WS-B-Konzept+Material

Werbung
12. Landesfachtag Wirtschaft/Politik
Veranstaltungsnr.: WIP 0117
Workshop B
Gemeinsame Wege aus der Euro-Krise – Abwertung oder Strukturreform?
Eine Unterrichtseinheit für den 12. Jahrgang
Referentin: Stella Krüger
Ablauf
1. Begrüßung und Überblick
2. Didaktische Einleitung zum Thema Förderung der reflektierten
Urteilskompetenz anhand von Zielkonflikten
3. Fachliche Einleitung zum Gegenstand der fiktiven Unterrichtseinheit
4. Arbeitsphase
5. Sammelphase und Austausch
6. Feedback
Arbeitshinweise:
Die Arbeitsphase beinhaltet folgende Leitpunkte, anhand derer die Unterrichtssequenz geprüft
werden soll:
a. Formulieren Sie notwendige unterrichtliche Voraussetzungen, sowohl
inhaltliche als auch in Hinblick auf die Operatoren.
b. Halten Sie fest, inwieweit die Methoden geeignet sind, den Zielkonflikt für
die Schülerinnen und Schüler zu verdeutlichen sowie die reflektierte
Urteilskompetenz zu fördern.
c. Überlegen Sie, inwieweit Ihnen Materialauswahl und der -Umfang
geeignet erscheinen.
d. Überprüfen Sie die Operatoren hinsichtlich des Ziels der Vertiefung der
reflektierten Urteilskompetenz.
e. Formulieren Sie ggf. zu b., c. und d. Alternativen oder Ergänzungen.
Bitte lesen Sie sich die Materialien im Vorfeld einmal durch. Machen Sie sich gerne schon Notizen zu
den Leitpunkten. Weiterführende Ideen, Denkanstöße und Materialverweise sind in der Arbeits- und
Sammelphase willkommen.
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
UE-Konzept 12.2: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Skizze einer möglichen Unterrichtseinheit:
Std.
Arbeitsbögen
Vorbereitende HA
0. Block
Abo1:
HA
Staatsanleihenkauf der EZB
Abo2:
Anleihenkäufe der EZB – Staatsdroge
1. Block
oder wichtige
Stabilisierungsmaßnahme?
HA
Vorbereitende HA
Abo3:
Die Grenzen der reinen Enthaltsamkeit:
Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch
Abwertung oder Strukturreform?
Abo3:
Die Grenzen der reinen Enthaltsamkeit:
Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch
2. Block
Abwertung oder Strukturreform?
Abo4: Tabelle
Operatoren
Erklären des Sachverhaltes
Beurteilen mithilfe bekannten
Wissens (Voraburteil)
Stellen Sie ... gegenüber
Vertiefung des Sachverhaltes,
unterschiedliche Betroffenheiten,
wirtschaftliche und (geld-)
politische Ebene
Beurteilen mithilfe der neuen
Kenntnisse, Hinführung zum
Zielkonflikt. („Sparen“ sinnvoll?)
Stellen Sie dar:AO/NO-Positionen
herausarbeiten, (ggf.) arbeitsteilig
und Argumente im Sinne von
Wirkungszusammenhängen
(-Ketten) aufzuzeigen.
Verdeutlichen Sie den Zielkonflikt
sowie
dahinter
stehende
Positionen und Argumentationen.
Staatsund
Menschenbild
ableiten.
Nehmen Sie Stellung: differenziert
(Ebenen)
und
reflektiert
(Wertvorstellungen). (Entscheiden
Sie).
Urteilskompetenz
Zuwachs an
Differenziertheit
des Urteils
(Argumente,
Ebenen)
Zuwachs an
Reflektiertheit des
Urteils
(Perspektivität
und
Wertvorstellung)
Nehmen Sie Stellung. Zunächst
innerhalb einer zugeteilten
Abo5:
(ggf. der eigenen Präferenz
Abwertung oder Strukturreform – was
entgegengesetzten) Position.
3. Block ist die richtige wirtschaftspolitische
In
der
anschließenden
Strategie für Europa?
Auswertung dann die Reflexion
Pro-Contra-Debatte
der
eigenen
bevorzugten
Vorstellung.
4. Block Ggf. Klassenarbeit
Anhang:
Lose Materialsammlung als Möglichkeiten für eventuelle
- Vertiefungen
- Einstiege
- Klassenarbeit
- ...
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Wirtschaft/Politik 12.2
Abo1 Staatsanleihenkauf der EZB
Vorbereitende Hausaufgabe
Aufgaben:
1) Erklären Sie das System der Staatsanleihenkäufe durch die EZB, indem Sie auf deren
Bedingungen, Zielsetzung sowie mögliche Vor- und Nachteile für unterschiedliche Akteure
eingehen.
2) Beurteilen Sie mithilfe Ihrer geldpolitischen Kenntnisse und Ihres Wissens zur Zielsetzung der
EZB die Entscheidung der EZB, Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe zu kaufen.
M1 Was darf die Europäische Zentralbank?
1
5
10
15
20
25
30
35
40
1
Die EZB will den kriselnden Eurostaaten helfen und künftig Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe kaufen.
Doch was bedeutet das? Und: Warum ist die Entscheidung so umstritten? Die wichtigsten Fragen zum
Beschluss der Euro-Notenbanker im Überblick.
Können Schuldenstaaten sich jetzt Geld bei der EZB besorgen?
Nein. Die EZB hat angekündigt, Staatspapiere auf dem Sekundärmarkt, also dem Zweitmarkt, aufzukaufen.
Das heißt, sie kauft Staatspapiere auf, die vorher im Besitz von jemand anderem waren, etwa einem Sparer,
einem Pensionsfonds oder einer Bank. In der Vergangenheit kaufte sie diese Papiere stets zu einem
Kurswert auf, der deutlich unter 100 Prozent lag. Die Frage ist, zu welchem Kurs sie künftig kaufen wird.
Allerdings sorgt schon die Ankündigung der EZB, dass sie solche Papiere notfalls unbegrenzt aufkaufen
will, für höhere Kurse. Denn die Notenbank sorgt so für eine höhere Nachfrage nach diesen Papieren, und
das treibt den Preis, also: den Kurs. Dadurch sollen die Risikoaufschläge sinken, die die Staaten ihren
Gläubigern in Form von Zinsen zahlen müssen.
Bricht die EZB damit Europäisches Recht?
Nein. Die EZB beruft sich auf Artikel 18 ihres Statuts.1Danach ist es der EZB erlaubt, „börsengängige
Wertpapiere“ zu kaufen oder zu verkaufen. Staatsanleihen sind börsengängige Wertpapiere. Allerdings
wurde diese Vorschrift bei der Aufstellung des Statuts nicht zu dem Zweck geschaffen, die Kurse von
Anleihen angeschlagener Eurostaaten zu stabilisieren.
Aber ist das nicht Staatsfinanzierung, die der EZB verboten ist?
Nein. Jedenfalls nicht direkt. Genau genommen sichert die EZB diejenigen ab, die als Käufer, also als
Sparer oder Investoren Staatsanleihen kaufen. Sie werden dadurch zum Kauf von Staatsanleihen ermutigt,
denn sie können nun sicher sein, dass sie ihre Papiere jederzeit wieder verkaufen können, und zwar
wahrscheinlich zu einem guten Kurs. Denn das Ziel der EZB - und das ist natürlich ein Stück Planwirtschaft
- ist, die Zinslast für die Schuldenstaaten zu verringern. Richtig ist allerdings, dass die EZB dadurch, dass
sie die Staatsanleihen kauft, ein erhebliches Risiko übernimmt für den Fall, dass Staaten diese Anleihen
nicht zurückzahlen können. Aber durch ihr Aufkaufprogramm verringert die EZB die Gefahr, dass die
betroffenen Staaten pleite gehen.
Warum dann die Bedenken?
Auch wenn die EZB nicht in die direkte Staatsfinanzierung einsteigt: Eine indirekte ist es dennoch. Und wie
so oft im Leben ist nicht nur wichtig, was man tut, sondern auch, warum man es tut. Die Stabilisierung von
Staaten ist nicht die Aufgabe der EZB. Und auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass der Schadensfall
wirklich eintritt: Sie übernimmt - ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein - mit den Staatsanleihen
Risiken, für die letztendlich die Steuerzahler einstehen müssen. Außerdem muss die EZB für ihre
Anleihekäufe neues Geld drucken. Das vergrößert zunächst das Potenzial, also die Möglichkeit für Inflation.
Deshalb versprach die EZB, dass sie diesen Effekt „sterilisieren“ will, indem sie an anderer Stelle genau so
viel Geld wieder abschöpft. Man wird sehen, ob sie diese Ankündigung einlöst. Last not least: Die
Entscheidung der EZB steht ja nicht für sich allein. Im Zuge der Finanzkrise wurden schon einige
Grundsätze aufgegeben, die eigentlich für den Euro galten. Jetzt ist wieder einer gefallen, nämlich das
Verbot der Staatsfinanzierung. Die Frage drängt sich auf: Was kommt als nächstes?
Muss Deutschland das alles ohnmächtig hinnehmen?
Ganz und gar nicht, jedenfalls dann, wenn die EZB ihre eigene Entscheidung ernst nimmt. Danach will sie
ja nur Anleihen solcher Staaten kaufen, die erstens Hilfe vom dauerhaften Euro Rettungsschirm ESM
beantragt haben, zweitens ein Reformprogramm vereinbart haben und bei denen drittens der ESM auf dem
http://www.ecb.int/ecb/legal/pdf/c_08320100330de_ecb_statute.pdf
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
45
50
55
65
70
75
Primärmarkt, also direkt von den jeweiligen Staaten, Anleihen kauft. Ob der ESM Staatsanleihen kauft, wird
im Gouverneursrat des ESM entschieden, und zwar mit mindestens 80 Prozent der Stimmen, die sich nach
den Kapitalanteilen richten. Deutschland hat mehr als 20 Prozent Stimmanteile, kann also jede Entscheidung
blockieren. Der deutsche Gouverneur im ESM, also der Finanzminister oder sein Vertreter, muss die
Zustimmung des Bundestages einholen. Eine andere Frage ist, ob der Bundestag im Zweifelsfall dem - in so
einer Entscheidungssituation mit Sicherheit starken - Druck aus Europa politisch widerstehen könnte.
Übrigens zeigt die Abstimmung im Zentralbankrat der EZB, was „mehr Europa“ im Zweifelsfall bedeuten
kann: So, wie die Mehrheiten in Europa sind, kann auch der größte Zahler leicht überstimmt werden.
Die Hilfe der EZB ist also an Kriterien gebunden. Kann man denen vertrauen?
Wenn sich die EZB an ihre eigene Entscheidung hält, lautet die Antwort „ja“. Die Erfahrung in der
europäischen Politik zeigt leider, dass gerade bei wichtigen Entscheidungen die angeblich so strengen
Kriterien bei Bedarf locker vom Tisch gewischt werden. Das war so bei der Aufnahme von Mitgliedstaaten
in die Eurozone, und das war auch so bei der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die EU. Hier ist die EZB
den (besseren) Beweis schuldig. Dasselbe gilt auch für die europäische Politik. Der Druck aus den
Mittelmeerstaaten, die erforderlichen Anpassungsprogramme nicht allzu strikt zu formulieren, ist jetzt schon
groß. Der letzte Eurogruppen-Gipfel beschloss bereits eine weichere Linie. Mit anderen Worten: Die EZB
verlangt ein Reformprogramm, sagt aber nichts über dessen notwendige Qualität.
Nur die Bundesbank hat gegen die EZB-Entscheidung gestimmt. Wie isoliert ist Deutschland?
Offenkundig ist die Bundesbank im Moment sehr isoliert. Aber das ist nicht das eigentliche Problem. Alle,
die jetzt nach vermeintlich leichten Wegen zur Überwindung der Krise suchen, übersehen einen
Widerspruch, in dem sie sich befinden. Sie wollen - platt gesprochen – „deutsche“ Zinsen, aber sie wollen
sie mit „italienischer“ (oder „spanischer“ oder...) Politik. Früher, zu D-Mark-Zeiten, bestimmte niemand,
dass die Bundesbank die beherrschende Zentralbank Europas werden sollte. Das war das Resultat ihrer
Geldpolitik. Die hatte auch dafür gesorgt, dass Deutschland (und ein paar Nachbarn, die eine ähnliche
Politik verfolgten) meistens niedrigere Zinsen hatten als andere Länder. Diese niedrigeren Zinsen für alle
Europäer zu ermöglichen - das war eines der Ziele, das mit der Einführung des Euro verbunden war. Aber
auf die Dauer ist das nur möglich, wenn die Zentralbank die entsprechende Politik betreibt, und das ist jedenfalls derzeit - nicht der Fall.
Krause, Rolf-Dieter, ARD Brüssel , Stand: 07.09.2012: Fragen und Antworten: Was darf die Europäische Zentralbank?,
tagesschau.de (abgerufen am 02.01.2013).
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Wirtschaft/Politik 12.2
Abo 2 Anleihenkäufe der EZB – Staatsdroge oder wichtige Stabilisierungsmaßnahme?
Aufgaben:
1) Stellen Sie die Positionen von M1 und M2 schematisch hinsichtlich Chancen und Gefahren
von Anleihenkäufen für die europäische Geldpolitik, Griechenland sowie Deutschland
gegenüber.
2) Beurteilen Sie in Auseinandersetzung mit Z.33-37 sowie Z.51-56 in M2, inwieweit „weitere
Sparmaßnahmen“ „sinnvoll“ sind.
M1 Bundesbank-Chef Weidmann greift EZB wegen Anleihekäufen an
1
5
10
15
20
25
30
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat die Pläne der Europäischen Zentralbank (EZB) für ein neues
Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen ungewöhnlich scharf kritisiert. „Eine solche Politik ist für
mich zu nah an einer Staatsfinanzierung durch die Notenpresse“, sagte Weidmann dem Spiegel. Die
grundlegenden Probleme löse man auf diese Weise nicht. „Der Geldsegen der Zentralbanken würde
anhaltende Begehrlichkeiten wecken“, sagte der Bundesbank-Chef. „Wir sollten die Gefahr nicht
unterschätzen, dass Notenbankfinanzierung süchtig machen kann wie eine Droge.“ Im Mai 2010 hatte die
EZB gegen deutschen Widerstand ein Kaufprogramm für Staatsanleihen aufgelegt. [...] Die Bundesbank
kritisiert die Ankäufe als unzulässigen Versuch, mit Mitteln der Geldpolitik Staaten zu finanzieren. Die
EZB hatte Anfang August [2012] schließlich signalisiert, unter bestimmten Bedingungen wieder Bonds
von Euro-Krisenländern zu kaufen. Damit will die Notenbank erreichen, dass Schuldenländer keine
überhöhten Zinsen an Investoren zahlen müssen. Als wichtige Voraussetzung nannten die Währungshüter
einen Hilfsantrag der Länder beim EU-Rettungsfonds. Bundesbank-Präsident Weidmann hatte im EZBRat gegen den Plan von EZB-Chef Mario Draghi gestimmt.
Nach Auffassung Weidmanns sollten in Demokratien „über eine so umfassende Vergemeinschaftung von
Risiken die Parlamente entscheiden und nicht die Zentralbanken“. Der Bundesbank-Präsident sieht auch
die Unabhängigkeit der EZB in Gefahr: Auf den zweiten Blick falle auf, dass es bei den Plänen „auf
abgestimmte Aktionen der staatlichen Rettungsschirme und der Notenbank hinausläuft. Dadurch entsteht
eine Verknüpfung von Fiskal- und Geldpolitik“, sagte er. Er wolle „vermeiden, dass die Geldpolitik unter
die Dominanz der Fiskalpolitik gerät“. Eine unmittelbare Inflationsgefahr, deren Bekämpfung die
Kernaufgabe der EZB ist, sieht Weidmann nicht. „Aber wenn sich die Geldpolitik als umfassender
politischer Problemlöser einspannen lässt, droht ihr eigentliches Ziel mehr und mehr in den Hintergrund
zu rücken.“ Weidmann warnt deshalb davor, die EZB zu verpflichten, „den Verbleib von Mitgliedsländern
in der Euro-Zone um jeden Preis zu garantieren“. Bei der Entscheidung über einen möglichen Austritt
Griechenlands müsse „sicherlich auch eine Rolle spielen, dass kein weiterer Vertrauensschaden am
Rahmenwerk der Währungsunion entsteht und die wirtschaftspolitischen Auflagen der Hilfsprogramme
ihre Glaubwürdigkeit behalten“. Gegen Kritik an seiner offensiven Kommunikationspolitik in den
vergangenen Monaten wehrt sich Weidmann: „Wir Notenbanker agieren derzeit in einem Grenzbereich,
und dabei treten immer mehr grundlegende Fragen auf. Deshalb müssen wir auch bereit sein, unsere
Überzeugungen, die wir im Rat vertreten, öffentlich zu erläutern“, sagte Weidmann. „Der EZB-Rat ist
kein Politbüro“. [...]
Abgerufen unter: http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-08/weidmann-ezb-anleihekaeufe (am 03.01.2013).
M2 Wirtschaftsweiser Bofinger plädiert für EZB-Staatsanleihenkauf
1
5
Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat sich in der zugespitzten Lage für den Kauf von Staatsanleihen
durch die Europäische Zentralbank (EZB) ausgesprochen. „Kurzfristig führt kein Weg an der
Europäischen Zentralbank vorbei“, sagte Bofinger im Interview mit dem Wall Street Journal Deutschland
in Berlin. Positiv beurteilte Bofinger die Andeutungen von EZB-Präsident Mario Draghi, dass die EZB
nun doch wieder bereit sein könnte, weitere Staatsanleihen von überschuldeten Euroländern zu kaufen.
„Es ist gut, dass EZB-Präsident Draghi die Bereitschaft zu einem Ankauf von Staatsanleihen durch die
EZB hat erkennen lassen“, sagte Bofinger. Der EZB-Präsident hatte am Donnerstag bei einer Konferenz in
London darauf verwiesen, dass hohe Risikoaufschläge bei bestimmten Staatsanleihen die von der EZB
beabsichtige Geldpolitik behinderten. Das Grundproblem der vergangenen Wochen und Monate sei, dass
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
10 Länder wie Spanien und Italien, die sich seit Monaten mit sehr großer Energie um die Konsolidierung
ihrer Staatshaushalte bemüht hätten, von den Märkten einfach nicht zu angemessenen Zinsen Geld
bekämen. Dabei sei Italien das zweitsolideste G7-Land, es habe ein deutlich niedrigeres Defizit als
Großbritannien. Dennoch müsse Italien wesentlich höhere Zinsen als Großbritannien zahlen. Hier liege
eine ganz massive Störung der Märkte vor. Problematisch ist aus Sicht des Wirtschaftsweisen, dass durch
15 diese Marktstörung die Reformanstrengungen unterlaufen werden. Die Durchsetzung weiterer politischer
Maßnahmen werde bei den Menschen immer schwieriger, weil diese sagten, das Sparen bringe ohnehin
nichts. „Wenn wir nicht einfach zusehen wollen, wie diese destabilisierenden Marktprozesse immer
stärker werden, dann ist die EZB derzeit die einzige voll handlungsfähige Institution im Euroraum“, sagte
Bofinger. Der Wirtschaftsweise rechnet schon in nächster Zeit mit entsprechenden Schritten der EZB. „Da
20 ich davon ausgehe, dass EZB-Präsident Draghi weiß, was er sagt, wird er seinen Worten auch
entsprechende Taten folgen lassen, sonst würde er seine Glaubwürdigkeit verlieren“, sagte das Mitglied
im Sachverständigenrat zur wirtschaftlichen Entwicklung, der auch die Bundesregierung berät.
Der Wirtschaftsweise bezeichnete Anleihekäufe von Notenbanken als ein ganz normales Instrument.
Selbst die deutsche Bundesbank habe in den 70er-Jahren im Milliardenumfang Bundesanleihen gekauft,
25 um die langfristigen Zinsen in Deutschland zu drücken. Bofinger beurteilt den EZB-Staatsanleihenkauf
auch als weniger problematischen Lösungsweg als die gegenwärtig angestellten Überlegungen, über den
europäischen Rettungsschirm EFSF spanische Staatsanleihen zu kaufen. Der EFSF[, der 2013 ausläuft,]
habe gar nicht mehr so viele Mittel zur Verfügung. Skeptisch sieht Bofinger zudem, dass beim Gipfel
festgelegt worden sei, dass ein EFSF-Anleihenkauf nach wie vor mit Anpassungsprogrammen verbunden
30 werde. Diese seien jedoch mit negativen Signaleffekten verbunden, sagte der Wirtschaftsweise. „Aus
meiner Sicht besteht aber für Spanien wie für Italien überhaupt keine Notwendigkeit für ein zusätzliches
makroökonomisches Anpassungsprogramm“.
Es stelle sich die Frage, ob es sinnvoll sei, weitere Sparmaßnahmen zu beschließen, wenn sich ein Land in
der Rezession befinde. Griechenland sei ein aktuelles Beispiel für die destabilisierenden Effekte eines
35 solchen Vorgehens. „Man sollte deshalb in den Problemländern mit weiteren Sparmaßnahmen warten, bis
die Konjunktur wieder Tritt gefasst hat“, forderte Bofinger. Andernfalls laufe man Gefahr, noch weitere
Griechenlands zu bekommen. Als langfristig ausgerichteten Lösungsansatz nennt Bofinger den vom
Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds. Die Idee dahinter sei, einen „Rahmen für
eine Gemeinschaftshaftung zu schaffen“, sagte Bofinger. Den Widerstand der Bundesregierung gegen
40 diesen Vorschlag des Sachverständigenrates erklärt sich Bofinger dadurch, dass „Gemeinschaftshaftung in
Deutschland ein rotes Tuch“ sei. Die Bevölkerung sei schon gegenüber dem künftigen europäischen
Rettungsschirm ESM sehr negativ eingestellt. Das momentane Problem bestehe darin, dass der deutschen
Öffentlichkeit die Risiken, die aus einem möglichen Auseinanderbrechen des Euroraumes entstünden,
überhaupt nicht bewusst seien. „Man sieht zwar alle möglichen Risiken der Gemeinschaftshaftung, aber
45 man erkennt nicht, dass eine Rückkehr zur D-Mark mit sehr viel größeren Risiken, insbesondere für
unsere Exporte und unsere Arbeitsplätze verbunden wäre“, sagte Bofinger. Das Besondere an dem vom
Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds sei, dass „keine dauerhafte
Gemeinschaftshaftung geschaffen wird, sondern über einen Zeitraum von 25 Jahren eine vollständige
Tilgung der in gemeinschaftlicher Haftung begebenen Schulden vorgesehen ist“, sagte Bofinger. Zudem
50 seien sehr umfangreiche Absicherungsmechanismen vorgesehen.
[...] „Wir sind in einer Situation, die bedrohliche Tendenzen auch für Deutschland aufweist“, warnte das
Mitglied des Sachverständigenrates. Zugleich warb der Wirtschaftsweise für mehr Geduld mit
Griechenland. Das Land habe in den letzten drei Jahren mehr gespart als alle anderen Länder. Das habe
Griechenland in die wirtschaftliche Depression geführt. „In einer solchen Lage sollte man mehr Geduld
55 mit Griechenland haben, da niemand ein Interesse daran haben kann, das in Griechenland ein
ökonomisches und politisches Chaos ausbricht“, sagte der Wirtschaftsweise.
Etwas Geduld werde sich am Ende für alle Beteiligten auszahlen. „Ein Ausscheiden Griechenlands aus
dem Euro wäre mittelfristig schlimmer für den Euroraum als für Griechenland, weil damit ein
destabilisierender Prozess für die anderen Problemländer ausgelöst wird, der dann kaum noch zu
60 kontrollieren ist“, sagte Bofinger im Interview mit dem Wall Street Journal Deutschland.
Preuschoff, Beate: Wirtschaftsweise Bofinger plädiert für EZB-Staatsanleihenkauf, 27.07.2012,
http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2012-07/24164471-wirtschaftsweiser-bofinger-plaediert-fuer-ezbstaatsanleihenkauf-015.htm (abgerufen am 03.01.2013).
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Wirtschaft/Politik 12.2
Abo3 Die Grenzen der reinen Enthaltsamkeit: Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertung oder
Strukturreform?
Vorbereitende Hausaufgabe
Aufgabe:
1) Stellen Sie eine der zwei zentralen Positionen zur Sparpolitik und deren Argumente in
Wirkungszusammenhängen (wenn..., dann...) dar.
M1 Europa glaubt nicht mehr ans Sparen
1
5
10
15
20
25
30
35
40
45
[...] [François Hollande] hat angekündigt, die von Deutschland gemeinsam mit dem bisherigen
Amtsinhaber Nicolas Sarkozy durchgesetzte Sparpolitik zu hinterfragen - und mit dem Prinzip der reinen
Enthaltsamkeit, von Ökonomen „Austerity“ genannt, Schluss zu machen. Hollande will zudem Druck auf
die Europäische Zentralbank (EZB) ausüben, neben dem Ziel der Geldwertstabilität auch die
Wachstumsförderung in ihre Statuten aufzunehmen.
Nur Sparen reicht nicht
Für Euroland wäre das ein Paradigmenwechsel: Die Akteure der Rettungsaktionen stellen sich auf die neue
Lage vorsorglich jetzt schon ein. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel lässt durchsickern, sie könne sich
eine „Ergänzung“ der Sparprogramme durch eine Wachstumskomponente vorstellen. Der Brüsseler
Währungskommissar Olli Rehn kündigte [...] einen „Europäischen Investitionspakt“ an. Und der
Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, warnte: „Sparen allein kann
die Probleme nicht lösen.“ Es geht um die grundsätzliche wirtschaftspolitische Linie. Lange Zeit galt
Sparen - wenn auch zähneknirschend - als „alternativlos“. Um die Malaise der hochverschuldeten Staaten
im Süden Europas in den Griff zu bekommen, müssen ihnen strenge Sparprogramme verordnet werden,
hieß es. Weniger Staatsausgaben, höhere Steuern - oder gleich beides. Das tut weh, so die Befürworter,
aber ohne geht es nicht. Und zusätzlich sollen verkrustete Strukturen aufgebrochen werden.
Nervenzehrende Rezession
Griechenland, Portugal, Spanien und Italien haben sich jetzt einige Zeit zu sparen bemüht, durchleiden
aber eine nervenzehrende Rezession - mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 1,8 Prozent in
Spanien oder 4,7 Prozent in Griechenland. Nun bekommen die Anhänger des gegenteiligen Rezepts
Oberwasser. Nicht durch Sparen könnten die notleidenden Staaten ihre Wirtschaft in Gang bringen, sagen
Ökonomen wie der Nobelpreisträger Paul Krugman, sondern indem sie ihre Ausgaben erhöhen. Sparen
werde für Südeuropa zur „selbstzerstörerischen Strategie“, so Krugman, weil mit einem Rückgang der
öffentlichen Aufträge die Wirtschaftsleistung schrumpfe. Damit sänken die Steuereinnahmen - und
anschließend müsse noch mehr gespart werden. In der Ökonomie gibt es, wie stets, Argumente für beide
Seiten. Die einen berufen sich auf den britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der in
Schwächephasen für staatliche Ausgabenprogramme plädierte, um die Wirtschaft anzukurbeln.
„Liquiditätsfalle“ nennen die Keynesianer eine Lage, in der sich die Wirtschaft nicht mehr aus der
Abwärtsspirale befreien kann: Unternehmen investieren nicht, obwohl sie billig Geld leihen könnten. Dann
ist der Staat gefragt.
Richtiges Timing
Die anderen berufen sich auf die sogenannte neoklassische Wachstumstheorie. Ausgeglichene
Staatshaushalte halten sie für die beste Voraussetzung wirtschaftlichen Aufschwungs.
Konjunkturprogrammen billigen sie nur unter sehr bestimmten Umständen Erfolgschancen zu. Das Timing
ist dabei wichtig, den richtige Zeitpunkt verpasst man bei Konjukturprogrammen aber fast immer.
Außerdem muss ein Staat finanzielle Spielräume haben. Das wäre höchstens für Länder wie Deutschland
interessant. Aber dort ist die Bereitschaft nicht sonderlich hoch, für den Süden noch mehr zu zahlen.
Schließlich hilft auch ein Konjunkturprogramm wenig, wenn andere Faktoren das Wachstum behindern.
„In Spanien haben wir es mit einem nicht funktionierenden Bankensystem zu tun und mit schweren
Störungen im Arbeitsmarkt“, sagt Clemens Fuest, Ökonomieprofessor in Oxford. „Diese Probleme müssen
behoben werden.“ Dementsprechend beteuern in Deutschland alle Parteien mit Ausnahme der Linken, eine
Abkehr von der Haushaltssanierung und den Strukturreformen werde es nicht geben. Kein Wunder: Nach
dem jüngsten ARD-Deutschlandtrend sind auch 53 Prozent der SPD-Anhänger fürs Festhalten am strengen
Sparen, bei den Grünen sogar 58 Prozent und bei CDU/CSU 63 Prozent. „Natürlich müssen viele Länder
in Europa ihre Arbeitsmärkte flexibilisieren, natürlich müssen wir in Europa Staatsbetriebe privatisieren“,
sagt etwa SPD-Chef Sigmar Gabriel. „Aber wir müssen das sozial begleiten.“
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
50
55
60
65
70
75
80
85
Ein neues Zauberwort
Das neue Zauberwort heißt „Ergänzung“. Beim Fiskalpakt soll es bleiben, trotzdem will man in Berlin und
Brüssel einem Präsidenten Hollande und der neuen Stimmung in Europa entgegenkommen. Schon länger
ist die Rede davon, nicht abgerufene EU-Strukturhilfen auch ohne Eigenbeteiligung an die Krisenländer
auszuzahlen. Jetzt soll auch das Kapital der Europäischen Investitionsbank (EIB) aufgestockt werden – ein
Schritt, den Kanzlerin Merkel bislang abgelehnt hatte. Offen ist weiterhin, ob und in welcher Form eine
neue Finanzmarktsteuer kommt, um die Kritiker zu besänftigen. Ein klassisches, schuldenfinanziertes
Konjunkturprogramm lehnt in Deutschland aber auch die SPD ab. „Es geht nicht um eine
Abwrackprämie“, sagt Gabriel. Deutsche Ökonomen warnen davor, ein Paradigmenwechsel in der EuroPolitik könne schwersten Schaden hervorrufen. „Der Grund der Krise und der Rezession ist ein Verlust an
Vertrauen in die Fähigkeit der Euroländer, die Erfordernisse für eine Währungsunion zu erfüllen“, sagt
Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. „Dazu gehören fiskalpolitische Disziplin und flexible
Arbeitsmärkte.“ Die Rezession könne nur überwunden werden, wenn Vertrauen wiederhergestellt werde.
„Dazu sind solide Staatsfinanzen und strukturelle Reformen nötig.“
Vertrauen als Ziel
Mit dem Vertrauen argumentieren allerdings beide Seiten. Nur wenn gespart wird und alle im Land auf die
künftige Zahlungsfähigkeit des Staates vertrauen können, kann die Wirtschaft wieder wachsen, sagen die
einen. Nur wenn die Wirtschaft vom Staat angekurbelt wird und man hoffen kann, dass alles nicht nur
immer schlimmer wird, werden die Menschen wieder Vertrauen schöpfen, sagt die Gegenseite. Auch
historische Beispiele finden die Vertreter beider Schulen zuhauf. „Es gibt historische Beispiele für Länder,
in denen man versucht hat, trotz der Krise Staatsausgaben zu kürzen und den Haushalt zu sanieren“, sagt
Oxford-Ökonom Clemens Fuest. „Das ist manchmal gutgegangen - etwa in Dänemark 1982 oder in Irland
1987 bis 1989. Manchmal aber auch nicht, zum Beispiel in Irland 1982.“ Damals blieb in dem Land die
wirtschaftliche Lage trotz Sparkurs mau, die Inflation war hoch, und Arbeitslosigkeit drückte das Land.
Konjunkturprogramme müssen nicht altruistisch sein und sind auch nicht rausgeschmissenes Geld, sagen
die Keynesianer: Sie helfen auch den Helfern. Denn in der vergangenen Woche meldete der deutsche
Maschinenbau einen kräftigen Einbruch der Auftragseingänge aus Südeuropa. Ebenso ergeht es der
französischen Automobilindustrie, die traditionell viele kleine Autos nach Spanien und Italien verkauft.
Allerdings waren die Erfahrungen mit Konjunkturprogrammen in der ersten Phase der Finanzkrise eher
ernüchternd. Von der Abwrackprämie in Deutschland profitierten eher Produktionsländer mit niedrigen
Löhnen wie Polen, Tschechien und Rumänien.
Keine Delle, eine Strukturkrise
Wenn man nach den Chancen von Konjunkturprogrammen in Südeuropa fragt, muss man sich vor allem
mit den Ursachen der Krise befassen. Die Krise ist keine kurzfristige Delle, die es nur zu überbrücken gilt,
sondern eine tiefgreifende Strukturkrise. Der Euro hat dazu geführt, dass Produkte und Dienstleistungen in
Südeuropa zu teuer geworden sind, ohne dass die Länder ihre Währung abwerten könnten. „An der
Austerity-Strategie von Ländern, die mit fremdem Kredit über ihre Verhältnisse gelebt haben, führt kein
Weg vorbei“, sagt der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. „Ich würde die Länder nicht
daran hindern, sich zu verschulden, wenn sie das auf eigenes Risiko machen wollten.“ Das Problem sei
nur, dass sie sich nach Jahren des billigen privaten Kredits aus dem Ausland nun mit öffentlichem Kredit
der Staatengemeinschaft weiter verschulden wollten. „Ich will gerne zugeben, dass die Entsagung von der
süßen Droge des Kredits Schmerzen verursacht“, sagt Sinn. Nur sehe er keine Alternative dazu. „Das Geld
wächst nicht auf den Bäumen.“ [...]
Bollmann, Ralph/ Siebenbiedel, Christian (05.05.2012): Europa glaubt nicht mehr ans Sparen, abgerufen unter:
http://www.faz.net/-gqu-6zn6v (abgerufen am 09.01.2013).
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Wirtschaft/Politik 12.2
Abo3 Die Grenzen der reinen Enthaltsamkeit: Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertung oder
Strukturreform?
Unterricht - Verlaufsskizze
Aufgaben:
1) Positionieren Sie sich spontan – Sparen oder Schulden machen?
2) Verdeutlichen Sie auf Grundlage Ihrer Kenntnisse (vor allem M1) den bestehenden
wirtschaftspolitischen Zielkonflikt in Europa. (Abo4  Tabelle)
3) Stellen Sie die Positionen sowie die Argumente der jeweiligen Zielvorstellung heraus. (Abo4
 Tabelle)
4) Leiten Sie das jeweilige Staats- und Menschenbild hinter den Positionen ab.
5) Entscheiden Sie sich differenziert (Betrachtungsebenen) und reflektiert (Werte) für ein
angebotstheoretisches Europa mit hartem Geld und unabhängiger EZB (Sparen,
Strukturreformen) oder für ein nachfrageorientiertes Europa mit weichem Geld und ein er
EZB (Abwertung, Anleihen), die auch anderen Zielen verpflichtet ist.
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Wirtschaft/Politik 12.2
Abo4 Zielkonflikt
Entscheidungs-Dilemma
Zielkonflikt
Gemeinsames Streben nach Wettbewerbsfähigkeit über unterschiedliche Ziele
Stabilitätspolitik (Wettbewerbsfähigkeit durch
Wettbewerbsfähigkeit über Abwertung
Strukturreformen und Produktivitätssteigerung sowie
Innovation)
Wenn ich das Ziel der Preisstabilität verfolge, dann muss
ich damit rechnen, dass...
Wenn ich das Ziel der Wachstumsförderung durch
Abwertung verfolge, dann muss ich damit rechnen, dass ...
Spannungsfeld
Die wirtschaftlichen Maßnahmen zur Erreichung des einen Ziels können sich negativ auf das andere auswirken.
Angebotsorientierte Argumente
Nachfrageorientierte Argumente
Profiteure und momentane Vertreter
Staatsbild
(Neoklassischer)Liberalismus
Etatismus
(wenig Staatseingriffe, Entstaatlichung, Ordnungsrahmen,
(Staatsdefizite als Mittel zum Zweck, staatliche Regelung
Gewährleistung des funktionierenden Wettbewerbs,
und Eingriffe in Wirtschaftprozesse zur Steuerung
Staatsdefizite vermeiden, Rückbau von Subventionen)
konjunktureller Schwankungen)
Menschenbild
Eigenverantwortung
Kollektivistisch
Prinzip der Leistung
Sozial
Individualismus
Prinzip des Bedürfnis’
Rational
Solidarisch
Vernunftorientiert
Teilhabe
Freiheit
Gemeinwohl
Handlung=Haftung
HandlungHaftung
Vertrauen in die Fähigkeit des Menschen, für sich und sein Idee, dass der Staat unterstützend intervenieren muss, damit
Handeln Verantwortung zu übernehmen. Wichtig sind dabei moralische, humanistische, das Allgemeinwohl betreffende
Rahmenbedingungen, auf die Verlass ist.
Ziele erreicht werden können, da der Mensch dies ohne
unterstützende Regulierung nicht allein erreichen würde.
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Wirtschaft/Politik 12.2
Abo5 Abwertung oder Strukturreform – was ist die richtige wirtschaftspolitische Strategie für Europa?
Aufgabe:
1) Arbeiten Sie Argumente heraus, indem Sie auch weitere Argumente für die Perspektive Ihrer
Rollenkarte überlegen.
Ablauf der Pro-Contra-Debatte
1. Arbeiten Sie in Ihrer Gruppe Argumente für die Perspektive Ihrer Rollenkarte heraus. Bereiten
Sie ein Anfangs- und ein Schlussplädoyer vor. Das Schlussplädoyer darf keine neuen
Argumente beinhalten! Bestimmen Sie _______ Redner. Die anderen sind dann Beobachter,
_________ protokollieren.
2. Der Moderator führt in die Debatte ein.
3. Pro Seite wird das Anfangsplädoyer gehalten.
4. Es folgt die Debatte als Wechselrede (Argument – Gegenargument). Versuchen Sie dabei auf
die Argumente der anderen Seite einzugehen und diese zu entkräften!
5. Pro Seite wird das Schlussplädoyer gehalten. Es dürfen keine neuen Argumente genannt
werden.
6. Die Debatte wird ausgewertet und reflektiert.
Gruppe A 1
1
5
10
Dziennik Gazeta Prawna - Polen | Dienstag, 18. September 2012
EZB-Programm ersetzt keine Reformen
Die Finanzmärkte haben seit der Entscheidung der Europäischen Zentralbank, unbegrenzt
Staatsanleihen zu kaufen, um bis zu sechs Prozent zugelegt. Dennoch werden die Euro-Länder
langfristig um schmerzhafte Reformen wohl nicht herumkommen, analysiert der Vorsitzende
der Polnischen Vereinigung der Ökonomen TEP, Ryszard Petru, in der konservativen
Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna: „Während die Politiker ihre Maßnahmen nur langsam
und nicht richtig umsetzen, ist EZB-Präsident Draghi momentan der einzige, der sich für die
gesamte Euro-Zone verantwortlich fühlt. Doch hat er damit das Problem der Länder - die hohen
Zinsen auf Staatsanleihen - nur kurzfristig gelöst. ... Diese Maßnahmen sind letztlich nicht
tragfähig. Nach wie vor gibt es hohe Haushaltsdefizite in den Ländern. Dabei haben selbst die
größten Anhänger dieser Art von Eingriffen immer wieder betont, dass Draghi damit den
Politikern nur mehr Zeit für ihre Reformen gegeben hat. Wir wissen noch nicht, wie viel Zeit
und zu welchem Preis. Es wäre interessant zu wissen, ob die europäischen Politiker sich dessen
überhaupt bewusst sind.“
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Gruppe A 2
1
5
10
Le Monde - Frankreich | Dienstag, 16. Oktober 2012
Alberto Saravalle fordert schlanken Staat in Italien und Frankreich
Eine Ende der Schuldenkrise ist nicht in Sicht und deshalb brauchen Italien und Frankreich
gleichermaßen ein strenges Reformprogramm, fordert der italienische Jurist Alberto Saravalle in
der linksliberalen Tageszeitung Le Monde: „Italien und Frankreich haben ähnliche Probleme:
Sie sind viel zu stark verschuldet, der öffentliche Sektor spielt eine zu große Rolle, die
Staatsausgaben sind zu hoch, die Wettbewerbsfähigkeit ist gering und das Wachstum muss
dringend angekurbelt werden. Die bewährten Lösungsstrategien basieren auf dem Irrglauben,
dass die richtige 'Industriepolitik' eines starken Staates das Wachstum beleben könne. Doch sie
haben nicht funktioniert, weder in Italien noch in Frankreich. ... Da kann man nur hoffen, dass
der Kater nach den Wahlen bald abklingt und Nüchternheit einkehrt. Dass Politiker dogmatische
Vorstellungen und simple Wahlversprechen aufgeben, damit sie dann ein strenges
Sparprogramm verfolgen können, wodurch Staatsausgaben gesenkt werden und das Wachstum
auf lange Sicht gefördert wird.“
Gruppe B1
1
5
10
Die Welt - Deutschland | Samstag, 18. August 2012
Führende Ökonomen verlangen Euro-Abwertung
„Ich kann mir vorstellen, dass der Euro noch weiter an Wert verlieren muss“, sagt der in Oxford
lehrende Finanzwissenschaftler Clemens Fuest. [...]Für Experten wie ihn überwiegen die
Vorteile eines schwachen Euro. Schließlich liegt die zentrale Schwierigkeit Europas derzeit
darin, dass mehrere Länder international nicht wettbewerbsfähig genug sind. Das heißt
vereinfacht gesagt: Die Waren, die sie gerne exportieren wollen, sind auf dem Weltmarkt zu
teuer. Abhilfe können beispielsweise sinkende Arbeitskosten schaffen. Immerhin sinken die
Löhne in Griechenland, die über Jahre überdurchschnittlich gestiegen waren, inzwischen
deutlich. Und auch die spanische Regierung hat einiges unternommen, um die Arbeit im Land
billiger zu machen. Doch es dauert, bis solche Reformen wirken – und in der Zwischenzeit
leiden die Arbeitnehmer, deren Löhne gekürzt oder deren Stellen gestrichen wurden.
Gruppe B2
1
5
10
Welt am Sonntag - Deutschland | Sonntag, 19. August 2012
Hurra, der Euro fällt!
[...]Die Krisenländer brauchen [...]einen Hebel, damit ihre Reformen mehr Wirkung entfalten.
Und dieser Hebel ist ein fallender Euro. „Der schwächere Euro kommt den Krisenländern jetzt
gerade recht“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Gerade für Länder
wie Italien oder Spanien, die bei ihren Ausfuhren eher auf Masse setzen, sei dieser Preisvorteil
viel wert. Der bisherige Wertverfall des Euro reiche freilich noch nicht aus, um einen
entscheidenden Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten, sagt Ulrich Kater, Chefökonom der
Deka-Bank. Gegenüber dem US-Dollar mag der Euro im vergangenen Jahr fühlbar abgewertet
haben, doch im Vergleich zum Durchschnitt der Währungen der Handelspartner betrage der
Wertverlust weniger als zehn Prozent. "Aus Euroland-Sicht kann das ruhig noch ein bisschen so
weitergehen mit der Abwertung", sagt Kater.
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Anhang: Lose Materialsammlung zum Thema
Corriere del Ticino - Schweiz | Freitag, 21. September 2012
Notenbanken belohnen nur Finanzwesen
1 Die EZB, die US-Notenbank Federal Reserve und die japanische Notenbank haben jüngst
entschieden, zur Krisenbewältigung große Mengen Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Doch von
dieser Geldpolitik profitieren wieder nur die großen Finanzakteure, bedauert die liberale
Tageszeitung Corriere del Ticino: „In Wahrheit ist diese Form der Geldpolitik nicht neutral und
5 kommt nicht den sozial schwachen Schichten zugute. Die Geldschwemme belohnt die Banken,
die sich zu niedrigen Zinsen finanzieren können, die großen Finanzgesellschaften, die mit
billigem Kapital spekulieren können, sowie die verschuldeten Wirtschaftsakteure. Bestraft wird
hingegen der kleine Mann, der vorsichtige Sparer. … Zudem begünstigt diese Geldpolitik neue
Spekulationsblasen, ohne sich positiv auf die Realwirtschaft auszuwirken und ohne die
10 Bedingungen für solides Wachstum zu schaffen. Folglich handelt es sich nur um ein weiteres
Experiment, das kaum bei einem der Hauptprobleme der Krise ansetzt: bei der ungleichen
Einkommensverteilung.“
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
1
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Interview 26.09.2012
„Es bringt gar nichts, die Dinge schön zu reden“
Interview mit Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, in Neue Zürcher
Zeitung am 26.09.2012
Bundesbankpräsident Jens Weidmann erklärt, weshalb er im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB)
als Einziger gegen das neue Anleihenkaufprogramm gestimmt hat. Er warnt vor einer Annäherung der
Geldpolitik an die Fiskalpolitik und zieht Schlüsse für seine eigene Rolle. Vergangene Woche hat
Spanien 10-jährige Anleihen zu einer Rendite von 5,66% placiert. Vor Ankündigung der neuen
Staatsanleihenkäufe durch die EZB hatte das Land dafür noch 6,65% bezahlen müssen.
Ist das neue EZB-Programm so erfolgreich, dass es schon wirkt, noch bevor es überhaupt zur
Anwendung kommt?
Die Ankündigung hat natürlich Marktwirkungen, solche Effekte hat es ja auch schon bei früheren
Maßnahmen gegeben. Niemand bestreitet, dass eine Notenbank die Zinsen vorübergehend beeinflussen
kann, wenn sie ankündigt, in die Märkte eingreifen zu wollen. Doch die kurzfristige Reaktion der
Märkte kann nicht der Massstab für die Notenbankpolitik sein.
Sie haben im EZB-Rat als Einziger gegen das neue Programm gestimmt. Früher hatte man den
Eindruck, mehrere Ratsmitglieder teilten Ihre Skepsis gegenüber Staatsanleihenkäufen. Was hat sich
geändert, dass Sie mit Ihrer Skepsis plötzlich allein waren?
Ich bin sicherlich nicht der Einzige im Rat, der Bedenken bei einem Ankaufsprogramm für
Staatsanleihen hat. Trotz der breiten Mehrheit für das Programm habe ich den Eindruck, dass einige
Kollegen meine Sorgen teilen.
Haben Sie das Staatsanleihenprogramm aus Prinzip abgelehnt oder weil sie glauben, dass es schlicht
nicht funktioniert?
Es gibt aus meiner Sicht einige Gründe, die gegen das Programm sprechen. Dazu zählen einerseits
sicher stabilitätspolitische Prinzipien und die Frage, ob die Notenbank hierzu demokratisch legitimiert
ist. Das Programm verteilt Haftungsrisiken zwischen den Steuerzahlern des Euroraums um. Das dürfen
nur die Parlamente, und sie haben mit den Rettungsschirmen ja auch die passenden Instrumente an der
Hand. Die Notenbankfinanzierung darf nicht als umfassender Problemlöser etabliert werden.
Andererseits geht es aber auch ganz einfach um die Frage, ob das Programm letztlich mehr hilft oder
mehr schadet. Wenn die Hilfe der Notenbank den Druck von der Politik nimmt, den Reformprozess
voranzutreiben, könnte die Überwindung der Krise eher erschwert und verzögert werden.
Was wiederum auch die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik untergräbt.
Wenn die Notenbank sich auf dieses Terrain begibt, könnte sie am Ende zur Gefangenen ihrer eigenen
Politik werden und an Glaubwürdigkeit verlieren.
Weshalb konnten Sie denn mit diesen Argumenten ihre EZB-Ratskollegen nicht überzeugen?
Die Mehrheit im Rat war offensichtlich der Überzeugung, dass den durchaus berechtigten Sorgen durch
eine adäquate Ausgestaltung des Programms Rechnung getragen werden kann. Meine Argumente und
Bedenken sind dabei durchaus von den Kollegen aufgenommen worden – auch wenn ich am Ende
weiterhin ein anderes Gesamturteil hinsichtlich des Programms fälle.
EZB-Präsident Draghi erklärt das neue Programm mit der gestörten Transmission der Geldpolitik.In
der Tat scheint da was dran zu sein, die jüngste Leitzinssenkung der EZB ist in einigen Euro-Staaten
nicht mehr angekommen. Teilen Sie die Ansicht, dass die Übermittlung der Geldpolitik gestört ist?
Dieses Argument wird schon seit dem ersten Staatsanleihenprogramm von 2010 angeführt mit dem
Resultat, dass wir heute immer noch davon reden, die Übermittlung sei gestört. Das führt mich zu
folgender Frage: Sind Staatsanleihenkäufe angesichts struktureller Probleme, wie dem Mangel an
Wettbewerbsfähigkeit und dem Vertrauensverlust in die Staatsfinanzen einzelner Länder, überhaupt das
geeignete Instrument zur Reparatur des geldpolitischen Transmissionsmechanismus?
Aber die Diagnose stimmt?
Unsere geldpolitischen Impulse werden zwar weiterhin übertragen, es ist aber sicher so, dass unsere
Geldpolitik derzeit nicht in allen Ländern gleich gut ankommt. Das hängt nicht zuletzt mit der
mangelnden Kreditnachfrage in einigen Ländern zusammen und mit dem Deleveraging-Prozess in den
dortigen Bankensystemen. All dies sind aber notwendige und sinnvolle Anpassungen, damit diese
Volkswirtschaften wieder auf eigenen Füßen stehen können.
Spiegeln die Risikoprämien der Staatsanleihen überhaupt noch die Fundamentaldaten, oder sind sie
teilweise der Irrationalität der Märkte geschuldet?
Die Einschätzungen, was ein faires, fundamental gerechtfertigtes Zinsniveau ist, liegen sehr weit
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
auseinander und haben eine große subjektive Komponente. Ich würde ohnehin nicht sagen, dass das,
was an den Märkten derzeit passiert, völlig irrational ist. Dahinter stehen Sorgen, dass in einzelnen
55 Ländern die Reformen ins Stocken geraten. Die Reformen und vor allem die Perspektiven, ob diese
fortgesetzt werden, sind aber mitentscheidend für die Wachstumsaussichten und damit das Kreditrisiko.
Dann wäre es für die EZB das Beste, gar nichts zu tun, die Situation einfach auszusitzen?
Ein Verzicht auf Staatsanleihekäufe würde doch nicht bedeuten, dass das Eurosystem die Lage aussitzt.
Wir haben ja schon sehr viel getan: Die Zinssätze sind historisch niedrig, die Banken erhalten jede
60 beliebige Menge an Liquidität, das Sicherheitenregime wurde wiederholt gelockert, es wurden bereits
Staatsanleihen und Pfandbriefe gekauft. Das Eurosystem hat sehr viel unternommen, doch darf die
Geldpolitik nicht überfordert werden.
EZB-Präsident Draghi hat explizit erklärt, der Euro sei irreversibel, und es werde in Europa nie mehr
Drachmen und Lire geben. Ist es denn die Aufgabe der EZB, die Euro-Zone und den Euro in ihren
65 jetzigen Formen zu erhalten?
Unsere Aufgabe ist es, den Euro im Rahmen unseres Mandats als stabile Währung zu erhalten. Gegen
politische Entscheidungen über die Zusammensetzung der Währungsunion können und dürfen wir uns
nicht stemmen. Die Notenbanken haben ja auch nicht darüber entschieden, aus welchen Ländern die
Währungsunion zusammengesetzt wurde. Solche Entscheide können nur demokratisch legitimierte
70 Gremien fällen.
Dann ist das Finanzstabilitätsmandat der EZB also kein Grund, alles zu tun, um den Euro zu retten?
Natürlich sind Geldwert- und Finanzstabilität miteinander verwoben. Für uns gibt es allerdings eine
ganz klare Hierarchie, unser oberstes Ziel ist die Preisstabilität. Das Finanzstabilitätsmandat ist dem
unterstellt und ist kein Blankoscheck. Es gibt Voraussetzungen für die Erfüllung ihrer Aufgaben, die die
75 Notenbanken nicht aus sich heraus gewährleisten können, sondern bei denen die Mitgliedstaaten gefragt
sind. Hier findet auch das Mandat der Notenbanken seine Grenzen.
Angenommen die EZB hätte das Staatsanleihenprogramm nicht ins Leben gerufen und die Politik hätte
ihrerseits zu wenig unternommen, so dass die Krise eskaliert wäre. Hätte die EZB dann, um das
Finanzsystem zu stabilisieren, nicht sowieso eingreifen müssen?
80 Ich glaube nicht, dass das System zusammengebrochen wäre, wenn die EZB das
Staatsanleihenprogramm nicht ins Leben gerufen hätte. In der Vergangenheit haben etliche Länder des
Euro-Raums mit Renditen von 7% und mehr leben können – und zwar nicht nur bei Neuemissionen,
sondern sogar im Mittel. Auch jetzt wären die betroffenen Länder durchaus in der Lage, für einige Zeit
höhere Zinsen bei Neuemissionen zu schultern. Es kommt darauf an, in dieser Zeit das Nötige zu tun,
85 damit das Vertrauen der Anleger wieder steigt und die Risikoprämien zurückgehen. Hier muss man sich
fragen, ob Anleihekäufe der Notenbanken die richtigen Anreize schaffen. Wenn Zeit gekauft werden
soll, stehen hierfür die Rettungsschirme zur Verfügung.
Das spricht aber für Konditionalität, so wie sie die EZB bei ihrem neuen Programm eingebaut hat,
nämlich nur aktiv werden, wenn die Staaten den Reformkurs eingeschlagen haben.
90 Wenn man sich auf ein solches Programm einlässt, dann ist eine glaubwürdige und strenge
Konditionalität ein gewisser Schutz.
Wie sieht es denn mit dem Verlustrisiko des neuen Staatsanleihenprogramms für die EZB selbst aus?
Das ist ein weiteres Problem. Einer der Grundsätze unserer Geldpolitik ist, dass unsere Geschäfte
möglichst risikoarm sein sollten. Mit Ankäufen nimmt das Eurosystem aber beachtliche Risiken in die
95 eigenen Bücher.
Auch die Schweizerische Nationalbank hat in einer außergewöhnlichen Situation außergewöhnliche
Schritte beschlossen, als sie die Kursuntergrenze zum Euro einführte.
Die Kursuntergrenze der SNB kann nicht mit dem Staatsanleihenprogramm des Eurosystems verglichen
werden. Zum Beispiel verteilt die SNB mit ihrer Massnahme keine Risiken zwischen Steuerzahlern
100 verschiedener Länder um, das Eurosystem hingegen schon.
In der Schweiz wird gegenwärtig diskutiert, wie man aus dem Mindestkursregime wieder herauskommt.
Was ist eigentlich die Exit-Strategie der EZB bei ihrem Staatsanleihenprogramm?
Das ist ein ganz entscheidender Punkt, auch um bei der Konditionalität glaubwürdig zu sein. Das ist
Gegenstand laufender Beratungen.
105 Nun wird die EZB ja wohl bald schon ein zusätzliches Mandat bekommen, jenes der Bankenaufsicht.
Wie stehen Sie dazu?
Die Bankenunion, die ja eine europäische Bankenaufsicht umfasst, ist im Grundsatz eine sinnvolle
Ergänzung der Währungsunion. Sie zielt vor allem darauf, das Finanzsystem in der EWU künftig
stabiler aufzustellen, und das nützt auch der gemeinsamen Geldpolitik. Die Bankenunion ist meines
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
110 Erachtens aber ein in die Zukunft gerichtetes Projekt und eignet sich nicht als Lösung für die aktuellen
Schwierigkeiten. Eine Vergemeinschaftung bilanzieller Altlasten wäre nichts anderes als eine
Transferzahlung und sollte nicht unter dem Deckmantel der Bankenunion versteckt werden.
Aber die Bankenaufsicht müsste ja nicht unbedingt bei der EZB angesiedelt werden. Befürchten Sie
nicht Zielkonflikte?
115 Diese entscheidende Frage hat auch bei der Debatte der Aufsichtreform in Deutschland eine wichtige
Rolle gespielt. Die Aufsicht muss klar von der Geldpolitik getrennt sein, damit es nicht zu Konflikten
mit der Unabhängigkeit und dem Ziel der Preisstabilität kommt.
Wie stehen Sie zum institutionellen Rahmen der EZB angesichts der jüngsten Ereignisse? Ist das
Prinzip «ein Mann, eine Stimme», das bei geldpolitischen Entscheiden zur Anwendung kommt, noch
120 richtig?
Das Prinzip ist richtig, so lange mit der Geldpolitik nicht in grösserem Umfang fiskalische Aufgaben
übernommen werden. Wenn wir wieder zur klassischen Geldpolitik zurückkehren, dann hat sich auch
diese Diskussion erledigt.
Wie stehen Sie zur Transparenz, sollten die EZB-Ratsprotokolle veröffentlicht werden?
125 Eine Notenbank verwaltet ein öffentliches Gut, deshalb sollte sie sich der Bevölkerung gegenüber auch
erklären. Dies ist umso wichtiger, wenn die Notenbank in einem Grenzbereich operiert. Dann sollte sie
umso mehr verdeutlichen, dass sie sich mit den Risiken und Nebenwirkungen ihrer Politik
auseinandergesetzt hat. Transparenz sollte aber nicht allein an der Veröffentlichung der Protokolle
festgemacht werden.
130 Da wären Sie dagegen?
Das hängt vom konkreten Vorschlag ab. Es spricht wenig dagegen, die im EZB-Rat erörterten
Argumente stärker offenzulegen. Das bedeutet nicht, dass einzelne Ratsmitglieder namentlich erwähnt
werden.
Wie ist es im Rat eigentlich dazu gekommen, dass genau in Ihrem Fall die sonst übliche Geheimhaltung
135 gelockert wurde, und Draghi ganz offen gesagt hat, Herr Weidmann war gegen das
Staatsanleihenprogramm?
Mich hat Draghis Offenheit nicht gestört. Ich bin wie gesagt davon überzeugt, dass uns gerade in
der heutigen Situation mehr Transparenz gut tut.
Finanzminister Schäuble scheint dies aber anders zu sehen. Er wirft Ihnen vor, durch Ihre Offenheit die
140 Glaubwürdigkeit der EZB zu untergraben.
Die Öffentlichkeit ist aufgeklärt, sie verdient Offenheit. Eine Notenbank ist glaubwürdig, wenn sie die
Menschen ernst nimmt und ehrlich informiert. Es bringt gar nichts, die Dinge schön zu reden.
Aber ist es nicht frustrierend für Sie, überzeugt zu sein, die richtige Position zu vertreten, aber im Rat
damit einfach nicht durchzukommen?
145 Diskussionen können sich weiterentwickeln. Somit schliesse ich nicht aus, dass meine Argumente mit
der Zeit stärker verfangen.
Wie sehen Sie denn Ihre künftige Rolle im EZB-Rat?
Bei all dem Trubel um das Thema Staatsanleihekäufe sollte man nicht den Eindruck gewinnen, dass ich
mit meiner Meinung im Rat – oder die Bundesbank insgesamt im Eurosystem – immer in einer
150 Minderheitsposition bin. Bei vielen Themen sehen die Mehrheitsverhältnisse ganz anders aus, oder es
gibt ohnehin keinen Dissens im Rat. Gerade deshalb ist es mir sehr wichtig, bei den kontroversen
Themen für meine Position zu werben.
Angesichts des Kampfes, den Sie führen, haben Sie da kein Verständnis für Ihren Vorgänger Axel
Weber, der irgendwann gesagt hat, jetzt reicht es, und zurückgetreten ist?
155 Ich habe sowohl für seine sehr persönliche Entscheidung als auch für jene von Jürgen Stark
Verständnis. Meine Situation ist aber anders. Ich bin nach Webers Rücktritt ins Amt gekommen und
wusste daher, was mich erwartet. Dafür muss ich jetzt in Kauf nehmen, in jedem Interview die Frage
gestellt zu bekommen, wann ich denn zurücktrete. Doch für mich ist ein Rücktritt keine Option, denn
ich bin überzeugt, dass ich mich in der jetzigen Position am besten für einen stabilen Euro einsetzen
160 kann.
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
1
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
Dr. Oliver Marc Hartwich 27.08.2012
Eine Euro-Abwertung ist keine Lösung
Nach drei Jahren Eurokrise und trotz zahlreicher Gipfel, diverser Rettungsprogramme mit immer
neuen Namenskürzeln und unzähliger feierlicher Versprechen, Europas gemeinsame Währung zu
erhalten, sind wir heute einer Lösung nicht näher als am Anfang. Es besteht eine hohe
Wahrscheinlichkeit, dass die Euro-Turbulenzen ebenso wie die Armut im Afrika südlich der
Sahara, die Gewalt im Nahen Osten und Nordkoreas Atomprogramm zu einem normalen
Bestandteil der Welt werden, in der wir leben: unerfreulich, gefährlich und dennoch anscheinend
nicht zu ändern.
Wie erfrischend ist es dann zu hören, dass immer noch neue Ideen zur Bewältigung der
europäischen Krise auftauchen - selbst wenn sie recht verrückt klingen. Letztes Wochenende
stellte eine Gruppe prominenter Wirtschaftswissenschaftler eine Wunderkur für die kränkelnde
Währung vor: Abwertung. Die dürfte zwar schon irgendeine Wirkung haben, doch leider würde
die empfohlene Therapie die Euro-Krise nicht beenden, sondern sie sogar noch verschlimmern.
Die Welt am Sonntag zitierte den Oxforder Wirtschaftsprofessor Clemens Fuest, den
niederländischen Ökonomen Paul de Grauwe und den Chefvolkswirt der Berenberg-Bank Holger
Schmieding, die eine deutliche Abwertung des Euro gegenüber anderen bedeutenden Währungen
der Welt fordern. Dadurch, so die drei Ökonomen, könnten die in Schwierigkeiten geratenen
Volkswirtschaften der Peripherieländer ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen.
Wirtschaftsreformen allein würden nach ihrer Auffassung bei Ländern wie Italien und Spanien
nicht zum Ziel führen.
Regelmäßige Leser dieser Kolumne wissen, dass ich schon oft ähnlich argumentiert habe. Es ist
nur zu offensichtlich, dass Wirtschaftsreformen und Sparprogramme allein bei Griechenland,
Portugal oder Spanien keine Wirkung zeigten. Die Kombination aus geringer Produktivität und
hohen Lohnstückkosten, vor allem im Vergleich zu den stärkeren Euro-Kernländern, haben einen
exportgetragenen Aufschwung und eine Rekalibrierung von Handels- und Zahlungsbilanzen
verhindert. Aus diesem Grund ist eine Abwertung genau das, was die europäischen
Peripherieländer in Verbindung mit Ausgabendisziplin und Reformen brauchen.
Warum bin ich dann davon überzeugt, dass Fuest, de Grauwe und Schmieding völlig falsch
liegen? Weil es grundsätzlich ein gewaltiger Unterschied ist, einzelne Krisenländer zu einer
Abwertung ihrer eigenen Währungen zu veranlassen (das heißt nach ihrem Austritt aus der
Eurozone), oder eine pauschale Abwertung für alle Mitglieder der Eurozone vorzunehmen. Es ist
verblüffend, wie so hervorragende Ökonomen dieses wichtige und dennoch fundamentale Detail
übersehen können.
Das erste Problem mit einer Abwertung des Euro besteht darin, dass sie der Eurozone insgesamt
nicht unbedingt helfen würde. Um das zu verstehen, muss man sich die Struktur der Importe in
die Eurozone ansehen. Letztes Jahr machten Kraftstoffe 28,9 Prozent der Importe in die EU aus.
Die Eurozone ist energiearm und damit stark von Öl- und Gasimporten abhängig. Daher würde
das Mehr an Wettbewerbsfähigkeit durch die mit der Abwertung steigenden Energiekosten zum
Teil wieder zunichte gemacht werden, vor allem im Fertigungssektor.
Das zweite Problem mit einer Abwertung in der Eurozone ist sogar noch gravierender. Die
Schwierigkeiten der Gemeinschaftswährung haben nichts mit ihrem externen Wert zu tun. Es sind
die internen Unterschiede zwischen den Euro-Staaten, die den größten Schaden anrichten. Eine
Abwertung würde jedoch nur die Handelsverbindungen des Euroraums mit der übrigen Welt
betreffen, während das Kostengefälle etwa zwischen Deutschland und Griechenland unverändert
bestehen bliebe. Die Handelsbeziehungen des Euroraums mit der übrigen Welt sind allerdings
definitiv nicht das Problem.
Nach den neuesten Daten von Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, verzeichnen die 17
Mitglieder der Eurozone einen steigenden Handelsbilanzüberschuss mit der übrigen Welt. Der
saisonbereinigte Handelsbilanzüberschuss stieg von 2 Mrd. EUR im Februar auf 10,5 Mrd. EUR
im Juni. Angesichts dieser Zahlen sind Aussagen, die Eurozone insgesamt habe ein
Wettbewerbsproblem, kaum zu begründen. Wenn überhaupt, dann ist sie zu wettbewerbsfähig.
Die Probleme der Eurozone bestehen nicht auf der Gemeinschaftsebene, sondern auf der Ebene
einzelner Mitglieder. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass die hohe Exportleistung der
Eurozone fast vollständig einem einzigen Mitglied zu verdanken ist - Deutschland. Nach
Schätzungen des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo wird Deutschlands Handelsbilanzüberschuss
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
55 in diesem Jahr 210 Mrd. USD betragen - und damit Chinas Überschuss von 203 Mrd. USD noch
übertreffen. Deutschland verzeichnet Handelsbilanzüberschüsse sowohl mit den anderen
Mitgliedern der Eurozone als auch mit der übrigen Welt.
Eine Abwertung des Euro würde die Stärke der deutschen Exportdampfwalze nur erhöhen.
Gegenwärtig gehen nur 38 Prozent der deutschen Exporte in andere Länder der Eurozone. Die
60 Abwertung würde diesen Handel innerhalb der Eurozone nicht berühren, aber den gewaltigen
Handelsbilanzüberschuss Deutschland mit der übrigen Welt noch weiter aufblähen. Ist es das,
was den drei Wirtschaftswissenschaftlern vorschwebt, die für eine Abwertung plädieren?
Wahrscheinlich nicht, denn solche Handelsungleichgewichte gelten inzwischen als einer der
Hauptfaktoren der weltweiten finanziellen Instabilität. Wenn überhaupt, dann braucht
65 Deutschland eine stärkere Währung, keine schwächere.
Das sieht für andere Länder in der Eurozone anders aus. So gehen etwa mehr als die Hälfte der
spanischen Exporte in andere Länder der Eurozone und rund zwei Drittel an andere EUMitglieder. Eine Euro-Abwertung hätte also eine eher geringe Wirkung auf die spanische
Wirtschaft, obwohl sie zumindest Spaniens hohes Handelsdefizit gegenüber der übrigen Welt
70 verringern würde.
Eine Korrektur der spanischen Wirtschaftsschwäche gegenüber Deutschland wäre mit einer EuroAbwertung jedoch nicht möglich. Sie könnte spanische Unternehmen im Verhältnis zu ihren
deutschen Konkurrenten nicht wettbewerbsfähiger machen. Sie würde weder die Produktivität
erhöhen noch die relativen Lohnkosten innerhalb der Eurozone senken. Genau dieses Element in
75 den externen Wirtschaftsbeziehungen Spaniens muss jedoch am dringendsten verbessert werden.
Um es klar zu sagen: eine Abwertung wäre für die ins Trudeln geratene europäische Peripherie
unbedingt sinnvoll. Sie kann jedoch nur Erfolg haben, wenn diese Länder allein abwerten, nicht
gemeinsam mit Deutschland und dem produktiveren Euro-Kern. Entweder trennt sich also
Deutschland von der Eurozone und veranlasst eine Aufwertung einer neuen Deutschen Mark oder
80 die Krisenländer kehren zu Peseta, Lira und Drachme zurück und werten diese gegenüber dem
US-Dollar, dem Pfund Sterling und natürlich dem Euro selbst ab.
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/eine_euro_abwertung_ist_keine_loesung/
UE: Die Zukünftige Ausrichtung der Geld- und Wirtschaftspolitik in Europa
Herunterladen