Politik der Staatszerstörung

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"Politik der Staatszerstörung"
INTERVIEW HANNES KOCH
taz: In Ihrer Studie "Grenzen der Privatisierung" versuchen Sie den großen Wurf. Sie
stellen die Politik der Privatisierung staatlicher Wasserwerke, Schulen,
Sozialversicherungen und Unternehmen grundsätzlich in Frage - und damit auch die
neoliberale Globalisierung. Kann es eine gute Privatisierung geben?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: In den ehemals kommunistischen Staaten Mittel- und
Osteuropas gibt es viele gute Beispiele. Für die Menschen dort ist die Privatisierung
manchmal wie ein Ausbruch aus einem Gefängnis gewesen. Ein gutes Beispiel ist das Leasing
der Wasserversorgung von Rostock durch das deutsch-französische Privatunternehmen
Thyssen/Ondeo.
Dort sind die Preise für die Kunden ziemlich gestiegen.
Aber sie bewegen sich im erträglichen Bereich. Die Preiserhöhung ermöglicht die
Finanzierung der Investitionen, ohne sie hätte die Firma die maroden Leitungen nicht sanieren
können. Wenn Privatkapital in öffentliche Infrastruktur investiert wird und dabei eine faire
Verzinsung herauskommt, finde ich das in Ordnung. Aber diese Sorte von Privatisierung ist
eine für reiche Länder, wo es echte Armut eigentlich nicht gibt. In der Dritten Welt ist die
Privatisierung häufig damit verbunden, dass arme Leute sich Wasser oder Bildung dann nicht
mehr leisten können.
Der afrikanische Staat Sambia hat ab 1992 sein größtes Staatsunternehmen verkauft,
einen Bergbaukonzern. Die neuen Eigentümer, zwei US-Firmen, stießen alles ab, was
der Staatskonzern bis dahin finanziert hatte: Schulen, Energieversorgung,
Krankenhäuser. Weil auch die Zahl der Arbeitsplätze drastisch abnahm, setze ein
Exodus der Bevölkerung aus den betroffenen Gegenden ein. Ein krasses Beispiel oder
die Regel?
In Sambia ist das sehr schlecht gelaufen. Die Mehrzahl der sechzig Beispiele in unserem Buch
beschreiben negative Auswirkungen.
Kennen Sie überhaupt positive Fälle aus Entwicklungs- oder Schwellenländern?
In Mexiko war das Telekommunikationssystem Ende der Achtzigerjahre schlecht, ineffizient
und teuer. Es wurde privatisiert. Und es wurde modern, preisgünstig und schnell. Die
Regierung von Uruguay dagegen hat die Telekommunikation selbst modernisiert und hat nun
das vielleicht leistungsstärkste Netz ganz Südamerikas - in Form eines Staatsunternehmens.
Am anderen Ufer des Rio de la Plata, in Argentinien, ist die Privatisierung währenddessen
weitgehend gescheitert.
Was müsste passieren, um Privatisierungsprojekte sozialverträglich zu machen?
Man muss das Dogma der Privatisierung vor allem in der Entwicklungspolitik untergraben.
Die Lösung aller Probleme in der Zurückdrängung des Staates zu sehen, ist pure Ideologie.
Unser Bericht schildert, dass manche Staaten die einfachsten Formen der Grundversorgung
ihrer Bevölkerung nicht mehr hinbekommen. Sie haben ihre Einwohner abgeschrieben.
Danach kommen dann die Apologeten des Marktes und beschreien das Versagen des Staates,
das ihre Politik teilweise selbst herbeigeführt hat. Wir haben es mit einer Delegitimierung des
Staates zu tun. Diese Politik der Staatszerstörung ist ungerecht und muss politisch entlarvt
und bekämpft werden.
Wollen Sie Macht für den Staat zurückerobern?
Allerdings. Jeder fordert doch heute good governance - gutes Regieren. Vor allem angesichts
der rund dreißig Länder der Erde, in denen sich die lebensnotwendigen staatlichen Funktionen
weitgehend aufgelöst haben. Das sind die so genannten failed states - ein enormer
zivilisatorischer Rückschritt.
Was sollten Regierungen konkret beachten, wenn sie ihren Besitz verkaufen?
Die jeweilige Staat oder ersatzweise auch Geberländer müssen in Verträgen mit den privaten
Käufern strikte Rahmenbedingungen formulieren: Welche Qualität soll beispielsweise das
Trinkwasser haben, werden die Wohnquartiere der Armen an das Leitungsnetz
angeschlossen? Außerdem müssen die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu
sozialverträglichen Preisen gewährleistet werden. In Entwicklungsländern ist genau das
häufig das Problem.
Man muss immer damit rechnen, dass die privaten Käufer die festgelegten Standards
nicht einhalten. Was dann?
Dann muss der Staat das Recht haben, Strafen zu verhängen und die Konzession
zurückzunehmen. Das Interesse der Aktionäre der Privatfirma darf nicht verabsolutiert
werden.
taz Nr. 7291 vom 23.2.2004, Seite 5, 149 Zeilen (Interview), HANNES KOCH
Beispiel 1: Wasser für Manila
Die Wasserversorgung der philippinischen Hauptstadt Manila galt lange als Paradebeispiel für
eine funktionierende Privatisierung. Der Weizsäcker-Report revidiert diese Einschätzung.
Einer der beiden privaten Mitbetreiber des Wassernetzes hat den Vertrag mit der Regierung
gekündigt und fordert Entschädigungen. Offenbar hielten die allgemein als richtungsweisend
betrachteten Rahmenbedingungen des Vertrags - Begrenzung des Preisanstiegs, Ausdehnung
des Netzes in die Slums - der Realität nicht stand. Obwohl die tatsächlichen Preise für die
Verbraucher seit 1997 auf das Dreifache stiegen, reichte das nicht aus, um den Finanzbedarf
der privaten Anteilseigner um Suez/Ondeo zu stillen. Jetzt ist der Streit bei Gericht anhängig.
KOCH
taz Nr. 7291 vom 23.2.2004, Seite 5, 25 Zeilen (TAZ-Bericht), KOCH
Beispiel 2: Strom für Südafrika
Eskom, der noch staatliche Stromversorger Südafrikas, schließt nach Angaben der Regierung
jeden Monat knapp 30.000 Haushalte zusätzlich an das Stromnetz an. Seit 1994 sind
angeblich rund vier Millionen Anschlüsse hinzugekommen. Die Weizsäcker-Studie beruft
sich nun auf ein alternatives Forschungsinstitut, das diesen Zahlen andere entgegenhält. Im
Zuge der Vorbereitung auf die bevorstehende Privatisierung habe Eskom ein rigides
Kontrollprogramm aufgelegt, um ihre Tarife durchzusetzen. Eine Folge davon: Dreimal so
viele Anschlüsse wie neu verlegt werden, würden monatlich abgeschaltet, weil die Kunden
ihre Rechnungen nicht bezahlen könnten. Insgesamt sinke der Stromverbrauch in Südafrika ebenfalls ein Indiz für die schlechter werdende Versorgung. KOCH
taz Nr. 7291 vom 23.2.2004, Seite 5, 27 Zeilen (TAZ-Bericht), KOCH
Beispiel 3: Universitäten für Tansania
Seit Beginn der 90er-Jahre betreibt die tansanische Regierung die Privatisierung der
Hochschulausbildung. Im Jahr 2000 standen 3.069 Plätze an den staatlichen Universitäten zur
Verfügung, 3.145 an privaten Instituten und Colleges. Letztere erheben zumeist
Studiengebühren. Stipendien für ärmere Studenten gibt es kaum. Einen
"einkommensabhängigen Prozess der Selektion in Schul- und Universitätsausbildung"
analysiert deshalb der Weizsäcker-Report. Damit habe die Privatisierung der Unis zur
"sozialen Ungleichheit" beigetragen. Der Prozess der Privatisierung erschien der Regierung
freilich als einziger Weg, um die Zahl der Studienplätze überhaupt zu erhöhen. Aufgrund der
schlechten wirtschaftlichen Lage in den 90er-Jahren fehlte das Geld, um die staatlichen
Universitäten mit ausreichenden Investitionen auszubauen. KOCH
taz Nr. 7291 vom 23.2.2004, Seite 5, 29 Zeilen (TAZ-Bericht), KOCH
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