CONSTRUCTION GRAMMAR

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CONSTRUCTION GRAMMAR: Ihre Anwendung bei der Beschreibung der deutschen
Sprache
José Antonio Calañas
Universidad de Córdoba, Área de Filología Alemana
Facultad de Filosofía y Letras
Pza. Cardenal Salazar, 3
14071 Córdoba
[email protected]
INHALTSANGABE
Die Arbeit mit Lexikon und Wörterbüchern führt zur Feststellung etlicher Probleme, welche die
Überlegung nahe legen, wie man lexikographisches Werkzeug verbessern kann. In neueren linguistischen
Modellen, in denen Lexik eine Scharnierstellung belegt, wird davon ausgegangen, dass Lexik und Syntax eine
dynamische isomorphische Beziehung unterhalten. Ab funktionalen Modellen, nämlich der Funktionalen
Grammatik von S. C. Dik und dem Funktional-lexematischen Modell von L. Martín Mingorance, über eine
Auslegung der kognitiven Linguistik – die Konstruktionengrammatik – wird versucht, eine effizientere
Behandlung des deutschen verbalen Lexikons vorzustellen. Durch diese Arbeitsweise kann der Umfang an
Einträgen in Wörterbücher reduziert werden. Auch können andere Probleme wie die Zirkularität der
Definitionen gelöst werden, die vor allem den fremdsprachlichen Benutzern die Arbeit mit dem Lexikon
erschweren.
Schlüsselwörter: Lexikologie,
lexematisches Modell.
Lexikographie,
Kognitivismus,
Konstruktionengrammatik,
Funktional-
0. EINFÜHRUNG
Anlass zu dieser Arbeit ist die Überlegung nach der Beziehung, die von Lexik und
Syntax unterhalten wird. Von einigen Autoren (u.a. Faber/Mairal 1994, 1999; Mairal 1996;
Calañas 1997) wird behauptet, diese Beziehung sei ikonisch motiviert: je höher ein Lexem in
der Feldhierarchie steht, um so breiter ist die Palette der möglichen Satzbaupläne.
Linguistische Beschreibungsmodelle, die dem Lexikon eine Scharnierstellung
gewähren, wie z. B. die funktionale Grammatik (FG) von Simon C. Dik (1978, 1989, 1997),
erfordern eine sehr detaillierte Beschreibung der einzelnen lexikalischen Bausteine. In den
meisten dieser Modelle und ganz konkret in FG belegen Verben die Schlüsselposition im
System: das Verb vereint auf der einen Seite das größte Gewicht bei der Entstehung von
Satzbedeutung, bestimmt auf der anderen die Zahl und Art der Elemente, die im Satz zu
kombinieren sind.
Eine der wichtigsten Implikationen für die Arbeit mit dem Lexikon in einem solchem
Modell ist das Gebot der Ausführlichkeit: jeder einzelne Eintrag muss in etwa einer einfachen
Gebrauchsgrammatik des Lemmas entsprechen, d. h., im Lexikoneintrag muss jede Art
Information kodiert sein: morphophonologischer, semantischer und selbstverständlich auch
syntaktischer Natur. Sogar das enzyklopädische Wissen über das Wort muss berücksichtigt
werden, denn es verhilft dem Sprachbenutzer zu bestimmten Implikationen, Assumptionen
und Präsuppositionen. Auf das Lexikon/Wörterbuch übertragen bedeutet das, Verben sind
wie jedes andere Wort sehr ausführlich zu beschreiben: jeder Sinn eines einzelnen Verbes
erfordert einen gesonderten Lexikoneintrag, denn eine Änderung in der Komplementation
bringt in der Regel auch eine Änderung in der Bedeutung mit sich.
Ausgerechnet bei einer Sprache wie Deutsch impliziert dieser Grundsatz die ungleiche
Vermehrung der im Wörterbuch zu integrierenden Einträge. Durch dieses Wachstum an
Umfang wird die Handhabung von Wörterbüchern deutlich erschwert, denn das Wachstum
geschieht in geometrischer Progression. Diese erschwerte Handhabung wird in die Höhe
getrieben, wenn man das vertraute Grundlexikon verlässt und die Ergebnisse der
wortbildenden Verfahren mit einbezieht.
Wir versuchen in diesem Beitrag die ikonische Beziehung zwischen Lexik und Syntax
zu veranschaulichen. Als Weiterentwicklung des Aufbaus von einem nach dem Funktionallexematischen Modell (FLM) erarbeiteten Wörterbuch des deutschen verbalen Grundlexikons
(Calañas 1997a) greifen wir zu einer in der kognitiven Linguistik betriebenen
Betrachtungsweise: Construction Grammar, die Konstruktionengrammatik (KG), die u. E.
eine Möglichkeit dazu bietet, die Anzahl der Wörterbucheinträge in vertretbaren Maßen zu
halten, wobei gleichzeitig eine sinnvolle Berücksichtigung der abgeleiteten Verben
ermöglicht wird.
1. DAS FLM ALS AUSGANGSPUNKT: AUFBAU EINES FLM-WÖRTERBUCHS
Mitten in der Zeit der bereits erwähnten lexikalischen Wende entstehen die
Vorschläge des Funktional-Lexematischen Modells, dessen Fundament von Martín
Mingorance in einer Reihe von Artikeln (1984, 1985a, 1985b, 1987, 1990, 1993, 1995)1
gelegt wurde. Zahlreiche Arbeiten sind bereits veröffentlicht worden, die unterschiedliche
Schlüsselaspekte des Modells bei der Erforschung und Beschreibung unterschiedlicher
Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch) erfolgreich auf Probe stellen.
Das FLM wird als Erweiterung der lexikalischen Komponente in Diks FG konzipiert.
Ausgangspunkt des FLMs ist die Annahme, dass die Bedeutung eines Wortes an der
Schnittstelle der Selektions- (Paradigma) und der Kombinationsachse (Syntax) entsteht. Dazu
wird als Grundprinzip angenommen, das Lexikon soll so beschrieben werden, dass der
Sprachbenutzer immer über jede Information verfügt, die er für die Bewegung entlang beider
Achsen benötigt. Die Selektionsachse wird mit den Mitteln beschrieben, die uns Coserius
Lexematik zur Verfügung stellt, die Kombinationsachse mit dem Beschreibungsapparat von
Diks FG. Da keins der zwei erwähnten Modelle eine zufriedenstellende Lösung zur
Beschreibung von den Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Domänen bietet, greift
das FLM zur kognitiven Linguistik (vor allem zu den Begriffen ‚Prototyp’ und
‚Prototypizität’). Um metaphorischen Prozessen Rechnung tragen zu können, wurden die
Prädikatsschemata vorgeschlagen, ein Beschreibungsmodul, das alle Regularitäten innerhalb
einer Domäne zusammenfasst und graphisch darstellt2. Diese Grundsätze implizieren einen
ganz konkreten Lexikonaufbau, den wir sehr kurz beschreiben werden.3
Wichtigste Konsequenz der dem FLM zugrunde liegenden Prinzipien ist der
onomasiologische Aufbau des Wörterbuchs. Ordnendes Prinzip sind die semantischen
Domänen, die Lexeme innerhalb der jeweiligen Domänen werden hierarchisch präsentiert:
Meistens dienen Archilexeme sogar zur Beschriftung der Dimensionen und Subdimensionen,
welche die Domäne ausmachen.
Jeder einzelne Eintrag soll ähnlich, wie später in Beispiel 1 veranschaulicht wird,
folgende Informationen enthalten:
a) Prädikatsform
b) syntaktische Kategorie, zu der das Prädikat gehört: Nomen (N), Verb (V), Adjektiv (A)
c) eine Definition in natürlicher, d. h., nicht formalisierter Sprache, die nach dem Verfahren
der stufenweisen lexikalischen Zerlegung formuliert wird.
d) quantitative Valenz
e) qualitative Valenz
f) Selektionsbeschränkungen
g) Semantische Funktionen der Argumente (nach Dik 1989)
h) Syntaktische Komplementationsschablone: In unserer Adaption vom FLM für die
Beschreibung des Deutschen haben wir uns für die morpho-syntaktische Bezeichnung der
Satzglieder, die u. a. von Helbig/Buscha (198811) benutzt wird.
1
2
3
Sämtliche Artikel von Prof. Martín Mingorance über das Funktional-Lexematische Modell sind im
ersten Teil des von Marín Rubiales 1998 herausgegebenen Sammelbandes neu gedruckt worden.
Siehe Calañas (2000) zu einer ausführlicheren Beschreibung vom Aufbau und Funktion der
Prädikatsschemata bei der Beschreibung des deutschen verbalen Grundlexikons.
Für detailliertere auf das deutsche Lexikon bezogene Darlegungen sowohl des Modells als auch des
Lexikonaufbaus siehe Calañas 1997a, 1997b, 1998a, 1998b; Calañas/Pérez 1998.
i) Ein Beispiel aus einem Textkorpus.4
keimenv 1: sich zu bilden beginnen
df = ANFANGEN (sich bildenV) (x1:  Pflanzen, Bakterien)Go
NomE (ZeitA) (ArtA) (OrtsA)
Diese Saat keimt in feuchten Biotopen
1. FLM-Lexikoneintrag5
Die Definitionen werden anhand von Bedeutungspostulaten gemacht: darunter
versteht man ein bereits definiertes Prädikat (meistens das unmittelbare Hyperonym), das die
Grundbedeutung eines Lexems verkörpert. Meistens können Definitionen als die Summe von
einem Bedeutungspostulat plus den unterscheidenden Bedeutungsmerkmalen bzw.
pragmatischen Merkmalen formuliert werden. Das ist eine Folge der stufenweisen
lexikalischen Zerlegung, eine Theorie von Simon Dik (1978), nach der Metasprachen bei der
Definition von Bedeutung ausgeschlossen bleiben sollten.
Der systematische Einsatz dieses Beschreibungsmechanismus hat als Folge ein
kettenartiges Aussehen der Wörterbuchdefinitionen, durch das auch die Hierarchie innerhalb
der Domänen typographisch dargestellt wird: Je näher am linken Seitenrand ein Eintrag
erscheint, um so prototypischer – archilexematischer – ist seine Bedeutung, d. h., desto höher
befindet er sich in der Domänenhierarchie. Infolge dieses Beschreibungssystems stellen wir
immer wieder fest, dass alle Mitglieder einer bestimmten Domäne durch ein einziges Lexem
(= Bedeutungspostulat) definiert werden können. Der Vorteil dieses Beschreibungsverfahrens
gegenüber dem in herkömmlichen Wörterbüchern wird ganz offensichtlich, wenn es darum
geht, maschinelle Sprachverarbeitungssysteme zu entwickeln: man muss nur eine
vergleichsweise sehr reduzierte Anzahl von Variablen definieren, damit der gesamte
Wortschatz – zumindest auf der Ebene des Grundlexikons – beschrieben werden kann.
vorwiegen 1: mehr als etwas Anderes existieren
überwiegen 1: deutlich vorwiegen
vorherrschen 1: stark überwiegen
dominieren 1: vorherrschen <geh.>
prädominieren 1: dominieren <geh.; selten>
2. Domänenhierarchie/Bedeutungspostulate
Man merkt, wie Hyponyme durch bereits definierte Hyperonyme definiert werden:
jedes Prädikat wird so zum Definiens der nächsten Mitglieder der Domänendimension:
Hyperonyme werden also zu Bedeutungspostulate, zu bedeutungsbeschreibenden Einheiten,
die den Zugriff auf Metasprachen überflüssig machen. 6
2. DAS PRINZIP DER LEXIKALISCHEN IKONIZITÄT
Im FLM wird der Ansicht geteilt, dass Syntax und Semantik nicht aneinander vorbei
fließen. Der Aufbau der Komponente Lexikon beweist, dass die Korrelation Syntax/Semantik
nicht willkürlich ist. Vielmehr kann festgestellt werden, dass es eine isomorphische
Beziehung zwischen der Anzahl möglicher Komplementationsschablonen von jeder
lexikalischen Einheit und deren semantischer Relevanz besteht.
Die lexikalische Ikonizität verhilft uns zur Erkenntnis, dass Sprache nicht arbiträr
organisiert ist. Der Wortgebrauch ist spezifisch und kohärent, jedoch unbewusst in vielen
Fällen: ein bestimmtes Wort aus einer bestimmten semantischen Domäne wird vom
4
5
6
Die Beispiele stammen entweder aus herkömmlichen Wörterbüchern oder aus den COSMAS-Korpora
des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim.
Die Beispiele von FLM-Wörterbucheinträgen stammen aus Calañas 1997a.
Cf. Dik (1978) und Calañas (1997a) zu detaillierteren Ausführungen über die stufenweise lexikalische
Zerlegung.
Sprachbenutzer nicht nach Gutdünken gewählt, es gibt letztendlich immer einen
entscheidenden Grund für die Wahl. Das wurde bereits Anfang der siebziger Jahre von
Bolinger (1972: 71) konstatiert:
“There are situations where the speaker is constrained by a grammatical rule, and there are
situations where he chooses according to his meaning […]; but there are no situations in the system
where ‘it makes no difference’ which way you go […]. This is just another way of saying that every
contrast a language permits to survive is relevant, some time or other”.
Eine der äußeren Erscheinungen der lexikalischen Ikonizität besteht darin, dass
archilexematische Instanzen einer semantischen Domäne eine breitere Palette an
Komplementationen erlauben als Instanzen, die tiefer in der Hierarchie stehen. Dieses Prinzip
wurde von Faber/Mairal (1994a: 211) folgendermaßen formuliert:
The greater the semantic coverage of a lexeme, the greater its syntactic variations.
This can also be rephrased in the following way:
The more prototypical a term is, the more prototypical effects it will show.
Zur Veranschaulichung zeigen wir unter 3 zwei Beispiele aus dem FLM-Wörterbuch,
beide aus der inchoativen Phase der semantischen Domäne ‚Existenz’: ‚anfangen’ und
‚hecken’. Das erste vertritt eine archilexematische Stellung, das letztere eine, die tief in der
Feldhierarchie zu finden ist. ‚Anfangen’, das Verb mit der nah am Domänenarchilexem
stehenden Bedeutung, weist eine breitere Palette an Komplementationsschablonen auf,
während ‚hecken’, mit einer wesentlich restringierteren Bedeutung, eine einzige mögliche
Schablone erlaubt: logischerweise – und es wird im gesamten Lexikon immer wieder
bestätigt – gibt es mehr Gebrauchsmöglichkeiten für eine lexikalische Einheit mit einer
allgemeineren Bedeutung als für eine mit einer restringierteren.
(1) anfangenv 1: anfangen zu existieren
df = ANFANGEN(existierenv) (x1: + Vorgang)Go
NomE (ZeitA)
Der Unterricht fängt (um 19’00 Uhr) an
df = ANFANGEN(existierenv) (x1: + Objekt)Go (x2)Loc
NomE (OrtsA)
Die Stadt fängt hier an
df = ANFANGEN(existierenv) (x1: prot. + hum.)Ag (x2: Event)Go
NomE Gliedsatz[Infinitivsatz]
Peter fängt an, einen Brief zu schreiben
(2) heckenv 1: Jungen in großer Anzahl werfen
df = ANFANGEN (existierenv) (x1:  Vögel, kleine Säugetiere)Ag
NomE (ZeitA)
Mäuse hecken
3. Prinzip der lexikalischen Ikonizität: archilexematische vs. spezifischere Stellung in der Domänenhierarchie
3. ERSTE ZWISCHENBILANZ
Die systematische Arbeit mit dem Lexikon im Rahmen des FLMs bietet Einblick in
die semantische, syntaktische und pragmatische Architektur einer Sprache. Als handfestes
Produkt dieser Arbeit entsteht ein Wörterbuch, das im FLM dem Lexikon gleichgestellt wird.
Das Lexikon/Wörterbuch weist einen onomasiologischen Aufbau aus, dabei werden die
jeweiligen semantischen Domänen in Form von Hierarchien präsentiert, was die stufenweise
lexikalische Zerlegung noch deutlicher veranschaulicht. Durch dieses Verfahren reduziert
sich die Beschreibungssprache, denn die „vererbten“ Merkmale (syntaktisches Verhalten,
Selektionsbeschränkungen, usw.) müssen nur einmal beschrieben werden.
Ein strikt nach dem FLM erarbeitetes Lexikon/Wörterbuch muss für jeden einzelnen
Sinn eines Wortes über einen gesonderten Eintrag verfügen. Solange man nur mit dem
Grundlexikon arbeitet, stellt das eine relativ leicht zu lösende Schwierigkeit dar; kommt man
aber zum Miteinbeziehen der abgeleiteten Prädikate, so wird man mit dem Problem des
Umfangs konfrontiert: wie viele Einträge werden dann allein für ‚stellen’, ‚legen’ oder gar
‚machen’ benötigt?
Das Lexikon/Wörterbuch wäre nicht mehr zu handhaben, man könnte keinen
Überblick behalten. Allem Anschein nach bedarf es eines Korrekturfaktors, der die Anzahl
der Einträge pro Verb in vertretbarem Maße hält, womöglich indem gewisse syntaktische
Verhaltensweisen der Verben voraussagbar werden: was man voraussagen kann, muss nicht
mehr kodiert werden; folglich wären dann weniger Einträge notwendig, um dem gesamten
Lexikon Rechnung zu tragen. Eine mögliche Lösung könnte im Rahmen der Construction
Grammar gefunden werden.
4. CONSTRUCTION GRAMMAR: GRAMMATIK DER KONSTRUKTIONEN (KG)
Wir möchten diesen Abschnitt mit einem Zitat von Radden (1999: 261) anfangen,
indem er uns auf die Wichtigkeit der holistischen Betrachtung von Sprache als kognitive
menschliche Fähigkeit aufmerksam macht und die Notwendigkeit des Zugriffs auf
außersprachliche Erklärungen betont, um bestimmte Phänomene beschreiben und erklären zu
können:
Der kognitiv-linguistische Ansatz betrachtet Sprache nicht isoliert als ein autonomes System,
sondern in unmittelbarer Interdependenz zu anderen kognitiven Leistungen des Menschen. Für
sprachliche Erscheinungen sucht die kognitive Linguistik plausible Erklärungen außerhalb des
Sprachsystems. Dies können generelle kognitive Prinzipien, wie sie etwa auch der Wahrnehmung
zugrunde liegen, Erfahrungsschemata oder Alltagsmodelle sein.
Das KG-Modell ist eindeutig dem linguistischen Kognitivismus zuzuordnen, doch es
weist eine deutlichere Orientierung zum Strukturalismus auf als andere Auslegungen in
diesem Paradigma; KG teilt jedoch mit dem von Langacker (1991) vertretenen
Kognitivismus sowohl den symbolischen Blick über Sprache als auch die einheitliche
Betrachtung von Lexik und Grammatik. Adele Goldberg (1995: 6) bemerkt, KG verfolge der
traditionellen Konzeption, dass jede Verbindung von Form und Bedeutung eine sprachliche
Grundeinheit bildet. Dabei stützt sich Goldberg auf Lakoff (1987: 467), der den Begriff
construction im darauf folgenden Zitat definiert:
Traditional grammarians took it for granted that the grammar of a language could be
described in terms of a collection of constructions, where each construction was a configuration of
syntactic elements […] paired with a meaning […] I will be speaking of grammatical constructions
just in this sense. Each construction will be a form-meaning pair (F, M), where F is a set of conditions
on syntactic and phonological form and M is a set of conditions on meaning and use.
Goldberg geht aber einen Schritt weiter, indem sie behauptet, Sätze in einer Sprache
seien das Ergebnis der Implementierungsprozesse, denen Konstruktionen unterzogen werden.
Vielmehr existieren Konstruktionen unabhängig von den verbalen Prädikaten, was wiederum
impliziert, Konstruktionen sind bedeutungstragende Elemente, deren Wert sich als
unabhängig von den Lexemen erweist, die in die Konstruktion eingebaut werden.
Fazit dieser Aufführung ist die Erkenntnis, dass Unterschiede in der Satzkonstruktion
auch Unterschiede in der Bedeutung implizieren. Nehmen wir zwei Beispiele aus dem
Englischen:
(1) I sprayed paint on the wall (Ich sprühte Farbe an die Wand)
(2) I sprayed the wall with paint (Ich besprühte die Wand mit Farbe)7
In beiden Beispielen werden die argumentalen Lücken des Verbs to spray mit
denselben nominalen Argumenten besetzt: I, paint und wall, doch die Satzbedeutung weist
deutliche Unterschiede auf: während (1) den Lokativ betont, wird in (2) die instrumentale
Angabe hervorgehoben.
Goldberg geht in ihrem Buch von 1995 von der Annahme aus, dass die lexikalische
Zerlegung allein nicht in der Lage ist, die gesamte semantische Vielfalt der Wörter
wiederzugeben und aus diesem Grund muss die Bedeutung der Lexeme in Bezug auf einen
semantischen Referenzrahmen enzyklopädischer Natur präzisiert werden.
In einem 1995 durchgeführten Versuch (Bencini/Goldberg) wird festgestellt, dass die
meisten Sprecher dazu tendieren, Sätze eher nach Konstruktion als nach Verbmorphologie zu
sortieren. Wesentlicher Beitrag dieser Studie: Sie verhilft zu ausreichender Bestätigung der
Tatsache, dass abstrakte Beziehungen zwischen formaler Satzstruktur und Bedeutung, also
Konstruktionen, erkannt werden. Die Teilnehmer an dem Versuch sortierten die Karten mit
den Sätzen deren Konstruktion nach und das scheint ausreichend zu beweisen, dass
Konstruktionen ‚natürliche‘ sprachliche Kategorien bilden könnten, die vom Sprecher
begriffen werden.
Goldberg (1995: 3-4) stellt die Existenz von fünf Grundkonstruktionen fest:
1. Ditransitive:
X CAUSES Y TO RECEIVE Z
Subj V Obj Obj2
e.g. Pat faxed Bill the letter /John gave Mary a present
2. Caused Motion:
X CAUSES Y TO MOVE Z
Subj V Obj Obl
e.g. Pat sneezed the napkin off the table
3. Resultative:
X CAUSES Y TO BECOME Z
Subj V Obj Xcomp
e.g. She kissed him unconscious
4. Intransitive Motion: X MOVES Y
Subj V Obl
e.g. The fly buzzed into the room
5. Conative:
X DIRECTS ACTION AT Y
Subj V Oblat
e.g. Sam kicked at Bill
In „Building Verb Meanings“, einer Studie von Rappaport Hovav und Levin (1998)
wird auf den Seiten 97-98 auf die Vielfalt der syntaktischen Variationen aufmerksam
gemacht: dasselbe Verb kann in einer Reihe syntaktischer Umgebungen vorkommen und bei
gleich bleibender Grundbedeutung einen ganz anderen Inhalt ausdrücken:
(1)
[…]
(3)
a. Terry swept.
b. Terry swept the floor.
c. Terry swept the crumbs into the corner.
d. Terry swept the leaves off the sidewalk.
e. Terry swept the floor clean.
f. Terry swept the leaves into a pile.
a. Pat ran.
b. Pat ran to the beach.
c. Pat ran herself ragged.
d. Pat ran her shoes to shreds.
e. Pat ran clear of the falling rocks.
f. The coach ran the athletes around the track.
Die Variation deutet nicht nur auf Änderungen in Anzahl und syntaktischer Typ der
verbalen Ergänzungen hin. Vielmehr kann man ein Verhältnis zwischen der Variation in der
syntaktischer Umgebung mit einer Variation in Bedeutung feststellen. Obwohl ein und
7
In Klammern steht ein ungefähres Äquivalent im Deutschen für die Beispielsätze im Englischen.
dasselbe Verb angewendet werden, gibt es Unterschiede: 1a bezeichnet eine Tätigkeit; 1c-1f
weisen Eigenschaften von Verben auf, die Vollendung beschreiben8: 1c und 1d beschreiben
das Herbeiführen einer Orts-, 1e einer Zustandsveränderung, 1f die Herstellung von einem
Gegenstand. Ab dieser Beobachtung machen sich Rappaport Hovav und Levin auf der Suche
nach einer Theorie, die in der Lage ist, die Vielfalt an Argumenten, syntaktischen Schablonen
und Bedeutungen, die einem bestimmten Verb zuzuordnen sind, vorauszusagen und zu
erklären. Für die lexikologisch-lexikographische Arbeit würde das bedeuten, jede einzelne
Bedeutung eines Verbs könnte aus allgemeinen Prinzipien abgeleitet werden, wodurch eine
einzige Beschreibung (einen einzigen Eintrag) allen Bedeutungen eines Verbs Rechnung
tragen könnte.
In neueren Arbeiten zur Verbbedeutung hat sich die Annahme etabliert, dass man
unter einem strukturellen und einem idiosynkratischen Aspekt unterscheiden soll: die
strukturelle Seite ist relevant, wenn es darum geht, die semantische Klasse zu bestimmen, zu
der ein Verb gehört, während die idiosynkratische die eigentliche individuelle Verbbedeutung
ausmacht. Aus der lexikalischen Zerlegung eines jeden Prädikats ergeben sich zwei Sorten
Bausteine: primitive Prädikate (was in FG Bedeutungspostulat genannt wird) und sogenannte
Konstante. Spezifische Kombinationen von primitiven Prädikaten machen den strukturellen,
Konstante den idiosynkratischen Aspekt von Bedeutung. Folglich versteht man unter
Verbbedeutung die Verbindung von einer Konstanten mit einer lexikalischen Schablone
(lexical templates).
Die Universalgrammatik bietet ein Inventar der lexikalisch-semantischen Schablonen,
die aus mehreren Kombinationen von primitiven Prädikaten bestehen. Die Kombinationen
entsprechen den allgemein angenommenen Sachverhalten und werden so dargestellt:9
[x ACT <MANNER>]
[x <STATE>]
[BECOME [x <STATE>]]
[[x ACT <MANNER>] CAUSE [BECOME [y <STATE>]]]
[x CAUSE [BECOME [y <STATE>]]]
(activity)
(state)
(achievement)
(accomplishment)
(accomplishment)
(Rappaport Hovav/Levin, 1998: 108)
Durch diese Schablonen kann man die meisten der semantischen Realisierungen eines
Verbs darstellen. Durch Erweiterung oder Reduzierung der Schablonen kann jeder Bedeutung
und folglich jedem syntaktischen Erscheinungsbild Rechnung getragen werden.
In der KG geht man von der Grundhypothese aus, dass man nicht zwischen Lexik und
Grammatik unterscheiden kann. Das gesamte explikative Potenzial der Grammatik befindet
sich in den Konstruktionen: die unterschiedlichen syntaktisch-semantischen Beziehungen
werden ab den Konstruktionen erklärt, an denen Prädikate teilnehmen.
Die KG bietet die Möglichkeit, die unkontrollierte Vermehrung von Lexikoneinträgen
für polyseme Verben zu vermeiden. Aus der KG-Perspektive kann die Variation in der
quantitativen Verbvalenz ausschließlich durch Konstruktionen erklärt werden. Es ist also
nicht mehr notwendig, unterschiedliche Einträge für jedes Verb – für jeden Verbgebrauch –
zu formulieren, denn diese Anwendungen würden dann durch die Konstruktionen erklärt, an
denen das Verb teilnimmt. Zu dieser Reduzierung der Anzahl an Einträgen kommt noch ein
wichtiger Vorteil, nämlich, dass Zirkularitäten vermieden werden können.
8
9
In KG werden Verben aufgrund der von ihnen bezeichneten Sachverhalte klassifiziert: so spricht man
von activity (Tätigkeit), state (Zustand), accomplishment (Vollendung) und achievement
(Durchführung) als verbale Grundsachverhalte. Für eine genaue Beschreibung dieser vier Verbtypen
weise ich auf Goldberg (1995). Rappaport Hovav/Levin (1998) gewähren Einblick in die Struktur der
unterschiedlichen Sachverhaltstypen (100-105).
Kursiv gedruckt in eckigen Klammern sind die Konstanten.
5. KG VS. FG: SIND BEIDE THEORIEN KOMPATIBEL?
Es gibt genügend Berührungspunkte zwischen beiden Theorien, um behaupten zu
können, es bestehe eine Kompatibilität; vielmehr ergänzen sie sich:
Beide Theorien gehen davon aus, dass Sprachwissen in die gesamten kognitiven
Fähigkeiten des Menschen integriert werden muss. Obwohl KG diese Idee weiter als FG
führt, sollte man nicht vergessen, der Prädikatrahmen in FG hat gerade diese Integration von
dem gesamten Wissen im Visier.
Beide Theorien verfahren funktional: Ausgangspunkt ist der Begriff von Sprache als
Mittel zur zwischenmenschlichen Kommunikation.
FG und KG teilen die Ansicht, dass Syntax nicht autonom ist. Zu diesem Erkenntnis
gelangt man in beiden Modellen ab zwischen- und innersprachlichen empirischen Daten.
Infolgedessen plädieren beide Theorien für eine semantische Definition der zu
beschreibenden Einheiten auf einer einzigen integrierenden Ebene (Konstruktion in KG,
Prädikatsrahmen in FG).
6. ÜBERTRAGUNG
UNTERNEHMEN?
DER
KG
AUF
DIE
DEUTSCHE
SPRACHE:
EIN
DURCHFÜHRBARES
Ich habe bis jetzt in groben Zügen beschrieben, was ein funktionales Modell (FG,
FLM) bei der Beschreibung von dem Lexikon leisten kann, und einige Probleme vorgeführt,
die auftauchen, wenn man dieses Modell konsequent anwenden will. Wir haben auch die KG
in Grundzügen vorgestellt, wobei wir die Auslegung der semantischen Arbeit anvisiert haben,
die Rappaport Hovav und Levin mit ihren lexical templates vorschlagen. Es ist jetzt also an
der Zeit, diese Betrachtungs- und Beschreibungsweise ab den Konstruktionen auf ihre
Anwendbarkeit in der deutschen Sprache hin zu prüfen.
Die oben angedeuteten Probleme der Wörterbuchstruktur, der Definitionssprache,
usw. gibt es auch im Deutschen. Wir haben aber uns daran gewöhnt, sie entweder zu
übersehen oder aus dem Wege zu gehen: ein Blick in ein Wörterbuch genügt, um
festzustellen, dass es immer noch Zirkularitäten gibt, dass die Anzahl der Einträge pro
einzelnes Verb enorm ist, dass es in den meisten Wörterbüchern unmöglich ist, objektive und
sachgerechte Information über Selektionsbeschränkungen sowie zur Feinunterscheidung von
Synonymen herauszufinden. Außerdem wird als selbstverständlich hingenommen, dass jedes
einzelne Verb in Gruppen wie abschließen, aufschließen, schließen, wegschließen,
zuschließen oder ähnlichen (legen, ablegen, auflegen, auslegen, belegen, verlegen, usw.)
isoliert zu betrachten sind.
Im letzteren Fall behaupten wir, eine Beschreibensweise auf Grund der lexikalischen
Schablonen würde ermöglichen, diese Verben wieder als Mitglieder derselben Familie
betrachten zu können. Das Grundprinzip von Rappaport Hovav/Levin lässt sich in etwa so
zusammenfassen: Verben, die einen und denselbe Typ von Sachverhalt als Grundbedeutung
haben, können ähnliche Variationen in Syntax und Semantik aufweisen; Verben, die einer
semantischen Klasse angehören, können die gleichen lexikalischen Schablonen aufnehmen.
Als Grundverben (schließen, legen) gehören die oben genannten Gruppen von Verben zu den
Tätigkeitsverben und es fällt in beiden Gruppen auf, dass es sich um ein Verb handelt, das
Präfixe aus einer bestimmten Gruppe annimmt. Wenn wir dann näher verwandte
Grundverben wie schließen und sperren nehmen, sind die Präfigierungsmöglichkeiten beider
Verben identisch.
Das unter 4. beschriebene Verfahren lässt uns Folgendes für die Beschreibung des
Deutschen schließen: eine konsequente Anwendung von der Formalisierung durch
lexikalische Schablonen würde die Handhabung von Wörterbüchern deutlich vereinfachen,
denn man könnte alle Ableitungen und Gebräuche von einem Verb unter nur einem Eintrag
finden. Diese Behauptung widerspricht die Tatsache, dass die meisten Sprecher von Deutsch
als Muttersprache Verben wie aufmachen und zumachen als zwei unterschiedliche
lexikalische Einheiten betrachten. Den DaF-Lernern bzw. -Lehrern wird es jedoch geholfen,
denn sie finden dann auf Anhieb alle möglichen Benutzungsvarianten von einem Grundverb
zusammen mit den präziseren abgeleiteten Prädikaten.
7. SCHLUSSBEMERKUNG
In diesem Beitrag wurden die Grundzüge von der funktionalen Betrachtung des
Lexikons im Rahmen der FG, genauer gesagt des FLMs, erläutert. Die Arbeit mit diesem
Modell ermöglicht eine u. E. vernünftige Arbeit mit dem Lexikon sowohl in lexikologischer
als auch in lexikographischer Hinsicht. Der onomasiologische Aufbau und die
typographische Gestaltung zusammen mit der soliden sprachwissenschaftlichen Basis des
FLMs gewähren Einblick in die semantische, syntaktische und pragmatische Architektur des
Grundlexikons und vermeidet Probleme, die aus der Arbeit mit herkömmlichen
Wörterbüchern entstehen, z. B. die Zirkularitäten.
Da ein Wörterbuch, das nach diesem Modell verfasst wird, einen gesonderten Eintrag
für jede Teilbedeutung eines Lemmas enthalten soll, gerät der Umfang aus den Fugen, vor
allem, wenn man das gesamte Lexikon (primär und abgeleitet) betrachten will. Es wurde
versucht, durch die KG und die Formalisierungsversuche der lexikalischen Schablonen eine
Lösung zu bieten, die auch Einfluss auf den Aufbau des Wörterbuchs haben wird: der Aufbau
wäre dann nicht mehr onomasiologisch im engeren Sinne, sondern vielmehr müsste der
Lexikologe die Einträge nach Sachverhalten ordnen, um zu ermöglichen, dass die Vielfalt an
Konstruktionen und Bedeutungen von jedem Verb aus allgemeinen Grundprinzipien
abgeleitet werden können und keine gesonderten Einträge erfordern.
Wir möchten hier deutlich zum Ausdruck bringen, dass wir mit diesem Aufsatz
weitere Möglichkeiten vorstellen möchten, welche die Arbeit mit dem Lexikon erleichtern.
Insofern stellen wir hier noch keine Forschungsergebnisse, sondern weisen auf einen unserer
Meinung nach interessanten Weg hin, lexikologische und lexikographische Arbeit zu
betreiben.
8. LITERATURVEZEICHNIS
Bencini, G./A. E. Goldberg (n.n.): „Constructions as the main determinants of sentence meaning“.
Manuskript.
Bolinger, D. (1972): That’s That. New York: Holt.
Calañas Continente. J.A. (1997a): Arquitectura semántica, sintáctica y pragmática del lexicón verbal
básico del alemán. Córdoba: Servicio de Publicaciones de la Universidad.
(1997b): “Wozu braucht man ein neues lexikographisches Modell? Zur Anwendung des
Funktional-lexematischen Modells in der Beschreibung des deutschen verbalen
Grundlexikons“. In Alfinge 9, 87-99.
(1998a): “A functional-lexematic description of the verbal core lexicon of the German language”. In:
Olbertz, H./K. Hengeveld/J. Sánchez García: The Structure of the Lexicon in Functional
Grammar. Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins (= Studies in Language Companion
Series 43), 25-46.
(1998b) “Lexikologisch – lexikographische Forschung im Deutschen: Einblick in die
funktional-lexematische Beschreibung deutscher Verben.” In: F. Magallanes et al. (eds.):
Tradición e innovación en los estudios de lengua, literatura y cultura alemanas en España.
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