Kollektive Identität

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Dr. habil. Wolfgang Luutz
Teilprojekt A6
"Kollektive Identität"
Karriereende eines folgenreichen Konzepts?1
Die wohl wirkungsmächtigste, allerdings nicht unumstrittene Auffassung zur Frage
„Karrieresprung oder Karriereende“ des Konzepts „kollektive Identität“ hat im
deutschsprachigen Raum Jürgen Habermas formuliert. Er schreibt: “Wir können die Identität
unseres Ich immer weniger an den konkreten Rollen festmachen, die wir als Angehörige
einer Familie, einer Region oder Nation erwerben. Das, was uns inmitten komplexer und
wechselnder Rollenerwartungen erlaubt, wir selber zu sein und zu bleiben, ist die abstrakte
Fähigkeit zu einem ganz und gar individuellen Lebensentwurf". Die Rationalisierung der
Lebenswelt in der Moderne, so Habermas´ Begründung, führe zu einer Dauerrevision
verflüssigter Traditionen. Es bleibe nur noch die Möglichkeit der riskanten Selbststeuerung
durch eine hochabstrakte Ich-Identität. (Habermas 1989, S.1197 f.)
Steuern wir also auf das Ende der Karriere eines umstrittenen Konzepts, des Konzepts
kollektiver Identifizierung zu? Nicht nur der aufkommende Neonationalismus, von den einen
mit mühsam verborgener Abneigung mißtrauisch beäugt (Beck 1993, Jeismann/Ritter 1993),
von den anderen unter dem Stichwort "Wiederkehr der Nation" als endlich vollzogene
Rückkehr zur Normalität verhalten begrüßt (Bubner 1993, Henrich 1993), sprechen dagegen.
Auch das „Erwachen“ der Regionen, die Revitalisierung regionalen Bewußtseins inmitten
einer unbestritten globalisierten Gesellschaft sollte uns, insofern wir darin mehr als das späte
Aufflammen atavistischer Neigungen entdecken, zum Nachdenken veranlassen. Selbst wenn
also die Diagnose eines Bedeutungsverlustes nationaler Identitäten stichhaltig sein sollte,
muß daraus m.E. nicht folgen, daß jegliche Formen kollektiver Identifizierung zu einem
Ende gekommen sind. Überhaupt sollten wir uns bemühen, die normative Frage, ob eine
bestimmte Form kollektiver Identität „sein soll“, zunächst zugunsten der deskriptiven Frage,
wie solche Prozesse zu beschreiben und zu erklären sind, zurückzustellen.
Mit den folgenden begriffsanalytischen und theoretisch-konzeptionellen Überlegungen
beabsichtige ich sowohl die Vorbehalte gegen das Konzept der "kollektiven Identität" in der
zeitgenössischen Sozialwissenschaft (und Philosophie) zu erklären als auch Wege für einen
sinnvollen Umgang mit diesem umstrittenen Begriff aufzeigen.
Angestrebt wird damit ein Beitrag zur Begründung eines neuartigen Konzepts
regionenbezogener Identifikationsprozesse 2.
Ich beginne mit einer begriffsgeschichtlichen Analyse zum Begriff des Kollektivbewußtsein
bei E. Durkheim, stelle in Anschluß daran Überlegungen an, woraus die Vorbehalte gegen
den Begriff „kollektive Identität“ in den modernen Sozialwissenschaften resultieren, setze
fort mit einer Untersuchung zu verschiedenen möglichen Wegen der Annäherung an das
Phänomen „kollektiver Identität“ und schließe mit Darstellungen zum Begriff der regionalen
Identität.
1. „Kollektive Identität“ - Überblick über unterschiedliche Verwendungsweisen
Ein Grund für Vorbehalte gegen das Begriffskonzept „kollektive Identität“ könnte darin
bestehen, daß eine ursprünglich für die Beschreibung individueller Handlungssubjekte
reservierte Kategorie, nämlich Identität, auf soziale Phänomene übertragen wird. Man mag
1
Der Untertitel enthält eine Anspielung auf das Standardwerk zeitgenössischer Nationalismusforschung, B.
Andersons Buch „Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts“, Frankfurt/M. 1983
2
Siehe Sonderforschungsbereich „Regionenbezogene Identifikationsprozesse. Das Beispiel Sachsen (Sprecher:
H.-W. Wollersheim), Leipzig 1998
2
sich mit dem
Hinweis zufrieden geben, daß solche Übertragungen in den
Sozialwissenschaften und in der Philosophie vielfach vorgenommen werden, etwa wenn wir
von gesellschaftlichen Zielstellungen, vom Allgemeinwohl, von kollektiven Denkformen/
Mentalitäten, vom gesellschaftlichen Bewußtsein, von sozialen Werten/Selbstbildern etc.
reden. Erst recht scheinen Umgangssprache und politische Sprache ohne die Verwendung
solcher Kollektiva nicht auszukommen. Unbefangen werden Parteien zu Siegern von Wahlen
erklärt, melden Regionen ihre Ansprüche an, wird (die Niederlage einer Fußballmannschaft
beklagend) vom verletzten Stolz der Nation gesprochen, ja manchmal wird sogar die
Menschheit als denkendes und fühlendes Handlungssubjekt vorgeführt. Aber der Verweis auf
Üblichkeiten der Alltagssprache entbindet uns nicht von einer Analyse und kritischen
Reflexion. Wer spürt nicht ein gewisses Unbehagen, wenn er, im Fluß der Rede einmal
unterbrochen, seinen Gebrauch obiger Termini erläutern soll. Wissen wir doch, daß nur
Individuen denken, fühlen, werten, sich identifizieren können. Mit dem Wort „Kollektives“
scheint es sich ebenso zu verhalten wie von Hayek das für das Wort „Soziales“ nachweist.
Immer dann, wenn es sich an andere Begriffe wie Gerechtigkeit, Identität, Bewußtsein etc.
heftet, führt das zu ihrer Aushöhlung und Entleerung. Von Hayek spricht in diesem
Zusammenhang sehr bildhaft von einem Wieselwort (von Hayek 1979, S. 16 ).
Ein weiterer Grund für die Vorbehalte scheint in der Vagheit und Diffusität des
zugrundeliegenden Begriffs „Identität“ zu liegen. Dieses Schicksal teilt der Begriff Identität
allerdings mit vielen anderen Grundbegriffen der Sozialwissenschaften wie Handeln, Sinn,
Interessen, Gemeinschaft, Gesellschaft etc.
Also, was meinen wir eigentlich, wenn wir von "kollektiver Identität" reden? Wie läßt sich
unser Unbehagen beim Gebrauch dieses Terminus erklären? Gibt es sinnvolle
Verwendungsweisen, die man von problematischen oder gar sinnlosen abgrenzen könnte?
Ich will mich der Antwort auf einem scheinbaren Umweg, durch einen Exkurs in die
Geschichte der Sozialwissenschaften nähern. Ich werde mich zunächst mit der Karriere des
von E. Durkheim eingeführten Begriffs des „Kollektivbewußtseins“ beschäftigen, weil mir
scheint, daß sich aus der Auseinandersetzung um diesen Begriff viel für unsere Fragestellung
lernen läßt.
Durkheim verwendet diesen vor allem in seinem religionssoziologischen Hauptwerk „Die
elementaren Formen des religiösen Lebens“ (vgl. Durkheim 1994) eingeführten Begriff in
mehreren Bedeutungen.3
Zum einen geht es ihm, wenn er von Kollektivbewußtsein spricht, um eine bestimmte
Qualität individueller Handlungsorientierungen. Kollektivbewußtsein meint hier vor allem
die Ausrichtung individueller Orientierungen auf un- bzw. überpersönliche Ziele. Dabei
versteht er unter „unpersönlichen Zielen“ Handlungsorientierungen, die auf die Erhaltung
und Entwicklung der Gruppe als Ganzes, und nicht lediglich auf die Sicherung der
individuellen Reproduktion, gerichtet sind. Erst diese Qualität der individuellen Ziele macht
aus seiner Sicht eine Handlung zu einer moralischen Handlung (Durkheim 1984a).4
Häufig verwendet Durkheim aber „Kollektivbewußtsein" auch gleichbedeutend mit
„kollektive Mentalitäten“. Gemeint sind damit bei Durkheim relativ stabile psychische
Strukturen und Verhaltensdispositionen von Individuen, in denen sich a) historisch-soziale
Existenzbedingungen niederschlagen und die b) spezifisch für die Mitglieder bestimmter
Gruppen sind. Das Besondere dieser Strukturen besteht in ihrem „überindividuellen“, an das
3
Genauer handelt es sich um Bedeutungsvariationen, die nicht streng typologisch abgrenzbar sind, sondern sich
als Aspekte eines Gesamtkonzeptes erweisen.
4
Diesen Begriff des Kollektivbewußtseins hebt er übrigens von einem anderen (zum Beispiel im Utilitarismus
gebräuchlichen) Verständnis unpersönlicher Ziele ab, das lediglich auf die allen Individuen gemeinsamen Ziele
abstellt. Wenn alle dasselbe wollen (z.B. essen), wendet Durkheim gegen diese Auffassung ein, so macht das
diese Handlung noch nicht zu einer moralischen. Deshalb steht er der naheliegenden Bestimmung des Begriffs
Kollektivbewußtsein im Sinne der bloßen Summe oder des Durchschnitts individueller Intentionen insgesamt
ablehnend gegenüber.
3
Gruppenleben gebundenen Charakter. Das heißt, obwohl sie nur im Verhalten von
Individuen präsent sind, sterben sie dennoch nicht mit dem Tod bestimmter Individuen oder
Generationen ab, sondern erhalten sich generationenübergreifend oder verstärken sich gar in
der Generationenfolge.
Ein wiederum anderes Verständnis liegt zugrunde, wenn er Kollektivbewußtsein im Sinne
des sozialen Selbstbewußtseins der Gruppenmitglieder faßt. Durkheim geht dabei von einem
dualen Wesen des Menschen aus, bestimmt dieses aber (anders als Kant) als Scheidung
zwischen einem individuellen und einem sozialen Wesen des Menschen. Für ihn ist klar, daß
die Menschen ihr Selbst nur in Auseinandersetzung mit einem Wir entwickeln können. Beide
Pole hält er dennoch nicht für gleichwertig. Das „eigentlich Menschliche“ entfaltet sich erst
im Bezug der Individuen auf die Gruppe, die Sozialität. Das Beste im Menschen, so
postuliert er, ist sozialer Natur. Zuweilen kommt aber, wenn Durkheim von kollektivem
Selbstbewußtsein redet, auch eine distanzierte Verwendung ins Spiel. Das geschieht immer
dann, wenn er die (ideologischen) Selbstbilder der Gruppe, die Selbststilisierungen der
Gruppe durch privilegierte Vertreter (Ideologen) kritisch in den Blick nimmt. Durkheim
warnt
die
Soziologen
davor,
bei
der
Untersuchung
solcher
sozialer
Oberflächenerscheinungen stehen zu bleiben.
Ideologische Selbstbilder stehen mit
Herrschaftsinteressen in Verbindung. Sie enthalten daher immer ein Moment der Verzerrung,
das der Entlarvung durch den wissenschaftlichen Beobachter bedarf (Durkheim 1994).
Ferner benutzt Durkheim den Begriff des Kollektivbewußtseins immer dann, wenn er auf die
Art und das Niveau des Zusammenhalts in der Gruppe abstellt. Er unterscheidet nach Arten
der sozialen Integriertheit verschiedene Qualitäten des Kollektivbewußtseins (Durkheim
1992). Im Unterschied zu primitiven Gesellschaften, die auf mechanischer Solidarität
beruhen,
konstatiert Durkheim für moderne Gesellschaften eine Dominanz der
„organischen“, sich auf Arbeitsteilung gründenden Solidarität. Dennoch ist für Durkheim
ausgemacht, daß arbeitsteilige, marktwirtschaftlich organisierte Verhältnisse den
notwendigen sozialen Zusammenhalt allein nicht gewährleisten. Soziale Anomien in
modernen Gesellschaften führt er auf den Verlust verbindlicher sozialer Normen, auf ein
Erschlaffen der moralische Kraft des Kollektivbewußtseins zurück.
Schließlich spricht Durkheim von Kollektivbewußtsein immer dann - hier kämen wir zu einer
Kernschicht seines Begriffskonzepts - wenn er die besondere Qualität sozialer
Bewußtseinsphänomene gegenüber individuellen psychischen Erscheinungen hervorheben
will. Das Kollektivbewußtsein existiert zwar, so betont er, nicht getrennt vom individuellen
Bewußtsein. Es ist jedoch Produkt der Wechselwirkung zwischen Individuen, der
Assoziation individueller Psychen und gewinnt als solche eine neue Qualität. Denn das
Ganze, so argumentiert er, ist mehr als die Summe seiner Teile. Durch die Wechselwirkung
komme es zu einer Kräftepotenzierung, damit entstünden psychische Gebilde ganz neuer
Qualität. Die Sprache, die wissenschaftlichen Kategorien, große moralische Ideen hätten ihre
Quelle nicht im isolierten Individuum, sondern in der Gesellschaft. Durch Bindung an eine
Gesellschaft würden die Individuen zu Ideen und Anstrengungen (z.B. Großmut,
Aufopferung) motiviert, die sie für sich genommen niemals entwickelt hätten.
Kollektivbewußtsein ist daher für ihn wesentlich moralischer Natur. Als moralisches
Regulativ verpflichte und begrenze es die Individuen; zugleich erhöhe es sie aber auch,
motiviere es sie zu besonderen Anstrengungen und Leistungen. Diese verpflichtende Kraft
hat das Kollektivbewußtsein nach Auffassung Durkheims aber nur, weil es als eine über den
Individuen stehende objektive Macht wahrgenommen wird, ja weil es sich häufig als äußerer
Zwang gegenüber den Individuen geltend macht. Die Verwandlung in eine objektive Macht
lasse sich als Prozeß der Verdinglichung und Vernatürlichung des Kollektivbewußtseins
beschreiben. Erst durch die Bindung des Bewußtseins an Symbole und Rituale, durch seine
Haftung an Dinge werde Bewußtsein aufbewahrt, erhalte es seine Stabilität und Dauer, die es
für die Handlungsaktivierung und -mobilisierung benötige. Die Verdinglichung und damit
4
verbundene Substantialisierung sozialer Zusammenhänge wird also bei Durkheim als
funktional für die Realisierung der verhaltensorientierenden Funktion des
Kollektivbewußtseins angesehen und nicht wie bei Marx ideologiekritisch in den Blick
genommen.
Soweit dieser Exkurs. Ich versuche nun, ausgehend von der Analyse des Durkheimsches
Konzepts des Kollektivbewußtseins, eine Übertragung auf unser Problemfeld vorzunehmen.
Es ließe sich vermuten, daß in Hinblick auf den Begriff „kollektive Identität“ ähnlich
vielfältige Verwendungsweisen im Spiel sind. Wenn von kollektiver Identität die Rede ist,
könnte es gehen
- um die Ausrichtung individueller Handlungen an sozialen Zielen (Bedeutung 1)
- um kollektive Mentalitäten, also um in einer Gruppe dominierende Überzeugungen,
psychische Dispositionen und Verhaltensstrukturen (Bedeutung 2)
- um das soziale Selbstbewußtsein von Individuen, wobei dieses „Wir-Bewußtsein“ durch
(ideologische) Selbstbeschreibungen und Zukunftsprojektionen einer Elite, die in
strategischer Absicht handelt, beeinflußt sein kann (Bedeutung 3)
- um die Integriertheit und Stabilität der Gruppe, die Sicherung eines Mindestmaßes an
Einheitlichkeit des Handelns und Handlungskoordinierung (Bedeutung 4)
- um die soziale Handlungsaktivierung bzw. Handlungsmobilisierung von Individuen durch
Berufung auf die existentiellen Erfordernisse („höherwertiger“) kollektiver Einheiten, wobei
die exklusiven Ansprüche der kollektiven Einheit in der Regel durch Verdinglichung bzw.
Vernatürlichung des Sozialen abgestützt werden (Bedeutung 5)
Was aber ist gegen ein solches Konzept kollektiver Identität/kollektiven Bewußtseins, außer
dem Hinweis, daß es unterschiedliche Bedeutungsvariationen unter einem Dach
zusammenführt, einzuwenden? Bekanntlich war die Durkheimsche Auffassung des
Kollektivbewußtseins ja schon zu seinen Lebzeiten starker Kritik ausgesetzt (Durkheim
1984b). Worin besteht aus der Sicht der Gegner das Problematische dieses Begriffskonzepts?
Welche Argumente werden gegen seinen Gebrauch geltend gemacht und auf welche
philosophischen „Basisüberzeugungen“ wird dabei zurückgegriffen?
2. „Kollektive Identität“ - Ansätze der Dekonstruktion
Um die hier vertretene These vorwegzunehmen: Die Vorbehalte gegen das Konzept
kollektiver Identifizierung lassen sich vor allem auf die Dominanz der universalistischen
Theorietradition in den modernen Sozialwissenschaften und ein damit verbundenes
einseitiges Gesellschaftsverständnis zurückführen. Insofern ist das charakteristische
Herangehen an das soziale Phänomen kollektiver Identität ein analytisch-dekonstruktives.
Ich werde mich bei der Analyse solcher dekonstruktiver Ansätze zunächst auf die moderne
Nationalismusliteratur konzentrieren. Gerade die umfangreiche Nationalismusforschung
enthält ein reiches Arsenal kritischer Einwände zu Formen kollektiver Identifizierung. Im
Verhältnis dazu steckt die Untersuchung anderer moderner Formen der Herstellung von
Gemeinschaftlichkeit, beispielsweise die Untersuchung des „region-making“, noch in den
Kinderschuhen.
Ich habe versucht, die vielfältigen Einwände gegen das Begriffskonzept "kollektive
(„nationale“) Identität" etwas zu bündeln, ohne damit den Anspruch auf vollständige
Darstellung zu erheben. 9 Gruppen von Gegenargumenten lassen sich abheben:
1. Grundlegend für die Auseinandersetzung mit dem Konzept „nationaler Identität“ ist der
Vorwurf der Substantialisierung und Hypostasierung sozialer Realitäten (Berger/Luckmann
1996): Mit diesem Vorwurf der Substantialisierung des Bewußtseins muß sich bereits
Durkheim auseinandersetzen (Durkheim 1984b, S. 88). Der Begriff der kollektiven Identität
5
lege die Auffassung nahe, daß Gesellschaft als besondere Wesenheit, als spezifische
Ganzheit, getrennt von deren eigentlichen Trägern, den Individuen, aufgefaßt werde. Dem
wird die durch Weber in den modernen sozialwissenschaftlichen Diskurs eingeführte
Überzeugung des methodologischen Individualismus gegenübergestellt, daß man die
Gesellschaft nur ausgehend vom sinnhaften Handeln der Individuen beschreiben bzw.
erklären könne. Den Hintergrund bildet eine bestimmte Ontologie, nämlich die Auffassung,
daß die Individuen bzw. deren Handlungen die Letztelemente und wesentlichen Substanzen
der Gesellschaft darstellen. Verbunden ist damit die Ablehnung der holistischen Vorstellung
von einer besonderen „überindividuellen“ Existenz des Gesellschaftssystems.
2. Der Hinweis auf den - vielen Konzepten kollektiver Identität zugrundeliegenden ontologischen Holismus ist in der Regel gekoppelt mit dem Vorwurf des (normativen)
Kollektivismus. Das heißt; die Orientierung an kollektiven Identitäten würde dazu führen,
daß das Individuum der Gruppe untergeordnet werde. Ausgegangen werde von einer
problematischen Wertentscheidung. Die Gesellschaft wird nicht nur als etwas qualitativ
Anderes angesehen, sondern als im Verhältnis zum Individuum höherstehend betrachtet. Sie
ist nicht lediglich als Mittel gut (soweit würde ein individualistischer Ansatz mitgehen),
sondern hat einen eigenen Wert. Dahinter, so der weitergehende Vorwurf, verberge sich die
Ignoranz gegenüber der individualistischen Tradition in der modernen westlichen Kultur, die
in der Idee der Menschenrechte und Grundfreiheiten ihren Ausdruck gefunden hat. In der
Konsequenz führe dieses Begriffskonzept zu Beschränkung oder gar zur Mißachtung
individueller Freiheiten im Interessen des „Wohls aller“.
3. Vorbehalte gegen den Begriffskonzept "kollektive Identität" resultieren auch daraus, daß
durch die Annahme einer besonderen, von der Tätigkeit der Individuen getrennten Substanz
die Gesellschaft enthistorisiert und vernatürlicht werde (Henrich 1993, S. 87). Der
Gesellschaft werde eine überzeitliche Existenz zugesprochen, die ihrerseits in „der Natur“
(Gemeinsamkeiten der Abstammung, des Bluts, des Lebensraums, der psychischen und
physischen Ausstattung der Menschen, der natürlichen Sprache etc.) ihren Grund habe. Diese
Gefahr sei schon mit Verwendung des Begriff Identität selbst verbunden. Er lege nämlich die
Auffassung nahe, daß man etwas Festes, Gleichbleibendes im Wandel der Ereignisse
annehmen könne, daß es eine stabile Substanz des Individuums, ein „Natur“ des Menschen
jenseits der sozialen Geschehnisse und der sich wandelnden historischen Erscheinungen
gebe. Durch die problematische Übertragung des Identitätsbegriff auf soziale Einheiten
werde dieser Eindruck eher noch verstärkt.
4. Ein weiterer Einwand läuft darauf hinaus, daß das Konzept kollektiver Identität die
Vielfalt individueller Lebensentwürfe in der Moderne auslösche. Auch dieser Einwand
knüpft an Überlegungen zu prinzipiellen Schranken des Begriffs Identität an: Der Begriff
Identität impliziere Homogenität. Die Annahme einer Identität bedeute, daß man nach einem
in sich homogenen, mit sich selbst identischen Ich suche (Niethammer 1999). Die Identität
des Individuums in der Moderne sei jedoch bestenfalls als ein Flickenteppich (Keupp 1990),
als Identitätsbalance unterschiedlicher Rollen (Henrich 1993, S. 48 ff.) beschreibbar. Jegliche
Annahmen über eine Identität würden die Vielheit, Verschiedenheit, die Pluralität und den
Wandel individueller Rollen ausschließen und ein festes, homogenes Selbst unterstellen. Das
wäre erst recht gefährlich, wenn man diesen Begriff auf kollektive Entitäten übertrage. Das
Konzept kollektiver Identität unterschätze die Komplexität sozialer Beziehungen, die
Pluralität der Lebensstile und Wertorientierungen in modernen Gesellschaften. Damit werde
die Vielheit und Einmaligkeit der Individuen in modernen Gesellschaften, die Ihr Selbst
zunehmend nicht durch Bezug auf überkommene Rollen bestimmen, sondern sich selbst
erfinden (Beck 1993), ideologisch negiert.
5. Ein wichtiger Einwand bezieht sich auf die Annahme, daß bei jeglichen kollektiven
Identitätskonstruktionen dichotomische Denkschemata Verwendung finden (Anderson 1984).
Insbesondere das Freund-Feind-Schema wird als konstitutiv für die Bildung kollektiver
6
Identitäten angesehen. Den Ausgangspunkt bildet die Behauptung, daß Identitätsbildung
immer ein Anderes, eine Negativfolie brauche, daß sich das Ich(Wir) nur in Abhebung von
einem Sie definieren könne. Das gelte erst recht für den Konstruktionsprozeß kollektiver
Identitäten. Hierbei schließt man insbesondere an Simmels Überlegungen zur Negativität
kollektiver Verhaltensweisen an. Großgruppen, so Simmel, würden auf Grund ihrer
Diffusität kaum über gemeinsame positive Wertüberzeugungen integrierbar sein. Es bleibe
also nur die Möglichkeit einer negativen Integration durch Abhebung von einem
(feindlichen) Außen (Simmel 1992, S. 533 ff.). Carl Schmitt (1987) hat diese Überlegungen
weiter zugespitzt, wenn er das Freund-Feind-Schema zu dem Konstruktionsprinzip
politischer Gemeinschaften verklärt. In der bis heute anhaltenden Auseinandersetzung um
diese Positionen wird relativ übereinstimmend auf die verheerenden Auswirkungen solcher
Freund-Feind-Konstruktionen verwiesen. (z.B. Schmid 1993, S. 115) Zwar bewirke das
Freund-Feind-Schema eine starke Binnenintegration, dies werde aber mit negativen Folgen
in Form nationalistisch, religiös oder rassistisch motivierter Kriege zwischen verfeindeten
Gruppen sowie der gewaltsamen Unterdrückung „abweichender“ Gruppen (z.B. ethnischer
Minderheiten) erkauft. Dieses Konstruktionsprinzip kollektiver Identitäten führe
zwangsläufig zur Überschätzung des Eigenen und zur Abwertung des Fremden, es sei eine
Hauptursache ethnischer Konflikte in Vergangenheit und Gegenwart. Diese
Auseinandersetzung wird durch den ideologiekritischen Hinweis ergänzt, daß das FreundFeind-Schema ein Mechanismus sei, der von privilegierten Schichten mit der strategischen
Absicht eingesetzt werde, eigene Machtinteressen gegenüber sozialen Unterschichten
durchzusetzen. Das führe zur Auslöschung der Interessendifferenzen im Innern der zu
konstruierenden Einheit. Derart zusammengeschweißte Gemeinschaften seien bestenfalls als
illusorische Gemeinschaften zu bezeichnen (Marx/Engels 1993).
6. Einwände werden auch ausgehend von der Unterscheidung vormoderne - moderne Formen
der Sozialintegration erhoben. Das Konzept "kollektiver Identität" bedeute einen Rückgriff
auf vormoderne Konzepte der Vergemeinschaftlichung. Bindungen in der Moderne seien
jedoch viel eher selbstgewählt statt überkommen, sie seien flüchtig, instabil, themenbezogen
(Hitzler 1998, S. 81 ff.) Insofern sei ein solches Konzept eher rückwärtsgewandt, versuche
es, vormoderne Traditionen wiederzubeleben. Ähnlich argumentiert Habermas: Der
Hauptfehler des alten Konzepts "kollektiver Identität" bestehe darin, daß Gesellschaft auf
Gemeinschaft, Systemintegration auf Sozialintegration reduziert werde (Habermas 1988b, S.
173 ff.). Ein solches Konzept habe seine empirische Entsprechung noch am ehesten in
traditionalen, archaischen Gesellschaften. Hingegen seien moderne Gesellschaften nur noch
ausgehend von einem zweistufigen Gesellschaftsmodell, der Unterscheidung von Lebenswelt
(Sozialintegration) und System (Steuerungsmedien Macht und Geld) begreifbar. Konzepte,
die einseitig auf kollektive Identität setzen, würden hingegen dazu führen, daß die
Eigenlogik der systemischen Steuerungen untergraben und die Kraft normativer Bindungen
überdehnt werde. Das einzige, was emanzipatorischen Bewegungen in modernen
Gesellschaften noch möglich wäre, sei die Übergriffe des Systems auf die Lebenswelt
abzuwehren. Noch weiter geht Luhmann, wenn er das Parsons´sche Konzept der normativen
Grundlagen der Gesellschaften vollständig zugunsten eines nichtnormativen Konzepts
autopoietischer Reproduktion des Sozialsystems aufgibt (Luhmann 1988).
7. Andere Einwände sind mit Befürchtungen verbunden, daß Konzepte kollektiver Identität
die universalistische Tradition in der modernen westlichen Demokratie gefährden (Henrich
1993, S. 87). In klassischer Weise hat solche Befürchtungen Rousseau ausgesprochen, wenn
er fordert, daß auf die Formulierung des Gesellschaftsvertrags nicht die spezifischen
Interessen besonderer Gruppen Einfluß haben dürfen (Rousseau 1978). Mit dem Begriff
"kollektive Identität" sei eine Schwerpunktverlagerung hin zu partikularen Normen, Werten
und Lebensstilen verbunden, dies stehe der universalistischen Orientierung innerhalb der
modernen Staats- und Rechtsentwicklung entgegen. Zwar seien die Gewährung vom
7
Grundfreiheiten an ein politisches Gemeinwesen gebunden. Die Identität des politischen
Gemeinwesens, so behauptet Habermas, hänge aber primär von den in der politischen Kultur
verankerten Rechtsprinzipien und nicht von einer besonderen ethnisch-kulturellen
Lebensform ab (Habermas 1997, S. 658f.). Hingegen führe die Bevorzugung des Konzepts
kollektiver Identitäten dazu, daß man sich auf partikulare Solidaritäten, auf
gruppenspezifische Konzepte des Guten festlege. Damit seien gegenmoderne Tendenzen des
Partikularismus und Neo-Nationalismus verbunden (Beck 1993).
8. Zudem wird kritisch angemerkt, daß das Konzept kollektiver (nationaler) Identität sozial
und politisch höchst ambivalent sei, es mit den verschiedensten politischen Zielstellungen
aufgefüllt werden könne, angefangen von emanzipatorischen Gehalten über dynastische und
imperialistische Ansätze bis hin zu offen rassistischen bzw. faschistischen Politikkonzepten
(Anderson 1983). So sei „Identität“ in den 70er Jahren in Deutschland zum Kernbegriff des
neuen Rechtsradikalismus geworden (Niethammer 1999). Andere Autoren betonen, daß die
verschiedenen Formen nationaler Identifikation in besonderem Maße für die Rhetorik und
Überredungskünste von Ideologen anfällig seien (Henrich 1993, S. 81)
9. Nicht zuletzt wird auf den dünnen, schlüpfrigen Boden anthropologischer Annahmen
verwiesen, der solchen Konzepten kollektiver Identität zugrunde liege (Thomä 1995, S. 350).
Mehr oder weniger alle Konzepte kollektiver Identität würden mit anthropologischen
Letztbegründungen arbeiten.
Um diese Behauptung zu illustrieren, sei mir ein kurzer Exkurs zu Wolfgang Schäubles
vielbeachtetem, inzwischen in zweiter Auflage erschienenem Buch „Und der Zukunft
zugewandt“ (1998) gestattet. Schäuble versucht seine zentrale These, daß es notwendig sei,
die nationale Identität der Deutschen wiederzubeleben, zwar auch politiktheoretisch zu
untersetzen, er begründet sie aber vor allem mit anthropologischen Annahmen.
Die anthropologische Dimension seiner Argumentation wird besonders in seiner Behauptung
deutlich, daß trotz aller gedanklichen Fortschritte die Grundbedingungen menschlicher
Existenz unverrückbar bleiben würden. Der Mensch, so Schäuble, werde weder besser noch
schlechter. Politik habe sich darauf einzustellen. (Schäuble 1998, S. 250)
Was gehört nach Schäuble zu diesen unverrückbaren Tatbeständen menschlicher Existenz?
In erster Linie gehöre dazu, daß der Mensch von Natur aus auf Gemeinschaft, auf staatliche
Gemeinschaft hin angelegt sei (ebenda, S. 112). Mehr noch: Es gäbe ein im Menschen
angelegtes Bedürfnis nach nationaler Bindung (ebenda, S. 200).
Warum hält Schäuble gerade die Nation, die ja eine historisch sehr spezifische Form von
Gemeinschaftlichkeit darstellt, für die menschliche Existenz für unverzichtbar? Schäuble
behauptet mit Dahrendorf, gegen eine mißverständliche Interpretation der These vom
Verfassungspatriotismus gerichtet, daß soziale Institutionen kalte Projekte darstellen, die die
notwendige Identifizierung mit einer Gesellschaft allein nicht gewährleisten könnten. Nur die
Nation schaffe die emotionalen Bindungen, die entscheidend für den inneren Zusammenhalt
einer Gesellschaft seien (ebenda, S. 46 f.). Die Menschen würden nicht von Brot und
Begriffen allein leben, sie müßten etwas Positives lieben; die Gemeinschaft müsse nicht nur
durch den Verstand, sondern auch im Herzen der Bürger gestiftet werden. Diese Kraft besitze
allein die Nation (ebenda, S. 219 f.). Zugrunde liegt ein bestimmtes Menschenbild. Der
Mensch wird als Kosten-Nutzen-Maximierer aufgefaßt, der einen Hang zur Minimierung von
Aufwand, Kosten und zur Abschiebung von Lasten auf andere aufweist. In seinem
natürlichem Egoismus bedürfe der Mensch, um gemeinschaftsfähig zu werden, der
Begrenzung durch gemeinsame Wertvorstellungen. Die Nation aber sei genau die Form
menschlicher Gemeinschaft, die einerseits auf gemeinsamen Wertüberzeugungen beruhe
bzw. diese trage, die aber andererseits auch selbst diese auf die Gemeinschaft bezogenen
Werte hervorbringe (ebenda, S. 46, 55). Daß der Mensch mit dieser Orientierung auf die
Gemeinschaft nicht überfordert werde, hänge mit einer anderen Seite menschlicher
Tiefenstrukturen zusammen. Es gebe nämlich ein zur anthropologischen Grundausstattung
8
zählendes Selbstverantwortungspotential des Menschen und ein daraus erwachsendes
konstantes Potential an solidarischem Verhalten in jeder Gesellschaft, das durch die Nation
als Schutz- und Schicksalsgemeinschaft lediglich abgerufen werde (ebenda, S. 78).
Welche Funktion besitzt - aus dieser Perspektive betrachtet - die Identifizierung mit einer
Nation?
Für Schäuble gehören menschliche Hoffnungen
und damit verbundene
Zukunftswünsche zur Grundbedingung menschlicher Existenz. Die Hoffnung habe eine
transzendente Dimension, dieses Bedürfnis wäre traditionell durch Religionen befriedigt
worden. Unter Bedingungen der abnehmenden Bindungskraft von Religionen müsse
Gemeinschaft an derer Stelle treten. Die Hoffnung und Zukunftsfähigkeit, so Schäubles
These, speise sich unter heutigen Bedingungen wesentlich aus dem Eingebundensein in eine
Gemeinschaft (Familie, Verein, Nation). Alle Gemeinschaften geben dem individuellen
Dasein Sinn, Hoffnung, Orientierung (ebenda, S. 50 f.).
Wesentlich für Schäubles Begründungsansatz ist schließlich, daß er Tendenzen in allen
Kulturen ausmacht, das Vertraute, Bekannte positiv zu diskriminieren bzw. sich von einem
Fremden zu unterscheiden. Diese kulturindifferenten Erscheinungen dürfe man nicht einfach
moralisierend verdammen, vielmehr müsse man sie in einer realistischen Politik
berücksichtigen. Man dürfe die Bürger hinsichtlich der Menschheitsideale nicht überfordern.
Wir sind - so Schäuble - niemals nur Weltbürger, sondern immer auch Vertreter besonderer
Lebenslagen, Interessen und Wertmaßstäbe. Insofern sei eine besondere kollektive Identität
für die Orientierung des Einzelnen wie für den Erhalt freiheitlicher Gesellschaften
unverzichtbar (ebenda, S. 174 f.).
Soweit Schäubles Gedankengänge: Es bedarf wohl keiner ausführlichen Kommentierung, um
auf Schwächen dieser Argumentation aufmerksam zu werden. Von Gegnern solcher
anthropologischen „Fundierungen“ wird meines Erachtens zu Recht immer wieder darauf
verwiesen, daß diese Berufung auf das menschliche Wesen eine Strategie der
Letztbegründung sei, die Grenzen des Fragens und Sagens setze und damit zur
Immunisierung dieser Konzepte gegen Kritik führe.
Nachdem ich wesentliche Gegenargumente gegen das Konzept „kollektiver Identität“
referiert habe, möchte ich mich nun der Frage zuwenden, worauf diese Vorbehalte
zurückzuführen sind. Meines Erachtens geht es nämlich nur vordergründig um einen Streit
innerhalb
der
Sozialwissenschaften.
Vielmehr
werden
philosophische
„Grundüberzeugungen“ berührt. Nebenbei bemerkt: Vielleicht ließe sich die Diskussion
etwas versachlichen, wenn man sich stärker auf solche philosophischen Fundamente
besinnen würde.
Ich sehe eine Verbindung mit vier zum Teil sehr alten philosophischen Streitfragen, welche
den Boden(satz) der aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussion um den Stellenwert und
die Berechtigung „kollektiver Identitäten“ bilden:
Einmal wird die (erkenntnistheoretisch-ontologische) Frage nach der Natur des Allgemeinen
berührt5: Die Frage lautet: Existiert das Allgemeine (hier kollektive Identitäten) objektiv real,
getrennt von den einzelnen Dingen und vor dem Einzelnen oder ist das Allgemeine lediglich
der gemeinsame Durchschnitt einzelner Dinge, ja existieren gar nur die einzelnen Dinge,
während jede Klassenbildung lediglich als das Konstrukt, als Erfindung individueller
Akteure erscheint. Ersterer Standpunkt hätte zur Folge, daß Aussagen über Ganzheiten ein
höherer Wahrheitswert zukommt, letzterer Standpunkt würde bedeuten, daß wahrheitsfähig
nur Aussagen über einzelne Sachverhalte sind, während jede Aussage über Ganzheiten in den
Bereich der verzerrten ideologischen Reflexion fiele (der Streit zwischen Platonismus und
Nominalismus).
Daran schließt sich die (sozial-ontologische) Frage an, auf welche Strukturen bzw.
Letztelemente das gesellschaftliche Sein zurückgeführt werden kann, wie die
5
Siehe besonders die Einwände 1 und 3.
9
gesellschaftliche Wirklichkeit im Unterschied zur Welt natürlicher Tatsachen existiert
(Searle 1997). Bilden die letzten Bausteine der Gesellschaft die (personalen) Individuen bzw.
deren Vorstellungen oder Tätigkeiten? Oder kommen Handlungen erst innerhalb eines
Systems von sozialen Bedingungen und Verhältnissen zustande, das insofern als eine höhere
Realität gegenüber dem Handeln von Individuen anzusehen wäre. (Handlungstheorie versus
Struktur-, System- bzw. Figurationstheorie)
Das leitet zu einer dritten (methodologischen) Frage über, wie gesellschaftliche Phänomene
angemessen zu beschreiben bzw. zu erklären sind. Muß man bei der Analyse sozialer
Zusammenhänge vom sinnhaften, intentionalen Handeln der Individuen ausgehen oder sind
die
Handlungen
und
deren
Motivationen
aus
den
gesellschaftlichen
Bedingungen/Verhältnissen/Sinnsystemen abzuleiten. Ist Gesellschaft durch Reduktion auf
das interessegeleitete und motivierte Handeln einzelner Menschen zu erfassen oder kann
Soziales nur aus Sozialem selbst erklärt werden (der Streit zwischen methodologischen
Atomismus und Holismus).
Darauf aufbauend läßt sich eine vierte (Wert-)Frage formulieren, die Frage, „was wichtiger
ist, die Erhaltung der Gesellschaft oder die Entfaltung des Individuums“ (Simmel, 1992, S.
40) 6. Ist das Individuum und dessen Entfaltung der einzige Zweck der Gesellschaft? Ist die
Gesellschaft daher nur als Mittel gut, stellt sie gar nur ein notwendiges Übel dar, das selbst
der Begrenzung bedarf? Oder hat die Gesellschaft nicht nur einen Instrumentcharakter,
sondern einen Zweck in sich selbst? Hat sie vielleicht sogar über diese zugestandene
Funktionalität für menschliche Bedürfnisbefriedigungen hinaus einen höheren Wert als das
Individuum? (der Streit zwischen Individualismus und Kollektivismus)
Die Antworten auf diese philosophischen Streitfragen sind jedoch im Diskurs der Moderne
kaum strittig, genauer, die Fragen sind auf Grund der Dominanz der universalistischen Idee
individueller Menschenrechte im zeitgenössischen sozialwissenschaftlichen bzw.
sozialphilosophischen Diskurs eigentümlich vorentschieden.7 So hätte man gegen das
Konzept kollektiver Identität aus
erkenntnistheoretisch-ontologischer Perspektive
einzuwenden, daß hier dem Allgemeinen eine besondere Existenz mit besonderem
Wahrheitswert zugesprochen wird. Aus sozialontologischer Sicht wäre die damit verbundene
Substantialisierung der Gesellschaft zu beklagen. Aus methodologischer Perspektive käme
der "verkehrte Erklärungshorizont" dieses Ansatzes ins Spiel, der von den sozialen
Strukturen ausgeht statt die sinnhaften Handlungen in den Blick zu nehmen. Aus normativer
Perspektive schließlich stünde der Werthorizont, der hinter dem Konzept kollektiver Identität
steht, die Auffassung der Gesellschaft als einer im Verhältnis zum Individuum höherwertigen
Realität, vor Gericht.
Sollte man die Frage nach dem "Karriere-Ende eines folgenreichen Konzepts" daher getrost
zum Abheften ins Museum für sozialwissenschafliche Altertumskunde (Luhmann) schicken,
wo schon so viele alte Fragen ruhen?
Entgegen dieser naheliegenden Schlußfolgerung plädiere ich dafür, die Frage weiterhin
offenzuhalten.
Zur Begründung will ich, bevor ich auf verschiedene theoretische Annäherungen an das
Problem eingehe, zunächst wissenssoziologisch argumentieren und fragen, welche Lagen
und Interessen es denn sind, die zur distanzierten Betrachtung kollektiver Identitäten führen.
Überraschenderweise ist gerade in dieser Hinsicht ist ein beachtliches
Maß an
„Unmittelbarkeit“ zu verzeichnen. Noch deutlicher: Gerade die reflexivste aller
Wissenschaften, die Philosophie, ist häufig nicht in der Lage (oder nicht willens?), ihren
6
Siehe besonders Einwand 2.
An dieser Einschätzung hat die eher abwehrende Diskussion zum amerikanischen Kommunitarismus im
deutschsprachigen Raum nichts wesentliches ändern können, man schaue sich nur einmal R. Forsts modifiziertes
universalistisches Rechts- und Moralkonzept an (vgl. Forst 1996).
7
10
eigenen Standort im sozialen Feld zu benennen. Auf den Punkt gebracht, lautet die Frage: Ist
die Vorstellung einer entgrenzten, nur über allgemeine Bürgerrechte verbundenen Welt nicht
selbst Ausdruck einer besonderen Lage? Vielleicht könnte man diese Lage, eine Überlegung
von Mannheim aufgreifend, mit dem Begriff „freischwebende Intelligenz“ umschreiben
(Mannheim 1985). Dabei wäre aber gegenüber Mannheim darauf zu bestehen, daß das
Einnehmen einer abgehobenen oder Zwischen-Position nicht bedeutet, daß man ohne
Position ist. Im Gegenteil; man urteilt dann ausgehend von einer sehr spezifischen Lage. Es
ist dies die Lage der sich an vielen (Berufungs- und Konferenz-) Orten Zu-Hause-Fühlenden,
die Lage derjenigen, die mehrsprachig mit ähnlich Positionierten in aller Welt
kommunizieren. Zugleich handelt es sich aber um eine eigentümlich geschützte Position,
eine Lage, die die Möglichkeit bietet, sich an versteckte Orte der Ruhe und Besinnung
zurückzuziehen, wo man die „Welt“ hinter sich zurücklassen kann. Ungewollt hat U. Beck
diese Spannung benannt, wenn er sich im Vorwort zu seinem Buch „Die Erfindung des
Politischen“ für die Möglichkeit bedankt, an anregenden oder ruhigen Orten
(Wissenschaftskolleg zu Berlin sowie Starnberger See) frei von profanen Sorgen und
weltlichen Störungen über die Konturen der rettungslos globalisierten Welt nachdenken zu
können (Beck 1993, S. 9ff.). Warum aber sollte gerade diese Lage repräsentativ für alle
übrigen sozialen Positionen sein?
Insofern bietet es sich an, nach dem blinden Fleck dieser Sichtweise, nach demjenigen, was
aus diesem Blickwinkel heraus verborgen bleiben muß, zu fragen. Dieser „andere“ Blick
scheint allein deshalb geboten, weil man einer davoneilenden Wirklichkeit neuer
Nationalismen und Partikularitäten in der Philosophie (die allerdings nach Hegel sowieso
immer zu spät kommt) irgendwann doch nacheilen muß.
3. Verschiedene theoretische Annäherungen an das Phänomen kollektiver Identität
Das Ziel dieses Abschnitts besteht darin, verschiedene Wege zur Beschreibung und
Erklärung des Phänomens kollektiver Identität in ihren Möglichkeiten und Grenzen zu
erörtern.
Ich werde eine sprachhygienische, eine mentalitätsgeschichtliche (strukturalistisch bzw.
ideengeschichtlich-hermeneutisch inspirierte), eine dekonstruktive (ideologiekritische), eine
rekonstruktive (konstruktivistische), eine normative (rechts- bzw. politikphilosophische) und
eine historisch-typologisierende Richtung unterscheiden, wobei ich nicht ausschließe, daß
sich diese Wege manchmal kreuzen oder gar ineinander übergehen.
Eine naheliegenden Lösungsversuch will ich zunächst diskutieren: Ich nenne diesen Ansatz
die sprachhygienische Lösung.
Sie läuft darauf hinaus, den diskreditierten und mißverständlichen Begriff kollektiver
Identität durch den weniger mißdeutbaren Begriff der raumbezogenen Identifikation zu
ersetzen.8 Der Vorteil dieser Begriffsstrategie bestünde darin, daß man der Gefahr der
Substantialisierung und Vernatürlichung von sozialen bzw. Gruppenphänomenen entgeht,
also dem Anschein besser entgegentreten kann, daß von sozialen Zusammenhängen losgelöst
vom sinnhaften Handeln der Individuen die Rede ist. Bei dieser Sprachregelung bleibt das
Subjekt, das solche Identifikationsprozesse vornimmt, nämlich das Individuum, klar
erkennbar. Zugleich wird auf den Prozeßcharakter dieser Identifikation, die nie zu einem
Ende kommt, immer offen für Neudefinitionen oder Uminterpretationen bleibt, abgestellt und
die Vielheit möglicher Identifikationen ins Auge gefaßt. Schließlich wird auch mit der
Möglichkeit der Differenz zwischen Identifikation/Bewußtsein und Handeln gerechnet. Die
Frage lautet nun aber: Haben wir uns mit dieser Festsetzung über den Sprachgebrauch
8
Vgl. die entsprechenden Bemerkungen im Vorspann zum Sonderforschungsbereich Regionenbezogene
Identifikationsprozesse. Das Beispiel Sachsen (1998)
11
lediglich von sprachlichen Mißverständnissen freigemacht, oder haben wir damit bereits eine
theoretische Vorentscheidung getroffen, die das Sichtfeld unzulässig einschränkt? Um
deutlicher zu werden: Läßt sich ein Prozeß als solcher, getrennt von den sozialen Wirkungen
und Bedingungen analysieren? Zählt zu Resultaten des Prozesses nur die Ausprägung
psychischer Dispositionen oder kommt es im Gefolge der Identifizierung nicht auch zu
bestimmten sozialen „Entäußerungen“ bzw. „Objektivationen“? Der Begriff der kollektiven
(regionenbezogenen) Identifikation lenkt m.E. die Aufmerksamkeit (zu) stark auf die
(psychischen) Vorgänge im Individuen. Die sozialwissenschaftlich interessanten
Fragestellungen beginnen aus meiner Sicht aber erst jenseits der Untersuchung dieser
intraindividuellen Vorgänge und Dispositionen. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht wäre
beispielsweise zu fragen, wie diese Vorgänge motiviert sind, welche sozialen
Identifikationsanreize Verwendung finden, welche historisch-kulturell variierenden
Identifikationsmuster in den Prozeß der Identifikation eingehen, welche sozialen Eliten diese
Identifikationsangebote mit welchen Zielen produzieren, welcher soziale Gewinn sich für die
Individuen aus dieser Identifikation erwarten läßt und welche soziale Folgen solche Prozesse
der Identifikation hinsichtlich der Stabilität/Integriertheit von sozialen Einheiten haben.
Meine These lautet daher: Wenn es um die Beschreibung von Motiven, Anreizen,
Bedingungen und Resultaten von Identifikationsprozessen geht, kommen wir ohne einen
Begriff kollektiver Identität oder entsprechende Ersatzbegriffe nicht aus. Das wird bereits
deutlich, wenn wir darüber nachdenken, was es eigentlich heißt, sich zu identifizieren. Hier
sind nämlich mehrere sinnvolle Fortsetzungen der Rede möglich:
Einmal kann ich mich selbst als jemand identifizieren oder werde als jemand identifiziert.
Sich zum Beispiel als Sachse identifizieren (Selbstzuschreibung) oder als Sachse identifiziert
werden (Fremdzuschreibung) setzt immer bereits eine Vorstellung vom typischen Sachsen
voraus, Vorstellungen, die nie allein vom sich identifizierenden Individuum produziert
worden sind. So einmalig und individuell varierend diese Vorstellungen auch sein mögen, es
gehen kulturelle Stereotype und kollektiv geteilte Vorurteile ein. Zu fragen wäre daher:
Welche mentalen Strukturen werden üblicherweise als typisch sächsisch angesehen? Wie
sind diese Vorstellungen geschichtlich entstanden bzw. wie wurden diese Vorstellungen
geschichtlich variiert? Wer ist ihr „Erfinder“, welche Bedingungen und Institutionen haben
zu ihrer Verbreitung beigetragen?
Zum zweiten kann ich mich mit jemandem (entweder gefaßt als konkreter anderer Mensch
oder aufgefaßt als mehr oder weniger anonyme Gruppe) und mit etwas (mit bestimmten
„Objekten“ wie Räumen, Gütern, Kulturen, Sprachen, Symbolen etc. ) identifizieren.
Identifiziere ich mich mit einer Gruppe, ist eine kollektive Einheit immer schon unterstellt.
Die vorgestellte Gruppe wird dann zu einem Teil meiner eigenen Identität, wenn ich ihre
Existenz als für mich wertvoll erachte. Dabei ist die Identifizierung mit der Gruppe die
Brücke auch zur Verbindung mit dem konkreten anderen Menschen. In Vermittlung über die
Gruppenexistenz werde ich als Gleicher anerkannt und erkenne den anderen als mir gleich
an. Das Ergebnis ist eine bestimmte Integriertheit der Gruppe selbst, wobei diese
Binnenintegration häufig durch Abgrenzung von einer Fremdgruppe verstärkt wird. Auch
wenn ich mich mit bestimmten Gegenständen oder Räumen identifiziere, identifiziere ich
mich nicht primär mit der natürlichen Beschaffenheit des Objekts, sondern mit den ihm
anhaftenden kollektiv produzierten Bedeutungen. So wird der Raum Sachsen, mit dem ich
mich als Sachse identifiziere, vor allem in seiner kulturell-sozialen Überformung und
symbolischen Aufladung Identifikationsobjekt. Es ist der Raum der von mir „angeeigneten“
(erzählten oder erlebten) Geschichte, der Raum der (vertrauten) Symbole, der Raum der
(gelebten) Lebensformen und Traditionen.
Wieder kommen wir zu dem Ergebnis: Die Konzentration auf die Untersuchung der Prozesse
der Identifikation befreit nicht von der Frage nach der Existenz kollektiver (hier regionaler)
Identitäten. Wenn man fragt, als was und womit sich der andere identifiziert, sind Formen
12
kollektiver Identität bereits immer schon unterstellt. Sich identifizieren setzt nämlich etwas
relativ Beständiges im Fluß der Ereignisse voraus. Zugleich ist kollektive Identität aber auch
ein Ergebnis von Identifikationsprozessen. Gerade wenn man nach den Resultaten bzw.
Erträgen solcher Identifizierungen fragt, kommt man ohne den Begriff der kollektiven
Identität nicht aus. Ein mögliche Ertrag wäre die soziale Mobilisierung der Adressaten, eine
andere (beabsichtigte oder unbeabsichtigte) Wirkung könnte jedoch in einer gewissen
Vereinheitlichung der Lebensstile und in der Stabilisierung des sozialen Zusammenhalts in
der Gruppe (in diesem Sinne in der Erzeugung einer „kollektiven Identität“) selbst bestehen.
Also: Solche Sprachregelungen können forschungsstrategisch sinnvoll sein, um
Mißverständnisse auszuschließen und falschen Beschuldigungen zu entgehen. Sie erlauben es
bestimmte Forschungsakzente neu zu setzen, befreien uns aber nicht von der Frage selbst und
der Suche nach Lösungsansätzen. Wie könnte man sich aber sinnvoll dem Problem
„kollektiver Identität“ nähern, ohne solchen vorab beklagten Substantialisierungen sozialer
Realitäten aufzusitzen.
Rational weiterführen ließe sich die Diskussion zum Problem kollektiver Intentität m.E.
zunächst ausgehend von einer mentalitätsgeschichtlichen (strukturalistischen bzw.
ideengeschichtlich-hermeneutischen
Perspektive.
Auf
die
Notwendigkeit
von
mentalitätsgeschichtlichen Untersuchungen wird u.a. von Lepenies (1992, S. 12 ff.) und
Henrich (1993) aufmerksam gemacht. Allerdings ist der Begriff der sozialen Mentalitäten in
seiner Leistungsfähigkeit stark
umstritten. Für die strukturalistisch inspirierte
Mentalitätsforschung hat Durkheim, wir erwähnten es bereits, mit seinen Untersuchungen
zum Kollektivbewußtsein wesentliches beigetragen. Innerhalb dieser Perspektive wäre der
Begriff der kollektiven Identität in den Begriff (überlieferter) gruppenspezifischer
psychischer Dispositionen zu transformieren. In der modernen Kulturphilosophie wurde
dieser Ansatz vor allem von P. Bourdieu in seinem Habitusansatz aufgegriffen. Wenn
Bourdieu von Habitus spricht, sind damit nicht natürliche Phänomene, sondern sozial
determinierte psychische „Strukturen“ (Dispositionen) gemeint. Diese Dispositionen
entfalten ihre verhaltensdeterminierende Funktion nicht jenseits der menschlichen
Vorstellungen. Vielmehr besitzen solche Gemeinsamkeiten psychischen Erlebens für ihn zu
wesentlichen Teilen selbst einen konstruktiven Charakter, an dem Interpretationen Anteil
haben. Soziale Verhaltenserwartungen haben für Bourdieu also keine Existenz jenseits der
Aneignung und Interpretation durch Individuen. Es handelt sich um Zuschreibungen, die aber
für die soziale Position (Identität) nicht äußerlich bleiben. Indem wir uns zu solchen
mentalen „Strukturen“ ins Verhältnis setzen, wir uns mit ihnen identifizieren oder sie
ablehnen, positionieren wir uns im sozialen Raum. Dabei ist für Bourdieu aber klar, daß die
Definitionsmacht hinsichtlich solcher Zuschreibungen nicht gleichmäßig verteilt ist. Für ihn
stellt daher der Kampf um die Zuschreibungen, die symbolischen Formen und Benennungen
selbst ein wesentliches soziales Kampffeld dar.
Einen anderen Weg als Bourdieu wählt D. Henrich. Er geht der Frage, durch welche
geistigen Strukturen die „deutsche Identität“ gekennzeichnet sei, ausgehend von einer
hermeneutisch-geistesgeschichtlichen Perspektive nach. Henrich unterscheidet hierbei
zunächst zwischen einer Binnen- und einer Außenperspektive auf Identität. Besonders
sichtbar werden solche Mentalitäten aus seiner Sicht aus der Außenperspektive. Zwar
könnten sich bei solchen Fremdzuschreibungen leicht Banalitäten und mit ihnen verbundene
Klischees (über das „typisch Deutsche“, „Französische“ etc.) einstellen. Doch hätten Völker
und Kulturen wirklich Eigenschaften, die über lange Zeit in allem Wechsel charakteristisch
für sie blieben (Henrich 1993, S. 22).
Diese Außenperspektive greife nun auf Umwegen auch in die Binnenwahrnehmung ein. Aus
der Binnenperspektive der sich identifizierenden Individuen lassen sich drei
Verwendungsweisen von Identität abheben: einmal persönliche Identität, worunter er die aus
13
Erinnerung gespeiste Erfahrung der Kontinuität eines Lebens versteht, zum zweiten die
soziale Identität, die er als die durch soziale Rollen und Normen determinierte Position des
Individuums interpretiert, schließlich die personale Identität, von der er in Abhebung von den
beiden ersten Bedeutungen immer dann spricht, wenn er den Abbau der Außenbestimmung
im Handeln im Auge hat (ebenda, S.28 ff.). Für Henrich ist dabei aber klar: Es geht, wenn er
von sozialer Identität redet, nicht um die Unterordnung oder gar Aufgabe persönlicher
Identität, sondern um die Frage, wie sich die persönliche (Ich-)Identität in Wechselwirkung
mit einer sozialen (Wir-)Identität herausbildet. Den Begriff der personalen Identität führt er
vor allem deshalb ein, um die Möglichkeiten der Selbstbestimmung individueller
Handlungssubjekte im Rahmen von zunächst vorgegebenen biographischen und sozialen
Kontexten deutlich zu machen.
Henrich untersucht nun, inwieweit diese zunächst auf das Individuum bezogenen
Identitätsbegriffe auf Kollektiva wie die „Nation“ anwendbar sind. Er hält eine solche
Übertragung mit Abstrichen für möglich. Auf die Nation angewandt, meint der Begriff der
persönlichen Identität eine Konstruktion kollektiver Identitäten, wo die entsprechenden
Selbstbilder durch kollektive Erinnerungen gespeist werden. Zwar sieht auch Henrich die
Gefahr des Mißbrauchs solcher Identitätskonstrukte. Dennoch wendet er gegen Habermas´
These des Verfassungspatriotismus ein, daß die Identität eines republikanischen Staates nur
zum Teil von Prozessen innerhalb seiner Institutionen herzuleiten sei. Es bedürfe deren
Verwurzelung in den subjektiven Einstellungen der Teilnehmer. Daher müsse dem
prozeduralen Ansatz der Rationalität (Freiheitsprinzip) eine ganz andere Stütze zur Seite
gestellt werden. Die Lösung liegt für Henrich in einem weiteren Identitätssinn, von ihm
Identitätsbalance genannt. Es ist die Identität, die sich herausbildet, wenn Individuen unter
Wahrung der persönlichen und personalen Identität in gänzlich neue Lebensverhältnisse
hineingerissen werden. In diese Identitätsbalance würden Selbstbeschreibungen eingehen, die
die Individuen großräumig verorten. Gerade bei der Umorientierung der Identiätsbalance
können Gehalte kollektiver Erinnerung eine Ressource für Kontinuität und Orientierung sein.
Solche Gehalte sind in der Binnenwahrnehmung der Individuen mit dem verbunden, was für
die Individuen die Kultur, das Volk, die Nation ausmacht. (Ebenda, S. 48 ff.)
Eine andere Annäherung an das Phänomen der kollektiven Identität, eine Annäherung, die im
Unterschied zu vorab dargestellten mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen eher eine kritische
Brechung beinhaltet, scheint ausgehend von einer dekonstruktiven ( ideologiekritischen)
Perspektive möglich. Mit diesem Ansatz wollen wir uns jetzt etwas näher beschäftigen.
Ausgehend von der These, daß es sich bei kollektiven Identitäten um (illusorische) Formen
von Gemeinschaftlichkeit handelt, werden die Ideologeme, die der „Herstellung“ kollektiver
Identitäten zugrundeliegen, also die Leitbilder, die binärer Tiefenstrukturen sowie
diskursiven Verfahren untersucht. Das Ziel besteht in einer kritischen Analyse des Prozesses
des Gemeinschaft-Machens. Diese ideologiekritische Perspektive, insbesondere bei der
Analyse des Nationenbildungsprozesses vielfach erprobt (siehe Berding 1994, 1996 u.a.),
könnte man auf die Untersuchung des Konstruktionsprozesses anderer kollektiver Identitäten,
beispielsweise der Region, ausdehnen, um durch vergleichende Untersuchungen allgemeine
Annahmen über die Herausbildung bzw. Stabilisierung kollektiver Identitäten zu gewinnen.
Als Kandidaten für solche allgemeinen Mechanismen der Konstruktion sozialer Einheiten
kämen etwa in Betracht9:
9
Die folgende Liste ist sicher nicht vollständig. Zudem enthält sie, so wird der kritische Betrachter einwenden,
Elemente höchst unterschiedlicher Qualität, die kaum auf gleicher Ebene analysiert werden können. So müßte
man beispielsweise zwischen Leitbildern bzw. Leitideen, die dem Konstruktionsprozeß kollektiver Einheiten
zugrunde liegen einerseits und den jeweiligen Verbreitungsmedien andererseits unterscheiden. Die Liste ist
daher lediglich als Aufzählung wesentlicher in der Nationalismusliteratur genannter Mechanismen zu verstehen,
ohne daß hier eine systematischen Untergliederung vorgeschlagen würde.
14

die Traditionskonstruktion, die kollektive Erinnerung an eine gereinigte, heroisierte
Geschichte
 die Verwendung mythischer Elemente, insbesondere von Gründungs- und
Abstammungsmythen
 der Einbau der Grenzziehung zwischen Eigenem und Fremden, häufig aufgeladen im
Sinne des Freund-Feind-Schemas
 die Psychologisierung sozialer Realitäten (kollektives Gedächtnis, Seele des Volkes, Stolz
und Würde der Nation etc.)
 gemeinsame, auf die Zukunft bezogene Zielstellungen und Leitmodelle, in denen sich das
Versprechen einer besseren Zukunft niederschlägt
 der Messianismus; der Glaube, das auserwählte, privilegierte Volk zu sein
 die Existenz entsprechender Verbreitungsmedien wie Sprache, Schrift, Buchdruck,
Printmedien oder elektronischer Medien
 die Vernatürlichung und Verdinglichung des Soziales, dessen Bindung an räumliche,
sprachliche, blutsverwandtschaftliche und andere ethnische Merkmale
 die Veralltäglichungen der Leitbilder in Form von Ritualen, Symbolen, Denkmälern,
Museen etc.
Diese Liste ließe sich fortsetzen. Was hier jedoch vor allem interessiert, sind die Grenzen
dieser Vorgehensweise. Das vordergründig neutrale sozialwissenschaftliche Interesse an
Rekonstruktion – so meine These – ist innerhalb der ideologiekritischen Perspektive der
aufklärerischen Absicht der Dekonstruktion des falschen Bewußtseins und der Entlarvung
zugrunde liegender Interessen untergeordnet. Das letzte Ziel besteht in der Enttarnung
derjenigen Subjekte bzw. Ideologen, die diese Mechanismen in strategischer Absicht
verwenden, um damit bestimmte Machtinteressen durchzusetzen. Demgegenüber bleiben
Fragen, welche Bedürfnisse die Adressaten veranlassen, sich auf solche angebotenen
Identifikationen einzulassen und inwieweit sie selbst Anteil an der Konstruktion kollektiver
Identitäten haben, weitgehend ausgeblendet. Ein solcher Ansatz gilt daher heute vielen
Sozialwissenschaftlern als veraltet. Schon das Wort Ideologiekritik, das man in früheren
Jahren noch als Markenzeichen verwenden konnte, ruft heute bei manchen distanzierte bis
polemische Stellungnahmen hervor. Dennoch, diese Einsicht sollte unbefangeneren
Beobachtern möglich sein, hat die ideologiekritische Perspektive zu wichtigen Einsichten in
die Mechanismen des Gemeinschaft-Machens geführt.
Eine zeitgemäße Transformation scheint der ideologiekritische Ansatz innerhalb moderner
rekonstruktiver (konstruktivistischer) Ansätze gefunden zu haben. Die Stärken und
Schwächen einer solchen Annäherung an das Konzept kollektiver Identität seien im
folgenden erörtert.
Innerhalb dieser Ansätze werden soziale Einheiten als Konstrukte, als Erfindungen, basierend
auf dem „Wissen von Jedermann“ (Berger/Luckmann 1996) untersucht. Die dadurch
hergestellten Gemeinschaften werden als imaginierte Gemeinschaften (Anderson 1983)
aufgefaßt. Anders gesagt: Das alte ideologiekritische Bemühen um die Dekonstruktion des
falschen bzw. illusorischen Bewußtseins wandelt sich zur Frage, welche Vorstellungen,
Überzeugungen und Werturteile von bestimmten Individuen geteilt werden und wie diese
Vorstellungen soziale Realitäten konstituieren. Die Vorzüge solcher Ansätze liegen auf der
Hand: Da sie bewußt von individualistischen Prämissen ausgehen (Berger/Luckmann 1996)
scheinen sie gegen den Einwand, man betreibe eine Substantialisierung sozialer Realitäten,
immun. Da sie das Alltagsbewußtsein bzw. die Vorstellung von Jedermann in den
Mittelpunkt rücken, setzen sie sich nicht dem Einwand aus, den Konstruktionsprozeß zu stark
auf die strategischen bzw. legitimatorischen Diskurse von Eliten zuzuschneiden. Da sie das
vordergründige Interesse an Entlarvung und schonungsloser Kritik zugunsten sachbezogener
Analyse aufgeben, entgehen sie dem Ideologieverdacht, leisten dabei aber zugleich
15
beachtliches bei der Rekonstruktion kollektiver Vorstellungen. Trotz dieser unbestreitbaren
Vorzüge gegenüber einem eng aufgefaßten ideologiekritischen Ansatz bleibt dieser Ansatz
jedoch Mißverständnissen und Zweifeln ausgesetzt, die zu einer genaueren Fassung bzw.
Modifikation des Ansatzes Anlaß geben sollten.
Die erste naheliegende Frage, bezogen auf das Konzept der Nation als Erfindung bzw.
Konstrukt, von weniger wohlmeinenden Kritikern immer wieder gestellt, lautet, wer
eigentlich der Erfinder ist. Zwar beansprucht dieser Ansatz für sich, die kritische Absicht der
Entlarvung von Sonderinteressen zugunsten der Perspektive des neutralen Beobachters
aufgegeben zu haben. Explizit oder implizit liegt aber auch in diesem Fall eine
Subjektsprache zugrunde, schließlich setzt eine Erfindung einen Erfinder voraus. Eine
Subjektsprache impliziert jedoch, daß bestimmte Individuen, mit bestimmten Zielen und
Absichten ausgestattet, bestimmte Wirkungen erreichen wollen. Ist kollektive Identität aber
als eine solche intendierte Folge individueller Handlungsakte anzusehen? Das wäre sicher
nur zum Teil zu akzeptieren. Man muß wohl kaum daran erinnern, daß sich manche
Wirkungen spontan, als nichtintendierte Folge von kollektiv vernetzten Handlungen ergeben.
Zum Beispiel waren die Intentionen derjenigen, die im Oktober 1989 in Leipzig mit der
Losung „wir sind das Volk“ auf die Straße gingen, zunächst noch weit entfernt von dem Ziel,
eine neue staatliche bzw. nationale Einheit zu erstreiten. Wie aber können solche Phänomene
in einem konstruktivistischen Ansatz berücksichtigt werden? Möglicherweise kann der
Einwand entkräftet werden, wenn man zwischen verschiedenen Bewußtseinszuständen bzw.
–niveaus unterscheidet, etwa zwischen
a) Intentionen der Akteure,
b) damit korrespondierenden Selbstbildern,
c) zugrundeliegendem Wissen sowie (partiell unbewußten) psychischen Dispositionen,
d) den
Vergegenständlichungen
dieser
intentionalen
Akte
in
(allerdings:
interpretationsoffenen, historisch sich wandelnden) Sinnordnungen und Symbolsystemen.
Im übrigen – so ein zweiter Einwand - kommt die subjekttheoretische Lesart der
Nation/Region als Erfindung ungewollt dem eingangs zurückgewiesenen ideologiekritischen
Ansatz wieder recht nahe. In dieses Verständnis ist nämlich eine implizite Dichotomie
eingebaut. Den „Erfindern“ bzw. „Konstrukteuren“ stehen üblicherweise die vielen
„Anwender“, „Nutznießer“ bzw. „Adressaten“ der vorgedachten Modelle und Leitbilder
gegenüber. Auch wenn Berger/Luckmann sich in ihrem Ansatz ausdrücklich gegen solch
eine Interpretation im Sinne eines zu einfachen Angebot-Nachfrage-Modells zur Wehr
setzen, die verwendete Subjekt-Sprache hat ihre eigene Logik und leitet das Verstehen
unabhängig von den verkündeten Intentionen der Autoren. Diese Schwächen, so meine
These, der ich hier nicht weiter nachgehen kann, sind nur durch Einbau des Diskursmodells
in das konstruktivistische Paradigma überwindbar.
Zumindest mißverständlich ist der konstruktivistische Ansatz der Nation (Klasse, Region )
als vorgestellter Gemeinschaft drittens auch insofern, als er nahelegt, daß soziale Einheiten
ihre Wirklichkeit nur in der Vorstellung hätten. In Abwehr solcher Fehldeutungen wird in
konstruktivistische Ansätzen üblicherweise auf die Notwendigkeit von Verbreitungsmedien
aufmerksam gemacht (vgl. Luhmann 1988, Anderson 1983). Aus meiner Sicht wäre darüber
hinaus aber zumindest auf Sprache(n) und kulturelle Traditionen zu verweisen, in denen
kollektiv verbreitete psychische Dispositionen vergegenständlicht sind. Zwar wird auch bei
Anderson (1983) die Herausbildung einer einheitliche Schrift-Sprache zu den Bedingungen
nationaler Identitätsbildung gezählt. Er untersucht die Sprache aber nur als Medium, nicht
Element des Konstruktionsprozesses. Die Art der Sprache ist aus seiner Sicht für den
Charakter des jeweiligen Identitätskonstrukts irrelevant. Noch deutlicher gesagt: Welche
Sprache der jeweiligen Identitätskonstruktion zugrunde liegt, wird als zufällig betrachtet,
allein daß eine einheitliche Schrift-Sprache als Verkehrsmittel benutzt wird, ist aus dieser
Sicht notwendig. Hier liegt noch eine alte (bewußtseinsphilosophische) Auffassung der
16
Sprache als eines Transportmittels, mit dem sprachunabhängige Vorstellungen ausgedrückt
werden, zugrunde.
Damit ist eine systematische Unterschätzung der Sprache als
Untersuchungsgegenstand der Sozialwissenschaft verbunden. Der Gedanke der sprachlichen
Konstitution sozialer Einheiten, wie er innerhalb der neueren Sprachphilosophie etwa von
Wittgenstein, Foucault und Searle entwickelt wurde, setzt hier aus meiner Sicht gänzlich
neue Akzente. Nicht nur, das jetzt die diskursiven Praktiken, und nicht die isolierten
Bewußtseinsphänomene (Ideen, Vorstellungen) in den Mittelpunkt der Untersuchungen
rücken. Es wird auch ein einseitiges Sprachverständnis überwunden. Mittels Sprache, davon
müßte m.E. ein modifizierter konstruktivistischer Ansatz ausgehen, werden nicht nur
gemeinsame Vorstellungen verbreitet, in ihr sind auch für bestimmte Gemeinschaft
charakteristische Bedeutungen, kulturelle Praktiken und Lebensformen vergegenständlicht.
Insofern Sprachen bzw. Sprachvariationen diese „kollektiven Identitäten“ in geronnener
Form enthalten, können sie selbst zu wichtigen Quellen und Ressourcen der Identifikation
werden.
Neben Sprachen, so ein vierter Einwand, wären aber noch andere Objektivationen zu
untersuchen, in denen nationale (u.a.) Identitäten Wirklichkeit werden. Das Bild von der
kollektiven Identität als Konstrukt aufgreifend, könnte man sagen: Das Konstrukt ist zwar
Vorlage, Urbild, Schema des Baus, aber es ist noch nicht das Gebäude selbst! Zur
Ausführung der Konstruktion bedarf es immer auch eines entsprechenden Materials.
Gedanken müssen sich an Dinge heften, um Beständigkeit und Reproduzierbarkeit zu
erhalten. Handlungs- und Umgangsformen müssen sich zu Ritualen und Institutionen
verfestigen, den Charakter des Fraglosen gewinnen, um die Individuen von
Verhaltensunsicherheit zu entlasten (Gehlen 1956). Ich stehe daher Versuchen, neue Modelle
kollektiver Identität zu konstruieren, die gänzlich ohne solche Vernatürlichungen und
Verdinglichungen auskommen, skeptisch gegenüber. Die Skepsis resultiert nicht einmal so
sehr daraus, daß innerhalb solcher Vorschläge der zugrunde gelegte normative Rahmen – die
Vorstellung „unbegrenzter Durchsichtigkeit sozialer Zusammenhänge“ – in der Regel nicht
offen gelegt wird. Sie leitet sich vielmehr vor allem aus begrifflichen Überlegungen zum
Charakter der Identifikation ab. Sich identifizieren, hatten wir gesagt, heißt immer, sich als
jemand und mit etwas zu identifizieren. Das setzt sowohl beim Ich als auch beim Gegenüber
(bzw. der Sache) eine gewisses Maß an Beständigkeit voraus. Nur die typologische
Betrachtung des anderen, die einschließt, daß ich ihn nicht in seiner Unwiederholbarkeit,
sondern wie durch einen Schleier, irgendwie verallgemeinert wahrnehme, ermöglicht soziale
Wechselwirkung (Simmel 1992). Beständigkeit und Wiederholbarkeit, so meine These, erhält
eine kollektiv geteilte Verhaltensdisposition, mit der ich mich identifizieren will, nun aber
vor allem dadurch , daß sie sich an äußerlich wahrnehmbare Dinge heftet. Erst durch diese
Verdinglichung und Symbolisierung wird das individuelle (oder kollektive) Selbst für mich
(uns) wie für andere sichtbar repräsentiert und damit anschlußfähig.
Gerade in dieser Hinsicht dominiert jedoch nach wie vor eine ideologiekritische Einstellung,
in der die Verdinglichung sozialer Phänomene als Ausdruck eines falschen Bewußtseins
bekämpft wird. Das läßt sich gut anhand des Ansatzes von Berger und Luckmann
beobachten. Sie weisen zwar einerseits jegliche ideologiekritischen Absichten strikt von sich
weisen, nehmen aber andererseits solche Verdinglichungen, verstanden als
Verselbständigungen sozialer Beziehungen gegenüber dem Handeln der Individuen, immer
wieder sehr kritisch in den Blick (Berger/Luckmann 1996, S. 84 ff.). Positivere Vermerke
und Hinweise findet man da schon eher in der „älteren“ konstruktivistischen Auffassung.
Für Durkheim sind kollektiv geteilte Überzeugungen und Normen zwar konstitutiv für die
soziale Einheit - das weist diesen Ansatz als einen konstruktivistischen aus. Zugleich betont
er aber, daß Symbolisierungen und Verdinglichungen zu den notwendigen
Existenzbedingungen kollektiver Bewußtseinsphänomene gehören. Besonders in seinen
religionssoziologischen Arbeiten geht Durkheim der Frage nach, wie diese kollektiven Ideen
17
dadurch, daß sie sich an natürliche Objekte heften, Stabilität und Reproduzierbarkeit
gewinnen (Durkheim 1994). In der modernen konstruktivistisch ausgerichteten
Sozialphilosophie wurde diese Gedanke meines Wissens ansatzweise nur von Searle
aufgegriffen, der immer wieder betont, daß soziale Tatsachen als Bewußtseinstatsachen auf
„natürlichen Tatsachen“ aufruhen (Searle 1997).
Der sozialkonstruktivistische Ansatz der Nation als Erfindung – damit wäre ich bei einem
fünften Einwand - sieht sich aber noch einem weiteren Mißverständnis ausgesetzt: Wenn wir
umgangssprachlich von Erfindung sprechen, kommt häufig eine negative Bedeutung ins
Spiel. Wir meinen dann, daß es sich um bloße Wunschbilder ohne realen Gehalt (um „bloße
Erfindungen“) handelt. Wird hingegen in konstruktivistische Ansätzen von Nation als
Erfindung geredet, ist nicht gemeint, daß es sich um Vorstellungen ohne Wirklichkeit
handelt. Ganz im Gegenteil: Individuelle Vorstellungen, so Berger und Luckmann,
objektivieren sich in Handlungsdispositionen und Institutionen, sie konstituieren soziale
Wirklichkeiten.
Dabei
besteht
die
spezifische
soziale
Wirkung
solcher
Kollektivvorstellungen, das wird schon bei Durkheim nachgewiesen, darin, daß sie die
Individuen sozial mobilisieren, sie zur Loyalität gegenüber den Mitgliedern der Gruppe
verpflichten, ja, mehr noch, daß sie die Individuen motivieren, zugunsten bestimmter
Gruppenziele „Opfer zu bringen“. Insofern sind die vorgestellten Gemeinschaften immer
auch wirkliche (wirksame) Solidargemeinschaften (Henrich 1993). Offen ist jedoch die
Frage, wie diese Gruppenloyalitäten zu bewerten sind, insbesondere wie partikulare
Solidaritäten und allgemeine Bürgerpflichten gegeneinander abzuwägen sind. Gerade in
dieser Frage, so mein Vorwurf, bietet der konstruktivistische Ansatz keine befriedigende
Antwort. Vielmehr verbleibt er selbst in einer unentschiedenen Position. Man kann
partikularen Solidaritäten und auf die Erhaltung der Gruppe gerichtete Verpflichtungen
ausgehend von dem Naturrechtskonzept universeller Menschenrechte oder bestimmten
Modernisierungskonzepten sehr skeptisch gegenüberstehen (Beck 1993, Habermas 1989),
setzt sich dann aber früher oder später selbst dem Ideologieverdacht aus. Oder man kann die
Solidaritäten in Rahmen der Gruppe und gegenüber der Gruppe zur Originalform bzw. einzig
möglichen Form moralischer Verpflichtung machen (Rorty 1992, Etzioni 1995) und sieht
sich dann zwangsläufig mit dem Vorwurf der Geringschätzung universeller Menschenrechte
und der Hypostasierung von Gruppenidentitäten konfrontiert. Meines Erachtens laufen beide
Positionen auf ein gleichermaßen einseitiges Konzept des Menschseins und ein
komplementär-einseitiges Konzept des In-Gesellschaft-Seins des Menschen hinaus.
Antworten, die aus diesem Entweder-Oder herausführen, wären nur im Feld einer nicht
lediglich phänomenologisch bzw. analytisch verfahrenden Gesellschaftstheorie möglich. Das
überschreitet jedoch die konstruktivistische Perspektive, die vorgibt, sich im Unterschied zur
alten Ideologiekritik wertender Stellungnahmen und entsprechender normativer Setzungen zu
enthalten (vgl. Berger/Luckmann 1996, Searle 1997). Ich komme damit zur Darstellung der
Möglichkeiten und Grenzen einer vierten Annäherung an das Phänomen kollektiver Identität,
von mir als normative (rechts- bzw. politikphilosophische) Perspektive bezeichnet.
Exemplarisch soll hier lediglich auf R. Bubners rechtsphilosophisches Konzept des
Nationalstaates als eines partikularen Allgemeinen eingegangen werden:
Bubner hält die Gegenüberstellung einer universalistischen und einer kommunitaristischen
Theorietradition schlichtweg für verfehlt. Der Nationalstaat sei nicht in Abgrenzung vom
demokratischen und Rechtsgedanken zu bestimmen. Vielmehr, so die provokante
Gegenthese Bubners, stellt er die primäre Verwirklichung der modernen Rechtsidee dar. Er
knüpft dabei an Hegels Idee des Volksgeistes an. Das real wirksame Recht sei nach Hegel
ohne den historischen Kontext nicht zu verwirklichen. Die universelle Rechtsidee bedürfe der
lebensweltlichen Unterfütterung, der Verwurzelung in den
konkreten Kontexten
eigentümlicher Lebensformen. Demgegenüber hänge ein von den empirischen Bedingungen
18
gereinigtes Sollen (die Forderung nach Achtung der Freiheitsrechte als solche) in der Luft, da
sie keine Wirklichkeit in der realen politischen Ordnung habe (Bubner 1993, S. 26 ff.).
Ähnlich wird von anderen Autoren argumentiert. Abstrakt gedachte universalistische
Institutionen befriedigen bestimmte emotionale Bedürfnisse der Menschen nicht, sie seien
keine Heimstätten für die Gefühle der Menschen“ (Fessen 1995, S. 879). Einem solchen
blutleeren, substanzlosen Universalismus fehle, da er die vielfältigen lebenweltlichen
Vermittlungen ausspare, das emotionale Hinterland. Gefährlich wäre eine kollektive
Identifizierung nur dann, wenn die Gemeinschaft allein durch eine integrierende Ideologie
zusammengehalten werde und sie mit einem bestimmten Exklusivitätsanspruch auftrete.
(Bialas 1995, S. 372)
Diese rechts- und politikphilosophischen Versuche einer Rehabilitierung des Konzepts
nationaler Identität setzen sich jedoch dem Einwand aus, ungenügend zwischen
verschiedenen Typen kollektiver Identität zu unterscheiden. Ein letzte Gruppe von
Annäherungen an das Phänomen kollektiver Identität würde ich deshalb unter die Überschrift
„historisch-typologisierendes“ Vorgehen stellen.
Zunächst: Was ist der Problemhintergrund solcher Versuche? Wir hatten festgestellt, daß die
Vorbehalte gegen das Konzept kollektiver Identitität vor allem auf die Beobachtung
zurückzuführen sind, daß dem Konstruktionsprozeß kollektiver Einheiten dichotomische
Denkschemata zugrunde liegen. Das Freund-Feind-Schema, so die Behauptung, sei für den
Prozeß der Herausbildung kollektiver Identitäten konstitutiv.
Man kann in Abwehr solcher vorschnellen Verallgemeinerungen nun die Frage stellen, ob
die Orientierung an einer Negativfolie zwangläufig zum Kern der Identitätsbildung gehört
oder ob andere Arten der Konstruktion kollektiver Identitäten möglich sind. Damit ist in der
Nationalismusliteratur zumeist der Versuch verbunden, verschiedene Typen bzw. Modelle der
Bildung kollektiver Identität zu unterscheiden. So schlägt etwa E. Nolte vor, zwischen einem
aggressiven und einem defensiven Nationalismus zu unterscheiden (Nolte 1993, S. 90f. ).
Dieser Versuch, einen „guten“ von einem „schlechten“ Nationalismus abzuheben, hat eine
lange Tradition: Bereits Durkheim unterscheidet ein Modell des Nationalstaates im Sinne der
Selbstüberschätzung und Aggressivität nach außen von einem anderen Modell, in dem die
nationale Idee an humanistischen Werten orientiert ist und der Nationalstolz mehr nach innen
als nach außen gerichtet ist (Durkheim 1984a, S. 126 f.). Wir wissen heute allerdings mehr
über die Fragilität und mögliche Umkehrbarkeit dieses von ihm bevorzugten Modells.10
In der aktuellen Literatur wird diese Unterscheidung in verschiedener Hinsicht weitergeführt
und begründet: So wird unterschieden:
a) zwischen der Volksnation, die auf Gemeinsamkeiten der Abstammung und Kultur beruht –
hierfür stehe modellhaft Deutschland - und der Staatsbürgernation, für die die Idee der
Menschenrechte und der freien Wahl der Nation konstituierend sei - hierfür sei die
französische Nation beispielgebend (Henrich 1993, S. 95ff.) 11,
b) zwischen modernen westlichen Nationen, die primär durch Pluralität, Konsumdenken und
ideologische Zurückhaltung gekennzeichnet sind und Formen des (östlichen) Nationalismus
als leidenschaftlicher Identifizierung mit einer großen, anonymen Gemeinschaft gleicher
Kultur (Gellner 1993, S. 30 ff.),
c) zwischen einem Nationalstaat, aufgefaßt als multiethnischem Staat (beispielhaft dafür sei
die USA), und ethnisch homogenen Staaten, die eher für die Entwicklung in Europa
charakteristisch seien (Fuller 1993, S. 45 ff.),
10
Durkheim hat sein Modell des defensiven Nationalismus, wo der Stolz mehr nach innen gerichtet ist,
bezeichnenderweise am Vorabend des ersten Weltkrieges entwickelt!
11
Henrich wendet sich aber zugleich sehr deutlich gegen die Verabsolutierung dieser Unterscheidung. Alle
realen Nationsbildungen seien Mischformen aus beiden Typen.
19
d) zwischen einem groben Nationalismus, der im Namen der Nation untilgbare Verbrechen
begangen hat und einem nichtgroben Nationalismus; letzterer sei im Unterschied zu ersterem
definiert durch Rechte, die allen Bürgern gemeinsam zukommen, ungeachtet sprachlicher,
religiöser u.a. kultureller Eigenarten (Dahrendorf 1993, S. 101 ff.),
e) zwischen einer offenen, rechtsstaatlich verfaßten Nation und der Nation im Sinne einer
geschlossenen Gemeinschaft, die auf eine „gereinigte“ Gesellschaft hinausläuft, letztere
Denkungsart würde Haß und Intoleranz gegen andere hervorbringen (Michnik 1993, S. 62
ff.),
f) zwischen einer Nation im Sinne einer integralen Gemeinschaft, die die Tradition
beschwöre und auf transzendente Autoritäten setze und einer Gemeinschaft, die durch
Glaube an die Vernunft und die Ablehnung von Traditionen gekennzeichnet sei (Berlin 1993.
S. 146 ff.).
Die wohl gebräuchlichste Unterscheidung verschiedener Typen der Nation stammt von M. R.
Lepsius. Er schlägt vor, zwischen Volksnation, Kulturnation, Klassennation und
Staatsbürgernation zu unterscheiden. Der letztere Typ der Nation, in dem die Verbindung
zwischen den Staatsbürgern nicht primär durch die Abgrenzung von einem feindlichen
Außen, sondern durch die Anerkennung gleicher universeller Rechte zustande kommt, ist für
ihn der implizite Maßstab der Typenbildung. Er hebt diesen (im Kern normativen) Begriff
der Staatsbürgernation ab vom Begriff der Staatsnation im Sinne bloßer staatlicher
Verfaßtheit der nationalen Gebilde (Lepsius 1993, S. 193 ff.).
Dennoch sind solche Typenbildungen, was ihre empirischen Relevanz betrifft, nicht
unumstritten. Wir stoßen hier wiederum auf das Problem, daß deskriptiv-empirische und
normative Fragen (ob die behauptete Erscheinung sein soll) zu schnell vermengt werden.
Aber nicht nur die empirische Triftigkeit solcher idealtypischen Konstruktionen läßt sich
anzweifeln. Noch prinzipieller wendet Jeismann gegen solche typologischen Versuche ein,
daß damit der Blick auf die prinzipielle Gleichartigkeit der verschiedenen Nationalismen
verstellt werde (Jeismann 1993, S. 9ff.) Mehr oder weniger alle Modelle der Nation würden
mit einem offenen oder versteckten Messianismus arbeiten. Modelle des auserwählten
Volkes aber hätten die Selbstüberhebung und damit die Dichotomie von Eigenem und
Fremden immer bereits zur Grundlage.
Eine andere Schwerpunktsetzung innerhalb der Zuwendung zur Problematik kollektiver
Identitäten nimmt deshalb Thomä vor. Er schlägt vor, an die Stelle der Ambitition auf
„nationale Identität“ den Respekt vor Identitäten treten zu lassen, wie sie sich in
Lebensformen unterhalb dieser Ebene konkretisieren (Thomä 1995, S. 351). Thomä
untersetzt diesen Vorschlag vor allem durch Überlegungen zu Konturen eines
Multikulturalismus, der die kulturelle Verschiedenheit zwischen Ost- und Westdeutschen
ernst nimmt und produktiv macht. Es wären aus meiner Sicht aber auch andere
Ausbuchstabierungen des Ansatzes, beispielsweise in Hinsicht auf die stärkere Beachtung
regionaler Identitäten denkbar. Ein ähnliches Anliegen, die Vielheit kollektiver
Identifizierungen in den Blick zu bekommen, vertritt V. Havel. Er plädiert, ausgehend von
der Kategorie der „Lebenswelt“ dafür, das „Zu-Hause-Sein“ als System konzentrischer
Kreise, die sich um das Individuum legen, zu fassen. Dazu rechnet er sowohl die Gemeinde,
die Stadt, die Familie, das berufliche Milieu, den Betrieb, als auch die Sprache, die man
spreche, das Land, indem man lebe. Selbstverständlich sei die nationale Zugehörigkeit ein
Teil dieses Zuhauses. Dazu gehöre unter heutigen Bedingungen jedoch gleichermaßen
Europa, ja die ganze Welt. Keine dieser Schichten dürfe den anderen ihr Recht bestreiten,
alle Schichten sind nicht wegzudenkende Bestandteile unserer Selbstidentifikation (Havel
1993, S. 129 ff.). Allerdings verzichtet Havel nicht auf die hierarchische Anordnung dieser
Identitätsschichten. Für ihn stellt die Bürgergesellschaft, die auf Universalität der
Menschenrechte basiert, den Kern moderner, zeitgemäßer Identität dar.
20
Auch Henrich argumentiert in diese Richtung. Bezogen auf Europa sei eine Identitätsbalance
vorstellbar, in der regionale und nationale Identitäten mit einer eigenen europäischen
Identität zusammengeführt werden. Er favorisiert im Unterschied zu Thomä und Havel
jedoch nach wie vor die nationale Perspektive (Henrich 1993, S. 59 ff.).
Eine andere Typenbildung, die nicht mit dem umstrittenen Begriff der nationalen Identität
arbeitet und sich daher obigen Vorwürfen nicht auszusetzen scheint, stammt von Clifford
Geertz. Er schlägt vor, zwischen „angestammten Loyalitäten“ (primordial loyalities) und
„bestehenden Einheiten“ (gemeint sind vor allem nationalstaatlich verfaßte politische
Einheiten) zu unterscheiden. Letztere Einheiten, in denen die Fundamente der Selbstheit sich
im Wechselspiel mit den Maschinerien der Macht entfalten, würden auf einer effizienten
Ideologie allgemeiner Identität mit ihrem Kern, einer „eklektischen, synthetisierenden
Meistererzählung“ basieren. Mit dem Begriff der angestammten Loyalitäten sind
demgegenüber partikulare Bindungen gemeint, die nicht vom Beobachter konstruiert werden,
sondern aus dem Gefühl der Gegebenheiten der sozialen Existenz auf Seiten der Teilnehmer
herrühren. Es handle sich um Grundgegebenheiten von Herkommen, Rede, Brauch, Glaube,
Seßhaftigkeit, physischer Erscheinung und Geschichte. Diese angestammten Bindungen
erscheinen aus der Sicht der Teilnehmer als vorhanden und unverrückbar. Den Vorteil dieser
Konzeption partikularer primordialer Bindungen im Verhältnis zum Diskurs über „Nation“
sieht Geertz vor allem darin, daß er die Zerlegung bzw. Unterscheidung der Faktoren
ermögliche, die der Bindung zugrunde liegen. So könne Sprache einigen und die Religion
trennen, es könne aber auch Religion einen und Kultur trennen etc. Außerdem bestehe ein
Vorzug des Konzepts darin, daß es den Historiker vor den verbreiteten
Reduktionsbewegungen beim Diskurs um Identität schütze.(Geertz 1994, S. 392 ff.)
Resümieren wir: Ungeachtet unterschiedlicher Akzentsetzungen scheint unter den
Befürwortern eines modifizierten Konzepts kollektiver Identität Übereinstimmung darüber zu
bestehen, daß die Diskussion zur gemeinschaftlichen Identität nicht allein auf die nationale
Identität zugeschnitten sein darf. Vielmehr sollte, statt Identität als ein monolithisches
Gebilde aufzufassen und die Diskussion einseitig auf gute oder schlechte Nationalismen zu
fokussieren, über kollektive Identitäten im Plural nachgedacht werden.
Welcher Stellenwert regionalen Identitäten in diesem Konzept multipler Identitäten aus
philosophischer Sicht beigemessen wird, möchte ich abschließend darstellen.
4.„Regionale
Identität“
Forschungsprogramms
im
philosophischen
Diskurs:
Konturen
eines
Bezieht man sich in einem Text, der sich an ein philosophisch gebildetes Publikum wendet,
anders als kritisch auf das Problem regionaler Identitäten, muß man mit Vorbehalten rechnen.
So wendet etwa R. Dahrendorf gegen die regionalistische Vision von P. Glotz, daß wir
„kulturell herunter zu den Stämmen und ökonomisch hinauf zu größeren supranationalen
Einheiten müßten“, ein, daß Bürgerrechte gerade auf der politischen Überwindung der
Partikularitäten durch größere nationalstaatliche Gebilde beruhen. Ein adäquater Ersatz für
den Nationalstaat sei gegenwärtig nicht in Sicht (Dahrendorf 1993, S. 106).
Auch Henrich grenzt sich deutlich von Vorstellungen ab, die von der Besinnung auf
regionale Identitäten einen Abbau der gegenwärtigen Identitätsdefizite erwarten. Als
(politische) Handlungssubjekte und Quellen kultureller Kreativität kämen nicht vorrangig
die Stämme, lokalen Stile und Traditionen, sondern nur die Nationen in Betracht. Die Nation
bleibe der primäre Träger der Kultur. Die Lösung für die Identitätsprobleme der Deutschen
sieht er deshalb auch nicht in der Abschaffung der Nation, sondern in einer multiplen
21
Identität. Der Weg zu einem einheitlichen Europa, so Henrichs Schlußfolgerungen, muß für
alle absehbare Zeit über die europäischen Nationen erschlossen werden.(Henrich 1993, S.
59ff.) Wer den Regionalismus gegen die Kulturen zur Geltung bringe, favorisiere in der
Konsequenz nur kleinere Wirtschaftsräume in der Konkurrenz um den Erfolg auf dem
europäischen Markt. Sehr deutlich spricht er von Fehlentwicklungen im Rahmen eines
Europa-Verschnitts, der neben der großen Mobilität in der Welt der Warenproduzenten nur
eine sterile Folklore der Regionen zulasse. So würde Europa auf eine Situation zusteuern, die
mit der Spätphase des ausgehenden römischen Welt vergleichbar sei (Henrich 1993, S. 65).
Gerade diese Hierarchisierung kollektiver Identitifizierungen, in der die nationale Identität an
der Spitze steht, ist jedoch höchst umstritten. Zu fragen ist nicht nur, ob unter heutigen
Bedingungen die Nation überhaupt noch als entscheidender Kulturträger aufzutreten vermag.
Zu fragen ist vor allem, ob sich nicht längst auf regionaler Ebene neue Formen der politischer
Partizipation und entsprechende Institutionalisierungen herausgebildet haben.
Um einen polemischen Begriff von Henrich aufzugreifen: Während inzwischen überall in der
Politik, aber auch in den Sozialwissenschaften „die Advokaten des neuen Regionalismus“ am
Werke sind (auch nur die wichtigsten Standpunkte zur referieren, übersteigt die
Möglichkeiten dieses Aufsatzes bei weitem), hält sich die Philosophie, von einigen noch zu
nennenden Ausnahmen abgesehen, eigentümlich zurück. Sich auf die Region als
Forschungsgegenstand einzulassen, würde nämlich etwas voraussetzen, wozu man bis heute
in der modernen Sozial- und politischen Philosophie überwiegend nicht bereit ist, nämlich
die
dominierende
Perspektive
des
Nationalstaates
bzw.
der
universellen
Weltbürgergesellschaft zumindest zu relativieren.
Könnte aber diese Distanz nicht auch etwas mit dem Gegenstand zu tun haben, der
philosophisch wenig ergiebig ist? Dieser vorschnellen Schlußfolgerung möchte ich jedenfalls für den Bereich der praktischen Philosophie - widersprechen.
Also: Inwieweit kann die regionale Identität zum legitimen Forschungsfeld der praktischen
Philosophie werden?
Für die Sozialphilosophie käme die Region als Thema insofern in Betracht, als es ihr um die
Frage der sozialen Bindungskräfte geht, sie die Bedingungen und konstitutiven Regeln
kollektiven Handelns
untersucht. Wie Simmel es formuliert, lautet eine zentrale
sozialphilosophische Frage: Wie entstehen soziale Einheiten aus Elementen, die selbst
unwiederholbare Einheiten mit einem eigenen Zentrum sind (Simmel 1992, S. 41 ff.). Region
käme hier also weniger als natürliche Bedingung des Handelns als vielmehr als besondere
soziale Einheit , als spezifische Form der Sozialintegration in den Blick. In einem aktuellen
Text kommt Jeismann, ausgehend von einer kritischen Sichtung der Ergebnisse der
Nationalismus-Forschung, zu ähnlichen Folgerungen: Es gehe heute, so Jeismann, um eine
zeitgemäße Theorie der Identifikation als Theorie der sozialen Integration (Jeismann 1993, S.
25 f.).
An dieser transdisziplinären Aufgabe der Untersuchung spezifisch moderner Formen der
Sozialintegration sollte auch die Philosophie mitwirken.
Zuvörderst könnte das geschehen, indem sie ihre Kompetenz in Fragen der Begriffsanalyse
einbringt. Ich beginne daher mit einigen Überlegungen zur Unterscheidung von „regionaler“
und „nationaler Identität“.
Zur Unterscheidung „regionale Identität“ – „nationale Identität“
Wenn wir von Region reden, ist immer ein bestimmter Raumbezug menschlicher Existenz
gemeint. Welche Räume aber lassen sich als Region bezeichnen? Nimmt man die
angesprochene Raumdimension näher ins Visier, scheinen die Grenzen des Begriff der
Region eher zu verschwimmen statt feste Konturen anzunehmen. Das kann damit
zusammenhängen, daß es sich um einen relationalen Begriff handelt. Etwas Region nennen,
so meine These, heißt im Unterschied zu Benennungen als „Nation“ immer, dieses Etwas zu
22
einem übergreifenden Raum in Beziehung zu setzen. Die „Region“ hat in der Vorstellung
niemals eine selbständige Existenz; Region „ist“ etwas als Teil von etwas. Daher schwankt
der Begriffsumfang von „Region“ stark in Abhängigkeit von seinem Bezugspunkt. Je nach
Gegenüber können Kontinente (in Relation zu „Welt“), Bundes-Länder (in Relation zu
„Bundesrepublik“) oder auch wesentlich kleinere Einheiten als Regionen bezeichnet werden.
Sicher scheint andererseits, daß der Begriff der Region, wenn er als sozialwissenschaftlicher
Begriff eingeführt wird, nicht auf beliebig kleinräumige „natürliche“ Einheiten angewandt
werden sollte. Von solchen Verwendungen wie „Regionen des menschlichen Gehirns“ etc.
sehen wir daher ab. Auch sollten wir zwischen dem Lokalen und dem Regionalen
unterscheiden. Obwohl der Begriff der Region wie der Begriff des Lokalen auf den
erfahrenen Lebensraum von Individuen bezogen ist, unterscheidet er sich von letzterem doch
dadurch, daß er in der Regel auf einen Raumbezug abstellt, der nicht durch die
Gleichzeitigkeit des Erlebens der Bewohner und die Möglichkeit direkter persönlicher
Kommunikation gekennzeichnet ist, sondern vielfältige, im wesentlichen anonyme Formen
der sozialen Wechselwirkung beinhaltet.
Charakteristisch für heutige Verwendungen von Region im sozialwissenschaftlichen Diskurs
scheint vor allem zu sein, daß damit soziale Bindungen benannt werden, die quer zur
nationalstaatlichen Organisation sozialen Lebens liegen: Egal, ob es um intranationale
Gliederungen (z.B. Sachsen, Niederlausitz) oder supranationale Einheiten (z.B. sächsischböhmische Grenzregion) geht, immer ist die klassische Organisationsform von Politik, Recht,
Wirtschaft und Kultur, der Nationalstaat, in seiner Funktionalität in Frage gestellt. Eine
mögliche abstrakte Negativbestimmung der Region wäre folglich: Sie ist nicht (mehr) bzw.
noch nicht Nationalstaat.
Für diejenigen, die mit solche abstrakten begrifflichen Ausgangsbestimmungen nicht
zufrieden sind, schließe ich eine These über den historischen „Standort“ des modernen
Phänomens Region an: Das Besinnen auf regionale Identität erfolgt angesichts erfahrener
Unzulänglichkeiten bisheriger nationalstaatlicher Organisation des sozialen Lebens vor dem
Hintergrund europaweiter bzw. globaler Vernetzungen und Beziehungen.
Die sich an solche begrifflichen Vorüberlegungen anschließende Frage lautet nun, aus
welcher Forschungsperspektive regionale Identität angemessen beschrieben werden kann.
Hier sind in Abhängigkeit von der Fragestellung mit Sicherheit mehrere Annäherungen
möglich. Auch „objektive“ Untersuchungen zu dem, was die Region (z.B. „Sachsen“) „als
solche“ ist, durch welche natürlichen, ökonomischen und politisch-administrativen
Besonderheiten sie im Vergleich mit anderen Regionen gekennzeichnet ist, schließe ich nicht
gänzlich aus. Die Frage, die mich interessiert, lautet jedoch eher, in Form welcher
Selbstbilder und Leitvorstellungen die Region Sachsen „gedacht“ wird, wie der vorgestellte
Raum eine kulturell-symbolische Identität gewinnt. Mit einem Satz, es geht darum, wie die
Region „gemacht“ wird. Für die Bearbeitung solcher Fragen bietet sich die im Abschnitt 3
dargestellte konstruktivistische Perspektive, die sich vor allem bei der Untersuchung
nationaler Identitäten bewährt hat, an. Dabei gilt es aber Schwächen des konstruktivistischen
Ansatzes im Auge zu behalten. Mit der konstruktivistischen These, daß es sich „imaginierte
Gemeinschaften“ handelt, ist nämlich noch wenig über die Spezifik des Nation- oder RegionMachens gesagt. Nach Henrich trifft es auf viele soziale Gruppenbildungen zu, daß sie ein
Moment des Konstruktiven haben, an dem menschliche Vorstellungen mitwirken. Henrich
nennt solche Gruppen verallgemeinernd ethnische Gruppen. (Henrich 1993, S. 88)
Die nächste Frage müßte daher lauten: Wie ist der konstruktivistische Ansatz zuzuschneiden,
wenn er auf die Frage des Regionen-Machens angewandt wird? Inwieweit sind Ergebnisse
der Nationalismus-Forschung auf die Untersuchung dieses Prozesses übertragbar?
Zunächst will ich eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten hervorheben:
In beiden Fällen geht es um Formen kollektiver Identifizierung, für die der Raumbezug
konstitutiv bzw. mitkonstitutiv ist. Dabei wird der Raum nicht als natürlicher Raum, sondern
23
in seiner kulturell-symbolischen Überformung identitätsstiftend wirksam. Es handelt sich um
Raumkonstrukte, um Räume als Sinnordnungen. Für beide Konstruktionsprozesse ist
weiterhin charakteristisch, daß die vorgestellten Gemeinschaften durch den Schein von
Natürlichkeit und überhistorischer Dauer stabilisiert werden. Schon ein erster Blick auf die
beiden Diskurse, in denen relativ übereinstimmend von Vaterland (Abstammung), Heimat
(Boden), Volk (Blut), Kultur und (natürlicher) Sprache die Rede ist, macht das deutlich.
Durch diese Verdinglichungen bzw. Vernatürlichungen erhalten die mit dem Motiv
Region/Nation versehenen Handlungsanforderungen ein Moment des unausweichlich
Gegebenen und mir notwendig Auferlegten.
Als spezifischen Solidarverbänden (Henrich), als Formen sozialer Bindung (Durkheim) ist
beiden Integrationsformen gemeinsam, daß sie
 die Individuen auf gemeinsame Ziele einschwören
 ihre Mitglieder zur Solidarität gegenüber den „Mitmenschen“ (gemeint sind jene
Menschen, die man in der Regel nicht persönlich kennt, die aber dennoch in einem
spezifischen Sinne als Gleiche angesehen werden) verpflichten,
 darüber hinaus zur Loyalität gegenüber der Gruppe auffordern, ja häufig von den
Individuen im Namen der sozialen Einheit bestimmte Opfer abverlangen (neutraler
formuliert, die Individuen sozial bzw. politisch mobilisieren)12,
 bis zu einem gewissen Grade zur Vereinheitlichung der Lebensstile der
Gruppenmitglieder beitragen.
Nicht zuletzt auf Grund dieser Funktionalität sind regionenbezogene Identifikationsprozesse
ähnlich wie Formen nationaler Identifikation anfällig für die Rhetorik und
Überredungskünste von Ideologen (Henrich 1993).
Insofern bietet es sich an, den erprobten konstruktivistischen Ansatz unter Einbeziehung
ideologiekritischer Werkzeuge als Instrumentarium für die Untersuchung des RegionenMachens zu nutzen. Dabei müßten die strategischen und reflexiven Diskurse der Eliten einen
Schwerpunkt der Untersuchung bilden13.
Forschungsfragen, die in exemplarischen und vergleichenden Untersuchungen zu bearbeiten
sind, wären:
a) Welche Selbstbilder und Leitmodelle der Region werden entwickelt, welche
„Regiovisionen“ tauchen auf? Dabei fassen wir diese Selbstbilder als Angebote zur
Identitätsfindung, als Muster der Identifikation auf, mit Hilfe derer die „politische Klasse“
dem Raum eine symbolische Identität geben will.
b) Inwieweit liegen dem Regionenkonstrukt messianistische Vorstellungen, Vorstellungen
einer besonderen Aufgabe der Region zugrunde? Kommen Formen regionaler Identifikation
ohne die Idee des „auserwählten Volkes“ aus?
c) Zu welchem Anderen setzt man sich in Beziehung bzw. von welchem Außen grenzt man
sich ab, welche Muster der Grenzziehung werden verwendet (Untersuchung der InnenAußen-Differenz)? Zu vermuten ist, daß als Außen neben dem Nationalstaat oder der
konkurrierenden Region mehr und mehr Europa auftritt.
d)
Welche
mythischen
Elemente,
insbesondere
welche
Gründungsund
Abstammungsmythen (Berding 1995) werden verwendet, mittels welcher geschichtlich
verwurzelter Metaerzählungen soll diese regionale Einheit unterbaut werden?
e) Wie werden die Selbstbilder durch Berufung auf konstruierte Traditionen stabilisiert? An
welches historische Erbe wird angeknüpft, welches wird verworfen, von welchen Ereignissen
12
Wer meint, solche Forderungen seien antiquiert, sollte sich jüngste Reden des Vertreters der
„Bürgergesellschaft“ USA Bill Clinton anschauen, wo er unbefangen davon spricht, sich nach seinen Affären
wieder „dem Dienst an der Nation widmen zu wollen“ (zitiert nach: Freisprüche. Clinton bleibt im Amt, LVZ
vom 13./14. Februar 1999, S.1)
13
Einen anderer Forschungsschwerpunkt müßten Analysen der alltäglichen, sich im wesentlichen spontan
herausbildenden Denkformen bilden, die sich als komplementär oder widerständig im Verhältnis zu diesen
Elitendiskursen erweisen.
24
wird die Geschichte „gereinigt“? Welche historischen Brüche werden aufgemacht, welche
geschichtlichen Kontinuitäten hergestellt?
f) Mittels welcher diskursiver Strategien werden die Differenzen innerhalb des Eigenen (der
regionalen Einheit) ausgelöscht? Welche mythischen Aktanden werden zur Stabilisierung des
Selbst eingeführt, welche Letztbegründungsstrategien, die der Immunisierung des eigenen
Standpunktes gegen Kritik dienen, finden Anwendung? Wir vermuten, daß diese Diskurse
durch eine ausgeprägte Wir-Symbolik, insbesondere die häufige Verwendung des inklusiven
Wir gekennzeichnet sind.
g) Durch welche „Veralltäglichungen“ werden diese Prozesse stabilisiert, welche
„Verdinglichungen“ in Form von Symbolen, Denkmälern, Festen, Preisen etc. lassen sich
nachweisen?
Erste Untersuchungsergebnisse zu diesen Fragen liegen, bezogen auf
den
Konstruktionsprozeß sächsischer Identität, inzwischen vor (vgl. Luutz 1996, S. 35 ff.)
Bei diesen Untersuchungen hat sich jedoch auch gezeigt, daß einer schematischen
Anwendung der Ergebnisse der Nationalismusforschung auf die Untersuchung des Prozesses
des Regionenmachens Grenzen gesetzt sind.
Ein konstruktivistischer Ansatz, der auf die Untersuchung von Regionen zugeschnitten ist,
muß diese Differenzen beachten. Welche Unterschiede lassen sich nachweisen?
Unterschiede ergeben sich einmal in Hinblick auf den Stellenwert des Raumbezugs innerhalb
der Identifikationsprozesse. Wie Lepsius hervorhebt, kann die „Substanz“ nationaler
Identitäten sehr unterschiedlich sein. Die konstruierten Gemeinsamkeiten können
blutsverwandtschaftlicher, territorial-räumlicher, klassen- bzw. schichtmäßiger, religiöser,
sprachlicher, kultureller oder bürgerrechtlicher Art sein. Konstrukte nationaler Identität
bedienen sich niemals nur räumlicher Bindungen, sie scheinen komplexer gebaut zu sein als
Konstrukte der Region. Während der Begriff Nation immer auch ökonomische, politische
sowie kulturelle Gemeinsamkeiten umfaßt (nur daß in manchen theoretischen Modellbildung
davon abgesehen wird), stellt der Begriff der Region primär auf einen bestimmten RaumBezug menschlicher Existenz ab. Formell könnte man also Formen raumbezogener
Identifikation abheben von anderen Formen sozialer Identifikation, in denen der Raumbezug
zurücktritt oder gänzlich (wie im Falle der Identifikation als Mitglied einer Berufsgruppe
oder Schicht) irrelevant wird. So sinnvoll solche Unterscheidungen auch sein mögen: Ich
warne jedoch vor ihrer Verabsolutierung.14 Nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist nämlich
auch die Gegenthese, daß jegliche Formen kollektiver Identifizierung mit einem verdeckten
oder offenen Raum-Bezug arbeiten. Sich identifizieren heißt nämlich immer auch sich zu
positionieren, ein Eigenes (Innen, Selbst) von einem Anderen (Außen, Fremden)
abzugrenzen. Die Festigung dieser Innen-Außen-Differenz verlangt aber nach einer
Verörtlichung bzw. Verräumlichung des Selbst bzw. des Anderen. Das Andere wird als
anders vor allem dann erfahren, wenn es als sichtbar verschieden von mir, an einem anderen
Ort befindlich vorgestellt wird.
So sprechen wir beispielsweise nicht nur von
Sprachgruppen, Kulturgemeinschaften oder Wirtschaftseinheiten, sondern ebenso
selbstverständlich von Sprach-, Kultur- oder Wirtschaftsräumen. Dem Begriff der sozialen
Schicht liegen sogar explizite räumliche Vorstellungen einer Aufschichtung zugrunde. Selbst
eine ethnisch inhomogene „offene Nation“, eine Bürgergesellschaft, die allein an der „Idee
des Verfassungspatriotismus“ (Habermas) orientiert ist, kommt, so Lepsius, nicht umhin, den
Raum abzugrenzen, innerhalb dessen die durch staatliche Sanktionsmittel gesicherten
Bürgerrechte gelten (Lepsius 1993). Wenn also innerhalb mehr oder weniger aller Formen
kollektiver Identifikation mit dem Raumbezug gearbeitet wird, so gilt doch; der Raumbezug
ist für Formen regionenbezogener Identifikation zentral, die Identifikation erfolgt hier in der
14
In solchen Standpunkten scheint mir ein genereller Mangel vieler moderner sozialwissenschaftlicher
Theoriebildungen zum Ausdruck zu kommen, die Unterschätzung des räumlichen Moments der sozialer
Einheitsbildung.
25
Regel im Unterschied zur Nation primär über (kulturell aufgeladene) Räume und erst
sekundär über andere ethnische Merkmale wie Sprache und Kultur.
Unterschiede zwischen regionaler und nationaler Identifikation gibt es aber nicht nur in
Bezug auf den Stellenwert des Raumbezugs, sondern auch hinsichtlich der Art des
Raumbezugs. Zu einfach macht man es sich nämlich m.E., wenn man Unterschiede allein
daran festmacht, daß regionale Räume in der Regel kleiner als nationale Räume seien. Zwar
lassen sich viele Regionenkonstrukte als intranationale Raumordnungen beschreiben, es ist
aber nicht zu übersehen, daß andere Regionen als supranationale („grenzüberschreitende“)
Regionen konstruiert werden. Die These lautet vielmehr, daß die durch Regionen
vorgenommene Raumgliederung nicht voll paßfähig mit der in Nationalstaaten ist, daß sie
sich quer zu nationalstaatlichen Raumordnungen legt. Regionen stellen nicht einfach soziale
Untergliederung unterhalb der Ebene des Nationalstaates dar, die sich in eine vorhandene
hierarchische Ordnung sozialer Einheiten (Familie, Stadt, Land, Nationalstaat)
unproblematisch eingliedern ließen. Vielmehr handelt es sich um Versuche, ehemals
nationalstaatliche Aufgaben und Funktionen neu zu organisieren! Die Besinnung auf die
Region geht häufig mit einem Bedeutungsverlust des Nationalen einher. Neue regionale
Identitäten entstehen zwar zumeist im Schoße des Nationalstaates, sie sprengen aber dessen
Grenzen. Solche Regionalisierungstendenzen sind daher eher ein Ausdruck dafür, daß alte
nationalstaatliche Identitäten an Kraft verlieren, sie zum Teil - wie beispielsweise bestimmte
wohlfahrtsstaatliche Funktionen heute - dysfunktional werden. Hier sind die Befunde und die
entsprechenden Bewertungen allerdings nicht eindeutig. Zuweilen, das soll nicht außer acht
gelassen werden, münden diese regionalen Bewegung selbst wieder in Bestrebungen zur
Neugründung von Nationalstaaten.
Dabei ist ein dominierender Kontext gegenwärtiger Regionalisierungsprozesse – auch das
unterscheidet diese Vorgänge wesentlich von den europäischen Nationenbildungsprozessen
des 18.-20 Jh., der Prozeß der europäischen Vereinigung vor dem Hintergrund globaler
Kommunikationsbeziehungen und weltweiter ökonomischer Vernetzungen. Zum Außen der
Region gehört deshalb nicht nur die (um Ressourcen konkurrierende) Nachbarregion bzw.
der („eigene“) Nationalstaat. In der Regel ist der direkte Bezug auf Europa oder Welt für das
Selbstverständnis der Region konstitutiv. Das geht mit einer schrittweisen Verlagerung
nationalstaatlicher Souveränitätsrechte (Zoll- und Währungshoheit, Festlegung einheitlicher
technischer und Umweltstandards, wirtschaftliche Strukturpolitik, Außen- und
Sicherheitspolitik) an die europäische Zentrale einher.
Aus der These, daß für die Selbstidentifikation als Region der Bezug auf ein übergreifendes
Ganzes (Nation, Europa etc.) konstitutiv ist, ließe sich folgern, daß es grundlegende
Unterschiede in der Auffüllung der Innen-Außen-Differenz zwischen Region und Nation gibt.
Zugespitzt lautet die Frage, ob das „Regionen-Machen“ heute nicht durch so scharfe
Grenzziehungen im Sinne des Ausschlusses des feindlichen Anderen, wie das für die Phase
der europäischen Nationsbildung im 19./20 Jh. nachgewiesen wurde, charakterisiert ist. Eine
eher skeptische Position in dieser Frage wird von Henrich formuliert, der – wir erwähnten es
bereits - angesichts der beobachtbaren Revitalisierung der Regionen in Europa die
Befürchtung äußert, daß es zu einem Wiederaufleben alter Partikularitäten komme könne,
womit ein neuerlicher Zerfallsprozeß Europas eingeleitet werde. Aus meiner Sicht sollten
solche vorschnellen Urteile vermieden werden. Gegenteilige Vermutungen gehen davon aus,
daß die Grenzziehungen im Rahmen regionaler Identifikationen flexibler, beweglicher,
instabiler, kurz „postmodern“ (Hitzler 1998) werden. Das wird zwar kaum zur Aufhebung
aller räumlichen Grenzziehungen führen. Aber die Grenzziehung von Innen und Außen muß
nicht notwendig im Sinne des Freund-Feind-Schemas aufgeladen sein. Es sind andere Typen
der Grenzziehung möglich, die nicht mit so scharfen Ausgrenzungen bzw. Stigmatisierungen
des Anderen arbeiten. Die negative Aufladung des Anderen kann zurücktreten, die
Schwerpunkte können sich von der negativen auf die positive Identifikation verschieben.
26
Identifizierung bedeutet zwar immer Besonderung, aber nicht notwendig Absonderung. Wie
ich in entsprechenden Untersuchungen nachweisen konnte, existieren verschiedene Formen
regionaler Identifikation, in denen das Andere statt als Konkurrenz eher als Ergänzung des
Eigenen angesehen wird. Bezogen auf den „Sachsen-Diskurs“ kommen etwa zur
Anwendung:
-die Grenzziehung Wir-Sie im Sinne des Bildes vom (hilfreichen) Nachbarn
-die Auffüllung der Innen-Außen-Differenz im Sinne der Differenz von Zentrum und
Peripherie
-die Grenzziehung im Sinne der Unterscheidung von Teil und Ganzem, Besonderem und
Allgemeinem (Luutz 1996).
Ob die Konstruktion der Region im Unterschied zum Konstruktionsprozeß der Nation jedoch
gänzlich ohne die „Logik des Entweder-Oder“ (Beck 1993) und damit ohne das FreundFeind-Schema auszukommen vermag, will ich an dieser Stelle offen lassen. Es scheinen,
insoweit sich für den „Sachsen-Diskurs“ messianistische Züge nachweisen lassen,
berechtigte Zweifel angebracht.
Unterschiede werden auch sichtbar, wenn man die für den Konstruktionsprozeß verwendeten
dominierenden Medien vergleicht. Wie Anderson feststellt, ist für viele Modelle der
Nationsbildung die Herausbildung einer gemeinsamen Schriftsprache wesentlich. Folglich
werden als dominante Medien der Nationenbildung vor allem der Buchdruck bzw. später die
Tageszeitung, also Printmedien betrachtet. Heutige Prozesse des Regionenmachens greifen
hingegen, so läßt sich vermuten, stärker auf (elektronische) Medien zurück, die mit dem
gesprochenen Wort arbeiten. Diese neuartige Mediatisierung hat Konsequenzen für den
Identifikationsprozeß selbst. Damit, so meine These, gewinnen nämlich regional verbreitete,
hauptsächlich im mündlichen Sprachgebrauch verwendete Sprachvariationen für die Selbstund Fremdidentifikation als Bewohner einer Region eine ausschlaggebende Rolle.
Untersuchungen zur Renaissance der Dialekte scheinen diese These zu belegen (vgl. LVZ
vom 14./15. 2. 1998).
Schließlich sollte bei einem Vergleich der Formen nationaler und regionaler Identifikation
auch nicht übersehen werden - hier gehe ich auf Einwände Henrichs zu Grenzen der
Regionalisierung ein - daß mit Formen nationaler Identifikation evt. Leistungen verbunden
sind, die nicht ohne Verluste durch regionale Einheiten ersetzt werden können. Eine ganze
Reihe von für den Konstruktionsprozeß der Nation wesentlichen Elementen scheint nicht
bruchlos auf die regionale Ebene übertragbar zu sein. Beck erwähnt, allerdings in kritischer
Absicht, die nationale Wehrpflicht, die traditionell stark auf die Ausbildung nationaler
Solidaritäten ausgerichtet sei (Beck 1993). Eine Regionalisierung der Wehrpflicht scheint
schwer vorstellbar, es sei denn, man will einen neuen Nationalstaat etablieren. Die Region
besitzt also nicht die für die Nation typische „Wehrhaftigkeit“. Mit der Armee fehlt der
Region jedoch auch ein Machtmittel, mit der sie ihre ökonomischen und anderen Interessen
nach außen gegenüber einem konkurrierenden Nachbarn umsetzen kann. Das allein schon
begrenzt die Ausbildung dichotomischer Freund-Feind-Bilder. Ähnlich verhält es sich mit
dem Rechtssystem. Beim modernen Rechtssystem, darauf macht Bubner aufmerksam,
handelt es sich zum größten Teil um nationales Recht. Bürgerrechte sind gegenwärtig nur im
Rahmen des Nationalstaates garantierbar. Der Hinweis auf die rechtlichen Aktivitäten der
Bundesländer entkräftet diese These nicht, denn bekanntlich ist das Länderrecht in der
Bundesrepublik dem Bundesrecht untergeordnet und auf bestimmte nachgeordnete Bereich
beschränkt. Ein drittes Element der Bildung nationaler Einheiten, das nur bedingt auf
Regionen übertragbar ist, ist das nationale Schul-, Ausbildungs- und Hochschulsystem. Hier
könnte man einwenden, daß zu den Errungenschaften der Bundesrepublik die Kulturhoheit
der Länder gehöre. Solange Schul- und Hochschulabschlüsse aber noch allgemein anerkannt
sind, solange es „nationale“ Medien gibt, die sich nicht vorrangig auf ein regionales
Publikum konzentrieren und solange noch eine einheitliche Schriftsprache verwendet wird,
27
scheint dieses durch den Nationalstaat zu gewährleistende Minimum an kultureller Einheit
noch nicht gefährdet. Dennoch hat die Kulturhoheit der Länder schon zu einem beachtlichen
Maß der Differenzierung der Regionen geführt. Daß damit auch die Gefahr des
Provinzionalismus verbunden sein kann (ich denke hier etwa an die Alleingänge einzelner
Bundesländer bezüglich der Rechtschreibreform), daß die Gefahr real ist, daß sich Kultur in
bloße Folklore verwandelt, ist nicht zu übersehen. In dieser Hinsicht könnte Henrich recht
bekommen.
Auch die Zoll- und Währungsunion und damit die Konstituierung eines inneren Marktes,
klassische Funktionen des Nationalstaates (Funktionen, die allerdings heute weitgehend auf
die europäische Zentrale übergegangen sind), werden üblicherweise nicht auf die Region
rückübertragbar sein. Hingegen werden andere wirtschaftsfördernde Funktionen des
Nationalstaates mehr und mehr von Regionen wahrgenommen. Regionen versuchen sich
heute durch aktive Steuer- und Subventionspolitik verstärkt als Wirtschaftsstandorte, als
attraktive Orte für die Produktion überregional agierender Wirtschaftssubjekte anzubieten,
d.h. sie versuchen gerade in Hinblick auf
diese klassischen Funktionen der
Wirtschaftsförderung und der Arbeitsmarktpolitik den Nationalstaat zu ersetzen. Damit treten
Regionen selbst als Konkurrenten im Kampf um die knappen Kapitalressourcen und
innovativen Techniken in Erscheinung.
Halten wir fest: Beide Formen kollektiver Identifikation sind, obwohl historisch miteinander
verflochten, sowohl was ihre sozialhistorischen Hintergründe, ihre konstitutiven Merkmale
als auch ihre sozialen Funktionen betrifft, deutlich zu unterscheiden. Sie sind auch nicht
bruchlos ineinander übersetzbar. Damit bleibt umstritten, wie beide Integrationsformen in
modernen Gesellschaften im Verhältnis zueinander und im Verhältnis zu universellen
Prinzipien und Beziehungen zu wichten sind. Das verweist auf die Notwendigkeit einer
umfassenden Gesellschaftstheorie, einer Theorie der Formen der sozialen Integration in der
Moderne. Eine solche Theorie ist aus konstruktivistischer Perspektive, die ja durch bewußten
Verzicht auf die normative Perspektive gekennzeichnet ist, allein nicht zu leisten. Ohne eine
gesellschaftstheoretische bzw. modernisierungstheoretische Einbettung und ohne eine
korrespondierende Theorie der sozialen Integration, die den „historischen Standort“ dieser
spezifischen Gruppenphänomene klärt, fehlt der konstruktivistischen Beschreibung des
Region-Machens das Fundament.
Welche Stellungnahmen und Erklärungen zum historischen Standort der Region liegen aus
der Sicht der praktischer Philosophie dazu bisher vor?
Stellungnahmen aus sozialphilosophischer Sicht
Aus sozialphilosophischer Sicht dominieren eher kritische Stellungnahmen.
Eine solche kritische Position erwächst einmal aus der in der Sozialphilosophie üblichen
Unterscheidung zwischen vormodernen (traditionalen) und modernen (bzw. postmodernen)
Formen sozialer Bindung. Ausgehend von solchen Unterscheidungen steht man der
Wiederbelebung regionaler Identitäten eher skeptisch gegenüber (siehe Hitzler 1998, Beck
1993). So wird in Becks Theorie reflexiver Modernisierung, die von einer
Enttraditionalisierung und Individualisierung der Lebensformen ausgeht, der
Neonationalismus (wie wohl auch der neue Regionalismus) lediglich unter dem Stichwort
„Gegenmoderne“ eingeordnet. D.h., solche Tendenzen zur Abgrenzung, die der Tendenz der
Entgrenzung im Zeitalter der Globalisierung gegenüberstehn, werden lediglich als eine
mögliche Reaktion auf Tendenzen der Selbstaufhebung der Moderne, als Herstellung neuer
Fraglosigkeit gedeutet. Diese neuen Beschwörungen des „Wir-Gefühls“ seien als Reaktionen
auf erfolgreiche Individualisierungen, und zwar als Reaktionen auf die erlebte Unlebbarkeit
der Individualisierung, die anomische Züge annehme, zu interpretieren. Trotz vorgeblich
analytisch-deskriptiven Perspektive steht Beck solchen Gegentendenzen der Verräumlichung
28
der sozialen und individuellen Existenz sehr skeptisch gegenüber. Allerdings betont er immer
wieder, daß es sich auch bei diesen gegenmodernen Bewegungen um Erscheinungen der
Moderne und nicht um die Rückkehr zu vormodernen Zuständen handelt. Allein deren
konstruierter Charakter weise sie als Bestandteil der Moderne aus.(Beck 1993)
Ähnlich negative Befunde ergeben sich, wendet man sich der sozialphilosophisch
ambitionierten Systemtheorie Luhmanns zu. Zwar wird Luhmanns differenztheoretischer
Ansatz, insbesondere seine sinnstiftende Differenz von Innen und Außen manchmal zur
Begründung der Notwendigkeit räumlicher Grenzziehungen herangezogen. Wie Luhmann
aber immer wieder hervorgehoben hat, versteht er seine Theorie sozialer Systeme primär als
eine Theorie der Weltgesellschaft (Luhmann 1988). Für ihn ist Kommunikation die basale
Operation, die das Sozialsystem konstituiert. Daher komme als Einheit der Gesellschaft im
Zeitalter der Massenkommunikation nur die Weltgesellschaft, und nicht die Region oder
Nation, in Betracht. Auch wenn wir seine Überlegungen zur Grenzziehung einbeziehen, sind
kaum begründete Bezüge herstellbar. Das soziale System konstituiert sich zwar aus seiner
Sicht durch spezifische Grenzziehungen (Inklusion-Exklusion). Aber das Dazugehören bzw.
Nichtdazugehören ist nicht primär räumlich zu verstehen (und im übrigen gar nicht auf
personale Individuen, sondern spezifische Kommunikationen bezogen). Vielmehr geht es
Luhmann um die systeminternen sozialen Ein- und Ausschließungen von
Kommunikationen/Handlungen, wobei die jeweiligen systemimmanenten Codes den Maßstab
der Exklusion/Inklusion bilden (Luhmann 1994). Angeschlossen wird mitunter auch an
Luhmanns Auffassung zur notwendigen Komplexitätsreduktion als Existenzbedingung des
Sozialsystems. Sich auf Luhmann berufend, werden regionale bzw. nationale Identität
mitunter als unerläßliche Reduktion von Komplexität angesichts überkomplexer, für das
Individuum undurchschaubarer sozialer Verhältnisse gedeutet. Allerdings läßt sich der
Luhmannsche Komplexitätsbegriff, der sich sehr allgemein auf die Differenz System-Umwelt
bezieht, aus meiner Sicht nur begrenzt auf diese spezifischen räumlichen Dimensionen
beziehen.
Während Luhmanns Theorie der sozialer Systeme also nur sehr bedingt für das Begreifen des
Problems „regionaler Identitäten“ fruchtbar gemacht
werden kann, trifft das auf
medientheoretische Ansätze, die in Anschluß an Luhmann mit dem Globalisierungstheorem
arbeiten, nicht im selben Maße zu. Region kommt in Globalisierungsansätzen angesichts der
weltweiten Vernetzung der Handlungen allerdings weniger als Ort der Produktion, sondern
vielmehr als Ort der Aneignung und Rezeption von kulturellen Produkten global agierenden
Wirtschaftssubjekte in den Blick (Thomson 1997, S. 881 ff.). Zwar sei heute die Produktion
kultureller Massenprodukte auf einen Weltmarkt zugeschnitten. Dennoch, so wird gegen eine
kulturimperialistische Interpretation massenkultureller Phänomene eingewandt, seien bei der
Aneignung und Nutzung von global verbreiteten Nachrichten, Medienprodukten,
Konsumgütern und Leistungen lokale und regionale Bedingungen des Orts/der Zeit wirksam,
die dazu führen, daß derartige Produkte sehr unterschiedlich genutzt und verschieden
verstanden werden.
Wie läßt sich regionale Identität in der konkurrierenden Sozialphilosophie J. Habermas´
verorten? Innerhalb seines zweistufigen Gesellschaftsmodells, in dessen Mittelpunkt die
Unterscheidung von Lebenswelt und System steht (Habermas 1988a,b), findet Region
zunächst im Lebensweltkonzept Platz. Regionalität wäre hier als Teil der überkommenen
kulturellen Selbstverständlichkeiten und sozialen Bindungen, die Kommunikation erst
ermöglichen, deutbar. Folglich ließe sich regionale Identität als eine Form sozialer
Integration, genauer als Ausdruck einer historisch gewachsenen, partikularen Solidarität
bestimmen. Aber auch Habermas verfolgt, ähnlich wie Beck, implizit kritische Absichten.
Wie er in seiner Theorie der Rationalisierung der Lebenswelt, die er in Anschluß an Webers
These der Entzauberung der Welt entwickelt, darstellt, kommt es in der Moderne zu einer
sukzessiven diskursiven Verflüssigung lebensweltlicher Hintergrundüberzeugungen, zu einer
29
Dauerrevision der Traditionen. Damit aber sei die Identität der Person nicht länger an
vorgefundene feste Rollen (Nation, Region) festzumachen. Es bleibe nur die Möglichkeit der
Selbststeuerung einer hochabstrakten, instabilen Ich-Identität. Bezogen auf die Ebene der
Sozialintegration führe das zu einer Überprüfung historisch-kontingenter, partikularer
Normen und Solidaritäten im Lichte allgemeiner Prinzipien. Die Revitalisierung der
regionalen Solidaritäten käme in diesem Denkweise einer Rückkehr zu vormodernen Mustern
der Integration gleich. Habermas hält sich jedoch eine Hintertür offen. Eine Möglichkeit der
Wiederaufnahme des Themas „regionale Identifizierung“ bietet ihm seine Theorie der
Sozialpathologien der Moderne, der die Lebenswelt-System-Dichotomie zugrunde liegt.
Habermas konstatiert nämlich in der Moderne eine Tendenz zur Mediatisierung und
Kolonialisierung der Lebenswelt. Das bedeutet: die Systemimperative (Macht und Geld)
werden übermächtig, sie schlagen destruktiv auf die kommunikativ strukturierte Lebenswelt
durch und ersetzen den Mechanismus der Verständigung auch dort, wo er für die
Reproduktion der Lebenwelt unverzichtbar ist. Habermas diagnostiziert eine Überlastung der
kommunikativen Infrastruktur in der Moderne, ein Leiden an einer kulturell verarmten,
einseitig rationalen Alltagspraxis. Folglich entstehen aus seiner Sicht neue Konfliktlinien
genau an der Nahtstelle von Lebenswelt und System, in den Bereichen der kulturellen
Reproduktion, der sozialen Integration und der Sozialisation. Hier nun haben regionale
Bewegungen ihren Platz. Es sind aus seiner Sicht eher Widerstands- als
Emanzipationsbewegungen. Im Unterschied zur alten Politik, die um die Fragen der
Sicherheit und Verteilung kreise, gehe es in dieser neuen Politik eher um das Problem der
Selbstverwirklichung und Partizipation (also um den Ausgleich von Identitätsverlusten und
sozialer Bindungslosigkeit). Damit sei eine Aufwertung des Partikularen, historisch
Gewachsenen, der Wunsch nach überschaubaren sozialen Räumen und entspezialisierten
Tätigkeiten verbunden. Kurz: Diese Bewegungen lassen sich als Widerstand gegen
Tendenzen der Kolonialisierung der Lebenswelt begreifen. Das Ziel bestehe in der
Eindämmung formal organisierter zugunsten kommunikativ strukturierter Lebensbereiche. Es
solle damit die Revitalisierung von Kommunikationsmöglichkeiten gefördert werden
(Habermas 1988b, S. 449 ff.).
„Regionale Identität“ aus kulturphilosophischer Perspektive
Einer der wenigen Vertreter der zeitgenössischen Philosophie, der sich explizit und dabei
nicht vordergründig ablehnend dem modernen Phänomen des Regionalismus zuwendet, ist
Hermann Lübbe. Mit seinem kulturphilosophischen Ansatz will ich mich daher etwas
intensiver auseinander setzen.
Lübbe geht zunächst typologisch vor. Er unterscheidet insgesamt 6 verschiedene Typen von
europäischen Regionalismen, angefangen von politischen Bewegungen, in denen ethnische
Minderheiten ihre Volksgruppenrechte festigen wollen über separatistische Bewegungen zur
Lostrennung von einem Nationalverband bis hin zu grenzüberschreitenden Regionen (Lübbe
1989, S. 30ff.) Von Vertretern der neutral beobachtenden Sozialwissenschaften unterscheidet
sich Lübbes Ansatz jedoch insofern, als er versucht, diese Prozesse der Revitalisierung
regionaler Bewegungen und Identitäten auf der Grundlage bestimmter modernisierungs- und
zivilisationstheoretischer Annahmen zu rechtfertigen bzw. zu erklären.
Lübbe wendet sich gegen eine in der Philosophie der Gegenwart dominierende abfällignegative Behandlung des Regionalismus. Charakteristisch für solche Herangehensweisen sei,
daß regionale Bewegungen als antimoderne Erscheinung bzw. als Konservierung
vormoderner Lebensformen betrachtet würden. Der Regionalismus, so Lübbe, sei mehr als die
nostalgische Beschwörung alter, längst überlebter Identitäten, er sei in seiner politischen Form
auch nicht mit kulturellem Provinzionalismus gleichzusetzen. Lübbe verkennt zwar nicht die
Gefahren, die mit einer Besinnung auf regionale Identität verbunden sind (vgl. etwa Lübbe
1985, S. 21 f., Lübbe 1989, S. 39 f.). Dennoch handelt es sich bei der Revitalisierung
30
regionaler Identitäten aus seiner Sicht um ein spezifisch modernes Phänomen, das aus der
Entwicklung moderner Gesellschaften zu erklären sei.
Lübbe geht dabei von einer Diagnose der Trends moderner zivilisatorischer Evolution aus,
auf die hier ausführlich nicht eingegangen werden kann (siehe zusammenfassend Lübbe
1997, S. 3 ff.). Seine Hauptthese lautet: Die Gegenwartszivilisation ist durch eine
beispielhafte Dynamik gekennzeichnet, zugleich hat der dynamische Zivilisationsprozeß
globale
Dimensionen
angenommen.
Ein
hauptsächlicher
Faktor
dieses
Beschleunigungsprozesses ist die Zunahme des (wissenschaftlichen) Wissens, das in
Technologien umgewandelt, unsere realen Lagen dynamisch ändert (Lübbe 1989, S. 133).
Entscheidend für Lübbes Vorgehen ist nun, daß er diese Trends der
industriegesellschaftlichen Moderne nicht einseitig kulturkritisch in den Blick nimmt oder
fortschrittspessimistisch relativiert sehen will. Für Lübbe gibt es kein Zurück zu einfachen
Gesellschaften; weder ist Fortschrittsverzicht für ihn ein gangbarer Weg noch vertraut er auf
neue Utopien, die eine Beseitigung aller Unzulänglichkeit der bisherigen Evolution in naher
oder ferner Zukunft versprechen. Seine These lautet vielmehr, daß wir uns in den Grenzen des
Fortschritts einrichten müssen. Dieses „Einrichten“ setzt aber die Herausbildung von
„Entschädigungen“ voraus. Lübbe konstatiert ausgehend von der (aus der
Wirtschaftswissenschaft bekannten) These eines sinkenden Grenznutzens ein wachsendes
Ausmaß an „negativen Folgekosten“ des zivilisatorischen Fortschritts, das durch
entsprechende kulturelle bzw. politische Prozesse aufgefangen werden müsse (Lübbe 1989, S.
104). Diese These vom abnehmenden Grenznutzen des Fortschritts bildet auch den Horizont
für seine Erklärung des gegenwärtig zu beobachtenden Phänomens des Regionalismus. Lübbe
arbeitet dabei mit drei miteinander verzahnten Hypothesen:
a) Kompensationshypothese
Zentral für den Erklärungsansatz von Lübbe ist der Begriff der Kompensation. Mit der
zunehmenden Dynamik des zivilisatorischen Modernisierungsprozesses schrumpft die
Gegenwart, von ihm als Zeitraum
bestimmt, für den wir mit relativ konstanten
Lebensbedingungen rechnen können (Lübbe 1997, S. 33). Damit ist aber zugleich ein
Schwund an Vertrautheit verbunden. Wird die Lebensumwelt zu stark geändert, wird sie zu
einer fremden. Das führt dazu, daß die Traditionen mehr und mehr entwertet werden. Dieser
Schwund an Vertrautheit müsse aufgefangen werden. Traditionen seien unersetzlich. Als
geronnene Erfahrung sichern sie kulturelle Lebensformen gewohnheitsmäßig. Ohne eine
Entlastung durch kulturelle Selbstverständlichkeiten seien jedoch weder Individuen noch
Institutionen handlungsfähig. Das Problem moderner Gesellschaften sei also nicht die
Starrheit und Übermächtigkeit der Tradition, sondern umgekehrt ihr Schwinden. In einer
dynamischen Zivilisation werde Tradition zu einem sehr knappen Gut (Lübbe 1989, S. 58
ff.). Folglich sei mit der Dynamik der modernen Zivilisation die Nötigung zur Entwicklung
von Kompensationen verbunden. Modernisierungserfahrungen und Fortschrittswille treiben
als Ausgleich das historische Bewußtsein hervor. Über Leistungen des historischen
Bewußtseins halten wir unsere eigene Vergangenheit als Vergangenheit zuschreibungsfähig.
Die Leistungen des historischen Bewußtseins seien für die moderne Identitätsbildung
unverzichtbar. Sie ermöglichten eine Antwort auf die Frage, wer wir sind. Eine Form der
Kompensation neben der Musealierung von Relikten sei der Regionalismus. Unter
Regionalismus versteht Lübbe eine Form des politischen Historismus. Es handle sich um den
politischen Anspruch auf Bewahrung von Herkunftsbedingungen einer Region bzw. Kultur
gegenüber der destabilisierenden dynamischen Zivilisation. (Lübbe 1985, S. 12 ff.)
Regionalismus lebe aus der Notwendigkeit der Kompensation von Gefahren des kulturellen
Identitätsverlustes. Nicht um Flucht in die Vergangenheit gehe es, sondern um Bemühungen
der Erhaltung der Herkunftsidentität in der Absicht der Stabilisierung unserer
Zukunftsfähigkeit. Lübbe wörtlich: „Es sind Bewegungen der Vergegenwärtigung und
Verlebendigung regionaler Herkunftsprägungen in der Absicht der Kompensation eines durch
31
die zivilisatorische Wandlungsdynamik bedingten kulturellen Vertrautheitsschwundes.“
(Lübbe 1989, S. 38.).
b) Komplementaritätshypothese
Als globaler Prozeß, der kaum einen Landstrich und eine Menschengruppe auslasse (Lübbe
spricht in diesem Zusammenhang vom Trend zur Entwicklung geschlossener Netzwerke) ist
die zivilisatorische Evolution durch eine Tendenz zur Homogenisierung der Lebensformen
gekennzeichnet. Exemplarisch stehe für diese Einebnung kultureller Differenzierungen im
Konsumbereich Coca Cola, im Bereich der Verkehrssprachen die Durchsetzung des
Englischen oder im massenkulturellen Bereich die weltweite Vermarktung von Produkten der
Unterhaltungsindustrie. Es bilden sich herkunftskulturindifferente Internationalismen heraus
(Lübbe 1997, S. 7 ff.) Komplementär zur Tendenz der Homogenisierung entwickle sich aber
das Bedürfnis nach kultureller Besonderung. Je mehr sich die Lebenszusammenhänge
vereinheitlichen, desto größer sei das kompensatorische Interesse, aussagbar zu halten, was
uns voneinander unterscheidet. Die Fast-Food-Industrie und das Regionalkochbuch, die
Ausbreitung des Englischen und die Wiederbelebung regionaler Dialekte stünden zueinander
in einem Komplementärverhältnis (Lübbe 1985, S. 19 ff.). Anders formuliert wachse das
Interesse an der Erhaltung der besonderen Herkunftskultur komplementär mit der Menge
dessen, was uns in modernen Gesellschaften gemeinsam sei. Vereinheitlichung und
Differenzierung der Lebenswelten bedingen sich wechselseitig (Lübbe 1989, S. 34 f.).
c) These der Verlagerung der Souveränitätsrechte
Die vor allem in früheren Schriften entwickelte kulturphilosophische Mikrosicht der
Sicherung von Identität in einer dynamischen Welt, die deutlich auf bestimmten
anthropologischen Fundamenten aufruht, wird in späteren Schriften relativiert und ergänzt
durch eine Makrosicht der gesellschaftlichen Selbststeuerung bzw. -organisation. Nun
betrachtet Lübbe die Erklärung regionaler Identitäten im Sinne einer Kompensation für
negative Folgeschäden als falsch bzw. zumindest als einseitig. Regionale Bewegungen
werden jetzt eher politiktheoretisch und nicht kulturphilosophisch begründet. Im Mittelpunkt
dieses partiellen Neuansatzes steht der Begriff der Komplexität. Mit der zivilisatorischen
Komplexität nehmen – so Lübbe - die Chancen zentraler Steuerung gesellschaftlicher
Entwicklungen ab. Allein schon informationell seien zentralistische Organisationen
überlastet. Daher werde unter heutigen Bedingungen der klassische Zentralstaat als historisch
überlebte, nicht zukunftsfähige Organisation erkennbar. Der Zentralstaat war die
Organisationsform für primär agrarisch geprägte Gesellschaften, währenddessen lasse sich die
moderne Industriegesellschaft auf Grund expandierender Abhängigkeiten und prinzipiell
offener Zukunft nicht mehr zentral organisieren. In zivilisatorisch verdichteten Netzen erhöhe
sich daher der Zwang zur Selbstorganisation durch kleinere Kommunitäten. Es vollziehe sich
ein Prozeß der Verlagerung der Souveränitätsrechte weg vom Nationalstaat, ohne daß es zu
einer generellen „Überwindung“ nationaler Identitäten komme. Einerseits habe er faktisch
schon eine Reihe von Souveränitätsrechten an die europäische Zentrale abgegeben.
Andererseits müßten viele Entscheidungen in die betroffenen Regionen verlagert werden. Der
Beteiligungswille der Bürger bringe sich vor allem vor Ort zur Geltung. Insofern seien
politische Institutionen mit kontinentaler Zugehörigkeit zu ergänzen durch regionales
Engagement bzw. föderale Bewegungen. Europäisierung und Regionalisierung betrachtet er
daher unter politischen Gesichtspunkten als komplementäre Entwicklungen. Dabei ist für ihn
die Schweiz mit ihrem ausgeprägten Föderalismus ohne herausgehobenes Zentrum das
Modell Europas (Lübbe 1997, S. 18 f, S. 102 ff.)
Lübbes Ansatz verdient eine ausführlichere Kritik. Welche Schwächen weist dieser Ansatz
aus meiner Sicht auf?
Insgesamt dominiert in Lübbes Erklärungsansatz der Begriff der Kompensation, auch wenn
dieser Ansatz in späteren politiktheoretischen Überlegungen relativiert wird.
Der
Grundgedanke ist: Kulturelle Prozesse der Besonderung werden sekundär nötig als Ausgleich
32
der Folgelasten primärer Fortschrittlichkeit. Der Erfolg unseres Handelns ist durch
unerwünschte Nebenfolgen belastet, von denen wir uns durch bestimmte Kompensationen
entlasten (Lübbe 1989, S. 79). Der Kompensationsansatz erweist sich aus meiner Sicht in
verschiedener Hinsicht als zu eng. Zum einen ist regionale Identität nicht allein als kultureller
Ausgleich für Defizite der Modernisierung, als Reaktion auf negative Folgen zu deuten.
Vielmehr ist sie selbst ein Vehikel dieses Prozesses, vollzieht sich ökonomische
Modernisierung heute zumindest teilweise im Gewand der Regionalisierung. Zum anderen
gilt es, die Prozesse des Regionen-Machens zu untersuchen, Prozesse, in denen Regionen auf
der Grundlage bestimmter ökonomischer und politischer Interessen in strategischer Absicht
hergestellt werden. Da Lübbe das Phänomen des Regionalismus sehr stark an historisch
gewachsene Herkunftsprägungen bindet, muß ihm diese Untersuchungsrichtung, die zudem
mit ideologiekritischen Instrumentarien arbeitet, suspekt bleiben.
Weiterhin gilt: Der Kompensationsansatz wie auch die Komplementaritätsthese beruhen auf
bestimmten anthropologischen Voraussetzungen. Zugrunde liegt die Annahme bestimmter
menschlicher „Urbedürfnisse“ nach Vertrautheit und Wiedererkennung, die auf Grund
bestimmter mit Modernisierungsprozessen verbundener Schädigungen kompensatorisch
befriedigt werden müssen. Das Individuum weise - schon allein bedingt durch seine begrenzte
Lebenszeit - eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität auf. Um dennoch
Orientierungssicherheit zu gewinnen und sein „Ich“ in dieser dynamisch sich entwickelnden
Welt zu bewahren, ist es auf die Schaffung von Zonen der Vertrautheit und Stabilität
angewiesen. Diese anthropologischen Annahmen sind aber, so plausibel sie auch klingen
mögen, wie alle anthropologischen Argumentationen dem Einwand ausgesetzt, daß es sich um
nicht weiter ableitbare Letztbegründungen handelt. Aber es geht mir nicht allein um die
Grenzen eines Erklärungsansatzes, der auf bestimmten anthropologischen Fundamenten
aufruht. Selbst wenn wir von solchen tiefsitzenden menschlichen Bedürfnisstrukturen
ausgehen könnten, bleibt ein anderes Begründungsdefizit zu konstatieren: Was Lübbe
nahelegt, was sich aber keinesfalls von selbst versteht, ist, daß sich diese Urbedürfnisse nach
Besonderung und Verhaltenssicherheit vor allem in Form des Regionalismus äußern. Warum
sind gerade Regionen Träger von Herkunftskulturen, warum nicht größere nationale Verbände
oder kleinere lokal bzw. familiar organisierte Entitäten? Was also fraglich und damit
begründungsbedürftig ist, ist die unterstellte Verbindung von Herkunftskultur und Region.
Kritische Anmerkungen sind daher vor allem zu Lübbes Begriff der Herkunftswelten bzw.
Herkunftskulturen angebracht. Seine These lautet, daß Identitätsbildung an partikulare,
besondere Herkunftswelten gebunden ist. Die Identifizierung mit einer Herkunftswelt erlaube
die Frage zu beantworten, woher ich komme und wer ich bin. Dieser Begriff wird von Lübbe
als mehr oder weniger evident vorausgesetzt, ist jedoch aus meiner Sicht in verschiedener
Hinsicht problematisch. Zentral für seine genauere inhaltliche Fassung scheinen die Begriffe
Familie, Kultur und Identität sein. Lübbe wendet sich allerdings gegen eine naturalistische
bzw. nativistische Interpretation . Es gehe nicht oder nicht in erster Linie um eine
Gemeinsamkeit des Blutes. Das „Blut“ der Herkunftswelt ist die gemeinsame, wesentlich in
familiären Kontexten erworbene Kultur einschließlich der Sprache. Dennoch läuft die Rede
von kulturellen Herkunftswelten, die die schwindende Vertrautheit in der modenen Welt
kompensieren sollen, auf die Auszeichnung von etwas Beständigem, dem
Modernisierungsprozeß Vorausliegendem bzw. sich als ihm zumindest als widerständig
Erweisendem hinaus. Hier setzt meine Kritik an:
a) Inwieweit sind diese „natürlichen“ Herkunftswelten ideologisch stabilisiert, massenmedial
erzeugt, durch Eliten gesteuert? Noch zugespitzter formuliert, könnte man fragen, ob die
gemeinsame Herkunftskultur, die, wie Lübbe hervorhebt, als Geschichte erzählt wird, nicht
selbst ein Mythos ist. Lübbe selbst regt solche Gedanken an, wenn er im Zusammenhang
mit der Musealisierung als Trend in modernen Zivilisationen nach Strategien der Auswahl
von Bewahrenswertem fragt oder wenn er Regionen erwähnt, die „künstlich“ entstanden
33
sind. Er bewertet solche Prozesse aber eher als Ausnahme. Weder ist seine Absicht die
generelle ideologiekritische Destruktion solcher Modelle noch
führen ihn diese
Randbemerkungen zu einer konstruktivistischen Brechung seiner Auffassung von
„Herkunftskultur“.
b) Nach Lübbe erlaubt die Besinnung auf die Herkunftswelt dem Individuum, sein besonderes
Ich angesichts homogenisierender Tendenzen der modernen Zivilisation zu behaupten. Zu
fragen ist jedoch, ob durch die Erhaltung von Relikten der Vergangenheit die besondere
Identität dauerhaft zu sichern ist. Lübbe selbst verwendet mitunter das aus der
Gebäudesanierung vertraute Bild der „Entkernung“. Lübbe interpretiert diesen für
moderne Gesellschaften charakteristischen Umgang mit der Vergangenheit jedoch
überwiegend positiv; nur wenn die alte Hülle mit neuer Funktionalität aufgefüllt werde,
sichere das die Zukunftsfähigkeit. Verkommt aber hier die besondere Herkunftskultur nicht
zur bloße Folklore, zum auswechselbaren Kleid einer weltweiten Massenkultur, ist die
Besonderheit nicht lediglich eine Besonderheit des Scheins, die es nur äußerlich erlaubt,
das besondere Ich in Abhebung von einer homogenisierenden Welt zu erhalten?
c) Lübbe verlangt, daß man die Herkunftskultur nicht vordergründig räumlich verstehen darf.
Identität, so seine These, sei durch die Zeit ungleich stärker geprägt als durch den Raum
(Lübbe 1989, S. 44). Die auf den ersten Blick wenig verständliche Setzung wird plausibel,
wenn man an die Folgen räumlich verstandener kultureller Selbstbehauptungsprozesse
denkt. In einer mobilen, durch vielfältige Wanderungsbewegungen gekennzeichnete Welt
sind nämlich herkunftshomogene Räume kaum noch vorhanden. Ein Verständnis der
Herkunftskultur im Sinne von räumlich eingegrenzten sozialen Einheiten hätte die
Vertreibung der Vertreter der fremden Kultur vom „eigenen Ort“ zur Folge. In diesem
Zusammenhang wendet sich Lübbe gegen die Zielbestimmung des Regionalismus im
Sinne der Schaffung kulturell homogener Räume. Hier bleibt zunächst zu konstatieren, daß
Lübbe in seine funktionale Beschreibung des Regionalismus ein systemfremdes
normatives Moment einbaut (der Regionalismus müsse sich hüten, den Raumbezug zu
bornieren). Außerdem: So real die negativen Folgen einer ethnisch verstandenen
Regionalität sind und so ehrenwert daher entsprechende normative Setzungen sein mögen;
es fällt schwer, eine Herkunftskultur ohne Herkunftsort zu begreifen. Lübbes Argument,
daß sich spezifische Kulturen auch an „fremden Orten“ zu reproduzieren vermögen (wie er
das für die jüdische Kultur oder die polnische Identität in den USA nachzuweisen
versucht), ist nicht stichhaltig, denn hier haben sich die Kulturen vor allem durch
verörtlichende Abgrenzung nach außen (Ghettoisierung, Versammlung an einem heiligen
Ort - der Synagoge bzw. Kirche, Versammlung an einem profanen Ort - dem heimischen
Herd) erhalten. Gerade das „Judentum“ ist ja durch das Streben nach Rückgewinnung des
heiligen Ursprungsorts gekennzeichnet, ein Streben, das zwangsläufig in der Gründung des
Staates Israel mündete. Um übrigen vermag auch Lübbe die obige These in seiner
Beschreibung der Herkunftswelten nicht immer konsequent durchzuhalten. Mitunter
verwendet er selbst räumliche Bestimmungen (vgl. z.B. Lübbe 1997, S. 46). Räumliche
Verortung und kulturelle Selbstbestimmung hängen enger zusammen als Lübbe es bereit
ist zuzugestehen.
d) Die Auffassung der Existenz besonderer kultureller Herkunftswelten unterhalb der Ebene
des Nationalstaates sieht sich nicht nur mit dem durchaus umstrittenen Einwand
konfrontiert, daß der primäre Träger der Kultur bis in die Gegenwart doch der
Nationalstaat sei (Henrich 1993), sondern muß umgekehrt auch mit der Frage rechnen,
warum die kulturelle Besonderung denn mit den heute bekannten Regionen zum Abschluß
kommen sollte. Erfahrungsgemäß ist eine Minderheit, die ihr Recht auf kulturelle
Selbstbestimmung erfolgreich eingeklagt hat, auf darunterliegender Ebene selbst schnell
Ansprüchen von Minderheiten bzw. lokalen Interessengruppen ausgesetzt. Es gibt in
diesem Prozeß der Besinnung auf Besonderung keine absolute Grenze, es sei denn die
34
Grenzen werden politisch gezogen. Wird die spiralförmige Bewegung der Besonderung in
Gang gesetzt, bleibt begründungsbedürftig, warum sie an einem bestimmten Punkt zum
Stillstand kommen soll.
e) Nicht ganz einsichtig ist schließlich die generelle Behauptung, daß der Regionalismus
nichts mit Provinzionalismus zu habe. Unklar ist insbesondere, woraus Lübbe seine
Überzeugung speist, daß der europäische Regionalismus der Gegenwart sich nicht gegen
das richte, was alle Menschen vereint (die Idee allgemeiner Menschenrechte), sondern es
lediglich um das allgemeine Recht auf Anderssein gehe (Lübbe 1989, S. 34 f.). So sehr das
zu wünschen wäre: Geschichtlich hat sich immer wieder gezeigt, wie im Namen der
Bewahrung kultureller Identität die Rechte anderer Gruppen mißachtet wurden. Zumindest
müßten mögliche Konfliktfelder benannt werden und Wege institutioneller Regelung
aufgezeigt werden, wenn solche generellen Behauptungen aufgestellt werden.
Ein weiterer Kritikpunkt: Lübbes Ansatz liegt ein bestimmter, um das Konzept „kultureller
Herkunftswelten“ zentrierter Begriff der Identität
zugrunde. Lübbe grenzt sein
Identitätskonzept besonders von emanzipatorischen Konzepten, die wie Marx lediglich das
universell-Menschheitliche betonen, ab (Lübbe 1983, S. 101). Identität sei stets das Resultat
einer besonderen Herkunftsgeschichte. Als Übereinstimmung mit uns selbst sei Identität vom
Ausmaß mitbestimmt, in dem wir uns zu der jeweils eigenen Vergangenheit zustimmend zu
verhalten vermögen (Lübbe 1989, S. 135). Die Antwort auf die Frage, wer wir sind, hat stets
die Form einer erzählten Geschichte. Das gelte sowohl autobiographisch für das Individuen
als auch für Institutionen, ja ganze Nationen (Lübbe 1985, S. 17).
Als Resultat unserer Herkunftsgeschiche sei Identität nicht zu finden in den
Letztgegebenheiten von Landschaft, Stamm, Volkscharakter etc. Dennoch sei Identität keine
Fiktion, die durch bloße Propaganda zu erzeugen und durch das historische Bewußtsein zu
entlarven sei. Ohne solche Zugehörigkeiten seien weder Individuen noch Gruppen oder
Institutionen lebensfähig (Lübbe 1989, S. 38).
An diesem kulturellen, auf die Konservierung besonderer kultureller Traditionen gerichteten
Identitätskonzept ist besonders kritikwürdig, daß hier Identität lediglich „rückwärts“, in
Richtung auf die Konservierung kultureller Herkunftsbestände und nicht „vorwärts“, in
Richtung auf die Erreichung gemeinsamer Ziele bestimmt wird. Zwar ist die Besinnung auf
die kulturelle Herkunftswelt, in der ich meine Identität finde, für Lübbe kein nostalgischer
Prozeß der Rückbesinnung, sondern funktional auf die Bewältigung der dynamische
Gegenwart und die Herstellung von Zukunftsfähigkeit ausgerichtet. Aber für die Struktur der
Identifizierung selbst wird diese Ausrichtung auf die Zukunft als irrelevant angesehen.
Warum übersieht Lübbe diese für die Bildung kollektiver Identitäten konstitutive
Zukunftsperspektive? Das hängt vor allem mit Lübbes negativer Einstellung zur
Geschichtsphilosophie und parallel dazu mit seiner Polemik gegen die Berechtigung von
Utopien in der Politik zusammen. Entsprechend seinem Modell der Modernisierung steht
nicht der Fortschritt in seinen Zielen in Frage. Die Ziele Wohlstand, Sicherheit und Frieden
seien weiterhin konsensfähig. Gegenwärtige Krisenprozesse seien keine Zielkrisen, sondern
lediglich Steuerungskrisen.
Insofern wird angesichts wachsender Dynamik unserer
Gegenwartszivilisation auch keine neue Geschichtsphilosophie, keine Reideologisierung des
öffentlichen Lebens gebraucht. Es gehe lediglich eine „behutsamere Fortbewegung auf der
Grundlage der maximalen Konservierung von zukunftsträchtigen Herkunftsbeständen“.
Dieser verengte Blickwinkel muß zwangsläufig zur Unterschätzung der auf die Zukunft
bezogenen Dimension von Identität führen. Demgegenüber wird in vielen anderen
Identitätskonzepten darauf hingewiesen, daß die Frage danach, wer wir sind bzw. woher wir
kommen, sich nur vermittelt über die Frage, wer wir sein wollen, beantworten läßt. Kollektive
Identität, das ist nicht nur die gemeinsame Herkunftswelt, sondern vor allem ein mitreißenden
Zukunftsprogramm. Mehr noch: Erst ausgehend von diesem gemeinsamen Projekt wird die
gemeinsame Vergangenheit „erfunden“ . Nichts hat, so Ortega Y Gasset, für die Menschen
35
Sinn außer in Bezug auf ihre Ziele (in: Jeismann/Ritter 1993, S. 277 ff.). Ein
Forschungsprogramm, das sich der Untersuchung des Konstruktionsprozesses regionaler
Identitäten zuwendet, muß daher neben der Traditionskonstruktion immer auch die Leitbilder
und Zukunftsprojektionen ins Auge fassen.
Zum Ort „regionaler Identität“ in der politischen Philosophie
Wie läßt sich regionale Identität im Rahmen der politischen Philosophie verorten?
Politische Philosophie, soweit sie universalistisch allein an der Naturrechtsidee universeller
individueller Menschenrechte und nicht kommunitaristisch an besonderen ethnisch fundierten
Gemeinschaften ausgerichtet ist, wird der Region eher distanziert gegenüberstehen. Von
dieser Idee ausgehend wäre der Regionalismus als ein Wiederaufleben alter partikularer
Bindungen, verbunden mit der Gefahr des Neuaufbrechens bewaffneter Konflikte, zu
verurteilen. Politische Subjekte, die sich lediglich auf die Wahrnehmung der Interessen
bestimmter Regionen und Landsmannschaften konzentrieren, würde man ausgehend von
einseitig verstandenen universalistischen Prämissen eher ablehnend gegenüberstehen.
Der sozial-historische Raum kommt in der politischen Philosophie erst dann verstärkt in den
Blick, wenn man das Problem des Kontextes und der Motivation für politisches Handeln
ernster nimmt (Thomä 1995, S. 349 ff.). Allerdings ist Ausmaß und Notwendigkeit dieser
lebensweltlichen „Unterfütterung“ der Idee universeller Rechte zwischen Universalisten und
Kontextualisten höchst umstritten. Wenn eine solche lebensweltliche Verwurzelung der
Menschenrechte betont wird, dann zumeist auf Basis des nationalstaatlichen Paradigmas
(Henrich 1993, Bubner 1993, Rorty 1992).
Neue politikwissenschaftliche Überlegungen in Richtung eines „regionalen Staates“ brechen
jedoch mit diesem überkommenen (national)staatlichen Paradigma von Politik. Den
Hintergrund bilden häufig Forderungen nach höherer Effektivität staatlicher Leistungen bzw.
nach Beschränkung wohlfahrtsstaatlicher Funktionen. Auch werden neue Anforderungen an
die Politik zur Förderung von Wirtschaftsstandorten geltend gemacht, die über bisherige
regionale staatliche Strukturpolitik zur Angleichung der Lebensverhältnisse im nationalen
Maßstab weit hinausgehen (Biedenkopf 1994). Hier handelt es sich um Politikmuster, in
denen politische Eliten „ihre“ Regionen als die besten Standorte für Investitionen
überregional agierender Wirtschaftssubjekte im Kampf mit konkurrierenden Regionen
präsentieren.
Die Region wird auch wiederentdeckt im Rahmen neoliberaler Konzepte eines „begrenzten
Staates“ (Murray 1996), in denen ausgehend von den Zwillingsbegriffen Freiheit individuelle Verantwortung die Rolle freiwilliger Assoziationen, insbesondere
nachbarschaftlicher bzw. kleinräumigerer Solidaritäten betont wird. Ebenso tragen neuere
demokratietheoretische Überlegungen
vor dem Hintergrund der zum Teil als
Demokratieabbau
empfundenen
europäischen
Zentralisierungsprozesses
zur
Neuthematisierung der Region bei (Brunkhorst 1997, S. 895 ff.). Im Mittelpunkt steht dabei
der Gedanke der Subsidiarität, d.h. die Vorstellung, die staatlichen Entscheidungsprozesse auf
die niedrigstmöglichen Ebene zu verlagern. Das ist der Ansatzpunkt für Forderungen nach
Umverteilung politischer Kompetenzen weg vom Nationalstaat hin zu den Ländern, Regionen
und Kommunen. Auch bei Beck (1993) finden wir ähnliche Überlegungen: Ausgehend von
der These, daß sich die alten nationalstaatlichen Institutionen (beruhend auf dem LinksRechts-Schema und dem Primat der Sicherheitsinteressen) mehr und mehr verbraucht haben,
analysiert er unter dem Stichwort „Subpolitik“ bzw. „Erfindung des Politischen“ neue
Politikmuster. Diese - unter anderem in Form regionaler Bewegungen auftretend - würden
dazu führen, daß die Individuen in die Politik zurückkehren.
Resümee
Wagen wir trotz „neuer Unübersichtlichkeit“ ein kurzes Resümee:
36
Der
Sonderforschungsbereich
hat
sich
entschlossen,
regionenbezogene
Identifikationsprozesse vorzugsweise in einer konstruktivistischen Perspektive zu
untersuchen. Wir sollten an dieser Entscheidung festhalten, den konstruktivistischen Ansatz
aber selbst als unabgeschlossenes Projekt, also als Forschungsaufgabe verstehen. Offen ist aus
meiner Sicht u.a. die Frage, ob es sinnvolle Verwendungsweisen des Begriffs kollektiver
Identität gibt, die wir unseren Untersuchungen zugrunde legen können. Meine These in
diesem Zusammenhang lautete, daß die forschungsstrategisch richtige Entscheidung,
regionenbezogene Identifikationsprozesse zu untersuchen, uns nicht vom Begriff der
„kollektiven Identität“ befreit. Zudem sollte die Anwendung der konstruktivistischen
Perspektive von einem Bewußtsein über deren „blinden Flecke“ begleitet sein. Eine Grenze
bisheriger konstruktivistischer Ansätze sehe ich darin, daß sie vor allem für die Untersuchung
von Formen nationaler Identifikation entwickelt wurden. Die These der Nation als einer
imaginierten Gemeinschaft ist zwar auf die Region (und andere soziale Einheiten)
übertragbar, sie lenkt den Blick aber noch nicht auf die Untersuchung der Spezifik des
Region-Machens. Strittig ist aber darüber hinaus, wie beide modernen Formen der sozialen
Bindung zueinander ins Verhältnis zu setzen und zu wichten sind. Das überschreitet die
analytisch-phänomenologische Perspektive des konstruktivistischen Ansatzes. Antworten
führen in das Feld der normativen Gesellschaftstheorie, traditionell ein Feld philosophischer
Reflexion.
Das Herangehen an das soziale Phänomen „regionale Identität“ innerhalb von
Sozialphilosophie und politischer Philosophie ist jedoch bisher noch ein überwiegend
kritisches bzw. dekonstruktives. Das hängt mit der Dominanz eines einseitig verstandenen
universalistischen Prinzips in der Sozialphilosophie oder mit der in der modernen Staats- und
Rechtsphilosophie favorisierten nationalstaatlichen Perspektive zusammen. Wenn Region
anders als dekonstruktiv in den Blick genommen wird, dann unter dem anthropologischen
Aspekt der Kompensation für negative Folgen des Modernisierungsprozesses oder unter dem
damit verbunden Blickwinkel eines Widerstandspotentials gegen systemische Übergriffe.
Die Schwächen solcher Ansätze liegen auf der Hand. Weder kommt in den Blick, wie
Regionen heute in strategischer Absicht durch politische Eliten hergestellt werden, um damit
bestimmte wirtschaftliche und politische Interessen durchzusetzen. Noch wird ausgehend von
solchen Stichworten wie „Gegenmoderne“ und „Protestbewegung“ regionale Identität anders
denn als rückwärtsgewandte Reaktion auf Tendenzen der Globalisierung begriffen.
Der Sonderforschungsbereich sollte sich das ehrgeizige Ziel setzen, etwas zum Abbaus dieser
gesellschaftstheoretischen Leerstellen beizutragen. Entsprechende Bemühungen müßten aus
meiner Sicht in der Entwicklung einer Theorie der Formen der Sozialintegration in der
Moderne münden. Innerhalb dieser Theorie wäre dem Begreifen der Formen regionaler
Identifikation anders als bisher üblich ein wesentlichen Platz einzuräumen.
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