Politik mit dem Einkaufskorb - Evangelische Landeskirche in

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Politik mit dem Einkaufskorb
Nachhaltiger Konsum als Chance für die heimische Landwirtschaft?
„Nachhaltigkeit“ ist seit einigen Jahren das Modewort in Politik und Wirtschaft. Die
einen können es nicht mehr hören, die anderen sehen darin einen Schlüssel für die
Lösung der Zukunftsprobleme. Davon betroffen ist auch das alltägliche Einkaufs- und
Ernährungsverhalten.
Je weniger die Politik angesichts von Klimaveränderung, Meeresverschmutzung,
Artenvernichtung, Regenwaldrodung, industrieller Massentierhaltung oder
Wasserverbrauch ausrichten kann oder will, umso mehr sollen die Verbraucher die
Welt retten. Politik mit dem Einkaufskorb nennt man das. Eine Konsumwende steht
an: kein Dabobert Duck mehr, der mit gierigen Eurozeichen in den Augen von
Schnäppchen zu Schnäppchen jagt, sondern „green shopping“ ist angesagt –
bewusster Konsum „mit Klasse“ statt Kaufrausch „in Masse“. Dabei bewerten wir die
Waren des alltäglichen Gebrauchs ganz neu. Nicht nur der superbillige Tiefstpreis
spielt eine Rolle, sondern welche Folgen er für mich persönlich, meine Gesundheit
und mein Wohlbefinden, die Umwelt, aber auch die Lebenschancen für die in die
Wertschöpfungskette einbezogenen Bauern und Arbeiter hat. Damit verbindet sich
die Frage, welchen Mehrwert Lebensmittel in gesellschaftlicher Verantwortung
haben. Man spricht daher auch vom „Moralprofil“ von Gütern.
Ethischer Konsum im Trend
Verbraucher handeln ethisch, wenn sie ihre Einkaufsmacht nutzen, um eine
nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft zu unterstützen. Trotzdem
bestimmen auch egoistische Motive dieses Konsumverhalten mit. Man will sich
gesünder ernähren, sich verwöhnen, sich mit ethisch korrekten Produkten sozialen
Statusgewinn erkaufen.
Tatsächlich belegen alle einschlägigen Trendstudien der letzen Jahre, dass die
Konsumenten zunehmend Wert auf ökologische und soziale Kriterien bei ihrem
Einkaufsverhalten legen. Damit verbunden ist eine Kritik am Massenkonsum und der
Wegwerfmentalität. Ethischer Konsum wird als eine Alternative zu moralinsäuerlichen
Verzichtsparolen gesehen. Die aktuelle Otto-Konsumentenstudie 2009 spricht sogar
davon, dass die Wirtschaftskrise das Verlangen der Verbraucher nach Fair Play
enorm gesteigert habe. Heute würde ethischer Konsum für die Sehnsucht nach
Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Beständigkeit stehen. Zusätzlich sind es auch
weitere Aspekte, wie Tierschutz und globale Verantwortung, die die Themen Bio,
fairer Handel und Klimawandel in nächster Zeit erweitern werden.
Die Verbraucher empfinden Ethik verstärkt als individuellen Wohlfühlfaktor. Ging es
früher um Weltverbesserung und Ideologie, so prägen heute Selbstverbesserung und
Ästhetik den ethischen Konsum. Nach der Otto-Studie interessieren sich 90% der
repräsentativ befragten Verbraucher für das Thema ethischer Konsum, 67% kaufen
gelegentlich oder häufig ethisch begründete Produkte und 65% wollen künftig
verstärkt ethisch konsumieren. Dabei zeigen sich Frauen offener für nachhaltigen
Konsum als Männer, auch wenn diese im Vergleich der Verlaufsstudien von 2007 zu
2009 ihre Einstellung zu ethisch motiviertem Einkauf erhöht haben. Große
Unterschiede gibt es auch zwischen den Generationen: während die Altersgruppe der
14- bis 29-jährigen dem Thema nachhaltiger Konsum noch eher reserviert
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gegenübersteht, steigt das Interesse mit zunehmendem Lebensalter, damit
verbunden auch Familienorientierung, an. Auch andere Studien belegen den Trend
hin zu ethischem Konsum: so die aktuelle Nestlé-Studie „So is(s)t Deutschland“
(2010) oder die Untersuchung „What’s hot around the globe“ des
Marktforschungsinstituts AC Nielsen (2007). Darin zeigt sich, dass „Politik mit dem
Einkaufskorb“ erhebliche Marktchancen erschließt, da eine kaufkräftige
Verbrauchergruppe politische, soziale und kulturelle Interessen mit ihrem
Wirtschaftsverhalten verbinden möchte. Dabei werden als Zielgruppe zunächst die so
genannten „LOHAS“ (lifestyle of health and sustainability = ein Lebensstil auf der
Grundlage von Gesundheit und Nachhaltigkeit) in den Blick genommen, wie auch die
neuen Lebensstilbewegungen „Karmakonsum“, „Utopia.de“ oder „Öko-Lifestyle“
belegen.
Viele Worte – wenig Wirkung?
Tatsächlich stellt sich die Frage, ob die vielen Trendstudien mit ihrer Aussage eines
wachsenden ethischen Konsums auch praktisch relevant sind. Zu häufig traten in der
Vergangenheit schon Lücken zwischen Verbraucherbefragungen und realem
Verbraucherverhalten auf, so wenn über die Hälfte der deutschen Verbraucher
angab, großes Interesse an ökologischen Lebensmitteln zu haben, zeitgleich der
Biomarkt zwar stetig anwächst, jedoch bisher nicht über das Nischendasein von 58% Marktanteil hinauskommt. Andererseits können bestimmte Entwicklungen
durchaus als Beleg für den Trend zu ethischem Konsum gesehen werden. So sind
Eier aus Käfighaltung nach jahrelangen tierethischen Diskussionen fast überall aus
den Regalen der Lebensmittelläden verschwunden, weil sie mit einem
gesellschaftlichen Tabu belegt sind. Auch die aktuelle Diskussion um den
Fleischkonsum belegt, wie stark öffentliche Debatten um Tierethik und Klimaschutz in
die Breite der Gesellschaft vordringen können. So zeigt sich, dass die Zahl der (Teil)Vegetarier zunimmt, und das Thema Fleischverzehr in der veröffentlichten wie
öffentlichen Meinung zunehmend kritisch gesehen wird: stärker bei Frauen als bei
Männern, mehr bei Jüngeren als bei Älteren, vornehmlich bei den besser gebildeten
und einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten.
Konventionalisierung von Öko
Dass die gerne stigmatisierten „Bösewichte“ wie Aldi und Lidl nicht nur „billig“
können, zeigt ihre Offensive im Öko-Sortiment. Innerhalb nur weniger Jahre
breiteten sich Biowaren zunehmend auch bei den Discountern aus – mit wachsenden
Umsatzzahlen. Damit verbunden waren Verdrängungswettbewerbe, die auch mit
Veränderungen von Wertemustern einhergingen. War vor zehn Jahren Ökokonsum
noch Ausdruck einer bestimmten Einstellung politisch-kultureller Alternativen, so
gehört er inzwischen zum alltäglichen Einkaufsverhalten dazu, wenn über zwei Drittel
der Verbraucher angeben, regelmäßig Bio-Lebensmittel zu kaufen. Negative Folgen
hat solch eine Entwicklung auf die vielen Bio-Läden oder ab Hof Verkaufsstände.
Inzwischen ist eben auch auf dem Öko-Markt der Trend zur Professionalisierung
unübersehbar, der dann auch vor Öko-Discounterketten nicht Halt macht. Daran
zeigt sich aber auch, dass der einstmals belächelte und als Modeerscheinung
abgetane Öko-Gedanke als „grüne Bewegung“ in der Mitte der Gesellschaft
angekommen ist, wie auch die Veränderungen im parteipolitischen Gefüge belegen.
Dabei kann nicht übersehen werden, dass die einstigen ideologischen
Überzeugungen Veränderungen unterliegen und zu Widersprüchen führen: die Bio2
Erdbeere im Winter aus Israel gegen das Gebot regionalen und saisonalen
Einkaufens; die frisch und selbst zubereiteten Mahlzeiten gegen den Trend zum
außer Haus Verzehr und energieaufwendigen Fertiggerichten mit
Nachhaltigkeitssiegel. Inzwischen entwickeln selbst die einst von Öko-Aktivisten
kritisch gesehenen Filialketten McDonald’s oder Starbucks ihr NachhaltigkeitsGewissen und setzen auf regionalen bzw. öko-fairen Einkauf ihrer Rohstoffe.
Ethischer Konsum - Zukunftschance unserer Landwirtschaft
Unübersehbar ist, dass sich regionale Produkte im Lebensmitteleinzelhandel in den
letzten Jahren ausgebreitet haben. Unter der Bewerbung von Eigenmarken wie
„Unser Land“, „Unsere Heimat“ oder „ Von unseren Bauern“ wird den Bedürfnissen
der Verbraucher Rechnung getragen, der Unübersichtlichkeit und Anonymität der
Globalisierung etwas entgegenzusetzen. Die Wiederentdeckung von Tradition und
Heimat entspricht der Sehnsucht nach Authentizität, Ursprünglichkeit sowie
natürlichen und unverfälschten Lebensmitteln. So haben mehrere Firmen ihre
Rezepturen geändert und bewerben ihre Produkte mit „naturrein“, „ohne Farb-,
Aroma-, Konservierungsstoffe“ bzw. „ohne Geschmacksverstärker“. Auch das Thema
Gentechnikfreiheit fällt hier darunter, weswegen die Ernährungsbranche bis heute
von einem Einsatz absieht und sich praktisch keine Produkte
kennzeichnungspflichtigen Produkte zum Beispiel als GVO-Soja in Lecithin für Süßoder Backwaren im Sortiment finden lassen.
Auch wenn alle Anzeichen für einen Trend hin zu ethisch begründeten und nachhaltig
erzeugten Lebensmitteln sprechen, so muss die Differenziertheit der
Verbraucherschaft mit einer entsprechenden Marktsegmentierung gesehen werden.
Immer stärker haben wir es mit einem „multioptionalen“ Einkaufs- und
Ernährungsverhalten zu tun: heute Aldi, morgen Bauernmarkt, übermorgen Feinkost.
Damit verbunden ist auch eine „Verbraucherschizophrenie“, weil trotz des
Bedürfnisses nach ethischem Konsum der Einkaufskorb immer wieder
widersprüchlich gefüllt wird und mitunter doch der Preis den Ausschlag gibt.
Trotzdem kann in Baden-Württemberg mit seiner klein- und mittelbäuerlichen
Agrarstruktur der Markt für nachhaltigen Konsum noch stärker entwickelt und
bedient werden. Dabei geht es nicht nur um Ökoware, sondern um ein komplexes
Angebot, das dem Verbraucherbedürfnis nach sinnerfülltem Erlebniseinkauf unter
gutem Gewissen gerecht wird. Auch die verstärkte Listung von regionalen
Spezialitäten aus dem Ländle im Handel ist ausbaufähig und bedarf verstärkter
Produktinnovationen und Kooperationsbereitschaft zwischen Agrar- und
Ernährungswirtschaft.
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Die Wertigkeit von Lebensmitteln
Der Genusswert umfasst die Eigenschaften, die man beim Verzehr mit seinen
Sinnen wahrnimmt, also Aussehen, Geruch, Geschmack, Konsistenz und
Temperatur.
Der Gesundheitswert als ernährungsphysiologische Qualität ist
gekennzeichnet durch wertgebende und wertmindernde Inhaltsstoffe.
Der psychologische Wert beruht auf der individuellen Beurteilung, ob man
Genuss empfindet.
Der soziokulturelle Wert richtet sich nach gesellschaftlichen Normen und
Werten (Prestige) oder auch Tabus.
Der ökologische Wert misst sich am Verbrach von Energie, Rohstoffen und
Wasser, am Aufwand an Verpackungen, deren Entsorgung sowie an der Menge der
Schadstoffemissionen, die bei der Erzeugung und beim Transport anfallen.
Der politische Wert orientiert sich an vielfältigen Aspekten, welche eine
ganzheitliche Erfassung von Qualitätsmerkmalen einschließlich der
Erzeugungsbedingungen und ihrer Konsequenzen in Beziehung zur Dritten Welt
und sozialen wie politischen Zielen beinhalten.
Quelle: Clemens Dirscherl: Lebensqualität und „Lebenswirtschaft“. Die ethische
Verantwortung für die Ernährungs- und Energiesicherung. DLG (Hrsg.): Profil durch
Verantwortung – die neue Rolle der Lebensmittelhersteller. Frankfurt/Main 2008,
S.48
Dr. Clemens Dirscherl ist Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks in
Waldenburg - Hohebuch und Ratsbeauftragter der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD) für Landwirtschaft, Ernährung und ländliche Räume. Der
promovierte Sozialökonom befasst sich seit Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit, ist
Mitglied im Nachhaltigkeitsbeirat der deutschen Ernährungswirtschaft und
Vorsitzender der Projektgruppe „Nachhaltiger Konsum“ des Landes BadenWürttemberg.
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