"Mädchenbildung in der Frühen Neuzeit gab es so etwas überhaupt?" Vortrag gehalten im Kolloquium von Prof. Dr. Fritz Osterwalder, Universität Bern‚ 28. Februar 2008 Antworten auf diese Frage geben Erziehungsschriften, biografische und autobiografische Berichte über die Fürstinnenerziehung, gibt der frühneuzeitliche Diskurs, der als querelle des femmes bezeichnet wird, geben die Ratsakten der frühneuzeitlichen Städte, Leichenpredigten, Bibliotheken, Seelenregister, Visitationsberichte und deren Auswertungen für Alphabetisierungsraten. Ich habe für meinen heutigen Vortrag nur einen kleinen Ausschnitt aus der Thematik ausgewählt und möchte von einem Werk „in progress“ berichten. Die ersten zwei Kapitel meiner Geschichte der Mädchen und Frauenbildung in Europa widmen sich der Frühen Neuzeit. Aus dieser Arbeit will ich vorstellen, welche strukturellen Bedingungen und Argumentationsmuster in der Frühen Neuzeit diskursiv und sozial ausgebildet und formuliert wurden, die sowohl die inhaltliche wie auch die institutionengeschichtliche Dimension von Mädchenund Frauenbildung bis heute prägen. Ich konzentriere mich dafür auf eine Erziehschrift, die für die europäische Debatte besonders einflussreich war, und verorte diese Schrift im frühneuzeitlichen Geschlechterdiskurs. In einem zweiten Schritt widme ich mich zwei quellenmäßig gut dokumentierten Formen der Mädchenbildung, nämlich der höfischen Erziehung und der gelehrten Bildung, um schließlich zum Schluss auf die Rolle der Konfessionalisierung für die Entwicklung der Mädchenbildung in Europa einzugehen. Im Zentrum dieses letzten Abschnitts steht die Geschichte der katholischen Lehrorden. Ich habe für jeden dieser Abschnitte eine These formuliert. 1 These: Die entscheidende Differenz, die die Erziehung der Geschlechter in der europäischen Bildungsgeschichte bis ins 21. Jahrhundert prägen wird, 1 hat ihren Grund in dem Streit über die Ehe, der im 15. und 16. Jahrhundert in Europa stattfand. Deshalb bestimmten seit dem 16. Jahrhundert Fähigkeiten, Kenntnissen und Erkenntnisse, die zur Erfüllung der ehelichen Aufgaben nützlich waren, das Ziel der Mädchenbildung, während das Ziel Bildung für Jungen entweder sozialem, respektive beruflichem Statuserwerb oder Statuserhalt diente. Ich erläutere diese These in drei Schritten: a) Streit über die Ehe b) Juan Vives institutio und das Bild der christlichen Frau c) Die Funktion der Rhetorik als Teil des Lehrkanons und a) Der Streit über die Ehe Die Ursachen für das Profil der Konzepte der Mädchenerziehung im 16. Jahrhundert liegen in einem der brennendsten kulturellen Probleme des Spätmitttelalters und der Frühen Neuzeit: der Ehe. Bereits im 14. Jahrhundert beginnt, zunächst in Italien, dann in ganz Europa, eine breite Debatte um die Ehe, in der sich die Eheschmäh (Misogamie) in Frauenschmäh (Misogynie) und das Frauenlob (Philogynie) in Ehelob (Philogamie) ausdrückte.1 Die Ehe war seit dem 15. Jahrhundert ein Thema der Bürgerhumanisten ebenso wie der religiösen Reformer.2 Die Debatte spitzte sich in zu in den dramatischen Veränderungen des Eheverständnis im Zeitalter der Reformation. Eine der beiden großen, tausendjährigen Lebensformen für beide Geschlechter, das Mönchtum, wurde nun grundsätzlich in Frage gestellt. Es wurde sogar die Ehe sogar für Priester propagiert. Dies alles musste die bisherige männliche Sicht auf Frauen herausfordern und auch das Selbstverständnis der Frauen verändern. So hatte der christliche Humanist Erasmus, der trotz seiner Mönchsgelübde 1492 das Kloster verlassen hatte, bereits 1518 in seinem „Lob der Ehe“ (Encomuim matrimonii) die Gefährtenehe propagiert. Er geißelte 1523 in dem Dialog über die ehefeindliche Jungfrau (Colloquia, Virgo misogamos) die herrschenden Formen des klösterlichen Leben von Männern und Frauen und 1 Einen Schlüssel zum Verständnis der Geschlechterordnung der Frühen Neuzeit bietet die scharfsinnige und differenzierte Darstellung der Problemkonstellation bei Gisela Bock: Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2000, S. 30-46. 2 Auf die breite Debatte, die sich an der Frage aufhängte: An uxor sit ducenda (=Ob man heiraten solle?) in Italien im 15. Jahrhundert und frühen 16. Jahrhundert sei hier nur verwiesen. 2 verfasste 1526 eine weitere Abhandlung zur christlichen Ehe, in der er allerdings nicht so weit ging, diese über das jungfräuliche klösterliche Lebensform zu stellen. 1523 griff Martin Luther mit der Schrift „Ursache und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen dürfen“ in diese Debatte um die Pristerehe und das klösterliche Leben ein. Im gleichen Jahr formulierte er die Normen „Vom ehelichen Leben“ für die Anhänger der Kritik am Papsttum. Der Reformation verschaffte diese Kontroverse um die Geschlechterordnung eine Breitenwirkung im Volk, die die theologischen Thesen gegen den Ablaß, mit denen Luther 1517 an die kirchliche und akademische Öffentlichkeit getreten war, wahrscheinlich übertrafen. Wie stark auch die katholische Reformbewegung in dieser Frage verunsichert war, zeigt sich darin, dass erst in der letzen Sitzung des Tridentischen Konzils 1567 hierzu eine endgültige Entscheidung getroffen wurde. Nach dem die Normen, die ein Jahrtausend der europäischen Geschichte geprägt hatten, vehement in Frage gestellt waren, kam es im Laufe des 16. Jahrhunderts zu einer gewissen Übereinstimmung. Sieht man von den radikalen religiösen Randgruppen ab, gingen alle kofessionellen Lager davon aus, dass die Ehe einen religiös legitimierten dreifachen Sinn hatte: die Fortpflanzung, die Gefährtenschaft und die Vermeidung außerehelicher Sünde. Nur in der Priesterehe und der Frage der Jungfräulichkeit als geistlicher Lebensform blieb es beim Dissens zwischen Katholiken und Protestanten, ein Dissens, der jedoch nur für eine kleine Gruppe von Menschen praktische Bedeutung hatte. Allerdings handelte es sich, wie wir noch sehen werden, bei den Frauen um eine Gruppe, die für die europäische Bildungsgeschichte von erheblicher Bedeutung war. Für die Mehrheit der Frauen gab nun die interne Struktur der Gattenfamilie und des Haushalts die Leitlinie für die Definition dessen ab, was Ziel der Jungen- oder der Mädchenbildung bilden sollte. Am Beispiel der Schrift über die Erziehung der christlichen Frau, die europaweit rezipiert worden ist, will ich dieses Ziel beleuchten. 3 b) 1524 erschien in Antwerpen eine Schrift mit dem Titel De institutione foeminae Christianae (deutsch: Von underweysung ayner Christlichen Frauwen : drey Bücher). Autor war Johannes Ludovicus Vives(1492 in Valencia; + 1540 in Brügge), ein christlicher Spanier aus einer Familie von jüdischen conversos. 3 Als siebzehnjähriger Student war er 1509 aus Spanien nach Paris zur Fortsetzung seines Studium gekommen. Seine Biographie enthält viele typische Züge eines Gelehrtenlebens im 16. jahrhundert, auf die ich hier nicht eingehen möchte. Die instituio mehrere Auflagen in der lateinischen Originalfassung und wurde in alle großen europäischen Sprachen übersetzt. Die Publikationsgeschichte der Erziehungsschrift für Frauen, die in Italien, Frankreich und Deutschland gemeinsam mit einer an Männer adressierten Eheschrift erschien, weist darauf hin, dass für Mädchen und Frauen andere Regeln der Reflexion ihres Aufwachsen galten als für Männer. Der Inhalt der Schrift bestätigt diesen Hinweis. Die institutio wurde deshalb ebenso häufig unter die frühneuzeitlichen “Eheschriften“ gezählt wie unter Erziehungsschriften.4 Gattungsmäßig stellt sie also eine Verbindung von Erziehungsanleitung und Ehemanual dar. Die drei Bücher, in die der Text gegliedert ist, widmen sich jeweils einem Status im weiblichen Lebenslauf. Sie behandeln die Jungfrau, Gattin und Witwe. Das bedeutet, dass der Bildungsgang für Mädchen durch dessen Stellung zum anderen Geschlecht bestimmt wird, denn die zu erwerbenden Kenntnisse, Erkenntnisse und Fähigkeiten orientieren sich an ihrer Beziehung zu Männern in der Ehe. Nun gilt für die Humanisten, dass sie von einer Erziehung der Menschen als Erwachsene, ja gerade auch als Eheleute ausgingen und Eheschriften wie die bereits erwähnte Schrift des Vives für Männer stellen keinen Einzelfall dar. So verfasste Erasmus von Rotterdam mehrere an Männer adressierte 3 Zum Leben von Vives s. vor allem Lange Vgl. R. Schnell: Geschlechtergeschichte, Diskursgeschichte und Literaturgeschichte: eine Studie zu konkurrierenden Männerbildern in Mittelalter und Früher Neuzeit. In: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster 32, (1997) S. 307 – 364. 4 4 Eheschriften, in denen die gegenseitige Erziehung der Gatten einen zentralen Platz einnimmt.5 Anders jedoch als Erasmus, der keine seiner Eheschriften, auch nicht die an Frauen adressierten, mit Überlegungen über die Erziehung zur Ehefrau in der Kindheit einleitete,6 reflektiert Vives in der institutio einen strukturellen Unterschied zwischen Jungen- und Männerbildung und Mädchen und Frauenbildung, den die Verleger bereits im 16. Jahrhundert begriffen, in dem sie „Unterweisung der christlichen Frau“ mit der an Männer adressierten Eheschrift gemeinsam publizierten. Ich konznetrire meine Skizze auf zwei Aspekte: die Moralerziehung und die funktionalen Argumente bei Vives. Im Zentrum der Anweisungen steht der Erhalt der weiblichen Moral. Das drückt sich nicht nur in den Warnungen vor dem Puppenspiel, dass sinnvoller weise vom Spiel mit Küchenspielzeug ersetzt werden soll über die an Hieronimus „Brief an Laeta“ orientierten Vorkehrungen zur Behütung der Jungfräulichkeit bis zur Auswahl der Lektüre. Das Kapitel „Über die Liebschaften“ nimmt dreimal soviel Platz wie dasjenige „Von der wahren Liebe der Jungfrau“. Letztere ist rasch beschrieben: sie besteht in der Liebe zu Gott in Gestalt Jesu Christi, zur heiligen Jungfrau und zu den Eltern. Deutlich mehr Platz als der wahren Liebe muß der Autor dem letzten Thema im Abschnitt über die Jungfrau widmen. Hier geht es um die rechte Gattenwahl, damit das Ziel erreicht wird, dessen christliche Ausgestaltung im zweiten Buch über die Gattin abgehandelt wird. Bei den funktionalen Bestimmungen der Mädchenerziehung für die Gattenehe greift Vives einen zeitgenössischen Diskurs auf, der in England wie in Frankreich, nicht jedoch in Deutschland vom 15. bis zum 17. Jahrhundert um das Verhältnis von Frauen zur 5 R. Schnell: Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Studien zu Eheschriften der frühen Neuzeit, hg. Tübingen 1998, dort vor allem: K. Graf,: ' Ut suam quisque vult esse, ita est'. Die Gelehrtenehe als Frauenerziehung. Drei Eheschriften des Erasmus von Rotterdam (1518-1526), S. 233-257. 6 Erasmus-Schriften einfügen De civiltate pueri und die Eheschriften sowie die einschlägigen Colloquia. Allerdings enthält die Schrift Christiani matrimonii institutio von 1526 eine Reihe von Anweisungen zur Mädchenerziehung. 5 politischen Macht geführt wurde. Dieser Diskurs war f die Frage auf, ob die Rhetorik, fester Bestandteil der gelehrten Bildung des Zeitalters ein einschlägiges Gebiet für die Mädchenerziehung darstelle? c) Rhetorik als Bestandteil weiblicher Bildung? Vives, der diese Debatte in seiner institutio aufgriff, lehnte die Rhetorik für Mädchen ab. Dass es diese Debatte jedoch gab, kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass die Autoren auf eine Realität reagierten, in der einzelne Frauen durchaus eine Stimme hatten und handlungsfähig waren.7 In England reichten im 16. Jahrhundert die Vorstellungen zur weiblichen Bildung von der idealen Frau als „chaste, silent and obedient“ bis zu solchen, das Mädchen den gleichen Unterricht wie Jungen erhalten sollten, allerdings unter Aussparung von Latein und nur „so much as shall be needeful“.8 Auch im ancien régime Frankreichs, obgleich oder vielleicht sogar, weil dort seit dem 15. Jahrhundert trotz des Verbots der weiblichen Erb- und Thronfolge ein lange Linie weiblicher Regentinnen von Elisabeth von Savoyen (1476-1531) über Katharina von Medici (1519-1589) bis zu Anna von Österreich (1601-1666) existierte, diskutierte man die „öffentliche“ Bestimmung der Frauen.9 In Deutschland wird in dem hier behandelten Zeitraum zwischen 1500 und 1700 über das Problem öffentlicher Wirkung von Frauen und Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern in Familie und Staat nicht diskutiert. Nun hat Vives allerdings auch noch weitere Schriften zur Erziehung verfasst. 1523 verfasste er für die englische Prinzessin Mary auf Bitten ihrer Mutter, der Königin Katharina und Gattin Heinrich des VIII einen Lehrplan. Prinzessin Mary sollte nicht nur sittlich sondern auch wissenschaftlich gebildet werden. Es 7 Vgl. Eskin Zur Verbindung von Rhetorik, Öffentlichkeit und öffentlicher Machts s. die Untersuchung von Eskin zum Verhältnis von Rhetorik und Geschlechterordnung, S. 103- 113S.122. 8 9 Weitere Ausführungen bei Bock , S. 46 ff. Macht der Väter, Macht der Männer, Macht der Frauen. 6 geht um die Elementarkenntnisse für die studia humanista, um das Erlernen der beiden alten Sprachen, Griechisch und Latein, und um die Auswahl der Lektüre, Methoden des Lernens. Mit dem Ziel die Prinzessin in zeitgenössischen theologischen und staatspolitischen Debatten urteilsfähig zu machen, wird damit der Bildungshorizont, den der Autor in der institutio für die allgemeine Frauenbildung der Töchter der Oberschichten konzipierte, überschritten. Anspruchsvolle Bildungsprogramme wurden für Mädchen des Hochadels, die später einmal Herrschaftsfunktionen ausüben sollten, seit dem Spätmittelalter formuliert. 2 These: In den Haushalten von verheirateten oder verwitweten Frauen des Hochadels entwickelten sich die ersten pädagogischen Inseln, die in der Neuzeit als Modell für anspruchsvollere Formen weiblicher Bildung bis in das 19. Jahrhundert gelten können. Die Tatsache, dass Vives den Plan in den Druck gab, zeigt den Bedarf für solche Anweisungen über den Einzelfall hinaus.10 Zukünftige Fürstinnen oder Frauen aus dem regierenden Adel erhielten häufiger eine humanistische Bildung, die der ihrer Brüder fast entsprach. Die Bedeutung der Fürstenerziehung, wie sie etwa durch Erasmus’ institutio principi christiani (1517) als Motor pädagogischer Reflexion im Zeitalter der Renaissance dokumentiert ist, muss auch für die Frauenerziehung reklamiert werden.11 Einige Fürstinnen und Königinnen wendeten ihre literarische Bildung in mehreren Sprachen in Briefen, religiösen Dichtungen, Gedichten und Meditationen, und Übersetzungen von Dichtungen anderer Frauen an: So zeigt Margarethe von Navarra (1492-1549)12 Gedichtsammlung Le Miroir de l'âme pécheresse (=Spiegel des sündigen Seele) ein breite Kenntnis der Glaubensprobleme, die das Zeitalter der Reformation 10 Neben der älteren Literatur R. Multer: Pädagogische Perspektiven in deutschen Fürstenspiegeln und Erziehungsinstruktionen von Fürstinnen und für Fürstinnen in der Frühen Neuzeit, Diss. Phil. Eichstätt 1998d 11 Stichwort: Fürstenerziehung: Erasmus: Castiglione, Baldassare: Der Hofmann : Lebensart in der Renaissance Aus dem Ital. von Albert Wesselski. Mit einem Vorw. von Andreas Beyer , Berlin 1996; das dritte Kapitel handelt von der „Hofdame“. 12 MARGARETE von Orleans. (auch Margarete von Angoulême, Margarete von Valois, Herzogin von Alençon, Königin von Navarra) * 1492, + 1549. 7 prägten und deren Übersetzung durch die Prinzessin Elizabeth legt über die Sprachfähigkeiten der späteren Königin von England Zeugnis ab, die für ihre „Devotions“ Gebete in Englisch, Latein und Griechisch, Italienisch und Französisch verfasste. Die schwedische Königin polnischer Herkunft Katharina Jagellonica (1526-1583)13 schrieb Briefe in sieben Sprachen.14 Andere Frauen des regierenden europäischen Adels verfassten im 16. Jahrhundert religiöse Literatur wie Catherine Parr (1512-1548), die letzte Frau Heinrich VIII die Lamentations of a Sinner, wurden wie Vittoria Colonna (1490 -1547) als begabte Dichterinnen verehrt, die weltliche und religiöse poetische Werke verfassten oder zogen bedeutende Reformatoren an ihren Hof, wie Renata von Ferarra (= Renée de France 1510-1574) die französische Königstochter, die Johannes Calvin Zuflucht gewährte und mit Margarethe von Navarra korrespondierte. Im siebzehnten Jahrhundert waren es unter anderem Elisabeth von der Pfalz (1618 – 1680) wie auch ihre Schwester, spätere Kurfürstin Sophie von Hannover (16301714), Töchter des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz und sogenannten „Winterkönigs“ und seiner Frau Elisabeth Stuart und Christine von Schweden (1626-1689) 15 unter den Fürstinnen, die als gebildete Frauen aus Herrscherhäusern hervortraten und in dem durch die konfessionelle Spaltung zerrütteten Europa eine eigene intellektuelle Stimme erhoben. Viele der Töchter solcher Familien genossen im Zeitalter des Humanismus eine überaus sorgfältige und ausgedehnte Bildung und Erziehung, die es ihnen ermöglichen sollte, Regierungsfunktionen wahrzunehmen und das kulturelle Leben ihrer Höfe sowie Territorien aktiv zu gestalten. So lebten und bildeten sich in dem Haushalt der 13 Zu ihren Vorfahren in der mütterlichen Linie gehörten Frauen aus den herrscherhäusern Sforza, Visconti und Aragon. 14 Bainton, Roland H. : Learned Women in the Europe of the Sixteenth Century. In: Labalme a.a.O., S. 118. Sie entstammte in der weiblichen Linie von der polnischen Königin Bona Sfozra d’Arragona, Tochter der Isabella von Aragon ab. 15 Werke: Maximes et sentences. Gedichte u. fragmentar. Selbstbiogr. - Mémoires concernant Christine reine de Suède, hrsg. v. Johannes Arckenholtz, 4 Bde., 1751-60 (dt.: Hist. Merkwürdigkeiten der Kgn. C. v. S., Amsterdam u. Leipzig, 1751-60). - Memoiren, Aphorismen (Tl.smlg.). Dt. Übers. u. Nachw. v. Anni Carlsson, 1967. 8 bereits erwähnten Catherine Parr, der sechsten Frau Heinrich VIII, nach Heinrichs Tod nicht nur die Stieftochter Prinzesssin Elisabeth (später Elisabeth I von England) sondern auch Lady Jane Grey (1537-1554). Jane Grey, aufgrund der verwickelten Erbfolge ebenfalls potentielle Thronfolgerin, wurde als neunjähriges Mädchen von ihren Eltern in die anregende Atmosphäre dieses intellektuellen Zentrums des protestantischen „neuen Glauben“ geschickt. Nach Parrs Tod zurück im Elternhaus entwickelte sich das junge Mädchen, unterrichtet durch hervorragende Gelehrte zu einer ernsthaften Studien ergebenen jungen Frau, die mit dem Reformator Heinrich Bullinger in Zürich korrespondiert und die ihren Abschiedsbrief an die Schwester auf Latein verfasste.16 Das Resultat dieser Studien, die eloquente und gefasste Weigerung selbst im Angesicht des Schaffots zum lebensrettenden Glaubenswechsel, erschüttert bis heute.17 Es waren aber nicht nur die Töchter aus dem herrschenden europäischen Adel, die sich im 16. und 17. Jahrhundert theologische, literarische oder auch naturwissenschaftliche Bildung aneigneten. Zeugnis davon legt eine anderer frühneuzeitlicher Streit, die sogenannte querelle des femmes ab, in der der Streit um die Legitimität gelehrter Bildung für das weibliche Geschlecht einen prominenten Platz einnahm. Ich werde auf diese querelle, zu der inzwischen eine breite Forschungsliteratur vorliegt, nicht näher eingehen, sondern danach fragen, welche Orte oder Konstellationen es waren, in denen Frauen zu Gelehrten werden konnten 3 These: Der Erwerb gelehrter Bildung durch Frauen, die nicht zum herrschenden Hochadel gehörten, war in den meisten Fällen abhängig von der Familienunterstützung, die Väter, Brüder, Großväter, Onkel oder Ehegatten gewährten. 16 Gardiner op.cit. S. 168. Ann Rinaldi: Nine Days a Queen: The Short Life and Reign of Lady Jane Grey. Harper Collins, 2005, ISBN 0060549238 17 9 Die Lebensläufe von gelehrten Frauen des 15., 16. und 17. Jahrhunderts geben keine eindeutigen Hinweise auf die realen Möglichkeiten und Grenzen weiblicher Gelehrsamkeit im Zeitalter des Humanismus und der Reformation in den großen europäischen Ländern. Wurde Ehelosigkeit hat im 16. Jahrhundert von einigen weiblichen Gelehrten als Preis für die Gelehrsamkeit in Kauf genommen, so haben andere von ihnen im 16. und 17. Jahrhundert die Ehelosigkeit offensichtlich freiwillig gewählt. Anhängerinnen des monastischen Lebens stehen neben solchen, die ein eheloses Leben in der bürgerlichen Welt vorziehen. Einige Humanistinnen führten Gelehrtenehen, so wie sie Erasmus in seinen Schriften vor Augen gestanden haben mögen, andere wiederum wurden durch die Ehe jeglicher wissenschaftlicher Entfaltungsmöglichkeit beraubt, wie der traurige Fall Anna Melanchthons, der begabten Tochter Philipp Melanchthons lehrt. Ebenso gehörte, wenn schon nicht die Förderung, so doch die Duldung der literarischen Tätigkeit durch die Ehemänner zu den Bedingungen weiblicher Gelehrsamkeit. Denn auch die frauenfreundlichsten Vorstellung zu Ehe und Familie, wie sie etwa von Erasmus entwickelt wurden, ging, gestützt durch biblische (paulinische) und patristische Lehre, von einer klaren Überordnung der Männer im ehelichen Verhältnis aus. Wesentlich weiter in der Definition der Geschlechterhierarchie ging der anonyme Autor der 1595 erschienenen, sehr bald in die großen Volkssprachen übersetzten Disputation, der die Debatte für die folgenden Jahrzehnte damit anheizte, dass er Frauen das Menschsein überhaupt absprach (disputiatio nova contra mulieres, qua probatur eas homines non esse). Der Zusammenhang zwischen Argumenten aus dieser Debatte um Über- und Unterordnung, Überlegenheit und Unterlegenheit von Männer oder Frauen für die Möglichkeiten und Spielräume weiblicher Bildung liegt auf der Hand. So ist es auch nicht verwunderlich, dass viele der intellektuellen Frauen, die sich seit Ende des 16. und im 17. Jahrhundert in Italien,18 Frankreich, den Niederlanden und in 18 Auf die italienische Diskussion gehe ich nicht ein, obwohl gerade Italien im 16. und 17. Jahrhundert viele weibliche Stimmen laut wurden, die die männliche Welt, die männliche Macht und die männliche Intelligenz in Frage stellten. Bereits durch das gesamte 16. Jahrhundert hatten Frauen sich an der querelle beteiligt. Einen literarischen Höhepunkt stellt zweifellos Moderata Fontes Gespräch über „Das Verdienst der Frauen“ dar, in 10 England, die sich explizit zu diesem Thema äußerten, die weibliche Gelehrsamkeit thematisierten. Ebenso wie die Äußerungen von Erasmus zu diesem Thema einen wiederkehrenden Bezug in den Texten bilden, so bürgten die Töchter des Thomas Morus, die Nürnberger Nonne, Humanistin und Schwester eines Humanisten Caritas Pirkheimer, die vom Hof in Ferrara geflohene, mit einem deutschen Arzt verheiratete Tochter eines Humanisten Olympia Morata, die Dames des Roches, die durch Einheirat der Mutter in Poitiers Gelehrtenkreise Zugang zu den notwendigen kulturellen und sozialen Ressourcen erlangt hatten, für die realen Möglichkeiten, auch als Frau ein Leben im Dienste der Gelehrsamkeit führen zu können. Neben dem familialen Kontext gab es für die kleine Gruppe der gelehrten Frauen auch noch andere Randbedingungen, die Chancen oder Behinderungen bedeuten konnten. So hat die im Vergleich zum deutschsprachigen Raum frühe Ablösung des Lateinischen durch die Volkssprachen in Italien, Frankreich und England die Entwicklung eines der weiblichen Gelehrsamkeit förderlichen Milieus begünstigt. Generell ist jedoch festzuhalten, dass Frauen der bürgerlichen und adeligen Oberschicht, die in gelehrten Kreisen verkehrten oder gar literarisch aktiv waren, im 16. Jahrhundert in Frankreich, England und Deutschland eher die Ausnahme blieben.19 Erst im 17. Jahrhundert erweiterte sich in Frankreich und England den Kreis von Frauen, die sich aktiv in das literarische und kulturelle Leben ihrer Gesellschaft einmischten. Für Deutschland lassen sich ähnliche Verhältnisse erst an der Wende zum 18. Jahrhundert beobachten. 4 These: Um ihre eigene Stimme zu erheben und intellektuellen oder geistlichen Interessen nachzugehen, wählten oder nutzten Frauen dem sieben Frauen mit teilweise so beziehungsreichen Namen wie Cornelia (die Mutter der Gracchen), Corinna (eine antike Dichterin zu Zeit des Pindars), Helena, Viriginia und Lucretia (als römische Vorbilder für Keuschheit) darüber streiten, „warum Frauen vollkommener sind als Männer“. 19 Die Dames des Roches in Frankreich, die Töchter von Humanisten, wie die Schwestern Pirkheimer, Margret Roper, die Tochter des englischen Humanisten Thomas Moore und Anna Melanchthon, Tochter des lutherischen Reformators Philipp Melanchthon, einzelne Frauen im Umfeld der protestantischen Reformatoren wie Olympia Fulva Moderata, Margarethe Blarer und Katharina Zell. 11 Lebensformen außerhalb der Ehe, sei es den Zölibat, sei es das Witwentum. Auch dieses Muster prägt die Frauenbildung bis ins 20. Jahrhundert. Aus dem Streit um die Ehe gingen die alten Frauenorden des Mittelalters nicht nur in den protestantischen sondern auch in den in der alten Kirche verbleibenden Territorien geschwächt hervor. Impulse für die Frauenbildung sind von ihnen nicht mehr ausgegangen. Aber so wie die Gründung und Tätigkeit des Jesuitenordens in der Frühen Neuzeit für die europäische Bildungsgeschichte für Jungen und Männer eine Neuerung darstellt, die weder quantitativ noch qualitativ zu überschätzen ist, so haben die etwa gleichzeitig entstehenden katholischen Frauengemeinschaften ein ähnliche Bedeutung für die Bildungsgeschichte von Mädchen und Frauen. Die neuen Formen des gemeinschaftlichen religiösen Lebens in der Welt, wie sie modellhaft von Ignatius von Loyola (1491-1556) entwickelt wurden, waren auch für viele Frauen aus den städtischen Oberschichten anziehend. In drei Punkten wichen die kirchenrechtlichen Bestimmungen für Frauengemeinschaften von den Möglichkeiten für Männer, die der Jesuitenorden bot, jedoch ab. Frauen durften nur in Abgeschiedenheit der der klösterlichen Klausur leben, die geistliche Leitung von Frauenkongregationen musste in den Händen männlicher Geistlicher liegen, d.h. da Frauen in der Kirche keine priesterlichen Aufgaben übernehmen konnten, durften sie sich nicht selbst spirituell führen und – für den Aufbau einer starken Organisation sehr hinderlich - die Frauenkongregationen waren nicht wie die Jesuiten der päpstlichen Leitung in Rom unterstellt, sondern unterstanden dem jeweiligen Diozösan - Bischof, konnten sich also nicht unabhängig über Diozösan - Grenzen hinweg organisieren. Diese Abweichungen sollten in der Folgezeit bei der Etablierung der neuen Frauenkongregationen immer wieder zu Reibungen mit der Amtskirche führen. Die Initiatorinnen der Lehrorden waren aktive, begabte Frauen aus den städtischen bürgerlichen und adeligen Oberschichten, die häufig, jedoch nicht immer mit männlichen kirchlichen Führern zusammenarbeiten. Ihre 12 Intentionen, die auf die unmittelbare religiöse Lebensgestaltung von Frauen ausgerichtet waren, verboten es ihnen, sich als Personen in einer öffentlichen Debatte zu erkennen zu geben. Sie wählten ein Lebensmodell, das von Vives nicht vorgesehen war und von Erasmus, keinem Anhänger der protestantischen Reformation, sogar explizit kritisiert worden war: sie wählten eine zölibatäre Gemeinschaft mit anderen Frauen. Ich greife zwei besonders prominente Beispiele heraus: die 1535von Angela di Merici in Brescia gegründete Compagnia di Sant’Orsola und die von Mary Ward gegründeten Englischen Fräulein . Die Compagnia verstand sich zunächst als geistliche Frauengemeinschaft für Frauen unterschiedlicher sozialer Schichten ohne männliche Leitung, deren semireligiöse, d.h. vor allem nichtklösterliche Lebensform durch die drei evangelischen Räte Jungfräulichkeit, Armut und Gehorsam geprägt waren. In der ersten von einer Frau verfassten Ordensregel zeichnet sich eine von Mütterlichkeit geprägte weibliche Leitungsstruktur ab, die durch liebevoll unterstützende Führung das gemeinsame fromme Leben von Jungfrauen und Witwen formen wollte.20 Nach Mericis Tod kam es zu einer krisenreichen Entwicklung, in deren Verlauf sich die Compagnia mit einem der herausragendsten Geistlichen des Reformkatholizismus, dem Mailänder Bischof Carl Borromäus verband. Borromäus’ geistliche Führerschaft nach dem Tridentinum sicherte vor allem im Bereich der Elementarbildung erfolgreich den katholischen Einfluss. Die Frauen, die von nun an in Italien und seit den 1580er in Frankreich lokale Gemeinschaften der Compagnie de Sant’Orsula gründeten, standen spätestens seit dieser Zeit unter dem Einfluss des Jesuitenordens und teilten dessen Ziele der aktiven Mission für den alten Glauben als Orden, der in der Welt wirkte. Im Unterschied zu den Jesuiten lässt sich aber gerade an der Frühgeschichte der von Angela di Merici gegründeten Gesellschaft ablesen, dass 20 Vgl. zur Frühgeschichte des Ordens in Italien Anne Conrad, Zwischen Kloster und Welt, Mainz 1991, S. 1963, die die besondere Lebensform, die über das spätmittelalterliche Semireligiosentum hinausgehend eine Zwitterstellung zwischen Kloster und Welt beanspruchte, sowie die mangelnde soziale Exklusivität der Gründung für die Veränderungen verantwortlich macht. 13 Frauen, die in der frühneuzeitlichen Gesellschaft ihre Lebensform der von geistlichen Männern nachbilden wollten, erheblicher Widerstand von Eltern, sozialer Umwelt und Amtskirche entgegenschlug. Nicht nur in dieser Gemeinschaft sondern auch bei den einige Jahrzehnte später in Frankreich, den Niederlanden, England und Deutschland gegründeten Kongregationen wird dieser Konflikt immer wieder aufbrechen. Das von den Jesuiten gestaltete geistliche Leben außerhalb der Klostermauern, wie es viele Frauen im Umfeld der Gesellschaft der Ursulinnen angestrebt hatten, wollte die Amtskirche Frauen nicht zugestehen. Andererseits, und für diese Wendung stehen die Ursulinnen prototypisch, legitimierte das Gelübde zur Übernahme von Erziehungsaufgaben die Frauen seit dem 16. Jahrhundert, ehelos zu bleiben. Die radikalste Position in diesen Auseinandersetzungen mit der Amtskirche vertrat die Engländerin Mary Ward. Sie hielt an der Forderung nach religiösem Leben in weiblicher Gemeinschaft und unter geistlicher Leitung durch die Gründerin für ihren Ordensplan fest und war zu keinerlei Kompromissen gegenüber der Amtskirche bereit. Mit der ratio instituti und dem Institutum, den beiden 1615 und 1620 in Rom zur Approbation vorgelegten Statuten, befanden sich die Englischen Fräulein in vollkommener Analogie zur Societas Jesu. Es waren aber nicht nur die Statuten, die das Leben der Ordensfrauen ohne Klausur regeln sollten, sondern bis in die Organisation der unterrichtlichen Tätigkeit hinein plante man eine Kopie der Jesuitenkollegien. Ward sah für die Frauen ihrer „Gesellschaft Jesu“21 Studienhäuser und Kollegien vor und erklärte die Erziehung von Mädchen in Schulen und Pensionaten zu den zentralen Aufgabe des Gesellschaft. Analog zu den Ausbildungsvorkehrungen der Formula Institutionis der Jesuiten formuliert das Institutum „Es scheint aber auch sehr angebracht zu sein, dass diejenigen jüngeren Schwestern, die Neigung zum Anne Conrad spricht in Bezug auf Plan, die Kongregation „Gesellschaft Jesu“ zu nennen angesichts der Tatsache, dass die Jesuiten selbst ausdrücklich einen weiblichen Zweig ihrer Gesellschaft abgelehnt hatten, von „außergewöhnlichem Mut oder aber außergewöhnlicher Naivität“ der Gründerin. (Conrad, op.cit. S. 91) 21 14 geistlichen Leben haben und für die wissenschaftlichen Studien geeignet sind, als Arbeiterinnen für den Weinberg des Herrn herangebildet werden. Solche Niederlassungen sollen gleichsam zu einer Pflanzstätte unserer Profeßgesellschaft werden. Die Profeßgesellschaft soll daher zur Erleichterung der Studien und zur Hilfe für die Studierenden Kollegien haben, wo immer Wohltäter aus Gründen der Frömmigkeit zur Errichtung und Fundierung der Kollegien gewonnen werden können.“22 Mit dem Plan „Scholastikerinnen“ wissenschaftlich zu bilden geht Mary Ward über die Zielsetzungen aller anderen neugegründeten Lehrkongregationen hinaus, jedenfalls soweit deren Zielsetzungen schriftlich dokumentiert sind. Gleichzeitig belegt der Plan eindrucksvoll, dass es auch im Reformkatholizismus einzelne Frauen gab, die nicht unberührt von den zeitgenössischen Debatten um die weibliche Gelehrsamkeit, ihre geistigen und geistlichen Interessen verfolgten.23 Ob es einen Zusammenhang zwischen Mädchenbildungsvorstellungen, die im nachreformatorischen Konfessionalismus außerhalb religiöser Organisationsstrukturen und solchen, die innerhalb religiöser Orden entwickelt wurden, gegeben hat, lässt sich nur schwer beantworten.24 Dafür, dass die humanistischen Ideen zur Frauenbildung von kirchenkritischen Humanisten wie Vizes oder von den Teilnehmer an der querelle des femmes von den Frauen, die die neuen unterrichtenden Frauenkongregationen der katholischen Reformbewegung im 16. und 17. Jahrhundert gründeten, zur Kenntnis genommen worden sind, gibt es keine deutlichen Belege.25 Nur spärliche indirekte Hinweise lassen die Vermutung zu, dass auch die katholische Kirche von der Debatte nicht unberührt geblieben war. So erschien 1619 in einem Band, Prüfen, wie „Pflanzstätte“ auf lateinisch bezeichnet, Quelle evtl. Chambers StaBi bestellt. Vgl. Wallace, David: Periodizing women: Mary Ward (1585-1645) and the premodern canon in: The Journal of Medieval and Early Modern Studies 36 (2006), S. 397-453. 24 Nonne, Königin und Kurtisane : Wissen, Bildung und Gelehrsamkeit von Frauen in der Frühen Neuzeit ; [Tagung "Wissen - Bildung - Gelehrsamkeit: Gelehrte Frauen in der Frühen Neuzeit?" ... 2001 ... Berlin] / Michaela Hohkamp; Gabriele Jancke (Hg.) Königstein /Ts. 2004 Stabi vorgemerkt aber erst Juni, FU-Geschichte 22 23 25 Zum Zusammenhang s. für die Diskussion in Italien im 17. Jahrhundert die Stimme der venezianischen Nonne Arcangela Tarabotti (1604-1652) , deren Beiträge zur querelle des femmes sich in besonderer Weise mit den kirchlichen und klösterlichen Lebensformen kritisch auseinandersetzen. Bock, 1996, S. 25, 46. 15 in dem neben der bereits zitierten frauenfeindlichen Schrift, Diputatio nova contra mulieres, qua probatur, eas homines non esse26 die Gegenschrift von Simon Gediccus Defensio sexus mulierbris publiziert wurde, ein Streitgespräch zwischen zwei Klerikern, von denen der Benediktiner, also der Vertreter des mittelalterlichen Ordens, die frauenfeindliche Position vertrat, der Jesuit hingegen die frauenfreundliche. Diese Rollenverteilung war sicher kein Zufall. Ob die Schrift von Vives von den Frauen gelesen wurde, die Lehrorden gründeten, ist nicht bekannt. Die Ausschließlichkeit, mir der Vives die christliche Ehe als einzig denkbaren weiblichen Lebensentwurf anbietet, disqualifizierte ihn in den Augen potentieller Nonnen wahrscheinlich eher. Auch weltliche weibliche Autorinnen des 16. und 17. Jahrhunderts, die sich zur Gleichheit der Geschlechter und der weiblichen Gelehrsamkeit äußerten, zogen offenbar unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit, die Ehelosigkeit vor. Die Freundin Montaignes, Marie Gournay (1565 - 1645) hatte zwar keine Neigung, ein religiöses Leben zu führen, sie war jedoch mit Francois de Sales (1567-1622 )befreundet und favorisierte die Jesuiten. Ihr Argument für die Gleichheit zwischen den Geschlechtern bezog sich auf die Geschlechtslosigkeit der menschlichen Seele und wie viele Frauen und Männer vor ihr suchte sie die Beispiele für eine Gleichheit von Männern und Frauen in den Teilen der alttestamentlichen und neutestamentlichen christlichen Überlieferung, die von Prophetinnen, Jüngerinnen und Mitarbeiterinnen der Apostel erzählt. Die Gründe für eine Unterlegenheit der Frauen beim „Service de Dieu“ sah sie nicht in der gottgegebenen Geschlechterordnung sondern ausschließlich in dem Mangel an Bildungsmöglichkeiten für Frauen. Als radikale Pietistin jonglierte die etwas jüngere Zeitgenossin und Korrespondenzpartnerin Anna Maria Schurmann (1607–1678) mit verschiedenen Argumenten für die Ehelosigkeit: Das vierte Gebot, besonders der Gehorsam gegenüber dem Vater, wurde ebenso bemüht wie die Weltflucht des pietistischen Radikalismus („weltliche Ehe“). Auch die 26 S. o. S. …. 16 englische Gelehrte und Schulgründerin Bathusa Makin (1600-c. 1675)27 zog es vor ehelos zu bleiben. Als letztes Beispiel möchte ich auf drei Frauen aus dem siebzehnten Jahrhundert hinweisen, deren Lebensläufe von Natalie Zemon Davis erzählt worden sind. Vordergründig gibt es zwischen dem Leben der der katholischen Nonne Marie de L’Incarnation (1599-1672), der jüdischen Kaufmannsfrau Glikl von Hameln (1645-1725) und der radikal-protestantische Malerin und Naturforscherin Anna Sybilla Merian (1647 – 1717) so gut wie keine Parallelen. Alle drei aber fanden erst im Witwenstand die nötigen Spielräume, ihre Intelligenz, ihre Bildung und ihren Mut zu realisieren. Weil aus dem „Streit um die Ehe“, der im 15. und 16. Jahrhundert die europäische gelehrte Welt beschäftigt hatte, die Einrichtung der Ehe gestärkt hervorgegangen, blieb die Ehelosigkeit für die meisten Frauen eine Bedingung für wissenschaftlich-literarisch orientierten Bildungserwerb. Diese Beobachtung lässt sich bis in das 20. Jahrhundert machen. Allmähliche Änderungen weiblicher Lebensentwürfe wurden erst möglich, seitdem veränderte Reproduktionsbedingungen und veränderte Partnerschaftsstrukturen größere Spielräume des Geschlechterarrangements eröffneten. Dass Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit, jedenfalls in Deutschland und Österreich, bis in 21. Jahrhundert immer noch die geeigneten Rahmenbedingungen für einen Lebensentwurf als Wissenschaftlerin darstellen, wie uns ein Blick auf die Lebenssituation von Wissenschaftlerinnen lehrt, zeugt von der immer wieder erstaunlichen Persistenz von Strukturen im Bildungssystem. 28 Proto-feminist, middle-class Englishwoman who contributed to the emerging criticism of woman’s position in domestic and public spheres in seventeenth-century England. Herself a highly educated woman, Makin was referred to as “England’s most learned lady,” skilled in Greek, Latin, Hebrew, German language, Spanish, French and Italian. Makin argued primarily for the equal right of women and girls to obtain an education in an environment or culture that viewed woman as the weaker vessel, subordinated to man and uneducable. She is most famously known for her polemical treatise entitled An Essay to Revive the Ancient Education of Gentlewomen, in Religion, Manners, Arts & Tongues (1673). 28 http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Kurzexpertise.pdf 2.1.3 “Work-life-balance|”. Bislang existieren keine amtlichen Statistiken zur Kinderzahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Aussagen zur Kinderzahl von ProfessorInnen beruhen auf Studienergebnissen an Teilstichproben. Seit Jahrzehnten ist jedoch bekannt, dass Professoren eher verheiratet sind und Kinder haben, während Professorinnen häufiger kinderlos und unverheiratet oder geschieden leben. (zuletzt besucht 18. 02.08) 27 17 Sie würden sicher gerne erfahren, was es denn mit der Mädchenerziehung für die „normale“ Mädchen aus Familien der mittleren und unteren Stände, der reichen Bauern etc. auf sich hatte. Dazu fehlt heute die Zeit. Nachzulesen ist einiges dazu in dem soeben erscheinen Band, den ich gemeinsam mit Jean-Luc LeCam und H.-U. Musolff herausgegeben habe.29 Juliane Jacobi: Zwischen „nöthigen Wissenschaften“ und „Gottesfurcht“: Schulische Mädchenbildung von der Reformation bis zum 18. Jahrhundert. In: Hans-Ulrich Musloff, Juliane Jacobi, Jean-Luc Le Cam (Hg.): Säkularisierung vor der Aufklärung? Bildung, Kirche und Religion 1500-1750, Köln: Böhlau 2008, S. 253-274. 29 18