Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 1 Lehrstuhl Biologie und ihre Didaktik, Universität GH Essen Prof. Dr. EBERHARD G. SCHMIDT Skript zum Hauptseminar zur Speziellen Biologiedidaktik S II Bereich E Biologiedidaktik, Teilgebiet E 2 Spezielle Biologiedidaktik, Sommersemester 2000 Evolutionsbiologie als Kursthema der S II Grundsätze und didaktische Rekonstruktion Anhang 8.2 : Einführung in die Seminare WS 1999/2000, SS 2000 zugleich als Beispiel für eine didaktische Rekonstruktion im Niveau eines Halbjahreskurses Teil der Grundvorlesung Biologiedidaktik (im Wintersemester 2000/2001) Biologie und ihre Didaktik, FB 9, Universität Essen Januar 2001 Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 2 Gliederung des Anhangs 8: Evolutionsbiologie als Kursthema der S II Grundsätze und didaktische Rekonstruktion Der Anhang 8 setzt sich aus 4 Teilen zusammen, die aus Zeitgründen noch nicht integriert werden konnten und daher (in verschiedenen Dateien) noch aneinander gereiht werden: Anhang 8.1: Evolutionsbiologie als Beispiel für eine Didaktische Rekonstruktion auf Kursebene in der Grundvorlesung Anhang 8.2 : Einführung in die Hauptseminare zur Speziellen Biologiedidaktik Lehramt Biologie SII WS 1999/2000, SS 2000: Evolutionsbiologie Anhang 8.3: Vorträge MNU 2000 (Stuttgart, Frankfurt/M.): Evolutionsbiologie in der Gymnasialen Oberstufe: Anschaulich, bildend, kritisch gegen Spekulationen. Anhang 8.4: Vorläufige Literaturübersicht, nach Sachgebieten geordnet. Danksagung: Ich danke meinem Biologisch-Technischen Assistenten, Herrn J. KAMINSKI, für die vielfältigen, engagierten Hilfeleistungen und die weitgehende Übernahme der Schriftleitung des Gesamt-Skriptes der Seminare WS 1999/2000 und SS 2000 (bis WS 1998/99 bei meiner früheren Wiss. Mitarbeiterin KARIN BLOMENKAMP, jetzt Biologische Station Bruchhausen in Erkrath, deren Stelle bei uns mit meiner Emeritierung per 31.7.2000 ausgelaufen war). Hinweis: Alle Rechte (wie copy right) der nachstehenden Ausführungen/ Materialien liegen bei meinem Lehrstuhl (bei mir), eine gewerbliche Nutzung ist nur mit schriftlicher Genehmigung von mir zulässig; bei nicht kommerzieller Verwendung im Bildungsbereich ist ein ordnungsgemäßes Zitat geboten. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 3 Hauptseminar zur Speziellen Biologiedidaktik S II Bereich E Biologiedidaktik, Teilgebiet E 2 Spezielle Biologiedidaktik Evolutionsbiologie als Kursthema der S II Anhang 8.2 Einführung in das Seminar Prof. Dr. EBERHARD G. SCHMIDT, Biologie & -didaktik, Uni Essen WS 19999/2000; SS 2000 I. Vorbemerkung zum Skript Emeritierung und Schicksal des Lehrstuhls Mit Ablauf des Monats Juli 2000 wurde ich (altersgemäß) emeritiert, führe jedoch die Dienstgeschäfte noch ein Jahr lang weiter. Entfallen ist mit diesem Termin die Stelle des Wiss. Assistenten. Damit ist unser Arbeitspotiential deutlich eingeschränkt worden. Das führt zu Verzögerungen bei der Erstellung der Skripte. Wir bitten, das zu entschuldigen. Ab WS 2000/01 werden die Seminare wieder auf die Ökologiedidaktik ausgerichtet sein. Gliederung Die Übersicht der Referate und Projekte war als Teil I vorangestellt. Als Teil I folgen hier einige Vorbemerkungen. Teil I, der Haupteil derEinführung, enthält meine didaktische Analyse zum Kurs-Konzept insgesamt (zur noch vorläufigen Literaturübersicht vgl. Anhang 8.4). In den fortlaufend numerierten Text werden (an den passenden Stellen) einige der Folien aus meiner Einführung (als „Materialien“ in der vorliegenden Rohfassung) zur Illustration beigegeben (z.T. aus Zeitgründen noch ausstehend!). Bei Originalen liegt das copy right beim Lehrstuhl, eine gewerbliche Nutzung ist nur mit schriftlicher Genehmigung möglich, bei Verwendung im Referendariat (etc.) ist ein ordnungsgemäßes Zitat geboten. Der Teil B mit den Ausarbeitungen der Referate und der ProjektPräsentationen wird nur als Kopiervorlage bereitgestellt, sie werden hier nicht integriert!. Richtlinienbezug Die Seminare im WS 1999/2000 und im SS 2000 wurden auf die neuen Richtlinien (von 1999) bezogen, die didaktische Analyse wurde daher auf sie umgestellt (die Analyse der alten Richtlinien ist als Anhang am Ende beigefügt). Vorausgesetzt wird die Grundvorlesung Biologiedidaktik aus dem Grundstudium. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 4 Zitate der Richtlinien Gymnasiale Oberstufe NRW Sekundarstufe II: Gymnasium/ Gesamtschule. Richtlinien und Lehrpläne Biologie. Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II Gymnasium/ Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, 1999. Schriftenreihe Schule in NRW (Hrsg. MSWWF), Heft 4722. 1. Aufl. 1999. DM 16,80. Ritterbach-Verlag, Rudolf-Diesel-Str. 5-7, 50 226 Frechen Gültig bis 1999 waren: Richtlinien Biologie. Gymnasiale Oberstufe. 1989 (unveränderter Nachdruck der 1.Aufl. von 1981). Materialien zur Leistungsbewertung Biologie Gymnasiale Oberstufe. 1989 (unveränderter Nachdruck). II. Didaktische Überlegungen 1 Vorbemerkung Mit dem WS 1997/98 wurde das Hauptseminar zur Biologiedidaktik mit dem Thema Didaktik der Evolutionsbiologie (4 SWS, je 2 SWS Referate- und 2 SWS Projektteil) erstmalig konsequent auch als Grundlage für das 1. Staatsexamen im Bereich E, Biologiedidaktik (hier das Teilgebiet E2, Spezielle Biologiedidaktik) gestaltet; vom SS 98 bis zum WS 2000/01 wurde das alternative Angebot „Ökologiedidaktik“ eingestellt, so daß von diesem WS 1998/99 ab (bis zum SS 2000) nur noch die Evolutionsbiologie angeboten wurde. Das Thema Evolutionsbiologie ist das Abschlußthema der Gymnasialen Oberstufe. In Essen gehört Evolutionsbiologie auch zum Regel-Lehrangebot in Form von Vorlesungen und Seminaren sowie ein Kolloquium der Kollegen BURDA (Zoologie) und OBE (Genetik. Die Evolution der Organismen hat seit Ende des vorigen Jahrhunderts für das Fach Biologie den faszinierenden Glanz einer die ganze Biologie umspannenden, fundamentalen Theorie. Dieser Glanz überstrahlt jedoch mancherlei Unstimmigkeiten. Dazu gehören eine oft ungenügende Trennung von Fakten und Spekulation (insbesondere bei Aussagen zur Kausalität der MakroEvolution), auch Unschärfen schon bei der Definition des Begriffes Evolution selbst. So wird derzeit in verschiedenen Sachbüchern die Plausibilität der Selektionstheorie von DARWIN angezweifelt, ja als Mythos dargestellt (z.B. EICHELBECK 1999). Das ist didaktisch unter dem Aspekt des Bildungswertes zu hinterfragen. Das ist das eigentliche Anliegen dieses Seminars. Maßgeblich sind auch die Stärkung der Anschauung als Grundlage des Kurses und die Förderung der Selbsttätigkeit der Schüler durch Projektarbeit. Als Training dafür sind Projekte (in Form von didaktischer Analyse der Arbeitsmöglichkeiten in Museen und Zoologischen Gärten im Umfange von 2 SWS Teil des Seminars. Ziel des Seminars ist die didaktische Analyse auf Kursniveau (im Sinne der Didaktischen Rekonstruktion als Diskussion der Kriterien für die Auswahl und Anordnung der Themen, für ihr Vertiefungsniveau, für ihre naturnahen Anschauungsmöglichkeiten und die Möglichkeiten des praktischen Arbeiten). Die Skripte des Seminars vom WS 97/98 und vom WS 98/99 liegen bereits vor, mit Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 5 diesem Skript folgt die dritte Version. Neu (von uns) sind die Arbeitsbögen zu der phylogenetischen Systematik am Beispiel der Cephalopoden und der „Fische“ (vgl. die Exkursion zum Löbbecke-Museum WS 98/99) sowie die Korrektur der Pinguine als schulisches Beispiel für die „BERGMANN’sche Regel“. Mit diesem Seminar (WS 1999/2000) folgt dann die Aufarbeitung der Zebras (im Zoo) als anschauliches Beispiel zum Artbegriff. Damit bereitet das Seminar auch auf das Referendariat vor. Dort steht die Methodik des Biologieunterrichts, also die Konstruktion von Unterrichtsstunden und die Optimierung ihrer Umsetzung im Vordergrund, auf die hier (mangels der Möglichkeiten der praktischen Umsetzung) verzichtet wird. Die Prinzipien der Speziellen Biologiedidaktik, die dem Seminar zu Grunde gelegt wurden, sind Gegenstand der Grundvorlesung zur Biologiedidaktik und wurden dort am Beispiel des Kurses Ethologie spezifiziert. Das Vorlesungsskript dazu ist (aktualisiert) bei unserer Arbeitsgruppe als Kopiervorlage verfügbar. Spezielle Biologiedidaktik als akademische Disziplin der Universität wird hier in Essen für die erste Phase der Lehramtsausbildung an der Universität ausgerichtet auf die Theorie der Didaktischen Rekonstruktion, also auf die Diskussion der Kriterien der Themenauswahl (also des Transfers vom Fach Biologie auf das Schulfach Biologie) nach Maßgabe von Bildungswert/-zielen, Erziehungsauftrag der Schule und Adressatenbezug mit Schwerpunkt auf den Inhalten, ihrer Strukturierung und ihrer praktischen Erarbeitung/ Veranschaulichung (im Sinne der biologischen Arbeitsweisen). Die völlige Umstrukturierung („Rekonstruktion“) zeigt sich an dem Prinzip des Exemplarischen für die Didaktische Rekonstruktion. Von Amts wegen ist das (als Minimalanforderung, die dem Lehrer noch [für etwa ein Drittel der Zeit] Gestaltungsfreiraum beläßt) durch die zuständige politische Instanz (Ministerium für Schule & Weiterbildung, Wissenschaft & Forschung, MSWWF des Landes NRW) mit Gesetzeskraft in den Richtlinien und Lehrplänen geregelt. Die Richtlinien und Lehrpläne sollten daher immer der Ausgangspunkt der Diskussion der Kriterien der Themenauswahl sein. Sie sind gerade im Kurs Evolutionsbiologie kritisch sowohl vom fachlichen Hintergrund her als auch im Hinblick auf den Bildungswert und die anderen genannten didaktischen Kriterien zu hinterfragen. Das ist eine besondere Aufgabe der Biologiedidaktik an der Universität. Es war schon in der Einleitung darauf hingewiesen, daß im Sommer 1999 neue Richtlinien für die Gymnasiale Oberstufe (neuerdings einschließlich der Gesamtschule!) in Kraft getreten sind, die für diese Grundlegung in den Mittelpunkt gestellt worden sind. Die Umsetzung in konkrete Unterrichtsstunden mit detaillierter Stundengliederung und Spezifizierung der Unterrichtsweisen oder von schulischen Medien/ Arbeitsbögen oder der Lernerfolgskontrolle (bis hin zu Abituraufgaben) gehört dagegen zur Methodik und ist in Verbindung von Seminar-Theorie und Unterrichtspraxis Aufgabe der 2. Phase der Lehramtsausbildung in der Schule und im Studienseminar; auf sie wird hier im Seminar des Hauptstudiums nicht eingegangen. Eine breite, aber dennoch erst vorläufige Literatur-Übersicht zum Themenkreis Evolutionsbiologie ist am Ende angefügt. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 6 2. Didaktische Analyse 2.1 Das Prinzip des Exemplarischen bei der Didaktischen Rekonstruktion Das Fach gibt in sachsystematischer Anordnung einen enzyklopädisch/ typologischen Überblick über das Fachgebiet, der Bezug zu den konkreten Phänomenen mit ihrer Individualität bleibt ausgespart, die Anwendung auf den konkreten Einzelfall wird dann oft zu abstrakt (sie wird im Biologiestudium durch die Praktika und Exkursionen abgedeckt). Das Schulfach muß unter dem Aspekt des Bildungswertes an ausgewählten Beispielen die allgemeinen Kriterien, den Denkansatz des Fachgebietes (Paradigma) herleiten, für enzyklopädische Überblicke ist kein Raum. An diesem Prinzip sind eigentlich auch die Richtlinien ausgerichtet (stehen es aber nicht sonderlich konsequent durch). Die Umsetzung der Inhalte des Faches Biologie in die Inhalte des Biologieunterrichtes wird heute als Didaktische Rekonstruktion bezeichnet. Maßgeblich sind dabei der Bildungs- und der Erziehungsauftrag der Schule und die Anpassung an die Lernfähigkeiten der Adressaten (z.B. als Altersgruppe) und an die Lernbedingungen in der Schule. Bildung läßt sich mit dem Leitziel „Verständnis von Zusammenhängen“ durch inklusives, ganzheitliches Denken kennzeichnen. Zum Verständnis gehört dabei (als formaler Bildungswert) das Frageschema für die ProblemLösung am ausgewählten Beispiel. Das ist das Gegenteil von Faktenansammlungen! Als Richtschnur für die konkrete Umsetzung dieses Leitzieles im Schulunterricht dienen (in der Biologiedidaktik) die Prinzipien des Exemplarischen (BERCK, K.-H.: Fundamentalthemen – notwendiges oder nutzloses Element von Biologiecurricula? MNU 29 (8), 471-474, 1976; Biologieunterricht – exemplarisch für das Exemplarische. ZfDN 2 (3), 17-24, 1996 sowie Biologiedidaktik, 1999): An ausgewählten Beispielen soll, ausgehend von einem konkreten biologischen Phänomen, der betreffende biologische Zusammenhang (im Sinne der formalen Bildung) stellvertretend für ähnliche Phänomene fragend/problemlösend hergeleitet werden. Es reicht dafür also nicht aus, die Inhalte des Faches Biologie nur zu vereinfachen („Didaktische Reduktion“) oder umzuwandeln (Didaktische Transformation“), sie müssen vielmehr völlig umstrukturiert werden. Das drückt der Begriff der Didaktischen Rekonstruktion aus Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 7 Die für den Unterricht im Sinne des Prinzips des Exemplarischen für den Unterricht ausgewählten Themen müssen den folgenden Kriterien genügen: Inhaltlich (kognitiv) müssen sie das Elementare und das Fundamentale repräsentieren; elementar heißt dabei grundlegende Zusammenhänge für das fachliche Verständnis von Biologie (Fach-Relevanz), fundamental heißt grundlegende Zusammenhänge für das Selbst- und Weltverständnis des Menschen (Gesellschafts-Relevanz in Form von naturwissenschaftlicher Bildung). Sie sollen Anschaulichkeit durch Ausgang von einem biologischen Phänomen aus dem Umfeld der Adressaten (Lebensnähe) vermitteln. Unerläßlich ist die originäre Begegnung als Anschauungsgrundlage für den Schüler. Dahinter steht auch das für die Naturwissenschaften elementare Prinzip des Vorrangs des Objektes gegenüber der Deutung und Buchwissen. Dieses Kriterium wird in den gängigen Kursen zur Evolutionsbiologie besonders oft verletzt. Die Selbsttätigkeit der Schüler hat dabei Vorrang. Dazu gehört das praktische Arbeiten, es sind also auch biologische Arbeitsweisen (als psychomotorische Komponente) einzubringen. Methodisch ist das entdeckend [forschend/ fragend] problemlösende („genetische“) Lernen anzustreben: Am Ausgangsphänomen erwächst ein elementar/ fundamentales Teilproblem, das (gemäß dem Schema für das Experiment im Biologieunterricht) einer Teillösung zugeführt wird, die ein immer wieder neues Teilproblem aufwirft, also zu einer Fragekette führt, bis das Exemplum „aufgearbeitet“ ist (mustergültig für das ökologische Artkonzept schon bei JUNGE 1885). Günstig ist es, wenn die Schüler auch Planungsfreiheit erhalten (z.B. durch Projektarbeit). Affektiv sind aus den fundamentalen Zusammenhängen Einstellungen (im Sinne der Erziehungsziele des BU) zu verändern; Es ist auch sozial zu erziehen (Stärkung des Gemeinschaftsgefühls bei interaktivem Arbeiten, besonders bei Gruppen-/ Projektarbeit). Es sind stets die Grenzen der Aussagen (Deutungen) und Rückschlüsse (erkenntnis-) kritisch zu hinterfragen. Es ist immer (angesichts des Aspekts des Fundamentalen und des Ganzheitlichen) der Bezug zum und der Transfer auf das Alltagsleben herzustellen. Die Beispiele sollen so auch formal bilden: Das Prinzip des Exemplarischen Lernens vermittelt durch das Prinzip des genetischen Lernens über das konkrete Beispiel hinaus ein allgemeineres, transferfähiges Verfahren des naturwissenschaftlichen Problem-Lösens und ist damit ein Beitrag zur formalen biologischen Bildung. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 8 2.2 Der Bildungswert des Kursthemas Evolutionsbiologie Hier wird zunächst das Prinzip der Didaktischen Rekonstruktion im o.g. Sinne auf das Kursthema „Evolution“ als Ganzes angewendet (ohne zu enges Kleben an dem vorstehend skizzierten Schema des Prinzips des Exemplarischen): Die biologischen Kursthemen von Zellbiologie, Genetik, Physiologie, Verhaltensbiologie bis zur Ökologie repräsentieren den funktional/ kausalen Frageansatz der Biologie als empirischer Naturwissenschaft. – Die heute lebenden Organismen sind aber (wie die Erde insgesamt) auch von ihrer Geschichtlichkeit, also von ihrer Evolution in der Erdgeschichte, bestimmt. Deren Untersuchung erfordert einen ganz anderen Denk- und Arbeitsansatz, muß zugleich (u.a. wegen der Lückenhaftigkeit der direkten Belege, der Fossilien) oft mit Indizien und entsprechend unsicheren, aber dennoch notwendigen Schlußfolgerungen auskommen. Dieses ganz andere und elementare Paradigma der Biologie ist daher unerläßlich für das Biologieverständnis. Zur Evolutionsbiologie gehört auch die Frage nach dem Ursprung des Menschen und seiner Evolution, die für das menschliche Selbstverständnis eine fundamentale Bedeutung hat. Das Phänomens der Evolution der Organismen ist für die Biologie so überzeugend, daß die Evolution schon lange als Ordnungskriterium für die Systematik, also als Maß für die Verwandtschaft der Organismen („natürliches System"), etabliert worden ist. Wegen der Lückenhaftigkeit der Funde muß die Phylogenie aber vielfach aus Merkmalen der rezenten Organismen erschlossen werden (Theorie der phylogenetischen Systematik als praktizierte Stammbaum-Forschung). Aussagen über die Evolution sind damit immer ein Konglomerat aus Aussagen über Fossilien als Zeitzeugen der Evolution und aus Rückschlüssen aus rezenten Formen als dem aktuellen Ergebnis der Evolution. Zu anderen bedeutet die völlige Akzeptanz einer Evolution der Organismen, daß für Verwandtschaftslinien ein gleicher Grundbauplan, der innerhalb dieses Verwandtschaftskreises wieder abgewandelt werden kann, angenommen wird. Angestrebt wird eine gleichartige Benennung von Organen innerhalb dieses Verwandtschaftskreises nach der Evolution, also nach der Homologie. Bei starken Abwandlungen kann das Homologisieren schwierig sein (vgl. die Homologisierung der Vorderextremitäten-Knochen beim Vogel oder beim Pferd mit der fünfstrahligen Tetrapoden-Extremität oder der Knochenbrücke aus 3 Gehörknochen bei Säugetieren). Homologisieren bedeutet also Suche nach dem Ursprung stark abgewandelter Organe in einem bekannten Verwandtschaftskreis (nicht umgekehrt Ableitung von Phylogenie, wie Schulbücher und manche Lehrbücher suggerieren und damit einen Zirkelschluß provozieren!). Dabei gibt es bis heute ungelöste Probleme (z.B. bei reduziertem Flügelgeäder von Insekten). Biologiedidaktik muß da aktiv werden. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 9 Der hohe Anteil indirekter Erkenntnisgewinnung (zahlreiche Indizienschlüsse infolge der Lücken in den Belegen) in der Evolutionsbiologie läßt sich nur dadurch ausgleichen, daß die relevanten Daten aus allen (funktionalen) biologischen Teilbereichen berücksichtigt und integriert werden. Damit ist die Evolutionsbiologie außerordentlich anspruchsvoll und in besonderem Maße integrative Biologie. Sie erfordert aber mit dem anderen Paradigma (der Geschichtlichkeit des Lebendigen) zugleich einen Transfer. Damit ist die Evolutionsbiologie einmalig im Lehrkanon der Biologie und in ihrem Bildungswert unstrittig. Didaktisch wird daher von einigen Autoren (insbesondere KATTMANN, U., z.B. Konzeption eines naturgeschichtlichen Unterrichts. ZfDN 1: 29-42, 1995) die Evolution als das biologische Grundprinzip, als Leitlinie für alle anderen biologischen Disziplinen gesehen. Das verkennt jedoch das völlig andere Paradigma der Evolutionsbiologie und das hohe Anspruchsniveau der im Einzelfall äußerst komplexen Rekonstruktion der Evolution. Eine besondere Erschwernis liegt überdies darin, daß Evolutionsbiologie und ihre Anwendung in der Systematik nur noch sehr eingeschränkt zu dem Pflichtpensum des Studiums gehören und daß daher die fachliche Qualifikation von Studierenden und Lehrern hinsichtlich des Verständnisses von Evolutionsbiologie und ihrer erkenntnistheoretischen Problematik oft nur dürftig ist. Evolution als Grundprinzip des Biologieunterrichts kann daher dazu führen, daß Phrasen das wirkliche Verständnis der Zusammenhänge überdecken, also gerade Unbildung betrieben wird. Der starke Bezug der Richtlinien Biologie S I im Gymnasium NRW schon in der gymnasialen Unterstufe zur Evolution der Wirbeltiere ist daher kritisch zu beurteilen. Biologie sollte zunächst konsequent auf einfach verständliche funktionale Zusammenhänge ausgerichtet sein, ehe die Evolutionsbiologie in der Oberprima den „krönenden und integrierenden Abschluß“ mit dem Wechsel zum Paradigma der Geschichtlichkeit des Lebendigen bildet. Zum Bildungsauftrag der gymnasialen Oberstufe gehört das erkenntnistheoretische Hinterfragen. Dieses ist gerade in der Evolutionsbiologie besonders wichtig. Dazu gehört die Sonderung gut belegter Aussagen (wie Fossilienreihen) von mehr spekulativen Aussagen (wie bei Fundlücken) bzw. von Extrapolationen und pauschalen Hypothesen (wie bei Mechanismen der Makroevolution einschließlich der Selektionstheorie von Darwin). Didaktisch stellt sich damit das besonders schwierige Problem der Auswahl aus der riesigen Stoffülle und der geschickten Anordnung. Dazu gehört auch die Verknüpfung mit einem systematischen Überblick nach den Kriterien der phylogenetischen Systematik. Hier kommen aber die Lehrer in besonderem Maße an ihre fachlichen Grenzen: Schon die fachliche Grundlegung im Biologiestudium weist an den meisten Universitäten hohe Defizite auf, die Schulbiologie verzichtet in den Richtlinien SII NRW ganz auf die Systematik, die gängigen Schulbücher bringen aber ein Kapitel zu systematischen Übersichten, aber nur bedingt zu den Prinzipien der phylogenetischen Systematik. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 10 Zum Bildungsauftrag gehört auch die didaktische Aufgabe, die Grundbegriffe auf Stimmigkeit zu hinterfragen, also zu prüfen, ob die Grenzen (Definitionen) der Begriffe sich mit den Grenzziehungen der jeweiligen Theorie decken, daß also die Strukturierung und Problematik des biologischen Phänomens (hier der Evolution) sich mit der Differenzierung des Begriffsapparates deckt. Nur dann ist das Verständnis gesichert! Biologiedidaktik, die Schülern das Verständnis vermitteln soll, muß dabei erheblich sensibler sein als die professionellen Biologen. Hier liegt es schon mit dem Begriff Evolution bzw. Evolutionstheorie im Argen!. Zu trennen ist die Frage nach dem „Daß“ und dem Ablauf der Evolution, die im naturwissenschaftlichen Sinne als gesichert beantwortet anzusehen ist, und die Frage nach den Mechanismen (Kausalität), die (mit DARWIN) für die Veränderlichkeit innerhalb der Arten absolut gewiß beantwortet werden kann, für die Artaufspaltung als plausibel erscheint, aber für die Makroevolution (Evolution der großen systematischen [= phylogenetischen] Einheiten keine überzeugenden Lösungen bietet. Damit ist es für die Schule zwingend, den Begriff „Evolution“ auf das Faktum der Evolution und auf Aussagen über Abläufe (StammbaumFragen) zu beschränken und dem Begriff „Evolutionstheorie“ eineindeutig alle Aussagen über die Mechanismen der Makroevolution zuzuordnen! Aus dem Begriff Evolution sind damit alle Veränderlichkeiten innerhalb von Arten („Mikoevolution“), die als Überlebensstrategien der Arten funktional verständlich sind (wie die „Fitness-Theorie“ der Ökoethologie), auszuklammern. Dazu sind das Phänomen der „Stabilität der Artschranke“, auch die beachtliche zeitliche Dimension von Artaufspaltungen (bei „höheren“ Tieren) deutlich zu machen. Hier bestehen in der Biologie (aus vordergründigen Motiven) erhebliche Fehlleistungen (vgl. z.B. den Buchtitel „Evolutionsprozesse im Tierreich“ [Hrsg. B. STREIT; Birkhäuser1990] unter dem fast durchgehend innerartliche Veränderungen als „Evolutionsprozesse“ beschrieben werden)! 2.3 Kriterien der formalen Bildung bei der Stoffauswahl und -anordnung: Die Schlüsselfragen der Evolutionsbiologie Bildung im Sinne von Verständnis von Zusammenhängen bedeutet beim Thema Evolutionsbiologie zunächst einmal, eine Strukturierung des hoch komplexen Phänomens in Schlüsselfragen der Bildungs-Theorie der Evolutionsbiologie umzusetzen. Gerade die Konzepte für Evolutionskurse in der Schule sündigen hier sehr. Zu der fachlichen Aufarbeitung werden REMANE et al. (1973) und WUKETITS (1988) besonders empfohlen: Die Grundfrage nach dem „Ob“ (oder „Daß“): Hat überhaupt eine Evolution der Organismen stattgefunden? Und wie ist sie ggf. belegt? Antwort: Fossilien sind direkte Zeitzeugen für eine Evolution. Die zahlreichen, bisher geborgenen Fossilien und ihre Evolutionsreihen sind gut in die besser dokumentierte geologische Veränderung der Erde eingebunden. Trotz aller Lücken in den Funden ist das Faktum der Evolution daher naturwissenschaftlich als gesichert anzusehen. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 11 Für die Schule stellen sich dabei 2 Schritte: a) Jede Erdepoche hat weitgehend spezifische Fossilien, ihre eigene Flora und Fauna, die mehrheitlich verschieden von der heute Flora und Fauna ist sind (zu veranschaulichen im Naturkunde-Museum, das Formen verschiedener Epochen ausstellt). b) Dabei schließen sich Formen einer Epoche sich an die der vorhergehenden an, insgesamt entsprechen die Unterschiede der zeitlichen Abstufung (Evolution i.e.S.) Die Ablauffrage nach dem „Wie“? (Stammbaumfrage) Antwort: Die Fossilien haben unterschiedlich große Lücken, z.T. ist der Stammbaum in großen Zügen gut zu rekonstruieren, gibt es Bindeglieder (wie den Urvogel Archaeopteryx zwischen Reptilien und Vögeln), z.T. bestehen deutliche Lücken, es fehlen Bindeglieder („missing links“, z.B. an der Basis der Chordatiere). Die Evolution ist jedoch ein Geschehen in geologischen Zeiträumen und daher nicht einer experimentellen Analyse zugänglich und in den spezifischen Abläufen einmalig, nicht wiederholbar. Der Ablauf der Evolution kann daher nicht direkt und eindeutig erforscht werden, er ist vielmehr im Einzelnen nur aus Indizien und Analogie-Schlüssen herzuleiten und je nach der Indizienlage unterschiedlich gut zu sichern. Die Frage nach dem Transfer Hier geht es darum, ob mit der Annahme einer Evolution und der Kenntnis der Stammbäume Biologische Aussagen in anderem Kontext in einen schlüssigen Zusammenhang gestellt werden. Hierher gehören die abgestufte Ähnlichkeit in Entwicklungsstadien („biogenetisches Grundgesetz“ von HAECKEL: Die Ontogenie ist die Rekapitulation der Phylogenie), die „rudimentären Organe“ (schon der Begriff setzt Evolution voraus), die historische Deutung von Verbreitungsbildern (Biogeographie) u.v.a.m. Diese Fakten werden hier als Stützen der Annahme einer Evolution bezeichnet und so von den Fossilien als Belegen abgehoben. Die Frage nach Gesetzmäßigkeiten des Ablaufes, nach Trends Die Fakten zeigen hier eine große Vielfalt. Stichworte dazu sind lebende Fossilien neben adaptiver Radiation, diese neben additiver Typogenese; Konvergenzen (= Analogien; z.B. bei ± stationären Filtrieren, bei großen Dauerschnellschwimmern der Meere oder bei Parasiten) neben hochspezifischen, einmaligen Gestaltstypen (wie Diatomeen, Echinodermen) oder Konvergenzen bei komplexen Molekülen (wie Hämoglobin bei Formen des sauerstoffarmen Gewässerbodens [z.B. bei der Posthornschnecke, Tubifex, Zuckmückenlarven] und bei Säugern). Grenzen der Evolution zeigen die Blattfresser, die vielfältige Bakteriensymbiosen zur Zelluloseverdauung entwickelt haben, aber nicht die Fähigkeit, Zellulasen zu synthetisieren. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 12 Herauszustellen sind auch besondere Leistungen der Evolution, insbesondere die Co-Evolution von Symbionten, Parasiten, Räuber-BeuteBeziehungen (einschl. Warnen/ Tarnen/ Täuschen, Mimese & Mimikry). Damit ergibt eine gute Gelegenheit, biologische Vielfalt in den Unterricht (z.B. als Projektarbeit in Zoos oder Museen) in den Oberstufen-Unterricht einzubringen. Evolution ist damit weder nach der Ablaufgeschwindigkeit, noch nach der Produktivität und dem Potential oder nach den Trends vorhersagbar. Die realisierte Vielfalt ist Ausdruck der faszinierenden Mannigfaltigkeit des Evolutionsgeschehens und in den Unterricht anschaulich einzubeziehen. Damit werden die Maßstäbe für eine Evolutionstheorie (als Theorie der Mechanismen von Evolution) gesetzt, die Unzulänglichkeit der gängigen Theorien aufgedeckt. Die Kausalitätsfrage nach den Evolutionsfaktoren, nach den Mechanismen der Evolution (Evolutionstheorie i.e.S.) a) Vordergründig die Frage nach den Faktoren für die Umbildung einzelner Organe oder für Veränderungen der Allel-Zusammensetzung von Populationen oder für die Fitness-Selektion innerhalb einer Art (Mikro„Evolution“). Diese Frage ist durch die gängigen Evolutionstheorien geklärt. b) Die Frage nach den Faktoren der Artaufspaltung (Problem der Speziation): So können Haustierrassen (z.B. von Hunden) erbfest außerordentlich verschieden sein, sind aber dennoch nicht auf Artniveau von der Stammart (Wolf) getrennt (wohl aber von verwandten Arten wie dem Schakal). Hierher gehören der biologische Artbegriff (mit biologischer Artschranke/ Separation!) und seine Grenzen in der Zeit und im Raum (bei geographischer Isolation, vgl. Wisent/Bison, Rothirsch/Wapiti). Die Frage der Artaufspaltung ist mit den gängigen Evolutionstheorien nicht sicher zu klären, die Extrapolation auf diesen Bereich ist aber plausibel (DarwinFinken). c) Nach den Faktoren der Evolution der großen phylogenetischen (Verwandtschafts-) Einheiten (Makroevolution im engsten Sinne; Evolutionstheorie im eigentlichen Sinne): Die vorliegenden Evolutionstheorien in diesem eigentlichen Sinne sind viel zu großzügige, lineare Extrapolationen der Mikroevolution und daher auch als Plausibilitäts-Überlegungen im naturwissenschaftlichen Sinne nur Spekulation, keine gesicherten Theorien. Am Beispiel des Eiszeitalters kann gezeigt werden, daß Evolution vielfach phasenhaft exponentiell und nicht linear verläuft (praktisch keine neuen Säugerarten in den 100000-200000 Jahren der letzten Eiszeit/ Zwischeneiszeit, erhebliche Evolution während des gesamten Eiszeitalters von ~1 Mio Jahren). Damit versagt das lineare Extrapolations-Modell von DARWIN von vornherein. Das erklärt auch das aktuelle Nebeneinander verschiedener Ansätze (vgl. WUKETITS 1988). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 13 Das Problem der Vereinbarkeit von Schöpfungsglauben (Kreationismus; aus welcher religiös/ philosophischen Einstellung auch immer, also einschließlich pantheistischer Konzepte: EICHELBECK 1999!) mit den schulischen Aussagen zur Evolution und zu Evolutionstheorien: Die Evolution ist (im naturwissenschaftlichen Sinne, vgl. dazu das Leitziel „Ethik & formale Bildung des naturwissenschaftlichen Arbeitens, Kap. 2.5 des Skripts 2000 zur Grundvorlesung Biologiedidaktik) ein gesichertes Faktum, hier besteht bei rationaler Weltsicht keine Glaubensspielraum! Die Makro-Evolution ist dagegen mit den gängigen Evolutionstheorien nicht hinreichend kausal zu erklären, hier bleibt also Glaubensfreiheit! Auch die Evolution der Menschen ist als Faktum weitgehend geklärt, aber kausalanalytisch nicht zu fassen: Mechanismen sind naturwissenschaftlich nicht belegt. – Der Systematiker (weltweit anerkannter Spezialist für Steinfliegen und andere Wasserinsekten) und Ökologe JOACHIM ILLIES (1925-1982), Professor an der Uni Gießen und gläubiger Christ (evangelisch/ ökomenisch) ist ein Beispiel für die Synthese (im vorstehendem Sinne) aus streitbarem Bekenntnis sowohl zur Evolution als auch zur Religion (vgl. das Literaturverzeichnis im Anhang 8.4). 2.4 Systematik, Formenvielfalt und anthropogene Einflüsse Das vorstehend spezifizierte Frageraster orientiert sich allein an der Frage nach dem Verständnis der Evolution. Vernachlässigt werden dabei: Evolution der Organismen erklärt das Phänomen der abgestuften Ähnlichkeit, die eine hierarchische Ordnung der Formenmannigfaltigkeit (Systematik) ermöglicht. Mit dem Stichwort „natürliches System“ wurde daher die Phylogenie zum Ordnungsprinzip für die moderne Systematik und Taxonomie. Systematik ist damit Ausdruck des aktuellen Bildes vom Stammbaum aller rezenten Organismen. Er ist aber nur in Ausnahmefällen direkt (an Fossilien) zu rekonstruieren. Systematik mußte daher eine Theorie entwickeln, die aus Merkmalen heute lebender Formen die phylogenetische Verwandtschaft erschließt. Sie stützt sich auf abgeleitete Merkmale, die einmal entstanden und dann im Prinzip beibehalten wurden (z.B. Wirbelsäule der Wirbeltiere, Milchdrüsen der Säugetiere) und damit die Verwandtschaft anzeigen (Synapomorphien). Diese Theorie der phylogenetischen Verwandtschaft und ihr Ergebnis, das natürliche System, sind damit eine Anwendung und Konsequenz der Evolutionsbiologie (Ablaufrekonstruktion in Stammbäumen) und müßten daher zum Lehrkanon des Kurses Evolutionsbiologie gehören. Die Formenvielfalt ist Ergebnis der Evolution, aber nicht genereller Trends. Systematik als Lehre von der Formenmannigfaltigkeit ist damit eigentlich auch ein Teilgebiet der Evolutionsbiologie. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 14 Die Formenvielfalt der Organismen wird gegenwärtig dramatisch durch den Menschen verändert, auch wenn Arten- und Umweltschutz klein- und großräumig das z.B. mit amtlichen Inventarien („Rote Listen der gefährdeten Arten und Biotope“) registrieren und mit z.T. beachtlichen Programmen gegen zu steuern versuchen. Hierher gehört auch die direkte oder indirekte Ansiedlung in neuen Gebieten (Neubürger in der Pflanzen- und Tierwelt [wie die Kaninchen und Kamele in Australien, die Pferde/ Mustangs in Nordamerika, Bisam und Nutria bei uns]). Auch das gehört eigentlich zum Kurs Evolutionsbiologie. Ein Sonderfall der Evolutionsbiologie ist auch die Frage nach den Ursachen für katastrophales Aussterben vorher blühender Organismengruppen (wie der Saurier am Ende der Kreidezeit oder Großsäuger am Ende der letzten Eiszeit). Die Ausweitung des Kurses Evolutionsbiologie auf die Frage nach dem Entstehen und der Evolution der Erde und des Lebens überhaupt, nach den großen Entwicklungslinien der Eukarionten (mit Symbiontentheorie für Chloroplasten und Mitochondrien und den Konsequenzen z.B. für genetische Verwandtschaftsanalysen auf dem Niveau hoher Taxa) ist von dem Allgemeininteresse her trotz der teilweise recht spekulativen Ansätze prinzipiell zu befürworten. Diese Fragen werden außerschulisch intensiv diskutiert, auch politisch behandelt (Artenschutzgesetzgebung), führen aber unbeschadet von ihrem Bildungswert und Schülerinteresse didaktisch ein Eigenleben (Formenvielfalt, Artenschutz) oder stehen im Abseits (Systematik). Damit ist die Biologiedidaktik gefordert. In diesem Seminar steht jedoch die praktisch fundierte Umsetzung der „klassischen“ Themen im Vordergrund. 2.5 Die Vorgaben der neuen Richtlinien & Lehrpläne NRW (1999) Nach dem Aktionsschema zur Speziellen Biologiedidaktik der Grundvorlesung stehen die Vorgaben der Richtlinien (& Lehrpläne) am Anfang der Didaktischen Rekonstruktion. Beim Thema Evolutionsbiologie ist jedoch die GrundsatzDiskussion Grundlage für die didaktische Bewertung der Richtlinien. Sie wird daher nachgestellt. Im Vorwort, im Kap. 1 der Richtlinien (Aufgaben und Ziele der gymnasialen Oberstufe) und im Kap. 1.1 des Lehrplans Biologie (Didaktische Konzeption und fachliche Anforderungen) werden die Leitziele für die Gymnasiale Oberstufe formuliert. Neben den Leitzielen zur politischen und zur Persönlichkeits-Bildung entsprechen sie den vorstehend ausgeführten Prinzipien der Didaktischen Rekonstruktion nach dem Prinzip des Exemplarischen. Die Selbsttätigkeit der Schüler hat dabei einen hohen Stellenwert. Die neuen Lehrpläne Biologie für die Gymnasiale Oberstufe NRW (1999) sind viel einfacher strukturiert als die alten (vgl. den Anhang). Die 6 von der Schulkonferenz auszuwählenden Alternativen gibt es nicht mehr, es ist ein einheitlicher Lehrplan für alle Gymnasien und Gesamtschulen in NRW vorgesehen. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 15 Dafür werden in 3 Bereiche unterschieden: I. Fachinhalte einschließlich biologischer Arbeitstechniken und Arbeitsweisen. II. Lernen im Kontext: Die biologischen Phänomene und Fragestellungen sollen in interdisziplinäre Zusammenhänge und in Praxisbezüge eingebunden werden. III. Umgang mit Fachmethoden (d.h. „Biologische Arbeitsweisen“) und Formen des selbständigen Arbeitens gegliedert. Die fachlichen Inhalte orientieren sich an den „Kennzeichen des Lebendigen“ (strukturelle Vielfalt und Untergliederungen; Stoff- und Energiewechsel; Regulation, Reizbarkeit und Verhalten; Existenz in Wechselbeziehungs-Systemen; Fortpflanzung und ontogenetische Entwicklung; Vererbung; phylogenetische Entwicklung). Die Stichpunkte zur Evolutionbiologie sind hier fett hervorgehoben. Die Organisation des Lebendigen soll als eingebunden in komplexe Systeme verstanden werden, die in 3 Organisationsebenen zu gliedern sind, die molekulare, die organismische Ebene und die Ebene der Populationen & Biozönosen. Dabei sind die 3 Bereiche, die Kennzeichen des Lebendigen und die Organisationsebenen zu verknüpfen. In der Qualifikationsstufe (für die Hochschulreife) der Primen (Jahrgangsstufen 12/13) sind 4 Leitthemen vorgesehen, darunter: „Evolution der Vielfalt des Lebens in Struktur und Verhalten“. Das ist also das Thema unseres Kurses nach den neuen Stoffplänen! Dabei ist wie bisher nach Grund- und Leistungskursen zu unterscheiden. Im Sinne des Prinzips des Exemplarischen sind zu den Leitthemen Schwerpunktvorhaben zu bilden. Zu dem Thema Evolutionsbiologie sind obligatorisch: Bereich I (Grund und Leistungskurse): Grundlagen evolutiver Veränderung Verhalten, Fitness und Anpassung Art und Artbildung Evolutionshinweise und Evolutionstheorie Transspezifische Evolution der Primaten. Bereich II: Ein Beispiel mit verhaltensökologischem Schwerpunkt, dazu im Leistungskurs ein weiteres Anwendungsbeispiel. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 16 Bereich III: Obligatorisch sind 1. Erstellen eines Ethogramms an einem Beispiel, 2. Ordnen und Vergleichen von biologischer Vielfalt mittels Homologie-Kriterien, 3. Vergleichen und Beurteilen unterschiedlicher Analysemethoden, 4. Fallanalyse eines Evolutionsgeschehens, 5. Theoriebildung auf der Basis von Einzelphänomenen und Hypothesen. In einer tabellarischen Übersicht werden diese Vorgaben inhaltlich (nach den 3 Bereichen gegliedert) spezifiziert. Damit wird klar, was konkret gemeint ist: 1. Genetische Grundlagen evolutiver Veränderung (einschließlich der Züchtung von Kulturpflanzen und Haustieren), 2. Fitness-Theorie der Ökoethologie, 3. Art und Artbildung, 4. Belege und Stützen einer Evolution der Organismen, Abläufe und phylogenetische Systematik sowie „Erklärungsmodelle für Evolution“ (einschließlich des Bezuges zum Schöpfungsglauben). 5. Transspezifische Evolution der Primaten (im Sinne von fossilen und rezenten „Hinweisen“ zur Evolution des Menschen und die phylogenetische Stellung der Hominiden). Dazu gehören das Erstellen des Stammbaums der Menschen und Verhaltensvergleich von Menschenaffen und heutigen Menschen, die Entstehung von Sprache, Kunst, Religion, Ethik und Moral der Menschen, der moderne Mensch im Zwiespalt von Evoluton und technischem Können. Als Beispiel für eine Abituraufgabe wird die morphologische Deutung einer Christrose im Kontext Systematik spezifiziert. Kritikpunkte: Das grundlegende Frageschema zur Evolution wird nicht aufgegriffen. Die innerartliche Veränderung (genetisch/ Fitness-Selektion) wird vorangestellt, ebenso der Artbegriff/ die Artaufspaltung als Grundphänomen der Evolution. Die gedankliche Trennung dieser beidenPhänomene bleibt unklar. Als gravierender Mangel ist die Gleichsetzung von Fossilien als Zeitzeugen (Belegen) einer Evolution und von abgestufter Ähnlichkeit von Merkmalen rezenter Formen, die bei Annahme der Evolution als Faktum in einen SinnZusammenhang gestellt werden und damit die Annahme einer Evolution und ihrer Abläufe stützen. Für beides wird überdies der vage Begriff „Hinweise“ verwendet. Das belegt grundlegende Mängel im Verständnis von Evolution und der Anwendung der Leitziele darauf! Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 17 Das Phänomen Evolution mit ihren vielfältigen Facetten und faszinierenden Leistungen wird ungenügend eingebracht (es fehlen z.B. Stichworte wie „lebende Fossilien“, adaptive Radiation, additive Typogenese, Ko-Evolution mit ihren vielen Erscheinungen), auch wenn diese durchaus anklingen. Die Stichworte zur kulturellen Evolution des Menschen sind von der Ausbildung der Biologielehrer nicht abgedeckt und verführen zum dilettantisch/ unverbindlichen Geplauder statt Unterricht. Insgesamt ist festzuhalten, daß die Leitziele für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe gut mit den im Seminar gesetzten übereinstimmen. Die Kursgliederung und die Schwerpunkt-Setzungen haben dagegen gravierende Mängel und Unstimmigkeiten zu den Leitzielen sind von daher didaktisch unzulänglich, sie werden auch nicht der abgestuften erkenntnistheoretischen Problematik gerecht. jedoch lassen sich die Ansätze des Seminars mit diesen Richtlinien durchaus verwirklichen. Der Lehrer kann jedoch die Vorgaben umordnen und ergänzen, so daß bei entsprechender Sachkunde eine Optimierung möglich ist. Der Schwerpunkt des Seminars auf der Anschauungsbasis in Museen und Zoologischen Gärten in Form von Projektarbeit entspricht genau den Leitzielen der Richtlinie & des Lehrplanes. Mit dem vorgestellten Frageschema wird auch das Bildungsanliegen erfüllt. Für das Seminar (und für das Teilgebiet Spezielle Biologiedidaktik im 1 Staatsexamen) wird die Kenntnis der Richtlinien/ Lehrpläne und ihre kritische Beurteilung vorausgesetzt. Für die Referate sind dann die Richtlinien zum gewählten Thema (hier aus der Evolutionsbiologie), dazu auf jeden Fall die Handbücher zur Biologiedidaktik, ausgewählte Schul- & Kursbücher und die entsprechenden Themenhefte der biologiedidaktischen Zeitschriften zu berücksichtigen (vgl. Übersicht am Ende dieses Beitrages). Weitere Literaturhinweise finden sich im Anschluß daran (die Liste ist noch vorläufig). 2.6 Biologische Arbeitsweisen Bei den übrigen biologischen Disziplinen mit funktionell/ kausalen Arbeitsansatz haben biologische Arbeitsweisen (wie Beobachten, Experimentieren) einen besonderen Stellenwert (vgl. Skript der Grundvorlesung Biologiedidaktik). In der Evolutionsbiologie (im Sinne der transspezifischen Evolution) ist das praktische Arbeiten auf die Analyse von Belegen, den Fossilien, beschränkt und am besten mit der Arbeit im Museum verbunden. Reproduktionen von Fossilien (wie Prägedrucke oder Abgüsse z.B. von Hominiden-Schädeln) sind auch für die Arbeit in der Schule zu beschaffen. Hinzu kommen Rückschlüsse aus rezenten Formen (z.B. durch Beobachtungen im Zoo [Anpassungen bei sekundären Wasserbewohnern wie Wasservögel, insbesondere Pinguine, oder Körperproportionen und Bewegungsweisen von Menschenaffen]; vgl. die Projekte zum Seminar). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 18 Zur transspezifischen Evolution gibt es eine Reihe von Konstrukten mit Modellcharakter. Auf wissenschaftlichem Niveau wurden die „Rhinogradentia“ als Parodie mit Heiterkeit begeistert aufgenommen: Der zeichnerisch begabte Karlsruher Zoologe STEINER hatte unter dem Pseudonym HARALD STÜMPKE aus dem Nasobem von CHRISTIAN MORGENSTERN eine adaptive Radiation konstruiert. Eine Reihe von Rechenmodellen und Selektionsspielen (u.ä.) sind zur infraspezifischen „Evolution“ („Mikro-Evolution“) entwickelt worden. Sie können den Unterricht auflockern. Die Theorien zu den Evolutionsmechnismen (wie Darwinismus) können anhand von Quellen-Texten anschaulich in den historischen Kontext gestellt werden. Literatur zu diesen Möglichkeiten wird gesondert ausgewiesen. 2.7 Diskussion von Gliederungsprinzipien Die Evolutionsbiologie ist ein komplexes und historisches Phänomen mit eingeschränkter Quellenlage, daher nicht einfach linear anzuordnen. Didaktisch stehen sich 3 Prinzipien diametral entgegen: Ideengeschichtlicher Ansatz (Ausgang von Lesetexten zu LAMARCK, DARWIN etc.). Er geht von den Theorien zu Mechanismen der Evolution aus, ohne das Phänomen Evolution zu klären. Das widerspricht jeden naturwissenschafltichen und biologie-didaktischen Grundsätzen vom Primat der Erfahrung vor der Theorie! Funktioneller Ansatz, daher Ausgang von der Aussage: „Lebewesen sind veränderlich“, dargestellt durch Nachweise für die innerartliche Variabilität (wie Modifikationen bei unterschiedlichen Umweltbedingungen, AllelNeukombinationen und Mutationen und ihrer Durchsetzung in einer Population oder Auswirkungen der Selektion [Fitness-Theorie der Soziobiologie/ Etho-Ökologie], wie sich sich in der Haustierzüchtung und Rückentwicklungen bei Verwilderungen zeigen; auch im Ökologiekurs kann diese Variabilität [z.B Saisonformen bei Wasserflöhen] eingebacht werden). Extrapolation dieser experimentell/ anschaulich zugänglichen Phänome auf die transspezifische Evolution liefert dann die gängigen Theorien zu Evolutionsmechanismen. Die Untersuchung von Überlieferungen (Fossilgeschichte) dient dann nur noch der Illustration des Ablaufes der Evolution an ausgewählten Beispielen. Historischer Ansatz mit Ausgang von ausgewählten Fossilien und der Problematik ihrer Deutung, der Herleitung von belegten Ablaufbeispielen, der Verzahnung mit der phylogenetischen Deutung rezenter Formen (phylogenetische Systematik) und dann erst Beschäftigung mit den Theorien zu den Evolutionsmechanismen. In den Basisinformationen zum neuen Handbuch BU SI (HEDEWIG, KATTMANN, RODI 1998, s.o.) wird zwar hervorgehoben, daß Evolution den Charakter einer einmaligen, unwiederholbaren (und damit nicht vorhersagbaren) Geschichte hat, also kein naturgesetzlich ablaufender (funktionaler) Prozeß ist, also historisch und nicht nomologisch (aus Naturgesetzen) zu erklären ist, dennoch wird (S.2) zuerst nach den Ursachen für den Verlauf der Evolution (Prozesse und die sie Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 19 bewirkenden notwendigen und hinreichenden Faktoren) gefragt und dann erst nach der Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichte von Arten und höheren Taxa. Die Selektion (im Sinne der Theorie DARWINS) erhält damit Priorität über die historischen Abläufe und die Quellenlage. Es wird ausdrücklich empfohlen, den Unterricht nicht mit „Fossilien und Vergleichen als Belegen der Evolution“ zu beginnen, sondern „mit den Evolutionsprozessen“ (im Sinne von Mechanismen; S.IX). Das ist ein unverständlicher logischer Widerspruch! Naturwissenschaft baut auf dem Prinzip der Induktion, also des Ausganges von Fakten, auf und schließt dann erst (im Sinne einer Deutung) die Grundlegung in einer Theorie an. Diese Theorie hat zwei Stufen (vgl. Tab. S.5), nämlich 1. Die Theorie der graduellen (transspezifischen) Änderungen und entsprechend gestaffelter gemeinsamer Abstammung der Arten und höheren Taxa und dann erst 2. Die Theorie der Abänderung durch natürliche Selektion (bei DARWIN; ggf. auch eines anderen Evolutionsmechanismus). Die erste Stufe ist unmittelbar plausibel und wird im folgenden nicht problematisiert, die zweite dagegen kritisch abgehoben. Das gründet sich u.a. darauf, daß die Evolutionsmechanismen zwar zweifelsfrei für die innerartliche Variabilität nachgewiesen sind, daß sie aber nicht die Artgrenze und damit eine Artaufspaltung markieren. So hat die Tierzüchtung bislang trotz erstaunlicher Unterschiede zwischen der Rassen und der Stammform noch nicht zu neuen Arten geführt. Auch aus dem Genom ist die Artgrenze nicht ableitbar, sie ist bislang immer nur noch fortpflanzungsbiologisch zu erkennen, also daran, daß die Tiere sich bei der Fortpflanzung unter natürlichen Verhältnissen als Partner akzeptieren (biologische Artdefinition). Das bedeutet übrigens, daß bei Veränderungen einer Art (ohne Aufspaltung) in der Zeit (ggf. in geologischen Zeiten) eine Untergliederung in Arten sachlogisch ausgeschlossen ist. Auch bei räumlich klar getrennten Formen (Rothirsch : Wapiti, Bison : Wisent) ist die Frage Art oder Unterart nicht objektiv zu klären (ebenso bei Neandertaler und Jetztzeitmensch). In unserer Fauna haben offenbar auch die etwa 15000 Jahre Nacheiszeit noch nicht zu sicheren Artaufspaltungen geführt, auch dann nicht, wenn sich (wie bei Raben- und Nebelkrähe) phänotypisch gut erkennbare genetische Unterschiede in den eiszeitlich getrennten Arealen ausgebildet haben: Die beiden Unterarten bleiben zur Brutzeit überraschend scharf getrennt und haben eine nur schmale und langfristig beständige Vermischungszone. Die Theoriestufe 1 reicht als Erklärungshilfe für abgestufte Ähnlichkeit z.B. bei der Keimesentwicklung aus und wird dadurch so überzeugend gestützt, daß die Evolution zum Ordnungskriterium für die Mannigfaltigkeit der Organismen („natürliches System“) gewählt worden ist. Das wiederum erfordert angesichts der Fossil-Lücken eine eigene Theorie zur Ableitung der natürlichen Verwandtschaft aus rezenten Formen. Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 20 In den Lehrplänen und Kurskonzepten zur Evolution haben die Homologie und die Homologiekriterien einen hohen Stellenwert, werden aber in ihrem Sinn verkannt. Phylogenetische Verwandtschaft kann nur aus Synapomorphien erschlossen werden. Dabei ist die Homologie nicht das entscheidende Problem, sondern die „Lesrichtung“, also die Frage, was ist abgeleitet und was ist ursprünglich? So sind z.B Vereinfachungen schwer einzuordnen (Beispiel: Ist die unspezialisierte Menschenhand ursprünglich und sind dann die spezialisierten Hände der Menschenaffen abgeleitet?). Wo liegt dann also die Bedeutung der klassischen Homologie-Diskussionen? Sie war ein Kernproblem der Vergleichenden Morphologie des vorigen Jahrhunderts. Dabei ging aber nicht um Aufklärung von natürlicher Verwandtschaft, sondern um die Bewertung stark abgewandelter Merkmale in einem Verwandtschaftskreis mit Fundlücken. Dabei wurde ein Grundbauplan für einen jeden Verwandtschaftskreis (z.B. Wirbeltiere oder Vögel oder Säuger) angenommen, aus dem die verschiedenen, ± abgewandelten Formen hergeleitet werden sollten. Die Homologisierung (als Zuordnung gleicher Bauplanteile, also evolutiv gleicher, d.h. homologer Teile unabhängig von ihrer funktionellen abwandlung) dient dabei auch der Vereinheitlichung der Benennung dieser Bauplanteile. Klassisches Beispiel (und Höhepunkt der wissenschaftlichen Leistung) ist die Homologisierung der 3 Gehörknöchelchen der Säuger. Die Reptilien-Vorfahren der Säuger hatten ja (wie die rezenten Reptilien und Vögel) nur einen (die Kolumella, abgeleitet aus dem Hyomandibulare), dafür bestanden die Kiefer gelenknah aus mehreren Knochen, von denen (so das inzwischen unstrittige Ergebnis der Homologisierung) zwei (Quadratum, Articulare) in das Innenohr gewandert sind und dort eine komplexere Funktionseinheit mit der Kolumella gebildet haben (Hebelapparat, der die Amplitude senkt und dafür den Schalldruck so erhöht, daß der Übergang der Schalleitung vom Medium Luft in das Medium Wasser des Innenohres optimiert wird). Diese Vergleichende Morphologie ist heute als wissenschaftliche Disziplin unbedeutend geworden, die Ergebnisse sind jedoch fraglos grundlegendes Gemeingut des Lehrkanons. Für die Schule hat die Problematik des Homologisierens nur noch geistesgeschichtlichen Wert. Ihre prinzipielle Bedeutung als Grundlage einer einheitlichen Nomenklatur gemäß des Ablaufes der Evolution (der Stammbäume) ist jedoch gebührend herauszustellen! 2.7 Vorschlag für ein Kurskonzept zur Evolutionsbiologie in der Oberprima Ausgegangen wird von Fossilien als Belegen für eine Evolution der Organismen (im Sinne der Theoriestufe 1), es werden dann Phänomene des Ablaufes unter Bezug auf phylogenetische Systematik an rezenten Formen hergeleitet. Der Begriff der Synapomorphie ist als Bezugspunkt dafür herauszustellen. Konvergenzen (wie die pflanzenähnlichen Gestalten von sessilen Nesselfängern und mit Tentakeln etc., Reduktion des Kopfes als Sinnespol und Schutzeinrichtungen einerseits und Freiwasserschwimmer mit Hochleistungsaugen oft im gleichen Stamm [z.B. bei Polychäten, vgl. auch Muschel und Tintenfisch oder sogar innerhalb der Ontogenie bei Polyp und Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 21 Meduse]) belegen evolutive Plastizität, der Zelluloseabbau bei Blattfressern zeigt sie bei den vielfältigen endosymbiontischen Verdauungshilfen und Einrichtungen (z.B. Wiederkäuermagen), zugleich aber die Schwäche, einfach Zellulasen zu bilden. Die Angepaßtheit von Blüten an spezielle Bestäuber (bis hin zur Nachahmung von bei Ragwurz-Arten) dient als Beispiel für Leistungen der Koevolution. Damit sind die Grundlagen für eine Einführung in die Prinzipien der Phylogenetischen Systematik am Beispiel der (Klassen der) Wirbeltiere gewonnen. Diese können dann auf den Menschen angewandt werden. Aus der „Sonderstellung des Menschen“ (dem Stichwort vor 3 Jahrzehnten) werden dann Synapomorphien im Vergleich mit den Menschenaffen, insbesondere den Afrikanern Gorilla und Schimpanse als den nächsten Verwandten. Dabei ist das Stichwort „aufrechter Gang“ unglücklich, da es das Wesen nicht trifft. Er ist im übrigen sehr menschenähnlich bei Bären zu sehen. Einmalig nicht nur unter den Menschenaffen und Affen, sondern bei Säugetieren überhaupt sind dagegen das ausdauernde aufrechte Gehen und ausdauernd schnelle aufrechte Laufen (vgl. die Zeiten im Marathonlauf und auf den Langstrecken, die kein Affe [auch nicht vierbeinig!] annähernd erreicht, aber auch die Laufleistungen z.B. im Fußball sowie die Freude vieler Menschen am „Joggen“), auch Weit- und Hochsprung allein mit den Beinen sind (im Vergleich mit den großen Menschenaffen) zu nennen. Sie erfordern den Gewölbefuß, die Beinproportionen, das schalenförmige Becken, die federnde Wirbelsäule etc. Schimpansen sind dagegen von uns beim Klettern am Baum unerreichbar und an das Stemmklettern von ihrem Körper her gut angepaßt, auch auf allen Vieren im Sprint schneller. Der besondere Gestaltstyp des Menschen ermöglicht ihm (im Gegensatz zu allen Affen das relativ schnelle und ausdauernde Schwimmen und das Tauchen. Ein anderer Punkt sind die Hirngröße und die Intelligenzleistung, aber auch die lange Lernphase und die „physiologische Frühgeburt“ sowie der besondere Stimmapparat, die die Sprachformung und damit die besondere, abstrakte Kommunikationsleistung ermöglicht und den Menschen als ökologisch besonders wirksame Sozietät begreifen läßt. Aber auch in den Sexualmerkmalen ist der Mensch „unäffisch“: Kein Sexual-Dimorphismus im Gebiß; minimale Körperbehaarung (damit ist die spezifische Körperkontur auffällig), aber langes Kopfhaar; Po, dazu bei der Frau Busen (auch außerhalb der Stillzeiten) und das äußerst merkwürdige Kaschieren des Östrus [vgl. dagegen die Genital-Schwellungen bei Schimpansen- im Östrus]). Typisch für den Menschen ist offenbar eine feste Paarbindung und Familienbildung innerhalb der (ursprünglich) ± geschlossenen Gruppe. Dieser funktionale Vergleich wird dann ergänzt durch die Fossilgeschichte des Menschen. In NRW hat dabei der Neanderthaler einen besonderen Stellenwert; er ist durch ein modernes Museum nahe der Fundstelle gut erreichbar didaktisch gut erschlossen. Die innerartliche Variabilität („Mikroevolution“) und ihre Steuerung durch die Selektion liefert Mechanismen, die die Aufspaltung von Arten plausibel machen (sie wären aber besser bei den betreffenden Disziplinen wie Genetik, Soziobiologie zu behandeln!). Die Züchtung ist ein Großexperiment über ~10000 Jahre hinweg zu den Mechanismen („Zuchtwahl“: Mutation + Selektion + genetische Isolation). Die klassischen Theorien zu den Evolutionsmechanismen sind dann (beispielsweise über Quellen-Texte im historischen Kontex Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 22 authentisch) einzubringen, aber als Extrapolation von dem belegten Phänomen der „Mikoevolution“ auf die ganz andere Dimension der Makroevolution kritisch zu hinterfragen. Die Ausweitung auf die Evolution der Erde und die Entstehung des Lebens kann den Abschluß bilden. Möglichkeiten des praktischen Arbeitens werden in den Projekten aufgezeigt. Anhang: Diskussion der alten Richtlinien & Lehrpläne NRW Die Richtlinien (hier Biologie Gymnasiale Oberstufe) spezifizieren die Lernziele (Kap. 1, S. 14ff.). Sie werden auf oberster Ebene gegliedert in die Erziehungsaufgaben (1.1.1), die Prinzipien der Wissenschaftspropädeutik (1.1.2) und die „Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung“ (1.1.3). Hinzu kommen die fachgruppenspezifischen Bildungsziele (1.2) und die fachspezifischen Lernziele und Lernbereiche (1.3). Dazu gehört auch die Gegenüberstellung von Fach (1.3.1) und Schulfach (1.3.2). Im Kap. 2 (Lerninhalte) werden die Kursthemen spezifiziert. Für das Seminar (und für das Teilgebiet Spezielle Biologiedidaktik im 1 Staatsexamen) wird die Kenntnis dieser grundlegenden Ausführungen vorausgesetzt. Für die Referate sind dann zum gewählten Thema (hier aus der Evolutionsbiologie) auf jeden Fall ausgewählte Schul- & Kursbücher, die Handbücher zur Biologiedidaktik und die entsprechenden Themenhefte der biologiedidaktischen Zeitschriften zu berücksichtigen (vgl. nachstehende Übersicht). Weitere Literaturhinweise finden sich am Ende dieses Teils des Skripts (die Liste ist noch vorläufig). Didaktische Analyse zum Kursthema 1. Amtliche Vorgaben für die Stoffauswahl nach den Stoffplänen der Richtlinien NRW (alt) 1.1 Einordnung des Themas in den Lehrkanon. Evolutionsbiologie ist nach den (noch aktuellen) Richtlinien für die Gymnasiale Oberstufe NRW für die Jahrgangsstufe 13 etwa als Halbjahreskurs in Verbindung entweder mit Verhaltensbiologie oder mit Ökologie vorgesehen. Deren Umfang richtet sich nach dem (mit dem Abiturtermin wechselnden) Stundenvolumen in der 13.II. Die Evolutionsbiologie ist jedenfalls uneingeschränkt abzudecken (vgl. S. 39). 1.2 Stichpunkte zur Evolutionsbiologie und die Anordnung in den Richtlinien Die Stichpunkte zur Evolutionsbiologie und ihre Anordnung sind in beiden Alternativen nahezu identisch. (Numerierung nach dem Kurs in Kombination mit Verhaltensbiologie; Fettdruck: Pflichtbestandteile für Grund- und Leistungskurs; normal: Alternativ-Vorschläge zur Ergänzung des Pflichtpensums, die Zahl der Alternativen für den Grundkurs wird der für den Leistungskurs gegenübergestellt, z.B. heißt "2/6" zwei für den Grundkurs, sechs für den Leistungskurs). Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 23 Sie sind gegliedert in: 01: Populationsgenetik Hardy-Weinberg-Gesetz, Allelfrequenzen & Genpool, Berechnung der Allelfrequenzen in der idealen Population 02: 2/6 alternative Themen der Populationsökologie 03: Mutabilität und Selektion als Evolutionsfaktoren: Dynamische und stabilisierende Mutation; Mutations- und Selektionsdruck; Mathematisches Modell einer realen Population (empfohlen: totale Selektion der reinerbig Rezessiven) 04: 4/7 diverse, z.T. alternative Themen der innerartlichen Variabilität und Selektion 05: Isolation und Gendrift als Evolutionsfaktoren. 06: 2/6 alternative Themen zur Isolation, zum Artbegriff und zur Züchtung als Modell für Evolution 07: Fallanalyse eines komplexen Evolutionsprozesses (z.B. Darwinfinken) Faktorenanalyse und synthetischer Theorie im Vergleich zu historischen Evolutionshypothesen. 08: 4/8 alternative Themen wie Evolutionsgeschwindigkeit, Domestifikation, Analyse eines „Rassenkreises“, spieltheoretische Evolutionsmodelle, vertiefende Behandlung historisch/ philosophischer Aspekte des Evolutionsgedankens, Evolution von Biozönosen und Ökosystmen (evolutive Sukzessionen) 09: Transspezifische Evolution Fallanalyse an einem Beispiel (empfohlen: Pferde), Homologie/ Analogie 10: 2/5 alternative Themen wie adaptive Radiation, Makroevolution (Beispiel Quastenflosser), vergleichende Analysen zur Regelhaftigkeit tranzspezifischer Evolution 11: 2/4 alternative Themen zur Entstehung des Lebens auf der Erde, zu Organismen verschiedener Erdzeitalter in vergleichender Betrachtung, zu Homologie-Kriterien und zu ihrer Anwendung (Kiefergelenk Säugetiere), Methoden und Ergebnisse der relativen und absoluten Altersbestimmung 12: Evolution des Menschen Paläontologische Funde, Stammbaum-Hypothesen, Bedingungen der Anthropogenese 13: 2/6 alternative Themen zur Evolution des Menschen 14ff.: Themen der Ethologie, beginnend mit Bezug zur Evolution (14 Evolution neuraler Strukturen und Funktionen, 15 ethologische Themen, mit Bezug zur Evolution nur 15.1 Homologie on Vrhaltensweisen und Ritualisierung; s.u.). 1.3 Abituraufgabe zur Evolutionsbiologie Unter den Aufgabenbeispielen, die den Richtlinien Gymnasiale Oberstufe NRW beigefügt sind, findet sich eine Aufgabe zur Evolutionsbiologie (S.202-203): In Anlehnung an einen Text und eine Grafik bei MAYR (1967, S. 338/339) soll an Hand des abstrakten Schemas die Artaufspaltung auf einem Insel-Archipel rein theoretisch ohne Konkretisierung hergeleitet werden. Das ist eine sachlich und didaktisch dubiose Aufgabe! Lehrstuhl Prof.em. Dr. rer. nat. Eberhard G. SCHMIDT Universität Essen, FB 9: Grundvorlesung BIOLOGIEDIDAKTIK, Bearbeitungsstand vom 30.1.2001 Anhang 8.2: Einführung in die Seminare Evolutionsbiologie SII WS 1999/2000, SS 2000 Anh 8.2 — 24 1.4 Evolutionsbiologische Aspekte im Kursteil Ethologie Der Kursteil Ethologie wird der Evolutionsbiologie nachgestellt. Die Verknüpfung erfolgt mit dem verbindlichen Block: 14: Evolution neuronaler Strukturen und Funktionen („Nervennetz bis Zentralnervensystem oder Evolution des Wirbeltiergehirns“; s.o.). Mit Bezug zur Evolution ist dann noch unter Ethologie verbindlich: 20: Lern- und einsichtiges Verhalten als evolutionäre Anpassungen. Als Alternativen mit Bezug zur Evolution sind außerdem angeführt: 15.1: Homologie von Verhaltensweisen und Ritualisierung 19.2: Schlüsselreize: Analyse und evolutive Erklärung (z.B. Bettelverhalten Jungmöwen) 19.7: Ritualisiertes „Übersprung“-Verhalten; stammesgeschichtliche Entwicklung des Signalcharakters (z.B. Übersprung-/ Scheinputzen in der Entenbalz). 22.2: Sozialverhalten als Ergebnis biologischer und kultureller Evolution (z.B. Kommunikationssysteme). 1.5 Evolutionsbiologie in Kombination mit der Ökologie Bei Kombination mit der Ökologie werden (unter 1-7) aut-/ demökologische Stichpunkte vorangestellt, (unter 21-23) folgen (synökologische) Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt. Einen direkten Bezug zum Thema Evolution hat dabei der (im Grund- und Leistungskurs obligate) Block 3: „Wechselwirkung zwischen Organismen und ihre Bedeutung für die Evolution“ mit der Untergliederung in Intraspezifische Beziehungen (z.B. Populationsstruktur, -dynamik) Interspezifische Beziehungen (z.B. Räuber-Beute-Beziehung). 1.6 Diskussion der Kombinationen Die Kombination mit Verhaltensbiologie bzw. Ökologie bedeutet vom Umfang her eine starke Einschränkung für diese Themenbereiche, sie ergibt sich daraus, daß die 13.II weitgehend der Abiturprüfung bzw. verlängerten Ferien nach der Schulzeit geopfert wird. Der Hintergedanke bei der Kombination mit der Evolutionsbiologie liegt hinsichtlich der Verhaltensbiologie in der Bedeutung der sexuellen Isolation der Arten beim Fortpflanzungsverhalten und der hohen innerartlichen Selektion (mit der Fitness als Maß) dabei und hinsichtlich der Ökologie bei den Überlebensstrategien mit entsprechender Selektion bzw. Anpassung (der ökologischen Nischen). Die Kombinationen sind von daher also sachlich nachvollziehbar. Das Voranstellen der Evolutionsbiologie bei der Kombination mit der Verhaltensbiologie widerspricht jedoch nicht nur der Argumentation auf S. 34 der Richtlinie, sondern bedeutet auch einen logischen Bruch. Hinzu kommt, daß Ökologie bzw. Verhaltensbiologie fast nicht auf die Evolutionsbiologie bezogen sind. Deren Kombination mit der Evolutionsbiologie erweist sich damit als eine Notlösung unter dem Druck des Zeitmangels. Dieser ist durch die Kurthemenauswahl selbst induziert und belegt ein ungenügendes Verständnis für den Bildungswert der Evolutionsbiologie in den aktuellen Richtlinien zur Biologie in der Gymnasialen Oberstufe NRW.