Episode 7 - Project Waldorf

Werbung
Episode 7
Gelähmt vor Angst stand Lisa in dem Labor und konnte keinen Finger rühren. Sie konnte
noch nicht einmal die Augen schließen, was sie sehr gerne getan hätte. Wenn sie die Wahl
gehabt hätte, wäre die Entscheidung zugunsten eines schnellen Todes gefallen. Diese
Entscheidungsfreiheit gönnte ihr aber leider niemand. Eine Waffe sowieso nicht. Verstecken
konnte sie sich nicht, denn man musste befürchten, dass jede Bewegung, die gesehen wurde,
ein schmerzhaftes Ende finden würde.
Vor Lisa Donata standen in einem Halbkreis mindestens ein Dutzend ‚Irgendwas’. Irgendwas
mit einem Schalto-Bach-Stempel. Würde Terragon noch leben, würde er neben diesen
Zuchtmonstern wie ein Kuschelbär aussehen. Und gegen Terragon hatte man eine, wenn auch
nicht faire, Chance. Aber diese Situation sah nahezu aussichtslos aus.
Die Monster waren so um die drei Meter hoch, manche standen auf zwei Beinen, andere
nutzten ihre beiden Arme zusätzlich um zu laufen, ähnlich wie es die Affen taten. Allerdings
hatten sie keine Haare. Der Kopf hatte eine längliche ovale Form, wobei sich bei der Wahl der
Hautfarbe keiner so richtig einig gewesen war, denn sie hatte verschiedene Nuancen von weiß
über gelb nach rot. Manche Stellen waren böse aufgeplatzt, riesige Wunden klafften auf und
präsentierten Muskeln und Fleisch der Organismen. Vielleicht konnten sie Lisa nicht einmal
sehen. Wenn jemals Augen vorhanden gewesen waren, so waren es jetzt nur noch Narben
oder Schlitze, die das Eindringen von Licht unmöglich machten. Neben den Schlitzen nach
Hinten versetzt befanden sich kleine spitze Ohren, die am Kopf angelegt waren, wie bei
einem Hund, der Gefahr witterte. Darunter begann so was wie eine Schnauze, die dem Kopf
die ovale Form gab. Riesige Kiefer, die kantig zusammenliefen, präsentierten voller Stolz
riesige spitze und scharfe Zähne. Unterhalb der Zähne befanden sich unzählige Tentakel – so
sah es zumindest aus – die am Ende kleine Knötchen hatten.
Der Kopf saß auf einem kaum nennenswerten Hals, welcher wiederum auf riesigen Schultern
seinen Platz fand. Besonders hier fielen die offenen Muskelstränge auf, da hier scheinbar die
meiste Kraft lag. Zwischen Armen und Beinen sah man keinen großen Unterschied. Es gab da
keine sichtbaren Muskelunterschiede. Auch sah man keine geschlechtlichen Merkmale, es gab
weder Weibchen noch Männchen. Doch hatte eines der Tiere einen mächtigen, langen, extrem
beweglichen Schwanz am Hinterleib, der sich wie wild hin und her bewegte, kringelte und um
sich schlug.
Sie hatten Lisa bemerkt, es hätte auch einem Wunder geglichen, wenn es anders gewesen
wäre. Sie hatten sich jetzt alle um sie herum versammelt und legten sich auf die Lauer.
Nichts passierte.
Lisa stand Angesicht zu Angesicht zu dem Vieh, das den Schwanz hinter sich herzog. Es war
deutlich größer als die anderen und hatte auch weniger Wunden, und es war auch das einzige
Monster, das sich hingesetzt und nicht gelegt hatte.
Es sah ihr direkt in die Augen. Seine Tentakel reckten sich in ihre Richtung, als ob sie
Gerüche abtasten würden. Vielleicht war das auch der Weg, in einer ewig dunklen Welt zu
sehen.
Plötzlich ein Scheppern von rechts, dann ein Knacksen, gefolgt von einem Grunzen und ein
Kichern setzte dazu ein.
Die partiell umzingelte Frau wagte dann doch mal einen Blick zur Seite und sah noch früh
genug einen Tisch auf sich zufliegen. Ein schneller Sprung brachte sie in Deckung und sie
wurde nur von dem Luftzug erfasst.
Sie stand wieder auf und schaute zum Anführer – in der ersichtlichen Hierarchie nahm der
Schwanzträger eine scheinbar führende Position ein.
Dieser konzentrierte sich auf die Beiden, denen Lisa den Ausfallschritt zu verdanken hatte.
Sie spürte wieder einen kalten Luftzug, genauso wie der beim Aufzug. Der Anführer gab ein
paar misslungene Laute von sich, die mit Sprache nichts gemeinsam hatten und die beiden
Attentäter gaben schnell Ruhe und zeigten Respekt, indem sie ihre Köpfe in ihren Schultern
vergruben. Anschließend erntete Lisa wieder die volle Aufmerksamkeit des Hordenführers;
jetzt war wenigstens die Rangfolge sichergestellt gewesen.
Lisas Rolle in diesem Spiel war ihr noch nicht ganz bewusst. Töten stand scheinbar nicht auf
Nummer eins. Mit dem Opfer spielen ebenfalls nicht. Dennoch wollte sie sich nicht weiter
ausmalen, welche Pläne diese Versammlung in die Tat hätten umsetzen können.
Der Hordenführer richtete sich zu seiner vollen Größe auf und er hatte einen gewaltigen
Eindruck auf Lisa, die sich ein wenig ehrfürchtig duckte. Es schien fast so, als würde er
immer weiter wachsen und die Decke sprengen; wahrscheinlicher aber war, dass Lisas Angst
sie immer kleiner werden ließ.
Sie atmete laut und in schnellen Stößen. Der Kopf der Bande war nur noch wenige Meter von
ihr entfernt, ging aber sehr ruhig und langsam und musterte sie von Kopf bis Fuß.
Lisa konnte dünne leuchtende Linien in seinen geschlossen Augen sehen. Es war fast so, als
würde der Schlitz nur ein Feuer verbergen, das jeden Moment auf sie hätte niederprasseln
können.
Sie konnte hören, wie sich mit jedem Atemstoß ein leichtes Stöhnen von ihr löste. Die Panik
hatte sie gefangen, sie hatte keinerlei Kontrolle mehr über ihren Körper. Lisa zitterte, ihr
wurde furchtbar schlecht und sie spürte, dass sich in ihren Eingeweiden ein gewaltiger Schrei
zusammenbraute und es nur eine Frage der Zeit war, wann dieser die Wände hätte erschüttern
lassen. Mit geschlossenen Augen betete sie, betete um die erlösende Ohnmacht, aber der
Wunsch wurde nicht erhört.
Ein eiskalter Luftzug streifte sie und jetzt hörte sie deutlich das Wesen atmen.
Lisa wagte es, die Augen wieder zu öffnen und sie stand dem Anführer direkt gegenüber.
Er hatte sich auf alle Viere gestellt, um sich wenigstens halbwegs zu ihr hinunter zu begeben.
Was seine Augen betraf hatte Lisa annähernd Recht behalten. Zwischen den Schlitzen
glimmte eine feuerrote Linie, nur wenige Millimeter breit, doch war ihr so, als wären das die
Augen. Die Lider waren künstlich zu der schmalen Ritze zusammengenäht, wahrscheinlich
bei allen dieser Wesen. Seine Tentakel streckten sich nach der Frau und ertasteten ihre
Gerüche.
Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie das Wesen sehen oder riechen konnte, aber es hatte
scheinbar ein Urteil gefällt, denn es drehte sich plötzlich um und lief in schnellem Tempo in
die Richtung, wo die Meute hergekommen war. Dabei gab es wieder einige laute und doch
prägnante Schreie von sich. In einem fließenden Übergang sprangen alle anderen Biester auf
und galoppierten hinterher. Alle verschwanden sie durch das gewaltige Loch, das sie in die
Decke gerissen hatten und blitzschnell war das Labor wieder leer und es kehrte eine
Totenstille ein.
Irgendwie hatte man das Gefühl, dass in weiter Ferne ein Heulen oder Schluchzen vieler
Stimmen ertönte. Es war wirklich mehr ein Gefühl, ein leichtes Vibrieren auf dem Zwerchfell,
als dass man tatsächlich etwas hätte hören können.
Dieses ‚Geräusch’ wurde aber jäh unterbrochen, als Lisa hinter sich ein Quieken hörte. Sie
drehte sich um und musste bitterer Weise feststellen, dass man eine der Kreaturen
zurückgelassen hatte, welcher ihr seine Zähne mit einem breiten Grinsen zeigte und dazu
permanent quiekte, was man eventuell als Lachen hätte interpretieren können.
Aber es war nur noch einer, und dieser war auch nicht besonders groß. Er schien sogar noch
recht jung zu sein. Man sah fast keine offenen Stellen und seine Augen war noch gequollen
und entzündet durch eine frische Naht, und er bewegte sich noch etwas tollpatschig.
Dennoch war er einem noch so gut durchtrainierten Menschen weit überlegen. Schnell legte
er zum Sprung an und war auch schon in der Luft.
Aber Lisa konnte noch frühzeitig einen Sprung zur Seite machen und ihm wenigstens soweit
ausweichen, dass er sie nicht zerquetschte.
Lisa landete auf dem Boden, schlug hart auf der rechten Seite auf und blieb einen Moment
benommen liegen.
Das fremde Wesen aber landete geschmeidig auf allen Vieren richtete sich wieder auf und
drehte sich um. Lisa setzte sich nur hin und zog sich mit den Händen auf dem Boden nach
Hinten.
Das Wesen schüttelte mit dem Kopf, als wollte es ‚Nein‘ sagen, legte dabei seine riesige
rechte Hand an den Kiefer und grinste sie an. Tatsächlich hatte man das Gefühl gehabt, dass
das Vieh so etwas wie Schadenfreude empfand.
Im nächsten Moment setzte es sich ebenfalls auf den Boden und äffte den Menschen nach.
Diese Überheblichkeit trieb Lisas Angst bis zur Spitze und sie konnte sich kaum noch
beherrschen, unter sich zu machen, wenn es nicht schon passiert war. Ihr ganzer Körper war
klatschnass und die Kombi klebte unangenehm auf der Haut.
„Na los! Bring es schon hinter dich, du Scheißkerl!”, schrie sie es an.
„Worauf wartest du?”
Mit jedem Wort, das Lisa schrie, keimte ein wenig Zorn in ihr auf.
„Du kleine, hässliche Missgeburt wirst doch wohl keine Angst vor mir haben?”
Sie hatte keine Ahnung, warum ich das gesagt hatte. Sie wusste auch nicht, ob sie irgendeiner
verstehen oder hören konnte. Aber das Vieh schaute sich kurz auf dem Boden um, nahm dann
eine herumliegende, große Glasscherbe, holte aus und schleuderte sie in Lisa Richtung.
Gelähmt vor Angst sah sie die Scherbe fast in Zeitlupe auf sich zufliegen und sie neben ihrem
rechten Bein zerschellen. Kleine Glassplitter verteilten sich in alle Richtungen und sie musste
ihre Augen schließen, um sich keine Glassplitter einzufangen.
Sie spürte wie sich einige kleine Splitter in ihre rechte Wange und in ihr Kinn bohrten und
Blut auf ihrer Haut nach unten lief. Sie öffnete wieder die Augen und sah, wie sich der
Gegenüber vergnügt nach Hinten lehnte und aufgeregt grunzte.
Scheinbar wollte er ein Spiel mit der Beute treiben.
Lisa schaute sich ebenfalls ein wenig nach einem Wurfgegenstand um und fand ein
abgerissenes Bein von einem der Wächter. Sie bog die Glieder so, dass es aussah wie ein
Wurfspeer, holte aus, visierte das Ziel an und schleuderte den Speer so gut es im Sitzen ging
in Richtung des Feindes. Es wäre ein ausgezeichneter Treffer geworden, wenn nicht das Vieh
den Speer aus der Luft gepflückt hätte, einen erschütternden Schrei von sich gegeben hätte
und den Speer zurückgeschleudert hätte, und das mit einer unglaublichen Kraft. Man hörte
nur ein Pfeifen und ein Reißen, und im nächsten Augenblick war Lisa wie betäubt durch einen
Schmerz in ihrem Oberarm, den der Speer mit einem Streifschuss ausgelöst hatte.
Jetzt wurde es endlich ernst.
Vergnügt saß das Monster wieder da und schaute die Frau mit einem weit aufgerissenen
Kiefer - was immer deutlicher zu einem Lachen mutierte - an und grunzte.
Lisa suchte ein wenig und sah einige Meter von sich entfernt eine dünne Metallschablone mit
vielen kleinen Löchern liegen. Sie war etwa so groß wie eine Langspielplatte und war
wahrscheinlich vor kurzem noch Bestandteil einer Analysenmaschine gewesen. In dieser
delikaten Situation aber konnte man sie eventuell als Wurfgeschoss einsetzen.
Langsam stand Lisa Donata auf, ließ ihren Blick aber nicht von dem Monster.
Dieses hatte scheinbar kein Problem damit und verharrte weiter auf dem Boden, beobachtete
sie jetzt aber mit geschlossenem Maul und versteckte seine Zähne unter ein paar Hautfetzen.
Lisa tat indes wenige Schritte zur Seite. Sie hatte höchstens zwei Meter zurückgelegt, als das
Vieh aufsprang und wieder auf seinen Beinen stand.
Einen spitzen Schrei keuchte die Frau aus ihren Lungen, worauf sie wieder ein höhnisches
Grinsen geschenkt bekam. Aber weiter bewegte es sich nicht. Zwei weitere Schritte in die
Richtung der Scheibe, noch einen und noch einen, und sie musste verbittert feststellen, dass
sich der Gegenüber wieder zum Sprung bereitmachte.
Ohne weiter zu überlegen wagte sie einen abschließenden Sprung, warf sich auf den Boden
und griff nach der Scheibe. Gerade als sie sich wieder aufrichten wollte, sah sie den Schatten
über sich und Lisa legte sich flach auf den Boden. So verfehlte die Pranke des Monsters die
Kämpferin nur knapp.
Wieder landete es perfekt im Stand, nun auf der anderen Seite und wendete sich wieder um.
Lisa stand auf, nahm die Metallscheibe, die dünner und leichter war, als sie geglaubt hatte,
krümmte ihren Arm und warf sie wie eine Frisbee-Scheibe. Pfeilschnell und wie an einer
Schnur gezogen flog sie dahin und als der Gegenüber sie schnappen wollte, schnitt der Diskus
eine klaffende Wunde in die Hand. Das Grinsen auf dem Gesicht verschwand und ein
tobender Schrei ertönte. Mehr aus Wut als aus einem Schmerzgefühl heraus. Doch dieser
Moment der Unachtsamkeit musste Lisa nutzten und lief in Richtung des Computerraumes,
was ‚höchstens’ dreißig Meter in die entgegen gesetzte Richtung waren, in die sie den Diskus
geworfen hatte und somit weg von dem Vieh. Allerdings blieb ihr nicht viel Vorsprung, denn
schnell hatte sie einen konzentrierten Verfolger, der mit großen Schritten die Distanz
verkürzte.
Lisa spürte wieder diesen einen eiskalten Luftzug hinter sich, und sie wusste genau, dass dies
der Atem des Todes war.
Die Spiele waren vorbei.
Und sie hatte nur noch diese eine Chance.
Das Aufklatschen der Füße des Verfolgers kam immer näher und Lisa versuchte noch ein
wenig schneller zu laufen.
Dann war sie durch die Tür und drückte auf den Sicherungsknopf direkt neben dem Eingang
auf der Innenseite und ohne Zögern schloss sich die Tür. Gerade noch schnell genug, denn das
Vieh schlug hart gegen die Schiebetür.
Ihr blieb auch nicht viel Zeit, denn lange konnte diese Barriere den Traktionen des starken
Monsters nicht standhalten. Also setzte sie sich vor den Computer und war wieder bei den
Arachtypten und klickte per Maus zu den positionierten Wachposten mit den Nummern 67 bis
84, mit der anschließenden Order, wieder zurückzukehren in das Labor, um die Frau zu
beschützen. Lisa musste die Wahl noch einmal bestätigen, und in dem Moment ließ ein
heftiger Schlag die Glasscheibe zu dem Computerraum erschüttern, welche jetzt von einem
sehr großen Stern gezeichnet war. Ein weiter Schlag folgte, und noch ein dritter. Es wären nur
noch Sekunden gewesen, bis die Scheibe zu Bruch gegangen wäre.
Bevor aber ein weiterer Schlag hätte erfolgen können, öffnete sich die Eingangsschiebetür zu
dem Labor und eine Horde von großen Spinnen wuselte in den Raum hinein. Einige liefen
über den Boden, ein paar über die Wände und auch welche über die Decke. Und sie hatten nur
ein Ziel: sie sollten den Gegner unschädlich machen.
Mit deutlich sichtbarem Entsetzen drehte dieser sich um und sah eine Vielzahl von
Arachtypten auf sich zuströmen. Er presste sich mit dem Rücken gegen die Glasscheibe,
spreizte seine Arme von seinem Körper weg und heulte los. Wahrscheinlich sollte es ein
Hilfeschrei sein, aber es hörte sich tatsächlich mehr nach einem todgeweihten Klagelied an.
Schnell waren auch die ersten Spinnenwesen bis zu seinem Körper vorgedrungen, allerdings
fielen sie nicht über ihn her und zerfetzten ihn. Es spielte sich mehr ein geordnetes
Kommando ab. Eine Spinne zu seinen Füssen tastete das Monster mit seinen Vorderbeinen
ab, und als man sich sicher sein konnte, bekamen zwei andere zur Rechten und zur Linken
jeweils Anweisungen und griffen mit den Kiefern nach den Unterarmen der Monsters. Der
rechten Spinne konnten noch die Greifzangen weg geschlagen werden, doch die linke traf ihr
Ziel fast problemlos. Wenige Momente später sackte das furchtbare Wesen auf der linke Seite
ein und fiel auf die Seite. Eine andere Spinne konnte nun nochmals zubeißen, und schnell war
der belagerte Körper regungslos, aber noch nicht tot. Die Belagerungsposten machten sich
aber schnell an die Arbeit, einen Spinnenkokon um den steifen Körper zu spinnen, bis nur
noch ein weißes Ei zu sehen war.
Lisa konnte sich allerdings nicht vorstellen, was mit dem Monster nun weiter geschehen
sollte. Die Theorie, dass die Spinnen Zombies fressen könnten, lag ihr doch etwas fern.
Wenige Augenblicke später aber fing das Ei an in Bewegung zu kommen. Scheinbar hatte die
Betäubung nachgelassen und das Vieh im Inneren versuchte verzweifelt sich zu befreien.
Beulen entstanden im Kokon, Wellen flossen von oben nach unten und wieder zurück. Nach
einigen Minuten hatte sich das Ei in einen perfekten Ball verwandelt und die innere Unruhe
hörte abrupt auf. Die Arachtypten gaben sich wieder Zeichen, vielleicht auch akustische
Signale, die für das menschliche Ohr nicht hörbar waren, und öffneten die Kugel mit ihren
Zangen. Wiederum wie ein Ei zerbrach die Schale der Kugel und nicht mehr als eine
hochviskose dunkelviolette Flüssigkeit floss auf den Boden. Alle Wachposten strömten herbei
und naschten begierig von dem dunklen Gelee. Zwei einzelne Spinnen aber kümmerten sich
darum, die Schalenteile zu vernichten und knabberten beharrlich mit ihren Kiefern daran, und
letztendlich war nach kurzer Zeit im Labor keine Spur mehr von diesem Ritual zu sehen. Das
Monster war vernichtet, der Virus unschädlich gemacht und die Wächter wieder voll
einsatzbereit. Diese lauerten in Warteposition im Labor und warteten auf neue Instruktionen.
Lisa setzte sich wieder vor den Computer und erteilte allen, außer der Spinne ohne Kiefer, den
Auftrag, zur persönlichen Leibwache zu werden. Ihre Stimme war ja bereits aufgenommen
worden und musste nur an die Wächter weitergegeben werden, damit sie von jedem erkannt
werden konnte. Den invaliden Arachtypten überprüfte sie, in dem sie in ein Menu mit dem
Namen Funktionalität ging und sie kam zu der Überzeugung, dass das Wesen nicht mehr
kämpfen konnte, es aber für eine andere Mission geeignet schien. Also bekam es
Anweisungen durch das entstandene Loch in der Decke den anderen Monstern vorsichtig zu
folgen und zu spionieren. Hierfür gab es eine Extrafunktion. Die Spinnen konnten sich perfekt
der Umgebung anpassen, so dass man sie nicht erkennen konnte und sie sich somit als Spione
hervorragend eigneten. Als Lisa ihre Wahl bestätigte, lief die Nummer 72 sofort los, die
Wand hoch. Und währenddessen verschwand der Körper langsam und verschmolz scheinbar
mit der Wand. Nur wenn man genau hinschaute, konnte man einen sich bewegenden Schatten
auf der Wand sehen. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung. Tatsache war, dass die
Spinne schnell verschwunden war und sie die Order hatte, immer Mitteilung zu machen, wenn
sie einem infizierten Wesen begegnete. Laut Computer gab es hierfür auch ein kleines Gerät,
das allerdings zu dem Zeitpunkt noch gefunden werden wollte.
Lisa durchsuchte die Schubladen in dem Tisch, fand allerdings nichts weiter. Sie stand auf
und ging zu einem Schrank, öffnete diesen, fand da aber nur Dokumente und Datenträger für
den Computer.
Dann hörte sie ein Piepsen hinter sich. Es kam aus einem hohen Büroschrank mit vielen
Schubladen. Das Piepsen ertönte kontinuierlich und die Abstände zwischen den Tönen
wurden kürzer und folgten schneller und unregelmäßiger.
Sie zog eine Schublade nach der anderen auf, und nach einigen Fehlversuchen fand sie dann
auch ein kleines Handgerät, das ein paar Knöpfe und einen Bildschirm hatte. Darauf waren
viele rote Punkte zu sehen, zusätzlich versehen mit dem Namen ‚Unbekannt’.
Der Spion war schnell auf ein paar Feinde gestoßen, und wenn man die kleiner werdende Zahl
am Rand richtig interpretiert hatte, kamen sie immer näher. Noch knapp fünfzig Meter
irgendwo über ihr.
Lisa war immer noch nicht allein.
Fortsetzung am 26.06.2002
Herunterladen