12. Landesfachtag Wirtschaft/Politik Veranstaltungsnr.: WIP 0117 Workshop B Gemeinsame Wege aus der Euro-Krise – Abwertung oder Strukturreform? Eine Unterrichtseinheit für den 12. Jahrgang Referentin: Stella Krüger Ablauf 1. Begrüßung und Überblick 2. Didaktische Einleitung zum Thema Förderung der reflektierten Urteilskompetenz anhand von Zielkonflikten 3. Fachliche Einleitung zum Gegenstand der fiktiven Unterrichtseinheit 4. Arbeitsphase 5. Sammelphase und Austausch 6. Feedback Arbeitshinweise: Die Arbeitsphase beinhaltet folgende Leitpunkte, anhand derer die Unterrichtssequenz geprüft werden soll: a. Formulieren Sie notwendige unterrichtliche Voraussetzungen, sowohl inhaltliche als auch in Hinblick auf die Operatoren. b. Halten Sie fest, inwieweit die Methoden geeignet sind, den Zielkonflikt für die Schülerinnen und Schüler zu verdeutlichen sowie die reflektierte Urteilskompetenz zu fördern. c. Überlegen Sie, inwieweit Ihnen Materialauswahl und der -Umfang geeignet erscheinen. d. Überprüfen Sie die Operatoren hinsichtlich des Ziels der Vertiefung der reflektierten Urteilskompetenz. e. Formulieren Sie ggf. zu b., c. und d. Alternativen oder Ergänzungen. Bitte lesen Sie sich die Materialien im Vorfeld einmal durch. Machen Sie sich gerne schon Notizen zu den Leitpunkten. Weiterführende Ideen, Denkanstöße und Materialverweise sind in der Arbeits- und Sammelphase willkommen. UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa UE-Konzept 12.2: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Skizze einer möglichen Unterrichtseinheit: Std. Arbeitsbögen Vorbereitende HA 0. Block Abo1: HA Staatsanleihenkauf der EZB Abo2: Anleihenkäufe der EZB – Staatsdroge 1. Block oder wichtige Stabilisierungsmaßnahme? HA Vorbereitende HA Abo3: Die Grenzen der reinen Enthaltsamkeit: Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertung oder Strukturreform? Abo3: Die Grenzen der reinen Enthaltsamkeit: Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch 2. Block Abwertung oder Strukturreform? Abo4: Tabelle Operatoren Erklären des Sachverhaltes Beurteilen mithilfe bekannten Wissens (Voraburteil) Stellen Sie ... gegenüber Vertiefung des Sachverhaltes, unterschiedliche Betroffenheiten, wirtschaftliche und (geld-) politische Ebene Beurteilen mithilfe der neuen Kenntnisse, Hinführung zum Zielkonflikt. („Sparen“ sinnvoll?) Stellen Sie dar:AO/NO-Positionen herausarbeiten, (ggf.) arbeitsteilig und Argumente im Sinne von Wirkungszusammenhängen (-Ketten) aufzuzeigen. Verdeutlichen Sie den Zielkonflikt sowie dahinter stehende Positionen und Argumentationen. Staatsund Menschenbild ableiten. Nehmen Sie Stellung: differenziert (Ebenen) und reflektiert (Wertvorstellungen). (Entscheiden Sie). Urteilskompetenz Zuwachs an Differenziertheit des Urteils (Argumente, Ebenen) Zuwachs an Reflektiertheit des Urteils (Perspektivität und Wertvorstellung) Nehmen Sie Stellung. Zunächst innerhalb einer zugeteilten Abo5: (ggf. der eigenen Präferenz Abwertung oder Strukturreform – was entgegengesetzten) Position. 3. Block ist die richtige wirtschaftspolitische In der anschließenden Strategie für Europa? Auswertung dann die Reflexion Pro-Contra-Debatte der eigenen bevorzugten Vorstellung. 4. Block Ggf. Klassenarbeit Anhang: Lose Materialsammlung als Möglichkeiten für eventuelle - Vertiefungen - Einstiege - Klassenarbeit - ... UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Wirtschaft/Politik 12.2 Abo1 Staatsanleihenkauf der EZB Vorbereitende Hausaufgabe Aufgaben: 1) Erklären Sie das System der Staatsanleihenkäufe durch die EZB, indem Sie auf deren Bedingungen, Zielsetzung sowie mögliche Vor- und Nachteile für unterschiedliche Akteure eingehen. 2) Beurteilen Sie mithilfe Ihrer geldpolitischen Kenntnisse und Ihres Wissens zur Zielsetzung der EZB die Entscheidung der EZB, Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe zu kaufen. M1 Was darf die Europäische Zentralbank? 1 5 10 15 20 25 30 35 40 1 Die EZB will den kriselnden Eurostaaten helfen und künftig Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe kaufen. Doch was bedeutet das? Und: Warum ist die Entscheidung so umstritten? Die wichtigsten Fragen zum Beschluss der Euro-Notenbanker im Überblick. Können Schuldenstaaten sich jetzt Geld bei der EZB besorgen? Nein. Die EZB hat angekündigt, Staatspapiere auf dem Sekundärmarkt, also dem Zweitmarkt, aufzukaufen. Das heißt, sie kauft Staatspapiere auf, die vorher im Besitz von jemand anderem waren, etwa einem Sparer, einem Pensionsfonds oder einer Bank. In der Vergangenheit kaufte sie diese Papiere stets zu einem Kurswert auf, der deutlich unter 100 Prozent lag. Die Frage ist, zu welchem Kurs sie künftig kaufen wird. Allerdings sorgt schon die Ankündigung der EZB, dass sie solche Papiere notfalls unbegrenzt aufkaufen will, für höhere Kurse. Denn die Notenbank sorgt so für eine höhere Nachfrage nach diesen Papieren, und das treibt den Preis, also: den Kurs. Dadurch sollen die Risikoaufschläge sinken, die die Staaten ihren Gläubigern in Form von Zinsen zahlen müssen. Bricht die EZB damit Europäisches Recht? Nein. Die EZB beruft sich auf Artikel 18 ihres Statuts.1Danach ist es der EZB erlaubt, „börsengängige Wertpapiere“ zu kaufen oder zu verkaufen. Staatsanleihen sind börsengängige Wertpapiere. Allerdings wurde diese Vorschrift bei der Aufstellung des Statuts nicht zu dem Zweck geschaffen, die Kurse von Anleihen angeschlagener Eurostaaten zu stabilisieren. Aber ist das nicht Staatsfinanzierung, die der EZB verboten ist? Nein. Jedenfalls nicht direkt. Genau genommen sichert die EZB diejenigen ab, die als Käufer, also als Sparer oder Investoren Staatsanleihen kaufen. Sie werden dadurch zum Kauf von Staatsanleihen ermutigt, denn sie können nun sicher sein, dass sie ihre Papiere jederzeit wieder verkaufen können, und zwar wahrscheinlich zu einem guten Kurs. Denn das Ziel der EZB - und das ist natürlich ein Stück Planwirtschaft - ist, die Zinslast für die Schuldenstaaten zu verringern. Richtig ist allerdings, dass die EZB dadurch, dass sie die Staatsanleihen kauft, ein erhebliches Risiko übernimmt für den Fall, dass Staaten diese Anleihen nicht zurückzahlen können. Aber durch ihr Aufkaufprogramm verringert die EZB die Gefahr, dass die betroffenen Staaten pleite gehen. Warum dann die Bedenken? Auch wenn die EZB nicht in die direkte Staatsfinanzierung einsteigt: Eine indirekte ist es dennoch. Und wie so oft im Leben ist nicht nur wichtig, was man tut, sondern auch, warum man es tut. Die Stabilisierung von Staaten ist nicht die Aufgabe der EZB. Und auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass der Schadensfall wirklich eintritt: Sie übernimmt - ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein - mit den Staatsanleihen Risiken, für die letztendlich die Steuerzahler einstehen müssen. Außerdem muss die EZB für ihre Anleihekäufe neues Geld drucken. Das vergrößert zunächst das Potenzial, also die Möglichkeit für Inflation. Deshalb versprach die EZB, dass sie diesen Effekt „sterilisieren“ will, indem sie an anderer Stelle genau so viel Geld wieder abschöpft. Man wird sehen, ob sie diese Ankündigung einlöst. Last not least: Die Entscheidung der EZB steht ja nicht für sich allein. Im Zuge der Finanzkrise wurden schon einige Grundsätze aufgegeben, die eigentlich für den Euro galten. Jetzt ist wieder einer gefallen, nämlich das Verbot der Staatsfinanzierung. Die Frage drängt sich auf: Was kommt als nächstes? Muss Deutschland das alles ohnmächtig hinnehmen? Ganz und gar nicht, jedenfalls dann, wenn die EZB ihre eigene Entscheidung ernst nimmt. Danach will sie ja nur Anleihen solcher Staaten kaufen, die erstens Hilfe vom dauerhaften Euro Rettungsschirm ESM beantragt haben, zweitens ein Reformprogramm vereinbart haben und bei denen drittens der ESM auf dem http://www.ecb.int/ecb/legal/pdf/c_08320100330de_ecb_statute.pdf UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa 45 50 55 65 70 75 Primärmarkt, also direkt von den jeweiligen Staaten, Anleihen kauft. Ob der ESM Staatsanleihen kauft, wird im Gouverneursrat des ESM entschieden, und zwar mit mindestens 80 Prozent der Stimmen, die sich nach den Kapitalanteilen richten. Deutschland hat mehr als 20 Prozent Stimmanteile, kann also jede Entscheidung blockieren. Der deutsche Gouverneur im ESM, also der Finanzminister oder sein Vertreter, muss die Zustimmung des Bundestages einholen. Eine andere Frage ist, ob der Bundestag im Zweifelsfall dem - in so einer Entscheidungssituation mit Sicherheit starken - Druck aus Europa politisch widerstehen könnte. Übrigens zeigt die Abstimmung im Zentralbankrat der EZB, was „mehr Europa“ im Zweifelsfall bedeuten kann: So, wie die Mehrheiten in Europa sind, kann auch der größte Zahler leicht überstimmt werden. Die Hilfe der EZB ist also an Kriterien gebunden. Kann man denen vertrauen? Wenn sich die EZB an ihre eigene Entscheidung hält, lautet die Antwort „ja“. Die Erfahrung in der europäischen Politik zeigt leider, dass gerade bei wichtigen Entscheidungen die angeblich so strengen Kriterien bei Bedarf locker vom Tisch gewischt werden. Das war so bei der Aufnahme von Mitgliedstaaten in die Eurozone, und das war auch so bei der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die EU. Hier ist die EZB den (besseren) Beweis schuldig. Dasselbe gilt auch für die europäische Politik. Der Druck aus den Mittelmeerstaaten, die erforderlichen Anpassungsprogramme nicht allzu strikt zu formulieren, ist jetzt schon groß. Der letzte Eurogruppen-Gipfel beschloss bereits eine weichere Linie. Mit anderen Worten: Die EZB verlangt ein Reformprogramm, sagt aber nichts über dessen notwendige Qualität. Nur die Bundesbank hat gegen die EZB-Entscheidung gestimmt. Wie isoliert ist Deutschland? Offenkundig ist die Bundesbank im Moment sehr isoliert. Aber das ist nicht das eigentliche Problem. Alle, die jetzt nach vermeintlich leichten Wegen zur Überwindung der Krise suchen, übersehen einen Widerspruch, in dem sie sich befinden. Sie wollen - platt gesprochen – „deutsche“ Zinsen, aber sie wollen sie mit „italienischer“ (oder „spanischer“ oder...) Politik. Früher, zu D-Mark-Zeiten, bestimmte niemand, dass die Bundesbank die beherrschende Zentralbank Europas werden sollte. Das war das Resultat ihrer Geldpolitik. Die hatte auch dafür gesorgt, dass Deutschland (und ein paar Nachbarn, die eine ähnliche Politik verfolgten) meistens niedrigere Zinsen hatten als andere Länder. Diese niedrigeren Zinsen für alle Europäer zu ermöglichen - das war eines der Ziele, das mit der Einführung des Euro verbunden war. Aber auf die Dauer ist das nur möglich, wenn die Zentralbank die entsprechende Politik betreibt, und das ist jedenfalls derzeit - nicht der Fall. Krause, Rolf-Dieter, ARD Brüssel , Stand: 07.09.2012: Fragen und Antworten: Was darf die Europäische Zentralbank?, tagesschau.de (abgerufen am 02.01.2013). UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Wirtschaft/Politik 12.2 Abo 2 Anleihenkäufe der EZB – Staatsdroge oder wichtige Stabilisierungsmaßnahme? Aufgaben: 1) Stellen Sie die Positionen von M1 und M2 schematisch hinsichtlich Chancen und Gefahren von Anleihenkäufen für die europäische Geldpolitik, Griechenland sowie Deutschland gegenüber. 2) Beurteilen Sie in Auseinandersetzung mit Z.33-37 sowie Z.51-56 in M2, inwieweit „weitere Sparmaßnahmen“ „sinnvoll“ sind. M1 Bundesbank-Chef Weidmann greift EZB wegen Anleihekäufen an 1 5 10 15 20 25 30 Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat die Pläne der Europäischen Zentralbank (EZB) für ein neues Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen ungewöhnlich scharf kritisiert. „Eine solche Politik ist für mich zu nah an einer Staatsfinanzierung durch die Notenpresse“, sagte Weidmann dem Spiegel. Die grundlegenden Probleme löse man auf diese Weise nicht. „Der Geldsegen der Zentralbanken würde anhaltende Begehrlichkeiten wecken“, sagte der Bundesbank-Chef. „Wir sollten die Gefahr nicht unterschätzen, dass Notenbankfinanzierung süchtig machen kann wie eine Droge.“ Im Mai 2010 hatte die EZB gegen deutschen Widerstand ein Kaufprogramm für Staatsanleihen aufgelegt. [...] Die Bundesbank kritisiert die Ankäufe als unzulässigen Versuch, mit Mitteln der Geldpolitik Staaten zu finanzieren. Die EZB hatte Anfang August [2012] schließlich signalisiert, unter bestimmten Bedingungen wieder Bonds von Euro-Krisenländern zu kaufen. Damit will die Notenbank erreichen, dass Schuldenländer keine überhöhten Zinsen an Investoren zahlen müssen. Als wichtige Voraussetzung nannten die Währungshüter einen Hilfsantrag der Länder beim EU-Rettungsfonds. Bundesbank-Präsident Weidmann hatte im EZBRat gegen den Plan von EZB-Chef Mario Draghi gestimmt. Nach Auffassung Weidmanns sollten in Demokratien „über eine so umfassende Vergemeinschaftung von Risiken die Parlamente entscheiden und nicht die Zentralbanken“. Der Bundesbank-Präsident sieht auch die Unabhängigkeit der EZB in Gefahr: Auf den zweiten Blick falle auf, dass es bei den Plänen „auf abgestimmte Aktionen der staatlichen Rettungsschirme und der Notenbank hinausläuft. Dadurch entsteht eine Verknüpfung von Fiskal- und Geldpolitik“, sagte er. Er wolle „vermeiden, dass die Geldpolitik unter die Dominanz der Fiskalpolitik gerät“. Eine unmittelbare Inflationsgefahr, deren Bekämpfung die Kernaufgabe der EZB ist, sieht Weidmann nicht. „Aber wenn sich die Geldpolitik als umfassender politischer Problemlöser einspannen lässt, droht ihr eigentliches Ziel mehr und mehr in den Hintergrund zu rücken.“ Weidmann warnt deshalb davor, die EZB zu verpflichten, „den Verbleib von Mitgliedsländern in der Euro-Zone um jeden Preis zu garantieren“. Bei der Entscheidung über einen möglichen Austritt Griechenlands müsse „sicherlich auch eine Rolle spielen, dass kein weiterer Vertrauensschaden am Rahmenwerk der Währungsunion entsteht und die wirtschaftspolitischen Auflagen der Hilfsprogramme ihre Glaubwürdigkeit behalten“. Gegen Kritik an seiner offensiven Kommunikationspolitik in den vergangenen Monaten wehrt sich Weidmann: „Wir Notenbanker agieren derzeit in einem Grenzbereich, und dabei treten immer mehr grundlegende Fragen auf. Deshalb müssen wir auch bereit sein, unsere Überzeugungen, die wir im Rat vertreten, öffentlich zu erläutern“, sagte Weidmann. „Der EZB-Rat ist kein Politbüro“. [...] Abgerufen unter: http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-08/weidmann-ezb-anleihekaeufe (am 03.01.2013). M2 Wirtschaftsweiser Bofinger plädiert für EZB-Staatsanleihenkauf 1 5 Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat sich in der zugespitzten Lage für den Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) ausgesprochen. „Kurzfristig führt kein Weg an der Europäischen Zentralbank vorbei“, sagte Bofinger im Interview mit dem Wall Street Journal Deutschland in Berlin. Positiv beurteilte Bofinger die Andeutungen von EZB-Präsident Mario Draghi, dass die EZB nun doch wieder bereit sein könnte, weitere Staatsanleihen von überschuldeten Euroländern zu kaufen. „Es ist gut, dass EZB-Präsident Draghi die Bereitschaft zu einem Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB hat erkennen lassen“, sagte Bofinger. Der EZB-Präsident hatte am Donnerstag bei einer Konferenz in London darauf verwiesen, dass hohe Risikoaufschläge bei bestimmten Staatsanleihen die von der EZB beabsichtige Geldpolitik behinderten. Das Grundproblem der vergangenen Wochen und Monate sei, dass UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa 10 Länder wie Spanien und Italien, die sich seit Monaten mit sehr großer Energie um die Konsolidierung ihrer Staatshaushalte bemüht hätten, von den Märkten einfach nicht zu angemessenen Zinsen Geld bekämen. Dabei sei Italien das zweitsolideste G7-Land, es habe ein deutlich niedrigeres Defizit als Großbritannien. Dennoch müsse Italien wesentlich höhere Zinsen als Großbritannien zahlen. Hier liege eine ganz massive Störung der Märkte vor. Problematisch ist aus Sicht des Wirtschaftsweisen, dass durch 15 diese Marktstörung die Reformanstrengungen unterlaufen werden. Die Durchsetzung weiterer politischer Maßnahmen werde bei den Menschen immer schwieriger, weil diese sagten, das Sparen bringe ohnehin nichts. „Wenn wir nicht einfach zusehen wollen, wie diese destabilisierenden Marktprozesse immer stärker werden, dann ist die EZB derzeit die einzige voll handlungsfähige Institution im Euroraum“, sagte Bofinger. Der Wirtschaftsweise rechnet schon in nächster Zeit mit entsprechenden Schritten der EZB. „Da 20 ich davon ausgehe, dass EZB-Präsident Draghi weiß, was er sagt, wird er seinen Worten auch entsprechende Taten folgen lassen, sonst würde er seine Glaubwürdigkeit verlieren“, sagte das Mitglied im Sachverständigenrat zur wirtschaftlichen Entwicklung, der auch die Bundesregierung berät. Der Wirtschaftsweise bezeichnete Anleihekäufe von Notenbanken als ein ganz normales Instrument. Selbst die deutsche Bundesbank habe in den 70er-Jahren im Milliardenumfang Bundesanleihen gekauft, 25 um die langfristigen Zinsen in Deutschland zu drücken. Bofinger beurteilt den EZB-Staatsanleihenkauf auch als weniger problematischen Lösungsweg als die gegenwärtig angestellten Überlegungen, über den europäischen Rettungsschirm EFSF spanische Staatsanleihen zu kaufen. Der EFSF[, der 2013 ausläuft,] habe gar nicht mehr so viele Mittel zur Verfügung. Skeptisch sieht Bofinger zudem, dass beim Gipfel festgelegt worden sei, dass ein EFSF-Anleihenkauf nach wie vor mit Anpassungsprogrammen verbunden 30 werde. Diese seien jedoch mit negativen Signaleffekten verbunden, sagte der Wirtschaftsweise. „Aus meiner Sicht besteht aber für Spanien wie für Italien überhaupt keine Notwendigkeit für ein zusätzliches makroökonomisches Anpassungsprogramm“. Es stelle sich die Frage, ob es sinnvoll sei, weitere Sparmaßnahmen zu beschließen, wenn sich ein Land in der Rezession befinde. Griechenland sei ein aktuelles Beispiel für die destabilisierenden Effekte eines 35 solchen Vorgehens. „Man sollte deshalb in den Problemländern mit weiteren Sparmaßnahmen warten, bis die Konjunktur wieder Tritt gefasst hat“, forderte Bofinger. Andernfalls laufe man Gefahr, noch weitere Griechenlands zu bekommen. Als langfristig ausgerichteten Lösungsansatz nennt Bofinger den vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds. Die Idee dahinter sei, einen „Rahmen für eine Gemeinschaftshaftung zu schaffen“, sagte Bofinger. Den Widerstand der Bundesregierung gegen 40 diesen Vorschlag des Sachverständigenrates erklärt sich Bofinger dadurch, dass „Gemeinschaftshaftung in Deutschland ein rotes Tuch“ sei. Die Bevölkerung sei schon gegenüber dem künftigen europäischen Rettungsschirm ESM sehr negativ eingestellt. Das momentane Problem bestehe darin, dass der deutschen Öffentlichkeit die Risiken, die aus einem möglichen Auseinanderbrechen des Euroraumes entstünden, überhaupt nicht bewusst seien. „Man sieht zwar alle möglichen Risiken der Gemeinschaftshaftung, aber 45 man erkennt nicht, dass eine Rückkehr zur D-Mark mit sehr viel größeren Risiken, insbesondere für unsere Exporte und unsere Arbeitsplätze verbunden wäre“, sagte Bofinger. Das Besondere an dem vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds sei, dass „keine dauerhafte Gemeinschaftshaftung geschaffen wird, sondern über einen Zeitraum von 25 Jahren eine vollständige Tilgung der in gemeinschaftlicher Haftung begebenen Schulden vorgesehen ist“, sagte Bofinger. Zudem 50 seien sehr umfangreiche Absicherungsmechanismen vorgesehen. [...] „Wir sind in einer Situation, die bedrohliche Tendenzen auch für Deutschland aufweist“, warnte das Mitglied des Sachverständigenrates. Zugleich warb der Wirtschaftsweise für mehr Geduld mit Griechenland. Das Land habe in den letzten drei Jahren mehr gespart als alle anderen Länder. Das habe Griechenland in die wirtschaftliche Depression geführt. „In einer solchen Lage sollte man mehr Geduld 55 mit Griechenland haben, da niemand ein Interesse daran haben kann, das in Griechenland ein ökonomisches und politisches Chaos ausbricht“, sagte der Wirtschaftsweise. Etwas Geduld werde sich am Ende für alle Beteiligten auszahlen. „Ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro wäre mittelfristig schlimmer für den Euroraum als für Griechenland, weil damit ein destabilisierender Prozess für die anderen Problemländer ausgelöst wird, der dann kaum noch zu 60 kontrollieren ist“, sagte Bofinger im Interview mit dem Wall Street Journal Deutschland. Preuschoff, Beate: Wirtschaftsweise Bofinger plädiert für EZB-Staatsanleihenkauf, 27.07.2012, http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2012-07/24164471-wirtschaftsweiser-bofinger-plaediert-fuer-ezbstaatsanleihenkauf-015.htm (abgerufen am 03.01.2013). UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Wirtschaft/Politik 12.2 Abo3 Die Grenzen der reinen Enthaltsamkeit: Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertung oder Strukturreform? Vorbereitende Hausaufgabe Aufgabe: 1) Stellen Sie eine der zwei zentralen Positionen zur Sparpolitik und deren Argumente in Wirkungszusammenhängen (wenn..., dann...) dar. M1 Europa glaubt nicht mehr ans Sparen 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 [...] [François Hollande] hat angekündigt, die von Deutschland gemeinsam mit dem bisherigen Amtsinhaber Nicolas Sarkozy durchgesetzte Sparpolitik zu hinterfragen - und mit dem Prinzip der reinen Enthaltsamkeit, von Ökonomen „Austerity“ genannt, Schluss zu machen. Hollande will zudem Druck auf die Europäische Zentralbank (EZB) ausüben, neben dem Ziel der Geldwertstabilität auch die Wachstumsförderung in ihre Statuten aufzunehmen. Nur Sparen reicht nicht Für Euroland wäre das ein Paradigmenwechsel: Die Akteure der Rettungsaktionen stellen sich auf die neue Lage vorsorglich jetzt schon ein. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel lässt durchsickern, sie könne sich eine „Ergänzung“ der Sparprogramme durch eine Wachstumskomponente vorstellen. Der Brüsseler Währungskommissar Olli Rehn kündigte [...] einen „Europäischen Investitionspakt“ an. Und der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, warnte: „Sparen allein kann die Probleme nicht lösen.“ Es geht um die grundsätzliche wirtschaftspolitische Linie. Lange Zeit galt Sparen - wenn auch zähneknirschend - als „alternativlos“. Um die Malaise der hochverschuldeten Staaten im Süden Europas in den Griff zu bekommen, müssen ihnen strenge Sparprogramme verordnet werden, hieß es. Weniger Staatsausgaben, höhere Steuern - oder gleich beides. Das tut weh, so die Befürworter, aber ohne geht es nicht. Und zusätzlich sollen verkrustete Strukturen aufgebrochen werden. Nervenzehrende Rezession Griechenland, Portugal, Spanien und Italien haben sich jetzt einige Zeit zu sparen bemüht, durchleiden aber eine nervenzehrende Rezession - mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,8 Prozent in Spanien oder 4,7 Prozent in Griechenland. Nun bekommen die Anhänger des gegenteiligen Rezepts Oberwasser. Nicht durch Sparen könnten die notleidenden Staaten ihre Wirtschaft in Gang bringen, sagen Ökonomen wie der Nobelpreisträger Paul Krugman, sondern indem sie ihre Ausgaben erhöhen. Sparen werde für Südeuropa zur „selbstzerstörerischen Strategie“, so Krugman, weil mit einem Rückgang der öffentlichen Aufträge die Wirtschaftsleistung schrumpfe. Damit sänken die Steuereinnahmen - und anschließend müsse noch mehr gespart werden. In der Ökonomie gibt es, wie stets, Argumente für beide Seiten. Die einen berufen sich auf den britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der in Schwächephasen für staatliche Ausgabenprogramme plädierte, um die Wirtschaft anzukurbeln. „Liquiditätsfalle“ nennen die Keynesianer eine Lage, in der sich die Wirtschaft nicht mehr aus der Abwärtsspirale befreien kann: Unternehmen investieren nicht, obwohl sie billig Geld leihen könnten. Dann ist der Staat gefragt. Richtiges Timing Die anderen berufen sich auf die sogenannte neoklassische Wachstumstheorie. Ausgeglichene Staatshaushalte halten sie für die beste Voraussetzung wirtschaftlichen Aufschwungs. Konjunkturprogrammen billigen sie nur unter sehr bestimmten Umständen Erfolgschancen zu. Das Timing ist dabei wichtig, den richtige Zeitpunkt verpasst man bei Konjukturprogrammen aber fast immer. Außerdem muss ein Staat finanzielle Spielräume haben. Das wäre höchstens für Länder wie Deutschland interessant. Aber dort ist die Bereitschaft nicht sonderlich hoch, für den Süden noch mehr zu zahlen. Schließlich hilft auch ein Konjunkturprogramm wenig, wenn andere Faktoren das Wachstum behindern. „In Spanien haben wir es mit einem nicht funktionierenden Bankensystem zu tun und mit schweren Störungen im Arbeitsmarkt“, sagt Clemens Fuest, Ökonomieprofessor in Oxford. „Diese Probleme müssen behoben werden.“ Dementsprechend beteuern in Deutschland alle Parteien mit Ausnahme der Linken, eine Abkehr von der Haushaltssanierung und den Strukturreformen werde es nicht geben. Kein Wunder: Nach dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend sind auch 53 Prozent der SPD-Anhänger fürs Festhalten am strengen Sparen, bei den Grünen sogar 58 Prozent und bei CDU/CSU 63 Prozent. „Natürlich müssen viele Länder in Europa ihre Arbeitsmärkte flexibilisieren, natürlich müssen wir in Europa Staatsbetriebe privatisieren“, sagt etwa SPD-Chef Sigmar Gabriel. „Aber wir müssen das sozial begleiten.“ UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa 50 55 60 65 70 75 80 85 Ein neues Zauberwort Das neue Zauberwort heißt „Ergänzung“. Beim Fiskalpakt soll es bleiben, trotzdem will man in Berlin und Brüssel einem Präsidenten Hollande und der neuen Stimmung in Europa entgegenkommen. Schon länger ist die Rede davon, nicht abgerufene EU-Strukturhilfen auch ohne Eigenbeteiligung an die Krisenländer auszuzahlen. Jetzt soll auch das Kapital der Europäischen Investitionsbank (EIB) aufgestockt werden – ein Schritt, den Kanzlerin Merkel bislang abgelehnt hatte. Offen ist weiterhin, ob und in welcher Form eine neue Finanzmarktsteuer kommt, um die Kritiker zu besänftigen. Ein klassisches, schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm lehnt in Deutschland aber auch die SPD ab. „Es geht nicht um eine Abwrackprämie“, sagt Gabriel. Deutsche Ökonomen warnen davor, ein Paradigmenwechsel in der EuroPolitik könne schwersten Schaden hervorrufen. „Der Grund der Krise und der Rezession ist ein Verlust an Vertrauen in die Fähigkeit der Euroländer, die Erfordernisse für eine Währungsunion zu erfüllen“, sagt Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. „Dazu gehören fiskalpolitische Disziplin und flexible Arbeitsmärkte.“ Die Rezession könne nur überwunden werden, wenn Vertrauen wiederhergestellt werde. „Dazu sind solide Staatsfinanzen und strukturelle Reformen nötig.“ Vertrauen als Ziel Mit dem Vertrauen argumentieren allerdings beide Seiten. Nur wenn gespart wird und alle im Land auf die künftige Zahlungsfähigkeit des Staates vertrauen können, kann die Wirtschaft wieder wachsen, sagen die einen. Nur wenn die Wirtschaft vom Staat angekurbelt wird und man hoffen kann, dass alles nicht nur immer schlimmer wird, werden die Menschen wieder Vertrauen schöpfen, sagt die Gegenseite. Auch historische Beispiele finden die Vertreter beider Schulen zuhauf. „Es gibt historische Beispiele für Länder, in denen man versucht hat, trotz der Krise Staatsausgaben zu kürzen und den Haushalt zu sanieren“, sagt Oxford-Ökonom Clemens Fuest. „Das ist manchmal gutgegangen - etwa in Dänemark 1982 oder in Irland 1987 bis 1989. Manchmal aber auch nicht, zum Beispiel in Irland 1982.“ Damals blieb in dem Land die wirtschaftliche Lage trotz Sparkurs mau, die Inflation war hoch, und Arbeitslosigkeit drückte das Land. Konjunkturprogramme müssen nicht altruistisch sein und sind auch nicht rausgeschmissenes Geld, sagen die Keynesianer: Sie helfen auch den Helfern. Denn in der vergangenen Woche meldete der deutsche Maschinenbau einen kräftigen Einbruch der Auftragseingänge aus Südeuropa. Ebenso ergeht es der französischen Automobilindustrie, die traditionell viele kleine Autos nach Spanien und Italien verkauft. Allerdings waren die Erfahrungen mit Konjunkturprogrammen in der ersten Phase der Finanzkrise eher ernüchternd. Von der Abwrackprämie in Deutschland profitierten eher Produktionsländer mit niedrigen Löhnen wie Polen, Tschechien und Rumänien. Keine Delle, eine Strukturkrise Wenn man nach den Chancen von Konjunkturprogrammen in Südeuropa fragt, muss man sich vor allem mit den Ursachen der Krise befassen. Die Krise ist keine kurzfristige Delle, die es nur zu überbrücken gilt, sondern eine tiefgreifende Strukturkrise. Der Euro hat dazu geführt, dass Produkte und Dienstleistungen in Südeuropa zu teuer geworden sind, ohne dass die Länder ihre Währung abwerten könnten. „An der Austerity-Strategie von Ländern, die mit fremdem Kredit über ihre Verhältnisse gelebt haben, führt kein Weg vorbei“, sagt der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. „Ich würde die Länder nicht daran hindern, sich zu verschulden, wenn sie das auf eigenes Risiko machen wollten.“ Das Problem sei nur, dass sie sich nach Jahren des billigen privaten Kredits aus dem Ausland nun mit öffentlichem Kredit der Staatengemeinschaft weiter verschulden wollten. „Ich will gerne zugeben, dass die Entsagung von der süßen Droge des Kredits Schmerzen verursacht“, sagt Sinn. Nur sehe er keine Alternative dazu. „Das Geld wächst nicht auf den Bäumen.“ [...] Bollmann, Ralph/ Siebenbiedel, Christian (05.05.2012): Europa glaubt nicht mehr ans Sparen, abgerufen unter: http://www.faz.net/-gqu-6zn6v (abgerufen am 09.01.2013). UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Wirtschaft/Politik 12.2 Abo3 Die Grenzen der reinen Enthaltsamkeit: Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertung oder Strukturreform? Unterricht - Verlaufsskizze Aufgaben: 1) Positionieren Sie sich spontan – Sparen oder Schulden machen? 2) Verdeutlichen Sie auf Grundlage Ihrer Kenntnisse (vor allem M1) den bestehenden wirtschaftspolitischen Zielkonflikt in Europa. (Abo4 Tabelle) 3) Stellen Sie die Positionen sowie die Argumente der jeweiligen Zielvorstellung heraus. (Abo4 Tabelle) 4) Leiten Sie das jeweilige Staats- und Menschenbild hinter den Positionen ab. 5) Entscheiden Sie sich differenziert (Betrachtungsebenen) und reflektiert (Werte) für ein angebotstheoretisches Europa mit hartem Geld und unabhängiger EZB (Sparen, Strukturreformen) oder für ein nachfrageorientiertes Europa mit weichem Geld und ein er EZB (Abwertung, Anleihen), die auch anderen Zielen verpflichtet ist. UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Wirtschaft/Politik 12.2 Abo4 Zielkonflikt Entscheidungs-Dilemma Zielkonflikt Gemeinsames Streben nach Wettbewerbsfähigkeit über unterschiedliche Ziele Stabilitätspolitik (Wettbewerbsfähigkeit durch Wettbewerbsfähigkeit über Abwertung Strukturreformen und Produktivitätssteigerung sowie Innovation) Wenn ich das Ziel der Preisstabilität verfolge, dann muss ich damit rechnen, dass... Wenn ich das Ziel der Wachstumsförderung durch Abwertung verfolge, dann muss ich damit rechnen, dass ... Spannungsfeld Die wirtschaftlichen Maßnahmen zur Erreichung des einen Ziels können sich negativ auf das andere auswirken. Angebotsorientierte Argumente Nachfrageorientierte Argumente Profiteure und momentane Vertreter Staatsbild (Neoklassischer)Liberalismus Etatismus (wenig Staatseingriffe, Entstaatlichung, Ordnungsrahmen, (Staatsdefizite als Mittel zum Zweck, staatliche Regelung Gewährleistung des funktionierenden Wettbewerbs, und Eingriffe in Wirtschaftprozesse zur Steuerung Staatsdefizite vermeiden, Rückbau von Subventionen) konjunktureller Schwankungen) Menschenbild Eigenverantwortung Kollektivistisch Prinzip der Leistung Sozial Individualismus Prinzip des Bedürfnis’ Rational Solidarisch Vernunftorientiert Teilhabe Freiheit Gemeinwohl Handlung=Haftung HandlungHaftung Vertrauen in die Fähigkeit des Menschen, für sich und sein Idee, dass der Staat unterstützend intervenieren muss, damit Handeln Verantwortung zu übernehmen. Wichtig sind dabei moralische, humanistische, das Allgemeinwohl betreffende Rahmenbedingungen, auf die Verlass ist. Ziele erreicht werden können, da der Mensch dies ohne unterstützende Regulierung nicht allein erreichen würde. UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Wirtschaft/Politik 12.2 Abo5 Abwertung oder Strukturreform – was ist die richtige wirtschaftspolitische Strategie für Europa? Aufgabe: 1) Arbeiten Sie Argumente heraus, indem Sie auch weitere Argumente für die Perspektive Ihrer Rollenkarte überlegen. Ablauf der Pro-Contra-Debatte 1. Arbeiten Sie in Ihrer Gruppe Argumente für die Perspektive Ihrer Rollenkarte heraus. Bereiten Sie ein Anfangs- und ein Schlussplädoyer vor. Das Schlussplädoyer darf keine neuen Argumente beinhalten! Bestimmen Sie _______ Redner. Die anderen sind dann Beobachter, _________ protokollieren. 2. Der Moderator führt in die Debatte ein. 3. Pro Seite wird das Anfangsplädoyer gehalten. 4. Es folgt die Debatte als Wechselrede (Argument – Gegenargument). Versuchen Sie dabei auf die Argumente der anderen Seite einzugehen und diese zu entkräften! 5. Pro Seite wird das Schlussplädoyer gehalten. Es dürfen keine neuen Argumente genannt werden. 6. Die Debatte wird ausgewertet und reflektiert. Gruppe A 1 1 5 10 Dziennik Gazeta Prawna - Polen | Dienstag, 18. September 2012 EZB-Programm ersetzt keine Reformen Die Finanzmärkte haben seit der Entscheidung der Europäischen Zentralbank, unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, um bis zu sechs Prozent zugelegt. Dennoch werden die Euro-Länder langfristig um schmerzhafte Reformen wohl nicht herumkommen, analysiert der Vorsitzende der Polnischen Vereinigung der Ökonomen TEP, Ryszard Petru, in der konservativen Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna: „Während die Politiker ihre Maßnahmen nur langsam und nicht richtig umsetzen, ist EZB-Präsident Draghi momentan der einzige, der sich für die gesamte Euro-Zone verantwortlich fühlt. Doch hat er damit das Problem der Länder - die hohen Zinsen auf Staatsanleihen - nur kurzfristig gelöst. ... Diese Maßnahmen sind letztlich nicht tragfähig. Nach wie vor gibt es hohe Haushaltsdefizite in den Ländern. Dabei haben selbst die größten Anhänger dieser Art von Eingriffen immer wieder betont, dass Draghi damit den Politikern nur mehr Zeit für ihre Reformen gegeben hat. Wir wissen noch nicht, wie viel Zeit und zu welchem Preis. Es wäre interessant zu wissen, ob die europäischen Politiker sich dessen überhaupt bewusst sind.“ UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Gruppe A 2 1 5 10 Le Monde - Frankreich | Dienstag, 16. Oktober 2012 Alberto Saravalle fordert schlanken Staat in Italien und Frankreich Eine Ende der Schuldenkrise ist nicht in Sicht und deshalb brauchen Italien und Frankreich gleichermaßen ein strenges Reformprogramm, fordert der italienische Jurist Alberto Saravalle in der linksliberalen Tageszeitung Le Monde: „Italien und Frankreich haben ähnliche Probleme: Sie sind viel zu stark verschuldet, der öffentliche Sektor spielt eine zu große Rolle, die Staatsausgaben sind zu hoch, die Wettbewerbsfähigkeit ist gering und das Wachstum muss dringend angekurbelt werden. Die bewährten Lösungsstrategien basieren auf dem Irrglauben, dass die richtige 'Industriepolitik' eines starken Staates das Wachstum beleben könne. Doch sie haben nicht funktioniert, weder in Italien noch in Frankreich. ... Da kann man nur hoffen, dass der Kater nach den Wahlen bald abklingt und Nüchternheit einkehrt. Dass Politiker dogmatische Vorstellungen und simple Wahlversprechen aufgeben, damit sie dann ein strenges Sparprogramm verfolgen können, wodurch Staatsausgaben gesenkt werden und das Wachstum auf lange Sicht gefördert wird.“ Gruppe B1 1 5 10 Die Welt - Deutschland | Samstag, 18. August 2012 Führende Ökonomen verlangen Euro-Abwertung „Ich kann mir vorstellen, dass der Euro noch weiter an Wert verlieren muss“, sagt der in Oxford lehrende Finanzwissenschaftler Clemens Fuest. [...]Für Experten wie ihn überwiegen die Vorteile eines schwachen Euro. Schließlich liegt die zentrale Schwierigkeit Europas derzeit darin, dass mehrere Länder international nicht wettbewerbsfähig genug sind. Das heißt vereinfacht gesagt: Die Waren, die sie gerne exportieren wollen, sind auf dem Weltmarkt zu teuer. Abhilfe können beispielsweise sinkende Arbeitskosten schaffen. Immerhin sinken die Löhne in Griechenland, die über Jahre überdurchschnittlich gestiegen waren, inzwischen deutlich. Und auch die spanische Regierung hat einiges unternommen, um die Arbeit im Land billiger zu machen. Doch es dauert, bis solche Reformen wirken – und in der Zwischenzeit leiden die Arbeitnehmer, deren Löhne gekürzt oder deren Stellen gestrichen wurden. Gruppe B2 1 5 10 Welt am Sonntag - Deutschland | Sonntag, 19. August 2012 Hurra, der Euro fällt! [...]Die Krisenländer brauchen [...]einen Hebel, damit ihre Reformen mehr Wirkung entfalten. Und dieser Hebel ist ein fallender Euro. „Der schwächere Euro kommt den Krisenländern jetzt gerade recht“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Gerade für Länder wie Italien oder Spanien, die bei ihren Ausfuhren eher auf Masse setzen, sei dieser Preisvorteil viel wert. Der bisherige Wertverfall des Euro reiche freilich noch nicht aus, um einen entscheidenden Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten, sagt Ulrich Kater, Chefökonom der Deka-Bank. Gegenüber dem US-Dollar mag der Euro im vergangenen Jahr fühlbar abgewertet haben, doch im Vergleich zum Durchschnitt der Währungen der Handelspartner betrage der Wertverlust weniger als zehn Prozent. "Aus Euroland-Sicht kann das ruhig noch ein bisschen so weitergehen mit der Abwertung", sagt Kater. UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa Anhang: Lose Materialsammlung zum Thema Corriere del Ticino - Schweiz | Freitag, 21. September 2012 Notenbanken belohnen nur Finanzwesen 1 Die EZB, die US-Notenbank Federal Reserve und die japanische Notenbank haben jüngst entschieden, zur Krisenbewältigung große Mengen Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Doch von dieser Geldpolitik profitieren wieder nur die großen Finanzakteure, bedauert die liberale Tageszeitung Corriere del Ticino: „In Wahrheit ist diese Form der Geldpolitik nicht neutral und 5 kommt nicht den sozial schwachen Schichten zugute. Die Geldschwemme belohnt die Banken, die sich zu niedrigen Zinsen finanzieren können, die großen Finanzgesellschaften, die mit billigem Kapital spekulieren können, sowie die verschuldeten Wirtschaftsakteure. Bestraft wird hingegen der kleine Mann, der vorsichtige Sparer. … Zudem begünstigt diese Geldpolitik neue Spekulationsblasen, ohne sich positiv auf die Realwirtschaft auszuwirken und ohne die 10 Bedingungen für solides Wachstum zu schaffen. Folglich handelt es sich nur um ein weiteres Experiment, das kaum bei einem der Hauptprobleme der Krise ansetzt: bei der ungleichen Einkommensverteilung.“ UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Interview 26.09.2012 „Es bringt gar nichts, die Dinge schön zu reden“ Interview mit Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, in Neue Zürcher Zeitung am 26.09.2012 Bundesbankpräsident Jens Weidmann erklärt, weshalb er im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) als Einziger gegen das neue Anleihenkaufprogramm gestimmt hat. Er warnt vor einer Annäherung der Geldpolitik an die Fiskalpolitik und zieht Schlüsse für seine eigene Rolle. Vergangene Woche hat Spanien 10-jährige Anleihen zu einer Rendite von 5,66% placiert. Vor Ankündigung der neuen Staatsanleihenkäufe durch die EZB hatte das Land dafür noch 6,65% bezahlen müssen. Ist das neue EZB-Programm so erfolgreich, dass es schon wirkt, noch bevor es überhaupt zur Anwendung kommt? Die Ankündigung hat natürlich Marktwirkungen, solche Effekte hat es ja auch schon bei früheren Maßnahmen gegeben. Niemand bestreitet, dass eine Notenbank die Zinsen vorübergehend beeinflussen kann, wenn sie ankündigt, in die Märkte eingreifen zu wollen. Doch die kurzfristige Reaktion der Märkte kann nicht der Massstab für die Notenbankpolitik sein. Sie haben im EZB-Rat als Einziger gegen das neue Programm gestimmt. Früher hatte man den Eindruck, mehrere Ratsmitglieder teilten Ihre Skepsis gegenüber Staatsanleihenkäufen. Was hat sich geändert, dass Sie mit Ihrer Skepsis plötzlich allein waren? Ich bin sicherlich nicht der Einzige im Rat, der Bedenken bei einem Ankaufsprogramm für Staatsanleihen hat. Trotz der breiten Mehrheit für das Programm habe ich den Eindruck, dass einige Kollegen meine Sorgen teilen. Haben Sie das Staatsanleihenprogramm aus Prinzip abgelehnt oder weil sie glauben, dass es schlicht nicht funktioniert? Es gibt aus meiner Sicht einige Gründe, die gegen das Programm sprechen. Dazu zählen einerseits sicher stabilitätspolitische Prinzipien und die Frage, ob die Notenbank hierzu demokratisch legitimiert ist. Das Programm verteilt Haftungsrisiken zwischen den Steuerzahlern des Euroraums um. Das dürfen nur die Parlamente, und sie haben mit den Rettungsschirmen ja auch die passenden Instrumente an der Hand. Die Notenbankfinanzierung darf nicht als umfassender Problemlöser etabliert werden. Andererseits geht es aber auch ganz einfach um die Frage, ob das Programm letztlich mehr hilft oder mehr schadet. Wenn die Hilfe der Notenbank den Druck von der Politik nimmt, den Reformprozess voranzutreiben, könnte die Überwindung der Krise eher erschwert und verzögert werden. Was wiederum auch die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik untergräbt. Wenn die Notenbank sich auf dieses Terrain begibt, könnte sie am Ende zur Gefangenen ihrer eigenen Politik werden und an Glaubwürdigkeit verlieren. Weshalb konnten Sie denn mit diesen Argumenten ihre EZB-Ratskollegen nicht überzeugen? Die Mehrheit im Rat war offensichtlich der Überzeugung, dass den durchaus berechtigten Sorgen durch eine adäquate Ausgestaltung des Programms Rechnung getragen werden kann. Meine Argumente und Bedenken sind dabei durchaus von den Kollegen aufgenommen worden – auch wenn ich am Ende weiterhin ein anderes Gesamturteil hinsichtlich des Programms fälle. EZB-Präsident Draghi erklärt das neue Programm mit der gestörten Transmission der Geldpolitik.In der Tat scheint da was dran zu sein, die jüngste Leitzinssenkung der EZB ist in einigen Euro-Staaten nicht mehr angekommen. Teilen Sie die Ansicht, dass die Übermittlung der Geldpolitik gestört ist? Dieses Argument wird schon seit dem ersten Staatsanleihenprogramm von 2010 angeführt mit dem Resultat, dass wir heute immer noch davon reden, die Übermittlung sei gestört. Das führt mich zu folgender Frage: Sind Staatsanleihenkäufe angesichts struktureller Probleme, wie dem Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und dem Vertrauensverlust in die Staatsfinanzen einzelner Länder, überhaupt das geeignete Instrument zur Reparatur des geldpolitischen Transmissionsmechanismus? Aber die Diagnose stimmt? Unsere geldpolitischen Impulse werden zwar weiterhin übertragen, es ist aber sicher so, dass unsere Geldpolitik derzeit nicht in allen Ländern gleich gut ankommt. Das hängt nicht zuletzt mit der mangelnden Kreditnachfrage in einigen Ländern zusammen und mit dem Deleveraging-Prozess in den dortigen Bankensystemen. All dies sind aber notwendige und sinnvolle Anpassungen, damit diese Volkswirtschaften wieder auf eigenen Füßen stehen können. Spiegeln die Risikoprämien der Staatsanleihen überhaupt noch die Fundamentaldaten, oder sind sie teilweise der Irrationalität der Märkte geschuldet? Die Einschätzungen, was ein faires, fundamental gerechtfertigtes Zinsniveau ist, liegen sehr weit UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa auseinander und haben eine große subjektive Komponente. Ich würde ohnehin nicht sagen, dass das, was an den Märkten derzeit passiert, völlig irrational ist. Dahinter stehen Sorgen, dass in einzelnen 55 Ländern die Reformen ins Stocken geraten. Die Reformen und vor allem die Perspektiven, ob diese fortgesetzt werden, sind aber mitentscheidend für die Wachstumsaussichten und damit das Kreditrisiko. Dann wäre es für die EZB das Beste, gar nichts zu tun, die Situation einfach auszusitzen? Ein Verzicht auf Staatsanleihekäufe würde doch nicht bedeuten, dass das Eurosystem die Lage aussitzt. Wir haben ja schon sehr viel getan: Die Zinssätze sind historisch niedrig, die Banken erhalten jede 60 beliebige Menge an Liquidität, das Sicherheitenregime wurde wiederholt gelockert, es wurden bereits Staatsanleihen und Pfandbriefe gekauft. Das Eurosystem hat sehr viel unternommen, doch darf die Geldpolitik nicht überfordert werden. EZB-Präsident Draghi hat explizit erklärt, der Euro sei irreversibel, und es werde in Europa nie mehr Drachmen und Lire geben. Ist es denn die Aufgabe der EZB, die Euro-Zone und den Euro in ihren 65 jetzigen Formen zu erhalten? Unsere Aufgabe ist es, den Euro im Rahmen unseres Mandats als stabile Währung zu erhalten. Gegen politische Entscheidungen über die Zusammensetzung der Währungsunion können und dürfen wir uns nicht stemmen. Die Notenbanken haben ja auch nicht darüber entschieden, aus welchen Ländern die Währungsunion zusammengesetzt wurde. Solche Entscheide können nur demokratisch legitimierte 70 Gremien fällen. Dann ist das Finanzstabilitätsmandat der EZB also kein Grund, alles zu tun, um den Euro zu retten? Natürlich sind Geldwert- und Finanzstabilität miteinander verwoben. Für uns gibt es allerdings eine ganz klare Hierarchie, unser oberstes Ziel ist die Preisstabilität. Das Finanzstabilitätsmandat ist dem unterstellt und ist kein Blankoscheck. Es gibt Voraussetzungen für die Erfüllung ihrer Aufgaben, die die 75 Notenbanken nicht aus sich heraus gewährleisten können, sondern bei denen die Mitgliedstaaten gefragt sind. Hier findet auch das Mandat der Notenbanken seine Grenzen. Angenommen die EZB hätte das Staatsanleihenprogramm nicht ins Leben gerufen und die Politik hätte ihrerseits zu wenig unternommen, so dass die Krise eskaliert wäre. Hätte die EZB dann, um das Finanzsystem zu stabilisieren, nicht sowieso eingreifen müssen? 80 Ich glaube nicht, dass das System zusammengebrochen wäre, wenn die EZB das Staatsanleihenprogramm nicht ins Leben gerufen hätte. In der Vergangenheit haben etliche Länder des Euro-Raums mit Renditen von 7% und mehr leben können – und zwar nicht nur bei Neuemissionen, sondern sogar im Mittel. Auch jetzt wären die betroffenen Länder durchaus in der Lage, für einige Zeit höhere Zinsen bei Neuemissionen zu schultern. Es kommt darauf an, in dieser Zeit das Nötige zu tun, 85 damit das Vertrauen der Anleger wieder steigt und die Risikoprämien zurückgehen. Hier muss man sich fragen, ob Anleihekäufe der Notenbanken die richtigen Anreize schaffen. Wenn Zeit gekauft werden soll, stehen hierfür die Rettungsschirme zur Verfügung. Das spricht aber für Konditionalität, so wie sie die EZB bei ihrem neuen Programm eingebaut hat, nämlich nur aktiv werden, wenn die Staaten den Reformkurs eingeschlagen haben. 90 Wenn man sich auf ein solches Programm einlässt, dann ist eine glaubwürdige und strenge Konditionalität ein gewisser Schutz. Wie sieht es denn mit dem Verlustrisiko des neuen Staatsanleihenprogramms für die EZB selbst aus? Das ist ein weiteres Problem. Einer der Grundsätze unserer Geldpolitik ist, dass unsere Geschäfte möglichst risikoarm sein sollten. Mit Ankäufen nimmt das Eurosystem aber beachtliche Risiken in die 95 eigenen Bücher. Auch die Schweizerische Nationalbank hat in einer außergewöhnlichen Situation außergewöhnliche Schritte beschlossen, als sie die Kursuntergrenze zum Euro einführte. Die Kursuntergrenze der SNB kann nicht mit dem Staatsanleihenprogramm des Eurosystems verglichen werden. Zum Beispiel verteilt die SNB mit ihrer Massnahme keine Risiken zwischen Steuerzahlern 100 verschiedener Länder um, das Eurosystem hingegen schon. In der Schweiz wird gegenwärtig diskutiert, wie man aus dem Mindestkursregime wieder herauskommt. Was ist eigentlich die Exit-Strategie der EZB bei ihrem Staatsanleihenprogramm? Das ist ein ganz entscheidender Punkt, auch um bei der Konditionalität glaubwürdig zu sein. Das ist Gegenstand laufender Beratungen. 105 Nun wird die EZB ja wohl bald schon ein zusätzliches Mandat bekommen, jenes der Bankenaufsicht. Wie stehen Sie dazu? Die Bankenunion, die ja eine europäische Bankenaufsicht umfasst, ist im Grundsatz eine sinnvolle Ergänzung der Währungsunion. Sie zielt vor allem darauf, das Finanzsystem in der EWU künftig stabiler aufzustellen, und das nützt auch der gemeinsamen Geldpolitik. Die Bankenunion ist meines UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa 110 Erachtens aber ein in die Zukunft gerichtetes Projekt und eignet sich nicht als Lösung für die aktuellen Schwierigkeiten. Eine Vergemeinschaftung bilanzieller Altlasten wäre nichts anderes als eine Transferzahlung und sollte nicht unter dem Deckmantel der Bankenunion versteckt werden. Aber die Bankenaufsicht müsste ja nicht unbedingt bei der EZB angesiedelt werden. Befürchten Sie nicht Zielkonflikte? 115 Diese entscheidende Frage hat auch bei der Debatte der Aufsichtreform in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt. Die Aufsicht muss klar von der Geldpolitik getrennt sein, damit es nicht zu Konflikten mit der Unabhängigkeit und dem Ziel der Preisstabilität kommt. Wie stehen Sie zum institutionellen Rahmen der EZB angesichts der jüngsten Ereignisse? Ist das Prinzip «ein Mann, eine Stimme», das bei geldpolitischen Entscheiden zur Anwendung kommt, noch 120 richtig? Das Prinzip ist richtig, so lange mit der Geldpolitik nicht in grösserem Umfang fiskalische Aufgaben übernommen werden. Wenn wir wieder zur klassischen Geldpolitik zurückkehren, dann hat sich auch diese Diskussion erledigt. Wie stehen Sie zur Transparenz, sollten die EZB-Ratsprotokolle veröffentlicht werden? 125 Eine Notenbank verwaltet ein öffentliches Gut, deshalb sollte sie sich der Bevölkerung gegenüber auch erklären. Dies ist umso wichtiger, wenn die Notenbank in einem Grenzbereich operiert. Dann sollte sie umso mehr verdeutlichen, dass sie sich mit den Risiken und Nebenwirkungen ihrer Politik auseinandergesetzt hat. Transparenz sollte aber nicht allein an der Veröffentlichung der Protokolle festgemacht werden. 130 Da wären Sie dagegen? Das hängt vom konkreten Vorschlag ab. Es spricht wenig dagegen, die im EZB-Rat erörterten Argumente stärker offenzulegen. Das bedeutet nicht, dass einzelne Ratsmitglieder namentlich erwähnt werden. Wie ist es im Rat eigentlich dazu gekommen, dass genau in Ihrem Fall die sonst übliche Geheimhaltung 135 gelockert wurde, und Draghi ganz offen gesagt hat, Herr Weidmann war gegen das Staatsanleihenprogramm? Mich hat Draghis Offenheit nicht gestört. Ich bin wie gesagt davon überzeugt, dass uns gerade in der heutigen Situation mehr Transparenz gut tut. Finanzminister Schäuble scheint dies aber anders zu sehen. Er wirft Ihnen vor, durch Ihre Offenheit die 140 Glaubwürdigkeit der EZB zu untergraben. Die Öffentlichkeit ist aufgeklärt, sie verdient Offenheit. Eine Notenbank ist glaubwürdig, wenn sie die Menschen ernst nimmt und ehrlich informiert. Es bringt gar nichts, die Dinge schön zu reden. Aber ist es nicht frustrierend für Sie, überzeugt zu sein, die richtige Position zu vertreten, aber im Rat damit einfach nicht durchzukommen? 145 Diskussionen können sich weiterentwickeln. Somit schliesse ich nicht aus, dass meine Argumente mit der Zeit stärker verfangen. Wie sehen Sie denn Ihre künftige Rolle im EZB-Rat? Bei all dem Trubel um das Thema Staatsanleihekäufe sollte man nicht den Eindruck gewinnen, dass ich mit meiner Meinung im Rat – oder die Bundesbank insgesamt im Eurosystem – immer in einer 150 Minderheitsposition bin. Bei vielen Themen sehen die Mehrheitsverhältnisse ganz anders aus, oder es gibt ohnehin keinen Dissens im Rat. Gerade deshalb ist es mir sehr wichtig, bei den kontroversen Themen für meine Position zu werben. Angesichts des Kampfes, den Sie führen, haben Sie da kein Verständnis für Ihren Vorgänger Axel Weber, der irgendwann gesagt hat, jetzt reicht es, und zurückgetreten ist? 155 Ich habe sowohl für seine sehr persönliche Entscheidung als auch für jene von Jürgen Stark Verständnis. Meine Situation ist aber anders. Ich bin nach Webers Rücktritt ins Amt gekommen und wusste daher, was mich erwartet. Dafür muss ich jetzt in Kauf nehmen, in jedem Interview die Frage gestellt zu bekommen, wann ich denn zurücktrete. Doch für mich ist ein Rücktritt keine Option, denn ich bin überzeugt, dass ich mich in der jetzigen Position am besten für einen stabilen Euro einsetzen 160 kann. UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa 1 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Dr. Oliver Marc Hartwich 27.08.2012 Eine Euro-Abwertung ist keine Lösung Nach drei Jahren Eurokrise und trotz zahlreicher Gipfel, diverser Rettungsprogramme mit immer neuen Namenskürzeln und unzähliger feierlicher Versprechen, Europas gemeinsame Währung zu erhalten, sind wir heute einer Lösung nicht näher als am Anfang. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Euro-Turbulenzen ebenso wie die Armut im Afrika südlich der Sahara, die Gewalt im Nahen Osten und Nordkoreas Atomprogramm zu einem normalen Bestandteil der Welt werden, in der wir leben: unerfreulich, gefährlich und dennoch anscheinend nicht zu ändern. Wie erfrischend ist es dann zu hören, dass immer noch neue Ideen zur Bewältigung der europäischen Krise auftauchen - selbst wenn sie recht verrückt klingen. Letztes Wochenende stellte eine Gruppe prominenter Wirtschaftswissenschaftler eine Wunderkur für die kränkelnde Währung vor: Abwertung. Die dürfte zwar schon irgendeine Wirkung haben, doch leider würde die empfohlene Therapie die Euro-Krise nicht beenden, sondern sie sogar noch verschlimmern. Die Welt am Sonntag zitierte den Oxforder Wirtschaftsprofessor Clemens Fuest, den niederländischen Ökonomen Paul de Grauwe und den Chefvolkswirt der Berenberg-Bank Holger Schmieding, die eine deutliche Abwertung des Euro gegenüber anderen bedeutenden Währungen der Welt fordern. Dadurch, so die drei Ökonomen, könnten die in Schwierigkeiten geratenen Volkswirtschaften der Peripherieländer ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Wirtschaftsreformen allein würden nach ihrer Auffassung bei Ländern wie Italien und Spanien nicht zum Ziel führen. Regelmäßige Leser dieser Kolumne wissen, dass ich schon oft ähnlich argumentiert habe. Es ist nur zu offensichtlich, dass Wirtschaftsreformen und Sparprogramme allein bei Griechenland, Portugal oder Spanien keine Wirkung zeigten. Die Kombination aus geringer Produktivität und hohen Lohnstückkosten, vor allem im Vergleich zu den stärkeren Euro-Kernländern, haben einen exportgetragenen Aufschwung und eine Rekalibrierung von Handels- und Zahlungsbilanzen verhindert. Aus diesem Grund ist eine Abwertung genau das, was die europäischen Peripherieländer in Verbindung mit Ausgabendisziplin und Reformen brauchen. Warum bin ich dann davon überzeugt, dass Fuest, de Grauwe und Schmieding völlig falsch liegen? Weil es grundsätzlich ein gewaltiger Unterschied ist, einzelne Krisenländer zu einer Abwertung ihrer eigenen Währungen zu veranlassen (das heißt nach ihrem Austritt aus der Eurozone), oder eine pauschale Abwertung für alle Mitglieder der Eurozone vorzunehmen. Es ist verblüffend, wie so hervorragende Ökonomen dieses wichtige und dennoch fundamentale Detail übersehen können. Das erste Problem mit einer Abwertung des Euro besteht darin, dass sie der Eurozone insgesamt nicht unbedingt helfen würde. Um das zu verstehen, muss man sich die Struktur der Importe in die Eurozone ansehen. Letztes Jahr machten Kraftstoffe 28,9 Prozent der Importe in die EU aus. Die Eurozone ist energiearm und damit stark von Öl- und Gasimporten abhängig. Daher würde das Mehr an Wettbewerbsfähigkeit durch die mit der Abwertung steigenden Energiekosten zum Teil wieder zunichte gemacht werden, vor allem im Fertigungssektor. Das zweite Problem mit einer Abwertung in der Eurozone ist sogar noch gravierender. Die Schwierigkeiten der Gemeinschaftswährung haben nichts mit ihrem externen Wert zu tun. Es sind die internen Unterschiede zwischen den Euro-Staaten, die den größten Schaden anrichten. Eine Abwertung würde jedoch nur die Handelsverbindungen des Euroraums mit der übrigen Welt betreffen, während das Kostengefälle etwa zwischen Deutschland und Griechenland unverändert bestehen bliebe. Die Handelsbeziehungen des Euroraums mit der übrigen Welt sind allerdings definitiv nicht das Problem. Nach den neuesten Daten von Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, verzeichnen die 17 Mitglieder der Eurozone einen steigenden Handelsbilanzüberschuss mit der übrigen Welt. Der saisonbereinigte Handelsbilanzüberschuss stieg von 2 Mrd. EUR im Februar auf 10,5 Mrd. EUR im Juni. Angesichts dieser Zahlen sind Aussagen, die Eurozone insgesamt habe ein Wettbewerbsproblem, kaum zu begründen. Wenn überhaupt, dann ist sie zu wettbewerbsfähig. Die Probleme der Eurozone bestehen nicht auf der Gemeinschaftsebene, sondern auf der Ebene einzelner Mitglieder. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass die hohe Exportleistung der Eurozone fast vollständig einem einzigen Mitglied zu verdanken ist - Deutschland. Nach Schätzungen des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo wird Deutschlands Handelsbilanzüberschuss UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa 55 in diesem Jahr 210 Mrd. USD betragen - und damit Chinas Überschuss von 203 Mrd. USD noch übertreffen. Deutschland verzeichnet Handelsbilanzüberschüsse sowohl mit den anderen Mitgliedern der Eurozone als auch mit der übrigen Welt. Eine Abwertung des Euro würde die Stärke der deutschen Exportdampfwalze nur erhöhen. Gegenwärtig gehen nur 38 Prozent der deutschen Exporte in andere Länder der Eurozone. Die 60 Abwertung würde diesen Handel innerhalb der Eurozone nicht berühren, aber den gewaltigen Handelsbilanzüberschuss Deutschland mit der übrigen Welt noch weiter aufblähen. Ist es das, was den drei Wirtschaftswissenschaftlern vorschwebt, die für eine Abwertung plädieren? Wahrscheinlich nicht, denn solche Handelsungleichgewichte gelten inzwischen als einer der Hauptfaktoren der weltweiten finanziellen Instabilität. Wenn überhaupt, dann braucht 65 Deutschland eine stärkere Währung, keine schwächere. Das sieht für andere Länder in der Eurozone anders aus. So gehen etwa mehr als die Hälfte der spanischen Exporte in andere Länder der Eurozone und rund zwei Drittel an andere EUMitglieder. Eine Euro-Abwertung hätte also eine eher geringe Wirkung auf die spanische Wirtschaft, obwohl sie zumindest Spaniens hohes Handelsdefizit gegenüber der übrigen Welt 70 verringern würde. Eine Korrektur der spanischen Wirtschaftsschwäche gegenüber Deutschland wäre mit einer EuroAbwertung jedoch nicht möglich. Sie könnte spanische Unternehmen im Verhältnis zu ihren deutschen Konkurrenten nicht wettbewerbsfähiger machen. Sie würde weder die Produktivität erhöhen noch die relativen Lohnkosten innerhalb der Eurozone senken. Genau dieses Element in 75 den externen Wirtschaftsbeziehungen Spaniens muss jedoch am dringendsten verbessert werden. Um es klar zu sagen: eine Abwertung wäre für die ins Trudeln geratene europäische Peripherie unbedingt sinnvoll. Sie kann jedoch nur Erfolg haben, wenn diese Länder allein abwerten, nicht gemeinsam mit Deutschland und dem produktiveren Euro-Kern. Entweder trennt sich also Deutschland von der Eurozone und veranlasst eine Aufwertung einer neuen Deutschen Mark oder 80 die Krisenländer kehren zu Peseta, Lira und Drachme zurück und werten diese gegenüber dem US-Dollar, dem Pfund Sterling und natürlich dem Euro selbst ab. http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/eine_euro_abwertung_ist_keine_loesung/ UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa