von mechthild veil

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Brigitte Stoz-Willig/Mechthild Veil (Hrsg.):
Es rettet uns kein höh'res Wesen.
Feministische Perspektiven der Arbeitsgesellschaft
Hamburg 1999, VSA Verlag
Inhalt
Vorwort
Brigitte Stolz-Willig/Mechthild Veil
Perspektiven der Arbeit
Industriegesellschaft am Ende - Arbeit abgeschafft?
Frauen und der Geschlechterkampf um Erwerbsarbeit
Hildegard Maria Nickel
Funktionalisierung der Frauenerwerbsarbeit und Armutsrisiken
Ein beschäftigungssoziologischer Kommentar
Sabine Gensior
Qualifizierte Frauen in neuen Arbeitsformen: Erfolge,
Rollback - und neue Chancen?
Gudrun Trautwein-Kalms
Neue Grenzziehungen: Arbeit, Familie und Gesellschaft
Hoffnungsträger "Dritter Sektor" - neue Arbeit für Frauen
Ute Klammer/Christina Klenner
Neubewertung der Familienarbeit - Erziehungsgehalt als
Perspektive?
Brigitte Stolz-Willig
Soll der Gesetzgeber in die familiäre Arbeitsteilung
eingreifen?
Sabine Berghahn
Europäische Geschlechterpolitik - tauglich für das
3. Jahrtausend?
Susanne Schunter-Kleemann
Globalisierung, Sozialstaat und Gender
Perspektiven des Sozialen im Globalisierungsprozeß
Marianne Braig
2
Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterbeziehungen
Wie revisionsbedürftig sind feministische Theorien?
Mechthild Veil
"Es rettet und kein höh'res Wesen..."
Neoliberale Geschlechterkonstrukte in der Ära der Globalisierung
Birgit Sauer
3
Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterbeziehungen:
Wie revisionsbedürftig sind feministische Theorien?
Mechthild Veil
Die bundesdeutsche Öffentlichkeit diskutiert noch die Krise des
Sozialstaates alter Prägung, während dieser bereits einem
fundamentalen Wandel unterliegt. In unterschiedlicher Art und Weise
reagieren die Wohlfahrtsstaaten1 entwickelter Industrieländer auf
externen Veränderungsdruck, der durch Globalisierung und durch die
Europäische Union ausgelöst wird. Die Wohlfahrtsstaaten passen sich
aber auch internem Veränderungsdruck an, der z.B. durch den Zerfall
traditioneller
Orientierungen
und
Handlungsmuster
in
den
Geschlechterbeziehungen und den damit verbundenen anderen
Erwartungshaltungen entsteht. Dabei handelt es sich um langfristig
wirksame und einschneidende Änderungen des gesamten Gefüges. In
politischen und wissenschaftlichen Debatten werden diese
Transformationsprozesse jedoch nur fragmentarisch wahrgenommen,
da sie lediglich als schleichende Veränderungen und im Falle der
Europäischen
Einigung
als
punktuelle
Koordinierungen
unterschiedlicher Systeme auftreten. Es hat den Anschein, als ob die
sich abspielenden Prozesse ihrer wissenschaftlichen Verarbeitung
davonlaufen.
Die
Ausgestaltung
der
Wohlfahrtsstaaten
und
der
Geschlechterbeziehungen sind eng miteinander verwoben. Beide
befinden sich im Wandel. Ein Ausdruck für die Modernisierung der
Geschlechterverhältnisse ist die zu beobachtende steigende
Erwerbstätigkeit und Erwerbsorientierung von Frauen. Trotz
struktureller
Arbeitslosigkeit und Massenentlassungen nimmt die
Erwerbstätigkeit von Frauen in allen Ländern Europas zu und die der
Männer ab (vgl. Meyer 1997). Diese Entwicklung hat Auswirkungen
auf die Arbeitsteilung im privaten und öffentlichen Raum sowie auf die
Erwartungshaltungen gegenüber Leistungen des Sozialstaates. Sie ist
Ausdruck eines an tief greifenden sozio-ökonomischenVeränderungen
gehenden Wertewandels, der in sozialwissenschaftlichen Theorien
auch als Individualisierung gefaßt wird.
Ein Ausdruck für Wohlfahrtsstaaten im Wandel ist die Erosion seiner
normativen Grundlagen: der Vollbeschäftigung und der Gewährung
einer mehr oder weniger soliden Existenzsicherung für alle. Die
länderspezifischen Wohlfahrtsstaaten reagieren unterschiedlich auf
den Veränderungsdruck. Das zeigt sich z.B. in Schweden an der
1 Der Begriff "Wohlfahrtsstaat" wird in international vergleichender Forschung
gebraucht, der Begriff "Sozialstaat" nur im bundesdeutschen Kontext.
4
geplanten Reform der steuerfinanzierten Volksrente, die bislang als
identitätsstiftender Bestandteil des schwedischen Wohlfahrtsstaates
galt. Der schwedische Reichstag hat 1998 eine Rentenreform
beschlossen, die bereits im Jahre 2001 in Kraft treten soll, und durch
die steuerfinanzierte Leistungen zugunsten beitragsbezogener
Leistungen zurückgenommen werden.
Ein anderes Beispiel ist
Frankreich. Die französische Regierung hat ebenfalls im Jahre 1998
ein Gesetz verabschiedet, wodurch die Arbeitszeiten zur Schaffung
neuer Arbeitsplätze verkürzt und flexibilisiert werden. Im gleichen Jahr
wurde ein Gesetz zur Reform der Familienbeihilfen, die in Frankreich
zu
den
Sozialversicherungen
zählen,
beschlossen:
Die
Familienbeihilfen werden erstmalig von universellen, d.h. für alle
gleiche Leistungen auf das Prinzip der Bedürftigkeit umgestellt, eine
Maßnahme, die an das bisher unhinterfragte
republikanische
Selbstverständnis universeller Leistungen rüttelt. Während in
Schweden und Frankreich, um hier nur zwei Beispiele unter vielen zu
nennen,
der Veränderungsdruck zu Reformen führt, die auch
sozialpolitische Tabus brechen, scheint die Bundesrepublik einen
anderen Weg einzuschlagen: das Rentensystem, das als
identitätsstiftender Kern des bundesdeutschen Sozialstaates gilt, wird
noch stärker als bisher an Erwerbsarbeit gebunden, - bei gleichzeitiger
Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
Ich möchte nun im folgenden der Frage nachgehen, ob feministische
Sozialstaatstheorien diese neuen Realitäten adäquat erfassen können.
Welchen Erkenntniswert haben heute noch die bisher erfolgreichen
theoretischen Instrumente, Konzepte und Begriffe in Zeiten der
Globalisierung für komparative Studien in Hinblick auf den
europäischen
Einigungsprozeß
(vgl.
Young
1998).
Wie
revisionsbedürftig sind feministische Theorien? Eigentlich betrifft diese
Fragestellung nicht nur feministische Konzepte sondern ist eine ganz
grundsätzliche. Denn alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen,
die sich mit der Thematik befassen, stehen vor dem Problem, dass ihr
herkömmliches Handwerkszeug - als solches lassen sich Theorien
durchaus bezeichnen - angesichts des Wandels nicht mehr wie bisher
anzuwenden ist. Sie müssen sich z.B. fragen, wie Wohlfahrtsstaaten in
Hinblick auf den europäischen Einigungsprozeß verglichen werden
könnten, welche Vergleichsebenen sich anbieten, um ganz
unterschiedliche Ausprägungen von Wohlfahrtsstaaten wie Portugal,
Schweden, Frankreich, Italien und Ungarn aufeinander beziehen zu
können. Die Beschränkung der Untersuchung auf feministische
Theorien heißt nicht, dass Problemstellung und eventuelle Ergebnisse
sich nur auf die Gruppe der Frauen bezieht. Die Kategorie Geschlecht,
mit der feministische Theorien arbeiten, ist ein Analyseinstrument für
die soziale Organisation der Geschlechterbeziehungen insgesamt und
wendet sich dagegen, Frauen als den mit der Natur verbundenen Teil
eines patriarchalischen Systems zu sehen. Brigitte Young meint, dass
an der Gleichsetzung von Geschlecht und Frau deshalb in - wie sie es
5
nennt - männlicher Literatur festgehalten werde, da diese bequeme
Verallgemeinerung es erlaube, Frauen immer wieder dort zu finden, wo
der Mann sie gerade zurückgelassen habe: auf der unteren Stufe der
Geschichte (ebd.: 169). Eine feministische Perspektive beschränkt sich
demnach nicht auf den Untersuchungsgegenstand "Frau" und auch
nicht auf die Untersuchung der Auswirkungen wohlfahrtsstaatlicher
Leistungen auf Frauen, sondern auf das Beziehungsgeflecht von
Wohlfahrtsstaaten und der von ihnen intendierten "Ordnung der
Geschlechter"2.
Mein Bestreben ist es, gesamtgesellschaftliche
Aussagen machen zu können, die im Unterschied zur mainstreamForschung eine emanzipatorische Perspektive der Gleichberechtigung
von Frauen nicht aus dem Auge verlieren.
Der Beitrag bezieht sich auf die bundesdeutsche feministische
Diskussion und gliedert sich in folgende Abschnitte: Im ersten Teil
werden feministische Theorien zum keynesianischen Wohlfahrtsstaat
vorgestellt, und ihre Vor- und Nachteile diskutiert. Anschließend geht
es darum, einige Schlüsselbegriffe daraufhin abzuklopfen, welchen
Erkenntniswert sie für komparative Studien zum Wandel der
Wohlfahrtsstaaten und der Geschlechterbeziehungen (noch) haben.
Ich denke dabei an die Hausarbeitsdebatte, an den Patriarchatsbegriff
und an das Gütekriterium der Dekommodifizierung (dem Umfang der
Lohnersatzleistungen) wie
es
Esping-Andersen
und
seine
Forschergruppe
um
Korpi
für
vergleichende
Forschung
wohlfahrtsstaatlicher Leistungen vorgeschlagen haben. Im zweiten Teil
wird das theoretische Instrumentarium der Regime-Forschung von
Esping-Andersen als einer neueren Forschungsrichtung auf ihren
Erkenntniswert für feministische Studien hin untersucht. Es sollen
Kriterien entwickelt werden, mit denen dann abschließend diskutiert
werden kann, welches Konzept die größere Reichweite hat, um die
aktuellen Prozesse unter feministischer Perspektive analysieren zu
können. Bei diesem Vorhaben kann es natürlich nicht darum gehen,
die "wahre" Theorie herauszufinden - die gibt es nicht - sondern
lediglich darum, Theorien nach ihrem Informationsgehalt und ihrer
Erklärungskraft zu durchleuchten und zu untersuchen, warum einige
Theorien besser als andere in der Lage sind,
Probleme zu
analysieren.
Der Keynesianische Wohlfahrtsstaat in feministischen Theorien
Die Erfolgsgeschichte des keynesianischen Wohlfahrtsstaates der
2 "Geschlechterbeziehungen" oder besser "gender" bezeichnet ein
gesamtgesellschaftliches Gefüge gesellschaftlicher Beziehungen, entlang
geschlechtlicher Trennlinien "vgl. Kreisky"Sauer 1995); mit Geschlechterregimen
werden institutionalisierte Geschlechterpraktiken verstanden, die als Normen,
Regelungen und Prinzipien verankert sind, Geschlechterordnung ist dann die
Verkörperung einer Reihe von diesen institutionalisierten Praktiken (Young 1998:177)
6
Bundesrepublik ist als ein beständiger Ausbau des Sozialstaates, der
an wirtschaftlichen Aufschwung, Vollbeschäftigung für den männlichen
Teil der Bevölkerung und an eine soziale Absicherung der männlichen
Familienernährer-Rolle gekoppelt ist, beschrieben worden. Der Ausbau
der männlichen Lohnarbeit zum Familienernährer wurde in den 50er
Jahren institutionalisiert und durch mehrere sozialpolitische
Maßnahmen ermöglicht (vgl. Ostner 1995): durch das 1957 reformierte
Steuerrecht (Einführung des Steuersplitting) und durch die ebenfalls im
Jahre 1957 durchgeführte Rentenreform (vgl. Veil 1996). Sie stellte die
Rentenversicherung von einer Zubrotfunktion erstmalig auf eine
Lebensstandardsicherung
um,
indem
die
steuerfinanzierten
Bestandteile der Mindestsicherung des Bismarck`schen Systems
wegreformiert wurden (vgl. Kohleiss 1988.). Die Hinterbliebenenrente
sicherte das Hausfrauenmodell ab.
Mit der Aufwertung männlicher Lohnarbeit zum Familienernährer
konnte die Erwerbsarbeit verheirateter Frauen dann entwertet werden.
Dies geschah in vielfältiger Art und Weise. So wurde Ehefrauen der
Zugang zum Arbeitsmarkt durch das neue Steuerrecht erschwert. (Das
Steuersplitting in Verbindung mit der Steuerklasse V sorgt dafür, dass
das weit niedrigere Einkommen zumeist der Ehefrauen so hoch
besteuert wird, dass sich Arbeit eigentlich nicht mehr lohnt.
Eine
massive Entwertung der Erwerbsarbeit verheirateter Frauen zeigt sich
auch in der Schaffung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, die in
einer Phase der Expansion des bundesdeutschen Sozialstaates
eingeführt wurden.
Während sozialwissenschaftliche Theorien im allgemeinen den
institutionellen Ausbau des bundesdeutschen Sozialstaats mit einer
erfolgreichen Sozialpolitik gleichgesetzt und zum Modell Deutschland
stilisiert haben, stehen feministische Wissenschaftlerinnen dem
keynesianischen Wohlfahrtsstaat von Anfang an sehr viel kritischer
gegenüber.
Das Konzept des zweigeteilten Sozialstaates
In feministischen Theorien wird der bundesdeutsche Sozialstaat als ein
Versicherungsstaat kritisiert, der mit den Sozialversicherungen ein
rechtlich besser abgesichertes oberes soziales Netz für Erwerbstätige
bereithält und mit den bedarfsgeprüften Leistungen der Sozialhilfe ein
schlechteres unteres soziales Netz für Bedürftige. Feministinnen haben
aufgezeigt, dass durch die scharfe Trennung zwischen sozialen
Rechten aus Erwerbsarbeit und der Nichtberücksichtigung von
Familienarbeit Armut von Frauen erst produziert werde. Riedmüller
(1984) hat die "Armut von Frauen" unter dem aus den USA
stammenden Begriff der Feminisierung der Armut in die deutsche
7
Diskussion eingeführt Aus den Analysen von Pfaff (1992) geht hervor,
dass Frauen durch Familienarbeit häufig erst aus dem oberen sozialen
Netz der Sozialversicherungen herausgekickt werden, um dann auf die
Sozialhilfe oder auf private Unterhaltsleistungen verwiesen zu werden.
Diese Zweiteilung des Sozialstaates in eine Politik für Erwerbstätige
und ihre Familien und in eine Politik für Bedürftige (vgl. Gerhard 1988)
gibt es in dieser Schärfe in den anderen europäischen Ländern nicht,
obgleich auch dort herausgearbeitet wurde, dass diese Zweiteilung
geschlechtsspezifische Züge trägt, die in den einzelnen Ländern
variieren. Erkenntnisse der anglo-amerikanischen wie auch der
skandinavischen feministischen Forschung gehen, trotz der
unterschiedlichen Wohlfahrtsregime, ebenfalls von einer "sexual
division of welfare" (vgl. Rose 1984) oder von einem "two channel
system" (vgl. Fraser/Gordon 1993) aus.
Das Konzept des zweigeteilten Sozialstaats ist sehr erfolgreich in der
Analyse der androzentrischen normativen Grundlagen sozialpolitischen
Handelns. Mit ihm können die Defizite gegenüber der sozialen
Sicherung von Frauen und den fehlenden Frauenrechten im
Sozialstaat aufgezeigt werden. Feministische Wissenschaftlerinnen
haben darauf hingewiesen, dass der bundesdeutsche Sozialstaat mit
seinen Leistungen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die
Geschlechterasymmetrie
verfestigt.
Eine
geschlechterkritische
Revision
der
Sozialpolitikbereiche
und
der
einzelnen
Sozialversicherungszweige konnte nachweisen, dass Armut weiblich
ist, und dass soziale Rechte von Frauen häufig über die Ehe
abgeleitete Rechte sind. Kritische Analysen beziehen sich auf die
Entstehungsgeschichte und den "Nachweis" von Frauendiskriminierung
in den klassischen Feldern der Sozialpolitik (u.a. vgl. Mennel 1988; vgl.
Wichert 1988, vgl. Gerhard 1988; vgl. Veil 1992), die mit dem Begriff
der männlichen "Normalbiographie" oder dem "Normalarbeitsverhältnis" gebündelt zum Ausdruck gebracht wird.
Mit der feministischen Kritik an den normativen Grundlagen des
Keynesianischen Wohlfahrtsstaates, fokussiert auf das Beispiel des
männlichen Normalarbeitsverhältnisses, hat diese eine Pionierfunktion
in der Kapitalismuskritik übernommen. Bereits in den 70er Jahren
hatten feministische Wissenschaftlerinnen die Erwerbsarbeits- und die
Arbeitsmarktzentriertheit des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaates in
Frage gestellt, eine Thematik, die in der mainstream-Forschung erst
mit dem "Scheitern" des Sozialstaates angesichts der strukturellen
Massenarbeitslosigkeit in den 80er Jahren aufgegriffen wurde. Die
Stärke feministischer Sozialstaatsanalysen lag darin, dass sie die
Geschlechtsblindheit der herkömmlichen Forschung aufzeigten und
ausgehend von weiblichen Lebenslagen die Universalität des
Normalarbeitsverhältnisses in Frage stellen konnte.
Obgleich dieses Kritikmuster für größer werdende Teile der
Gesellschaft zum Tragen kommt, hat sich feministische Kritik nicht -
8
wie eigentlich erwartet werden könnte - zu einer allgemeinen
Gesellschaftstheorie weiter entwickelt, sondern sie ist häufig auf der
"Diskriminierungsebene" stehen geblieben. Und damit komme ich zu
den Schwächen dieses Theorieansatzes.
Der Diskurs über den zweigeteilten Sozialstaat wurde stark normativ
geführt und rückte den Diskriminierungsaspekt in den Vordergrund.
Durch das ursprüngliche Anliegen der Frauenforschung, die
Diskriminierung von Frauen, ihre relativ schwache Integration auf dem
Arbeitsmarkt, ihren Ausschluß aus politischen Institutionen
aufzuzeigen, entwickelte sich die Perspektive ihrer Viktimisierung. Als
Opfer frauenfeindlicher Strukturen und Institutionen geriet ihr Handeln
und ihre Partizipation bei der Ausgestaltung des bundesdeutschen
Sozialstaates in den Hintergrund. Entgegen dem feministischen
erkenntnistheoretischen Anspruch, Geschlechterverhältnisse als
institutionelle Machtverhältnisse offenzulegen (Kulawik/Sauer 1996:20),
wurde die Kategorie "Geschlecht" reduktionistisch auf die Frau
angewendet. Im Zusammenhang mit der normativen Engführung dieser
Diskurse sprechen Kulawik und Sauer von einer teilweise "utilitaristisch
verkürzten" Perspektive, die sich aus der Anbindung feministsicher
Forschung an die Frauenbewegung in den 70er und 80er Jahren und
damit an Fragen der politischen Strategien erklären läßt. Feministische
Forschung wurde unter dem Aspekt ihres Nutzens gesehen und nach
"richtigen Maßnahmen" z.B. für eine Gleichstellungspolitik und für eine
frauenfreundliche Sozialpolitik gesucht, die aus der Perspektive
weiblicher Lebenslagen entwickelt wurde. Kulawik und Sauer schlagen
vor, diese Perspektive in der gegenwärtigen Forschung aufzugeben, da
sie die Entwicklung theoretischer Fragestellungen und Instrumentarien
erschwere (ebd.: 19ff).
Ich würde ergänzen, die Stärke des Konzeptes des zweigeteilten
Sozialstaates wird zu seiner Schwäche, wenn nicht ein
Perspektivwechsel vorgenommen wird: statt Viktimisierung von Frauen
sollten die Handlungspotentiale von Frauen stärker herausgearbeitet
werden und Sozialstaatsanalysen mehr als bisher die in den
Institutionen und sozialstaatlichen Strukturen eingeschriebenen
Geschlechterverhältnisse untersuchen.
Eine zweite Debatte, die sich als Revision der herkömmlichen
feministischen Theorien des Wohlfahrtsstaates v.a. in vergleichender
Perspektive versteht, sind die von Politikwissenschaftlerinnen
geführten Sozialstaatsanalysen mit genuin politikwissenschaftlichen
Fragestellungen nach den Machtbildungsprozessen, den beteiligten
Akteuren sowie nach den politischen Institutionen (Kulawik 1996:49f).
Sie betonen handlungstheoretische Ansätze und bestimmen das
Geschlechterverhältnis als politisches Macht- und Herrschaftsgefüge.
9
In den politikwissenschaftlichen feministischen Theorien zum
Sozialstaat wird vom "halbierten Staat" (vgl. Kulawik/Sauer 1996)
gesprochen.
Gemeint
ist
eine
"geschlechtshalbierte"
Wahrnehmungsweise
politikwissenschaftlicher
"malestream"Staatstheorien, die auf mehreren Ebenen als eine Theorie kritisiert
wird, die bei der Staatenbildung von scheinbar universellen Rechten
und liberalen Individuen ausgeht. Auf der Ebene liberaler Philosophie
zur Staatsgründung richtet sich die Kritik auf die Idee eines
Gesellschaftsvertrages zwischen scheinbar autonomen Individuen.
Carole Pateman wies als eine der ersten darauf hin, dass das liberale
Individuum
als
ein
geschlechtsloses
Wesen,
ohne
Klassenzugehörigkeit und ohne ethnischen Hintergrund konzipiert
worden sei - eine männliche Fiktion, durch die Frauen aus dem
Staatswesen ausgeschlossen werden konnten (vgl. Pateman 1988).
Auf der Ebene der Entstehung moderner europäischer Nationalstaaten
kritisieren
Politikwissenschaftlerinnen die
liberale
Idee der
"Universalisierung" staatsbürgerlicher Rechte. Sie argumentieren, dass
die fundamentalen staatsbürgerlichen Rechte partikulare, als
Männerrechte konzipierte Rechte seien. Sie untersuchen auf der
Ebene der policies die unterschiedliche Bedeutung und Tragweite, die
die staatlichen Entscheidungen für Frauen und Männer haben
(Kulawik/Sauer 1996: 11ff). Der Staatsapparat selber - die vierte
Analyseebene - gilt in feministischen politikwissenschaftlichen Studien
als "männerbündische Verfaßtheit" (vgl. Kreisky 1995), die Frauen aus
zentralen Entscheidungsprozessen ausschließe.
Sowohl die detaillierten und vielfältigen Arbeiten zur Zweiteilung des
Sozialstaats (in sozialwissenschaftlichen Theorien) als auch die
politikwissenschaftlichen Ansätze zur "Geschlechtshalbiertheit" des
Staates (in politikwissenschaftlicher Theorien) haben das "genderingProjekt", d.h. Sozialstaatsanalysen auf der Basis der Kategorie
"Geschlecht" als einem gesellschaftlichen Verhältnis, ganz wesentlich
weiter entwickelt. Die Reichweite und der Erkenntniswert dieser
theoretischen Ansätze ist noch lange nicht ausgeschöpft.
In den überwiegend sozialwissenschaftlichen Forschungen haben die
kritisierten Grundannahmen des keynesianischen Wohlfahrtstaates die Einschränkung des Arbeitsbegriffes auf Erwerbsarbeit und die
Vernachlässigung der Familienarbeit als Anknüpfungspunkt für soziale
Rechte - zu einer weiteren Variante des Arbeitsbegriffs geführt, so mit
der Hausarbeitsdebatte, zu Theorien der Neubewertung von Arbeit.
Ich möchte im folgenden diskutieren, ob dieser theoretische Ansatz für
das "gendering-Projekt" vergleichender Wohlfahrtsforschung (noch)
taugt.
Die Hausarbeitsdebatte - eine vergessene Traditionslinie
10
Mit der Hausarbeitsdebatte der 70er Jahre (stellvertretend für viele: vgl.
Kontos/Walser 1979) wurde erstmalig aufgezeigt, dass Familienarbeit
auch soziologisch als Arbeit zu fassen ist und als solche Eingang in die
Theoriebildung finden muß. Wie politisch brisant diese "Entdeckung" in
den 70er Jahren war, zeigt die Wirkung eines wissenschaftlichen
Werkes, das wie ein politischer Schlachtruf aufgenommen wurde.
Gemeint ist das Buch von Gisela Bock und Barbara Duden (1976),
"Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im
Kapitalismus". Die Forderung nach Lohn für Hausarbeit entstand.
Die sozialpolitische Reichweite der Hausarbeitsdebatte ist gegenwärtig
gering. Die Forderung nach Lohn für Hausarbeit wurde
wissenschaftlich nicht weiter untermauert. Lediglich die Forderung,
dass Hausarbeit in den Sozialversicherungen, z.B. als Rentenanspruch
berücksichtigt werden solle (vgl. Veil 1996), wurde in
Sozialpolitikanalysen aufgegriffen.
Weitreichender ist der indirekte Einfluß der Hausarbeitsdebatte auf
Theorien zur Neubewertung von Arbeit, Theorien, die angesichts der
strukturellen Massenarbeitslosigkeit und der Transformation national
geprägter
Wohlfahrtsstaaten
keynesianischer
Prägung
in
nachindustrielle europäische Wohlfahrts-Regime wieder aufleben.
Gegenwärtig finden theoretische Suchbewegungen zur Neubewertung
und zur Umwertung von Arbeit statt (vgl. Stolz-Willig in diesem Band),
um mit der Dramatik wissenschaftlich fertig zu werden, dass der
Erwerbsgesellschaft die Arbeit ausgeht (vgl. Claus Offe 1984). Es geht
um eine Neubestimmung des Verhältnisses von Erwerbsarbeit,
Hausarbeit, ehrenamtlicher Arbeit und Tätigkeiten, um neue
Arbeitsformen und Arbeitszeiten und ganz allgemein um die Frage,
welche Tätigkeiten und welcher Bürgerstatus zu welchen
Anerkennungsformen und Transferleistungen führen solle. Für diese
zukunftsweisenden Diskussionen hat die Hausarbeitsdebatte einen
wichtigen Anstoß gegeben. Mit ihr konnte die sozialdemokratische
Verengung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit aufgebrochen und
neue Perspektiven eröffnet werden Denn angesichts der strukturellen
Massenarbeitslosigkeit in Europa wird es notwendig, die
gesellschaftliche Bestimmung von Arbeit und
ihre materielle
Bewertung neu zu gewichten und Arbeit zunehmend als Tätigkeit zu
diskutieren.
Auffallend ist jedoch, dass in den Zukunftszenarien, die von einem
Arbeitsbegriff als gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit ausgehen, wie die
Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung (1998) und die Studie
der "Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und
Sachsen" (1996), sowie der Vorschlag zum Erziehungsgehalt ( vgl.
Stolz-Willig in diesem Band), die Traditionslinien verschüttet werden. In
diesen Studien wird nicht auf feministische Theorien der
11
Hausarbeitsdebatte zurückgegriffen, mit denen ein Konzept zur
Erweiterung des (Erwerbs-)Arbeitsbegriffes entwickelt worden ist,
sondern so getan, als ob die mainstream-Forschung diese
Fragestellungen neu entdeckt habe.
Das Konzept der Hausarbeitsdebatte ist - so meine These - kein
Instrument
für
vergleichende
feministische
Forschung
zu
Wohlfahrtsstaaten im Wandel und für das "gendering-Projekt", da der
Erkenntniswert gerade für vergleichende Forschung zu gering ist.
Denn was weiß ich, wenn ich weiß, dass Frauen in einem Land mehr
Hausarbeit leisten als in einem anderen? Ich kann aus diesem Wissen
keine Aussagen über das Geschlechterverhältnis ableiten, noch über
die Arbeitsmarktintegration von Frauen, noch über private und
öffentliche Machtstrukturen und auch nicht über die Frage der
Existenzsicherung. Die Bedeutung von Hausarbeit für Frauen, für die
Gesellschaft und für den Wohlfahrtsstaat ist erstens unterschiedlich
und zweitens abhängig von kulturellen Traditionen und von der
Ausgestaltung des öffentlichen Sektors zur Kinderbetreuung und zur
Pflege, also von dem welfare-mix insgesamt. Um die unterschiedlichen
Muster in ihren Veränderungsprozessen theoretisch erfassen zu
können, hat sich das Instrumentarium der "geschlechtsspezifischen
Arbeitsteilung", der Arbeitsmarktintegration von Frauen und der
Erwerbsarbeitsmuster (dem Verhältnis von Vollzeit- zu Teilzeitarbeit
gegenüber Hausarbeit) als aussagekräftiger erwiesen.
Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die Bedeutung der
Hausarbeitsdebatte für feministische Forschung lag darin, dass
erstmalig Familienarbeit soziologisch als Arbeit gefaßt wurde und als
solche Eingang in die sozialwissenschaftliche Theorienbildung finden
konnte. Dies hat zu drei Weiterentwicklungen geführt. Erstens, es gibt
einen indirekten Einfluß der Hausarbeitsdebatte auf Theorien zur
Neubewertung von Arbeit, die die sozialdemokratische Verengung des
Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit aufbrechen und neue Perspektiven
eröffnen, so u.a. in den Zukunftszenarien. Erstaunlich ist, dass diese
Theorien nicht in der Tradition der Hausarbeitsdebatte bewußt
entwickelt werden, was zeigt, wie wenig diese die allgemeine
Theorienbildung und Wissensproduktion in den Sozialwissenschaften
beeinflussen konnten. Zweitens führte die feministische Kritik, die mit
der Hausarbeitsdebatte geführt wurde, zu Theorien der Fürsorge (careDebatte). Theoretikerinnen der Fürsorgeethik plädieren für ein
Bedürftigkeitsmodell als normative Grundlage von Sozialleistungen
(vgl. Fraser 1994; vgl. Tronto 1996). Die politische Akteursebene
verschiebt sich in diesen Theorien vom Staat zu den
Gesellschaftsmitgliedern,
die
in
Aushandlungsprozessen
die
Bedürfnisse
immer
wieder
neu
definieren.
Drittens:
Die
Hausarbeitsdebatte führte zu dem Begriff der "Doppelbelastung", was
meiner Meinung nach als politischer Kampfbegriff für die
Frauenbewegung wichtig war, jedoch keine analytische Kategorie ist,
12
da der Begriff verwischt, dass Erwerbsarbeit und Familienarbeit zwei
verschiedene Formen der Vergesellschaftung von Arbeit sind, denen
unterschiedliche Rationalitäten zu Grunde liegen, die nicht einfach
verglichen werden können.
Meiner Meinung nach hatte die Hausarbeitsdebatte in der Verknüpfung
feministischer Wissenschaft mit der Frauenbewegung eine wichtige
Funktion, sie wird jedoch für die Herausarbeitung feministischer
Sozialstaatstheorien mit einem verfeinerten Analyseinstrumentarium für
die Zukunft an Bedeutung verlieren.
Der Patriarchatsbegriff
Die Frauenforschung hatte zunächst aufgezeigt, dass in den Analysen
staatlicher Strukturen mit geschlechtsneutralen Kategorien gearbeitet
wird. Daraus entwickelte sich die Erkenntnis, dass feministische Kritik
am Sozialstaat nicht in der Kapitalismuskritik aufgeht. Herkömmliche
Kapitalismuskritik konnte z.B. die Frage nicht beantworten, worin das
Spezifische kapitalistischer Staaten in der Unterdrückung der Frauen
liegt. Die "Vermutung", wie sie gerade von Politikwissenschaftlerinnen
geäußert wurde, dass sich die Interessen der Männer mit denen des
Staates deckten, führte zu dem Patriarchatsbegriff. Damit schien die
theoretische Leerstelle gefüllt zu sein. An Hand vieler Beispiele konnte
gezeigt werden, wie die Verknüpfung von Kapitalinteressen und
Frauenunterdrückung zu einer ungleichen Verteilung sozialer
Ressourcen zwischen Männern und Frauen führt. Frauen erschienen
in diesen Ansätzen als diskriminiert, und die Matrix der
Frauendiskriminierung wurde zum festen Bestandteil des patriarchalen
Staates.
Variationen dieser Auffassung finden sich z.B. bei Kreisky (1995). Sie
geht vom Staat als Männerbund aus und zeigt, wie die im modernen
Wohlfahrtsstaat "eingeschriebene Männlichkeit" historisch entstanden
ist. Mit dem "Männerbundbegriff" beschreibt sie den antifeministischen
Kontext der deutschen Sozialstaatstradition zu Beginn des 20.
Jahrhunderts. Gleichzeitig wendet sie sich jedoch gegen jene
dualistisch geführten feministischen Debatten, die den Staat entweder
als "Fortschreibung patriarchaler Unterdrückungsverhältnisse" sehen
oder als "Vehikel der Frauenbefreiung". Ihr geht es dann letztendlich
um die Ambivalenzen staatlicher Instrumente und um die "Bedeutung
von Staat und Politik als historische Arenen des Geschlechterkonflikts"
(ebd.:129).
Viele Feministinnen kritisieren heute den Patriarchatsbegriff. Duncan
(1995)
z.B.
sieht
in
dem
Begriff
ein
vorgefertigtes
Interpretationsmuster, das handelnde Individuen vernachlässige.
Skocpol (1992) kritisiert ebenfalls entschieden das Konzept des
13
patriarchalen Wohlfahrtstaates als ein schematisches Herangehen, das
die Seite der Frauendiskriminierung überbetont und die Seite
handelnder Personen vernachlässige. Skocpol plädiert dafür, den
Patriarchatsbegriff als analytische Kategorie aufzugeben. Kulawik
(1997) hingegen warnt davor. Denn ohne diesen Begriff würde
feministische Forschung über keinen herrschaftskritischen Maßstab
mehr zur Beurteilung einzelner Strategien und Policies verfügen
(ebd.:298).
Kulawik spricht die politische Seite an, die mit dem Begriff zum
Ausdruck gebracht wird. "Das" Patriarchat war ein wichtiger
Kampfbegriff in der neueren Frauenbewegung. Als politische Losung
spielte er eine bedeutende Rolle in der Sammlung der Kräfte. Als
analytischer Begriff hingegen ist er meiner Meinung nach zu vage.
Jeder kann etwas anderes darunter verstehen. Da mit dem Begriff zu
einseitig die frauenunterdrückende Seite der Staatstätigkeit betont wird,
werden Frauen zu ewigen Opfern patriarchaler Strukturen. Es fehlen
emanzipatorische Perspektiven.
Ist
der
Patriarchatsbegriff
differenziert
genug,
um
die
Geschterverhältnisse in den Wohlfahrtsstaaten im Wandel theoretisch
zu durchdringen? Wie könnte der Begriff operationalisiert und somit
wissenschaftlichem Zugriff geöffnet werden? Wahrscheinlich ist es kein
Zufall, dass in neueren komparativen Forschungsrichtungen dieser
Begriff kaum noch
auftaucht (eine Ausnahme stellen die
Untersuchungen von Schunter-Kleemann (1992) dar).
Es ist meiner Meinung nach theoretisch interessanter, wenn der
Patriarchatsbegriff nicht pauschal verwendet wird, sondern seine
unterschiedlichen Bedeutungen in der privaten und in der öffentlichen
Sphäre getrennt analysiert werden. Erst dann gewinnt er analytische
Kraft.
Dies möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: Die
Frauenemanzipation in den sozialistischen Ländern folgte dem Leitbild
der Angleichung der Situation der Frauen an die der Männer
("sameness"). Diese "sameness" wurde im öffentlichen Bereich und im
Berufsleben,
unterstützt
durch
sozialpolitische
Maßnahmen,
weitgehend hergestellt. Trotz dieser formalen Gleichheit, die
bilanzierend in regierungsamtlichen Statistiken "nachgewiesen" wurde,
konnten die zugrundeliegenden Geschlechterbeziehungen durchaus
patriarchalisch sein. So jedenfalls hat Adamik die Entwicklung für
Ungarn beschrieben (vgl. Adamik 1996). Sie sagt, dass es der
ungarischen Regierung niemals um einen Wandel der Beziehungen
zwischen Männern und Frauen im Binnenverhältnis und im Privaten
gegangen sei. In Opposition zu der öffentlichen Gleichstellungspolitik
hätten Männer die Privatsphäre als den ihnen noch verbleibenden
Herrschaftsbereich mißbraucht und patriarchale Gewaltstrukturen
aufrecht erhalten (ebd.: 40). Was auf der offiziellen Ebene - dem
Wohlfahrtsstaat - ideologisch abgelehnt wurde, konnte sich durchaus
14
im Privaten halten.
Marxistische Feministinnen (vgl. Young 1981) halten an dem
Patriarchatsbegriff fest. Sie erweitern das marxistische Klassenkonzept
um den Patriarchatsbegriff, indem sie Unterdrückung auch jenseits der
Klassenstrukturen
und
jenseits
kapitalistischer
Ausbeutung
thematisieren. Auch sie trennen die beiden Analyseebenen: öffentliche
und private Sphäre. Sie weisen auf die "black box" marxistischer
Theorien hin, die Ausbeutung nicht auf die Geschlechterbeziehungen
beziehen.
Doch ich frage mich, welche Funktion der Begriff des Patriarchats in
den
Austauschbeziehungen
zwischen
Wohlfahrtsstaat
und
Gesellschaft hat? Gibt es eine Wechselwirkung zwischen patriarchalen
Geschlechterbeziehungen und einem patriarchalen Wohlfahrtsstaat?
Autorinnen aus den ehemals sozialistischen Ländern haben auf den
Widerspruch zwischen einer staatlich verordneten offiziellen
Gleichstellungspolitik und patriarchalen Machtstrukturen in der
Privatsphäre aufmerksam gemacht. Demgegenüber betonen
skandinavische
Wissenschaftlerinnen
den
frauenfreundlichen
Charakter der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten, den sie in der
zentralen Bedeutung des Staates für die Herstellung sozialer Gleichheit
und in der Geschlechterdemokratie sehen (vgl. Dahlerup 1990, zit.
nach Kreisky/Sauer 1995). Ihre These lautet, dass Frauen den Staat
brauchen, da weder die kapitalistische Wirtschaft noch die bürgerliche
Familie, noch die Gesellschaft so viel Gleichheit und Freiheit bieten
könne wie der Staat. Die Norwegerin Helga Hernes (1989) vertritt die
Auffassung, dass sich die Abhängigkeit der Frauen von Männern
grundlegend ändere, wenn sie zu einer Abhängigkeit der Frauen vom
Staat werde . Diese Position findet sich abgeschwächt auch bei Siim
(1993). Die massenhafte Beschäftigung von Frauen im staatlichen
Sektor würde zu einer Schwächung des "Familienpatriarchats" und zu
einer Stärkung des "sozialen Patriarchats" führen. "Vater" Staat, der in
die Rolle des Familienernährers tritt und Familienaufgaben übernimmt,
muß also nicht unbedingt patriarchale Züge tragen. Nicht dann, wenn
er über Sozialpolitik eine Politik der Gleichberechtigung von Frauen
betreibt.
Das Kriterium, mit dem zwischen einer patriarchalen und einer nicht
patriarchalen Sozialpolitik unterschieden werden kann, ist - so mein
Vorschlag - das Frauenbild, das sozialpolitischem Handeln zu Grunde
liegt. Z. B. beruhte die Sozialpolitik der DDR auf der Vorstellung, dass
Frauen durch ihre Familieneinbindung Defizite hätten, die es
auszugleichen gelte. Familien- und Hausarbeit wurde gegenüber einer
kontinuierlichen Berufstätigkeit als minderwertig angesehen, weshalb
sich emanzipatorische politische Strategien auf einen Anstieg
weiblicher
Erwerbstätigkeit
konzentrierten.
Selbst
eine
Gleichstellungspolitik, die darum bemüht ist, Familien- und Hausarbeit
15
umzuverteilen, kann dann nicht emanzipativ wirken, wenn sie von
einem defizitären Frauenbild ausgeht und Gleichstellung nicht als einen
gesellschaftlichen Prozeß begreift, der auch eine Veränderung der
Männer beinhalten müßte. Solch eine Gleichstellungspolitik führt nicht
zu einer anderen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen,
sondern zu einer neuen Arbeitsteilung zwischen Frauen und dem
Staat, indem der Staat Frauen für die Arbeitsmarktintegration von
Familienaufgaben entlastet.
Mit dem Patriarchatsbegriff sollten die Beziehungen zwischen
Geschlechterhierarchie und Kapitalismus theoretisch geklärt werden.
An Hand vieler Beispiele konnte aufgezeigt werden, wie die
Verknüpfung von Kapitalinteressen und Frauenunterdrückung zu einer
ungleichen Verteilung von Macht und von sozialen Ressourcen
zwischen Frauen und Männern führt. Analysen, die mit dem
Patriarchatsbegriff arbeiten, gehen häufig im Vorfeld bereits von der
Frauendiskriminierung aus. Die Gefahr einer dogmatischen Erstarrung
ist groß. Meiner Meinung nach sperrt sich der Begriff gegen Analysen
von Transformationsprozessen und kann das Neue nicht erfassen.
Mein Vorschlag ist, ihn stärker zu operationalisieren und ihn auf
Analysen der Geschlechterbeziehungen in nicht über den Markt oder
den Staat vermittelten gesellschaftlichen Beziehungen zu reduzieren.
Einen endgültigen Verzicht auf den Patriarchatsbegriff lehne ich, wie
Kulawik (1996) jedoch ab, da dies bedeuten würde, dass feministische
Forschung keinen herrschaftskritischen Maßstab zur Beurteilung
einzelner Politikstrategien mehr hat.
Das theoretische Instrumentarium der Regime-Forschung
Neuere komparative Forschungen beschäftigen sich seit den 80er
Jahren mit dem Wandel der Wohlfahrtsstaaten. Arbeiten, die diesen
Wandel theoretisch zu erfassen versuchen, beziehen sich zunehmend
auf das Konzept der Regime-Forschung. Darunter ist eine neue
Forschungsrichtung zu verstehen, die Wohlfahrtsstaaten nicht mehr als
funktionalistische und klar umrissene Systeme faßt, die nicht weiter
umschrieben werden müssen, sondern als offen strukturierte
Politikfelder. Gegenüber der herkömmlichen Sozialstaatsforschung, die
die Güte wohlfahrtsstaatlicher Leistungen an der Höhe der
Sozialausgaben
im
Verhältnis
zum
Bruttosozialprodukt
(Sozialleistungsquote) mißt, versucht die Regime-Forschung,
Aufgaben und Strukturen eines Wohlfahrtsstaates neu zu konzipieren
(stellvertretend für viele: vgl. Lessenich/Ostner 1998). Die RegimeForschung untersucht die Wirkungen sozialpolitischer Interventionen
auf die soziale Schichtung der Gesellschaft (Stratifikation) und den
Grad der "dekommodifizierenden" Wirkungen von Sozialleistungen (die
Freistellung vom Zwang zur Lohnarbeit durch Lohnersatzleistungen).
Dieser andere Blick auf den Staat zeigt diesen als ein Geflecht von
Klassenstrukturen, Koalitionsbildungen und sozialen Bewegungen.
16
Die Regime-Forschung hat die politischen Akteure neu "entdeckt"
(Gewerkschaften,
Parteien,
soziale
Bewegungen),
die
in
unterschiedlichen Akteurskonstellationen als aktive Faktoren bei dem
sich neu formierendem Wechselspiel zwischen Staat, Familie, Arbeit
und sozialer Sicherung herangezogen werden (u.a. vgl. Ostner 1995;
vgl. Daly 1994, 1997). Diese prozeßhaften Analysen können weit
besser als die traditionelle Forschung Wohlfahrtsstaaten im
Transformationsprozeß darstellen und auch scheinbar nebensächliche
Kräftekonstellationen wie das Verharrungsvermögen gegenüber
Reformen und die nichtintendierten Folgen sozialpolitischen Handelns
herausarbeiten.
Bahnbrechend für diese Forschungsrichtung sind die Arbeiten von
Esping-Andersen und Korpi, die mit der Regime-Forschung ein
Konzept entwickelt haben, auf das sich international vergleichende
Forschung als theoretischem Referenzrahmen verständigt hat.
Das Konzept von Esping-Andersen
Esping-Andersen und Korpi (1990) haben die Qualität westlicher
Wohlfahrtsstaaten unter drei Gesichtspunkten verglichen: dem
jeweiligen Anteil, den der Arbeitsmarkt, der Staat und die privaten
Haushalte an der Produktion von Gütern und Dienstleistungen haben;
dem Einfluß der Wohlfahrtsstaaten auf die soziale Schichtung, und
dem
Grad
der
"dekommodifizierenden"
Wirkungen
von
Sozialleistungen. Darunter verstehen sie eine bestimmte politisch
ökonomische Organisation von Wohlfahrtsstaaten und eine
Sozialpolitik, die es Erwerbstätigen ermöglicht, durch Sozialleistungen
zeitweise aus der warenförmigen Arbeit auszusteigen ("commodity"
engl. Ware). Der aus der marxistischen Terminologie bekannte Begriff
gilt in der neueren skandinavischen Sozialpolitikforschung als
Gütekriterium
für
die
Fortschrittlichkeit
wohlfahrtsstaatlicher
Leistungen.
Esping-Andersen
u.a.
haben
mit
den
Kategorien
der
Dekommodifizierung und der sozialen Bürgerrechte die Qualität von
Sozialleistungen von 18 OECD-Staaten analysiert und die Ergebnisse
zu drei Typologien von Wohlfahrts-Regimen gebündelt, die drei
unterschiedliche Ökonomien repräsentieren:
- Das sozialdemokratische Modell (die skandinavischen Länder), ein
System, das durch universelle, für alle gleiche Sozialleistungen einen
einheitlichen Sozialstatus herzustellen versuche und von einer "crossclass solidarity" ausgehe. Das zugrunde liegende gesellschaftliche
Konzept sei das einer Arbeitsgesellschaft, in der Männer und Frauen
Arbeitsbürger seien. In dem sozialdemokratischen Modell seien die
"entkommodifizierenden" Wirkungen der Sozialpolitik am größten, was
17
sich in der Sozialisierung von Familienaufgaben über den Staat und in
den Lohnersatzleistungen zeige, die in fast 100% iger Höhe
gewährleistet werden (bei Krankheit, Elternschaft, Arbeitslosigkeit,
Eingliederungshilfen).
- Das
konservativ-korporatistische
Modell (Frankreich
und
Deutschland) sei gekennzeichnet durch stark ausgebaute institutionelle
Sozialleistungen, die die Statusunterschiede betonten und den sozialen
Status und die Besitzstände Erwerbstätiger sicherten. Dieses Modell
baue auf Vollbeschäftigung (für das männliche Familienoberhaupt) und
auf einen Familienlohn auf. Durch Stärkung des Subsidiaritätsprinzips
werde an der privat geleisteten Familienarbeit festgehalten und der
Sozialstaat entlastet.
- Das liberale Modell (USA und zunehmend auch Großbritannien) baue
auf Sozialleistungen auf, die hilfsweise (subsidiär) gewährt werden,
wenn der Arbeitsmarkt oder Familienunterstützung versagten. Die
Lohnersatzleistungen seien niedrig und bedarfsorientiert. Das Konzept
der Solidarität ziele auf den bedürftigen Teil der Gesellschaft und nicht,
wie in dem sozialdemokratischen Modell, auf die gesamte Gesellschaft.
Das liberale Modell fördere ein duales System der Bessergestellten,
die sich über zusätzliche private Leistungen absichern könnten und der
Bedürftigen, die von niedrigen Sozialleistungen abhängig seien. Die
dekommodifizierenden Wirkungen der Sozialleistungen seien minimal.
Die drei Typologien von Wohlfahrts-Regimen haben die gegenwärtige
angelsächsische und skandinavische Sozialstaatsdiskussion so stark
beeinflußt, dass sich feministische Forscherinnen aus diesen
Sprachräumen an Esping-Andersen "abarbeiten", um aus der Kritik
heraus eigene theoretische Fragestellungen zu entwickeln.
Der Fortschritt des theoretischen Ansatzes von Esping-Andersen und
seinen idealtypischen Klassifizierungen dreier Modelle von
Wohlfahrtsstaaten liegt in dem einheitlichen Referenzrahmen, auf den
er die Untersuchungsfragen bezieht. Die Wohlfahrtsstaaten westlicher
Industrienationen werden nach dem Kriterium der Dekommodifizierung
gemessen und qualifiziert. Und genau daran hat sich vielfältige Kritik
entzündet
Sie erscheint mir berechtigt, wenn sie sich auf die
Überhöhung des Modells Schweden als beispielhaft für Europa
bezieht, und wenn darauf hingewiesen wird, dass das Gütekriterium
der Dekommodifizierung lediglich dazu taugt, den gegenwärtigen
schwedischen Wohlfahrtsstaat als Momentaufnahme der Phase seiner
Expansion seit den 60er Jahren darzustellen.
Die Schwäche der Theorien von Esping-Andersen liegt meiner
Meinung nach in der Anwendung dieses analytischen Rasters, der
Dekommodifizierung (die Befreiung von der Lohnarbeit durch
Lohnersatzleistungen), auf alle Wohlfahrtsstaaten. Da EspingAndersen
versucht,
den
status
quo
des
schwedischen
18
Wohlfahrtsstaates fortzuschreiben und danach auch andere
europäische Wohlfahrtsstaaten analysiert, kann er weder den wirklich
stattfindenden Wandel in Schweden noch den in den süd- und
osteuropäischen Ländern theoretisch "begreifen". Letztere läßt er in
seinen Untersuchungen links liegen, da sie nicht paßgerecht sind.
Das Gütekriterium der Dekommodifizierung - Eine männliche
Sichtweise
Feministische Forschung weist auf die Geschlechtsblindheit und auf
die "vernachlässigten Facetten" (vgl. Hobson 1994) in den Theorien der
Regime-Forschung hin. Sie kritisiert, dass das Kriterium der
dekommodifizierenden Wirkungen von Sozialpolitik als das
Gütekriterium wohlfahrtsstaatlicher Leistungen gilt. Dieses sei eine
männliche Sichtweise. Denn die Analysen des Zusammenspiels von
marktförmigen und staatlichen Beiträgen zur Produktion von Wohlfahrt,
die Güter und Dienste umfaßt, beschränkt sich bei Esping-Andersen
auf die Arbeitsteilung zwischen Arbeitsmarkt und Staat und
vernachlässigt die Leistungen, die in der Familie erbracht werden, auch
wenn er diese erwähnt . Aus dieser Perspektive heraus wird Arbeit nur
als Erwerbsarbeit definiert und ihre geschlechtsspezifischen
Voraussetzungen, wie die ungleiche Arbeitsteilung zwischen Männern
und Frauen, ausgeblendet (vgl. Ostner 1995).
Im Gegensatz zu einer auf das Verhältnis von Staat und Arbeitsmarkt
fixierten Sozialpolitikanalyse untersuchen feministische Forscherinnen
die Beziehungen zwischen Staat, Markt und Familie, sowie
Veränderungen im Verhältnis zwischen Familienarbeit und Beruf,
zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit. Es geht darum, die für
Frauen relevanten Fragestellungen sowie einen theoretischen Rahmen
für geschlechtssensible komparative Analysen zu entwickeln.
Ausgehend von der Kritik an den Indikatoren, mit denen EspingAndersen Typologien von Wohlfahrtsstaaten gebildet hat, kommen
feministische Studien durch die Einbeziehung der Kategorie Familie zu
anderen Modellbildungen (so z.B. Lewis/Ostner 1994). Lewis und
Ostner z.B. entwickeln länderspezifische Wohlfahrts-Regime als
sogenannte Familienernährer-Modelle, die sich im Grad der
(materiellen) Abhängigkeit der Frauen von einem Familienernährer
unterscheiden. Als Gütekriterium gelten die Lebenschancen von
Frauen, unabhängig vom Erwerbs- und Ehezwang. Indikatoren hierfür
sind die unterschiedlichen Erwerbsarbeitsmuster (in Vollzeit/Teilzeit)
von Müttern, die Frage der eigenständigen oder abgeleiteten sozialen
Sicherung
sowie
die
Ausgestaltung
der
öffentlichen
Betreuungsleistungen.
19
Kritisch gegenüber der Kategorie Dekommodifizierung äußern sich
auch Orloff (1993), Hobson (1994), Sainsbury (1994) und andere. Die
Kategorie Dekommodifizierung sei für die Frauenforschung ungeeignet,
da sie die unterschiedlichen Erfahrungen nicht berücksichtige, die
Männer und Frauen mit der Arbeitsmarkt- und Familienintegration
machen. Hobson weist darauf hin, dass Frauen sich erst noch den
Zugang zur Erwerbsarbeit erkämpfen müßten, bevor es darum gehen
könne, sich wieder teilweise aus ihr heraus zu ziehen. Ein wesentlicher
Teil feministischer Kritik an dem Konzept von Esping-Andersen speist
sich aus dieser Erkenntnis der Ungleichzeitigkeit. Historisch gesehen
sind Frauen später in die Erwerbsarbeit eingetreten und der Prozeß der
Arbeitsmarktintegration verläuft anders als die der Männer. Die
Erwerbstätigkeit von Frauen kann nicht ohne oder in Konkurrenz zur
Familienarbeit gedacht werden, auch kontinuierlich berufstätige Frauen
sind soziologisch gesehen nicht einfach für den Arbeitsmarkt
freigestellt. So würde ich Hobsons Kritik an der Dekommodifizierung
erweitern: Mit dem Begriff wird nicht nur der Aspekt der
Ungleichzeitigkeit in der Arbeitsmarktintegration von Frauen und
Männern vernachlässigt, sondern auch die geschlechtsspezifischen
Unterschiede bei der Durchsetzung der Lohnarbeit. Wenn die
Bedeutung der Lohnarbeit in männlichen und weiblichen
Lebenszusammenhängen
eine andere ist, so muß auch die
Bedeutung der Lohnersatzleistungen (der Dekommodifizierung) eine
andere sein.
An dem Begriff der Dekommodifizierung wird weiterhin kritisiert, dass
mit ihm ein Sozialstaatsverständnis zum Ausdruck gebracht wird, das
einseitig an die Theorien der Arbeiterbewegung anknüpft: der
Sozialstaat als eine Errungenschaft im Kampf zwischen Lohnarbeit und
Kapital, wodurch sich die Arbeiterbewegung ein Stück Freiheit
gegenüber den Zwängen des Arbeitsmarktes erkämpft hatte.
Feministische Forschung kritisiert, dass der Beitrag der
Frauenbewegung an der Konzeption von Wohlfahrtsstaat in diesen
Klassen- und Schichttheorien unberücksichtigt bleibt.
Geschlechter-Regime - ein feministisches Konzept?
Vergleichende Studien der Wohlfahrts-Regime haben auf der
Makroebene idealtypische Modelle von Wohlfahrtsstaaten entwickelt,
die die zugrundeliegenden Geschlechterbeziehungen unberücksichtigt
lassen. Dieser geschlechtsspezifische "bias" führt zu Erkenntnislücken.
Denn wie sollen z.B. die Auswirkungen der europäischen Sozial- und
Rechtspolitik auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen in
Europa vergleichend untersucht werden, wenn unter Wohlfahrtsstaaten
lediglich systemische Regelungswerke und Sozialversicherungen
verstanden werden? Wie können die Wirkungen des europäischen
20
Einigungsprozesses auf die Wohlfahrtsstaaten erklärt oder auch nur
aufgezeigt werden, wenn diese geschlechtslos oder androzentrisch
definiert werden, ohne die sich ändernden Beziehungen zwischen den
Geschlechtern in den Ländern Europas zu berücksichtigen?
In einer Studie haben Ostner und Lewis (1995) aufgezeigt, auf welche
politischen und kulturellen Bedingungen die Sozial- und
Geschlechterpolitik der Europäischen Union stößt. Die Transformation
der europäischen Sozialpolitik in nationales Recht muß "zwei
Nadelöhre" passieren: das Nadelöhr des national geprägten
Wohlfahrtsstaates
und
das
der
jeweils
länderspezifischen
"Geschlechterordnung", die diesem zu Grunde liegt. Die Autorinnen
untersuchen die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) und die Direktiven der Europäischen Kommission zur sozialen
Sicherung und kommen zu dem Ergebnis, dass es diese zwei
Nadelöhre sind, die die Reichweite und Durchsetzungskraft von
Veränderungen auf europäischer Ebene filtern und einschränken. So
geht z. B. Sozialpolitik in Deutschland von einem anderen
Familienbegriff aus als in Frankreich. Während im deutschen
Sozialrecht ein Zusammenleben mit Trauschein als Familie gilt, so ist
in Frankreich die Elternschaft mit oder ohne Trauschein der Inbegriff
einer Familie. Solche unterschiedlichen Auffassungen haben
entscheidende
Auswirkungen
auf
die
Ausgestaltung
der
Sozialleistungen. Sie müssen in den Analysen mit berücksichtigt
werden.
Das Konzept der Geschlechter-Regime wird mit unterschiedlichen
Fragestellungen umgesetzt. Lewis und Ostner (1994) haben auf der
Basis der Kategorie "Geschlecht" Typisierungen von Wohlfahrtsstaaten
vorgenommen und für die Bundesrepublik das Familienernährer-Modell
vorgeschlagen. Dabei haben sie zwischen schwach, moderat oder
stark
an
der
männlichen
Versorgerehe
ausgerichteten
wohlfahrtsstaatlichen Mustern unterschieden. Pfau-Effinger (1996) hat
das Konzept der Geschlechter-Regime um die arbeitsmarktpolitische
Dimension erweitert. Sie geht theoretischen Leerstellen nach, wenn sie
nach
dem
Einfluß
wohlfahrtsstaatlicher
Politik
auf
das
Geschlechterverhältnis und umgekehrt nach dem Einfluß des
Geschlechterverhältnisses und der kulturellen Traditionen auf den
welfare-mix fragt. In diesem Kontext - dem wechselseitigen Verhältnis
der Geschlechterbeziehungen, der kulturellen Traditionen und Faktoren
und dem welfare-mix - untersucht sie dann die internationalen
Differenzierungen in den Erwerbsarbeitsmustern von Frauen, die sie
nicht nur aufzeigt, sondern auch zu erklären versucht.
Globaler Ausblick
21
Auch feministische Theorien sind revisionsbedürftig. Von dem
wissenschaftlichen Aufspüren frauendiskriminierender Strukturen des
Wohlfahrtsstaates und mangelnder sozialer Rechte von Frauen in den
einzelnen Ländern, hat sich die Forschung weiter entwickelt. Vor allem
die komparative Regime-Forschung hat neue Fragestellungen eröffnet
und ein "ranking" des eigenen nationalen welfare-mix möglich gemacht.
Diese neue Forschungsrichtung beruht auf der empirischen Erkenntnis,
dass Wohlfahrstaaten im Wandel mit anderen theoretischen
Instrumenten analysiert werden müssen als Wohlfahrtsstaaten in der
Phase ihrer Entstehung und Expansion.
Feministische Theorien haben ebenfalls mehrere Phasen durchlaufen.
Das von mir geschilderte analytische Konzept des zweigeteilten
Sozialstaates war sehr erfolgreich in der Analyse der keynesianischen
Wohlfahrtsstaaten. Es konnten die Defizite in der sozialen Sicherung
von
Frauen
detailliert
in
den
einzelnen
Zweigen
der
Sozialversicherungen und auf den unterschiedlichen Ebenen der
Strukturen
des
Wohlfahrtsstaates
herausgearbeitet
werden.
Theoretische Ansätze, wie die Hausarbeitsdebatte, hatten eine
wichtige
Funktion,
als
politischer
Kampfbegriff
und
als
Analyseinstrument, mit dem in den Sozialwissenschaften Hausarbeit
erstmalig als Arbeit definiert wurde. In komparativen Studien ist der
Erkenntniswert der Hausarbeitsdebatte meiner Meinung nach jedoch
weitgehend ausgeschöpft. Lediglich in soziologischen Theorien zur
Neubewertung und Neudefinition des sozialdemokratisch verengten
Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit kann meiner Meinung nach auf die
Hausarbeitsdebatte zurückgegriffen werden.
Der Patriarchatsbegriff hingegen, ein Schlüsselbegriff dieser älteren
Phase feministischer Theorienbildung, hat auch für komparative
Studien und für das "gendering-Projekt" noch eine theoretische
Bedeutung, wenn er - so mein Vorschlag - analytisch stärker
operationalisiert wird (hierfür liegen meines Wissens keine Vorschläge
vor) und nicht für Analysen gesellschaftlicher Beziehungen verwendet
wird, die über den Markt oder den Staat vermittelt werden, also
Sozialstaatsanalysen. Einen Verzicht auf den Patriarchatsbegriff, wie
es einige Wissenschaftlerinnen vorschlagen, würde ich ablehnen, da
feministische Forschung dann über keinen herrschaftskritischen
Maßstab mehr zur Beurteilung einzelner Politikstrategien verfügt - auch
und insbesondere in vergleichender Forschung.
22
In feministischen Ansätzen komparativer Forschung sind die
Wohlfahrtsmodelle entlang des Strukturierungsmerkmals "Geschlecht"
zum Konzept der Geschlechter-Regime weiter entwickelt worden.
Gegenüber den idealtypischen Wohlfahrtsmodellen von EspingAndersen hat feministische Forschung den welfare-mix um die privaten
Ressourcen der Familienarbeit erweitert und ist zu anderen
Modellbildungen gekommen. Das theoretische Angebot erstreckt sich
jedoch nicht nur auf Erweiterungen und Korrekturen an der RegimeForschung, wie sie von Esping-Andersen und anderen vertreten wird,
sondern es wird viel grundsätzlicher
versucht, einen neuen
theoretischen Referenzrahmen zur Analyse der Wohlfahrtsstaaten zu
entwickeln. Entlang der Kategorie "Geschlecht" wird ein "gendering"
wohlfahrtsstaatlicher Strukturen und Leistungen versucht.
Das Konzept der Regime-Forschung von Esping-Andersen, Korpi u.a.
ist gegenüber bundesdeutschen mainstream-Sozialstaatsanalysen
fortschrittlich, da es weniger systemisch ist, und entsprechend des
Machtressourcen-Ansatzes den Einfluß sozialer Bewegungen und
kollektiver Akteure auf die Ausgestaltung der Wohlfahrtsstaaten
herausstellt. Wohlfahrtsstaat und Sozialpolitik werden in diesen
Zusammenhängen als Einheit gesehen. Das ist die vorwärtsstrebende
Seite der Regime-Forschung, die v.a. von der feministischen
Forschung aufgegriffen wird (vgl. Hobson (1996), die den Einfluß der
schwedischen Frauenbewegung der 30er Jahre auf die Organisation
des Wohlfahrtsstaates aufzeigt).
Rückwärtsgewandt hingegen ist die einseitige Betonung der zumeist
männlich geprägten Arbeiterbewegung als Einflußgröße und die enge
Bindung der Wohlfahrtsstaaten an die Industriegesellschaft. Das
kommt in der Schlüsselkategorie der "Dekommodifizierung" zum
Ausdruck, die meiner Meinung nach nicht entwicklungsfähig ist und
lediglich für die Analyse des keynesianischen Wohlfahrtsstaates
nützlich war. Konnten Menschen im keynesianischen Wohlfahrtsstaat
noch stolz darauf sein, viel Urlaub und bezahlte Freizeit (erkämpft) zu
haben, so wird aus diesen "Errungenschaften" in Zeiten der
Globalisierung ein Kostenfaktor, der sich nachteilig im globalisierten
Wettbewerb auswirkt. So werden unter dem Veränderungsdruck der
Globalisierung
keynesianische
Wohlfahrtsstaaten
gewaltsam
demontiert: nationale Wohlfahrtsstaaten entwickeln sich zunehmend zu
Wettbewerbsstaaten.
Zur Analyse dieses Wechsels eignen sich feministische Theorien mit
der Kategorie Geschlecht weit besser als die Kategorie der
Dekommodifizierung, um die Grenzverschiebungen zwischen Markt,
Staat und Familie, zwischen Öffentlichkeit und Privatheit zu erfassen jedoch nur dann, wenn sie nicht als "glatte" Theorien formuliert werden.
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