1 Brigitte Stoz-Willig/Mechthild Veil (Hrsg.): Es rettet uns kein höh'res Wesen. Feministische Perspektiven der Arbeitsgesellschaft Hamburg 1999, VSA Verlag Inhalt Vorwort Brigitte Stolz-Willig/Mechthild Veil Perspektiven der Arbeit Industriegesellschaft am Ende - Arbeit abgeschafft? Frauen und der Geschlechterkampf um Erwerbsarbeit Hildegard Maria Nickel Funktionalisierung der Frauenerwerbsarbeit und Armutsrisiken Ein beschäftigungssoziologischer Kommentar Sabine Gensior Qualifizierte Frauen in neuen Arbeitsformen: Erfolge, Rollback - und neue Chancen? Gudrun Trautwein-Kalms Neue Grenzziehungen: Arbeit, Familie und Gesellschaft Hoffnungsträger "Dritter Sektor" - neue Arbeit für Frauen Ute Klammer/Christina Klenner Neubewertung der Familienarbeit - Erziehungsgehalt als Perspektive? Brigitte Stolz-Willig Soll der Gesetzgeber in die familiäre Arbeitsteilung eingreifen? Sabine Berghahn Europäische Geschlechterpolitik - tauglich für das 3. Jahrtausend? Susanne Schunter-Kleemann Globalisierung, Sozialstaat und Gender Perspektiven des Sozialen im Globalisierungsprozeß Marianne Braig 2 Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterbeziehungen Wie revisionsbedürftig sind feministische Theorien? Mechthild Veil "Es rettet und kein höh'res Wesen..." Neoliberale Geschlechterkonstrukte in der Ära der Globalisierung Birgit Sauer 3 Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterbeziehungen: Wie revisionsbedürftig sind feministische Theorien? Mechthild Veil Die bundesdeutsche Öffentlichkeit diskutiert noch die Krise des Sozialstaates alter Prägung, während dieser bereits einem fundamentalen Wandel unterliegt. In unterschiedlicher Art und Weise reagieren die Wohlfahrtsstaaten1 entwickelter Industrieländer auf externen Veränderungsdruck, der durch Globalisierung und durch die Europäische Union ausgelöst wird. Die Wohlfahrtsstaaten passen sich aber auch internem Veränderungsdruck an, der z.B. durch den Zerfall traditioneller Orientierungen und Handlungsmuster in den Geschlechterbeziehungen und den damit verbundenen anderen Erwartungshaltungen entsteht. Dabei handelt es sich um langfristig wirksame und einschneidende Änderungen des gesamten Gefüges. In politischen und wissenschaftlichen Debatten werden diese Transformationsprozesse jedoch nur fragmentarisch wahrgenommen, da sie lediglich als schleichende Veränderungen und im Falle der Europäischen Einigung als punktuelle Koordinierungen unterschiedlicher Systeme auftreten. Es hat den Anschein, als ob die sich abspielenden Prozesse ihrer wissenschaftlichen Verarbeitung davonlaufen. Die Ausgestaltung der Wohlfahrtsstaaten und der Geschlechterbeziehungen sind eng miteinander verwoben. Beide befinden sich im Wandel. Ein Ausdruck für die Modernisierung der Geschlechterverhältnisse ist die zu beobachtende steigende Erwerbstätigkeit und Erwerbsorientierung von Frauen. Trotz struktureller Arbeitslosigkeit und Massenentlassungen nimmt die Erwerbstätigkeit von Frauen in allen Ländern Europas zu und die der Männer ab (vgl. Meyer 1997). Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Arbeitsteilung im privaten und öffentlichen Raum sowie auf die Erwartungshaltungen gegenüber Leistungen des Sozialstaates. Sie ist Ausdruck eines an tief greifenden sozio-ökonomischenVeränderungen gehenden Wertewandels, der in sozialwissenschaftlichen Theorien auch als Individualisierung gefaßt wird. Ein Ausdruck für Wohlfahrtsstaaten im Wandel ist die Erosion seiner normativen Grundlagen: der Vollbeschäftigung und der Gewährung einer mehr oder weniger soliden Existenzsicherung für alle. Die länderspezifischen Wohlfahrtsstaaten reagieren unterschiedlich auf den Veränderungsdruck. Das zeigt sich z.B. in Schweden an der 1 Der Begriff "Wohlfahrtsstaat" wird in international vergleichender Forschung gebraucht, der Begriff "Sozialstaat" nur im bundesdeutschen Kontext. 4 geplanten Reform der steuerfinanzierten Volksrente, die bislang als identitätsstiftender Bestandteil des schwedischen Wohlfahrtsstaates galt. Der schwedische Reichstag hat 1998 eine Rentenreform beschlossen, die bereits im Jahre 2001 in Kraft treten soll, und durch die steuerfinanzierte Leistungen zugunsten beitragsbezogener Leistungen zurückgenommen werden. Ein anderes Beispiel ist Frankreich. Die französische Regierung hat ebenfalls im Jahre 1998 ein Gesetz verabschiedet, wodurch die Arbeitszeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze verkürzt und flexibilisiert werden. Im gleichen Jahr wurde ein Gesetz zur Reform der Familienbeihilfen, die in Frankreich zu den Sozialversicherungen zählen, beschlossen: Die Familienbeihilfen werden erstmalig von universellen, d.h. für alle gleiche Leistungen auf das Prinzip der Bedürftigkeit umgestellt, eine Maßnahme, die an das bisher unhinterfragte republikanische Selbstverständnis universeller Leistungen rüttelt. Während in Schweden und Frankreich, um hier nur zwei Beispiele unter vielen zu nennen, der Veränderungsdruck zu Reformen führt, die auch sozialpolitische Tabus brechen, scheint die Bundesrepublik einen anderen Weg einzuschlagen: das Rentensystem, das als identitätsstiftender Kern des bundesdeutschen Sozialstaates gilt, wird noch stärker als bisher an Erwerbsarbeit gebunden, - bei gleichzeitiger Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Ich möchte nun im folgenden der Frage nachgehen, ob feministische Sozialstaatstheorien diese neuen Realitäten adäquat erfassen können. Welchen Erkenntniswert haben heute noch die bisher erfolgreichen theoretischen Instrumente, Konzepte und Begriffe in Zeiten der Globalisierung für komparative Studien in Hinblick auf den europäischen Einigungsprozeß (vgl. Young 1998). Wie revisionsbedürftig sind feministische Theorien? Eigentlich betrifft diese Fragestellung nicht nur feministische Konzepte sondern ist eine ganz grundsätzliche. Denn alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich mit der Thematik befassen, stehen vor dem Problem, dass ihr herkömmliches Handwerkszeug - als solches lassen sich Theorien durchaus bezeichnen - angesichts des Wandels nicht mehr wie bisher anzuwenden ist. Sie müssen sich z.B. fragen, wie Wohlfahrtsstaaten in Hinblick auf den europäischen Einigungsprozeß verglichen werden könnten, welche Vergleichsebenen sich anbieten, um ganz unterschiedliche Ausprägungen von Wohlfahrtsstaaten wie Portugal, Schweden, Frankreich, Italien und Ungarn aufeinander beziehen zu können. Die Beschränkung der Untersuchung auf feministische Theorien heißt nicht, dass Problemstellung und eventuelle Ergebnisse sich nur auf die Gruppe der Frauen bezieht. Die Kategorie Geschlecht, mit der feministische Theorien arbeiten, ist ein Analyseinstrument für die soziale Organisation der Geschlechterbeziehungen insgesamt und wendet sich dagegen, Frauen als den mit der Natur verbundenen Teil eines patriarchalischen Systems zu sehen. Brigitte Young meint, dass an der Gleichsetzung von Geschlecht und Frau deshalb in - wie sie es 5 nennt - männlicher Literatur festgehalten werde, da diese bequeme Verallgemeinerung es erlaube, Frauen immer wieder dort zu finden, wo der Mann sie gerade zurückgelassen habe: auf der unteren Stufe der Geschichte (ebd.: 169). Eine feministische Perspektive beschränkt sich demnach nicht auf den Untersuchungsgegenstand "Frau" und auch nicht auf die Untersuchung der Auswirkungen wohlfahrtsstaatlicher Leistungen auf Frauen, sondern auf das Beziehungsgeflecht von Wohlfahrtsstaaten und der von ihnen intendierten "Ordnung der Geschlechter"2. Mein Bestreben ist es, gesamtgesellschaftliche Aussagen machen zu können, die im Unterschied zur mainstreamForschung eine emanzipatorische Perspektive der Gleichberechtigung von Frauen nicht aus dem Auge verlieren. Der Beitrag bezieht sich auf die bundesdeutsche feministische Diskussion und gliedert sich in folgende Abschnitte: Im ersten Teil werden feministische Theorien zum keynesianischen Wohlfahrtsstaat vorgestellt, und ihre Vor- und Nachteile diskutiert. Anschließend geht es darum, einige Schlüsselbegriffe daraufhin abzuklopfen, welchen Erkenntniswert sie für komparative Studien zum Wandel der Wohlfahrtsstaaten und der Geschlechterbeziehungen (noch) haben. Ich denke dabei an die Hausarbeitsdebatte, an den Patriarchatsbegriff und an das Gütekriterium der Dekommodifizierung (dem Umfang der Lohnersatzleistungen) wie es Esping-Andersen und seine Forschergruppe um Korpi für vergleichende Forschung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen vorgeschlagen haben. Im zweiten Teil wird das theoretische Instrumentarium der Regime-Forschung von Esping-Andersen als einer neueren Forschungsrichtung auf ihren Erkenntniswert für feministische Studien hin untersucht. Es sollen Kriterien entwickelt werden, mit denen dann abschließend diskutiert werden kann, welches Konzept die größere Reichweite hat, um die aktuellen Prozesse unter feministischer Perspektive analysieren zu können. Bei diesem Vorhaben kann es natürlich nicht darum gehen, die "wahre" Theorie herauszufinden - die gibt es nicht - sondern lediglich darum, Theorien nach ihrem Informationsgehalt und ihrer Erklärungskraft zu durchleuchten und zu untersuchen, warum einige Theorien besser als andere in der Lage sind, Probleme zu analysieren. Der Keynesianische Wohlfahrtsstaat in feministischen Theorien Die Erfolgsgeschichte des keynesianischen Wohlfahrtsstaates der 2 "Geschlechterbeziehungen" oder besser "gender" bezeichnet ein gesamtgesellschaftliches Gefüge gesellschaftlicher Beziehungen, entlang geschlechtlicher Trennlinien "vgl. Kreisky"Sauer 1995); mit Geschlechterregimen werden institutionalisierte Geschlechterpraktiken verstanden, die als Normen, Regelungen und Prinzipien verankert sind, Geschlechterordnung ist dann die Verkörperung einer Reihe von diesen institutionalisierten Praktiken (Young 1998:177) 6 Bundesrepublik ist als ein beständiger Ausbau des Sozialstaates, der an wirtschaftlichen Aufschwung, Vollbeschäftigung für den männlichen Teil der Bevölkerung und an eine soziale Absicherung der männlichen Familienernährer-Rolle gekoppelt ist, beschrieben worden. Der Ausbau der männlichen Lohnarbeit zum Familienernährer wurde in den 50er Jahren institutionalisiert und durch mehrere sozialpolitische Maßnahmen ermöglicht (vgl. Ostner 1995): durch das 1957 reformierte Steuerrecht (Einführung des Steuersplitting) und durch die ebenfalls im Jahre 1957 durchgeführte Rentenreform (vgl. Veil 1996). Sie stellte die Rentenversicherung von einer Zubrotfunktion erstmalig auf eine Lebensstandardsicherung um, indem die steuerfinanzierten Bestandteile der Mindestsicherung des Bismarck`schen Systems wegreformiert wurden (vgl. Kohleiss 1988.). Die Hinterbliebenenrente sicherte das Hausfrauenmodell ab. Mit der Aufwertung männlicher Lohnarbeit zum Familienernährer konnte die Erwerbsarbeit verheirateter Frauen dann entwertet werden. Dies geschah in vielfältiger Art und Weise. So wurde Ehefrauen der Zugang zum Arbeitsmarkt durch das neue Steuerrecht erschwert. (Das Steuersplitting in Verbindung mit der Steuerklasse V sorgt dafür, dass das weit niedrigere Einkommen zumeist der Ehefrauen so hoch besteuert wird, dass sich Arbeit eigentlich nicht mehr lohnt. Eine massive Entwertung der Erwerbsarbeit verheirateter Frauen zeigt sich auch in der Schaffung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, die in einer Phase der Expansion des bundesdeutschen Sozialstaates eingeführt wurden. Während sozialwissenschaftliche Theorien im allgemeinen den institutionellen Ausbau des bundesdeutschen Sozialstaats mit einer erfolgreichen Sozialpolitik gleichgesetzt und zum Modell Deutschland stilisiert haben, stehen feministische Wissenschaftlerinnen dem keynesianischen Wohlfahrtsstaat von Anfang an sehr viel kritischer gegenüber. Das Konzept des zweigeteilten Sozialstaates In feministischen Theorien wird der bundesdeutsche Sozialstaat als ein Versicherungsstaat kritisiert, der mit den Sozialversicherungen ein rechtlich besser abgesichertes oberes soziales Netz für Erwerbstätige bereithält und mit den bedarfsgeprüften Leistungen der Sozialhilfe ein schlechteres unteres soziales Netz für Bedürftige. Feministinnen haben aufgezeigt, dass durch die scharfe Trennung zwischen sozialen Rechten aus Erwerbsarbeit und der Nichtberücksichtigung von Familienarbeit Armut von Frauen erst produziert werde. Riedmüller (1984) hat die "Armut von Frauen" unter dem aus den USA stammenden Begriff der Feminisierung der Armut in die deutsche 7 Diskussion eingeführt Aus den Analysen von Pfaff (1992) geht hervor, dass Frauen durch Familienarbeit häufig erst aus dem oberen sozialen Netz der Sozialversicherungen herausgekickt werden, um dann auf die Sozialhilfe oder auf private Unterhaltsleistungen verwiesen zu werden. Diese Zweiteilung des Sozialstaates in eine Politik für Erwerbstätige und ihre Familien und in eine Politik für Bedürftige (vgl. Gerhard 1988) gibt es in dieser Schärfe in den anderen europäischen Ländern nicht, obgleich auch dort herausgearbeitet wurde, dass diese Zweiteilung geschlechtsspezifische Züge trägt, die in den einzelnen Ländern variieren. Erkenntnisse der anglo-amerikanischen wie auch der skandinavischen feministischen Forschung gehen, trotz der unterschiedlichen Wohlfahrtsregime, ebenfalls von einer "sexual division of welfare" (vgl. Rose 1984) oder von einem "two channel system" (vgl. Fraser/Gordon 1993) aus. Das Konzept des zweigeteilten Sozialstaats ist sehr erfolgreich in der Analyse der androzentrischen normativen Grundlagen sozialpolitischen Handelns. Mit ihm können die Defizite gegenüber der sozialen Sicherung von Frauen und den fehlenden Frauenrechten im Sozialstaat aufgezeigt werden. Feministische Wissenschaftlerinnen haben darauf hingewiesen, dass der bundesdeutsche Sozialstaat mit seinen Leistungen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Geschlechterasymmetrie verfestigt. Eine geschlechterkritische Revision der Sozialpolitikbereiche und der einzelnen Sozialversicherungszweige konnte nachweisen, dass Armut weiblich ist, und dass soziale Rechte von Frauen häufig über die Ehe abgeleitete Rechte sind. Kritische Analysen beziehen sich auf die Entstehungsgeschichte und den "Nachweis" von Frauendiskriminierung in den klassischen Feldern der Sozialpolitik (u.a. vgl. Mennel 1988; vgl. Wichert 1988, vgl. Gerhard 1988; vgl. Veil 1992), die mit dem Begriff der männlichen "Normalbiographie" oder dem "Normalarbeitsverhältnis" gebündelt zum Ausdruck gebracht wird. Mit der feministischen Kritik an den normativen Grundlagen des Keynesianischen Wohlfahrtsstaates, fokussiert auf das Beispiel des männlichen Normalarbeitsverhältnisses, hat diese eine Pionierfunktion in der Kapitalismuskritik übernommen. Bereits in den 70er Jahren hatten feministische Wissenschaftlerinnen die Erwerbsarbeits- und die Arbeitsmarktzentriertheit des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaates in Frage gestellt, eine Thematik, die in der mainstream-Forschung erst mit dem "Scheitern" des Sozialstaates angesichts der strukturellen Massenarbeitslosigkeit in den 80er Jahren aufgegriffen wurde. Die Stärke feministischer Sozialstaatsanalysen lag darin, dass sie die Geschlechtsblindheit der herkömmlichen Forschung aufzeigten und ausgehend von weiblichen Lebenslagen die Universalität des Normalarbeitsverhältnisses in Frage stellen konnte. Obgleich dieses Kritikmuster für größer werdende Teile der Gesellschaft zum Tragen kommt, hat sich feministische Kritik nicht - 8 wie eigentlich erwartet werden könnte - zu einer allgemeinen Gesellschaftstheorie weiter entwickelt, sondern sie ist häufig auf der "Diskriminierungsebene" stehen geblieben. Und damit komme ich zu den Schwächen dieses Theorieansatzes. Der Diskurs über den zweigeteilten Sozialstaat wurde stark normativ geführt und rückte den Diskriminierungsaspekt in den Vordergrund. Durch das ursprüngliche Anliegen der Frauenforschung, die Diskriminierung von Frauen, ihre relativ schwache Integration auf dem Arbeitsmarkt, ihren Ausschluß aus politischen Institutionen aufzuzeigen, entwickelte sich die Perspektive ihrer Viktimisierung. Als Opfer frauenfeindlicher Strukturen und Institutionen geriet ihr Handeln und ihre Partizipation bei der Ausgestaltung des bundesdeutschen Sozialstaates in den Hintergrund. Entgegen dem feministischen erkenntnistheoretischen Anspruch, Geschlechterverhältnisse als institutionelle Machtverhältnisse offenzulegen (Kulawik/Sauer 1996:20), wurde die Kategorie "Geschlecht" reduktionistisch auf die Frau angewendet. Im Zusammenhang mit der normativen Engführung dieser Diskurse sprechen Kulawik und Sauer von einer teilweise "utilitaristisch verkürzten" Perspektive, die sich aus der Anbindung feministsicher Forschung an die Frauenbewegung in den 70er und 80er Jahren und damit an Fragen der politischen Strategien erklären läßt. Feministische Forschung wurde unter dem Aspekt ihres Nutzens gesehen und nach "richtigen Maßnahmen" z.B. für eine Gleichstellungspolitik und für eine frauenfreundliche Sozialpolitik gesucht, die aus der Perspektive weiblicher Lebenslagen entwickelt wurde. Kulawik und Sauer schlagen vor, diese Perspektive in der gegenwärtigen Forschung aufzugeben, da sie die Entwicklung theoretischer Fragestellungen und Instrumentarien erschwere (ebd.: 19ff). Ich würde ergänzen, die Stärke des Konzeptes des zweigeteilten Sozialstaates wird zu seiner Schwäche, wenn nicht ein Perspektivwechsel vorgenommen wird: statt Viktimisierung von Frauen sollten die Handlungspotentiale von Frauen stärker herausgearbeitet werden und Sozialstaatsanalysen mehr als bisher die in den Institutionen und sozialstaatlichen Strukturen eingeschriebenen Geschlechterverhältnisse untersuchen. Eine zweite Debatte, die sich als Revision der herkömmlichen feministischen Theorien des Wohlfahrtsstaates v.a. in vergleichender Perspektive versteht, sind die von Politikwissenschaftlerinnen geführten Sozialstaatsanalysen mit genuin politikwissenschaftlichen Fragestellungen nach den Machtbildungsprozessen, den beteiligten Akteuren sowie nach den politischen Institutionen (Kulawik 1996:49f). Sie betonen handlungstheoretische Ansätze und bestimmen das Geschlechterverhältnis als politisches Macht- und Herrschaftsgefüge. 9 In den politikwissenschaftlichen feministischen Theorien zum Sozialstaat wird vom "halbierten Staat" (vgl. Kulawik/Sauer 1996) gesprochen. Gemeint ist eine "geschlechtshalbierte" Wahrnehmungsweise politikwissenschaftlicher "malestream"Staatstheorien, die auf mehreren Ebenen als eine Theorie kritisiert wird, die bei der Staatenbildung von scheinbar universellen Rechten und liberalen Individuen ausgeht. Auf der Ebene liberaler Philosophie zur Staatsgründung richtet sich die Kritik auf die Idee eines Gesellschaftsvertrages zwischen scheinbar autonomen Individuen. Carole Pateman wies als eine der ersten darauf hin, dass das liberale Individuum als ein geschlechtsloses Wesen, ohne Klassenzugehörigkeit und ohne ethnischen Hintergrund konzipiert worden sei - eine männliche Fiktion, durch die Frauen aus dem Staatswesen ausgeschlossen werden konnten (vgl. Pateman 1988). Auf der Ebene der Entstehung moderner europäischer Nationalstaaten kritisieren Politikwissenschaftlerinnen die liberale Idee der "Universalisierung" staatsbürgerlicher Rechte. Sie argumentieren, dass die fundamentalen staatsbürgerlichen Rechte partikulare, als Männerrechte konzipierte Rechte seien. Sie untersuchen auf der Ebene der policies die unterschiedliche Bedeutung und Tragweite, die die staatlichen Entscheidungen für Frauen und Männer haben (Kulawik/Sauer 1996: 11ff). Der Staatsapparat selber - die vierte Analyseebene - gilt in feministischen politikwissenschaftlichen Studien als "männerbündische Verfaßtheit" (vgl. Kreisky 1995), die Frauen aus zentralen Entscheidungsprozessen ausschließe. Sowohl die detaillierten und vielfältigen Arbeiten zur Zweiteilung des Sozialstaats (in sozialwissenschaftlichen Theorien) als auch die politikwissenschaftlichen Ansätze zur "Geschlechtshalbiertheit" des Staates (in politikwissenschaftlicher Theorien) haben das "genderingProjekt", d.h. Sozialstaatsanalysen auf der Basis der Kategorie "Geschlecht" als einem gesellschaftlichen Verhältnis, ganz wesentlich weiter entwickelt. Die Reichweite und der Erkenntniswert dieser theoretischen Ansätze ist noch lange nicht ausgeschöpft. In den überwiegend sozialwissenschaftlichen Forschungen haben die kritisierten Grundannahmen des keynesianischen Wohlfahrtstaates die Einschränkung des Arbeitsbegriffes auf Erwerbsarbeit und die Vernachlässigung der Familienarbeit als Anknüpfungspunkt für soziale Rechte - zu einer weiteren Variante des Arbeitsbegriffs geführt, so mit der Hausarbeitsdebatte, zu Theorien der Neubewertung von Arbeit. Ich möchte im folgenden diskutieren, ob dieser theoretische Ansatz für das "gendering-Projekt" vergleichender Wohlfahrtsforschung (noch) taugt. Die Hausarbeitsdebatte - eine vergessene Traditionslinie 10 Mit der Hausarbeitsdebatte der 70er Jahre (stellvertretend für viele: vgl. Kontos/Walser 1979) wurde erstmalig aufgezeigt, dass Familienarbeit auch soziologisch als Arbeit zu fassen ist und als solche Eingang in die Theoriebildung finden muß. Wie politisch brisant diese "Entdeckung" in den 70er Jahren war, zeigt die Wirkung eines wissenschaftlichen Werkes, das wie ein politischer Schlachtruf aufgenommen wurde. Gemeint ist das Buch von Gisela Bock und Barbara Duden (1976), "Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus". Die Forderung nach Lohn für Hausarbeit entstand. Die sozialpolitische Reichweite der Hausarbeitsdebatte ist gegenwärtig gering. Die Forderung nach Lohn für Hausarbeit wurde wissenschaftlich nicht weiter untermauert. Lediglich die Forderung, dass Hausarbeit in den Sozialversicherungen, z.B. als Rentenanspruch berücksichtigt werden solle (vgl. Veil 1996), wurde in Sozialpolitikanalysen aufgegriffen. Weitreichender ist der indirekte Einfluß der Hausarbeitsdebatte auf Theorien zur Neubewertung von Arbeit, Theorien, die angesichts der strukturellen Massenarbeitslosigkeit und der Transformation national geprägter Wohlfahrtsstaaten keynesianischer Prägung in nachindustrielle europäische Wohlfahrts-Regime wieder aufleben. Gegenwärtig finden theoretische Suchbewegungen zur Neubewertung und zur Umwertung von Arbeit statt (vgl. Stolz-Willig in diesem Band), um mit der Dramatik wissenschaftlich fertig zu werden, dass der Erwerbsgesellschaft die Arbeit ausgeht (vgl. Claus Offe 1984). Es geht um eine Neubestimmung des Verhältnisses von Erwerbsarbeit, Hausarbeit, ehrenamtlicher Arbeit und Tätigkeiten, um neue Arbeitsformen und Arbeitszeiten und ganz allgemein um die Frage, welche Tätigkeiten und welcher Bürgerstatus zu welchen Anerkennungsformen und Transferleistungen führen solle. Für diese zukunftsweisenden Diskussionen hat die Hausarbeitsdebatte einen wichtigen Anstoß gegeben. Mit ihr konnte die sozialdemokratische Verengung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit aufgebrochen und neue Perspektiven eröffnet werden Denn angesichts der strukturellen Massenarbeitslosigkeit in Europa wird es notwendig, die gesellschaftliche Bestimmung von Arbeit und ihre materielle Bewertung neu zu gewichten und Arbeit zunehmend als Tätigkeit zu diskutieren. Auffallend ist jedoch, dass in den Zukunftszenarien, die von einem Arbeitsbegriff als gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit ausgehen, wie die Zukunftskommission der Friedrich-Ebert-Stiftung (1998) und die Studie der "Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen" (1996), sowie der Vorschlag zum Erziehungsgehalt ( vgl. Stolz-Willig in diesem Band), die Traditionslinien verschüttet werden. In diesen Studien wird nicht auf feministische Theorien der 11 Hausarbeitsdebatte zurückgegriffen, mit denen ein Konzept zur Erweiterung des (Erwerbs-)Arbeitsbegriffes entwickelt worden ist, sondern so getan, als ob die mainstream-Forschung diese Fragestellungen neu entdeckt habe. Das Konzept der Hausarbeitsdebatte ist - so meine These - kein Instrument für vergleichende feministische Forschung zu Wohlfahrtsstaaten im Wandel und für das "gendering-Projekt", da der Erkenntniswert gerade für vergleichende Forschung zu gering ist. Denn was weiß ich, wenn ich weiß, dass Frauen in einem Land mehr Hausarbeit leisten als in einem anderen? Ich kann aus diesem Wissen keine Aussagen über das Geschlechterverhältnis ableiten, noch über die Arbeitsmarktintegration von Frauen, noch über private und öffentliche Machtstrukturen und auch nicht über die Frage der Existenzsicherung. Die Bedeutung von Hausarbeit für Frauen, für die Gesellschaft und für den Wohlfahrtsstaat ist erstens unterschiedlich und zweitens abhängig von kulturellen Traditionen und von der Ausgestaltung des öffentlichen Sektors zur Kinderbetreuung und zur Pflege, also von dem welfare-mix insgesamt. Um die unterschiedlichen Muster in ihren Veränderungsprozessen theoretisch erfassen zu können, hat sich das Instrumentarium der "geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung", der Arbeitsmarktintegration von Frauen und der Erwerbsarbeitsmuster (dem Verhältnis von Vollzeit- zu Teilzeitarbeit gegenüber Hausarbeit) als aussagekräftiger erwiesen. Zusammenfassend möchte ich festhalten: Die Bedeutung der Hausarbeitsdebatte für feministische Forschung lag darin, dass erstmalig Familienarbeit soziologisch als Arbeit gefaßt wurde und als solche Eingang in die sozialwissenschaftliche Theorienbildung finden konnte. Dies hat zu drei Weiterentwicklungen geführt. Erstens, es gibt einen indirekten Einfluß der Hausarbeitsdebatte auf Theorien zur Neubewertung von Arbeit, die die sozialdemokratische Verengung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit aufbrechen und neue Perspektiven eröffnen, so u.a. in den Zukunftszenarien. Erstaunlich ist, dass diese Theorien nicht in der Tradition der Hausarbeitsdebatte bewußt entwickelt werden, was zeigt, wie wenig diese die allgemeine Theorienbildung und Wissensproduktion in den Sozialwissenschaften beeinflussen konnten. Zweitens führte die feministische Kritik, die mit der Hausarbeitsdebatte geführt wurde, zu Theorien der Fürsorge (careDebatte). Theoretikerinnen der Fürsorgeethik plädieren für ein Bedürftigkeitsmodell als normative Grundlage von Sozialleistungen (vgl. Fraser 1994; vgl. Tronto 1996). Die politische Akteursebene verschiebt sich in diesen Theorien vom Staat zu den Gesellschaftsmitgliedern, die in Aushandlungsprozessen die Bedürfnisse immer wieder neu definieren. Drittens: Die Hausarbeitsdebatte führte zu dem Begriff der "Doppelbelastung", was meiner Meinung nach als politischer Kampfbegriff für die Frauenbewegung wichtig war, jedoch keine analytische Kategorie ist, 12 da der Begriff verwischt, dass Erwerbsarbeit und Familienarbeit zwei verschiedene Formen der Vergesellschaftung von Arbeit sind, denen unterschiedliche Rationalitäten zu Grunde liegen, die nicht einfach verglichen werden können. Meiner Meinung nach hatte die Hausarbeitsdebatte in der Verknüpfung feministischer Wissenschaft mit der Frauenbewegung eine wichtige Funktion, sie wird jedoch für die Herausarbeitung feministischer Sozialstaatstheorien mit einem verfeinerten Analyseinstrumentarium für die Zukunft an Bedeutung verlieren. Der Patriarchatsbegriff Die Frauenforschung hatte zunächst aufgezeigt, dass in den Analysen staatlicher Strukturen mit geschlechtsneutralen Kategorien gearbeitet wird. Daraus entwickelte sich die Erkenntnis, dass feministische Kritik am Sozialstaat nicht in der Kapitalismuskritik aufgeht. Herkömmliche Kapitalismuskritik konnte z.B. die Frage nicht beantworten, worin das Spezifische kapitalistischer Staaten in der Unterdrückung der Frauen liegt. Die "Vermutung", wie sie gerade von Politikwissenschaftlerinnen geäußert wurde, dass sich die Interessen der Männer mit denen des Staates deckten, führte zu dem Patriarchatsbegriff. Damit schien die theoretische Leerstelle gefüllt zu sein. An Hand vieler Beispiele konnte gezeigt werden, wie die Verknüpfung von Kapitalinteressen und Frauenunterdrückung zu einer ungleichen Verteilung sozialer Ressourcen zwischen Männern und Frauen führt. Frauen erschienen in diesen Ansätzen als diskriminiert, und die Matrix der Frauendiskriminierung wurde zum festen Bestandteil des patriarchalen Staates. Variationen dieser Auffassung finden sich z.B. bei Kreisky (1995). Sie geht vom Staat als Männerbund aus und zeigt, wie die im modernen Wohlfahrtsstaat "eingeschriebene Männlichkeit" historisch entstanden ist. Mit dem "Männerbundbegriff" beschreibt sie den antifeministischen Kontext der deutschen Sozialstaatstradition zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig wendet sie sich jedoch gegen jene dualistisch geführten feministischen Debatten, die den Staat entweder als "Fortschreibung patriarchaler Unterdrückungsverhältnisse" sehen oder als "Vehikel der Frauenbefreiung". Ihr geht es dann letztendlich um die Ambivalenzen staatlicher Instrumente und um die "Bedeutung von Staat und Politik als historische Arenen des Geschlechterkonflikts" (ebd.:129). Viele Feministinnen kritisieren heute den Patriarchatsbegriff. Duncan (1995) z.B. sieht in dem Begriff ein vorgefertigtes Interpretationsmuster, das handelnde Individuen vernachlässige. Skocpol (1992) kritisiert ebenfalls entschieden das Konzept des 13 patriarchalen Wohlfahrtstaates als ein schematisches Herangehen, das die Seite der Frauendiskriminierung überbetont und die Seite handelnder Personen vernachlässige. Skocpol plädiert dafür, den Patriarchatsbegriff als analytische Kategorie aufzugeben. Kulawik (1997) hingegen warnt davor. Denn ohne diesen Begriff würde feministische Forschung über keinen herrschaftskritischen Maßstab mehr zur Beurteilung einzelner Strategien und Policies verfügen (ebd.:298). Kulawik spricht die politische Seite an, die mit dem Begriff zum Ausdruck gebracht wird. "Das" Patriarchat war ein wichtiger Kampfbegriff in der neueren Frauenbewegung. Als politische Losung spielte er eine bedeutende Rolle in der Sammlung der Kräfte. Als analytischer Begriff hingegen ist er meiner Meinung nach zu vage. Jeder kann etwas anderes darunter verstehen. Da mit dem Begriff zu einseitig die frauenunterdrückende Seite der Staatstätigkeit betont wird, werden Frauen zu ewigen Opfern patriarchaler Strukturen. Es fehlen emanzipatorische Perspektiven. Ist der Patriarchatsbegriff differenziert genug, um die Geschterverhältnisse in den Wohlfahrtsstaaten im Wandel theoretisch zu durchdringen? Wie könnte der Begriff operationalisiert und somit wissenschaftlichem Zugriff geöffnet werden? Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass in neueren komparativen Forschungsrichtungen dieser Begriff kaum noch auftaucht (eine Ausnahme stellen die Untersuchungen von Schunter-Kleemann (1992) dar). Es ist meiner Meinung nach theoretisch interessanter, wenn der Patriarchatsbegriff nicht pauschal verwendet wird, sondern seine unterschiedlichen Bedeutungen in der privaten und in der öffentlichen Sphäre getrennt analysiert werden. Erst dann gewinnt er analytische Kraft. Dies möchte ich an einem Beispiel verdeutlichen: Die Frauenemanzipation in den sozialistischen Ländern folgte dem Leitbild der Angleichung der Situation der Frauen an die der Männer ("sameness"). Diese "sameness" wurde im öffentlichen Bereich und im Berufsleben, unterstützt durch sozialpolitische Maßnahmen, weitgehend hergestellt. Trotz dieser formalen Gleichheit, die bilanzierend in regierungsamtlichen Statistiken "nachgewiesen" wurde, konnten die zugrundeliegenden Geschlechterbeziehungen durchaus patriarchalisch sein. So jedenfalls hat Adamik die Entwicklung für Ungarn beschrieben (vgl. Adamik 1996). Sie sagt, dass es der ungarischen Regierung niemals um einen Wandel der Beziehungen zwischen Männern und Frauen im Binnenverhältnis und im Privaten gegangen sei. In Opposition zu der öffentlichen Gleichstellungspolitik hätten Männer die Privatsphäre als den ihnen noch verbleibenden Herrschaftsbereich mißbraucht und patriarchale Gewaltstrukturen aufrecht erhalten (ebd.: 40). Was auf der offiziellen Ebene - dem Wohlfahrtsstaat - ideologisch abgelehnt wurde, konnte sich durchaus 14 im Privaten halten. Marxistische Feministinnen (vgl. Young 1981) halten an dem Patriarchatsbegriff fest. Sie erweitern das marxistische Klassenkonzept um den Patriarchatsbegriff, indem sie Unterdrückung auch jenseits der Klassenstrukturen und jenseits kapitalistischer Ausbeutung thematisieren. Auch sie trennen die beiden Analyseebenen: öffentliche und private Sphäre. Sie weisen auf die "black box" marxistischer Theorien hin, die Ausbeutung nicht auf die Geschlechterbeziehungen beziehen. Doch ich frage mich, welche Funktion der Begriff des Patriarchats in den Austauschbeziehungen zwischen Wohlfahrtsstaat und Gesellschaft hat? Gibt es eine Wechselwirkung zwischen patriarchalen Geschlechterbeziehungen und einem patriarchalen Wohlfahrtsstaat? Autorinnen aus den ehemals sozialistischen Ländern haben auf den Widerspruch zwischen einer staatlich verordneten offiziellen Gleichstellungspolitik und patriarchalen Machtstrukturen in der Privatsphäre aufmerksam gemacht. Demgegenüber betonen skandinavische Wissenschaftlerinnen den frauenfreundlichen Charakter der skandinavischen Wohlfahrtsstaaten, den sie in der zentralen Bedeutung des Staates für die Herstellung sozialer Gleichheit und in der Geschlechterdemokratie sehen (vgl. Dahlerup 1990, zit. nach Kreisky/Sauer 1995). Ihre These lautet, dass Frauen den Staat brauchen, da weder die kapitalistische Wirtschaft noch die bürgerliche Familie, noch die Gesellschaft so viel Gleichheit und Freiheit bieten könne wie der Staat. Die Norwegerin Helga Hernes (1989) vertritt die Auffassung, dass sich die Abhängigkeit der Frauen von Männern grundlegend ändere, wenn sie zu einer Abhängigkeit der Frauen vom Staat werde . Diese Position findet sich abgeschwächt auch bei Siim (1993). Die massenhafte Beschäftigung von Frauen im staatlichen Sektor würde zu einer Schwächung des "Familienpatriarchats" und zu einer Stärkung des "sozialen Patriarchats" führen. "Vater" Staat, der in die Rolle des Familienernährers tritt und Familienaufgaben übernimmt, muß also nicht unbedingt patriarchale Züge tragen. Nicht dann, wenn er über Sozialpolitik eine Politik der Gleichberechtigung von Frauen betreibt. Das Kriterium, mit dem zwischen einer patriarchalen und einer nicht patriarchalen Sozialpolitik unterschieden werden kann, ist - so mein Vorschlag - das Frauenbild, das sozialpolitischem Handeln zu Grunde liegt. Z. B. beruhte die Sozialpolitik der DDR auf der Vorstellung, dass Frauen durch ihre Familieneinbindung Defizite hätten, die es auszugleichen gelte. Familien- und Hausarbeit wurde gegenüber einer kontinuierlichen Berufstätigkeit als minderwertig angesehen, weshalb sich emanzipatorische politische Strategien auf einen Anstieg weiblicher Erwerbstätigkeit konzentrierten. Selbst eine Gleichstellungspolitik, die darum bemüht ist, Familien- und Hausarbeit 15 umzuverteilen, kann dann nicht emanzipativ wirken, wenn sie von einem defizitären Frauenbild ausgeht und Gleichstellung nicht als einen gesellschaftlichen Prozeß begreift, der auch eine Veränderung der Männer beinhalten müßte. Solch eine Gleichstellungspolitik führt nicht zu einer anderen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, sondern zu einer neuen Arbeitsteilung zwischen Frauen und dem Staat, indem der Staat Frauen für die Arbeitsmarktintegration von Familienaufgaben entlastet. Mit dem Patriarchatsbegriff sollten die Beziehungen zwischen Geschlechterhierarchie und Kapitalismus theoretisch geklärt werden. An Hand vieler Beispiele konnte aufgezeigt werden, wie die Verknüpfung von Kapitalinteressen und Frauenunterdrückung zu einer ungleichen Verteilung von Macht und von sozialen Ressourcen zwischen Frauen und Männern führt. Analysen, die mit dem Patriarchatsbegriff arbeiten, gehen häufig im Vorfeld bereits von der Frauendiskriminierung aus. Die Gefahr einer dogmatischen Erstarrung ist groß. Meiner Meinung nach sperrt sich der Begriff gegen Analysen von Transformationsprozessen und kann das Neue nicht erfassen. Mein Vorschlag ist, ihn stärker zu operationalisieren und ihn auf Analysen der Geschlechterbeziehungen in nicht über den Markt oder den Staat vermittelten gesellschaftlichen Beziehungen zu reduzieren. Einen endgültigen Verzicht auf den Patriarchatsbegriff lehne ich, wie Kulawik (1996) jedoch ab, da dies bedeuten würde, dass feministische Forschung keinen herrschaftskritischen Maßstab zur Beurteilung einzelner Politikstrategien mehr hat. Das theoretische Instrumentarium der Regime-Forschung Neuere komparative Forschungen beschäftigen sich seit den 80er Jahren mit dem Wandel der Wohlfahrtsstaaten. Arbeiten, die diesen Wandel theoretisch zu erfassen versuchen, beziehen sich zunehmend auf das Konzept der Regime-Forschung. Darunter ist eine neue Forschungsrichtung zu verstehen, die Wohlfahrtsstaaten nicht mehr als funktionalistische und klar umrissene Systeme faßt, die nicht weiter umschrieben werden müssen, sondern als offen strukturierte Politikfelder. Gegenüber der herkömmlichen Sozialstaatsforschung, die die Güte wohlfahrtsstaatlicher Leistungen an der Höhe der Sozialausgaben im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt (Sozialleistungsquote) mißt, versucht die Regime-Forschung, Aufgaben und Strukturen eines Wohlfahrtsstaates neu zu konzipieren (stellvertretend für viele: vgl. Lessenich/Ostner 1998). Die RegimeForschung untersucht die Wirkungen sozialpolitischer Interventionen auf die soziale Schichtung der Gesellschaft (Stratifikation) und den Grad der "dekommodifizierenden" Wirkungen von Sozialleistungen (die Freistellung vom Zwang zur Lohnarbeit durch Lohnersatzleistungen). Dieser andere Blick auf den Staat zeigt diesen als ein Geflecht von Klassenstrukturen, Koalitionsbildungen und sozialen Bewegungen. 16 Die Regime-Forschung hat die politischen Akteure neu "entdeckt" (Gewerkschaften, Parteien, soziale Bewegungen), die in unterschiedlichen Akteurskonstellationen als aktive Faktoren bei dem sich neu formierendem Wechselspiel zwischen Staat, Familie, Arbeit und sozialer Sicherung herangezogen werden (u.a. vgl. Ostner 1995; vgl. Daly 1994, 1997). Diese prozeßhaften Analysen können weit besser als die traditionelle Forschung Wohlfahrtsstaaten im Transformationsprozeß darstellen und auch scheinbar nebensächliche Kräftekonstellationen wie das Verharrungsvermögen gegenüber Reformen und die nichtintendierten Folgen sozialpolitischen Handelns herausarbeiten. Bahnbrechend für diese Forschungsrichtung sind die Arbeiten von Esping-Andersen und Korpi, die mit der Regime-Forschung ein Konzept entwickelt haben, auf das sich international vergleichende Forschung als theoretischem Referenzrahmen verständigt hat. Das Konzept von Esping-Andersen Esping-Andersen und Korpi (1990) haben die Qualität westlicher Wohlfahrtsstaaten unter drei Gesichtspunkten verglichen: dem jeweiligen Anteil, den der Arbeitsmarkt, der Staat und die privaten Haushalte an der Produktion von Gütern und Dienstleistungen haben; dem Einfluß der Wohlfahrtsstaaten auf die soziale Schichtung, und dem Grad der "dekommodifizierenden" Wirkungen von Sozialleistungen. Darunter verstehen sie eine bestimmte politisch ökonomische Organisation von Wohlfahrtsstaaten und eine Sozialpolitik, die es Erwerbstätigen ermöglicht, durch Sozialleistungen zeitweise aus der warenförmigen Arbeit auszusteigen ("commodity" engl. Ware). Der aus der marxistischen Terminologie bekannte Begriff gilt in der neueren skandinavischen Sozialpolitikforschung als Gütekriterium für die Fortschrittlichkeit wohlfahrtsstaatlicher Leistungen. Esping-Andersen u.a. haben mit den Kategorien der Dekommodifizierung und der sozialen Bürgerrechte die Qualität von Sozialleistungen von 18 OECD-Staaten analysiert und die Ergebnisse zu drei Typologien von Wohlfahrts-Regimen gebündelt, die drei unterschiedliche Ökonomien repräsentieren: - Das sozialdemokratische Modell (die skandinavischen Länder), ein System, das durch universelle, für alle gleiche Sozialleistungen einen einheitlichen Sozialstatus herzustellen versuche und von einer "crossclass solidarity" ausgehe. Das zugrunde liegende gesellschaftliche Konzept sei das einer Arbeitsgesellschaft, in der Männer und Frauen Arbeitsbürger seien. In dem sozialdemokratischen Modell seien die "entkommodifizierenden" Wirkungen der Sozialpolitik am größten, was 17 sich in der Sozialisierung von Familienaufgaben über den Staat und in den Lohnersatzleistungen zeige, die in fast 100% iger Höhe gewährleistet werden (bei Krankheit, Elternschaft, Arbeitslosigkeit, Eingliederungshilfen). - Das konservativ-korporatistische Modell (Frankreich und Deutschland) sei gekennzeichnet durch stark ausgebaute institutionelle Sozialleistungen, die die Statusunterschiede betonten und den sozialen Status und die Besitzstände Erwerbstätiger sicherten. Dieses Modell baue auf Vollbeschäftigung (für das männliche Familienoberhaupt) und auf einen Familienlohn auf. Durch Stärkung des Subsidiaritätsprinzips werde an der privat geleisteten Familienarbeit festgehalten und der Sozialstaat entlastet. - Das liberale Modell (USA und zunehmend auch Großbritannien) baue auf Sozialleistungen auf, die hilfsweise (subsidiär) gewährt werden, wenn der Arbeitsmarkt oder Familienunterstützung versagten. Die Lohnersatzleistungen seien niedrig und bedarfsorientiert. Das Konzept der Solidarität ziele auf den bedürftigen Teil der Gesellschaft und nicht, wie in dem sozialdemokratischen Modell, auf die gesamte Gesellschaft. Das liberale Modell fördere ein duales System der Bessergestellten, die sich über zusätzliche private Leistungen absichern könnten und der Bedürftigen, die von niedrigen Sozialleistungen abhängig seien. Die dekommodifizierenden Wirkungen der Sozialleistungen seien minimal. Die drei Typologien von Wohlfahrts-Regimen haben die gegenwärtige angelsächsische und skandinavische Sozialstaatsdiskussion so stark beeinflußt, dass sich feministische Forscherinnen aus diesen Sprachräumen an Esping-Andersen "abarbeiten", um aus der Kritik heraus eigene theoretische Fragestellungen zu entwickeln. Der Fortschritt des theoretischen Ansatzes von Esping-Andersen und seinen idealtypischen Klassifizierungen dreier Modelle von Wohlfahrtsstaaten liegt in dem einheitlichen Referenzrahmen, auf den er die Untersuchungsfragen bezieht. Die Wohlfahrtsstaaten westlicher Industrienationen werden nach dem Kriterium der Dekommodifizierung gemessen und qualifiziert. Und genau daran hat sich vielfältige Kritik entzündet Sie erscheint mir berechtigt, wenn sie sich auf die Überhöhung des Modells Schweden als beispielhaft für Europa bezieht, und wenn darauf hingewiesen wird, dass das Gütekriterium der Dekommodifizierung lediglich dazu taugt, den gegenwärtigen schwedischen Wohlfahrtsstaat als Momentaufnahme der Phase seiner Expansion seit den 60er Jahren darzustellen. Die Schwäche der Theorien von Esping-Andersen liegt meiner Meinung nach in der Anwendung dieses analytischen Rasters, der Dekommodifizierung (die Befreiung von der Lohnarbeit durch Lohnersatzleistungen), auf alle Wohlfahrtsstaaten. Da EspingAndersen versucht, den status quo des schwedischen 18 Wohlfahrtsstaates fortzuschreiben und danach auch andere europäische Wohlfahrtsstaaten analysiert, kann er weder den wirklich stattfindenden Wandel in Schweden noch den in den süd- und osteuropäischen Ländern theoretisch "begreifen". Letztere läßt er in seinen Untersuchungen links liegen, da sie nicht paßgerecht sind. Das Gütekriterium der Dekommodifizierung - Eine männliche Sichtweise Feministische Forschung weist auf die Geschlechtsblindheit und auf die "vernachlässigten Facetten" (vgl. Hobson 1994) in den Theorien der Regime-Forschung hin. Sie kritisiert, dass das Kriterium der dekommodifizierenden Wirkungen von Sozialpolitik als das Gütekriterium wohlfahrtsstaatlicher Leistungen gilt. Dieses sei eine männliche Sichtweise. Denn die Analysen des Zusammenspiels von marktförmigen und staatlichen Beiträgen zur Produktion von Wohlfahrt, die Güter und Dienste umfaßt, beschränkt sich bei Esping-Andersen auf die Arbeitsteilung zwischen Arbeitsmarkt und Staat und vernachlässigt die Leistungen, die in der Familie erbracht werden, auch wenn er diese erwähnt . Aus dieser Perspektive heraus wird Arbeit nur als Erwerbsarbeit definiert und ihre geschlechtsspezifischen Voraussetzungen, wie die ungleiche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, ausgeblendet (vgl. Ostner 1995). Im Gegensatz zu einer auf das Verhältnis von Staat und Arbeitsmarkt fixierten Sozialpolitikanalyse untersuchen feministische Forscherinnen die Beziehungen zwischen Staat, Markt und Familie, sowie Veränderungen im Verhältnis zwischen Familienarbeit und Beruf, zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit. Es geht darum, die für Frauen relevanten Fragestellungen sowie einen theoretischen Rahmen für geschlechtssensible komparative Analysen zu entwickeln. Ausgehend von der Kritik an den Indikatoren, mit denen EspingAndersen Typologien von Wohlfahrtsstaaten gebildet hat, kommen feministische Studien durch die Einbeziehung der Kategorie Familie zu anderen Modellbildungen (so z.B. Lewis/Ostner 1994). Lewis und Ostner z.B. entwickeln länderspezifische Wohlfahrts-Regime als sogenannte Familienernährer-Modelle, die sich im Grad der (materiellen) Abhängigkeit der Frauen von einem Familienernährer unterscheiden. Als Gütekriterium gelten die Lebenschancen von Frauen, unabhängig vom Erwerbs- und Ehezwang. Indikatoren hierfür sind die unterschiedlichen Erwerbsarbeitsmuster (in Vollzeit/Teilzeit) von Müttern, die Frage der eigenständigen oder abgeleiteten sozialen Sicherung sowie die Ausgestaltung der öffentlichen Betreuungsleistungen. 19 Kritisch gegenüber der Kategorie Dekommodifizierung äußern sich auch Orloff (1993), Hobson (1994), Sainsbury (1994) und andere. Die Kategorie Dekommodifizierung sei für die Frauenforschung ungeeignet, da sie die unterschiedlichen Erfahrungen nicht berücksichtige, die Männer und Frauen mit der Arbeitsmarkt- und Familienintegration machen. Hobson weist darauf hin, dass Frauen sich erst noch den Zugang zur Erwerbsarbeit erkämpfen müßten, bevor es darum gehen könne, sich wieder teilweise aus ihr heraus zu ziehen. Ein wesentlicher Teil feministischer Kritik an dem Konzept von Esping-Andersen speist sich aus dieser Erkenntnis der Ungleichzeitigkeit. Historisch gesehen sind Frauen später in die Erwerbsarbeit eingetreten und der Prozeß der Arbeitsmarktintegration verläuft anders als die der Männer. Die Erwerbstätigkeit von Frauen kann nicht ohne oder in Konkurrenz zur Familienarbeit gedacht werden, auch kontinuierlich berufstätige Frauen sind soziologisch gesehen nicht einfach für den Arbeitsmarkt freigestellt. So würde ich Hobsons Kritik an der Dekommodifizierung erweitern: Mit dem Begriff wird nicht nur der Aspekt der Ungleichzeitigkeit in der Arbeitsmarktintegration von Frauen und Männern vernachlässigt, sondern auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Durchsetzung der Lohnarbeit. Wenn die Bedeutung der Lohnarbeit in männlichen und weiblichen Lebenszusammenhängen eine andere ist, so muß auch die Bedeutung der Lohnersatzleistungen (der Dekommodifizierung) eine andere sein. An dem Begriff der Dekommodifizierung wird weiterhin kritisiert, dass mit ihm ein Sozialstaatsverständnis zum Ausdruck gebracht wird, das einseitig an die Theorien der Arbeiterbewegung anknüpft: der Sozialstaat als eine Errungenschaft im Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital, wodurch sich die Arbeiterbewegung ein Stück Freiheit gegenüber den Zwängen des Arbeitsmarktes erkämpft hatte. Feministische Forschung kritisiert, dass der Beitrag der Frauenbewegung an der Konzeption von Wohlfahrtsstaat in diesen Klassen- und Schichttheorien unberücksichtigt bleibt. Geschlechter-Regime - ein feministisches Konzept? Vergleichende Studien der Wohlfahrts-Regime haben auf der Makroebene idealtypische Modelle von Wohlfahrtsstaaten entwickelt, die die zugrundeliegenden Geschlechterbeziehungen unberücksichtigt lassen. Dieser geschlechtsspezifische "bias" führt zu Erkenntnislücken. Denn wie sollen z.B. die Auswirkungen der europäischen Sozial- und Rechtspolitik auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen in Europa vergleichend untersucht werden, wenn unter Wohlfahrtsstaaten lediglich systemische Regelungswerke und Sozialversicherungen verstanden werden? Wie können die Wirkungen des europäischen 20 Einigungsprozesses auf die Wohlfahrtsstaaten erklärt oder auch nur aufgezeigt werden, wenn diese geschlechtslos oder androzentrisch definiert werden, ohne die sich ändernden Beziehungen zwischen den Geschlechtern in den Ländern Europas zu berücksichtigen? In einer Studie haben Ostner und Lewis (1995) aufgezeigt, auf welche politischen und kulturellen Bedingungen die Sozial- und Geschlechterpolitik der Europäischen Union stößt. Die Transformation der europäischen Sozialpolitik in nationales Recht muß "zwei Nadelöhre" passieren: das Nadelöhr des national geprägten Wohlfahrtsstaates und das der jeweils länderspezifischen "Geschlechterordnung", die diesem zu Grunde liegt. Die Autorinnen untersuchen die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und die Direktiven der Europäischen Kommission zur sozialen Sicherung und kommen zu dem Ergebnis, dass es diese zwei Nadelöhre sind, die die Reichweite und Durchsetzungskraft von Veränderungen auf europäischer Ebene filtern und einschränken. So geht z. B. Sozialpolitik in Deutschland von einem anderen Familienbegriff aus als in Frankreich. Während im deutschen Sozialrecht ein Zusammenleben mit Trauschein als Familie gilt, so ist in Frankreich die Elternschaft mit oder ohne Trauschein der Inbegriff einer Familie. Solche unterschiedlichen Auffassungen haben entscheidende Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Sozialleistungen. Sie müssen in den Analysen mit berücksichtigt werden. Das Konzept der Geschlechter-Regime wird mit unterschiedlichen Fragestellungen umgesetzt. Lewis und Ostner (1994) haben auf der Basis der Kategorie "Geschlecht" Typisierungen von Wohlfahrtsstaaten vorgenommen und für die Bundesrepublik das Familienernährer-Modell vorgeschlagen. Dabei haben sie zwischen schwach, moderat oder stark an der männlichen Versorgerehe ausgerichteten wohlfahrtsstaatlichen Mustern unterschieden. Pfau-Effinger (1996) hat das Konzept der Geschlechter-Regime um die arbeitsmarktpolitische Dimension erweitert. Sie geht theoretischen Leerstellen nach, wenn sie nach dem Einfluß wohlfahrtsstaatlicher Politik auf das Geschlechterverhältnis und umgekehrt nach dem Einfluß des Geschlechterverhältnisses und der kulturellen Traditionen auf den welfare-mix fragt. In diesem Kontext - dem wechselseitigen Verhältnis der Geschlechterbeziehungen, der kulturellen Traditionen und Faktoren und dem welfare-mix - untersucht sie dann die internationalen Differenzierungen in den Erwerbsarbeitsmustern von Frauen, die sie nicht nur aufzeigt, sondern auch zu erklären versucht. Globaler Ausblick 21 Auch feministische Theorien sind revisionsbedürftig. Von dem wissenschaftlichen Aufspüren frauendiskriminierender Strukturen des Wohlfahrtsstaates und mangelnder sozialer Rechte von Frauen in den einzelnen Ländern, hat sich die Forschung weiter entwickelt. Vor allem die komparative Regime-Forschung hat neue Fragestellungen eröffnet und ein "ranking" des eigenen nationalen welfare-mix möglich gemacht. Diese neue Forschungsrichtung beruht auf der empirischen Erkenntnis, dass Wohlfahrstaaten im Wandel mit anderen theoretischen Instrumenten analysiert werden müssen als Wohlfahrtsstaaten in der Phase ihrer Entstehung und Expansion. Feministische Theorien haben ebenfalls mehrere Phasen durchlaufen. Das von mir geschilderte analytische Konzept des zweigeteilten Sozialstaates war sehr erfolgreich in der Analyse der keynesianischen Wohlfahrtsstaaten. Es konnten die Defizite in der sozialen Sicherung von Frauen detailliert in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherungen und auf den unterschiedlichen Ebenen der Strukturen des Wohlfahrtsstaates herausgearbeitet werden. Theoretische Ansätze, wie die Hausarbeitsdebatte, hatten eine wichtige Funktion, als politischer Kampfbegriff und als Analyseinstrument, mit dem in den Sozialwissenschaften Hausarbeit erstmalig als Arbeit definiert wurde. In komparativen Studien ist der Erkenntniswert der Hausarbeitsdebatte meiner Meinung nach jedoch weitgehend ausgeschöpft. Lediglich in soziologischen Theorien zur Neubewertung und Neudefinition des sozialdemokratisch verengten Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit kann meiner Meinung nach auf die Hausarbeitsdebatte zurückgegriffen werden. Der Patriarchatsbegriff hingegen, ein Schlüsselbegriff dieser älteren Phase feministischer Theorienbildung, hat auch für komparative Studien und für das "gendering-Projekt" noch eine theoretische Bedeutung, wenn er - so mein Vorschlag - analytisch stärker operationalisiert wird (hierfür liegen meines Wissens keine Vorschläge vor) und nicht für Analysen gesellschaftlicher Beziehungen verwendet wird, die über den Markt oder den Staat vermittelt werden, also Sozialstaatsanalysen. Einen Verzicht auf den Patriarchatsbegriff, wie es einige Wissenschaftlerinnen vorschlagen, würde ich ablehnen, da feministische Forschung dann über keinen herrschaftskritischen Maßstab mehr zur Beurteilung einzelner Politikstrategien verfügt - auch und insbesondere in vergleichender Forschung. 22 In feministischen Ansätzen komparativer Forschung sind die Wohlfahrtsmodelle entlang des Strukturierungsmerkmals "Geschlecht" zum Konzept der Geschlechter-Regime weiter entwickelt worden. Gegenüber den idealtypischen Wohlfahrtsmodellen von EspingAndersen hat feministische Forschung den welfare-mix um die privaten Ressourcen der Familienarbeit erweitert und ist zu anderen Modellbildungen gekommen. Das theoretische Angebot erstreckt sich jedoch nicht nur auf Erweiterungen und Korrekturen an der RegimeForschung, wie sie von Esping-Andersen und anderen vertreten wird, sondern es wird viel grundsätzlicher versucht, einen neuen theoretischen Referenzrahmen zur Analyse der Wohlfahrtsstaaten zu entwickeln. Entlang der Kategorie "Geschlecht" wird ein "gendering" wohlfahrtsstaatlicher Strukturen und Leistungen versucht. Das Konzept der Regime-Forschung von Esping-Andersen, Korpi u.a. ist gegenüber bundesdeutschen mainstream-Sozialstaatsanalysen fortschrittlich, da es weniger systemisch ist, und entsprechend des Machtressourcen-Ansatzes den Einfluß sozialer Bewegungen und kollektiver Akteure auf die Ausgestaltung der Wohlfahrtsstaaten herausstellt. Wohlfahrtsstaat und Sozialpolitik werden in diesen Zusammenhängen als Einheit gesehen. Das ist die vorwärtsstrebende Seite der Regime-Forschung, die v.a. von der feministischen Forschung aufgegriffen wird (vgl. Hobson (1996), die den Einfluß der schwedischen Frauenbewegung der 30er Jahre auf die Organisation des Wohlfahrtsstaates aufzeigt). Rückwärtsgewandt hingegen ist die einseitige Betonung der zumeist männlich geprägten Arbeiterbewegung als Einflußgröße und die enge Bindung der Wohlfahrtsstaaten an die Industriegesellschaft. Das kommt in der Schlüsselkategorie der "Dekommodifizierung" zum Ausdruck, die meiner Meinung nach nicht entwicklungsfähig ist und lediglich für die Analyse des keynesianischen Wohlfahrtsstaates nützlich war. Konnten Menschen im keynesianischen Wohlfahrtsstaat noch stolz darauf sein, viel Urlaub und bezahlte Freizeit (erkämpft) zu haben, so wird aus diesen "Errungenschaften" in Zeiten der Globalisierung ein Kostenfaktor, der sich nachteilig im globalisierten Wettbewerb auswirkt. So werden unter dem Veränderungsdruck der Globalisierung keynesianische Wohlfahrtsstaaten gewaltsam demontiert: nationale Wohlfahrtsstaaten entwickeln sich zunehmend zu Wettbewerbsstaaten. Zur Analyse dieses Wechsels eignen sich feministische Theorien mit der Kategorie Geschlecht weit besser als die Kategorie der Dekommodifizierung, um die Grenzverschiebungen zwischen Markt, Staat und Familie, zwischen Öffentlichkeit und Privatheit zu erfassen jedoch nur dann, wenn sie nicht als "glatte" Theorien formuliert werden. 23 Literatur: Adamik, Mária (1996): Wie können ungarische Frauen etwas verlieren, das sie niemals hatten? Sozialpolitik im Realsozialismus. In: Feministische Studien, H. 2: 35-46 Daly, Mary (1994): Comparing Welfare States: Towards a Gender Friendly Approach. In: Sainsbury, Diane (Ed.): Gendering Welfare States. London: 101-177 Daly, Mary (1997): The Case of Welfare State Change and Transformation: Beyond Feminst Approaches, unveröff. Mskr., Göttingen Duncan, Simon (1995): Theorizing European Gender Systems. Journal of European Social Policy. Bd. 5, Nr.4: 263-284 Esping-Andersen, Gøsta (1990): The Three Worlds of Welfare Capitalism. 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