PS Geschichtspsychologie Präsentation Handout Korkisch, Robert Sonnleitner, Philipp Steinkogler, Clara 18.11.2002 8526829 0000941 0103166 Aberglaube am Beispiel Hexenverfolgung 1 Beliefs 1.1 Definition von Beliefs Ein Belief-System ist ein Set von Überzeugungen und Anschauungen, das einer Gruppe von Individuen zueigen ist und sie verbindet. Es ist in sich logisch und geschlossen. Es dient einerseits als Orientierungshilfe im Alltag, andererseits ist es ein identitätsstiftendes Symbol für die Gruppe. 1.2 Belief-Systeme Belief System ist ein Begriff für Überzeugungen, Einstellungen und Glaubenssätze. Beliefs sind Verallgemeinerungen über die Welt, über andere Personen und über uns selbst. Verallgemeinerungen deshalb, weil der Mensch nie alles, was real ist, wahrnehmen kann, sondern herausfinden muss, was für ihn persönlich wichtig ist. Beliefs sind somit starke Wahrnehmungsfilter, die dem Menschen helfen, die Welt sinnvoll wahrzunehmen und diesen Wahrnehmungen Bedeutung zu geben. Alles, was wir denken und tun, ist somit von Beliefs strukturiert. Wir nehmen nicht das wahr, was ist, sondern das, was wir glauben, was ist. 1.2.1 Regeln Beliefs können als Regeln verstanden werden. Regeln, die ein Verhalten vorschreiben, was in einem besonderen Kontext erlaubt ist und was nicht. Sie sind rational nicht begründbar und werden meist nonverbal vermittelt. Regeln wurden von einer Autorität formuliert und sind oft mit intensiven Gefühlen verbunden. Sogenannte Ursache-Wirkungs-Beliefs suggerieren, dass das Auftreten von A das Auftreten von B bewirkt: "Häufiges Bildschirm-Schauen verursacht Glücks-Gefühle". Kausale Beliefs suggerieren einen Zwang: es muss so sein. Kausale Interpretationen sind für innere Zustände und soziale Beziehungen fast immer inadäquat. Wir brauchen soziale Regeln, wir brauchen Vorstellungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge und wir müssen Ereignissen Bedeutung geben. Beliefs beschreiben, wie sich Menschen in der Welt orientieren. Ohne Beliefs könnten wir nicht leben, weil wir vollkommen orientierungslos wären. Bewusstsein ist ein Auswahl-Prozess. Alles, was wir denken und tun, ist von Beliefs strukturiert. Beliefs sind machtvolle Wahrnehmungs-Filter. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 1 von 9 1.2.2 Wahrnehmungs-Filter Alles was wir an der Welt rings um uns wahrnehmen, ist kein Abbild der Welt, sondern ein Konstrukt, eine Konstruktion. Bewusstsein ist ein enormer Auswahl-Prozess, bei dem einzelne Aspekte erkannt und andere nicht erkannt werden. Wahrnehmen ist ein Filterprozess, - wie eine Brille, bei der bestimmte Arten des Lichts durchgehen und andere nicht. Der Filter-Prozess der Wahrnehmung ist allgemein bekannt. Wenn jemand ein neues Auto kauft, dann "sieht" er nach dem Kauf mehr Autos dieser Marke, nimmt die Werbung bewusster wahr, usw. Der Kauf eines Autos (für die meisten eine größere Entscheidung) hat den Wahrnehmungs-Prozess verändert: ein neuer Filter wurde wirksam. Verallgemeinerung Prozess der Überführung der Tiefen-Struktur in die Oberflächen-Struktur der Sprache, bei dem Elemente eines spezifischen Kontextes zu Elementen eines umfassenderen Kontextes werden. Eine bestimmte Erfahrung repräsentiert dabei alle Erfahrungen einer ganzen Kategorie. Die innere Landkarte wird damit vage und unbestimmt. Wer z.B. Erfahrungen mit Personen einer bestimmten Berufsgruppe auf alle Personen dieser Gruppe überträgt, verallgemeinert und konstruiert ein ungenaues Modell. 1.2.3 Vergangenheit – Gegenwart Wie bereits erwähnt benutzt der Mensch so genannte Beliefs um sich in der Welt besser zurechtzufinden. Solche Sets von Einstellungen, Überzeugungen und Verallgemeinerungen die aufgrund unseres bisherigen Lebens, unserer bisherigen Erfahrungen entstanden und gewachsen sind, erleichtern uns die Lebensbewältigung beträchtlich. Doch wie tief solche Beliefs in uns verankert sind, ist und uns mitunter komplett unbewusst. Dies lässt sich leicht anhand von Beispielen aus der Vergangenheit und der Gegenwart zeigen. Dass der Mensch auf derartige Erklärungen angewiesen ist, belegt allein der bisherige Erfindungsreichtum verschiedener Weltentheorien, den uns ein kurzer Blick in unsere Geschichte eröffnet. Da Keiner die aktuellen Theorien überprüfen kann (wer sieht Atome?!?) bzw. sich die Theorie aus sich selbst erklärt (siehe Aberglaube, bzw. selffullfilling prophecies), muss er der Theorie blind vertrauen und anhand von ihr sein eigenes Weltbild schaffen. Wie sich derartige Überzeugungen und Vorstellungen über die Welt selbst auf unsere „Weltentheorie“ die unantastbare (Natur)Wissenschaft auswirken kann, sei kurz anhand eines Beispiels unserer eigenen angestrebten Disziplin, der Psychologie veranschaulicht! Als Sigmund Freud 1923 seine 3-Instanzentheorie vom triebhaften ES, dem kontrollierenden ICH und dem Ideal/Sollbild forderndem ÜberICH formulierte, war die damalige Technik auf dem Stand der Dampfmaschine, sie war das Symbol dieser Epoche. Betrachtet man unter dem Gesichtspunkt, wie leicht wissenschaftliche Theorien für momentane Weltbilder anfällig sind, seine weltbekannte und revolutionäre Theorie, so erkennt man das ES als brodelnden Dampfkessel, in dem sämtliche Energie komplett wild und ungeordnet enthalten ist, das ICH als Druckregulierendes Ventil das entweder Spannung also Dampf abführt (Sprichwort, Dampf ablassen) oder unterdrückt um den vorgegebenen Sollwerten des ÜberICH gerecht zu werden! Auf die heutige Zeit umgelegt, dominiert der Computer das technische Weltbild, und schon wird das menschliche Gehirn mit einem großartigen und komplexen Rechner verglichen! Nicht von ungefähr lernen wir vom Kurzzeitgedächtnis als Zwischenspeicher des Gehirns, werden einlangende Sinneswahrnehmungen mit Daten verglichen und eifern bereits Wissenschaftler der Verschmelzung von Nervenzellen und Computerchips entgegen. Die Leistung des Gehirns wird übrigens auch in Bits ausgedrückt. 1.2.4 Belief-System im politischen Umfeld Ein Beispiel für ein Belief-System im politischen Umfeld ist der Nationalsozialismus. Ein System, dass nur funktionieren konnte, weil die Masse daran geglaubt hat. Viele haben ohne darüber nachzudenken oder ohne nachzufragen auf den Führer vertraut und das Unheil, dass dadurch angerichtet wurde erst viel zu spät bemerkt. Eine Abhängigkeit ist hier in dem Sinn bemerkbar, dass viele Menschen auch aus Angst nichts gegen den Nationalsozialismus getan haben. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 2 von 9 1.2.5 Belief-System im kulturellen Umfeld Ein Beispiel für ein Belief-System im kulturellen Umfeld stellt die Genitalverstümmelung an Frauen dar. Einige Fakten dazu: FGM „Female genital mutilation“ wird in 28 afrikanischen Ländern praktiziert. Es existieren verschiedene „Härtegrade“, die Varianten reichen vom Entfernen der Klitorisspitze bis zum kompletten Wegschneiden aller Geschlechtsteile. Als mögliche Folgen sind Infektionen, organische Folgeschäden, psychische Traumata und Ansteckung mit Aids durch die mehrfache Verwendung der Schneidinstrumente zu erwähnen. Auch österreichische Ärzte praktizieren illegal FGM, wobei der Eingriff zwischen 360 € und 730 €. Es ist nicht möglich gesetzlich gegen die illegal praktizierenden Ärzte vorzugehen, da die „Klienten“ nicht vor Gericht eine Anzeige machen. Warum halten die Eltern an dieser grausamen Sitte fest? Es gibt viele Gründe, für fast alle steht die Tradition an erster Stelle. Dieser Belief ist für uns wohl unverständlich doch für viele afrikanische Frauen stellt es eine wichtige Tradition dar, gegen die sie sich in der Öffentlichkeit vielleicht wehren, die sie aber in den eigenen vier Wänden aber weiter praktizieren. Die Abhängigkeit von der Kultur und der Schwierigkeit sich von solchen Bräuchen zu trennen zeigt sich erst, wenn man die Folgen kennt. Verbannung, Ausschluss aus dem Dorf und der Heimat Verachtung durch die Familie und vieles andere. Nicht viele haben den Mut sich in der Öffentlichkeit zu diesem Tabuthema zu rechtfertigen oder dieses sogar zu verurteilen. 1.2.6 Belief-System im wirtschaftlichen Bereich Ein Belief-System im wirtschaftlichen Bereich wäre die sogenannte „Markengeilheit“, die unsere Konsumgesellschaft langsam übermannt. Ein Schulkind ohne Nike Schuhe, Jolly Buntstifte, Levis Jean, Ralph Lauren Pulli und Dkny Shirt gibt es wohl kaum und wenn unter dem Weihnachtsbaum statt der lang ersehnten Play-Station die Billig-Version vom Hofer liegt ist das Kind out und die Eltern total uncool. Eine von der Wirtschaft gesteuerte Abhängigkeit ist hier eindeutig durch die Medien gegeben, die eindeutig den Markenwahn der Kids ausnützen um die Eltern an die Kasse zu bitten. Aber auch die schon kaufkräftigen Kunden sind nicht viel besser als die kleinen Konsumenten. Wer kauft nicht für seine Minki lieber das teure Scheba in der goldenen Glanzverpackung als das 0815 Produkt in Aludose, egal was der „kleine Unterschied“ kostet. Wer das Geld hat, hat die Wahl und die fällt dann natürlich öfter auf die in der Werbung angepriesenen Super-Produkte und schon ist das Geld, das die Firmen für Werbung ausgegeben haben schon wieder herinnen dank der höheren Preise, die natürlich nur wegen der guten Qualität so hoch sind. Tatsache ist leider der Glaube, dass gute und gesunde Produkte auch ihren Preis haben (müssen).Das ist leider ein eingefleischtes Belief-System unserer Gesellschaft. 2 Aberglaube 2.1 Definition Das Psychologische Wörterbuch von Dorsch (1998) beschreibt Aberglaube als ,,den Glauben an Kräfte, Zusammenhänge, Übernatürliches, das den wissenschaftlichen Erkenntnissen wie auch religiösen Anschauungen nicht entspricht“ Eine andere Begriffsdefinition, die der von Dorsch sehr ähnelt, stammt von dem Psychiater Judd Marmor (1956, Vyse 1997). Für ihn beinhaltet Aberglaube ,,Glaubensansätze oder Praktiken, die eigentlich unbegründet sind und dem Kenntnisstand nicht entsprechen, den die Gesellschaft, zu der man gehört, erreicht hat“. 2.2 Interpretation Aberglaube - Irrationalität pur, und doch ist dieses Phänomen unheimlich weit verbreitet. Hilflosigkeit, Unwissenheit, Fehldeutungen, Verdrängung, Leichtgläubigkeit, Suche nach Halt - alles Ursachen, die zu abergläubischen Vorstellungen und Handlungen führen können. Aufgrund seiner Vielseitigkeit ist Aberglaube ein Phänomen, das in jeder Kultur und bei einem großen Prozentsatz der Bevölkerung überhaupt vorzufinden ist. Darauf lassen verschiedene Erhebungen Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 3 von 9 schließen, die festgestellt haben, dass etwa 30 Prozent der europäischen und amerikanischen Bevölkerung abergläubisch sind. Diese hohe Prozentzahl verdeutlicht auch die Wichtigkeit, die der Aberglaube im Leben vieler Menschen darstellt. 3 Aberglaube am Beispiel Hexenverfolgung 3.1 Aberglaube als Phänomen Betrachtet man die Frühe Neuzeit und den damaligen Stand des Wissens wird klar in welchem Umfeld Aberglaube und im Weiteren auch das Phänomen der Hexenverfolgung entstehen konnte. Insbesondere da die Wissenschaft in vielen Bereichen noch in den Kinderschuhen steckte, schienen manche Vorkommnisse schlichtweg unlogisch! So war es für einen damaligen Bauern schlichtweg unerklärlich warum gerade heuer derartig schlechtes Wetter für seine Saat oder im speziellen gerade seine Ernte verdorben war. In seiner Weltanschauung konnte er es nicht auf mikroskopisch kleine Schädlinge bzw. auf meteorologische Unregelmäßigkeiten schieben, das Geschehen war für ihn schlichtweg unerklärlich oder je nachdem unlogisch. Das Bedürfnis für Erklärungen war also ungeheuer groß. So ist es natürlich nicht verwunderlich wenn auf diesem Nährboden ein System wie der Aberglaube wächst und gedeiht! Einfache Erklärungen, einfache Lösungen. Der psychologische Nutzen liegt insbesondere in der Sicherheit die ein solch allumfassendes System wie der Aberglaube bietet. Wie wir wissen ein Grundbedürfnis des Menschen. Widersprüche werden innerhalb des Systems erklärt und fordern nach „mehr desselben“. Ist die Ernte trotz der Hexenverbrennung schlecht ausgefallen liegt der Fehler nicht in der Methode sondern in der Ausführung, sprich es wurden nicht alle Hexen erwischt! 3.1.1 Aberglaube, eine beruhigende Funktion Aberglaube hat eine beruhigende Funktion. Wer freut sich nicht, wenn er kurz vor einer großen Prüfung einen Rauchfangkehrer sieht. Der psychologische Nutzen ist so zu erklären, dass es den Menschen oft leichter fällt an etwas zu glauben, dass seit Jahren für die Menschen so ist, statt selber nachdenken zu müssen. Als Beispiel hierfür wäre es interessant darauf einzugehen, warum die Bauern früher vor der Ernte Tiere als Opfergabe geschlachtet haben, in der Hoffnung, dass die Ernte dann besser ist. Dies geschah auch aus Aberglaube heraus und weil man es in den Jahren davor auch so gemacht hat. Bei Widersprüchen wurden Ausreden und Begründungen gefunden, warum es nicht funktioniert hat. Wenn die Ernte trotz Opferschlachtungen nicht gut war, hat man die falschen Tiere geschlachtet oder eben die richtigen Tiere aber zur falschen Zeit. Um das Thema spannend zu finden, ist Subjektivismus nicht nötig. Es wäre im Gegenteil hinderlich dabei, die große Vielfalt der Entwicklungen und Meinungen im Umfeld des Hexenthemas zu erkennen. Denn wie kaum ein anderes Thema der Historiographie bilden die Hexen gleichsam einen Schlüssel zum Verständnis einer ganzen Epoche der Geschichte: Ob man sich für die Stellung der Frau interessiert oder für die Funktionsweise des Gerichtswesens, für theologische Kontroversen oder die Bedeutung der Magie, für die ungeschriebenen Regeln des Alltagslebens oder die Auswirkung sozialer Spannungen, für fremdartige Volksglaubensvorstellungen, die Geschichte der Medizin oder der Psychologie – das Hexenthema bietet Einblicke in viele Bereiche. 3.1.2 Glaube – Überzeugung Der Glaube an die Möglichkeit zauberischer Einflussnahme stellte sozusagen ein Gegenstück zum modernen Fortschrittsglauben dar, der ebenfalls trotz zahlreicher Rückschläge eine optimistische Erwartungshaltung der Menschen ermöglichte. Was ist der wesentliche Bestandteil der Hexerei ? Was steckt hinter dem Zeitlosen Fortbestehen magischer Mächte ? Warum wenden sich Menschen leidenschaftlich gerne einem magischen Weltbild zu ? Welche Rolle spielt die Hexerei im täglichen Leben bestimmter Menschen ? Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 4 von 9 Die Gründe für ihre erstaunliche Langlebigkeit – wenn nicht gar Unsterblichkeit – spiegeln sich in den Antworten auf die oben erwähnten Fragen. Sie decken eine Vielfalt intensiver menschlicher Bedürfnisse auf, die nie unzeitgemäß werden und einen ständigen Anreiz für die Zuwendung zur Hexerei darstellen. Einige davon sind tief in der Einzelpersönlichkeit verwurzelt und äußern sich im Wunsch nach Wissen, Erklärungen und, was am wichtigsten ist, nach persönlicher Macht. Andere Beziehungen sind untrennbar mit dem menschlichen Gemeinschaftsleben verbunden und offenbaren sich in der Forderung nach einer Unterscheidung von Gut und Böse und einem Sanktionssystem zur Bestrafung derjenigen, die diese Ordnung verstoßen. Hexerei, oder die Beschäftigung mit Magie im allgemeinen, ist ein dynamisches Phänomen und hat sich im Laufe der Geschichte in vielen unterschiedlichen Formen fortentwickelt. Weiters ist zu erwähnen, dass die Hexerei nicht nur aus der harmlosen Sammlung wirkungsloser Zaubersprüche und Beschwörungen besteht, die von Leuten verwendet werden, die das wissenschaftliche Prinzip von Ursache und Wirkung missverstanden haben, sondern dass sie und alle okkulten Dinge zugleich auch real in dem Sinne sind, als sie psychologische Wirkungen bei denen bewirken können, die daran glauben. Deshalb kann man meinen dass jemand, der ernsthaft diesem Glauben anhängt, auch ernstgenommen werden sollte. Für ihn bestätigt sich der Glaube an die Wirklichkeit. Überzeugungen einer einzelnen Person sind nur bis zu einem gewissen Maße deren Privateigentum; vielmehr werden sie weitgehendst von der sie umgebenden Kultur beeinflusst, deren Teil der Einzelne wiederum ist. 3.2 Die Hexe als Gestalt Die Hexe ist ihrer Natur nach interpersonal. Im Unterschied zu anderen Typen okkulter Gestalten, wo das Individuum sich allein übernatürlichen Ereignissen gegenübersieht, steht die Hexe zwischen der menschlichen Person und der übernatürlichen Macht. Dies führt zu der interessanten soziologischen Frage, woran man die unglückliche Person erkannte, die man als Hexe oder Zauberer anklagte. Das Spektrum potentieller Opfer war fast unbegrenzt, da es so viele charakteristische Merkmale gab, die sie verwundbar machten. Alte Frauen, besonders Witwen, bildeten die größte soziale Gruppe unter den Angeklagten. Es gibt Beschreibungen, dass mehrere Frauen in England und Schottland allein aufgrund ihrer Hässlichkeit Opfer der Hexenverfolgungen wurden. Alle kamen entweder unter den Händen der Gefängniswärter oder der Henker um. Die menschliche Natur enthält ein großzügiges Maß an Sehnsucht nach öffentlichem Ansehen. In einigen Individuen scheint das Bedürfnis, aufzufallen, so übermächtig zu sein, dass es offensichtlich unbedeutend wird, ob dies in positivem oder negativem Zusammenhang geschieht. Ihr Leitmotiv ist Wohl: „Irgendwie aufzufallen ist besser als gar nicht ". So war durchaus möglich, dass sich Personen, trotz aller ihnen angedrohten Konsequenzen, als Hexen outeten, nur um aufzufallen bzw. interessant zu wirken, ohne selbst eine „tiefere“ Überzeugung zur Hexerei zu haben. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 5 von 9 Die „Geständnisse“ wurden zum Zeitpunkt der Hinrichtung öffentlich verlesen und der Öffentlichkeit ausführlich mitgeteilt. Dadurch rief die Verfolgung ein sozialpsychologisches Kunststück hervor: Man etablierte die Legitimität der Gerichte und Hinrichtungen und bestärkte aus neu die Öffentlichkeit im Glauben an die reale Existenz der Hexen. Jedes Mal, wenn ein „Geständnis“ verlesen wurde, festigte es die Menschen im Glauben, dass es tatsächlich Hexen gäbe, die durch die Nacht flögen, beim diabolischen Sabbat tanzten und Leid und Böses über die Gemeinschaft brachten. Die Behörden waren daher mehr als legitimiert, das Übel auszumerzen. Das „Geständnis“ diente somit dem Verfolgungsapparat als ein zusätzliches Mittel, um die Hexenpanik am Leben zu erhalten. 3.2.1 Gegenmaßnahmen – Bräuche Die Bauern fürchteten, dass die dämonischen Schwärme der Hexen und ihre Gefolgschaft Felder, Ernte und Höfe bei ihrem Durchzug schädigen könnten. Es war daher ein alter fränkischer Brauch, durch das sog. Hexenknallen oder Hexenklatschen Schutz dagegen zu suchen. Jung und alt in den Dörfern kam in der Walpurgisnacht ( vom 30. April zum 1. Mai, Blocksberg ) zusammen und begann, bei Einbruch der Dunkelheit mit Peitschen zu knallen und sogar in die Luft zu schießen, um dafür zu sorgen, dass keiner der Hexen es wage, irgendwo im Dorf oder dessen Nähe zu erscheinen. Ähnliche Praktiken waren auch in Tirol, Oberbayern und der Schweiz bekannt. In einigen Gegenden glaubte man, dass das heftige Läuten von Kuhglocken Hexen vertreiben würde, da sie Lärm nicht ausstehen könnten. Bei solchen Gelegenheiten war es für alte Frauen nicht ratsam, sich auf der Straße sehen zu lassen, zumal wenn sie die stereotypen Kennzeichen der Hexen besaßen – große Nase, zahnlos, gebückter Gang, gerötete Augen. 3.2.2 Hexerei Hexerei ist eine von mehreren Formen der Beschäftigung mit der Magie. Und Magie beruht auf dem Glauben an übernatürliche Kräfte, die man beeinflussen kann, um Wohlwollen, Schutz, Reichtum oder Rache zu bewirken; umgekehrt kann sie gegen Schmerz und Unglück eingesetzt werden. Der Glaube an Magie wird in der Regel von einer Reihe esoterischer Handlungen begleitet – Riten, Beschwörungen, dem Gebrauch von Amulette usw. -, welche die Kooperation der übernatürlichen Mächte fördern sollen. Hier wird die pragmatische Seite der Magie dargestellt. Für den Praktiker ist die Magie ein irdisches Streben und keine theologische oder theoretische Übung. Sie wird angewandt, um jene Dinge tun zu können, die angesichts unserer menschlichen Schwäche überwältigend erscheinen. Der Ursprung dieser Gefühle liegt in der existenziellen Unsicherheit des Menschen und seiner Angst vor der Machtlosigkeit. Der Mensch fürchtet sich vor Unheil. Krankheit und am meisten vor dem Tod. In seiner nie enden wollenden Suche nach Schutz wendet er sich der Magie zu. Es liegt in der Natur emotionaler Bedürfnisse, übernatürliche Wesen zu erfinden, die sich der Menschheit mit Schutz und Hilfe annehmen. Die Menschheit gibt sich einem Hoffnungsdenken hin. Aus dieser Denkhaltung heraus entsteht eine verblüffende übernatürliche Morphologie. Es fällt den Menschen schwer, fremdartige Dinge nicht zu vermenschlichen. So nehmen seine Götter, Götzen und Geister personale Formen an. Bevor sie es merken, reduzieren die Gläubigen hochabstrakte Ideen zu konkreten Figuren, die sich leichter vorstellen lassen. Wenn sich dann einmal der Glaube an die Wirksamkeit der Prozedur eingebürgert hat, dient der allerkleinste Anlass als „positiver Beweis“, und die Misserfolge, die die Mehrzahl der Fälle charakterisieren, werden übersehen. So beschützen die Mensche ihre Glaubenssysteme und ignorieren ihre Misserfolge. Neben historischen Forschungen können Soziologie und Psychologie fundamentale menschliche Konditionen verdeutlichen, die solche Auswüchse wie den Hexenwahn ermöglichen. Not hat viele Gesichter. Für z.B. alte Bauern war sie vornehmlich der nahezu verlorene Kampf gegen Hunger, Kälte und Krankheit. Es war der oft verlorene Kampf gegen Ausbeutung und soziale Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 6 von 9 Ungerechtigkeit. Für das moderne, vom Zusammenbruch sozialer Ordnungen verfolgte Individuum hat Not die Bedeutung von Ziellosigkeit, die es in die Verzweiflung und zum Selbstmord treiben kann. Wieder sehen wir einen Grund für den Rückgriff zum Okkulten durch moderne Menschen: das Versprechen von Macht über ein Umfeld voller Anomalie. Die Rolle des Hexenwesens in der Gesellschaft und im persönlichen leben ist vielfältig. So sind zum Beispiel einige Funktionen eng mit der Sozialstruktur der Gesellschaft verknüpft, da sie sie gegen Umsturz schützten und jene bestraften, die Frieden und Ordnung störten. Wie wir erkennen können, dient die Hexerei als ein soziales Sanktionssystem – sozusagen als Gerechtigkeitszauber – und als ein Maßstab der Wertabgrenzung zwischen Gut und Böse. Andererseits nimmt sich die Hexerei einer Reihe sehr persönlicher Nöte an, gibt Erklärungen für quälende idiosynkratische Probleme und unverständliche und Furcht einflößende Ereignisse und besänftigt Unsicherheit, Besorgnis und Furcht durch die Einbildung persönlicher Macht. 3.3 Sehnsucht nach Erklärung Eine der ältesten und dauerhaftesten Funktionen der Hexerei entwickelte sich aus der Sehnsucht nach Erklärung. Anthropologen sind sich einig, dass die magische Vorstellung teilweise zur Institution wurde, da sie den Durst nach Antworten auf Ereignisse stillt, für die keine anderen Erklärungen vorliegen. Es gibt für die Menschheit kaum etwas Unerträglicheres, als fortwährend beunruhigt zu werden, ohne zu wissen, warum, und ohne sich die Situation in einer Weise erklären zu können, die Gegenmaßnahmen und Lösungen zulässt. Kurz, eine Situation ist ihres Sinnes beraubt, und dies ist für den Menschen unerträglich. In dieses irre Labyrinth, das wir Leben nennen, lässt sich Ordnung und Erklärung durch das Okkulte einschließlich des Glaubens an Hexenwerk, hineinbringen. Dieser Glaube vereinfacht die Einordnung unerklärlicher Ereignisse und lässt den Menschen mit Ängsten Fertigwerden. Die sich daraus ergebenden Erklärungen verwandeln Angst (eine typische Reaktion auf unbekannte Gefahren) in Furcht (die Reaktion auf eine bekannte Gefahr), die den Menschen angemessener handeln lässt. Die Handhabung einer beunruhigenden Situation vollzieht sich dann mit einem Minimum an Unsicherheit, und stereotypisierte oder routinierte Antworten nehmen auf die Eventualitäten des Lebens Rücksicht. Mit anderen Worten, Hexerei lässt letztendlich Institutionen und Traditionen entstehen – Routine entwickelt sich, wird von der Gemeinschaft anerkannt und schafft die Probleme aus der Welt. 3.4 Abgrenzung Jedenfalls scheint eine Funktion der Hexensage die Festigung der Solidarität durch dramatisch definierte Gräulichkeit gewesen zu sein. Dadurch schuf man eine In- und eine Außenseitergruppe. Und dies ist schließlich die fundamentale Regel der Abgrenzung. Die Hexenlehre stärkte den Gemeinschaftskonsens über das, was als gut betrachtet wurde, indem es das Abweichende darstellte: geheime und schädigende Aktivitäten gegen Besitz, Gesundheit und Leben der Nachbarn. Noch heute meint man manchmal, die Hexe würde das Böse zum Selbstzweck verfolgen, sexuelle Perversionen betreiben, verpönte Bücher besitzen und in fremden Sprachen reden. Die Drohung, außerhalb der als Gemeinschaftsstandards anerkannten Grenzen eingeordnet zu werden, dient als Druckmittel zur Konformität. Unerwünschte Gewohnheiten konnten durch Hexerei-Anklagen kontrolliert werden. Manche Bauersfrau dürfte ihre Neigung, bissig, zänkisch, eigenbrötlerisch oder häretisch (abweichend vom Kirchendogma) zu sein, unterdrückt haben, aus Angst, als Hexe bezeichnet zu werden. 3.5 Suche nach Macht Einige Psychologen halten das Gefühl der Machtlosigkeit für die bedeutsamste Antriebskraft menschlicher Aktivitäten. Jede Art Magie, besonders die Hexerei, lässt sich auch unter dem Aspekt der Suche nach Macht betrachten. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 7 von 9 Alfred Adler erkannte im Gefühl der Minderwertigkeit und Entmutigung die Grundelemente der Neurosen vieler Gesellschaften. 3.6 Aggression Fast alle Gemeinschaften leiden an einem gewissen Grad innerer Spannungen, seine sie durch verlorene Kämpfe gegen die Elemente ausgelöst oder durch die Frustrationen, die aus zwischenmenschlichen Problemen erwachsen. Aggression scheint ein wirksamer Mechanismus zur Lösung solcher Spannungen zu sein. Die Hexenvorstellung spielte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. In den Zeiten der Hexenverfolgungen diente die Hexe auch als Sündenbock. Ihr Stigma erlaubte es, alle Arten frei fließender Verärgerung und Besorgnis zu kanalisieren. Das typische Merkmal des Sündenbocks zeigte sich im 17. Jahrhundert, als Tausende von Hexen angeklagt und verurteilt wurden, um die Gemeinde von Misstrauen und Ängsten zu befreien. Das lieferte verzweifelten, durch ungewöhnliche Störungen erzeugten Gefühlen einen Brennpunkt. Die öffentliche Feindin Nr. 1 war identifiziert, und man machte den Versuch, sie auszuschalten, so dass alle wieder freier atmen konnten. Anscheinend ist diese Art kommunaler Reinigung eine dauerhaft Neigung aller Gesellschaften, und die jüngst vergangenen Hexenjagden (z.B. Judenverfolgung, „Moslemverfolgung“) zeigen die soziale Tendenz, Schuld zuzuweisen. Sie besondere Anwendbarkeit der Hexerei zur Kanalisierung von Aggressionen erhöht sich, wenn die Aggression gegen Personen gerichtet wird, die man normalerweise vom Zorn ausnehmen würde – wie etwa Nachbarn oder Verwandte. Die Anklage der Hexerei war ein Mittel, diese Immunität aufzubrechen. Wie anders konnte die Enttäuschung darüber ausgedrückt werden, dass im Obstgarten des Nachbarn eine reiche Ernte heranreifte, während die eigene vertrocknete ? Der Nachbar tat ja nichts Böses. Die Nachbarin wegen ihres Wohlstands zu hassen, war keine begründbare Entschuldigung; aber man konnte sie hassen, weil sie eine Hexe war. Dies war eine akzeptabel und vielleicht plausible Art, mit negativen Emotionen gegen Personen der engen Umgebung fertig zu werden und stellte einen Freibrief dar, um jemand ungestraft hassen zu können. 3.7 Symbole Ein Symbol wird oft als bildhaftes Zeichen verstanden, das eine gewisse kognitive Vorstellung hervorruft. Eine wichtige Begleiterscheinung sind Emotionen, die dem Symbol einen Platz im Gefühlsleben des Menschen einräumen. So sind beispielsweise die Fahne des Vaterlandes, das Wahrzeichen einer Religion, der Militärorden oder der Druidenfuß offensichtliche Symbole, die gewisse Emotionen auslösen. Man darf da bei aber nicht vergessen, das diese Symbole auch in reiner Wortform bestehen können, also nicht notwendigerweise immer in bildlicher oder physischer Darstellung erscheinen müssen. So ruft bereits das Wort Hexe eine bestimmt kognitiv-emotionale Vorstellung hervor. Die Leute schrieben den Hexen bestimmte Fähigkeiten zu; die so genannten Hexen identifizierten sich mit ihnen; somit wirkten die Fähigkeitsvorstellungen. Dies ist ein Prinzip, das allen magischen Glaubensformen und ihren oft ungeheuren Effektivitäten zugrunde liegt. Genau dasselbe Prinzip wirkt in den Wundern aller Kirchen und wird normalerweise in diesem Zusammenhang als eine legitime Machtmanifestation betrachtet, während man es im Zusammenhang mit Hexerei als illegitime Machtmanifestation sieht. Heterosuggestion beruht ebenfalls auf der Anwendung von Symbolen und ist der Glaube, dass andere Menschen oder okkulte Wesen Macht über einen haben. Die große Mehrzahl der „Flüche“ fällt genau unter diese Klasse von Suggestionen. Flüche funktionieren, weil kulturelle Symbole sie verstärken. Zu den weiteren Beispielen gehört die Verfolgung der Juden durch die Nazis, die Millionen für den Staatsfeind Nummer 1 hielten und die man als riesige Verschwörung definierte und vernichtete. Die Große Kulturrevolution des kommunistischen China brandmarkte einen erheblichen Teil der Bevölkerung als Reaktionäre, die eine ernstliche Bedrohung für das Volk darstellten und liquidiert werden müssten. Zu den allgemeinen soziologischen Dimensionen, die sich durch die verschiedenen Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 8 von 9 Hexenjagden hinziehen, gehören die Verkündung großer Gefahr, die Konzentration auf Sündenböcke, der Versuch, die Bedrohung zu begrenzen und abzuwenden, und entweder das Umgehen des rechtmäßigen Gesetzesweges oder die Schaffung neuer, die Verfolgung vereinfachender Gesetze. Wenn Symbole erst einmal fest etabliert sind - in Rollen, Ritualen und Glaubensformen -, vollzieht sich eine der faszinierendsten geistigen Wandlungen des Mensch: Unsere Wahrnehmung von der Welt um uns herum wird verengt und selektiv, und wir sehen und hören nur noch, worauf wir vorbereitet sind. Hexerei bietet hierfür treffende und oft fatale Beispiele. Nachdem man erst einmal angenommen hat, jemand sei ein Hexe, wird jeder Aspekt ihres Verhaltens als ein „Hinweis“ darauf gewertet, dass dies Annahme richtig sei. Wenn solch eine Frau durch Wohlstand oder Selbständigkeit unabhängig ist, verdächtigt man sie der nächtlichen Metamorphose in eine herumstreunende stehlende Katze; ist Licht in ihrem Fenster, so nimmt man an, sie studiere ihre Zauberbücher. 4 Literatur Fuchs , Ralf-Peter. (1994).Hexerei und Zauberei vor dem Reichskammergericht. Wetzlar: Schriftreihe der Gesellschaft für Reichskammerforschung Jelsma , A.J. (1977). Heilige und Hexen ..Würzburg : Christliche Verlagsanstalt GmbH. Levack , Brian P . (1995).Hexenjagd Die Geschichte der Hexenverfolgung in Europa. München: C.H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung Sebald,Hans.. (1990).Hexen damals - und heute?. Berlin: Verlag Ullstein GmbH Behringer, Wolfgang. (1993).Hexen und Hexenprozesse. München : Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co.KG Briggs, Robin. (1996). Die Hexenmacher. Berlin: Argon Verlag GmbH Gottschalk, H. (1965). Der Aberglaube. Gütersloh: C. Bertelsmann Verlag Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 9 von 9