Erkenntnistheorie und Anthropologie:Das Leib-Seele

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Bildungsplan 2004
Allgemein bildendes
Gymnasium
Umsetzungsbeispiel für Philosophie
Kursstufe
Erkenntnistheorie und Anthropologie:
Das „Leib-Seele-Problem“ zwischen philosophischer
Tradition und aktuellen Herausforderungen
(Unterrichtseinheit)
Barbara Stewens
Karlsruhe
Januar 2006
LANDESINSTITUT FÜR SCHULENTWICKLUNG
Gymnasium
Das „Leib-Seele-Problem“
Bezüge zu den Bildungsstandards
In den Leitgedanken finden sich Überlegungen zu einem frage- bzw. problemorientierten
Ansatz im Philosophieunterricht. Somit geht es weniger um eine rein philosophiehistorische
Betrachtungsweise, sondern mehr um ein Modell, in dem Antworten der Tradition im
Dienste einer systematischen Problemerschließung geprüft werden. Bezugspunkte dieser
systematischen Erschließung sind gegenwartsrelevante Fragen besonders dort, wo eine
Verbindung zur lebensweltlichen Praxis der Schüler möglich wird. Auf diesem,
grundsätzlich
schülerorientierten
Erschließungsweg
können
die
spezifischen
philosophischen
Kompetenzen
im
Rahmen
eines
jeweils
angemessenen
Verständnishorizonts erworben bzw. eingeübt werden.
Diesen Gesichtspunkten –Schülerorientierung, Problemorientierung, Gegenwarts- und
Traditionsorientierung- versuchen die folgenden Umsetzungsbeispiele zu entsprechen:
Das so genannte Leib-Seele-Problem (Bildungsplan S. 450) interessiert Schüler auch in
völlig säkularen Kontexten, beginnend mit der uranthropologischen Frage, was nach dem Tod
eines Menschen geschieht, also nach der Sterblich- oder Unsterblichkeit der Seele. Hier das
eigene Vorverständnis, die eigene, unbewusste Wahrnehmung zu überprüfen und mögliche
Überzeugungen zu diskutieren, fördert „phänomenologische“ und dialogische
Kompetenzen.
Aktuellen Antworten zum Verhältnis von Körper bzw. Materie und Seele bzw. einer
geistigen, immateriellen Seite des Menschen begegnen die Schüler mehr oder weniger
implizit in den naturwissenschaftlichen Fächern und in narrativen Modellen, vor allem in
Science-Fiction-Erzählungen und SF-Filmen. Gentechnik, Hirnforschung und Künstliche
Intelligenz (Bildungsplan S. 450) beeindrucken weit mehr in narrativen
„Gedankenexperimenten“ als in der Sprache der Wissenschaft. Zu beiden „Sprachspielen“
sollen Verbindungen hergestellt werden, womit kreative und interdisziplinäre
Kompetenzen eingeübt werden.
Spätestens seit Platon verbindet philosophisches Denken erkenntnistheoretische und
anthropologische Fragestellungen – daher auch der Ansatz, beide Disziplinen, die im
Bildungsplan aus systematischen Gründen getrennt werden, in der Unterrichtsarbeit
zusammenzuführen. Auch in der aktuellen Debatte zur Hirnforschung ist die Verbundenheit
dieser Fragestellungen zu beobachten, da auffallend häufig mit den Begriffen „monistisches“
und „dualistisches“ Menschenbild operiert wird.
Evolutionäre Erkenntnistheorie (Bildungsplan S. 449) als eine einflussreiche Richtung
gegenwärtigen Philosophierens geht naturgemäß von einer monistischen Konzeption aus.
Eine „dialektische“ Auseinandersetzung mit diesem aktuellen Ansatz sowie mit antiken und
neuzeitlichen Modellen (Bildungsplan, S. 449) ermöglicht es den Schülern, hermeneutische
und analytische Kompetenzen zu erwerben.
Kurzbeschreibung
Die folgende UE umfasst ca. zehn Doppelstunden und kann ohne dezidierte Vorkenntnisse
der Schüler durchgeführt werde. Es wird von einer Gruppengröße von mindestens zwölf
Schülern ausgegangen.
Die Schüler erschließen kulturhistorisch über Text- und Bildmaterial das so genannte
mythische Weltbild sowie „phänomenologisch“ über Introspektion und Dialog die eigenen
Vorstellungen von der Erkennbarkeit der Welt und dem „Wesen“ der menschlichen Seele.
Nach einer ersten Auseinandersetzung lernen sie die erkenntnistheoretischen Texte der
philosophischen Tradition kennen und systematisieren diese unter den Gesichtspunkten
eines monistischen bzw. dualistischen Menschenbilds. Dabei problematisieren sie in der
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Das „Leib-Seele-Problem“
Diskussion besonders die einflussreiche Gegenwartsströmung einer evolutionären
Erkenntnistheorie.
Sie aktivieren Kenntnisse aus den naturwissenschaftlichen Fächern, um ansatzweise über
populärwissenschaftliche Vermittlungsformen die moderne Hirnforschung sowie ihre
philosophische Bedeutung zu erfassen und simulieren im Rahmen ihrer Möglichkeit die
kontroverse Auseinandersetzung mit diesen Themen.
Abschließend erfolgt eine analytische und produktiv-gestaltende Auseinandersetzung mit den
Gedankenexperimenten zeitgenössischer Science-Fiction , die darauf abzielt, implizite
anthropologische Modelle innerhalb dieses Genres zu entschlüsseln.
Übersicht (genauere Angaben zu Textmaterialien etc. im Anschluss an die Tabelle)
Std. Phase
Themen/Impulse
2 Hinführung - Formen des Totenkults in frühen Kul(A)
turen (Bilder/kurze Texte)
- Unsterblichkeitsglaube
- Annahme einer polytheistischen
„Hinterwelt“ zur Erklärung der Natur
und der menschlichen Existenz
- Überreste des mythischen Weltbilds
in eigenen Überzeugungen
Methoden/Sozialformen Kompetenzen
- Gruppenarbeit und Prä- hermeneusentation (u.U. Plakate) tische und
phänomeno- Unterrichtsgespräch,
logische
Tafelskizze
Kompetenzen
- Unterrichtsgespräch
4
Erarbeitung - Texte von Platon, Epikur, Descartes,
- Gruppenpuzzle: Bear(B)
Hume, Kant, G. Vollmer (EE) unter
beitung der Texte in
folgenden Fragestellungen:
Kleingruppen (mindes- Wie gelangt der Mensch zu gesichertens zwei Experten pro
tem Wissen?
Text)
- Über welche Fähigkeiten verfügt der
- Erstellen einer tabellaMensch und woher kommen diese?
rischen Übersicht in
- Klärung der Begriffe Rationalismus,
der Großgruppe (6 ExEmpirismus, Transzendentalphilosophie perten)
- Klärung der Begriffe Monismus und
- Unterrichtsgespräch
Dualismus sowie ihrer Implikationen
analytische
und kommunikative
Kompetenzen
2
Problemati- - Grenzen der Evolutionären Erkenntnissierung
theorie: Begriff des Mesokosmos
(C)
- Sammeln von Erkenntnissen, für die
keine evolutionäre „Passung“ konstruierbar ist
- Mögliche Folgerung: Grenzen monistischer Modelle
- Ausblick: „integrale Anthropologie“
- Textarbeit (Einzelarbeit
und Unterrichtsgespräch
(Skizze „Mesokosmos“)
- Partnerarbeit
analytische
und interdisziplinäre
Kompetenzen
Hinführung - Leben nach dem Tod bzw. Unsterblich(D)
keit der Seele: Konfrontation mit verschiedenen Positionen in Thesenform
- Selbstzuordnung zu diesen Positionen
- Klärung ihrer Konsequenzen
- Sammeln von Argumenten
- Systematische Prüfung der Argumente
- Einzelarbeit
2
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- Diskussion
- Lehrervortrag
argumentative Kompetenz
- Gruppenarbeit
- Diskussion
- Unterrichtsgespräch
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5
Erarbeitung - zwei kontroverse Texte zum Thema
und Proble- Hirnforschung
matiserung - Erarbeitung des Menschenbilds der
(E)
Autoren der Texte
- Vorbereitung einer Diskussion
- Inszenierung einer Diskussion
Transfer
- einzelne Sequenzen aus den Filmen
und Gestal- „Artifical Intelligence“ und „I, Robot“
tung
- Definition “Gedankenexperiment”
(F)
- Definition “Science Fiction”
- implizite Anthropologie: 1. „A.I.“:
Bewusstsein der eigenen Unvollkommenheit, der „Erlösungsbedürftigkeit“
als Merkmal von „Seele“, als „Humanum“; 2. „I, Robot“: Der Wunsch nach
einmaliger Individualität als Merkmal
von „Seele“ und Motor für „humanes
Verhalten“
- Bedeutung des Wunsches, mittels künstlicher Intelligenz auch „Seelen“ zu erzeugen
- Entwurf einer SF-Erzählung oder eines
SF-Drehbuchs als narrative Ausgestaltung eines Gedankenexperiments, z. B.
im Rahmen der aktuellen Spekulationen
zu künftigen Möglichkeiten der Hirnforschung
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Das „Leib-Seele-Problem“
- Gruppenarbeit
interdisziplinäre und
kommunikative Kompetenzen
- Diskussion
- Filmanalyse 1, Gruppenarbeit
- Unterrichtsgespräch
analytische
und kreative
Kompetenzen
- Filmanalyse 2, Diskussion
- Unterrichtsgespräch
- Partner- oder Gruppenarbeit
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Das „Leib-Seele-Problem“
Literaturhinweise
Zu (A)
- Bilder und Texte zu ägyptischen und bronzezeitlichen Kulten (Geschichtsbücher)
- Texte von Homer und Hesiod zur mythischen „Hinterwelt“
Zu (B)
- Platon: Höhlengleichnis, Liniengleichnis (Politeia), Erkenntnisstufen (Symposion)
- Epikur: Werkfragment 6 II, Brief an Herodot (Abschnitte 65 –67, griech.-dt. ReclamAusgabe)
- Descartes, Hume, Kant: „kanonische“ Texte in : Volker Steenblock: Faszination
Denken. Eine Einführung in die Philosophie. München 2000 (bsv)
- Evolutionäre Erkenntnistheorie: Gerhard Vollmer: Biophilosophie. Stuttgart 1995
(Reclam)
Zu (C)
- (Grenzen der EE) Ernst Peter Fischer: Die andere Bildung. Berlin 2001, S. 350-S. 352
Zu (D)
- Leib-Seele: Übersicht z. B. bei Popper/Eccles: Das Ich und sein Gehirn. München
1984, S. 189-S. 259
- Carrier, Martin; Mittelstraß, Jürgen: Geist, Gehirn, Verhalten. Das Leib-SeeleProblem und die Philosophie des Psychologie. Berlin 1989
- Platon: Phaidon
Zu (E)
- Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit . Frankfurt 2004 (dort z.B.
die Aufsätze von Wolf Singer und Ebehard Schockenhoff)
Zu (F)
- Engels, Helmut: „Nehmen wir an...“. Das Gedankenexperiment in didaktischer
Absicht. Weinheim 2004
- Thomas Macho u. A.Wunschel (Hrsg.): Science & Fiction. Über
Gedankenexperimente in Wissenschaft, Philosophie und Literatur. Frankfurt 2004
- Hans Ludwig Freese: Abenteuer im Kopf. Philosophische Gedankenexperimente.
Weinheim 1995
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