PRO_ASYL_ZuwGE_0102 - Infoseite Zuwanderungsgesetz und

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Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung
und zur Regelung des Aufenthalts und der
Integration von Unionsbürgern und Ausländern
(Zuwanderungsgesetz – BT-Drucksache 14/7387 -)
PRO ASYL
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft
für Flüchtlinge e.V.
10. Januar 2002
2
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
3
Kurzbewertung der flüchtlingsspezifischen Elemente
des Zuwanderungsgesetzentwurfs vom 6. November 2001
5
Allgemeines zur Konstruktion des Zuwanderungsgesetzes
8
Arbeitsmigration und Arbeitserlaubnis
8
Daueraufenthalt/Möglichkeit der Verfestigung
11
Integrationskurse
12
Statusverbesserungen für bislang Geduldete? Weiterhin ein dorniger Weg
13
Sperrwirkung gegen generelle Gefahren
16
Familiennachzug
17
Nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund
18
Angleichung des Status und Befristung des Aufenthaltstitels für
Asylberechtigte und GFK-Flüchtlinge – Probleme mit dem Familienasyl
20
Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen
21
Entscheidungsstopp für Asylanträge
22
Weisungsgebundenheit der Entscheider/
Abschaffung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten
23
Gewillkürte Nachfluchtgründe beim Asylfolgeantrag
23
Verkürzung des Rechtsschutzes wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten
24
Erlöschen des Aufenthaltstitels bei Asylantragstellung
24
Passbeschaffung
25
Verbesserung des asylrechtlichen Verwaltungsverfahrens
25
Asylbewerberleistungsgesetz
26
Ausreiseeinrichtungen / Abschiebungshaft
27
Residenzpflicht
28
Flughafenverfahren
28
Kinderrechte
29
Härtefallregelung
29
Illegalisierte
29
Doppelstandard im Datenschutz/Ausländerausweisdokumente
30
Datenfluss bis in die Verfolgerstaaten? Datenübermittlung vom Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und von den Ausländerbehörden
an Verfassungsschutzbehörden
32
Generalverdacht gegen Asylsuchende: Missbrauch ihrer
erkennungsdienstlichen Unterlagen
33
3
Missbrauch zweifelhafter Sprachanalysen
33
Änderung des Vereinsgesetzes – zusätzliche Verbotsgründe
34
Fazit
36
4
Einleitung
Am 6. November hat der Entwurf der Regierungskoalition für ein
Zuwanderungsgesetz das Bundeskabinett passiert. Der Gesetzentwurf betrifft das
Schicksal von 7 Millionen Ausländern, nicht eingerechnet hierbei diejenigen, die auf
der Basis eines solchen Zuwanderungsgesetzes künftig einwandern oder als
Flüchtlinge Schutz suchen werden. Nach wie vor wird von Seiten der
Regierungskoalition bei der Beratung des Gesetzes großer Zeitdruck gemacht. Dies
obwohl die Absicht der beiden Regierungsparteien, das Thema Zuwanderung aus
dem Wahlkampf herauszuhalten, ersichtlich bereits gescheitert ist.
Ein sachlicher Grund für die gesetzgeberische Hektik ist weiterhin nicht erkennbar.
Das Gesetz soll erst im Jahre 2003 in Kraft treten, seine zuwanderungspolitischen
Effekte nach Aussagen des Bundesinnenministers großenteils erst gegen Ende
dieses Jahrzehnts wirken. PRO ASYL bleibt deshalb bei seiner grundsätzlichen
Kritik: Über das Schicksal so vieler Betroffener, den Schutz bedrohter Menschen und
die einwanderungspolitischen Perspektiven der Bundesrepublik darf nicht unter
solchem Zeitdruck beschlossen werden.
Den Anspruch des Regierungsentwurfes hat Bundesinnenminister Otto Schily am 5.
November 2001 nochmals dargestellt: „Mit dem Regierungsentwurf bringen wir ein
modernes, flexibles, wirtschaftsfreundliches und sozial ausgewogenes
Instrumentarium zur bedarfsgerechten Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung
auf den Weg“. Er wiederholte damit fast wortgenau, was er bei der Präsentation des
Referentenentwurfs Anfang August 2001 schon behauptet hatte.
In einer gemeinsamen Stellungnahme vom 14. September 2001 zum
Referentenentwurf haben die beiden großen Kirchen bereits betont, woran ein
Zuwanderungsgesetz über die bloße Behauptung der Modernität und Flexibilität
hinaus wirklich zu messen ist: „Vor allem ist wesentlich, dass jegliche Regelung der
Zuwanderung – sei es aus ökonomischen Gründen, zum Familiennachzug, zu
Ausbildungszwecken oder zum Schutz von Menschen vor ihnen drohenden
Menschenrechtsverletzungen – dem Anspruch auf Einhaltung der Menschenwürde
sowie dem Gebot der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit entspricht. Zu diesem
Zweck muss das Ausländerrecht – jedenfalls teilweise – aus dem Bereich des
Polizeirechtes herausgelöst werden. Der Zuzug von Menschen nach Deutschland
und der Aufenthalt im Bundesgebiet darf nicht allein unter dem Gesichtspunkt der
Gefahrenabwehr betrachtet werden.“ Diesem Anspruch – Rechtssicherheit und –
klarheit zu schaffen – wird der Gesetzentwurf in vielerlei Hinsicht nicht gerecht.
Spätestens mit dem zeitgleich mit dem Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes
vorgestellten Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Anti-Terror-Paket II) wurde deutlich,
dass diese Bundesregierung kein wirklich neues Kapitel des deutschen
Ausländerrechts aufzuschlagen gedenkt. Das Terrorismusbekämpfungsgesetz
enthält eine Vielzahl äußerst restriktiver Regelungen, die ganz besonders Ausländer
treffen. Die entsprechenden Änderungen des Ausländergesetzes und des
Asylverfahrensgesetzes werden Bestandteil des Gesamtpakets
Zuwanderungsgesetz.
5
Mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz wird erneut der Weg eingeschlagen, den
man verlassen zu wollen vorgab: Die gesetzliche Konstruktion der Ausländer als
ordnungsrechtliches Risiko, dem mit einer Vielzahl von Restriktionen
entgegengetreten werden soll. Mit Terrorismusbekämpfung hat Vieles in diesem
Gesetzentwurf hingegen nichts zu tun. Die Prüfungsmaßstäbe der Verfassung
(Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit) blieben weitgehend außer Acht.
Zum Vorentwurf hatte das Bundesjustizministerium kritisch angemahnt: „Im Hinblick
auf den Titel ‚Terrorismusbekämpfungsgesetz‘ scheint es zudem angeraten, den
Gesetzentwurf auch tatsächlich auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus
zu beschränken.“
Dieser Meinung aus dem Bundesjustizministerium trägt das zum 1. Januar 2002 in
Kraft getretene Terrorismusbekämpfungsgesetz nicht Rechnung. Die heftige Kritik
der Nichtregierungsorganisationen – auch von PRO ASYL – hat lediglich dazu
geführt, dass die Regierungskoalition auf einige wenige der drastischsten
Verschärfungen verzichtet bzw. einige der umstrittensten Regelungen abgemildert
hat. An der Grundproblematik ändert dies nichts. Das geplante Zuwanderungsgesetz
muss im Lichte der rechtsstaatlichen Verluste beurteilt werden, die das
Terrorismusbekämpfungsgesetz für Ausländerinnen und Ausländer mit sich bringt.
Viele gesellschaftliche Gruppen haben von einem neuen Zuwanderungsgesetz den
lange überfälligen Paradigmenwechsel erhofft: Die Ablösung des Ausländerrechts als
Fremdenabwehrrecht durch weltoffene Zuwanderungsregelungen. Gemessen an
diesem Anspruch bleibt auch der Regierungsentwurf des Zuwanderungsgesetzes
Stückwerk. Große Teile des bisherigen Ausländerrechts wurden schlicht
übernommen und mit neuen Etiketten versehen. Dies gilt auch für seit langem
umstrittene Regelungen, wie zum Beispiel diejenigen über die Abschiebungshaft.
6
Kurzbewertung der flüchtlingsspezifischen Elemente des
Zuwanderungsgesetzentwurfs vom 6. November 2001

Der überarbeitete Entwurf sieht die Möglichkeit vor, die Opfer nichtstaatlicher
und geschlechtsspezifischer Verfolgung als politisch Verfolgte im Sinne der
Genfer Flüchtlingskonvention anzuerkennen. Damit wird auf die Kritik von PRO
ASYL und vielen anderen Menschenrechtsorganisationen an der entsprechenden
Schutzlücke reagiert. Es handelt sich – entgegen den Einwendungen der
Opposition – um nicht mehr als die völkerrechtskonforme Auslegung der Genfer
Flüchtlingskonvention und eine Annäherung an die überwiegende Staatenpraxis
in Europa.

Positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass künftig Flüchtlinge nach der Genfer
Flüchtlingskonvention mit Asylberechtigten nach Artikel 16a GG teilweise
gleichgestellt werden. Allerdings wird dies erkauft mit einer für beide Gruppen
geltenden Überprüfung des jeweiligen Status nach drei Jahren. Für
Asylberechtigte entfällt künftig der Anspruch auf die unbefristete
Aufenthaltserlaubnis. Einen Anspruch auf Familienasyl soll es für die
Angehörigen von GFK-Flüchtlingen weiterhin nicht geben. Damit wird das Ziel der
Angleichung des Rechtsstatus in wesentlicher Hinsicht verfehlt.

Zwar sieht der überarbeitete Entwurf die Möglichkeit der Statusverbesserung
für bestimmte bislang lediglich geduldete Ausländer vor, aber weiterhin besteht
Grund zu der Befürchtung, dass durch eine Vielzahl problematischer
Detailregelungen ein Großteil der potentiell Betroffenen von dieser Möglichkeit
der Statusverbesserung ausgeschlossen bleiben wird. Als besonderes Hindernis
erweist sich, dass der Zugang zu einem humanitären Schutzstatus versperrt ist,
wenn die Ausreise der Betroffenen möglich und zumutbar ist. Dies wird oftmals
umstritten sein.

Den Befürchtungen von PRO ASYL und anderen Nichtregierungsorganisationen,
Tausende von Menschen könnten durch den Wegfall der bisherigen Duldung in
die Illegalität getrieben werden, trägt der Gesetzentwurf zumindest dadurch
Rechnung, dass anstelle der bisherigen Duldung eine „Bescheinigung über die
Aussetzung der Abschiebung“ eingeführt wird. Deren Rechtsqualität ist jedoch
unklar. Die „Bescheinigung“ hat zum Teil die Charakteristika der bisherigen
Duldung, zum Teil die einer Grenzübertrittsbescheinigung.
Der Überblick über die eher positiven Regelungen des Gesetzentwurfes fällt kurz
aus. Es wird deutlich, dass selbst diese Teile erhebliche Mängel und Probleme
aufweisen. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Vielzahl von Regelungen,
die entweder keinen Fortschritt für die Betroffenen darstellen oder gar
Verschlechterungen bringen.
 Der Abschiebungsschutz für diejenigen, denen erhebliche konkrete Gefahr für
Leib, Leben oder Freiheit droht, bleibt unzureichend. Es wird eine Schutzlücke
bestehen bleiben, wenn ein Abschiebungsstopp nicht zustande kommt und dem
Einzelnen der Schutz versagt wird unter Hinweis darauf, dass ganze
Bevölkerungsgruppen sich in gleicher Lage befinden.
7

Mit Ausnahme der Asylberechtigten und Konventionsflüchtlinge bleibt der
Arbeitsmarktzugang für viele andere Personengruppen schwierig.

Der Status der Menschen, die lediglich eine Bescheinigung über die
Aussetzung der Abschiebung erhalten, liegt auf niedrigstem Niveau. Es ist zu
befürchten, dass sie künftig einem unbefristeten Arbeitsverbot unterliegen
werden.

Der Aufenthaltsbereich vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer soll künftig in
jedem Fall beschränkt werden. Der Gesetzentwurf sieht zusätzlich vor, dass die
Länder Ausreisepflichtige in neuen Lagern („Ausreiseeinrichtungen“)
unterbringen können. Hier wird Druck ausgeübt, um ihre Ausreise zu erzwingen.

Die vielfach kritisierte Residenzpflicht für Asylsuchende wird nicht abgeschafft.
Stattdessen sieht der Entwurf weitere aufenthaltsbeschränkende Regelungen vor.

Die menschenunwürdige Praxis der Abschiebungshaft wird unverändert in das
Zuwanderungsgesetz übernommen, ebenso das vielfach kritisierte
Flughafenasylverfahren.

Auch in Zukunft gibt es keine vernünftige Grundlage für die von Kirchen,
Verbänden und Menschenrechtsorganisationen seit langem geforderte
Härtefallregelung.

Das Kindeswohl wird weiter missachtet, indem die UN-Kinderrechtskonvention
durch den Gesetzentwurf nicht umgesetzt wird.

Vom BMI angeordnete Entscheidungsstopps des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sollen künftig über ein halbes Jahr hinaus
ohne zeitliche Begrenzung möglich sein.

Mit der Abschaffung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten bleibt auch
die Weisungsungebundenheit der Entscheider auf der Strecke.

Eine unabhängige Verfahrensberatung, wie von Wohlfahrtsverbänden und
anderen Nichtregierungsorganisationen seit langem als notwendiger Bestandteil
eines fairen Asylverfahrens gefordert, sieht auch dieser Gesetzentwurf nicht vor.

Das Thema der Menschen in der Illegalität wird weiter verdrängt. Forderungen
nach der Sicherung sozialer Mindeststandards auch für diese Personengruppen
wird nicht Rechnung getragen.
Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz sind weitere problematische Regelungen
geschaffen worden, die bereits zum 1. Januar 2002 in Kraft getreten sind:
 Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die
Ausländerbehörden unterliegen einer umfassenden Verpflichtung, den
Verfassungsschutzbehörden Informationen und Daten von Asylbewerbern
zu übermitteln. Zwar wurde der heftigen Kritik an dem geplanten völlig
ungehemmten Datenfluss zumindest insofern Rechnung getragen, als das
Gesetz nunmehr beinhaltet, dass es ein Übermittlungsverbot an ausländische
Stellen gibt, wenn nicht Völkerrecht die Übermittlung solcher Daten gebietet, aber
8
letztlich wird die Umsetzung in der Praxis kaum kontrollierbar sein.

Eine Reihe neuer Ausweisungstatbestände wird geschaffen, die äußerst
unbestimmt sind. Insbesondere muss befürchtet werden, dass künftig selbst nicht
gewalttätige Unterstützer politischer Exilgruppen von Ausweisung bedroht sein
werden.

Beim Datenschutz gilt weiterhin zweierlei Maß für Ausländer und Deutsche. Eine
klare Zweckbindungsregelung für erhobene Daten sieht das
Terrorismusbekämpfungsgesetz (im geänderten Pass- und
Personalausweisgesetz) für Deutsche vor, das Zuwanderungsgesetz jedoch nicht
für Ausländer. Dass das Zuwanderungsgesetz mit dem neuen Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge eine neue Superbehörde – und eine Datensammelstelle
in nie da gewesenem Umfang – vorsieht, ist vor diesem Hintergrund besonders
problematisch.
9
Allgemeines zur Konstruktion des Zuwanderungsgesetzes
Das Zuwanderungsgesetz ist ein sogenanntes Artikelgesetz, das heißt es beinhaltet
umfangreiche Änderungen verschiedener bestehender Gesetze. Die größte
Veränderung: Das Ausländergesetz wird abgeschafft und künftig ersetzt durch das
Aufenthaltsgesetz. Flüchtlingsspezifische Neuregelungen finden sich aber auch
insbesondere in den zahlreichen Änderungen des Asylverfahrensgesetzes, des
Asylbewerberleistungsgesetzes sowie weiterer Gesetze. Durch die eng miteinander
verzahnten Neuregelungen ergibt sich ein überaus kompliziertes Regelwerk, so dass
schon aus diesem Grunde erhöhter Beratungsbedarf im Parlament besteht. Die vom
Bundesinnenminister angekündigte Vereinfachung des Ausländerrechts ist in vieler
Hinsicht nicht erreicht worden.
Im Folgenden werden insbesondere diejenigen Regelungen kommentiert, die
Flüchtlinge betreffen. Soweit es zum Verständnis der Neuregelungen nötig ist, wird
auch Bezug genommen auf andere Teile des Zuwanderungsgesetzentwurfes.
Auch Regelungen, die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz bereits zum 1.
Januar 2002 in Kraft getreten sind und für das Zuwanderungsgesetz relevant sind,
werden dargestellt.
Arbeitsmigration und Arbeitserlaubnis
Das geplante neue Zuwanderungsgesetz schafft erstmals eine gesetzliche
Grundlage für die Arbeitskräftezuwanderung sowie für die Zuwanderung von
Selbständigen und Studierenden. Entgegen ursprünglicher Befürchtungen sieht der
Entwurf keine „Verrechnung“ der Zuwanderung dieser Personengruppen gegen die
Aufnahme von Menschen im Rahmen eines menschenrechtlich begründeten
Flüchtlingsschutzes vor.
Instrument für die künftige Anwerbung und Beschäftigung von Arbeitskräften aus
dem Ausland ist das geplante Aufenthaltsgesetz. Der Entwurf des
Aufenthaltsgesetzes markiert zumindest insoweit einen Paradigmenwechsel, als er
eine Abkehr von dem im Jahre 1973 erklärten Anwerbestopp darstellt und das
Eingeständnis beinhaltet, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, das auf
Einwanderung auch ökonomisch angewiesen ist.
Die Regelungen zur Arbeitsaufnahme, vormals im Sozialgesetzbuch III enthalten,
stehen künftig im neuen Aufenthaltsgesetz, das das bisherige Ausländergesetz
ersetzt. Die bisherige begriffliche Unterscheidung zwischen der uneingeschränkten
Arbeitsberechtigung und der nachrangigen sog. „Arbeitserlaubnis“ fällt zukünftig weg.
Dennoch wird es weiterhin eine Arbeitserlaubnis erster und eine zweiter Klasse
geben.
Für Arbeitsmigrantinnen und –migranten aus dem Ausland werden verschiedene
Zugangsmöglichkeiten eröffnet. § 16 Abs. 4 AufenthGE sieht für Studenten die
Möglichkeit vor, nach Abschluss des Studiums eine Arbeit aufzunehmen. § 19
AufenthGE sieht vor, dass hochqualifizierte Ausländer unter bestimmten
Voraussetzungen sofort eine Niederlassungserlaubnis – den unbefristeten
Aufenthaltstitel – erhalten. § 20 AufenthGE eröffnet die Möglichkeit einer
Zuwanderung im sogenannten Auswahlverfahren. Hierüber soll die Zuwanderung
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qualifizierter Erwerbspersonen, von denen ein Beitrag zur wirtschaftlichen
Entwicklung und die Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik zu
erwarten sind, im Rahmen eines Punktesystems erfolgen können. Erfolgreichen
Bewerbern wird die Niederlassungserlaubnis erteilt. § 21 AufenthGE regelt die
Zuwanderung Selbständiger. § 18 AufenthGE ermöglicht die Anwerbung
sogenannter Engpassarbeitskräfte, wenn hierfür ein „unabweisbarer Bedarf besteht
und bevorrechtigte inländische Arbeitnehmer nicht zur Verfügung stehen.“ Hierbei
sollen die regionalen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes eine Rolle spielen.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in einer Stellungnahme zum
Referentenentwurf des Zuwanderungsgesetzes vom 10. September 2001 darauf
hingewiesen, dass der Entwurf insbesondere im Hinblick auf die Gestaltung der
Arbeitsmigration und der Integration im Widerspruch zu den Vorschlägen der
Zuwanderungskommission und des DGB steht bzw. hinter ihnen zurückbleibt. Vor
einer Neuzuwanderung von Arbeitsmigranten sei zunächst ein möglichst
weitgehender Zugang zum Arbeitsmarkt für bereits in Deutschland lebende
Migranten und die Sicherung ihres Aufenthaltsstatus erforderlich. Einer auf Dauer
angelegten quotierten Einwanderung sei der Vorzug vor einer kurzfristigen und
befristeten Anwerbung von Arbeitskräften (im Rahmen der
Engpassarbeitskräfteregelung) zu geben. Für Migranten, die aus humanitären
Gründen Aufnahme finden und bislang nicht über einen Daueraufenthaltsstatus
verfügen, fordert der DGB: Bei einer rechtmäßigen Aufenthaltszeit von mehr als
einem Jahr ist eine Aufenthaltserlaubnis sowie ein Zugang zum Arbeitsmarkt zu
gewähren. Das soll insbesondere für Bürgerkriegsflüchtlinge und Flüchtlinge, bei
denen Abschiebehindernisse vorhanden sind, gelten.
Gerade für diese Personengruppen ist auch der aktuelle Regierungsentwurf in vieler
Hinsicht problematisch. So schließt er die Möglichkeit explizit aus, vom Status eines
Asylantragstellers in den Status eines Arbeitnehmers nach Abschnitt 4 AufenthGE
(Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit) über zu wechseln (§ 10 Abs. 3
AufenthGE). Das ist nicht sachgerecht, denn die Erfahrung etwa mit Flüchtlingen aus
Kosovo und Bosnien-Herzegowina hat gezeigt, dass es Fallkonstellationen gibt, in
denen ein solcher Statuswechsel sowohl im Interesse der Betroffenen als auch im
Interesse der Arbeitgeber und des Arbeitsmarktes liegt. Selbst wenn man die
Auffassung vertreten wollte, mit diesem Ausschluss eines Statuswechsels solle
potentiellem Missbrauch entgegengetreten werden, so hätte statt der kategorischen
Regelung eine bloße Sollvorschrift genügt.
Entgegen den DGB-Forderungen werden auch Viele der bereits lange hier Lebenden
weiterhin vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleiben. Das ist inakzeptabel.
Menschen, die sich faktisch über längere Zeit hinweg in Deutschland aufhalten, etwa
auf der Basis des § 25 Abs. 3-5 AufenthGE, weil sie letztlich nicht abgeschoben
werden können, müssen einen Rechtsanspruch auf Arbeitsmarktzugang haben. Es
macht keinen Sinn, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen und damit
ausländerrechtlich einen Schritt in Richtung Integration zu ermöglichen, wenn diese
mit dem Mittel der Arbeitsmarktpolitik gleichzeitig behindert wird.
Der Gesetzentwurf sieht weiterhin eine Vielzahl von Hürden beim
Arbeitsmarktzugang vor. Wie hoch sie sein werden und wie viele Betroffene
letztendlich von der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit abgehalten werden, hängt unter
anderem davon ab, wie die Rechtsverordnung gestaltet wird, die § 39 Abs. 1
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AufenthGE vorsieht. Nach dieser Bestimmung kann ein Aufenthaltstitel, der einem
Ausländer die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt, nur mit Zustimmung der
Bundesanstalt erteilt werden, soweit durch Rechtsverordnung nicht etwas anderes
bestimmt ist. Die vorgesehene Rechtsverordnung könnte also auch weniger
restriktive Regelungen enthalten, als sie § 39 Abs. 2 AufenthGE bisher vorsieht.
Dass über Einzelheiten des Arbeitsmarktzugangs noch spekuliert werden muss,
zeigt einen strukturellen Mangel des Gesetzentwurfs, auf den das
Bundesjustizministerium bereits anlässlich der Vorlage des Referentenentwurfes
hingewiesen hat. Dort wurde moniert, dass die Tatsache, dass dem
Verordnungsgeber keine konkreten Vorgaben durch Gesetz auferlegt werden, im
Hinblick auf Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 GG bedenklich ist. Wesentliche Sachverhalte
müssen im Gesetz geregelt werden.
§ 39 Abs. 2 AufenthGE als bislang einzig überschaubare Grundlage für den
Arbeitsmarktzugang jedenfalls enthält eine Reihe von Regelungen, die problematisch
bzw. sogar ungünstiger sind als bei der bisherigen Rechtslage:
Nur für Asylberechtigte und Konventionsflüchtlinge (§§ 25 Abs. 1 u. 2 AufenthGE)
sowie für Angehörige von Deutschen (§ 28 Abs. 5 AufenthGE) und generell für alle
Personen mit Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthGE) gibt es eine unbeschränkte
Arbeitserlaubnis. Sie sind damit Deutschen gleichgestellt. Menschen, die über den
Familiennachzug nach Deutschland kommen, dürfen unter denselben
Voraussetzungen arbeiten wie ihre Angehörigen (§ 29 Abs. 5 AufenthGE).
Regelt nicht die ausstehende Rechtsverordnung günstigeres, dann sieht es schlecht
aus für diejenigen, die vorübergehenden Schutz genießen (§ 24 AufenthGE), die
nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen in § 60 AufenthGE
genannten Gründen vor Abschiebung geschützt sind (§ 25 Abs. 3 AufenthGE), die
eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 25 Abs. 4 und 5 AufenthGE)
besitzen oder als Familienangehörige von Personen nachziehen, die selbst nur einen
nachrangigen Arbeitsmarktzugang haben (§ 29 Abs. 5 AufenthGE): Die individuelle
Vorrangprüfung, schon heute vielfach ein – auch von der Arbeitgeberseite
abgelehntes – bürokratisches Hemmnis bei der Arbeitssuche, bliebe bestehen.
Alternativ – wohl nur in Ausnahmefällen – kommt eine Arbeitserlaubnis für bestimmte
Berufsgruppen bzw. Wirtschaftszweige in Betracht. In beiden Fällen allerdings ist
eine regionale Arbeitsmarktprüfung vorgesehen (§§ 4, 39 Abs. 2 AufenthGE).
Wird § 39 Abs. 2 AufenthGE – ohne günstigere Regelungen in Form einer
Rechtsverordnung – Gesetz, so ergibt sich eine Verschärfung für Personen mit
Aufenthaltsbefugnis: Diese haben nach jetziger Rechtslage einen Anspruch auf eine
Arbeitsberechtigung nach fünfjähriger Beschäftigung bzw. nach sechsjährigem
Aufenthalt. Für bestimmte Personengruppen bleibt der Arbeitsmarktzugang weiterhin
äußerst schwierig: Dies betrifft beispielsweise Menschen, bei denen auf Grundlage
der Europäischen Menschenrechtskonvention Abschiebungshindernisse und eine
Aufenthaltserlaubnis zugestanden werden, die aber in Gebieten wohnen, wo
aufgrund der regionalen Arbeitsmarktlage schon jetzt praktisch keine nachrangigen
Arbeitserlaubnisse erteilt werden (zum Beispiel Ostdeutschland, Berlin).
Eine skandalöse Diskriminierung wird auch deutlich, wenn man z.B. an Flüchtlinge
denkt, die nach einem langjährigen Aufenthalt als „Altfälle“ ein Bleiberecht erhalten.
12
Sie müssen dafür in der Regel bereits jetzt eine Arbeit nachweisen, um die Chance
zu bekommen, ihren Lebensunterhalt auf Dauer selbst sichern zu können. Zukünftig
werden sie – obwohl zugestandenermaßen auf unabsehbare Zeit legal in
Deutschland – auch weiterhin jahrelang mit dieser zweitklassigen Arbeitserlaubnis
leben müssen.
Problematisch ist die Situation für diejenigen, denen ohne ein vorangegangenes oder
nach einem abgeschlossenen Asylverfahren die Aufenthaltserlaubnis verwehrt bleibt
und die damit lediglich über die Bescheinigung gemäß § 60 Abs. 11 AufenthGE
verfügen. Nach geltendem Recht ist der Arbeitsmarktzugang auch mit einer Duldung
nach der Arbeitsgenehmigungsverordnung möglich, darüber hinaus sogar nach der
Versagung einer Aufenthaltsgenehmigung bis zum Eintritt der Vollziehbarkeit der
Ausreisepflicht. Diese Regelung ist im Interesse aller Seiten flexibel. Dies spricht
gegen eine wesentliche Verschlechterung, die letztendlich die öffentlichen Haushalte
belasten würde.
Nach der Übergangsregelung des Gesetzentwurfes behalten Personen, die vor
Inkrafttreten des Gesetzes eine Arbeitserlaubnis oder Arbeitsberechtigung erhielten,
diese nach Inkrafttreten des Gesetzes (§ 103 AufenthGE). Pech haben freilich die
nachkommenden Flüchtlingsgenerationen und diejenigen, die zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens gerade keine Arbeit haben. Problematisch ist dies insbesondere für
diejenigen, die heute nach der Härtefallregelung eine Arbeitsberechtigung
beanspruchen können, also z.B. Traumatisierte, deren Anträge aber zum
maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht bearbeitet bzw. entschieden sind. Folglich
können sie auch noch keine Arbeit vorweisen.
Daueraufenthalt/ Möglichkeit der Verfestigung
Positiv ist festzustellen, dass der Gesetzentwurf mit der Niederlassungserlaubnis
einen verfestigten Daueraufenthalt vorsieht. Immerhin kursierte bei der Diskussion
um die Greencard und andere mögliche Regelungen auch die Idee einer
grundsätzlichen Befristung von Aufenthalten. Die Niederlassungserlaubnis (§ 9
AufenthGE) ist zeitlich und räumlich unbefristet. Sie darf nicht mit Auflagen versehen
werden.
Auf dem Weg zum verfestigten Aufenthalt auf der Basis der Niederlassungserlaubnis
werden zwischen den einzelnen Zuwanderungsgruppen im Gesetzentwurf jedoch
deutliche Unterschiede gemacht:
 Sog. „Hochqualifizierte“ und Personen, die im Auswahlverfahren aufgenommen
werden, sollen eine Niederlassungserlaubnis von Beginn an erhalten.
 Selbstständige, Familienangehörige von Deutschen, aber auch GFK-Flüchtlinge
und Asylberechtigte erhalten eine Niederlassungserlaubnis nach 3 Jahren (die bei
Flüchtlingen mit einer Überprüfung der Asylanerkennung einhergeht).
 Als Voraussetzung für die Erlangung der Niederlassungserlaubnis sieht der
Entwurf eine mindestens fünfjährige Aufenthaltszeit mit einer Aufenthaltserlaubnis
vor (§ 9 AufenthGE). Die zusätzlichen Hürden für eine Erteilung der
Niederlassungserlaubnis sind hoch. Sie entsprechen ungefähr denjenigen, die
heute für die Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung gelten. U.a. werden 60
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Monate Rentenversicherungsbeiträge - und damit eine fünfjährige
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung - vorausgesetzt.
 Flüchtlinge, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3-5 AufenthGE besitzen,
können dagegen erst frühestens nach 7 Jahren unter den Voraussetzungen des §
9 Abs. 2 Nr. 2-9 AufenthGE eine Niederlassungserlaubnis erhalten, wobei die Zeit
des Asylverfahrens auf die Frist angerechnet wird.
Ein Problem stellt sich bei der Aufenthaltsverfestigung für diejenigen Migrantinnen,
Migranten und Flüchtlinge, die lediglich über einen eingeschränkten
Arbeitsmarktzugang verfügen. Der heute für viele Geduldete existierende
Teufelskreis „ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung – ohne
Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit“ wird, so ist zu befürchten, nun auf formal
höherer Aufenthaltsstufe fortgeführt.
Ein kleines Trostpflaster gibt es nur in der Übergangsregelung des Gesetzes: Die
Migrantinnen und Migranten haben Anspruch auf Vertrauensschutz: Wer bereits hier
ist, soll seinen Aufenthalt nach den Bestimmungen des alten Ausländergesetzes
verfestigen können. Dabei ist es unerheblich, ob eine Aufenthaltsberechtigung oder
eine Aufenthaltsbefugnis vorliegt. Im Bereich der Aufenthaltsverfestigung dürfte es
für die bereits hier lebenden Migrantinnen und Migranten also keine
Verschlechterungen geben.
Integrationskurse
Erstmals wird es nunmehr für ArbeitsmigrantInnen, für nachziehende
Familienangehörige und für anerkannte Flüchtlinge einen Rechtsanspruch auf
Integrations- und Deutschkurse geben – allerdings auch die Pflicht zur Teilnahme.
Hierbei gibt es für MigrantInnen, Flüchtlinge und AussiedlerInnen in Zukunft ein
einheitliches Integrationsangebot. Bund und Länder teilen die Kosten für die
Integrationskurse unter sich auf.
Personen mit einem humanitären Schutzstatus haben nach § 44 Abs. 3 AufenthGE
nur im Wege einer Kann-Regelung Zugang zu Integrationskursen. Dies ist zwar ein
Fortschritt zum ersten Entwurf (dieser wollte den Zugang nur in besonderen
Einzelfällen gestatten), fällt aber hinter die Vorschläge der Unabhängigen
Zuwanderungskommission deutlich zurück.
Der Anspruch auf Integrationsleistungen ist, wie erwähnt, verbunden mit einem
Zwang, die Integrationskurse wahrzunehmen: Der Entwurf sieht (bei mangelhafter
Teilnahme an Integrationskursen ohne „alternativen Integrationsbeweis“) Sanktionen
auch im Bereich des Aufenthaltsrechts vor (§ 8 Abs. 3 und § 45 Abs. 4 AufenthGE).
Problematisch erscheint die Tatsache, dass die politische Koordinierung der
Integrationspolitik ausgerechnet als Aufgabe des BMI und des nachgeordneten
Bundesamts für Migration und Flüchtlinge konzipiert ist (§ 43 Abs. 5 AufenthGE). Die
Gefahr liegt in einem ordnungspolitisch verkürzten Integrationsverständnis.
Bei den Wohlfahrtsverbänden bestehen zu Recht Befürchtungen, dass diese
stärkere „Verstaatlichung“ der Integrationspolitik auch dazu führen könnte, dass die
Integrationskurse künftig als Königsweg der Integration gelten werden und andere
Angebote der Migrationsberatung und Migrationssozialarbeit zunehmend unter
Legitimationsdruck geraten. Da die Finanzierung der Integrationskurse ein wichtiges
14
Thema zwischen Bund und Ländern ist und Finanzierungsanstrengungen von
beträchtlicher Größenordnung nötig sind, ist zu erwarten, dass die Integrationskurse
als Pflichtangebot finanziert, die sonstige Migrationssozialarbeit als „Luxus“ unter
Druck geraten wird.
Statusverbesserungen für bislang Geduldete? Weiterhin ein dorniger Weg
Mit dem Zuwanderungsgesetz soll die bisherige ausländerrechtliche Duldung
abgeschafft werden. Es wäre in der Tat begrüßenswert, wenn die Duldung für die
Menschen, die aus welchen Gründen auch immer nicht abgeschoben werden
konnten, endlich durch eine Aufenthaltsgenehmigung ersetzt würde. Viele Geduldete
leben in Deutschland schon über Jahre ohne Aussicht auf einen rechtmäßigen
Daueraufenthalt. Nunmehr sollen diejenigen, die aus zwingenden humanitären
Gründen nicht abgeschoben werden können (z. B. weil ihnen in ihrem Herkunftsland
Folter oder Todesstrafe droht) eine Aufenthaltserlaubnis - und damit einen deutlich
besseren Rechtsstatus als heute - erhalten. Ausländer, denen rechtliche
Abschiebungshindernisse zur Seite stehen, sollen künftig eine Aufenthaltserlaubnis
erhalten können, ohne dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sein
müssen (§§ 25 Abs. 3 und 5 Abs. 3 AufenthGE). Doch die Probleme liegen im Detail.
Weiterhin ist zu befürchten, dass nur ein kleiner Teil der bislang Geduldeten von den
vorgesehenen Regelungen profitieren wird.
 Für de-facto-Flüchtlinge mit Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2-7
AufenthGE wird der Zugang zum humanitären Schutzstatus versperrt, sofern ihre
Ausreise „möglich” bzw. „zumutbar” ist (§ 25 Abs. 3 AufenthGE).
 Nach § 25 Abs. 4 AufenthGE kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn
“dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche
Interessen” dies erfordern. Damit sollen (nach Begründung) z.B. Menschen, die
krank sind, kranke Familienangehörige betreuen oder die einen Schulabschluss
machen, einen Aufenthaltstitel erhalten. Bislang wurden sie häufig nur geduldet.
Solange die Voraussetzungen weiterhin vorliegen, dürfte die Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis unproblematisch sein. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis,
obwohl sie für einen lediglich vorübergehenden Aufenthalt erteilt worden ist,
zumindest verlängert werden, wenn das Verlassen des Bundesgebiets eine
außergewöhnliche Härte bedeuten würde (§ 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthGE). Die
Hürde der außergewöhnlichen Härte wird in vielen Fällen zu hoch sein. Die
Problematik der Regelung liegt darin, dass sie für einen vorübergehenden
Aufenthalt konzipiert ist und nicht berücksichtigt, dass auch ein aus einer solchen
humanitären Fallkonstellation herrührender längerer Aufenthalt bei Vorliegen eines
besonderen Härte zu einem Aufenthalt führen sollte.
 Für die zahlenmäßig große Gruppe derjenigen mit tatsächlichen
Abschiebehindernissen (§ 25 Abs. 5 AufenthGE) kann eine Aufenthaltserlaubnis
erteilt werden, sofern die Ausreise “aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
unmöglich” ist. Endgültigen Aufschluss zu der Frage, wann dies der Fall ist, bringt
auch die Gesetzesbegründung nicht. Kein Ausreisehindernis soll jedenfalls
vorliegen, „wenn zwar eine Abschiebung nicht möglich ist, (...) eine freiwillige
Ausreise jedoch möglich und zumutbar ist.“ Weiter soll die Unmöglichkeit der
Ausreise aus rechtlichen Gründen jedenfalls bei inlandsbezogenen
Ausreisehindernissen gegeben sein. Als Fälle der Unmöglichkeit aus tatsächlichen
15
Gründen nennt die Begründung Reiseunfähigkeit, Obdachlosigkeit und
unterbrochene Verkehrsverbindungen. Den Nachweis darüber zu erbringen, dass
eine Ausreise weder möglich noch zumutbar ist, dürfte für viele Flüchtlinge jedoch
nicht möglich sein. Zu häufig unterstellen Ausländerbehörden oder Gerichte, dass
zwar eine Abschiebung nicht durchführbar, gleichwohl aber die „freiwillige”
Ausreise z.B. über Drittstaaten möglich ist.
Zur Zumutbarkeit der Ausreise in einen Drittstaat finden sich Erwägungen des
Gesetzgebers in der Begründung zu § 25 Abs. 3 AufenthGE. Die Darlegungslast,
in welchen Staat eine Ausreise möglich ist, soll demgemäß bei der
Ausländerbehörde liegen, die sich an konkreten Anhaltspunkten zu orientieren hat.
Maßgeblich hierfür soll die Beziehung eines Ausreisepflichtigen zum Drittstaat
sein. Die Zumutbarkeit der Ausreise wird jedoch von Seiten der Ausländerbehörde
regelmäßig vermutet, wenn ihr keine besonderen Hinweise vorliegen. Unzumutbar
soll die Ausreise in einen Drittstaat insbesondere dann sein, wenn dem Ausländer
dort die Kettenabschiebung in den Verfolgerstaat droht. Die umfangreiche
Kasuistik der Gesetzesbegründung zeigt eher die Probleme auf, die künftig der
Rechtsprechung überantwortet werden, als dass sie sie gesetzgeberisch schlüssig
löst.
 Flüchtlinge, deren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet” nach § 30 Abs. 3
AsylVfG abgelehnt wurde, sollen gar keine Aufenthaltserlaubnis erlangen können
(§ 10 Abs. 3 AufenthGE). Damit ist ein großer Teil der heute Geduldeten von
vornherein chancenlos. Der Anteil der o.u.-Flüchtlinge an allen abgelehnten
Asylbewerbern betrug 37 % (bis Ende November 2001). Man kann davon
ausgehen, dass der größte Teil von ihnen nach Abs. 3 (z.B. wegen
unsubstantiierten Vortrags o.u. abgelehnt wurde) und nur ein geringer Teil nach
Abs. 2 (nur aus wirtschaftlichen Gründen geflohen, oder um einer allgemeinen
Notlage oder Krieg zu entgehen). Eine genaue Analyse ist nicht möglich. Bislang
ergibt sich aus dem Tenor der Bundesamtsentscheidungen lediglich die
Ablehnung als offensichtlich unbegründet, nicht aber der Rechtsgrund.
Die Anknüpfung eines humanitären Aufenthaltstitels daran, dass zuvor keine
offensichtlich unbegründet-Entscheidung ergangen ist, ist nicht sachgerecht. O.u.Entscheidungen setzen nicht notwendigerweise einen Missbrauchstatbestand
voraus, der der gedankliche Hintergrund der geplanten Neuregelung ist.
Ein weiteres Beispiel mag zeigen, dass der Ausschluss von der Möglichkeit, eine
Aufenthaltserlaubnis zu erlangen, im Falle der Asylablehnung als offensichtlich
unbegründet nicht sachgerecht ist: Eine Person hält sich in Deutschland aus
einem asylfremden Grund auf und erkrankt. Ein während des Aufenthalts
gestellter Asylantrag ist nach geltendem Recht als offensichtlich unbegründet
abzulehnen. Falls sich aus der Krankheit selbst ein dauerhaftes
Abschiebungshindernis ergibt, weil Behandlungsnotwendigkeiten den weiteren
Aufenthalt in Deutschland erfordern, würde trotzdem niemals eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können. Die inflexible Regelung wird auf diese
Weise zu unnötigen Härten führen.
 Ein erheblicher Teil der bislang Geduldeten wird mit dem neuen Aufenthaltsgesetz
unterhalb des Status quo landen. Zwar sieht der Gesetzentwurf nunmehr – im
Unterschied zum Vorentwurf – vor, dass jede Person zumindest eine
Bescheinigung über die Aussetzung ihrer Abschiebung erhält (§ 60 Abs. 11 Satz 3
AufenthGE). Auch nach dem Wegfall der bisherigen Duldung werden damit in
16
Deutschland keine „Papierlosen“ entstehen.
Der Status der Menschen mit dieser Bescheinigung allerdings liegt auf niedrigstem
Niveau:
 Sie unterliegen der Residenzpflicht (§ 61 Abs. 1 AufenthGE).
 Sie können nach § 61 Abs. 2 AufenthGE gezwungen werden, in sogenannten
Ausreiseeinrichtungen zu wohnen, die die Bundesländer errichten können.
 Bei denjenigen, die angeblich „die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich
selbst beeinflusst haben“, ist die unbefristete Mangelversorgung auf dem
Niveau des Asylbewerberleistungsgesetzes vorgesehen (§ 2 Abs. 1 AsylbLG).
Auseinandersetzungen um die Frage, wer die Dauer seines Aufenthaltes
rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, sind absehbar.
 Sie unterliegen möglicherweise einem totalen Arbeitsverbot (§ 4 Abs. 3
AufenthGE).
Für diejenigen, die infolge der geplanten Neuregelungen eine Aufenthaltserlaubnis
erhalten können, stellt sich die Frage, welche Verbesserungen überhaupt mit der
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verbunden sind. Klar ist: Es handelt sich um
einen erlaubten Aufenthalt. Inhaber der Aufenthaltserlaubnis stehen nicht unter
Ausreisedruck und eine Verfestigung ist prinzipiell möglich. Aber: Mit Blick auf die
Lebensbedingungen wird die mindere Qualität dieser Aufenthaltserlaubnis deutlich,
die sich kaum von der bisherigen Duldung unterscheidet:

Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 23, 24, 25 AufenthGE erhalten keine
Arbeitsberechtigung. Stattdessen gilt: Vorrangprüfung plus regionale
Arbeitsmarktprüfung oder Arbeitserlaubnis für einzelne Berufsgruppen /
Wirtschaftszweige plus regionale Arbeitsmarktprüfung (§§ 4, 39 Abs. 2
AufenthGE).

Weiterhin besteht zumindest die Möglichkeit, den Aufenthalt räumlich zu
beschränken (§ 12 Abs. 2 AufenthGE), also z.B. die Wohnsitznahme im
Bundesland X vorzuschreiben, aber auch die alltägliche Bewegungsfreiheit auf
einen engen Radius einzugrenzen.

Personen mit Aufenthaltserlaubnis nach §§ 23 und 24 sowie § 25 Abs. 4 und 5
AufenthGE fallen unter das AsylbLG, erhalten also (unter Umständen) lediglich
abgesenkte Leistungen, meist in Form entwürdigender Sachleistungen und
müssen unter Umständen im Sammellager leben. Das ist eine deutliche
Verschärfung.

Der Familiennachzug zu Ausländern ist in den Fällen des § 25 Abs. 4 und 5
ausdrücklich ausgeschlossen (§ 29 Abs. 3 AufenthGE). Im Fall der
Personengruppe des § 25 Abs. 5 ist dies eine klare Verschlechterung.

Kindergeld gibt es nur noch für Asylberechtigte und GFK-Flüchtlinge. Wer die
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3, 4 und 5 erhalten hat, erhält auch kein
Bundeserziehungsgeld.
17
Fazit: Der Übergang von der bisherigen Duldung zu einer künftigen
Aufenthaltserlaubnis ist in vielen Fällen schwer oder gar nicht erreichbar. Ein Teil der
bislang Geduldeten erhält einen legalen Aufenthaltstitel – allerdings mit teilweise den
gleichen sozialen Folgen, die die Duldung hatte. Angekündigt war die Integration all
derer, die nicht abgeschoben werden können, in diese Gesellschaft. Der
Gesetzentwurf löst dies nicht ein.
Sperrwirkung gegen generelle Gefahren
Auch der aktuelle Entwurf schreibt die unbefriedigenden Regelungen des bisherigen
§ 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthGE fort: Es wird weiterhin
eine Schutzlücke geben für Flüchtlinge, die aufgrund allgemeiner Gefahren an Leib
und Leben gefährdet sind, aber weder vorübergehenden Schutz (§ 24 AufenthGE)
erhalten noch sich auf einen Abschiebungsstopp (§ 60 Abs. 11 AufenthGE) berufen
können. Dies betrifft beispielsweise Flüchtlinge aus Bürgerkriegs- und
Katastrophengebieten, denen man trotz desolater Verhältnisse im Herkunftsland die
Rückkehr zumutet, weil alle Rückkehrer gleichermaßen gefährdet sind.
Auch in Zukunft bleibt es dabei: In vielen Fällen wird eine kollektive Schutzregelung
nicht zustande kommen und dem Individuum wird der notwendige Schutz versagt mit
dem Hinweis, ganze Bevölkerungsgruppen befänden sich in gleicher Lage.
§ 60 Abs. 11 AufenthGE ermöglicht die Verhängung eines Abschiebestopps für
bestimmte Ausländergruppen für maximal sechs Monate. Für einen längeren
Zeitraum als sechs Monate gilt § 23 Abs. 1 AufenthGE. Hiernach bedarf eine
Verlängerung zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit des Einvernehmens mit dem
Bundesinnenminister. Dies schreibt den unwürdigen Zustand der Vergangenheit fort.
Das Einvernehmenserfordernis wird von Seiten des BMI und der meisten
Bundesländer als Einstimmigkeitszwang interpretiert. Das unwürdige Gezerre um die
Verlängerung von Abschiebungsstopps bei Innenministerkonferenzen mit dem in der
Regel vorhersehbaren Ergebnis, dass kein Einvernehmen zustande kommt, wird
weitergehen.
Familiennachzug

In Punkto Familiennachzug gibt es, je nach Status der Person, ein abgestuftes
Recht – eine Mehrklassengesellschaft, die sich besonders für aus humanitären
Gründen geschützte Menschen skandalös ausnimmt. Nur Hochqualifizierte,
Asylberechtigte und Konventionsflüchtlinge dürfen ihre minderjährigen Kinder bis
zum Alter von 18 Jahren nachkommen lassen (§ 32 Abs. 1 AufenthGE). Für die
anderen Fälle wird die Nachzugsaltersgrenze von 16 auf 14 abgesenkt . Die
Regelung ist ein Rückschritt gegenüber dem Status quo, der bislang bei 16
Jahren liegt. Als Ausnahmeregelung gilt: Ab einem Alter von 15 Jahren muss das
Kind ausreichende Deutschkenntnisse vorweisen können, um zu seinen Eltern
nachziehen zu dürfen (§ 32 Abs. 2-4 AufenthGE).

Für den Nachzug zu GFK-Flüchtlingen und Asylberechtigten gibt es prinzipiell
einen Rechtsanspruch. Von den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung
des entsprechenden Aufenthaltstitels (gesicherter Lebensunterhalt, kein
18
Ausweisungsgrund) kann nach § 29 Abs. 2 AufenthGE abgesehen werden.

Bei nach § 25 Abs. 3 AufenthGE, also u.a. durch die EMRK, geschützten
Personen darf ein Nachzug nur „aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen
oder zur Wahrung der Interessen der BRD” erlaubt werden (§ 29 Abs. 3
AufenthGE). Das heißt u.a.: Es können nur Familienangehörige nachziehen, die
selbst auch die Voraussetzungen für die Aufnahme aus humanitären oder
völkerrechtlichen Gründen erfüllen. Die Gesetzesbegründung ist an dieser Stelle
deutlich restriktiv: „Ein genereller Anspruch auf Familiennachzug zu aus
humanitären Gründen aufgenommenen Ausländern würde die Möglichkeiten der
Bundesrepublik Deutschland zur humanitären Aufnahme unvertretbar festlegen
und einschränken. Nicht familiäre Bindungen allein, sondern alle Umstände, die
eine humanitäre Dringlichkeit begründen, sind für die Entscheidung
maßgeblich...“ Nochmals im Klartext: Dass eine hier lebende Person eine
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen hat und die Familie getrennt ist,
genügt nicht als humanitärer Grund. Erforderlich ist ein noch dringenderer
humanitärer Grund, der nach der Begründung insbesondere dann vorliegt, wenn
die Familieneinheit auf absehbare Zeit nur im Bundesgebiet hergestellt werden
kann. Im Prinzip schreibt die Neuregelung die bisher schon unbefriedigende
Praxis fort. Die Regelung ist überflüssig: In der Regel wird bei denjenigen
Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthGE erhalten
haben, feststehen, dass Abschiebungshindernisse in Bezug auf ihren
Herkunftsstaat vorliegen und ein sicherer Drittstaat nicht erreichbar ist.

Für Personen mit Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 und § 25 Abs. 5
AufenthGE wird ein Familiennachzug in keinem Fall gewährt (§ 29 Abs. 3
AufenthGE). Begründet wird dies mit dem lediglich vorübergehenden Charakter
des Aufenthaltes bzw. der bestehenden Ausreisepflicht. Hier orientiert sich der
Gesetzentwurf nicht an den praktischen Erfahrungen, dass der ursprünglich
vorübergehende Charakter des Aufenthalts einen jahrelangen Aufenthalt eben
nicht ausschließt. Der generelle Ausschluss des Familiennachzuges ist
inakzeptabel. Wenn sich der Aufenthalt in der Praxis als ein nicht nur lediglich
vorübergehender erweist, muss ein Familiennachzug möglich sein. Die Regelung
ist möglicherweise verfassungswidrig.
Ein Beispiel: Eine Person, die ihre Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 25
Abs. 4 oder 5 AufenthGE erhalten hat, wird betreuungsbedürftig. Die einzig
geeignete Person, die die Aufgabe übernehmen könnte, ist ein im Ausland
lebender Familienangehöriger. Ihm aber dürfte der Nachzug nicht gewährt
werden. Die Folge wäre vermutlich, dass eine wesentlich kostenintensivere
Betreuungsmöglichkeit zu Lasten des Steuerzahlers gefunden werden müsste. §
29 Abs. 3 AufenthGE ist also – nicht nur zu Lasten der betroffenen Ausländer - zu
inflexibel und schafft vermeidbare Härten.
Für Personen im sogenannten „vorübergehenden Schutz“ auf der Basis der
entsprechenden EU-Richtlinie gelten besondere Voraussetzungen: nachziehende
Ehegatten bzw. Kinder erhalten die Aufenthaltserlaubnis, wenn die
Familiengemeinschaft durch die Fluchtsituation aufgehoben wurde und
Nachziehende entweder aus einem anderen EU-Staat übernommen oder außerhalb
19
der EU leben und dort schutzbedürftig sind.
Nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund
Die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als
Asylgrund ist ein wichtiger Fortschritt. Deutschland schließt mit der geplanten
Neuregelung zum Niveau vieler anderer Staaten bei der Auslegung der Genfer
Flüchtlingskonvention auf. Obwohl der Schutz der Opfer nichtstaatlicher und
geschlechtsspezifischer Verfolgung in den letzten Jahren über die Parteigrenzen
hinweg als verbesserungsbedürftig angesehen wurde, hielt das
Bundesinnenministerium lange Zeit an seiner dogmatischen Interpretation fest, für
die Betroffenen gebe es in Deutschland keine Schutzlücke. Vor diesem Hintergrund
muss die geplante Neuregelung als ein Erfolg der Arbeit von UNHCR, PRO ASYL
und anderen Nichtregierungsorganisationen sowie der vielen Menschen, die sich für
die Forderung eingesetzt haben, gesehen werden. Es handelt sich hierbei um einen
der wenigen klaren Fortschritte im Vergleich zum geltenden Recht und zum
Referentenentwurf. Sollte dieser Fortschritt allerdings im Zuge des weiteren
Gesetzgebungsverfahrens erneut zur Disposition gestellt werden, dann bleibt kaum
eine flüchtlingsspezifische Regelung des Zuwanderungsgesetzentwurfes, die eine
wirkliche Verbesserung gegenüber dem Ist-Zustand darstellt.
Künftig sollen Menschen, die von nichtstaatlichen Akteuren verfolgt werden, als
Flüchtlinge anerkannt werden können. § 60 Abs. 1 AufenthGE stellt klar, dass das
zwingende Abschiebungsverbot in einen Staat, in dem das Leben des Betroffenen
oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seines
Geschlechts, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe und wegen
seiner politischen Überzeugung bedroht ist, auch bei nichtstaatlicher Verfolgung
vorliegt. Dabei ist zu prüfen, ob der Antragsteller in seinem Herkunftsland Schutz vor
drohender Verfolgung erhalten kann, wobei es unerheblich ist, ob die Verfolgung
dem Herkunftsstaat zuzurechnen ist. Mit dieser Formulierung bekennt sich der
Gesetzentwurf dazu, dass im Zentrum des Flüchtlingsschutzes die Prüfung der
Schutzbedürftigkeit und erforderlichenfalls die Schutzgewährung stehen muss, nicht
die Prüfung abstrakter Zurechenbarkeitskriterien. Nunmehr können Menschen, die
von nichtstaatlichen Akteuren aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention verfolgt
werden, als GFK-Flüchtlinge anerkannt werden. Dies hat – verbunden mit der
weitgehenden Angleichung des Status der GFK-Flüchtlinge an den der
Asylberechtigten – erhebliche statusrechtliche Folgen. Viele Betroffene, die bislang
lediglich auf der Basis kurzfristiger Duldungen in Deutschland gelebt haben, würden
durch eine solche Neuregelung einen besseren Schutz und die Möglichkeit zur
dauerhaften Verfestigung des Aufenthaltes erhalten.
Auch dass §§ 60 Abs. 1 und 25 Abs. 2 AufenthGE geschlechtsspezifische
Verfolgung explizit berücksichtigen, indem sie drohende Verfolgung aufgrund des
Geschlechtes ausdrücklich erwähnen, stellt einen wichtigen Erfolg der
Flüchtlingsbewegung und Menschenrechtsorganisationen dar. Insbesondere
verfolgte Frauen können künftig ohne den argumentativen Umweg, als Angehörige
einer sozialen Gruppe verfolgt zu sein, das „Kleine Asyl“ erhalten. Der erklärte Wille
des Gesetzgebers dürfte auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung haben.
Gegen diesen Fortschritt polemisieren Teile der Opposition, obwohl neben PRO
ASYL, den Kirchen, der Süßmuth-Kommission, dem UNHCR zum Beispiel auch der
20
Bundesausschuss der CDU im Juni 2001 auf die Notwendigkeit eines verbesserten
Schutzes bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung hingewiesen
hat. Nunmehr wird offenbar von den Hardlinern aus CDU und CSU von der
Folgeseite her argumentiert: Es handele sich um eine Ausweitung des Asylrechts
und eine Öffnung mit unabsehbaren Folgen. Dabei wird absichtlich übersehen, dass
Viele der potentiell Begünstigten sich bereits in Deutschland aufhalten – nur eben mit
dem unzureichenden Status der Duldung. Auch geht es um eine Anpassung der
bislang exotischen deutschen Auslegungspraxis der Genfer Flüchtlingskonvention an
die überwiegende Staatenpraxis.
Angleichung des Status und Befristung des Aufenthaltstitels für
Asylberechtigte und GFK-Flüchtlinge – Probleme mit dem Familienasyl
Der Status der Konventionsflüchtlinge (Status nach der Genfer
Flüchtlingskonvention) wird demjenigen der Asylberechtigten weitgehend
angeglichen. Änderungen bringt dies etwa beim Ehegattennachzug und beim
Kindernachzug (künftig gesetzlicher Anspruch).
Der Status von Asylberechtigten wird allerdings auch nach unten nivelliert, indem
ihnen nicht wie bisher eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Sowohl bei
Asylberechtigten als auch bei Flüchtlingen im Sinne der Genfer
Flüchtlingskonvention ist künftig eine obligatorische Überprüfung des Status drei
Jahre nach erster Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (des befristeten
Aufenthaltstitels, den nun auch die Asylberechtigten erhalten) vorgesehen. Gemäß §
26 Abs. 3 AufenthGE ist eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 73 Abs. 2a des AsylVfG mitgeteilt
hat, dass die Voraussetzungen für den Widerruf oder die Rücknahme nicht vorliegen.
§ 73 Abs. 2a regelt, dass die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf
oder eine Rücknahme vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach
Unanfechtbarkeit der Entscheidung erfolgen muss. Das Ergebnis ist der
Ausländerbehörde mitzuteilen.
Damit ergibt sich die von PRO ASYL bereits beim Referentenentwurf kritisierte
Überprüfungsautomatik. Die Folge ist eine massive Vermehrung der Verfahren.
§ 73 Abs. 3a AsylVfG ist eine Präzisierung der Widerrufs- und
Rücknahmebestimmungen des § 73 AsylVfG. Damit gelten die allgemeinen
Regelungen, insbesondere im Hinblick auf die Anhörungen und die umfassende
Aufklärungspflicht. Damit ist die Überprüfung mehr als eine bloß kursorische. Auch
die Begründung stellt klar, dass mit der Einführung der obligatorischen
Überprüfungspflicht die Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme, die in
der Praxis bisher weitgehend leergelaufen seien, an Bedeutung gewinnen werden
und der Trend damit in Richtung auf eine Vermehrung der Widerspruchs- bzw.
Rücknahmeverfahren geht. Wenn in der Gesetzesbegründung behauptet wird, die
Überprüfungen sollten generell anhand der aktuellen Lageberichte des Auswärtigen
Amtes erfolgen, ist – zu Lasten der Betroffenen – ohne Belang, denn eine
kursorische Überprüfung genügt nicht den gesetzlichen Bestimmungen von § 73
AsylVfG.
Fazit: Den betroffenen Ausländern wird nach drei Jahren der Eindruck vermittelt,
dass ihr Aufenthalt erneut unsicher ist. Sie sehen sich dann einem neuen förmlichen
Verfahren gegenüber, dessen Ziel ihre potentielle Entfernung aus dem Bundesgebiet
21
ist. Ein obligatorisches förmliches Widerrufsverfahren vor der Entscheidung über die
Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 3 AufenthGE wäre nicht
erforderlich gewesen. Vorschlägen von PRO ASYL und anderen
Nichtregierungsorganisationen, entsprechend der Praxis bei der Einbürgerung eine
zunächst lediglich interne Anfrage der Ausländerbehörde beim Bundesamt
vorzusehen, ob ein Widerrufsverfahren durchgeführt werden soll und andernfalls die
Niederlassungserlaubnis zu erteilen, ist der Regierungsentwurf nicht gefolgt.
§ 34 Abs. 2 AufenthGE schafft ein an den Eintritt der Volljährigkeit anknüpfendes
selbstständiges Aufenthaltsrecht für die Kinder von Asylberechtigten und
Flüchtlingen. Dies ist positiv. Andererseits sieht der Entwurf entgegen allen
Erwartungen keine Erweiterung des Familienasyls auf Konventionsflüchtlinge vor.
Damit bleibt es beim Thema Familienasyl beim jetzigen Zustand. Auch künftig ist
vom Familienasyl ausgeschlossen, wer den Antrag verspätet stellt.
§ 14a AsylVfGE schafft die gesetzliche Fiktion der Asylantragstellung durch ein
minderjähriges Kind. Mit der Asylantragstellung eines Elternteils gilt ein Asylantrag
auch für jedes Kind als gestellt, das ledig ist, das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet
hat und sich zu diesem Zeitpunkt im Bundesgebiet aufhält, ohne im Besitz eines
Aufenthaltstitels zu sein. Mit dieser Regelung soll sukzessiven, die Ausreise
verzögernden Asylantragstellungen begegnet werden. Gemäß § 30 AsylVfGE ist ein
Asylantrag unbeachtlich, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen
Ausländer gestellt wird, nachdem zuvor die Asylanträge der Eltern oder des allein
personensorgeberechtigten Elternteils abgelehnt worden sind (§ 30 Abs. 3 Nummer
7 AsylVfGE). Durch die vorgesehenen o.u.-Entscheidungen in diesen Fällen werden
sich erhebliche Folgeprobleme ergeben, wenn etwa nur einfach abgelehnten Eltern
ein Aufenthaltsrecht eingeräumt werden soll. Für die als offensichtlich unbegründet
abgelehnten Kinder wäre dies nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthGE nicht möglich. Der
Paragraph firmiert unter der Überschrift „Familieneinheit“. Die hier genannte
Fallkonstellation führt sie ad absurdum. Unter dem Aspekt der Familieneinheit wäre
allenfalls eine Regelung akzeptabel, die zum Ergebnis hat, dass das statusrechtliche
Schicksal der Kinder dem der Eltern folgt. Das müsste in der Konsequenz bedeuten,
dass auch die Kinder Familienasyl im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthGE erhalten.
Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen
Die Ausweisungsbestimmungen sollen erheblich verschärft werden. Z. T. sind die
Regelungen als Teil des Terrorismusbekämpfungsgesetzes bereits zum 1. Januar
2002 in Kraft getreten.
Zukünftig kann auch ausgewiesen werden (§ 55 AufenthGE), wer

falsche Angaben im Visumverfahren gemacht hat oder „trotz bestehender
Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes
zuständigen Behörden im In- und Ausland mitgewirkt hat“. (Durch das
Terrorismusbekämpfungsgesetz bereits in Kraft.)
Eine Ausweisung ist im Regelfall vorgesehen (§ 54 AufenthGE), wenn der/die
Betroffene

wegen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 rechtskräftig verurteilt ist.
Hierbei handelt es sich um eine Neuregelung mit möglicherweise drastischen
22
Folgen, denn die Höhe der Strafe ist dabei unerheblich. Für die Regelausweisung
genügt jede rechtskräftige Verurteilung. Die Regelung betrifft auch keineswegs
nur die professionelle „Einschleusung“. Würde die Vorschrift Gesetz, wird etwa
ein hier lebender Flüchtling, der sein nachgeflohenes Kind, das an der deutschen
Grenze steht, herüberschafft und deswegen verurteilt wird, von der
Regelausweisung betroffen sein.

sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder
öffentlich zu Gewaltanwendung aufruft, oder mit Gewaltanwendung droht oder
wenn Tatsachen belegen, dass er einer Vereinigung angehört, die den
internationalen Terrorismus unterstützt, oder wer eine derartige Vereinigung
unterstützt. (Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz bereits in Kraft.)

frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in
wesentlichen Punkten falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen
zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus
verdächtig sind. (Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz bereits in Kraft.)
Ausweisungsgründe ergeben sich damit auch aus Tatbeständen, die keinerlei
Inlandsbezug haben. Auch bleiben die Neuregelungen trotz des nachbessernden
Änderungsantrages der Regierungsfraktionen zum Teil unscharf. Es genügt bereits
die Unterstützung der verdächtigen Vereinigungen, die als
Unterstützerorganisationen des internationalen Terrorismus gelten. Bislang gibt es
aber noch keine völkerrechtlich verbindliche Definition des Terrorismus. Zu
befürchten ist, dass selbst nichtgewalttätige Unterstützer von politischen Exilgruppen
von Ausweisung bedroht sein werden.
Als Folge der Expertenanhörung des Bundestagsinnenausschusses und der lauten
öffentlichen Kritik haben die Parteien der Regierungskoalition die ursprüngliche
Absicht, die sofortige Vollziehbarkeit aller Ist- und Regelausweisungen im Gesetz
festzuschreiben, nicht weiter verfolgt. Damit wäre es zu weiteren unnötigen Härten
gekommen. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 Verwaltungsgerichtsordnung sieht
ohnehin bereits die Möglichkeit vor, im Einzelfall die sofortige Vollziehung einer
Ausweisung anzuordnen, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt. Immerhin ist mit
der beabsichtigten Abmilderung sichergestellt, dass der Rechtsschutz für diejenigen,
denen eine Ist- oder Regelausweisung droht – in vielen Fällen hat die
Ausweisungsentscheidung keinen terroristischen Hintergrund – nicht noch weiter
ausgehöhlt wird.
Entscheidungsstopp für Asylanträge
Seit einigen Jahren bittere Erfahrung von Flüchtlingen: Wenn sich die Verhältnisse
im Heimatland dramatisch zuspitzen und eine große Wahrscheinlichkeit der
Flüchtlingsanerkennung besteht, wird die Entscheidung über Asylanträge ausgesetzt.
Sobald abzusehen ist, dass die größte Gefahr vorbei ist, werden die Entscheidungen
wieder aufgenommen. So geschah es z.B. bei Kosovo-Flüchtlingen 1999. Zukünftig
soll dieser unredliche Umgang mit der Genfer Flüchtlingskonvention gesetzlich
verankert werden. Der geplante § 11a AsylVfG (vorübergehende Aussetzung von
Entscheidungen) sieht vor, dass der Bundesinnenminister Entscheidungen zu
bestimmten Herkunftsländern zunächst bis für die Dauer von sechs Monaten
vorübergehend aussetzen kann, wenn die Beurteilung der asyl- und
23
abschiebungsrelevanten Lage besonderer Aufklärung bedarf. Diese Aussetzung
kann nach dem Wortlaut unbeschränkt verlängert werden. Das ist unverhältnismäßig.
PRO ASYL fordert demgegenüber weiterhin die Beschränkung der Praxis von
Entscheidungsstopps auf konkrete Umbruchssituationen. Solche sind ihrem Wesen
nach nur vorübergehend. Nach einem halben Jahr kann und muss eine
Verfolgungsprognose getroffen werden. Dass man den Betroffenen den ihnen
potentiell zustehenden Flüchtlingsstatus vorenthält, ist inakzeptabel.
Weisungsgebundenheit der Entscheider/Abschaffung des Bundesbeauftragten
für Asylangelegenheiten
Die Abschaffung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, der von PRO
ASYL seit Jahren als „institutionalisiertes Verfahrenshindernis“ kritisiert wird, wird mit
einem erheblichen Nachteil gekoppelt: Zukünftig sollen die Entscheider des
Bundesamtes weisungsgebunden sein. Durch diese Neuregelung des § 5
AsylVfG droht das Einzelschicksal des Flüchtlings auf der Strecke zu bleiben. Die
individuelle Verfolgungsgefahr ist nichts, was nach Aktenlage - oder gar politischer
Interessenlage - beurteilt werden kann. Die Streichung des Amtes des
Bundesbeauftragten hätte nicht notwendig die vollständige Abschaffung der
Weisungsunabhängigkeit der Einzelentscheider bedingt. Jede Entscheidung über ein
Einzelschicksal erfordert eine Bewertung, die einen persönlichen Eindruck
voraussetzt und nicht delegierbar ist, einen Beurteilungsspielraum beinhaltet. Die
daraus resultierenden Entscheidungen werden nicht dadurch richtiger, dass sie von
einer übergeordneten Verwaltungseinheit getroffen werden. Deshalb muss
hinsichtlich dieser Fragen die Weisungsungebundenheit der Entscheider erhalten
bleiben. Weisungen müssen sich daher sinnvollerweise auf solche allgemeiner Art,
etwa zur Beurteilung der Situation in bestimmten Herkunftsländern oder zu
grundsätzlichen Fragen, beschränken, die das Ergebnis des Asylverfahrens im
Einzelfall offen lassen.
Gewillkürte Nachfluchtgründe beim Asylfolgeantrag
Im Asylfolgeverfahren sollen künftig „in der Regel“ gewillkürte Nachfluchtgründe nicht
mehr berücksichtigt werden (§ 28 Abs. 2 AsylVfGE). Der Flüchtling soll also, obwohl
er politisch verfolgt wird, auch den Schutz nach der GFK nicht erhalten können. Ihm
bleibt allenfalls ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 3, 5 oder 7 AufenthGE.
Dieser generelle Ausschluss des Flüchtlingsstatus nach der GFK bei selbst
herbeigeführten Nachfluchtgründen im Asylfolgeverfahren ist mit der GFK nicht
vereinbar. Sie differenziert nicht danach, ob die Verfolgung durch eigenes Handeln
„provoziert“ ist oder wann sie entstanden ist, sondern fragt nur nach der
Schutzbedürftigkeit des Flüchtlings: Wer aus politischen Gründen verfolgt wird, soll
geschützt sein. Von diesem völkerrechtlichen Konsens – der als Bestandteil der GFK
rechtlich verbindlich ist – versucht sich das Zuwanderungsgesetz zu verabschieden.
Die Tatsache, dass Ausnahmen für möglich gehalten werden (weil es sich nur um
eine Regel-Bestimmung handelt) und dass die schlimmsten Folgen durch die
Gewährung von humanitärem Abschiebungsschutz aufgefangen werden, macht
deutlich, dass die Verfasser um die Tragweite der Regelung wissen.
24
Verkürzung des Rechtsschutzes wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten
In § 20 Abs. 2 und § 23 Abs. 1 AsylVfGE ist vorgesehen, dass ein Verstoß gegen
Mitwirkungspflichten weitreichende, auch materielle Wirkungen hat. Wer nach
Stellung eines Asylgesuches nicht rechtzeitig den förmlichen Asylantrag stellt oder
wer nach bereits erfolgter Aufnahme in der Aufnahmeeinrichtung nicht unverzüglich
den förmlichen Asylantrag beim Bundesamt anbringt, wird den Regeln des
Asylfolgeverfahrens unterworfen (§ 20 Abs. 2, § 23 Abs. 2 AsylVfGE). Das Ergebnis
dieser Bestimmungen ist der Ausschluss auch objektiv vorhandener Vorfluchtgründe.
Dies ist verfassungsrechtlich unzulässig und mit der GFK nicht zu vereinbaren. Die
Regelung ist auch unbestimmt, weil weder der Begriff „unverzüglich“ hinreichend
konkretisiert ist noch klar ist, an welchem Zeitpunkt die Ausschlussregelung fixiert
sein soll.
Da kein Weg daran vorbeiführt, vorhandene Asylgründe zumindest als
Abschiebungshindernisse nach §§ 60 Abs. 3 ff. AufenthGE zu berücksichtigen,
bewirkt die neue Vorschrift nicht mehr als eine Herabstufung schutzbedürftiger
Menschen.
Erlöschen des Aufenthaltstitels bei Asylantragstellung
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Aufenthaltstitel eines Flüchtlings, der gemäß
§§ 22, 23 oder 25 Abs. 3 bis 5 AufenthGE einen Asylantrag stellt, erlischt (§ 51 Abs.
1 Nr. 8 AufenthGE). Die Regelung ist nicht sachgerecht und steht zudem im
Widerspruch zu § 55 Abs. 2 AsylVfG, der vorsieht, dass nur Aufenthaltstitel unter
sechs Monaten erlöschen. Dass die Regelung unangemessen ist, verdeutlicht der
Blick auf die Situation afghanischer Flüchtlinge in der jüngsten Vergangenheit. Diese
erhielten bisher zumeist lediglich Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG und
waren größtenteils im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen. Die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes und die geänderte Entscheidungspraxis des
Bundesamtes eröffneten ihnen von April 2001 zumindest bis zum erneuten
Entscheidungsstopp aufgrund der geänderten Lage in Afghanistan die Möglichkeit,
durch die Stellung eines Asylfolgeantrages ihren Aufenthaltsstatus zu verbessern,
indem sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach Asylanerkennung oder den
Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erwerben konnten. Die
geplante Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 8 AufenthGE würde in diesen Fällen zum
Erlöschen der gegenwärtigen Aufenthaltsbefugnis führen und die Betreffenden in den
unsicheren Status von Asylantragstellern mit einer Aufenthaltsgestattung
zurückwerfen. Die Stellung eines Asyl(folge)antrages ist in solchen Fällen nicht als
„missbräuchlich“ anzusehen und darf nicht mit Sanktionen belegt werden. Sie ist die
logische Konsequenz einer verfassungswidrigen Entscheidungspraxis. Die hierdurch
verursachte Notwendigkeit, einen Asylfolgeantrag zu stellen, ist der staatlichen Seite
zuzuschreiben. Dies auch noch mit dem Verlust des bisherigen Aufenthaltstitels zu
bestrafen, ist sachwidrig und inakzeptabel.
Passbeschaffung
§ 43b AsylVfG, der die frühzeitige Passbeschaffung in einer Weise regelt, die zu
vielen Problemen geführt hat, soll aufgehoben werden. Die Mitwirkungspflichten von
Asylsuchenden bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten sollen in Form einer
25
Rechtsverordnung geregelt werden (§ 98 Abs. Nr. 1 AsylVfG). Inhaltliche Vorgaben
für eine solche Rechtsverordnung finden sich im Gesetz nicht. Dies dürfte
verfassungsrechtlich kaum zulässig sein (Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 GG). Es bleibt bei
der unpräzisen Regelung, dass der Asylsuchende aufgefordert werden kann,
persönlich bei der Auslandsvertretung zum Zweck der Passbeschaffung
vorzusprechen (künftig § 70 Abs. 4 AufenthGE). Bezüglich der Passbeschaffung
wäre eine Klarstellung im Gesetz notwendig, dass die Aufforderung zur Vorsprache
bei der jeweiligen Auslandsvertretung zur Passbeschaffung erst zulässig ist, wenn
die begehrte Statusentscheidung unanfechtbar versagt worden ist. Im Falle der
Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet kann dies nicht vor
Zustellung der gerichtlichen Eilentscheidung zulässig sein.
Verbesserung des asylrechtlichen Verwaltungsverfahrens
Das asylrechtliche Verwaltungsverfahren hat in den vergangenen Jahren unter den
Folgen der Beschleunigungsmaxime gelitten. Die daraus resultierenden Mängel
haben zu einer Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit geführt, die selbst häufig
Defizite des Verwaltungsverfahrens aufarbeiten mussten anstatt sich auf die eigene
Kontrolltätigkeit zu beschränken. Dennoch sind Beweiserhebungen und
Nachbesserungen im Asylverfahren die extreme Ausnahme. Besonders
problematisch ist, dass die persönliche Anhörung von Asylsuchenden unmittelbar
nach ihrer Meldung beim Bundesamt ohne ausreichende unabhängige Beratung und
Vorbereitung durchgeführt wird. PRO ASYL und andere
Nichtregierungsorganisationen haben in den vergangenen Jahren darauf
hingewiesen, dass eine frühzeitige Verfahrensberatung zu den Grundlagen eines
fairen Asylverfahrens gehört und deshalb gesetzlich zu verankern ist.
Keines der in der Vergangenheit benannten Defizite des asylrechtlichen
Verwaltungsverfahrens wird durch den Gesetzentwurf angegangen. An eine
Verbesserung der Verfahrensrechte von Asylsuchenden wurde nicht gedacht. Im
Gegenteil: Die Vorgaben für die fachliche Kompetenz der Einzelentscheider sollen
abgesenkt werden. Diese sollen künftig nicht mehr Beamte des gehobenen Dienstes
oder vergleichbare Angestellte sein müssen.
Zu fordern ist die gesetzliche Regelung der unabhängigen Verfahrensberatung:
Einem Asylsuchenden ist vor der persönlichen Anhörung ausreichend Gelegenheit
zu geben, sich über seine Mitwirkungsrechte und –pflichten durch unabhängige und
rechtskundige Personen und Organisationen bzw. durch einen Bevollmächtigten
seiner Wahl beraten zu lassen.
§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist wie folgt zu fassen: „Das Bundesamt klärt den
Sachverhalt auf und erhebt von Amts wegen oder auf Antrag die erforderlichen
Beweise“.
Es wäre wünschenswert, dass die bereits z.T. eingetretenen Verbesserungen der
Bundesamtspraxis hinsichtlich des Umgangs mit traumatisierten Menschen ihren
Niederschlag im Asylverfahrensgesetz finden. Vorgeschlagen wird folgende
Regelung: „Werden während der persönlichen Anhörung oder im weiteren Verlauf
des Asylverfahrens Anzeichen bekannt, die auf eine Traumatisierung oder erhebliche
psychische Belastung von Asylsuchenden infolge erlittener Folter oder sexuelle
Gewalt hinweisen, so ist das Verfahren auszusetzen und Gelegenheit zu geben, zum
26
Zwecke therapeutischer Behandlung und zu Beweiszwecken fachärztliche Hilfe in
Anspruch zu nehmen.“ Den betroffenen Personen muss ein erleichterter Zugang zum
Arbeitsmarkt gewährt werden.
Asylbewerberleistungsgesetz
Der Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bedeutet zum
einen, dass Leistungen deutlich unter dem Sozialhilfesatz liegen und zumeist nur in
Form von Sachleistungen gewährt werden. Außerdem erhalten die so Versorgten im
Regelfall nur eine medizinische Notfallversorgung. Das AsylbLG, erklärtes Instrument
der „Abschreckung” von Flüchtlingen, wird nicht etwa abgeschafft, sondern sogar
ausgeweitet. Dabei wollte doch die SPD-Bundestagsfraktion der „Diskriminierung
entschieden entgegnen” („Eckpunkte-Papier”). Auch die Forderungen des SPDParteitags 1999 (Streichung des § 1a AsylbLG und des Sachleistungsprinzips) und
von B90/Die Grünen im März 2001 (Abschaffung des Gesetzes) bleiben ganz und
gar unberücksichtigt. PRO ASYL fordert die Abschaffung des Gesetzes seit seinem
Inkrafttreten.
Die Änderungen im Einzelnen:
Flüchtlinge, die nach § 25 Abs. 3 AufenthGE aufgrund von sonstigen rechtlichen
Abschiebungshindernissen gem. § 60 Abs. 2-7 AufenthGE eine Aufenthaltserlaubnis
erhalten, sollen zukünftig generell Anspruch auf Leistungen nach dem
Bundessozialhilfegesetz haben. Die bisherige Praxis ergab ein uneinheitliches Bild:
In einigen Bundesländern erhielten diese Flüchtlinge vorrangig Duldungen (und fielen
unter AsylbLG), in anderen erhielten sie Aufenthaltsbefugnisse (und damit
Leistungen nach BSHG).
 Die dreijährige massive Absenkung der lebensnotwendigen Versorgung (i.d.R. in
Form von Sachleistungen) soll zukünftig auch diejenigen treffen, die aus
völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen ein Aufenthaltsrecht
nach § 25 Abs. 4 und 5 AufenthGE erhalten, also z.B. bei Krankheit oder
faktischer Unmöglichkeit der Ausreise. Dies trifft alle bisher Aufenthaltsbefugten
mit Ausnahme der Konventionsflüchtlinge. Sofern diesen Gruppen bisher eine
Aufenthaltsbefugnis zugebilligt wurde, hatten sie auch Anspruch auf Leistungen
nach BSHG. Ein Teil dieser Fälle wird bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
bereits drei Jahre lang abgesenkte Leistungen bezogen haben, so dass damit der
weitere Bezug von Sozialleistungen nach § 2 AsylbLG „analog BSHG” möglich ist.
Dennoch: Der Gesetzesentwurf bezieht erstmalig auch solche Personengruppen
mit ein, die unbestrittenermaßen legal über einen längeren Zeitraum in
Deutschland leben werden. Die einzige dem AsylbLG unterworfene Gruppe mit
einer Aufenthaltsgenehmigung waren bislang die Bürgerkriegsflüchtlinge „für die
Dauer des Krieges”. Abgesehen von einer zukünftig denkbaren weiteren
Ausweitung der Formen der Sonderbehandlung, wird die Diskriminierung eines
Bevölkerungsteils strukturell verfestigt.
 Die Neufassung des § 2 AsylbLG sieht dagegen eine positive Klarstellung
gegenüber geltendem Recht vor: Nach drei Jahren werden die Leistungen analog
BSHG umgestellt, wenn die Betroffenen „die Dauer des Aufenthalts nicht
rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben”. Diejenigen, denen dieser
Missbrauch unterstellt wird, dürften bereits unter § 1a (also eine Sonderform der
27
nochmaligen Leistungskürzung) fallen, so dass eine Angleichung an BSHG
ohnehin verweigert wird. Für alle, die die „normalen“ Grundleistungen nach §§ 3-7
AsylbLG erhalten, dürfte sich die Angleichung an BSHG also nach drei Jahren
zum Automatismus entwickeln – eine leichte Verbesserung. (Artikel 8; §§ 1, 2
AsylbLG).
Ausreiseeinrichtungen / Abschiebungshaft
Künftig soll bundesweit möglich werden, was einige Bundesländer bereits erproben:
Flüchtlinge, denen man z.B. aufgrund fehlender Papiere falsche Angaben zur
Identität unterstellt, müssen in Sammellagern leben, in denen eine „intensive soziale
Betreuung“ Flüchtlinge zur Ausreise nötigen soll. Dies kann ausdrücklich auch Kinder
und Traumatisierte treffen, wie dies aus der Gesetzesbegründung (S.199)
hervorgeht. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass viele Flüchtlinge zu Unrecht in
Ausreisezentren landen. Psychische Zermürbung ist die Taktik und das Abdrängen
der hier Untergebrachten in die Illegalität das kaum verhohlene Ziel der
„Ausreisezentren” (§ 61 Abs. 2 AufenthGE). Dass diese Taktik funktioniert, zeigen
die Ergebnisse der Modellprojekte in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Nur eine
geringe Zahl von Flüchtlingen wurde aus den Ausreisezentren abgeschoben, aber
ein sehr großer Teil zog das Leben in der Illegalität dem psychischen Druck der
Ausreisezentren vor. Der Staat kann bei Ausreisepflichtigen die ausländerrechtlichen
Mittel ausschöpfen, über sozialen Druck ausländerrechtliche Ziele verfolgen darf er
nicht.
Der Gesetzentwurf sieht keine Maximaldauer der Unterbringung in
Ausreiseeinrichtungen vor (während selbst für die Abschiebungshaft eine solche
existiert). Damit stellt sich die Schaffung von Ausreiseeinrichtungen de facto als eine
Ergänzung und Erweiterung des bisher schon unverhältnismäßigen
Abschiebungshaftsystems dar. Dessen Überprüfung hatten die Parteien der
Regierungskoalition im Koalitionsvertrag vereinbart. Anstatt, wie dort vorgesehen,
zumindest die Dauer der Abschiebungshaft im Lichte des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu überprüfen, wird mit den Ausreiseeinrichtungen
ein Instrumentarium geschaffen, das das Abschiebungshaftsystem erweitert, ohne
dessen strukturelle Probleme anzugehen.
Der Prüfungsauftrag der Koalitionsvereinbarung bleibt vorsätzlich unerledigt.
Stattdessen sollen die bisherigen Bestimmungen über die Abschiebungshaft
unverändert ins neue Aufenthaltsgesetz übernommen werden (§ 62 AufenthGE).
Residenzpflicht
Die vielfach kritisierte, überflüssige Regelung, die die Bewegungsfreiheit von
Asylsuchenden auf einen kleinen Radius (i.d.R. Stadt/Landkreis) begrenzt, soll in
aller Härte auf diejenigen angewendet werden, die nur noch über eine
„Bescheinigung“ (gem. § 60 Abs. 11 AufenthGE) verfügen (§ 61 Abs. 1 AufenthGE).
Waren sie bislang geduldet, konnten sie sich – „immerhin“ – innerhalb des
Bundeslandes frei bewegen. Schon die bestehende Regelung für Asylsuchende
begründete man kaum überzeugend mit dem angeblich schnelleren Asylverfahren.
Ebenso wenig kann jetzt das Argument „Terrorismusgefahr” die schikanöse
Behandlung aller Menschen, die man nicht abschieben kann, rechtfertigen. Zu
28
fordern ist dagegen, wie dies B90/Die Grünen im März 2001 taten, die Abschaffung
der Residenzpflicht.
Im Gesetzestext ist lediglich festgeschrieben, dass der Aufenthalt von
Ausreisepflichtigen räumlich zu beschränken ist, aber nicht, auf welches Gebiet. Die
Gesetzesbegründung macht klar, dass eine Angleichung an die Regelungen, die für
Asylbewerber gelten, beabsichtigt ist.
Flughafenverfahren
Auch beim Flughafenverfahren (§ 18a AsylVfG) gibt es keine Änderung der
bisherigen problematischen Praxis. Die politische Diskussion um die Beschränkung
der Aufenthaltsdauer von im Flughafenverfahren abgelehnten Asylantragstellern im
Transit wird ebenso ignoriert wie die in der Koalitionsvereinbarung der
Regierungsparteien enthaltene Absichtserklärung, die Zustände, insbesondere die
Härten der Situation sogenannter „Langzeitaufenthalter“, im Lichte des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen. Auch unbegleiteten minderjährigen
Kindern bleibt nach dem Gesetzeswortlaut das Verfahren nicht erspart. Das
Nichthandeln der Regierungskoalition darf als Absichtserklärung aufgefasst werden:
Auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen ist eine neue Flüchtlingsunterkunft z.Zt.
im Bau. Daneben wird vermutlich später eine Abschiebungshaftanstalt im Transit in
Betrieb gehen.
29
Kinderrechte
Für minderjährige Flüchtlinge sieht der Gesetzentwurf keinerlei Verbesserungen vor.
Es bleibt bei der vielfach kritisierten ausländerrechtlichen Handlungsfähigkeit mit 16
Jahren, bei Drittstaatenregelung, Flughafenverfahren, Abschiebungshaft und
Abschiebung auch für Minderjährige. Damit brüskiert die Regierung auch den
Bundestag. Bereits zweimal, zuletzt als Reaktion auf eine von PRO ASYL in einem
breiten Bündnis mit anderen Nichtregierungsorganisationen und vielen Unterstützern
initiierte Petition, hat das Parlament die Regierung aufgefordert, die deutschen
Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen und die Konvention im
Ausländer- und Asylrecht voll anzuwenden.
Eine der Konsequenzen müsste sein, dass das in § 80 AufenthGE wie bisher
festgeschriebene ausländerrechtliche Handlungsfähigkeitsalter geändert wird.
Das Votum des Petitionsausschusses des Bundestages vom September 2001 wird
im vorliegenden Gesetzentwurf nicht aufgegriffen. Die Bundesregierung, durch den
Ausschuss zur Umsetzung der Forderung aufgefordert, bleibt vorsätzlich untätig.
Schlimmer noch: Der Gesetzentwurf schafft neue Probleme für Kinderflüchtlinge. So
ergeben sich große Probleme für sie aus der Ausschlussklausel des § 10 Abs. 3
AufenthGE, wonach keine Aufenthaltserlaubnis erhält, wer im Asylverfahren als
offensichtlich unbegründet gem. § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt wird. Da
Minderjährige altersgemäß Schwierigkeiten haben, den Anforderungen an die
Darstellung der Fluchtgründe bei der Anhörung zu genügen, werden ihre Anträge
nicht selten als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Eine solche Ablehnung würde
aber endgültig eine Aufenthaltsperspektive zunichte machen.
Härtefallregelung
Seit Jahren fordern Kirchen, Verbände und Menschenrechtsorganisationen eine
Härtefallregelung im Ausländergesetz. In der Koalitionsvereinbarung war eine
Prüfung der Frage vereinbart. Die Regierungskoalition hat den selbst erteilten
Auftrag nicht erledigt. Dabei hat selbst die CDU-Bundesausschuss eine solche
Regelung befürwortet. Das Innenministerium Schleswig-Holstein hat dem BMI im
Zuge der Länderabstimmung sogar einen konkreten Vorschlag dafür übermittelt. Im
Regierungsentwurf sucht man vergebens danach.
Illegalisierte
Weder berücksichtigt der aktuelle Aufenthaltsgesetzentwurf die wenigen Anregungen
der Unabhängigen Kommission Zuwanderung noch das, was an Verbesserungen
vom Rat der Innen- und Justizminister der EU diesbezüglich beschlossen worden ist.
Es wird keine „Amnestie“ oder „Schlussstrichregelung“ vergleichbar der in anderen
europäischen Staaten geben. Zu fordern ist weiterhin mindestens

die Aufhebung der Meldepflicht von Schulen bei Kindern ohne Aufenthaltstitel
(Änderung § 87 AufenthGE),

eine Ausnahmeregelung im Hinblick auf die humanitäre Flüchtlingshilfe
(Änderungsbedarf in § 96 und § 54 Ziff. 2 AufenthGE).
30
Mit Blick auf die neu eingeführte Klausel zur Schaffung von sog. Ausreisezentren ist
zu erwarten, dass die Zahl der in Deutschland als „illegal“ lebenden Menschen
drastisch steigen wird.
Der Anspruch der Regierungskoalition, mit dem Zuwanderungsgesetz eine
umfassende Neuregelung der Zuwanderung zu schaffen, hätte es nahe gelegt, im
Rahmen einer „Schlussstrichregelung“ eine Legalisierung von hierzulande ohne
jeden Status lebenden Menschen vorzusehen. Andere europäische Staaten haben
mit umfassenden Neuregelungen des jeweiligen Ausländerrechts solche
Legalisierungsaktionen verbunden. Auch mit den Novellierungen des deutschen
Ausländerrechts waren mehrmals Altfallregelungen verbunden. Es ist im
wohlverstandenen öffentlichen Interesse, möglichst viele Menschen aus der
Grauzone der weitgehenden Rechtlosigkeit herauszuholen.
Die folgenden Seiten dieser Stellungnahme beziehen sich auf gesetzliche
Bestimmungen, die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz bereits zum 1. Januar
2002 in Kraft getreten sind und als geltendes Recht in das Zuwanderungsgesetz
übernommen werden sollen. Deshalb wird im folgenden auch noch das
Ausländergesetz in der geltenden Fassung zitiert.
Doppelstandard im Datenschutz/Ausländerausweisdokumente
Mit Änderungen des Ausländergesetzes und des Asylverfahrensgesetzes führt das
Terrorismusbekämpfungsgesetz neue Ausweisdokumente für Ausländer ein. Dazu
gehören die Aufenthaltsgenehmigung, der Ausweisersatz für Ausländer ohne
Passpapiere, die künftige Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung, die
Bescheinigung einer Genehmigungsfiktion, die Aufenthaltsgestattungsbescheinigung
für Asylsuchende (§§ 5, 39 Abs. 1, 56a, 69 Abs. 2 AuslG, § 63 AsylVfG). Diese
neuen Dokumente sollen künftig nach vergleichbaren Gesichtspunkten gestaltet
werden. Alle diese Ausweisdokumente sollen zusätzlich identifizierende Merkmale
enthalten. Neben einem Foto und der Unterschrift gehören dazu auch weitere
biometrische Merkmale von Fingern oder Händen oder Gesicht sowie eine „Zone für
das automatische Lesen“. Während die Einführung von Ausweisdokumenten mit
biometrischen Merkmalen bei Deutschen durch Bundesgesetz geregelt werden soll,
soll bei Dokumenten, die für Ausländer gelten, eine Rechtsverordnung genügen. Alle
Einzelheiten sollen nämlich vom Bundesinnenministerium „nach Maßgabe der
gemeinschaftsrechtlichen Regelungen durch Rechtsverordnungen“ geregelt werden.
Für Deutsche enthält das geänderte Passgesetz bzw. Personalausweisgesetz eine
Zweckbindung: „Im Pass enthaltene verschlüsselte Merkmale und Angaben dürfen
nur zur Überprüfung der Echtheit des Dokumentes und zur Identitätsprüfung des
Passinhabers ausgelesen und verwendet werden. Auf Verlangen hat die
Passbehörde dem Passinhaber Auskunft über den Inhalt der verschlüsselten
Merkmale und Angaben zu erteilen.“ Ganz anders liest sich dies im Gesetzentwurf
des neuen Aufenthaltsgesetzes. Anstelle einer klaren Zweckbindung heißt es in § 78
Abs. 5 AufenthGE: „Öffentliche Stellen können die in der Zone für das automatische
Lesen enthaltenen Daten zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben speichern,
übermitteln und nutzen.“
31
Der Aufenthaltsgesetzentwurf sieht ebenfalls die Einbringung biometrischer
Merkmale in verschlüsselter Form in Ausweisdokumente von Ausländern vor. Ein
Auskunftsrecht findet sich nicht. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht, ein
aus Artikel 1 und 2 GG abgeleitetes Grundrecht, gilt für Ausländer in weit geringerem
Maße als für Deutsche: Sie werden zu Objekten von Datensammelei. Die pauschale
Verarbeitungsbefugnis für alle öffentlichen Stellen erlaubt eine Datensammelei auf
Vorrat, ohne dass die Zwecke ausreichend klargestellt und beschränkt werden. Sie
steht möglicherweise auch im Widerspruch zum verfassungsrechtlichen
Bestimmtheitsgebot. Für die ungleiche Behandlung von Deutschen und Ausländern
ist eine sachliche Rechtfertigung nicht zu erkennen.
Zwar soll - so die auf Druck von Bündnis 90/Die Grünen schließlich in das
Terrorismusbekämpfungsgesetz aufgenommene Regelung - eine bundesweite
Referenzdatei nicht eingerichtet werden, so weit es um die Pass- und
Personalausweise Deutscher geht. Für Ausländer gibt es diese Referenzdatei
praktisch bereits in Form des Ausländerzentralregisters. Bündnis 90/Die Grünen und
die SPD haben den Ausschluss der bundesweiten Referenzdatei als Schritt zur
Bewahrung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes dargestellt. Für
Ausländer gilt dies nicht. In einem „Positionspapier zum
Terrorismusbekämpfungsgesetz der Bundesregierung“ vom 7. Dezember 2001 weist
das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein auf die
grundsätzliche verfassungsrechtliche Problematik des Ausländerzentralregisters hin.
Bereits bislang „erfolgen nicht verhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung auf unbestimmten rechtlichen Grundlagen. Die
sicherheitsbehördliche Nutzung des AZR stellt eine sachlich nicht zu rechtfertigende
Ungleichbehandlung gegenüber Deutschen dar. Deswegen im Jahr 1995
eingereichte Verfassungsbeschwerden sind bis heute vom
Bundesverfassungsgericht nicht behandelt.“ (Das Positionspapier des Unabhängigen
Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein setzt sich im übrigen
ausführlich mit der grundsätzlichen Problematik biometrischer Daten auseinander.)
32
Datenfluss bis in die Verfolgerstaaten? Datenübermittlung vom Bundesamt für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und von den Ausländerbehörden
an Verfassungsschutzbehörden
Eine Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes (§ 9 Abs. 1a BVerfSchG)
betrifft Flüchtlinge ganz besonders. Künftig sollen das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Ausländerbehörden der Länder von
sich aus den Verfassungsschutzbehörden „ihnen bekannt gewordene Informationen
einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach §
3 Abs. 1, wenn tatsächlich Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für
die Erfüllung die Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist,“
übermitteln. Mit Terrorismusbekämpfung – die Regelung stammt aus dem
Terrorismusbekämpfungsgesetz – hat das nur bedingt zu tun. Denn § 3 Abs. 1
Bundesverfassungsschutzgesetz beschränkt sich eben nicht auf die
Terrorismusbekämpfung oder den Kampf gegen gewaltbereite Organisationen, die
auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sondern schließt
auch bloße extremistische Bestrebungen mit ein. Schon ein legales politisches
Engagement von Ausländern kann eine Datenweitergabe legitimieren.
PRO ASYL und andere Nichtregierungsorganisationen haben diese brisante
Regelung kritisiert. Sie eröffnet die Möglichkeit, dass die sensiblen Inhalte von
Asylakten, insbesondere die Begründungen von Asylanträgen, über den Weg der
deutschen Inlandsgeheimdienste in die potentiellen Verfolgerstaaten gelangen. Dem
hat der Gesetzgeber zumindest insofern Rechnung getragen, als § 18a Abs. 1a
BVerfSchG nunmehr um den Satz ergänzt worden ist: „Die Übermittlung dieser
personenbezogenen Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an über- und
zwischenstaatliche Stellen nach § 19 Abs. 3 unterbleibt, es sei denn die
Übermittlung ist völkerrechtlich geboten.“ Die Parteien der Regierungskoalition haben
damit auch auf die im Rahmen der Expertenanhörung des Innenausschusses des
Deutschen Bundestages zum Terrorismusbekämpfungsgesetz vorgetragene Kritik
reagiert.
Was denn nun jeweils völkerrechtlich geboten sei, darüber schweigt sich die kurze
Gesetzesbegründung jedoch aus. Es handele sich um eine redaktionelle Neufassung
aus Gründen der Klarstellung, darüber hinaus sei dies eine Eingrenzung der
Übermittlungsbefugnis auf Fälle, in denen die Übermittlung völkerrechtlich geboten
sei. Tautologischer und inhaltsleerer kann man ein Gesetz nicht begründen. Ob die
restriktivere Fassung der Übermittlungsregelungen eine praktische Wirkung hat, wird
sich zeigen müssen. Deutlich ist jedoch, dass – wie im geheimdienstlichen Bereich
ohnehin üblich – der Übermittlungsbefugnis letztlich kaum adäquate und in der
Praxis umsetzbare Rechte der Betroffenen gegenüberstehen. Ihre Auskunftsrechte
sind äußerst beschränkt, eine Benachrichtigung über die Übermittlung ist nicht
vorgesehen.
33
Generalverdacht gegen Asylsuchende: Missbrauch ihrer
erkennungsdienstlichen Unterlagen
Die von Ausländern und Asylsuchenden erhobenen erkennungsdienstlichen Daten
und Unterlagen sollen zehn Jahre lang aufbewahrt werden (§ 78 Abs. 2-4 AuslG, §
16 Abs. 5, 6 AsylVfG). Ihre Nutzung wird durch eine Art Generalklausel geregelt.
Erlaubt ist die Nutzung „zur Feststellung der Identität oder der Zuordnung von
Beweismitteln für Zwecke des Strafverfahrens oder zur Gefahrenabwehr“.
Die gewonnenen erkennungsdienstlichen Daten sollen – ohne daß ein konkreter
Verdacht gegen den Betroffenen vorliegt – für jeglichen polizeilichen Daten- und
Spurenabgleich benutzt werden können. Im Klartext: Sämtliche im Rahmen von
erkennungsdienstlichen Maßnahmen erfassten Ausländer werden wie potentielle
Straftäter behandelt. Obwohl das Gesetz heute noch zwischen polizeilichen und
ausländerrechtlichen Daten trennt, gibt es eine solche Trennung in der Praxis künftig
kaum noch.
Missbrauch zweifelhafter Sprachanalysen
Erklärtermaßen zur Bestimmung des Herkunftsstaates oder der Herkunftsregion
eines Ausländers wird – die offene – Aufnahme und Auswertung des gesprochenen
Wortes zugelassen (§§ 41 Abs. 2 Satz 2, 78 Abs. 3, 4 AuslG, § 16 Abs. 1 Satz 3,
Abs. 5,6 AsylVfG). Obwohl über das Anti-Terror-Paket in das Ausländer- und damit
künftige Aufenthaltsgesetz sowie das Asylverfahrensgesetz transformiert, ist damit
deutlich: Mit der Bekämpfung von Terrorismus oder Straftaten haben die
sogenannten Sprachanalysen nichts zu tun. Ihre Bedeutung liegt bei der Einleitung
aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Das Interesse besteht offenbar darin,
Ausländer mit unklarer Herkunft einer Herkunftsregion zuzuordnen und damit die
Chance zu erhöhen, sie einem bestimmten Herkunftsstaat „anzubieten“ oder
abzuschieben.
Bezeichnend dafür, welcher Missbrauch mit der Methode betrieben wird, ist auch,
dass nach der Erstellung des in vielen Fällen wissenschaftlich zweifelhaften
Herkunftsgutachtens über die Zuordnung der Sprache zu einer Region keine
umgehende Löschung der Tonaufnahmen vorgesehen ist. Vielmehr sollen sie für
zehn Jahre aufbewahrt werden. Sinn macht dies nur, auch wenn die
Gesetzesbegründung dies verschweigt, wenn man eine biometrische
Sprachzuordnung zum Beispiel von abgehörten Telefonaten plant. Es werden also
Daten ohne klare Zweckbindung auf Vorrat gespeichert. Es handelt sich um die
Daten Unverdächtiger. Auch hier werden Ausländer und Asylsuchende behandelt wie
potentielle Straftäter.
34
Änderung des Vereinsgesetzes – zusätzliche Verbotsgründe
In engem Zusammenhang mit der Verschärfung der Ausweisungsbestimmungen
stehen geplante Neuregelungen des Vereinsgesetzes. Die Möglichkeiten,
Ausländervereine zu verbieten, sollen erweitert werden. Die geplanten
Neuregelungen finden sich im Terrorismusbekämpfungsgesetz.
Vereine von Migranten werden zukünftig noch stärker vom Verfassungsschutz
überwacht, wenn sie sich gegen „den Gedanken der Völkerverständigung“ oder „das
friedliche Zusammenleben der Völker richten“. Darüber hinaus sollen sie leichter
verboten werden können, z.B. wenn sie Gewaltanwendung befürworten oder
androhen, auch wenn sich dies nicht auf Deutschland, sondern auf ihr Herkunftsland
bezieht. Was sich nach Terrorismusbekämpfung anhört, ist in der Praxis
hochproblematisch: Exilvereinen, die sich politisch gegen Unrechtsregime in ihren
Herkunftsstaaten engagieren, droht die Verbotsverfügung. Die generalklauselartigen
Formulierungen lösen keine Probleme, sie schaffen neue. Dies zeigen Beispiele aus
der jüngsten Vergangenheit: So hätten nach der Neuregelung afghanische Vereine,
die sich in den letzten Jahren für den gewaltsamen Sturz des Talibanregimes in
Afghanistan öffentlich eingesetzt haben, verboten werden können.
Befreiungsbewegungen, Verhandlungspartner, terroristische Organisationen? Die
Frage stellt sich häufig. Die Bewertungen ändern sich oft innerhalb kurzer Zeit. Dies
verdeutlicht das Beispiel der kosovarischen UCK. Das Mittel der vereinsrechtlichen
Verbotsverfügung ist ein untaugliches Mittel, wo es gilt, sich mit Organisationen, die
Gewaltanwendung im Rahmen eines Befreiungskampfes nicht ausschließen, und
ihren Methoden auseinander zu setzen. Aus der Perspektive undemokratischer
Regime und potentieller Verfolgerstaaten werden Oppositionelle ohnehin oft mit
Terroristen gleichgesetzt. Eine solche schlichte Gleichsetzung zwischen Terrorismus
und dem Kampf gegen diktatorische Regime, wie sie in den Regelungen in § 3
BVerfSchG und § 14 Abs. 2 VereinsG angelegt sind, darf es nicht geben.
Die geplanten Neuregelungen sind ein gutes Beispiel dafür, wie statt konkreter
Terrorismusbekämpfung symbolische Sicherheitspolitik mit ungeeigneten Mitteln
betrieben wird. So wird in der Begründung des Gesetzentwurfes behauptet, das
bisherige Vereinsgesetz biete keine ausreichenden Möglichkeiten, gegen
Ausländervereine vorzugehen, die ausländische gewalttätige oder terroristische
Organisationen zum Beispiel durch Spenden, durch Rekrutieren oder auf sonstige
Weise unterstützen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits 1993 das geltende
Recht so ausgelegt, dass die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik
bereits dadurch gefährdet werde, dass ein Verein im Bundesgebiet „entweder selbst
Terroranschläge organisiert und den Tätern zum Beispiel durch Geldspenden,
Gewährung von Unterkunft oder Kurierdienst Hilfe leistet oder wenn er
Terroranschläge gegen Einrichtungen oder Organe eines fremden Staates, die von
dritter Seite verübt werden, unterstützt.“ Es gibt also keinen Bedarf für die
Neuregelung. Den neugefassten Verbotsgründen (§ 14 Abs. 2 Nummer 4 und 5
VereinsGE) liegt ein verschwommener Terrorismusbegriff zugrunde, der geeignet ist,
auch bloße Meinungsäußerungen und gewaltlose Betätigungsformen zu
kriminalisieren.
Insbesondere die Entwurfsbegründung zeigt, welcher Geist hinter den Bestrebungen
zur Verschärfung der Vereinsverbote steht. Der Versuch, das friedliche
Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen in der Bundesrepublik mit den
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Mitteln des Vereinsverbots zu flankieren, ist mehr als eine Stilblüte. Das
Vereinsverbot soll offenbar nicht mehr länger ultima ratio sein, die extreme
Ausnahme von der Vereinigungsfreiheit, wie sie auch Artikel 22 Abs. 2 des
Bürgerrechtspaktes und Artikel 11 Abs. 2 EMRK aus Gründen der nationalen
Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verbrechensverhütung
vorsehen, sondern Mittel der Wahl, um Druck auf missliebige Vereine auszuüben.
Dieser soll zum Beispiel Vereinen gelten, die sich für „theokratische, zum Beispiel
islamistische Staatsformen“ in ihrem Herkunftsland einsetzen. Was darunter
verstanden wird, wird nicht erläutert. Staatsreligion ist der Islam nach den
Verfassungen einer ganzen Reihe von Staaten. Sie sind in ihrer praktischen
Ausgestaltung allerdings sehr unterschiedlich. Die Auseinandersetzung mit
theokratischen Staatsformen und undemokratischen Praktiken in der Welt kann nicht
auf deutschem Boden mit vereinsrechtlichen Kollektivsanktionen und
ausweisungsrechtlichem Vorgehen gegen einzelne Ausländer geführt werden. Es
bedarf nicht dieser Neuregelung, um etwa den Anhängern der Idee eines
Kalifatstaates hierzulande wirksam zu wehren.
36
Fazit
Vom großen Projekt Zuwanderungsgesetz ist eine Reformruine geblieben – mit
einigen erhabenen Säulen. Die parlamentarische Opposition und der Bundesrat
warten mit einer Vielzahl von Änderungsanträgen auf. Deren Zielrichtung: Weitere
Verstärkung der restriktiven Elemente. Selbst wenn der Entwurf weitgehend
unverändert Gesetz würde – von einer kopernikanischen Wende des deutschen
Ausländerrechts könnte nicht die Rede sein.
Zu erinnern ist an die Geschichte dieses Gesetzesvorhabens. In der
Koalitionsvereinbarung von Bündnis 90/Die Grünen war ein Zuwanderungsgesetz in
dieser Legislaturperiode nicht vorgesehen. Ein gesellschaftlicher Konsens schien
nicht erreichbar. Bewegung kam in die fast erlahmte gesellschaftliche
Zuwanderungsdiskussion, als die deutsche Arbeitgeberschaft einen sektoralen
Arbeitskräftemangel im IT-Bereich geltend machte und kurzfristig greifende
Regelungen für die Beschäftigung von Fachkräften in diesem Bereich forderte. Dem
trug die Regierung mit einer Greencardregelung Rechnung, die letztlich allerdings in
sehr begrenztem Maß zur erfolgreichen Anwerbung solcher Fachkräfte führte.
Dennoch wurde im Rahmen der Greencarddiskussion immer deutlicher, dass eine
Zuwanderung aus vielerlei Gründen im Interesse dieser Gesellschaft liegt. Mit der
Einsetzung der Unabhängigen Kommission Zuwanderung unter Vorsitz von Rita
Süßmuth wurde der Versuch unternommen, die Diskussion fachlich zu fundieren,
Interessenabwägungen vorzunehmen, Konsense auszuloten und entsprechende
Politikempfehlungen zu geben. Die Arbeit der Kommission diente jedoch
überwiegend als Staffage für die parallel betriebene Vorbereitung eines
Zuwanderungsgesetzentwurfes. Die - aus Sicht von PRO ASYL bereits
unzureichenden - Vorschläge der Kommission wurden großenteils ignoriert. Seitdem
wird im parlamentarischen Verfahren Zeitdruck produziert. In der Folge ist die Suche
nach einem zukunftsweisenden gesellschaftlichen Konsens zweitrangig geworden
gegenüber der wahltaktisch motivierten parteipolitischen Besetzung des Themas.
Was die Einen zur europaweit modellhaften Regelung von Zuwanderung
hochstilisieren, kritisieren die Anderen als ein Einfallstor für zusätzliche
Einwanderung.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Lehmann hat in einem
Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 19. Dezember 2001 darauf hingewiesen,
dass der Gesetzentwurf Menschen, die aus humanitären Gründen
aufenthaltsberechtigt sind gegenüber denjenigen Ausländern, die zum Zweck der
Erwerbstätigkeit nach Deutschland gekommen sind, benachteiligt. Dies betreffe so
wichtige Bereiche wie den Familiennachzug, die Erwerbstätigkeit, die
Integrationshilfen und die Verfestigung des Aufenthalts.
Die Überbetonung des nationalen Wirtschaftsinteresses wird an vielen Stellen der
Gesetzesbegründung deutlich. Konsequenterweise enthält das Gesetz deshalb mit
der Niederlassungserlaubnis für Hochqualifizierte und deren Besserstellung beim
Kindernachzug privilegierende Regelungen, die einen Konkurrenzvorteil beim von
Wirtschaft und Politik ausgerufenen „Kampf um die besten Köpfe“ verschaffen sollen.
In anderer Hinsicht ist das Gesetz entgegen aller Absichtserklärungen wenig
innovativ. So erweist sich etwa das als zukunftsweisende Vereinfachung des
Ausländerrechts dargestellt Vorhaben, die Zahl der bisherigen Aufenthaltstitel
37
drastisch zu reduzieren, bei näherem Hinschauen als eine Mogelpackung. Eine
wirkliche Reduzierung findet nicht statt, da innerhalb der Aufenthaltstitel die
jeweiligen Zweckbindungen unterschiedliche Rechtsfolgen haben. Hinter dem Begriff der Aufenthaltserlaubnis etwa verbirgt sich die lediglich terminologische
Zusammenfassung der verschiedensten Statusarten. Mit der Bescheinigung nach §
60 Abs. 11 AufenthGE wird eine Schrumpfform der Duldung wiedereingeführt,
nachdem die Kritik am Referentenentwurf offenbar zumindest insoweit ernst
genommen worden ist, als man die Betroffenen nunmehr nicht der völligen
Papierlosigkeit überantworten will.
Mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz sind Regelungen eingeführt worden, die
den ursprünglichen Intentionen eines Zuwanderungsgesetzes zuwiderlaufen. Was
zur Zeit in parlamentarischen Verfahren geschieht, hat Vera Gaserow in der
Frankfurter Rundschau vom 13.12.2001 zutreffend beschrieben:
„Ein eh schon auf Konsens gebürsteter Entwurf wird noch einmal umfrisiert. Mag
Otto Schily bereits in Vorleistung getreten sein. Jetzt wird an Grundpositionen noch
einmal kräftig nachgeschliffen – hübsch scheibchenweise. Kindernachzugsalter?
Zwei, drei Jahre mehr oder weniger? In der Praxis ein Streit um kleine
Personengruppen. Mit Blick auf große Ganze eine Quantité négligeable. Flexible
Einwanderung nach regionalen Arbeitsmarktengpässen? Fortschrittliche Idee, aber
soll daran der breite Konsens scheitern? Ausweitung der Sozialhilfekürzung für
Asylbewerber? Das große Reformvorhaben wird doch nicht an 16,42 Mark für
Flüchtlinge hängen! Und letztlich die phonstärkste Forderung der Union – die
Begrenzung der Zuwanderung als erklärtes Ziel der Paragraphen. Ein
Einwanderungsgesetz zur Verhinderung der Einwanderung? Warum nicht? Man hat
schließlich schon manche politische Absurdität zu Paragraphen gemacht. Ohnehin
nur kosmetische Gesetzesfloskeln. [...] irgendwann greift die gezielte Zermürbung die
Substanz des politischen Materials an. Ein Gesetz zerbröselt, sein Geist löst sich in
Beliebigkeit auf, seine Entstehungsabsicht droht, sich ins Gegenteil zu verkehren.[...]
Über ein solches Gesetz könnte man die Gespräche getrost abbrechen. An Regeln
zur Abschottung mangelt es schon jetzt nicht. Käme es in dem Verhandlungspoker
nicht längst darauf an, welche Seite zuerst die Nerven verliert – SPD und Grüne
müssten sich in einer stillen Stunde nach dem Sinn ihres Einwanderungsgesetzes
fragen.
Den Geist der sommerlichen Einwanderungsdebatte trägt es kaum noch. Und
spätestens durch ein zweites rot-grünes Gesetz wird er in die Flucht geschlagen.
Einen Tag nach dem Zuwanderungsgesetz wird der Bundestag am Freitag Otto
Schilys Anti-Terror-Paket verabschieden. Ein Mammutwerk, das auch noch die letzte
zaghafte Botschaft des Zuwanderungsgesetzes konterkariert. Seine Entstehung
bleibt selbst unter dem Eindruck des 11. September ein denkwürdiges Beispiel für
die jähe Verschiebung politischer Koordinaten. Ein halbes Jahr nach dem allseits
gefeierten Bericht einer Einwanderungs-Kommission schafft sich die Bundesrepublik
damit ein Instrumentarium, das die Einreise und die Ausweisung von Ausländern
strenger als je zuvor reglementiert. Die Fremden, um deren Arbeitskraft und
jugendliches Alter man gerade noch warb, geraten unter Generalverdacht. Ein
anderer Pass rechtfertigt künftig besonders unfreundliche Mittel – feindselige
Beobachtung auch von Amts wegen und zweierlei Bürgerrechte.
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Auch dieses zweite Gesetzesvorhaben der rot-grünen Koalition zeigt Spuren eines
Zermürbungsprozesses, dieses Mal provoziert durch künstlichen Zeitdruck und durch
die Schwäche einer liberalen Bürgerrechtsbewegung.“
Für Asylsuchende, im Asylverfahren Abgelehnte und viele der bislang Geduldeten
wird das geplante Zuwanderungsgesetz erhebliche Verschlechterungen mit sich
bringen. Es ist schwierig, aus der Vielzahl der diesbezüglich problematischen
Neuregelungen diejenigen hervorzuheben, die sich besonders negativ auf die
Situation der hier lebenden Menschen dieser Personengruppen auswirken. Sicher
ist, dass der geplante Ausschluss der im Asylverfahren als offensichtlich
unbegründet Abgelehnten von der Möglichkeit der Statusverbesserung eine
erhebliche Zahl von Menschen treffen wird. Sicher ist, dass mit der Erweiterung des
Abschiebungshaftsystems um das Element der Ausreiseeinrichtungen ein
bedeutsamer Schritt zur weiteren Entrechtung von Menschen gegangen wird, der –
entsprechend der Umsetzung durch die Bundesländer – eine schwer
prognostizierbare Zahl von Menschen betreffen kann. Sicher ist, dass die völlige
Abschaffung der Weisungsungebundenheit der Einzelentscheider beim Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Tür und Tor öffnet für einen
verstärkten politischen Durchgriff auf die Asylentscheidungspraxis. Die
Fortschreibung einer Abschreckungspolitik gegen Flüchtlinge, wie sie etwa in der
Gestaltung einer defizitären Lebenslage durch das Asylbewerberleistungsgesetz zum
Ausdruck kommt und durch die Neuregelungen noch erweitert wird, ist ein
katastrophales Signal der Ausgrenzung in einem Gesetzentwurf, der sich angeblich
der Integration verschrieben hat.
Den vielen Mängeln dieses Gesetzentwurfs steht als fast einzig unbezweifelbarer
Fortschritt die Anerkennung der nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen
Verfolgung als Asylgrund gegenüber.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 20. Dezember 2001 einer Vielzahl weiterer
Verschärfungsvorschläge zugestimmt, die der Bundesregierung zur Prüfung
zugeleitet worden sind. Unter anderem setzt sich der Bundesrat für weitere massive
Verschärfungen des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. Auch in anderer Hinsicht
folgt die große Mehrzahl der Vorschläge des Bundesrates dem Muster einer
repressiven Ausländerpolitik. Akzeptiert die Bundesregierung auch nur einen
Bruchteil der Vorschläge des Bundesrates, so verkehrt sich die ursprüngliche Absicht
des Zuwanderungsgesetzes vollends in ihr Gegenteil.
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