Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Veranstaltung: Geschichte der deutschen Sprache Veranstalter: Herr Seelbach Starke Verben Erstellt von: Katja Wesemann Nadine Stollberg 1 Inhaltsverzeichnis STARKE VERBEN ................................................................................................................................................ 1 INHALTSVERZEICHNIS ................................................................................................................................... 2 1. DEFINITION VON VERBEN ......................................................................................................................... 3 2. WOHER STAMMEN STARKE VERBEN UND WORAN ERKENNT MAN SIE?.................................. 4 2.1. ERKENNUNGSMERKMALE ..................................................................................................................... 4 2.2. UNTERSCHIEDE ZWISCHEN STARKEN UND SCHWACHEN VERBEN ........................................ 4 2.3. DIE FORMENBILDUNG DER STARKEN VERBEN .............................................................................. 4 2.4 STARKES VERB IM MHD: ABLAUTREIHEN ........................................................................................ 5 2.5. ABLAUTTABELLEN ................................................................................................................................... 7 3. GLOSSAR: ...................................................................................................................................................... 11 4. LITERATURVERZEICHNIS: ...................................................................................................................... 12 2 1. Definition von Verben Verb: [lat. Verbum >Wort<, Lehnübersetzung aus griech. rhema >Wort<, >(Satz-)Aussage<. – Auch: Aussagewort, Tätigkeitswort, Zeitwort]. Wortart mit komplexem Form- und Funktionssystem. Verben bezeichnen in der Zeit verlaufende Phänomene: Tätigkeiten, Vorgänge und Zustände. Unter morphologischem Aspekt sind sie durch Konjugation und die gramm. Kategorien Genus Verbi, Modus, Tempus und (in Übereinstimmung mit dem Subjekt) durch Person und Numerus (sowie in manchen Sprachen zusätzlich durch Aktionsart und Aspekt) bestimmt. Auf Grund seiner Valenz-Beziehungen gilt das Verb als syntaktisches Zentrum des Satzes, durch Kongruenz ist es in zahlreichen Sprachen auf das Subjekt bezogen. Unter gramm. Aspekt wird unterschieden zwischen finiten vs. infiniten Verbformen (d.h. zwischen der flektierten Personalform und nominalen Formen wie Infinitiv und Partizipien). Hinsichtlich des Verhältnisses zum Subjekt unterscheiden sich persönliche von unpersönlichen (subjektlosen) Verben (ich schreibe vs. mich friert); hinsichtlich des Verhältnisses zum Objekt reflexive (sich kämmen) von reflexiv gebrauchten (Alle Türen öffnen sich) und reziproken Verben (sich versöhnen). Nach der Art der Konjugation unterscheidet man starke (springen), schwache (lieben) und unregelmäßige (gehen) Verben. Unter semantischen Aspekten gibt es vielfältige und kontroverse Klassifizierungsversuche, vgl. z.B. die Gruppierung von BRINKMANN [1962], die sich sowohl auf semantische als auch auf syntaktische Eigenschaften stützt: (a) Tätigkeits- oder Handlungsverben (lesen, kaufen), (b) Vorgangsverben (laufen, schwimmen, klettern), (c) Zustandsverben (schlafen, wohnen, bleiben), (d) Geschehensverben (misslingen, sich ereignen) und (e) Witterungsverben (regnen). (vgl. Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft) Inhaltsverzeichnis 3 2. Woher stammen starke Verben und woran erkennt man sie? 2.1. Erkennungsmerkmale Die starken Verben stammen sprachhistorisch aus dem alten indogermanischen Sprachstand. Man nennt sie auch Primärverben im Sinne von nicht abgeleitet, ursprünglich. Neben dieser genetischen Unterscheidung, die im Nhd. nicht mehr ersichtlich ist, gilt heute die Bildung der grammatischen Kategorie Tempus als unterscheidendes Merkmal der starken und schwachen Konjugation. Charakteristisch für den Aufbau des starken Verbs ist der Ablaut des Wurzelvokals. 2.2. Unterschiede zwischen starken und schwachen Verben starke Verben: schwache Verben: - nicht abgeleitet - abgeleitet - Konstituierung der - sie gebrauchen für Kategorie Tempus die Zeitenbildung mit Hilfe der Wurzel- (Präteritum) das Dental- vokalalternation suffix (-t-) Bsp.: fangen – fing Bsp.: machen - machte singen – sang kaufen – kaufte 2.3. Die Formenbildung der starken Verben Die starken Verben sind im Nhd. durch folgende Charakteristika gekennzeichnet : 1. Das Partizip II wird durch die Endung –en gebildet (gesungen). 2. Kennzeichnung des Konjunktiv II durch den Umlaut dort, wo der Umlaut möglich ist (er gab, er gäbe; sie fuhr, sie führe). 3. Die Präteritalendungen werden nicht mit –t- erweitert wie es bei den schwachen Verben der Fall ist. Inhaltsverzeichnis 4 4. Präteritum und Partizip werden mit Hilfe des Ablauts gebildet (singen – sang – gesungen). 5. Die 2./3. Ps. Sg. Präsens Indikativ erscheint oft mit e/i-Wechsel (ich helfe – du/sie hilf(s)t). 6. Der Imperativ wird entweder mit Hilfe des e/i-Wechsels und/oder durch die NullEndung gebildet (iss – esst). 7. Die 1./3. Ps. Sg. Präteritum Indikativ wird ohne die Endung –e konstituiert (ich/sie sang). 2.4 Starkes Verb im Mhd: Ablautreihen Ablautreihen helfen den Infinitiv zu finden. Den auf lautliche Verhältnisse des Indogermanischen zurückgehenden regelmäßigen Wechsel des Vokals in Grundmorphemen zusammengehöriger Wortformen nennt man Ablaut. Im Mittelhochdeutschen unterscheidet man aufgrund der regelmäßigen Vokalveränderungen sieben Klassen starker Verben. Die verschieden Verbklassen werden Ablautreihen genannt. Sie werden durch fünf Formen des Verbs repräsentiert, aus denen alle anderen Formen ableitbar sind. Besonderes Kennzeichen der starken Verben sind die Veränderungen des Vokals im Grundmorphem. Die Flexion der Wörter erscheint im allgemeinen in den Flexionsmorphemen. Bei den starken Verben tritt auch eine Veränderung innerhalb des Grundmorphems auf (wahs – en , wuohs). Aber nicht für jedes Verb gilt eine eigene Regelung, sondern bestimmte Vokalverhältnisse wiederholen sich bei ganzen Gruppen von Verben. Kennzeichen der Ablautreihen: Reihe I: a) rîten rîte reit riten geriten ´reiten, fahren` b) zîhen zîhe zêh zigen gezigen ´beschuldigen, zeihen` Präteritumformen mit ei oder ê im Singular und i im Plural und im Partizip gehören in die Reihe I und verweisen auf einen Infinitiv mit î, der für diese Reihe kennzeichnend ist. Der Vokal ê statt ei in der 1. und 3. Person Singular Indikativ Präteritum tritt nur vor h oder w auf. Inhaltsverzeichnis 5 Reihe II: a) biegen biuge bouc bugen gebogen ´biegen` b) bieten biute bôt buten geboten ´bieten` Präteritumformen mit ou oder ô im Singular gehören zu der Reihe II und verweisen auf einen Infinitiv mit ie, der für diese Reihe kennzeichnend ist. Der Vokal ô in der 1. und 3. Person Singular Indikativ Präteritum tritt nur vor h oder den Dentalen t, d, z, s auf. Die Präteritumformen mit den Vokalen u und o verweisen nicht notwendig auf den Infinitiv mit ie, da diese Vokale auch in den Reihen III und IV auftreten. Reihe III: a) binden binde bant bunden gebunden ´binden` b) werfen wirfe warf wurfen geworfen ´werfen` Für die Kennzeichnung der einzelnen Ablautreihen ist außer den Vokalen selbst auch die konsonantische Umgebung der ablautenden Vokale (i bzw. e) von Bedeutung: wenn m, n, r, oder l + Konsonanten folgen, gehören in Reihe III. m und n heißen nach ihrer Artikulationsart Nasale, r und l Liquide. Verben mit Nasal + Konsonant (z.B.: nt, nd, nn, mm) gehören in Reihe III a, Verben mit Liquid + Konsonant (z.B.: rf, rd, lf, ll) in Reihe III b. Reihe IV: nemen nime nam nâmen genomen ´nehmen` In Reihe IV sind alle starken Verben, in denen dem ablautenden Vokal (e) m, n, r oder l allein, also ohne einen weiteren Konsonanten, folgen. Von hierher ist eine eindeutige Zuordnung von Partizipien wie gebogen, geworfen oder genomen möglich. Reihe V: geben gibe gap gâben gegeben ´geben` Die Verben der Reihe V unterscheiden sich aufgrund der Ablautverhältnisse von den Reihen I und II und im Hinblick auf den nachfolgenden Konsonanten von Reihe III und IV. In Reihe V gehören Verben mit dem Vokal e im Infinitiv, in denen dem ablautenden Vokal kein Nasal oder Liquid, sondern ein anderer Konsonant folgt. Reihe VI: varn var vuor vuoren gevarn ´fahren` Die ablautenden Vokale dieser Reihe kommen in den Reihen I bis V nicht in dieser Verteilung vor. In Reihe VI gehören daher Verben mit a im Präsens und im Partizip Präteritum und uo im Präteritum. Inhaltsverzeichnis 6 Reihe VII: râten râte riet rieten gerâten ´raten` Kennzeichen der Reihe VII ist der Diphthong ie in den Präteritumformen. Diese Verbklasse enthält Verben, die ihr Präteritum ursprünglich durch Reduplikation (mit oder ohne Ablaut) bildeten. Reduplikation ist die Verdopplung des Grundmorphemanlauts. Im Infinitiv und Part. Prät. können verschiedene Vokale auftreten: ei, ou, ô, a, â, uo. Überblick zu den Ablautreihen: Infinitiv 1. Pers. Sg. 1 u. 3. Pers. 1. u. 3. Pers. Part. Prät. Ind. Präs. Sg. Ind. Prät. Pl. Ind. Prät. rîten rîte reit riten geriten b) zîhen zîhe zêh zigen gezigen II. a) biegen biuge bouc bugen gebogen b) bieten biute bôt buten geboten III. a) binden binde bant bunden gebunden b) werfen wirfe warf wurfen geworfen IV. nemen nime nam nâmen genomen V. geben gibe gap gâben gegeben VI. varn var vuor vuoren gevarn VII. râten râte riet rieten gerâten I. a) Inhaltsverzeichnis 7 2.5. Ablauttabellen rîten – starkes Verb Klasse I a (Ablautreihe: î – î – ei – i – i) Stammformen: rîten (Infin. Präs.) – rîte (1. Ps. Sg. Ind. Präs.) – reit (1. Ps. Sg. Ind. Prät.) – riten (1. Ps. Pl. Ind. Prät.) – geriten (Part. Prät.) 1. Präsens Infinitiv: rîten Indikativ Konjunktiv Imperativ 1. rîte rîte 2. rîtest rîtest 3. rîtet rîte 1. rîten rîten rîten wir! 2. rîtet rîtet rîtet! 3. rîtent rîten rît! Partizip: rîtende 2. Präteritum (Imperfekt) Indikativ Konjunktiv 1. reit rite 2. rite ritest 3. reit rite 1. riten riten 2. ritet ritet 3. riten riten 3. Partizip Präteritum: geriten Inhaltsverzeichnis 8 Die Klasse I b unterscheidet sich von I a nur in der 1./3. Ps. Sg. Ind. Prät.: dort ist der Ablaut nicht ei, sondern ê (vor h und w); zurückzuführen ist der Unterschied auf eine Monophthongierung von germ. ai > ê (vor r, h und w) in althochdeutscher Zeit. rîten – dîhen; reit – dêch Zur Klasse Ib gehören: dîhen, lîhen, rîhen, sîhen, zîhen (alle mit gramm. Wechsel), spîwen (2. Imp.: spî; 1./3. Ps. Sg. Prät: spê, mit Abfall des –w im Auslaut). helfen – Starkes Verb Klasse III b (Auslautreihe: e – i – a – u – o) Stammformen: helfen (Infin. Präs.) – hilfe (1. Ps. Sg. Ind. Präs.) – half (1. Ps. Sg. Ind. Prät.) – hulfen (1. Ps. Pl. Ind. Prät) – geholfen (Part. Prät) 1. Präsens Infinitiv: Imperativ: mhd. ahd. mhd. ahd. helfen helfan hilf! hilf! helfet! helfet! Indikativ Konjunktiv Ich hilfe hilfu helfe helfe Dû hilfest hilfis helfest helfes Er hilfet hilfit helfe helfe Wir helfen helfemes helfen helfemes Ir helfet helfet helfet helfet Si helfent helfent helfen helfen Partizip: helfende helfanti Inhaltsverzeichnis 9 2. Präteritum (Imperfekt) Indikativ Konjunktiv Ich half half hülfe hulfi Dû hülfe hulfi hülfest hulfis Er half half hülfe hulfi Wir hulfen hulfun hülfen hulfimes Ir hulfet hulfut hülfet hulfit Si hulfen hulfun hülfen hulfin 3. Partizip Präteritum geholfen giholfan Inhaltsverzeichnis 10 3. Glossar: Flexionsmorpheme: sind Morpheme, die Lexeme konjugieren oder deklinieren und damit die Gegensätze bei den Personen (Singular und Plural) oder in den Zeiten (Präsens, Imperfekt oder Plusquam Perfekt) ausdrücken. Grundmorphem: (auch Lexem, Wurzel- oder Basismorphem genannt) Als Grundmorphem bezeichnet man den die lexikalische Bedeutung des Wortes tragenden Bestandteil, der nach Abtrennung der Flexions- und Wortbildungsmorpheme übrig bleibt. Morphem: ist die kleinste bedeutungstragende Einheit. Inhaltsverzeichnis 11 4. Literaturverzeichnis: 1. Bergmann, Rolf und Pauly, Peter: Alt- und Mittelhochdeutsch. Arbeitsbuch zur Grammatik der älteren deutschen Sprachstufen und zur deutschen Sprachgeschichte. 4. erw. Auflage; Göttingen/Vandenhoeck und Ruprecht, 1993 2. Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2002 3. Gerdes, Udo und Spellerberg, Gerhard: Althochdeutsch – Mittelhochdeutsch. Grammatischer Grundkurs zur Einführung und Textlektüre. Frankfurt am Main/Athenäum Verlag, 1972 4. Griesbach, Heinz/Unlig, Gudrun: Die starken Verben im Sprachgebrauch. Syntax – Valenz – Kollokationen. 1. Auflage; Leipzig/Langenscheidt 1994 5. Seelbach, Ulrich: Übungen aus dem Grundkurs: Geschichte der deutschen Sprache (6-1, 6-2, 6-3 und 6-5) 6. Theobald, Elke: Sprachwandel bei deutschen Verben. Flexionsschwankungen starker und schwacher Verben. Tübingen: Gunter Narr Verlag 1992 Inhaltsverzeichnis 12