperglycämie mit Glucosurie; Unverträglichkeit -> Muskelzittern, ...), appliziert man glucoplastische Substanzen per os. Besonders bei schwerer und verschleppter Azetonämie ist eine Leberschutztherapie indiziert. Da aber zur Zeit kein geeignetes Präparat erhältlich ist, muß man dies auf Applikation von Nährlösungen (Amynin ) beschränken. Bei Tieren, welche an sekundärer Azetonämie leiden, muß besonders Wert darauf gelegt werden, daß die Primärerkrankung gefunden und therapiert wird. Sonst sind die Heilungsaussichten für die Ketose entsprechend schlecht. Prognose Die Rezidivgefahr liegt nach einer Omentopexie nach Dirksen bei nur 2 %. Die Ketose ist sekundär durch die Labmagenverlagerung entstanden. Prognostisch sind die Labmagenverlagerung und die Ketose entsprechend als günstig zu beurteilen, ebenso verhält es sich mit der Prognose bezüglich der Dermatitis interdigitalis. Die Prognose für die Arrhythmie dagegen ist schlecht, da Arrhythmien therapeutisch meist nicht beeinflußbar sind.