© Rainer Weidlinger, Wien 2007 „Die Fleischerfrauen“ von Rainer Weidlinger Matthias Schönerer Gasse 3/1 A-1140 Wien 0043-1-94 21 557 [email protected] Tragikomödie, 90 Minuten GROSSSTADT, MITTAG Die heiße Sonne steht im Zenit. Wir werfen von einem Balkon im 9. Stockwerk eines betongrauen, aus den 60er Jahren stammenden Plattenwohnblockes einen Blick über die stark verbaute Vorstadt. WOHNUNG MARIA, INNEN, MITTAG Abgewohnte Räume. Totales Chaos, zerstörtes Mobiliar, zerbrochene Weinflaschen und Gläser. Inmitten der Verwüstung liegt ein Fotorahmen mit einem vergilbten Foto, das ein junges, verliebtes Pärchen zeigt. Im Vorraum sehen wir eine frische Blutspur, die sich bis nach hinten zum Badezimmer zieht. In der Küche steht mit dem Rücken zu uns MARIA, die sich seitlich an die Arbeitsfläche der schmierigen Einbauküche lehnt. Sie blickt abwesend aus dem Fenster. Maria ist 30 Jahre alt. Sie trägt eine Pyjamahose und einen BH, über die Schulter hängt eine karierte Decke. Auf ihrem Körper sehen wir zahllose blaue und violette Blutergüsse, auf ihrem Gesicht sind frische Blutspritzer. Ihre rechte Hand ist blutverschmiert, sie trägt einen Ehering. WOHNUNG JACKIE, INNEN, MITTAG Das Telefon LÄUTET. JACQUELINE, in Folge JACKIE, sitzt mit Strapsen, hochhackigen Stöckelschuhen und Pelzmantel bekleidet auf der Bettkante und sieht fern. Das Telefon steht gleich daneben am Nachtkästchen. Jackie hebt ab. 1 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (flötende Stimme) Jackie spricht, hallo? WOHNUNG MARIA, VORRAUM, INNEN Maria steht im Vorraum und telefoniert. MARIA Hallo, Jackie. Ich bin es! WIR SCHNEIDEN ZWISCHEN JACKIE UND MARIA VOR UND ZURÜCK. JACKIE Ah, du! Servus! MARIA Kommst du rauf, bitte! JACKIE Maria, es tut mir leid, ich kann jetzt wirklich nicht, ich habe Dienst. MARIA Jackie, kommst du bitte rauf? Sekunden vergehen, Jackies Blick wird nachdenklich, kritisch. JACKIE Ist was passiert? Maria schweigt. JACKIE Maria? Was ist passiert? 2 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Jackie, kommst du BITTE rauf? JACKIE Aber für höchstens fünf Minuten! Und wehe, es ist nichts Wichtiges! SCHNITT AUF WOHNUNG MARIA, BADEZIMMER, INNEN POV Leichnam in der Wanne Jackie blickt durch die zurückgezogenen, weißen Duschvorhänge in die blutverschmierte Badewanne. Sie achtet penibel darauf, nicht irgendwo anzustreifen. Etwas dahinter steht Maria, sie blickt verlegen zu Boden. JACKIE Ich scheiß' mich an! Ich habe ja gewusst, dass irgendwann einmal was passiert, aber… aber gleich so. Maria starrt auf Jackie, geht einen Schritt auf sie zu. MARIA Hilfst du mir? Jackie atmet tief aus, grübelt. Maria blickt Jackie verzweifelt an. JACKIE Sicher! Maria umarmt Jackie und beginnt zu weinen. Jackie erwidert zögerlich die Umarmung. Die beiden verharren so eine Weile. JACKIE He! Wozu hat man eine beste Freundin? Jackie wirft einen verstohlenen Blick in die Wanne. Jetzt drückt Jackie Maria wieder von sich weg, diese steht rotzend vor ihr. Jackie blickt auf ihre Schulter, um zu sehen, ob sie nicht angerotzt wurde. Alles sauber. 3 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Und vor allem schnäuzt du dich jetzt einmal, okay? Jackie greift in ihre Seitentasche und reicht Maria ein Taschentuch. JACKIE Da, nimm, sonst rotzt du uns ja noch die Wohnung voll. Maria muss aufgrund dieser Wortmeldung etwas lachen, nimmt das Tuch entgegen und PFFFFFFFFFF, schnäuzt kräftig rein. Jackie beobachtet das Schnäuzen mit etwas Abscheu. JACKIE So ist es gut! Besser jetzt? Maria nickt, wischt noch einmal über die Nase, steckt das Tuch weg. MARIA Danke! Danke, dass du da bist und mir hilfst! JACKIE Ist schon gut! MARIA Und wie geht' s jetzt weiter? Jackie blickt überrascht auf Maria, atmet tief aus. JACKIE Äh, gute Frage: Wie geht' s jetzt weiter? Ich muss das auch erst einmal…, ich meine, das ist ja nicht... warte mal. Sekunden vergehen, in denen absolutes Schweigen herrscht. Beide schauen ratlos in der Gegend herum, bis sich die Blicke der beiden Frauen wieder treffen. JACKIE Willst du einen Schnaps? Maria schüttelt verneinend den Kopf Jackie holt den Flachmann aus der Innentasche ihres Pelzmantels. 4 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Ich schon! Den brauche ich jetzt zum Denken! Sie nimmt einen kräftigen Schluck. Jackie packt den Flachmann wieder weg. Sekunden vergehen. MARIA Du, ich habe mir ja 'schon was überlegt gehabt. Jackie blickt überrascht auf Maria auf JACKIE (überrascht) Du hast dir schon… . Und was hast du dir da so überlegt? Maria kommt noch näher, steigt etwas nervös von einem Fuß auf den anderen. MARIA Das habe ich mal in der Zeitung gelesen! JACKIE Und was hast du da gelesen? MARIA Hör zu! HAUS, AUSSEN, NACHMITTAG Maria kommt durch die Tür nach außen. Sie hat einen großen Strohhut mit der Aufschrift 'Bibione' auf. Ihr langer, grauer, uralter Mantel mit aufgestelltem Kragen weht im Wind. Sie hat eine Sonnenbrille mit übergroßen schwarzen Gläsern auf. Maria blickt verstohlen durch die Gegend, senkt den Kopf und marschiert los. Die Wohngegend ist wahrlich nicht die beste: grau und eng mit vielen, alten, heruntergekommenen Häusern mit aufgelassenen Geschäften. 5 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 WOHNUNG JACKIE, SCHLAFZIMMER, NACHMITTAG Jackie steht vorm Schlafzimmerspiegel und posiert mit einem pinkfarbenen Trainingsanzug vor dem Spiegel. OFF: Das Telefon KLINGELT. WOHNUNG MARIA, BADEZIMMER, NACHMITTAG POV Leichnam in der Wanne RATSCH! Die Duschvorhänge werden nach links und rechts gezogen. Jackie und Maria knien sich vor die Wanne. Jackie hält eine wuchtige Motorsäge in Händen. JACKIE Okay, dann! MARIA Warte! Maria schnauft noch einmal kräftig durch. Jackie beobachtet sie verwundert. JACKIE Geht' s jetzt? MARIA Jetzt geht's! Jackie zögert noch eine Sekunde, hebt die Säge, senkt die Säge. JACKIE Wo ist denn eigentlich das Messer? MARIA Was für ein Messer? JACKIE Naja, mit dem du ... Jackie führt Stichbewegungen aus. 6 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Ist schon weg! JACKIE Ja und wo? MARIA Gewaschen! JACKIE Wo? MARIA Im Geschirrspüler! JACKIE Mit Klarspüler? MARIA Sicher! JACKIE Sehr gut! Jackie wendet sich wieder der Leiche zu. Sie startet die Motorsäge, RÖMMMMM, die mit gewaltig hohem Lärmpegel und einer riesigen Abgaswolke losrattert. Maria und Jackie schrecken auf. Jackie stellt den Motor wieder ab. JACKIE Ich scheiß' mich an. MARIA Was ist? JACKIE Bist du taub? Das Ding ist viel zu laut, da hört ja der ganze Proletenbau mit. MARIA Und die Leute werden sich fragen, was wir mit einer Motorsäge hier herinnen anstellen? 7 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Eben! Wir brauchen etwas zum Dämpfen, damit das Gerät nicht so laut ist. MARIA Warte mal, ich haben ein Idee. JACKIE Nämlich? SCHNITT AUF Jackie und Maria knien wieder vor der Wanne. Um die Motorsäge haben sie sehr behelfsmäßig einen Kopfpolster gewickelt, den sie mit Spagat befestigt haben. Die Säge rattert vor sich hin. Als Jackie die Säge zum Zersägen senkt, spritzt eine gewaltige Blutfontäne den beiden entgegen. Die beiden schrecken auf. Jackie stellt neuerlich die Säge ab. JACKIE Verdammte Scheiße noch einmal! Die beiden erheben sich hektisch, starren an sich runter. JACKIE So geht das nicht. Schaut dir das mal an, wie ich aussehe! Überall das Blut, und das auf dem Jogger. Der ist neu. Nein, also wirklich! Scheißdreck, verdammter! MARIA Ob das wieder rausgeht? JACKIE Das muss raus gehen. MARIA Ich habe eine Idee. JACKIE Wenn die wieder so gut ist, wie die vorige, geh ich sofort nach Hause. Weil eigentlich müsste ich sowieso arbeiten. 8 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Keine Sorge! SCHNITT AUF Jackie und Maria stehen jetzt, nur mit Unterhosen bzw. Strapsen und BH und den knallbunten, etwas zu groß geratenen Gummihandschuhen bekleidet, vor der Wanne. Maria ist sehr schmächtig und zierlich, Jackie stark gebaut. Beide tragen Schutzbrillen, wie sie für die Arbeit mit einer Schleifmaschine verwendet werden. Jackie senkt die Säge und schneidet. Der Widerstand des Leichnams lässt die Motorsäge immer wieder stärker hochfahren und gibt hochfrequente, quietschende Geräusche von sich. Blut spritzt in hohen Fontänen auf den Duschvorhang. SCHNITT AUF WOHNUNG MARIA, KÜCHE, INNEN Es herrscht absolute Ruhe. Maria steht an der Arbeitsfläche angelehnt und raucht eine Zigarette. Jackie sitzt am Rand der Eckbank, vor ihr der Flachmann und die Schutzbrille. Beide tragen nach wie vor nur ihre Slips und die BHs. Beide sind mit Blutspritzern übersät. Die blutverschmierten Handschuhe haben sie jeweils vor sich abgelegt. Jackie nimmt einen kräftigen Schluck. MARIA Jackie? JACKIE Hm? MARIA Ich möchte mich bei dir noch einmal bedanken, dass du mir so hilfst. Ohne dich hätte ich mich schon längst umbracht, glaube ich. JACKIE So schnell bringt man sich nicht um, glaub' mir das. 9 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Ich sage trotzdem schon einmal 'Danke'. JACKIE Schon gut! Und weil wir gerade beim Arschstreicheln sind: Du hälst dich aber auch sehr gut, ehrlich! MARIA ICH habe wohl keine andere Wahl, oder? JACKIE Jetzt nicht mehr. MARIA Ich glaube, ich habe noch nie eine gehabt. JACKIE Hast du schon! Maria blickt auf Jackie. JACKIE Nur hast du das Falsche gewählt. MARIA Das bestimmt. Jackie richtet sich auf JACKIE Das kann aber jeden passieren. Maria nickt, blickt eindringlich auf Jackie. Jackie nimmt noch einen Schluck, nimmt die Handschuhe, steht auf, nähert sich langsam und ganz nah Maria. JACKIE Ab jetzt... wird alles anders. Und es wird gut! Sie schließt die Augen und will Maria einen zärtlichen Kuss geben. Maria weicht zurück. 10 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Tut mir leid, Jackie, aber…das hier jetzt ändert daran gar nichts, okay? JACKIE Ist okay! Jackie geht in Richtung Bad und zieht sich die Handschuhe wieder an, so als wäre rein gar nichts passiert. Maria blickt Jackie verwundert hinterher. JACKIE (beim Hinausgehen) Kommst du? MARIA Komme! Maria folgt ihr nach. SCHNITT AUF WOHNUNG MARIA, BAD, INNEN Jackie sägt wie besessen. Maria wischt ihr mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn. Jackie gibt mit dem Kopf ein Zeichen an Maria. Jackie schaltet die Säge ab, legt diese am Boden ab. JACKIE Okay! Wir brauchen jetzt etwas, wo wir ihn rein geben können. Am besten Plastiksäcke, da rinnt nichts raus. MARIA Von denen habe ich genug. Warte mal! Maria verlässt wieder das Bad. Jackie blickt so in die Wanne, wie man blickt, wenn man glaubt, viel geleistet zu haben. Sie atmet tief aus, schüttelt ihren rechten Arm etwas aus, wischt sich mit dem anderen Arm den Schweiß von der Stirn. 11 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA (off) Verdammt, die habe ich ja wo gehabt. Wo sind die bloß? JACKIE Du wirst doch irgendwo... MARIA (off) Hab' sie! JACKIE (zu sich) Schön! Maria tritt wieder in das Badezimmer. MARIA Hier habe ich sie. JACKIE Her damit! Als Jackie einen der Säcke auseinanderfaltet, erkennt man die Aufschrift 'Rot-KreuzAltkleidersammlung` und das entsprechende Emblem. Jackie stellt sie sich zur Wanne, hält den Sack auf JACKIE Los jetzt, alles rein damit! MARIA Was? Ich? JACKIE Sicher du! Jetzt beeil dich, ich will nicht ewig hier stehen! Wir haben noch was vor heute. Also, bitte! Maria kann sich schließlich überwinden, sie bückt sich in die Wanne, ihr Blick abgewandt. 12 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Ich hasse das, ehrlich! OFF: Wir hören HUNDEGEBELL, das vom Innenhof bis ins Badezimmer dringt. Jackie richtet sich auf, spitzt die Ohren. WUFF-WUFF!!! Jackie bekommt große Augen. JACKIE Weißt du was? MARIA Was? JACKIE Das mit den Mülltonnen ist Scheiße. Ich habe die Bombenidee überhaupt. Maria richtet sich auf. MARIA Was für Bombenidee überhaupt? JACKIE Ich weiß nicht warum, ...aber schön langsam komme ich so richtig in Fahrt. Jackie lässt den Sackfallen und macht sich auf, das Badezimmer zu verlassen. Maria blickt Jackie überrascht hinterher. JACKIE (zu sich) Ich brauch das Telefon! Maria beobachtet verwundert Jackie, richtet sich auf. MARIA Wozu? JACKIE Zum Telefonieren! Jackie stürmt zum Telefon im Vorraum, Maria hinterher. 13 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 WOHNUNG MARIA, VORRAUM, INNEN Maria kommt aus dem Bad in den Vorraum. MARIA Mit wem? Jackie steht am Telefon. JACKIE Mit meinem Bruder! MARIA Seit wann hast du einen Bruder? JACKIE Seitdem er auf der Welt ist. Jackie wählt eine Nummer. MARIA Und warum kenne ich den nicht? JACKIE Tja, warum eigentlich nicht? Sagen wir so: Ist nicht unbedingt was zum Herzeigen! Wenn du verstehst? MARIA Ja! Ich meine: Nein, eigentlich nicht! JACKIE Pscht!!!! SCHNITT AUF 14 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 PSYCHIATRIE, GANG, INNEN, NACHMITTAG Wir blicken einen langen, mit Linoleum bezogenen, kunstlichtbeleuchteten Gang entlang, von dem endlos viele Türen in Räumlichkeiten führen. Wir sehen den 24-jährigen ALEXANDER, den Bruder Jackies, wie er an einem Wandtelefon steht und telefoniert. Alexander ist groß, bullig, rotbäckig, schweinegesichtig. SCHNITT AUF STIEGENHAUS, INNEN, NACHMITTAG Jackie und Maria, jetzt wieder vollständig bekleidet und sauber gewaschen, beide tragen als Tarnung (nichts auf der Welt ist so auffällig wie die beiden) große Strohhüte mit der Aufschrift `Bibione` und diese Sonnenbrillen mit den riesengroßen Gläsern, verlassen auf leisen Pfoten die Wohnung. JACKIE (flüsternd) Pschscht! MARIA (flüsternd) Bin ja ´Pschscht!` JACKIE (flüsternd) Dann komm jetzt! MARIA (flüsternd) Komme ja! Maria schließt leise die Tür. Jackie geht vor, Maria folgt nach. Aus einem Plastiksack Marias dringt ein Tropfen Blut nach außen und landet mit einem leisen PLATSCH auf dem gefliesten Stiegenhausboden. Am Türspion der Nachbarwohnung erkennt man, dass eine Person die Vorgänge am Stiegenhaus beobachtet. 15 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 WOHNUNG ALTE FRAU, INNEN Eine ALTE FRAU, stark bebrillt, hakennasig und gehbehindert, steht auf Zehenspitzen auf übereinander gelegten Telefonbüchern ganz nah an der Tür und blickt neugierig durch den Türspion nach draußen. OFF: Im Fernsehen läuft 'Planet der Affen'. Die Nachbarin lässt sich von der Tür zurück, verschließt den Spion. Mit scharfsinnig geschlitzten Augen grübelt sie nach, sie spricht unverständlich zu sich selbst. Sie geht langsam und unter großen Mühen zurück in Richtung des Wohnzimmers, wo wir jetzt den Fernseher sehen können, vor dem ein gemütlicher Fernsehsessel steht. Die Wohnung ist winzig klein und von substandard. STRASSENBAHN, INNEN, NACHMITTAG Maria und Jackie haben in einer Zweierbank in der letzten Reihe der Straßenbahn Platz genommen und geben ein ziemlich merkwürdiges Bild ab mit ihren riesigen Plastiksäcken auf dem Schoß. STRASSEN DER STADT, NACHMITTAG Die beiden marschieren mit geschulterten Säcken entlang des Gehsteiges. Jackie zielstrebig voran, Maria hetzt hinterher. Jackie biegt ums Eck, etwas später Maria hinterher, die sich mit dem Tragen der Plastiksäcke schon ziemlich schwer tut. MARIA Vielleicht sagst du mir dann endlich mal, wohin wir überhaupt gehen? JACKIE Wirst schon sehen, komm jetzt! MARIA Und das mit deinem Bruder hälst du schon für eine gute Idee? JACKIE Absolut! 16 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Und warum soll der uns eigentlich helfen? JACKIE Ganz einfach: Weil ICH es ihm sage. Wir sind da! MARIA Na endlich! GESCHÄFT, INNEN, NACHMITTAG Wir befinden uns in den dunklen Verkaufsräumen eines aufgelassenen Geschäftes und blicken durch zwei durch heruntergelassene Jalousien abgedunkelte Schaufenster auf die Straße, wo Jackie und Maria mit ihren geschulterten Plastiksäcken des Weges kommen und vor dem Eingang zum Stehen kommen. Wir hören die Geräusche aufsperrender Schlüssel, der Eingang öffnet sich und lässt Licht in das Innere. Die beiden treten ein. JACKIE So, rein mit uns. Maria tritt nach Jackie ein. Jackie stellt die Säcke ab. JACKIE Maria, geh zur Seite! Maria geht von der Tür weg. Jackie schlägt mit einem kräftigen WUMMS die Eingangstür zu. Die umherblickende Maria schrickt auf. Jackie versperrt die Tür von innen, der Schlüssel wird wieder eingesteckt. JACKIE So, da wären wir. Jetzt noch das Licht... Jackie dreht das Licht auf und wir sehen die Verkaufsräume jetzt klar und deutlich. Wir befinden uns in einer Metzgerei. Die Verkaufspulte, Regale, Vitrinen, Schlachthaken, usw. sind durch Leintücher abgedeckt. Obwohl hier schon des längeren kein Verkaufsbetrieb stattgefunden hat, macht die Einrichtung einen durchaus gepflegten Eindruck. Maria blickt neugierig umher. Jackie nimmt ihren Hut ab. 17 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Und? Was sagst du dazu? Maria stellt die Säcke ab. MARIA Blöde Frage: Wozu? JACKIE (weit ausladende Handbewegung) Na, zu dem allen hier! MARIA Was ist das? Ich meine: Was tun wir jetzt hier? Hast du hier mal gearbeitet? JACKIE Mehr als das, hier bin ich aufgewachsen. Komm mit! Jackie nimmt die Säcke wieder auf und führt Maria durch die Metzgerei. Maria schultert die ihrigen und folgt Jackie nach. MARIA Wieso aufgewachsen? Wem gehört der Laden hier eigentlich? JACKIE Nun, mir! MARIA Wieso dir? Jackie hält inne, dreht sich zu Maria um. JACKIE Jetzt schaust du, was? Pass auf: Ich habe zwei, eigentlich drei Sachen von meinen Eltern geerbt: Das hier, einen Pelzmantel, den kennst du ja,... Maria nickt bestimmt. JACKIE ... und einen belämmerten Bruder. Genügt das als Antwort! . 18 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Jackie geht weiter. MARIA Das war nach dem Unfall damals? JACKIE Richtig! Sonst hätte ich auch schlecht erben können. MARIA Und warum gibt es das Geschäft jetzt nicht mehr? JACKIE Das ist schnell erzählt: Ich war jung, mein Bruder ist deppert, mein Mann war ein Trottel und ums Eck haben sie einen 'Billa' gebaut. Ende! MARIA Verstehe! Jackie kommt an eine schwere Eisentür, die zu einem Kühlraum führt, zu stehen, sie greift an den Metallgriff. MARIA Und warum verkaufst du nicht den ganzen Krempel hier? Muss ja eine Menge wert sein! Dann müsstest du auch nicht mehr… Sie öffnet mit einem Ruck die Tür: RUMMS, die Tür springt auf. Jackie dreht sich um, blickt Maria eindringlich an. JACKIE Verkaufen? Spinnst du? Jackie öffnet unter großer Kraftanstrengung die schwere Tür, QUIEEETSCH. Maria blickt neugierig in den völlig dunklen Raum. Jackie geht vor. METZGEREI, SCHLACHTRAUM, INNEN Wir befinden uns in einem völlig abgedunkelten Raum. KLICK, die Neonröhren schalten sich Lampe für Lampe ein. Maria tritt ein und blickt neugierig und gleichzeitig ängstlich umher. 19 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Und? Jetzt schaust, was? MARIA (umherblickend) Ich weiß nicht recht. JACKIE Was heißt 'Ich weiß nicht recht' ? Jackie stellt die Plastiksäcke ab, geht in den Raum vor. Die Wände sind mit weißen Fliesen ausgestattet, das strahlende Chrom der Zerteilungsmaschinen und der zahlreichen Fleischerhaken versteckt sich unter Abdeckplanen bzw. gespannten Leintüchern. Maria blickt skeptisch auf Jackie, die schaut zuversichtlich und stolz zurück. JACKIE Schau dich doch mal um. Ist dir nicht klar, was wir hier tun? MARIA Naja! So ungefähr, befürchte ich, aber eigentlich nicht wirklich. Jackie geht durch den Raum. JACKIE Dann hör mir mal zu! Ich weiß nämlich, wie wir die Leiche verschwinden lassen können, und das endgültig. MARIA Nämlich? Jackie reißt eine Abdeckplane von einer Zerteilungsmaschine. JACKIE Wir machen daraus Hundefutter. Lange Pause. Maria stellt die Säcke ab, blickt entgeistert auf Jackie. MARIA Hundefutter? 20 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Genau! Oder Katzenfutter, …irgend so einen Dreck auf alle Fälle. MARIA Katzenfutter? JACKIE Genau! Oder Hundefutter, ist besser, glaube ich. MARIA Hundefutter? Jackie deckt eine Zerteilungs-, Verwurstungs-, Faschiermaschine nach der anderen ab. Jackie zeigt auf die Maschine vor ihr. JACKIE Genau, weil mit diesen Maschinen hier ist das kein Problem, das kannst du mir glauben. MARIA Und das Ganze macht dein Bruder, oder wie? JACKIE Genau! Der ist zwar total belämmert, aber er ist ein genialer Metzger, der kann das! Maria nimmt ihren Hut ab, kratzt sich am Kopf. MARIA Ich weiß nicht, aber… JACKIE Weißt du, was eine alte, kriminalistische Binsenweisheit sagt? MARIA Eine was? JACKIE Eine alte, kriminalistische Binsenweisheit! Was die sagt? 21 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Nein, was sagt die? JACKIE Die sagt: Wo keine Leiche, da kein Mord!!! Was sagt' s jetzt? MARIA Das klingt ja gut, aber… JACKIE Aber was? MARIA Das Ganze mit dem Hundefutter, das klingt irgendwie… krank! JACKIE Wie? MARIA Krank! Das ist doch krank, oder? Jackie blickt eindringlich auf Maria. JACKIE Wenn du noch einmal `krank´ sagst, überleg´ ich mir, warum ich mir das hier überhaupt antue. Und dann kann es leicht sein, dass ich weg bin. Beste Freundin hin, beste Freundin her! Dann kannst du mich am Arsch lecken! Maria blickt lange auf die Plastiksäcke, dann auf Jackie. MARIA Und, äh, das Hundefutter, das verfüttern wir dann an die Hunde, oder wie? JACKIE Wie ich gesagt habe: Wo keine Leiche, da kein Mord! MARIA Und die fressen das? 22 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Sicher fressen die Hunde das. Du kennst ja die Hunde, die fressen alles. Maria nickt. JACKIE Und? Was ist jetzt? Was sagst du dazu? MARIA Naja, so wie du das sagst, ...klingt das eigentlich eh nicht so schlecht, das Ganze. JACKIE Das wollte ich hören. Jackie nähert sich Maria, legt ihre Hand zärtlich auf Marias Schulter. JACKIE He! Wir zwei kriegen das hin, aber locker! Maria lächelt etwas gezwungen Jackie an. JACKIE Also, nachdem wir das jetzt alles beredet haben, würde ich sagen, wir bereiten schon mal alles vor. Ist das gut? Maria nickt. JACKIE Wird Zeit, dass hier herinnen wieder mal etwas geschieht. STRASSEN DER STADT, FRÜHER ABEND Die Abendsonne setzt die Stadt in oranges Licht. Alexander steht an einer viel befahrenen Kreuzung vor einem Zebrastreifen und wartet. Alexander ist blütenweiß eingekleidet, vom Scheitel bis zur Sohle, das perfekte Metzeroutfit. Er hat auch schon bereits seine Metzgerschürze umgebunden. In seiner Hand trägt er einen kleinen, schwarzen, metallenen Jausenkoffer. Die Ampel springt auf Grün. Er geht los. Er macht kleine, aber sehr betonte Schritte. 23 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 METZGEREI, SCHLACHTRAUM, INNEN Jackie legt ein Schlachtbeil auf der Schlachtbank ab und holt verschiedene Gerätschaften wie Messer, Beil, Axt, Hacken, usw. heran und legt sie fein säuberlich auf einer großen, metallenen Schlachtbank ab. Maria sitzt auf einem Stapel Plastikbehälter und beobachtet Jackie bei ihren Ausführungen. Die Hüte sind auf Fleischerhaken aufgehängt. MARIA Sag mal, Jackie, wie lange kennen wir uns beide jetzt eigentlich? JACKIE Lass mich nachdenken! Wann bist du im Bau eingezogen? Das war...ist schon ein paar Jahre her, würde ich sagen. MARIA Ein paar Jahre auf alle Fälle. Ist schon super, dass du das alles für mich machst. JACKIE Soll ich dir was sagen? Ich wundere mich selbst. MARIA Ich wundere mich nicht. JACKIE Das ist unfair von dir, weißt du das? Mich so hinzuhalten… MARIA Ist es vielleicht nicht! Jackie und Maria blicken sich tief in die Augen. OFF: WUMM, die Eingangstür wird zugeschlagen. Jackie und Maria blicken in Richtung des Ausganges. JACKIE Das ist Alexander! MARIA (flüsternd) Du? Wie schwer ist dein Bruder eigentlich behindert, ich meine, …? 24 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Jackie blickt eindringlich auf Maria. JACKIE Wie kommst du darauf, dass mein Bruder behindert ist? MARIA (flüsternd) Naja, du hast ja gesagt, dass er... JACKIE Ich habe gesagt, dass er... (macht eine 'Huscher ' - Handbewegung mit Pfeifton) …belämmert ist, weich in der Birne, unterbelichtet, saudeppert, brunzdumm. Aber er ist nicht behindert. MARIA (flüsternd) Und wie schwer ist er (macht eine `Huscher ' - Handbewegung mit Pfeifton) ? JACKIE Du weißt, wie das ist: Sehr relativ! Jackie geht in Richtung des Einganges. JACKIE (zu Alexander, schreiend) Wir sind hier hiiiiinten. MARIA (flüsternd) Weiß er eigentlich schon, was ihn hier erwartet? JACKIE Sagen wir mal so: Nicht wirklich! MARIA (flüsternd) Und was ist, wenn er auszuckt? 25 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Wieso soll der auszucken? MARIA (flüsternd) Naja, wenn er wirklich… ('Huscher' - Handbewegung mit Pfeifton) …ist. JACKIE Na eben. Der ist nur saudeppert, aber deswegen ist er nicht gefährlich. Wann jeder in dieser Stadt hier gefährlich wäre, der deppert ist, dann hätte wir eine Kriminalitätsrate wie in der tiefsten Bronx. Und überhaupt, eine bessere Qualifikation als deppert sein, gibt´s für den Job hier wohl gar nicht. Jackie dreht sich zur Tür, wo jetzt Alexander steht. Nach einer kurzen Schrecksekunde legt Jackie los. JACKIE He, Kleiner, Servus! Komm rein, komm rein! Freut' mich, dass ich dich wieder sehe. Wir haben uns gerade gefragt, wo du denn bleibst? Lass dich anschauen. Gut, schaust aus, hast dich kaum verändert, ehrlich! Die müssen ja dort wirklich ein gutes Essen haben, was? Bei ´dort` blickt Maria fragend auf Jackie. Jackie dreht sich zurück zu Maria, Alexander blickt auf Maria, die lächelt Alexander unsicher an. JACKIE Also, das ist Maria! Maria! Alexander! Maria streckt die Hand zum Gruß aus. MARIA (unsicher) Hallo! Alexander blickt auf die Hand, blickt auf Maria, Handschlag. JACKIE (zu Maria) Gewöhne dich schon mal daran, er spricht nicht viel. 26 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Maria blickt auf Jackie, dann auf Alexander. MARIA Ist gut! Maria lächelt noch einmal etwas unsicher, der Handschlag löst sich. Sekunden des wortlosen Gegenüberstehens vergehen. JACKIE Naja, dann gehen wir es gleich an! (mehrfach in die Hände klatschend) Komm, Kleiner, arbeiten! Komm – komm - komm! Roboti - roboti!!!! Jackie schiebt Alexander hinten an. JACKIE (zu Maria) Hie und da hat er so Aussetzer, da muss man ihn dann ein bisschen antreiben, aber wenn er mal in der Arbeit drinnen ist, ist er nicht mehr zu halten. MARIA Verstehe! JACKIE (flüsternd) Jetzt pass auf! Maria blickt fragend auf Jackie. JACKIE (zu Alexander) Stimmt´s? ALEXANDER (laut und deutlich) Ja, Herr Doktor! Maria blickt über die Antwort verwundert auf Jackie, die schiebt Alexander kräftig nach vorne und in Richtung der Schlachtbank. Jackies Miene sagt: 'Komisch, was?' 27 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (zu Maria) Und ganz wichtig ist auch, dass er immer beschäftigt ist, sonst fängt er das Denken an, und das ist nicht gut für ihn. (zu Alexander, betont) Stimmt´s? ALEXANDER Ja, Herr Doktor! JACKIE Siehst du, funktioniert immer wieder. Ich glaube, dafür gibt es sogar einen Namen. Maria zuckt mit den Schultern auf die Art 'Keine Ahnung!'. JACKIE (zu Maria) Und du sag' noch einmal, dass es einen Besseren gibt als ihn! Maria weiß nicht, wovon diese Frau spricht. JACKIE (zu Alexander) So, da sind wir schon! Jackie und Alexander kommen vor den Gerätschaften zu stehen. Maria beobachtet das Getue Jackies mit Alexander mit Missfallen. Jackie stellt sich hinter Alexander. JACKIE (zu Alexander) So, schau her, wir haben da schon alles schön vorbereitet für dich. Das tust du dir mal anschauen, den Rest erkläre ich dir dann noch. Alexander beginnt die vor ihm liegenden Arbeitsgeräte genauestens zu inspizieren. Dabei werden die Messer und Äxte auf geradezu virtuos akrobatische Weise durch die Gegend gewirbelt. JACKIE So, komm, Maria, tun wir was. Wir haben nicht ewig Zeit. 28 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Jackie geht schon in Richtung der Säcke, als Maria Alexander etwas näher kommt, aber nicht zu nahe. MARIA Ich möchte noch' Danke' sagen für das, was du für mich tust. Alexander stellt seine Arbeit ein, blickt auf Maria. Jackie beäugt die beiden skeptisch. MARIA Also, dann: Danke, Alexander! Das Wort 'Danke!' und auch 'Alexander' scheint dieser wohl schon lange nicht mehr gehört zu haben, seine Mimik weicht für eine Sekunde etwas auf. JACKIE (zu Maria) Können wir dann? Maria geht zu Jackie. JACKIE Komm, die Säcke! (klopft auf die Schlachtbank) Hier rauf! MARIA Komme schon! JACKIE Muss ich schon alles alleine machen, oder wie? Maria eilt zu Jackie. Alexander beginnt mittlerweile mit dem Schleifen von Messern. MARIA (zu Jackie) Bin schon da! JACKIE (sehr bestimmt) Und lass ihn in Ruhe! Das bringt nichts. 29 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Maria blickt fragend auf Jackie. JACKIE Was immer du auch tust: Es ist immer das Falsche, glaub es mir. Ich bin seine Schwester, ich weiß das. Maria verharrt noch kurz, dann tragen sie und Jackie die Säcke zur Schlachtbank. Alexander schleift unterdessen seelenruhig seine Messer. Und da passiert, was passieren muss: Gerade als Maria einen prall gefüllten Sack in Richtung Schlachtbank trägt, hört man ein leises, kurzes RATSCH. Der Sack ist etwas eingerissen, aber noch nicht aufgerissen. Alle frieren ihre Bewegungen ein und blicken auf den Sack. .... und RAAAAAAATSCH. Der Sack reißt jetzt unten völlig ein und mit einem WUSCH zischt und flutscht und wabbelt das Innere auf den kahlen Fliesenboden, über den sich das Gemisch aus Gedärmen, Knochen und Blut ergießt. Der Blick Marias ist versteinert. Den jetzt leeren Sack hat sie noch immer geschultert. Jackie und Alexander beugen sich etwas vor, um auf das Gemisch blicken zu können. Jackie rümpft die Nase, das Zeug stinkt schon gewaltig. Maria blickt langsam nach unten und sieht, wie ihre Füße von einer riesigen Blutlache mit Gedärmeresten umspült werden. Maria blickt auf, ihr Blick geht starr gerade aus. MARIA Ich gehe nach Hause und leg' mich nieder! Maria dreht sich seitlich weg und geht in Richtung Ausgang. Jackie blickt ungläubig auf die weggehende Maria, dann auf Alexander. JACKIE Was ist los? Sie blickt wieder auf Maria. JACKIE Maria, warte mal, du kannst doch jetzt nicht einfach... Maria lässt sich nicht beirren. JACKIE (brüllend) Maria, spinnst du jetzt total, du kannst uns doch jetzt hier alleine lassen? Dreh sofort um! 30 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Jackie will Maria nachgehen, als Alexander Jackie zurückhält. Diese blickt sehr ernst auf Alexander, aber er scheint fest entschlossen. JACKIE (zu Maria) Dann lass' wenigstens den Sack hier, hörst du? Maria lässt sofort den Sack fallen, PLATSCH, und geht schnurstracks und ohne nach hinten zu sehen durch die Tür ab. JACKIE Na Bravo! Maria kommt noch einmal die Tür rein, Jackie und Alexander blicken überrascht und wortlos auf Maria. Die geht kommentarlos zu den Hüten, die am Fleischerhaken hängen, nimmt den ihrigen und geht ab. Jackie und Alexander blicken sich an. JACKIE Bleibt es doch wieder an uns zwei hängen, wie? Alexander nickt. JACKIE Gehen wir es an? Alexander nickt. JACKIE Ist ja fast wie früher! Alexander nickt. JACKIE (zu sich) Tun wir was! Jackie geht ab. ABBLENDE 31 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 AUFBLENDE WOHNUNG MARIA, WOHNZIMMER, INNEN, FRÜHER MORGEN Die Morgensonne erhellt das Wohnzimmer. Maria schrickt aus dem Schlaf. Sie trägt noch die Kleider vom Vortag. Neben ihr liegt der Hut. Sie liegt auf der abgesessenen Couch im Wohnzimmer. Am Tisch vor ihr liegt eine Packung Schlaftabletten und daneben steht ein Glas Wasser. Sie blickt hektisch auf die Uhr, dann aus dem Fenster und zurück. MARIA Scheiße! METZGEREI, AUSSEN, FRÜHER VORMITTAG Maria geht schnell der Häuserzeile entlang. Sie trägt wieder ihren großen, ausladenden Hut. Sie kommt vor der Metzgerei zu stehen. Maria blickt durch die von Jalousien verhängten Auslagenfenster nach innen. METZGEREI, INNEN Jackie sitzt halb liegend auf einem alten, ausladenden Sessel im ehemaligen Büro der Fleischerei. Sie schläft. Sie trägt nach wie vor ihren pinkfarbenen Jogginganzug. OFF: Maria KLOPFT gegen die Auslagenfenster. Jackie erwacht. Sie blickt auf die Uhr. JACKIE Scheiße! KLOPF-KLOPF. Noch völlig niedergeschlagen macht sie sich auf den Weg in Richtung Eingangstür. Jackie wirft einen vorsichtigen Blick nach außen, um zu sehen, wer da anklopft. JACKIE Ah, die! KLOPF-KLOPF. 32 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Ja, komm ja schon! Jackie sperrt die Tür auf, Maria tritt ein. MARIA Servus, Jackie. Wie geht' s? Jackie brummt irgendetwas Unverständliches. MARIA Jackie, es tut mir so leid wegen gestern. Ich...ich habe das nicht mehr geschafft, ehrlich! Es tut mir leid, dass ich euch so hängen hab' lassen. Das...war ein schwerer Fehler. Das war...nicht gut. JACKIE Du hast keinen Kaffee dabei, oder? MARIA Nein! JACKIE Scheiße! MARIA Wie weit seid ihr denn? Seid ihr schon...fertig? Jackie scheint schön langsam zu erwachen. JACKIE So gefragt: Keine Ahnung! Ich habe mich irgendwann in der Nacht rübergelegt… nur kurz... MARIA Wo ist denn Alexander? JACKIE Keine Ahnung, ich schätze mal hinten. Hoffe ich zumindest 33 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Jackie und Maria gehen in Richtung Schlachtraum. METZGEREI, SCHLACHTRAUM, INNEN Die Eingangstür öffnet sich. Jackie streckt ihren Kopf rein, Maria drängt sich von hinten rein. Beide Blicke fallen in Richtung der Schlachtbank, hinter der stolz und mit aufgestützten Armen Alexander steht. Vor ihm auf der Bank steht ein großer, silberner, quaderförmiger Aluminiumbehälter, über dessen Rand wir nicht hinein blicken können. Jackie tritt nach innen, Maria gleich hinterher. Beide fokussieren voller Neugierde den Behälter. JACKIE Da bist du ja. MARIA Guten Morgen! Alexander grinst Maria kurz zu. Jackie blickt durch den Schlachtraum, der blitzt und glänzt. JACKIE Bist schon fertig, wie? Alexander nickt stolz. MARIA Ist es da drinnen? Jackie und Maria blicken auf den Behälter. Alexander nickt stolz. JACKIE Ist es 'was geworden? Alexander nickt. Die beiden Frauen nähern sich langsam und etwas zögerlich dem Behälter, ihre Gesichter sind voller Neugierde und Anspannung. Jackie und Maria kommen vor dem Behälter zu stehen, blicken rein und kommen aus dem Staunen nicht mehr raus. 34 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Ist er nicht genial? MARIA Was, verdammte Scheiße, ist das? Alexander blickt ernst auf Maria. Jackie greift in den Behälter und holt ein wurstähnliches Gebilde raus, dass einer Burenwurst verdammt ähnlich sieht. Jackie und Maria betrachten die Wurst mit großen Augen, Jackie reicht die Wurst nach hinten zu Maria, die die Wurst aufmerksam mit großen Augen anstarrt. Beide blicken in den Behälter, der mit hunderten von frisch hergestellten, glänzenden Burenwürsten gefüllt ist. JACKIE (zu Alexander) Burenwürste. Mein Kleiner ist doch der Beste. (zu Maria) Du musst wissen, die hat er nämlich früher auch schon immer am liebsten und am besten gemacht. MARIA Das habe ich mir ja fast gedacht! JACKIE Und? Habe ich es dir nicht gesagt? Was mein Bruder anfasst, das hat Hand und Fuß. Maria betrachtet ihre Wurst. MARIA Sagen wir so: Hat es zumindest mal gehabt. JACKIE Wie? MARIA Nichts. Und was tun wir jetzt damit? Soweit ich mich erinnern kann, wollten wir doch Hundefutter daraus machen, oder? 35 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Habe ich mir auch gedacht! Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, wo ich mich niedergelegt habe. Die beiden Frauen blicken fragend auf Alexander. Alexander zuckt auf die Art 'Ich weiß von nichts!' mit den Schultern und nimmt sich auch eine Wurst aus dem Behälter raus. JACKIE Aber schau mal, wie perfekt die Würste abgebunden sind. Wie sich die angreifen, und die Farbe erst prächtig. Das muss man erst einmal... Jackie geht um Alexander herum und kommt auf der anderen Seite neben ihm zu stehen. Dieser steht jetzt also zwischen den Frauen, alle drei halten jeweils eine Burenwurst in ihren Händen. MARIA Entschuldige, bitte! Aber wer soll die jetzt fressen? JACKIE Na, die Hunde! MARIA Da wollten wir aber auch noch Hundefutter machen. JACKIE Das fällt dir jetzt ein? MARIA Vielleicht sollten wir die Würstel größeren Tieren geben, die vertragen das bestimmt besser. JACKIE Wieso sollten die das besser vertragen als die Kleinen? MARIA Naja, weil sie ...größer sind. JACKIE Nun, von mir aus verfüttern wir sie an die Elefanten, wenn du willst. Wenn die groß genug sind für dich!. MARIA Das geht ja gar nicht, weil... 36 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Im Zoo gibt´s welche! MARIA Ja, schon. Aber Elefanten sind Pflanzenfresser. JACKIE Seit wann das? MARIA Schon immer! JACKIE Na dann! Maria nickt bestimmt, kurze Nachdenkpause. JACKIE (schreiend) Nashörner! Alexander schrickt auf, blickt erschreckt nach vorne. MARIA Was soll mit denen sein? JACKIE Die Nashörner! Die fressen die Würstel. Das habe ich mal in 'Universum' gesehen. MARIA Du willst mir jetzt einreden, dass du in 'Universum' gesehen hast, wie Nashörner Burenwürste fressen? JACKIE Hör mal, stell dich nicht dämlicher als du schon bist! MARIA Jackie, fangen wir nicht damit an, okay? 37 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Okay! Entschuldige, bitte! Aber ich habe gesehen, dass die Nashörner so ziemlich alles fressen, was auf dieser Welt herumkreucht und fleucht. Also werden die wohl auch die depperten Würstel da fressen, oder? MARIA Kann schon sein, aber die Frage ist: Gibt' s in unserem Zoo eigentlich Nashörner? JACKIE Ja, das weiß ich jetzt nicht, aber irgendwo in einem Eck wird schon eines herumstehen, denke ich mal. Maria grübelt, Jackie grübelt. Alexander blickt noch einmal zu Maria, dann noch einmal zu Jackie. Dann schaut er auf seine Burenwurst, hält diese hoch und beißt herzhaft hinein und beginnt, sofort zu kauen. Die beiden Frauen sind wahrlich schockiert. Alexander kaut wild darauf los. Die beiden Frauen stürzen sich auf Alexander und versuchen, ihm das Stück Wurst wieder aus dem Mund zu holen. MARIA Spinnst du? Spuck das wieder raus! JACKIE Tu das wieder ausspucki, schnell! MARIA Spuck es raus, komm, raus damit! Es entsteht ein Raufhandel, denn Alexander wehrt sich mit Händen und Füßen, den Bissen wieder raus zugeben. JACKIE Alexander! Tu das jetzt wieder rausgeben, aber schnell! MARIA Bitte, Alexander! Gib es raus! JACKIE Das kannst ja nicht essi, das ist ja pfui, komm, tu ausspucki! Maria lässt von Alexander los, Jackie ebenfalls. Alexander steht in der Mitte, die Wurst fest umklammert in seiner Hand, und kaut. 38 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Hör mal, musst du mit ihm reden, wie mit einem Hund? JACKIE Ich rede mit ihm, wie ich will und überhaupt: Anders reagiert er nicht! MARIA Hast du es wenigstens schon mal probiert? JACKIE Weißt du was? Das geht dich eigentlich einen Scheißdreck an, stimmt's? In diesem Moment richtet sich Alexander auf, die beiden Frauen blicken auf Alexander, dieser schluckt kräftig runter, dann: ALEXANDER Ja, Herr Doktor! MARIA Oh Gott, nein! Jetzt hat er den Bissen runter geschluckt. Jackie blickt sauer auf Alexander. JACKIE Na Bravo! (zu Alexander)) Hat es wenigstens geschmeckt, ja? Alexander nickt, beißt noch einmal ab. MARIA Neeeein! JACKIE Alexander, das war jetzt sehr böse von dir, sehr böse. Jackie greift bestimmt nach der Wurst. Alexander hält die Wurst senkrecht nach oben, so kann sie Jackie nicht erreichen. 39 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE So, jetzt pass mal auf, ja? Du gibst mir jetzt sofort das Wursti, hörst du? Alexander hält sie weiter hoch. JACKIE Jetzt hör mal zu, du dummes... MARIA (schreit) Jackie!!! Jackie blickt erschreckt auf Maria. MARIA Lass ihn! Lass ihn gehen, bitte! Das bringt nichts. JACKIE Und was sollen wir jetzt tun, Frau Oberpsychologin? MARIA Keine Ahnung! JACKIE Toll! Sekunden vergehen. JACKIE Maria? MARIA Ja? JACKIE Was tun wir jetzt? MARIA Wir gehen heim und schauen, was passiert. Das ist das einzige, was mir einfällt. 40 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Wir geben ihm Salzwasser, vielleicht speibt er alles wieder raus. Bei Salzwasser speibt man sich doch für normal an, oder? ALEXANDER Ja, Herr Doktor! Jackie und Maria blicken verwundert auf Alexander. Der blickt verwundert zurück. JACKIE (zu Maria, zeigt auf Alexander) Das ist aber neu! MARIA Vielleicht macht das die Wurst? Sekunden vergehen, in denen Jackie aufmerksam Alexander studiert. JACKIE (überlegend, am Kinn kratzend) Hm? Wenn ihm sonst nichts fehlt. Maria scheint die Gedanken Jackies lesen zu können. MARIA (misstrauisch) Jackie? JACKIE Hm? Maria blickt auf Alexander, dann auf Jackie. MARIA Sag' s, bitte, nicht! JACKIE Was spricht eigentlich dagegen? Gegessen hat er ja schon davon! 41 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Eine, ja! Und ich glaube, das sollte genügen. Jackie grübelt, blickt auf Alexander. JACKIE In ein paar Stunden wissen wir mehr. Maria blickt besorgt auf Alexander, der nochmals und mit viel Appetit bei seiner Wurst abbeißt. SCHNITT AUF WOHNUNG MARIA, KÜCHE, INNEN, MITTAG Jackie und Maria sitzen deprimiert auf der Eckbank hinter dem Küchentisch und starren auf Alexander, der ihnen genau gegenüber sitzt und gerade mit einem Zug ein Glas Salzwasser austrinkt. MARIA Das wievielte Glas war das jetzt eigentlich? JACKIE Das sechste! Jackie greift zu dem vor ihr stehenden 3 Liter-Krug und füllt das Glas nach. MARIA Und die wievielte Wurst? JACKIE Die vierte! Das ist jetzt die fünfte! Alexander beißt herzhaft in eine neue Wurst, eingetunkt in Senf. Vor ihm sehen wir jetzt einen Teller mit frisch gekochten, dampfenden Burenwürsten. Alexander isst so richtig appetitanregend darauf los. Die beiden beobachten fassungslos und schweigend ihr Gegenüber. MARIA Sag mal! Weiß er eigentlich schon, was er da isst? 42 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Muss er wohl, schließlich hat er die Würste ja selbst gemacht! MARIA Und warum isst er die dann? JACKIE Vielleicht gerade deswegen! Ich rede ihm da nichts drein! Wenn's ums Essen geht, ist ihm schlecht beizukommen. Das kannst du mir glauben. MARIA Habe ich schon bemerkt, ja! JACKIE (Blick auf die Uhr) Aber vertragen tut er die Dinger anscheinend recht gut! Sonst müsste schon längst 'was passiert sein! MARIA Wer weiß, vielleicht sind die wirklich so gut wie sie aussehen. JACKIE Muss wohl so sein! Auch wenn man ihm es nicht ansieht, aber an und für sich war er immer ein ziemlich heikler Esser. Maria blickt auf Alexander, der sich gerade wieder einen Bissen Wurst reinstopft. MARIA Tatsächlich? JACKIE Wenn ich es dir sage! Maria hebt eine Wurst vom Teller, blickt diese an. MARIA Wenn man nicht weiß, was drinnen ist: Warum eigentlich nicht? 43 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Eben! Oder es gilt, was mein Vater immer gesagt hat. MARIA Nämlich? JACKIE 'Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral!' MARIA Das hat dein Papa gesagt? JACKIE Wieso nicht? MARIA Eh! Plötzlich richtet sich Alexander auf, schaut verdutzt auf die beiden Frauen, schluckt ein paar Mal kräftig, MARIA Ich glaube, jetzt geht's aber los. JACKIE Schaut so aus! In diesem Moment springt Alexander auf, steht hastig auf und läuft aus der Küche in Richtung Klo ab. JACKIE Der hat mindestens zwei Liter Salzwasser getrunken und fünf Würste gefressen, der muss sich jetzt ja ankotzen wie eine Sau. Maria steckt sich die Finger in die Ohren. MARIA Sag' mir, wenn es vorbei ist, sonst speibe ich mich auch noch an. JACKIE Schwachen Magen, wie? 44 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 In diesem Moment hört man aus dem off schwere Darmwinde. Jackie blickt verwundert in Richtung Klo. DREHBLENDE OFF: BAWUSCHSCH! Die Klospülung geht. Alexander kommt aus dem Klo in die Küche zurück, er richtet sich noch seine Hose zurecht. Maria nimmt sich die Finger aus den Ohren. Die beiden Frauen blicken gespannt auf Alexander. JACKIE (steckt sich angedeutet den Finger in den Mund) Und? Alexander nickt verneinend. Die beiden Frauen blicken sich verwundert an. MARIA Nicht' speibi' gemacht? Jackie blickt verwundert über das Wort 'speibi' auf Maria. MARIA Ich meine: Hast du nicht gebrochen? Alexander nickt verneinend. MARIA (zu Alexander) Nicht? Alexander nickt verneinend. JACKIE (zu Alexander) Warst du 'gacki'? MARIA Jackie, bitte! 45 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (zu Maria) Soll ich 'scheißen' zu ihm sagen, ist dir das dann lieber? MARIA Nein, aber du kannst ja auch anders fragen. JACKIE Und WIE, wenn ich fragen darf? MARIA Na, pass auf! (zu Alexander) Alexander? Alexander blickt auf Maria. MARIA Setz dich, bitte, wieder zu uns! Alexander nimmt wieder Platz. MARIA (spricht überdeutlich) Alexander! Warst du 'groß' oder 'klein'? Alexander zeigt mit ausgestreckter Hand die Höhe seiner Körpergröße. Maria blickt fragend von Alexander auf Jackie, Jackie schüttelt den Kopf. JACKIE Manchmal ist es schon sehr schlimm mit ihm. MARIA (leise zu Jackie) Was hat er gemeint? JACKIE Mit dir aber auch. Maria blickt entgeistert und desillusioniert von Jackie auf Alexander. 46 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Darf ich jetzt wieder? Maria nickt resignierend. JACKIE (zu Alexander) Also, warst du 'gacki'? Alexander nickt `Ja`. JACKIE Schön! Wie hat es denn ausgeschaut? MARIA Jackie, bitte! JACKIE (zu Maria) Was ist? Ich muss das wissen, schließlich geht es hier um die Gesundheit von meinem Bruder! (zu Alexander) Also, wie hat es denn ausgeschaut? (Rührbewegung mit dem Finger) Dünn? Maria blickt angewidert weg. Alexander nickt `Nein`. JACKIE Überhaupt nicht dünn? Alexander nickt `Nein`. JACKIE War es ein ganz normales Wursti, oder wie? MARIA Jackie, biiiitte! 47 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Alexander nickt `Ja!´. JACKIE Und farblich alles okay? Maria greift sich an den Kopf und blickt resignierend seitlich weg. Alexander nickt `Ja!´. JACKIE (zu Maria) Weißt du was das heißt? MARIA (zu Jackie, angewidert) Ja, verdammt! JACKIE (zu Maria) Das heißt, dass diese Würste da zu essen sind. MARIA Und das heißt, WIR essen jetzt alle auf. JACKIE Spinnst du? Maria blickt verdutzt auf Jackie. MARIA Soll er alleine alle... JACKIE Maria! Nicht WIR fressen die Würste... MARIA Jetzt kommt, was kommen musste. JACKIE Natürlich! Was sonst? Eines gibt das andere! 48 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 WÜRSTELBUDE / WAGEN, AUSSEN, NACHMITTAG Ein alter, klappriger Lieferwagen bremst sich vor einer Würstelbude ein. Jackie steigt bei der Fahrerseite aus, Maria und Alexander auf der Beifahrerseite. Jackie öffnet die Ladetüren, Alexander hebt den silbernen, quaderförmigen Aluminiumbehälter heraus, Maria ist ihm behilflich. Die Drei marschieren los, Jackie geht voran. Die Frauen tragen wieder ihre weiten Hüte. WÜRSTELBUDE, INNEN Der Würstelbudenbesitzer BUREN-RUDI, ein gepflegter Mitte Vierziger, Halbglatze, Krawatte und Hemd mit umgebundener Schürze und eingestecktem Handy steht hinter dem Verkaufspult, an seine mächtige Kasse angelehnt, seiner sehr gepflegten und gut ausgestatteten Bude und kaut und lutscht an einer kalten Burenhaut herum und testet die Wurst geschmacklich aus. Im Hintergrund wäscht sein Angestellter ÖZKAN, ein Mitte 20-jähriger Ausländer türkischer Abstammung, Geschirr und Gläser ab. Jackie, Maria und Alexander, mit dem Behälter in Händen, stehen ihm gegenüber und warten gespannt die Reaktion ab. Rudi beißt ab, kaut wie verrückt. JACKIE Und? RUDI (mit vollem Mund) Hm, hm, ich weiß nicht recht, irgendwie.... Die Drei blicken mit großen Augen erwartungsvoll auf Rudi. JACKIE Ja? Rudi schluckt runter. RUDI Naja, irgendwie sind die Würste... 49 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Ja? Rudi schmeckt nach, schnalzt mit der Zunge. RUDI Irgendwie...sind die... JACKIE Na, sag! RUDI …grauslich. Jackie und Maria fällt das Gesicht runter, Alexander wirkt aggressiv. JACKIE Grauslich? RUDI Ja, die sind richtig grauslich. JACKIE Grauslich? RUDI Grauslich! Rudi spuckt die Wurst aus und wirft die angebissene Wurst mit einem gekonnten Wurf in den Wurstbehälter. Jackie, Maria und Alexander blicken der Wurfbahn nach. JACKIE Verstehe! Jackie dreht sich nach hinten zu Alexander, der blickt verschämt zu Boden. JACKIE Hast du gehört, was Buren-Rudi gesagt hat? Grauslich sind sie! 50 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 RUDI Also, Jackie, verstehe mich nicht falsch...grauslich klingt vielleicht ein bisschen hart, aber, sagen wir mal so, sie sind definitiv nicht so gut wie früher die Würste von euch waren. Jackie nickt, dreht sich wieder zu Alexander. JACKIE So gut sind sie also nicht mehr. RUDI Tut mir leid, Jackie, ich hätte euch gerne bei eurem Neustart.... Maria blickt bei dem Wort 'Neustart' fragend auf Jackie. RUDI ... unterstützt, schon wegen deinem alten Herrn Vater und so, aber... tut mir leid! JACKIE Verstehe! Jackie grübelt. Alexander und Maria beobachten aufmerksam Jackie. JACKIE Und? Nimmst du sie geschenkt? RUDI Geschenkt? JACKIE Ich schenke sie dir, den ganzen Behälter da. Kannst du haben, sind geschenkt! Maria und Alexander blicken überrascht auf Jackie. JACKIE Den Behälter auch, kannst du auch haben! Nimm! RUDI Na dann, freilich! (zeigt auf die Arbeitsfläche) Da her, bitte sehr! 51 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (zu Maria) Manche Dinge ändern sich nie. Jackie gibt nach hinten ein Zeichen an Alexander und Maria, die den Behälter mit einem WUMMS auf die Arbeitsfläche pullen. Rudi blickt interessiert in den Behälter. RUDI Da können sie lange fressen, die Piefke. Özkan! Özkan blickt von seiner Arbeit hoch. ÖZKAN Chef? RUDI Hör zu! Das sind die neuen Touri-Würstel, gell? Für Deitsche, Italiano, Japs'n und das ganze G'frast, gell? ÖZKAN Gut, Chef! RUDI (zu Jackie) Musst wissen, Jackie. Die blöden Hunde fressen nämlich wirklich alles! Jackie grinst gekünstelt, nickt. Maria drängt sich etwas nach vor, glaubt, der Sache dienlich zu sein und meint wichtig: MARIA An die Hunde, bitte nicht, das haben wir nämlich noch nicht getestet. Jackie bekommt große Augen, blickt entgeistert auf Maria, die blickt auf Jackie, wissend, dass sie einen Fehler begangen hat. RUDI (zu Jackie) Was ist los? 52 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Was sie meint, ist, dass man das nicht tut. RUDI Was tut man nicht? JACKIE Die Würste, ähh, an Hunde verfüttern, meint sie! RUDI Was für Hunde jetzt? JACKIE Weil du gesagt hast, dass die Hunde...sie hat das verwechselt, was sie sie meinte, war.... vergiss das einfach. (flüsternd) Die sauft heimlich, weißt du. MARIA (flüsternd) Jackie, was soll das jetzt? Warum sagst du so etwas? Jackie macht eine drohende Geste zu Maria, die verstummt. RUDI Mein Hund, der' Ferdi', kriegt jeden Tag ein Wursti von mir. JACKIE Ja, aber SIE will das nicht aus religiösen Gründen, wegen der Wiederbelebung und Wiedereinfahrung des heiligen Geistes, was weiß ich, irgendwas wegen der Religion halt. Stimmt' s, Maria? Maria setzt an zur Antwort. ALEXANDER Ja, Herr Doktor! Jackie und Maria blicken entgeistert auf Alexander. Der blickt gänzlich teilnahmslos. Rudi grübelt, blickt seitlich hoch. Wir sehen einen in der Bude oben im Eck eingerichteten Herrgottswinkel. 53 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Dort stehen auch einige Flaschen Schnaps. RUDI Was für religiöse Gründe sollten denn das sein? Davon habe ich überhaupt noch nie etwas gehört? JACKIE Was weiß denn ich, schaue ich aus wie der Buddha? Ist ja egal jetzt, oder? RUDI (zu sich) Warum sollten die keine Würste fressen dürfen? Das verstehe ich nicht. Maria versucht zu helfen. MARIA (zu Rudi) Das ist eine alte, hergebrachte, überlieferte Tradition aus dem zentralsüdeuropäischen Raum... JACKIE Das ist egal jetzt, weil wir gehen. Buren-Rudi! Servus! Jackie setzt sich den Hut auf, drängt Maria und Alexander aus der Bude raus. JACKIE (flüsternd) Raus hier, aber schnell, bevor ich total auszucke. Jackie dreht sich noch einmal um. JACKIE Servus, Rudi! Rudi nimmt die Bibel aus dem Herrgottswinkel und beginnt, darin interessiert zu blättern. 54 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 WÜRSTELBUDE / WAGEN, AUSSEN, NACHMITTAG Jackie geht mit zorniger Miene und mit schnellen, betonten Schritten voraus. Die Drei steigen ein. WAGEN, INNEN Jackie greift in das Handschuhfach und holt ihren Flachmann raus. Sie nimmt einen kräftigen Schluck. MARIA Tut mir leid, Jackie. Das hätte ich jetzt bald versaut, oder? JACKIE Ja! So kann man das sagen! Ich glaube, so kann man das sagen! Ja! MARIA Ich bin jetzt nur froh, dass das Ganze vorbei ist. Jackie nickt, blickt eindringlich auf Maria. JACKIE Ich auch… und ich glaube, es ist besser, wenn wir uns eine Zeitlang nicht mehr sehen! Das ist alles, was ich jetzt dazu sage! Ich habe dir gerne geholfen, Maria, ehrlich, aber…es ist jetzt vorbei. Maria blickt auf Jackie. Alexander schaut unsicher zwischen Jackie und Maria hin und her. MARIA Wenn du das willst, Jackie! JACKIE Ist jetzt besser! Ja! Auf alle Fälle! MARIA Trotzdem: Danke für alles! Jackie nickt. JACKIE Findest du nach Hause? 55 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Maria blickt fassungslos auf Jackie. Jackie meidet den Blickkontakt. Maria öffnet die Tür und steigt aus. Sie lächelt Alexander aufmunternd zu, der blickt traurig und verzweifelt auf Maria. Der Wagen fährt schnell davon. Maria steht jetzt alleine vor der Würstelbude. Maria geht ab. ABBLENDE TONAUFBLENDE QUIIIIIEEEEETSCH!!!! Ein mörderisches, unerträgliches Geräusch. Dann: Wir hören schweres Ein- und Ausatmen. AUFBLENDE PSYCHIATRIE, INNEN, VORMITTAG Wir sehen einen ca. 35-jährigen, kalkbleichen, mit weitem, karierten Hemd und Jeans bekleideten Mann, der auf einem ungemütlichen, harten Holzsessel sitzend einen roten Luftballon aufbläst. Im Hintergrund sehen wir durch die verglaste Fensterfront auf den betongrauen Innenhof eines riesigen Gebäudekomplexes. Als der Luftballon vollständig aufgeblasen ist, reicht er diesen an der Öffnung zusammenzwickend seinem rechten, ebenfalls geistig behinderten Sitznachbar weiter, der den Luftballon an sich nimmt, die Öffnung mit zwei Fingern in die Länge zieht und die ganze Luft mit einem lauten, endlosen QUIIIIIIIEEEETSCH seiner rechten Sitznachbarin, einer JUNGEN FRAU, direkt ins Ohr strömen lässt. JUNGE FRAU Ich danke dir! Die Frau nimmt den Luftballon an sich und vollzieht die selbe Prozedur an ihrem rechten Sitznachbar. Jetzt bekommt Alexander den Luftballon überreicht und gibt diesen dem aufmerksam beobachtenden, die gefalteten Hände unter der Unterlippe aufliegend, in sterilem Weiß gekleideten Herrn DOKTOR weiter. Dieser nimmt den angespuckten und abgelutschten Luftballon mit gespreizten Fingern an sich. Er blickt in die vor sich hindösende Runde. Dann: DOKTOR Wir fühlen uns jetzt schon viel besser, stimmt' s? 56 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 PATIENTEN (synchron, gelangweilt) Ja, Herr Doktor! Der Doktor blickt skeptisch in die Runde. Er lehnt sich zurück, greift sich an den Bauch und macht appetitanregende Geräusche. DOKTOR Hmhmhmmmmmmm!!! ! Die Gruppe blickt ängstlich auf den Doktor. DOKTOR Also, noch einmal! Wir fühlen uns jetzt schon viel besser, stimmt' s? PATIENTEN (synchron, gekünstelt begeistert) Ja, Herr Doktor! DOKTOR Schön! Er legt den Luftballon seitlich weg auf einen Teller, wo schon einige, gebrauchte Luftballons liegen. Er greift zu einem anderen, daneben stehenden Teller, wo ein ganzer Berg frischer Luftballons liegt. Der Doktor grübelt kurz, sein Zeigefinger kreist über den frischen Luftballons, dann greift er zu einem grünen Ballon und reicht diesen an den ersten des Sesselkreises weiter. Der nimmt den Luftballon widerwillig entgegen und beginnt, diesen aufzublasen. Das Spielchen beginnt also von vorne. Alexander blickt müde, sehr müde nach vor ins Leere. WOHNUNG JACKIE, INNEN, SPÄTER NACHMITTAG Wir blicken vom Vorzimmer durch die Tür in das Schlafzimmer, wo Jackie vor dem Wandspiegel mit ihrem Pelzmantel posiert, darunter trägt sie billige Spitze. Ihr Blick ist grantig. OFF: DRING-DRING, das Telefon läutet, Jackie hebt ab. JACKIE (flötende Stimme) Jackie spricht, hallo? 57 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Kurze Pause. JACKIE (überrascht) Wer? WÜRSTELBUDE, INNEN Buren-Rudi ist an der anderen Leitung, den Telefonhörer hat er zwischen Schulter und Hals gezwickt, er steht wieder hinter seiner Kassa und kommt mit dem Nachzählen und Einräumen des Geldes, das ihm der Bedienstete Özkan, der im Hintergrund wie ein Ventilator zwischen Senfspender, Papptellern, Pfefferoni, Semmeln, Brotscheiben und den Jackie-Burenwürsten rotiert, auf den schon überfüllten Teller wirft, nicht mehr nach. Die Dränglerei, das Geschiebe, die Schreierei vor der Theke nimmt schon gefährliche Ausmaße an. Zahlreich ausgestreckte Hände mit Geldscheinen werden über die Theke gestreckt. [ OFF: aufgebrachte Konsumenten bauen ihren Frust ab. ALTE FRAU (zu jungem Mann) Gib die Wurst her, du Sau, das ist meine! JUNGE FRAU Rudi, ich will ein Kind von dir! ALTER MANN (zu altem Mann) Ich bringe dich um, du Partisanenschwein. Solche wie du habe ich schon viele an den Eiern aufhängt! MUTTER (Kleinkind am Arm, brüllend) Net schauen, hackeln! ] RUDI (zu Jackie) Ich bin's, Rudi, der Buren-Rudi! 58 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 WIR SCHNEIDEN ZWISCHEN JACKIE UND RUDI VOR UND ZURÜCK: Jackie blickt überrascht und etwas ängstlich. Aus dem Hörer hört man undefinierbares Gebrüll. JACKIE (skeptisch, ängstlich) Ist... ist irgendetwas? RUDI (brüllend) Das kann man, bei Gott, sagen, ja! Hier ist das Inferno losgebrochen! Ich kann dir gar nicht, ...hier ist der Teufel los, ich...ÖZKAAAAAAN!!!!! JACKIE Rudi, verdammt, was ist da... RUDI Jackie, sei ruhig jetzt, verfluchte Scheiße noch einmal und hör mir zu, ja? Jackie blickt verwirrt auf den Hörer. Je länger sie zuhört, umso mehr strahlen ihre Augen. Sie beginnt sich mit der freien Hand sanft über den Pelzmantel zu streichen, sie zupft einmal hier, einmal da ein Staubkörnchen aus dem dichten Pelz. Je mehr unverständliches Gebrabbel man aus dem OFF hört, umso größer wird ihr Grinsen im Gesicht, und die Gier in ihren Augen. SCHNITT AUF WOHNUNG MARIA, INNEN, MITTAG Maria schläft friedlich auf ihrer Couch, zugedeckt mit einer leichten Decke. OFF: RING-RING. Maria schrickt auf, sie blickt noch vollkommen benommen in Richtung Telefon. SCHNITT AUF 59 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 FRIEDHOF, NACHT Die Sternefunkeln, Vollmond. Wir werfen einen Blick über die zahllosen Grabsteine, die sanft in rotem Kerzenlicht schimmern. OFF: UHU-UHU! Eulen singen! JACKIE Scheiß Vögel! Los, wir müssen da rüber, dort drüben ist es. Maria blickt ängstlich auf die zahlreichen Grabsteine. MARIA Ihr seid alle deppert, total deppert. Ihr seid' s krank, echt! JACKIE Blabla! Komm jetzt und beeil dich! Jackie geht vor. MARIA (zu sich) Dafür werden wir der Hölle schmoren, soviel ist schon mal sicher. Maria folgt Jackie nach. Dann kommt Alexander mit einer Schubkarre, darin liegt ein schwerer Zementsack. VOR LEICHENSCHAUHAUS, AUSSEN Die Drei kommen zum besinnlich beleuchteten Leichenschauhaus. Jackie wirft einen Blick durch das Milchglas in das Innere, wo zwei Särge zwischen brennenden Kerzen und Blumengestecken aufgebarrt sind. JACKIE Bingo! Wir haben zwei! Maria blickt mit großen Augen auf die Särge. Jackie macht sich bereits an der Tür zu schaffen. 60 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Jackie? JACKIE Ja? MARIA Ich gehe. JACKIE Wohin? MARIA Zum Wagen? JACKIE Jetzt? MARIA Jetzt! JACKIE Und was tust du dort? MARIA Warten. JACKIE (zynisch) Warten! Verstehe! Und wofür bist du dann überhaupt mitgefahren? Maria blickt eindringlich auf Jackie. Sekunden vergehen. JACKIE Was schaust du denn so? MARIA Jackie? 61 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (gereizt) Ja? MARIA Ist dir eigentlich klar, dass du ununterbrochen unsere Freundschaft aufs Spiel setzt? JACKIE Unsere ´Freundschaft´? Verstehe! So ist das jetzt! MARIA Freundschaft, ja! Und? Ist dir das scheißegal, oder wie? JACKIE Ich denke mir, dass es jetzt ganz einfach Wichtigeres gibt als unsere ´Freundschaft´! MARIA Sehe ich genauso. JACKIE Tu jetzt ja nichts überinterpretieren. Ich habe nur gesagt, dass es momentan Wichtigeres gibt, das ist alles. MARIA Sehe ich ganz genauso! JACKIE Schön! Dann sind wir uns ja einig. Jackie öffnet die Tür und will schon eintreten. MARIA Jackie! JACKIE Was ist noch? Maria macht einen Schritt auf Jackie zu, umfasst sie am Kopf, zieht sie zu sich und drückt ihr einen fetten Kuss auf die Lippen. Alexander blickt verwirrt auf Maria. Maria drückt sich wieder weg. 62 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Ab jetzt wird alles ganz anders. Und es wird gut. Maria blickt Jackie noch einmal eindringlich an, geht dann ab. Jackie greift sich verblüfft auf die Lippen, blickt verwirrt auf Alexander, dann wieder in Richtung Maria. JACKIE (zu sich) Die macht´s auch nicht mehr lange! Maria verschwindet im Dunkeln. Alexander blickt Maria lange hinterher. Jackie schnalzt mit der Zunge. Alexander blickt auf Jackie. Jackie nickt mit dem Kopf ein ´LOS geht 's!'. Alexander blickt noch einmal in Richtung Maria, dann schiebt er die Karre zum Eingang. Jackie öffnet die Tür, KNAAAAARRR, und tritt ein. FRIEDHOF, AUSSEN Maria läuft mit seitlich vor den Augen gehaltenen Händen durch den Friedhof in Richtung des Wagens. VOR FRIEDHOF, WAGEN, AUSSEN Maria kommt zum Lieferwagen, der vor dem Friedhof abgestellt ist. Die Gegend ist gottverlassen, ganz weit weg sieht man ein paar Lichter eines kleinen Dorfes brennen. Maria wird schlecht, sie übergibt sich. Sie kramt ein Taschentuch raus, wischt sich den Mund ab. WAGEN, INNEN Maria steigt in den Lieferwagen. Sie dreht das Radio auf und versucht sich auf die sanfte Jazzmusik zu konzentrieren. Sie friert. Wir blicken auf den Vollmond, vor den sich dunkle Wolken schieben. 63 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Maria blickt aus dem Fenster der Fahrerseite und sieht, wie Jackie und Alexander mit zwei schön gewandeten Leichen in der Schubkarre zurückkommen. Maria blickt angewidert weg, sie muss aufstoßen. OFF: QUIETSCH, die Ladetür wird geöffnet und wir hören ein dumpfes Geräusch, WUMM. Der Wagen senkt sich. Jackie steigt auf der Fahrerseite ein, sie blickt auf Maria. JACKIE Wie geht' s? Maria ignoriert die Frage, blickt seitlich weg. OFF: ein zweites WUMM. krachendes WUMM: Die Liefertür ist zu. In diesem Moment steigt Alexander auf der anderen Seite ein. JACKIE (zu Alexander) Alles klar hinten? Alexander nickt. Maria blickt mitleidig auf Alexander. MARIA (zu Alexander) In welcher Welt lebst DU überhaupt? Alexander senkt seinen Kopf. JACKIE (zu Alexander) Kleiner, vergiss sie, sie ist momentan nicht so gut drauf. Sie glaubt, sie hat ein weiches Herz, aber hat sie nur schwache Nerven. Das ist alles. (zu Maria) Stimmt doch, oder? Maria verweigert die Antwort, sie blickt nach vor. JACKIE Na gut, dann eben nicht! 64 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Jackie kramt einen Stadtplan aus dem Seitenfach, legt diesen vor sich aufs Lenkrad, studiert diesen. Maria blickt auf den Plan. JACKIE (zu sich) Okay! Wo ist hier der nächste? Der muss ja noch irgendwo einer sein. Maria traut ihren Augen und Ohren nicht. MARIA (zu sich) Das war's! (zu Alexander) Lass mich raus! Alexander versteht nicht sofort. Jackie blickt überrascht auf Maria. MARIA (schreit) Alexander, lass mich raus hier, lass mich raus hier, schnell, hörst du? Alexander steigt verwundert aus, Maria drängt sich raus. JACKIE Maria, was soll das? Wir sind hier mitten in der Einöde, du findest ja nicht einmal nach Hause. Also steig' wieder ein! Maria ist schon ums Auto verschwunden. Jackie richtet eindringlich ihren Blick auf Alexander, der seitlich neben dem Wagen bei der offenen Tür steht und Richtung Maria blickt. JACKIE (eindringlich, bedrohlich) Schön langsam... beginnt sie mich wirklich zu nerven, so richtig zu nerven. Alexander bekommt große Augen, denn in diesem Moment kommt Maria zurück, drängt Alexander etwas zu Seite, wirft noch einen Blick ins Auto. 65 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Übrigens, fick dich, du arrogantes, überhebliches, eingebildetes, blödes, trotziges, egoistisches Ignoranten-Arschloch! Fick dich, okay? Alexander blickt überrascht auf Maria, so hat er sie noch nie erlebt. Maria geht ab. JACKIE Ja-ja, schon gut, komm, lass es raus! Gib es mir...und jetzt steig' wieder ein! Maria, steig' wieder ein! (schreit) Maria! Du dumme Sau, du verstehst überhaupt nichts, oder? Du kannst das gar nicht verstehen, weil du nämlich selten dämlich bist. Absolut dämlich sogar. (zu Alexander, betont) Stimmt's? Normalerweise müsste der noch vor dem Auto stehende Alexander jetzt sagen: 'Ja, Herr Doktor´ aber es kommt nichts, er sagt gar nichts und blickt von Jackie auf die schnell weggehende Maria. JACKIE (zu sich) Bist ja auch ein Trottel! Jackie startet den Wagen, sie blickt auf Alexander, der noch vor dem Auto steht und Maria nach blickt. JACKIE Kleiner, steig ein! Alexander wendet seinen Blick auf Jackie, dann zurück auf Maria. Maria verschwindet in der Dunkelheit, sie weint aus Zorn über ihre Freundin, aus Enttäuschung, aus Frust. Alexander steht wie angewurzelt da. JACKIE (off) Kleiner, steig' ein! Komm schon! Alexander blickt immer wieder zwischen Jackie und Maria hin und her. 66 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (sanft) Alexander! Alexander blickt auf Jackie. JACKIE (sehr sanft) Steig ein jetzt, bitte! Wir müssen los! Alexander zögert. JACKIE (flötende Stimme) Komm! Steig ein, ...wir fahren jetzt nach Hause, ...zu mir. Jackie lächelt Alexander an. JACKIE (flötende Stimme) Wir fahren zu mir, in die Wohnung. Es wird wieder so wieder früher, okay? So wie früher. Nur wir zwei. Was hälst du davon? Wie wäre das für dich? Alexander zögert noch eine Sekunde, blickt noch einmal in Richtung Maria, steigt dann ein. JACKIE (sanft) So ist es gut! Jackie legt ihre Hand auf seine Schulter. Alexander blickt kalt von Jackie nach vor. Sekunden vergehen. Jackie blickt nach vor. JACKIE (kalt) Fahren wir! VOR FRIEDHOF, WAGEN, AUSSEN Das Auto fährt langsam ab. 67 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 ABBLENDE AUFBLENDE WOHNUNG MARIA, WOHNZIMMER, INNEN, NACHMITTAG Maria liegt wieder auf ihrer Couch im Wohnzimmer, zugedeckt. Vor ihr am Tisch stehen Medikamente, sie blickt mit starrem, leeren Blick auf den Fernseher, in dem die belanglose Nachmittagsscheiße ''Ach Gott, du mein Österreich" läuft. MODERATORIN (off, im Fernsehen) "Und jetzt, meine Damen und Herren, sehr verehrtes Publikum, sehen sie einen kulinarischen Bericht, den unser Lokalreporter Dieter Chello für SIE zusammengestellt hat. Er war heute Mittag am Stadtrand von Wien einem Phänomen der besonderen Art auf der Spur, bitte sehr!" Maria blickt gelangweilt auf den Bildschirm. Wir sehen: WÜRSTELBUDE BUREN-RUDI, AUSSEN, TAG Der REPORTER Dieter Chello steht vor der Würstelbude von Buren-Rudi. Er spricht in ein Mikrofon mit der Aufschrift 'FRO' und redet in die Kamera. Im Hintergrund sehen wir, wie wieder Massen von Menschen die Bude belagern. REPORTER (schnell sprechend) Ja! Guten Tag, meine Damen und Herren. ICH melde mich HIER für SIE für DEN Regionalsender F-R-O, der IHNEN sagt, was im Bezirk so los ist, vor Ort, aus dem 14. Wiener Gemeindebezirk und was SIE HIER hinter MIR sehen können, ist schon SEHR außergewöhnlich: eine Würstelbude! (gekünsteltes Gelächter) SIE werden sich jetzt fragen, was denn an einer WÜRSTELBUDE schon Außergewöhnliches sein könnte, ABER, meine Damen und Herren, .... 68 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 ZURÜCK bei MARIA Maria richtet sich auf und blickt gebannt auf den Bildschirm. ZURÜCK beim REPORTER REPORTER ...sehen SIE DIESE Massen von Menschen, die sich seit TAGEN förmlich darum prügeln, an die Reihe zu kommen. Und PRÜGELN meine ICH in diesem Zusammenhang wörtlich, DENN die Rettung und auch Polizei sprechen von GEZÄHLTEN 25 Einsätzen BISHER, Tendenz STEIGEND. Und den GRUND all' dieser dramatischen Szenen, meine Damen und Herren, sehen SIE, halten SIE sich fest, sehen SIE HIER: Der Reporter hebt abrupt eine einzelne, kalte Burenwurst ins Bild. ZURÜCK bei MARIA Maria traut ihren Augen nicht und lässt sich weiter nach vor, um das schier Unglaubliche via TV mit großen Augen näher verfolgen zu können. ZURÜCK beim REPORTER REPORTER Jetzt machen SIE zu Hause große Augen, kann ich mir vorstellen, und SIE werden sagen: Eine ganz ordinäre Burenwurst, werden SIE sagen, ABER, meine Damen und Herren, dem ist nicht so, das kann ICH IHNEN schon jetzt versprechen. Was es mit dieser Wurst und mit all diesen Tumulten auf sich hat, versuchen wir, also ICH, jetzt in einem Gespräch mit dem Besitzer dieser Würstelbude im Zuge eines kleinen, unverhofften Überraschungsbesuches zu klären. Dazu bewegen wir uns etwas näher bzw. wechseln wir, also ICH auf die andere Seite der Theke, .... Der Reporter nähert sich der Würstelbude, die Kamera folgt, der Reporter kämpft sich durch die Menschenmasse. Er gibt jetzt ein unauffälliges Handzeichen nach links. Von links läuft eine verzweifelte, junge Mutter durchs Bild, die nach ihrem Kind schreit: Der Reporter blickt der durchs Bild laufenden Mutter hinterher, dann wieder in die Kamera: 69 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 REPORTER Ja, meine Damen und Herren, SIE sehen ja selbst, was sich HIER abspielt, dramatische Szenen, die hier aber mittlerweile schon zum Alltag gehören, wie mir verstörte Anrainer versichert haben. Der Reporter kommt vor der Würstelbude beim 'Lieferanteneingang zu stehen. REPORTER Wenn man all diese Menschen hier sieht, drängt sich ja förmlich die Frage auf, man muss sich zwangsläufig ja tragen: Was wird aus unserem Schnitzel werden? Wird aus diesem, unseren Schnitzelland Österreich jetzt ein Würstelland, oder vielleicht gar ein Land voller Würstel? SIE sehen: Fragen über Fragen, die ICH jetzt gerne, ... Der Reporter öffnet die Tür zur Würstelbude. REPORTER So, wir gehen jetzt hier rein, ...Fragen also, die ich also jetzt gerne an unserem 'Helden', wenn ich so sagen darf, weitergebe. ZURÜCK bei MARIA Maria fasst sich an den Kopf, sie versteht die Welt nicht mehr. ZURÜCK beim REPORTER Der Reporter betritt die Würstelbude und man sieht, wie sich Buren-Rudi, mit dem Rücken zu uns stehend, noch die Krawatte und seinen teuren Anzug zurecht zupft. ZURÜCK bei MARIA OFF: DING-DONG, die Haustürglocke LÄUTET. Maria schrickt auf, sie blickt panisch in Richtung der Wohnungstür. Sie blickt wieder auf den Fernseher. 70 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 ZURÜCK beim REPORTER REPORTER Entschuldigen Sie, Herr Buren-Rudi, F-R-O. Wenn wir kurz stören dürften,... Rudi dreht sich zur Kamera. Im Hintergrund schuften bereits drei Angestellte türkischer Herkunft. ZURÜCK bei MARIA DING-DONG. Maria schrickt neuerlich auf, sie nimmt die Fernbedienung und dreht den Fernseher ab, KLICK, und blickt abwartend in Richtung Tür. OFF: KLOPF-KLOPF, der Besucher ist beharrlich. Maria blickt auf die Uhr, blickt auf den Fernseher, sie grübelt, ihr Blick ist leicht panisch. OFF: KLOPF-KLOPF. Sie richtet sich auf, geht langsam in den Vorraum, sehr leise und in Pirschhaltung zur Tür. Sie blickt durch den Türspion nach draußen. STIEGENHAUS / WOHNUNG MARIA, VORRAUM, INNEN Die alte Nachbarin von nebenan steht vor der Tür. Maria ist überrascht, aber auch erleichtert. Sie geht noch schnell zurück, um sich die Wolldecke über ihr leichtes Nachtkleid zu geben. Maria öffnet die Tür nur einen Spalt. MARIA Ja? FRAU Grüß Gott, entschuldigen Sie die Störung, ich bin die Nachbarin, ...nicht? Die alte Frau zeigt auf die Nebentür, die wir ja von dem 'Türspion auf- Türspion zu' sehr gut kennen. MARIA Ja, ich, ähhh, weiß. Grüß Gott! Der Blick Marias fällt auf den Boden. Dabei sieht sie neben den alten Hausschuhen der alten Frau den eingetrockneten Blutstropfen am Fliesenboden, der ja aus dem Plastikbeutel auf den Boden getropft ist. 71 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 FRAU Ja? Grüß Gott! Wir haben uns ja noch nicht so oft, .. .nicht? MARIA Nein! FRAU Entschuldigen Sie, bitte, ich wollte auch nur fragen, ob ...ich Ihnen vielleicht helfen kann, ...nicht? MARIA Wie...kommen Sie darauf, mir ...bei was helfen? FRAU (trotzig) Naja, ich bin ja eine alte Frau, aber Sie können mir SCHON glauben, dass ich noch sehr genau weiß, … (kurzer Blick seitlich weg auf ihre Tür) …was hier im Haus so läuft, nicht? MARIA Und was... wäre das? FRAU Nun ja, es geht um Ihren Mann! Maria blickt eindringlich auf die Frau. Sekunden vergehen. MARIA Was...was soll mit ihm sein? FRAU Ja, er ist nicht mehr da. MARIA Äh, nein, er ist nicht mehr da, ...vorübergehend, ...zumindest. Die Frau nickt misstrauisch. 72 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 FRAU Vorübergehend? MARIA Vorübergehend, ja! Er ist... verreist. FRAU Verreist? Ich verstehe. Ich habe mir ja nur gedacht, ...nicht? Vielleicht, dass wir darüber reden können, nicht? Über dieses und jenes, Sie ... verstehen? Die Frau blickt eindringlich auf Maria, Maria blickt zweifelnd über die Intention der alten Frau auf diese. FRAU Aber, bitte, wenn Sie nicht wollen, sehr gerne. An mir soll es ja nicht liegen. MARIA Moment, bitte, ja? Lassen Sie mich kurz überlegen, einen Moment. Bin gleich wieder da. Maria schließt wuchtig die Tür, die alte Frau steht alleine im weiten Stiegenhaus. FRAU Aber überlegen Sie nicht zu lange, ja? Ich habe ja nicht ewig Zeit. Maria atmet übernervös, sie grübelt, denkt. Ihre Augen zeigen Panik. Ihr Blick fällt auf den Fernseher, dann durch die offene Badezimmertür auf die Badewanne. Maria fasst einen Entschluss. Sie dreht sich zurück, öffnet die Tür. FRAU Grüß Gott! Da sind Sie ja wieder! MARIA Wollen Sie nicht reinkommen, dann können wir die ganze ...ANGELEGENHEIT ja in Ruhe besprechen. Die alte Frau zögert. FRAU Nun ja, wissen Sie, ich will nicht stören, auf keinen Fall,...nicht? 73 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Nein, nein, kommen Sie nur, bitte, Sie stören gar nicht, überhaupt nicht. Maria nimmt die alte Frau an der Hand und zieht sie nach innen. Maria geht einen Schritt nach außen, spuckt sich in die Hände und wischt hastig den Fleck vom Boden. Sie richtet sich auf und bevor sie die Tür schließt, wirft sie noch einen verstohlenen Blick nach draußen. WUMM! Die Tür ist zu. WOHNUNG MARIA, INNEN Die beiden Frauen stehen im Vorraum, ganz nah beim Badezimmer. MARIA Kommen Sie nur weiter, lassen Sie die Schuhe ruhig an, ich muss sowieso bald...sauber machen! Maria geleitet die Frau weiter. Im Hintergrund sehen wir wieder die Badewanne. FRAU Ich störe ja nur ungern, aber..., Sie wissen ja, ..., nicht? Ich denke, es wird Zeit, da...einige Sachen zu klären und da.., nicht? MARIA Jetzt kommen Sie weiter in die Küche, dort können wir dann über alles ...reden. KÜCHE, WOHNUNG MARIA, INNEN Die beiden kommen in die Küche und gehen in Richtung der Eckbank. MARIA So, jetzt setzen wir uns, ... Maria erblickt ein langes Küchenmesser, das auf der Arbeitsfläche liegt. Maria nimmt die alte Frau an den Schultern, dreht sie wieder zurück in Richtung Vorraum. Die alte Frau ist ganz verwirrt. 74 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Oder noch besser, wir setzen uns ins Wohnzimmer, dort ist es sicher gemütlicher. FRAU Wie Sie wollen, ...nicht? Maria schiebt die alte Frau vor sich her in Richtung Vorraum. MARIA Ja, da im Wohnzimmer ist es gemütlicher… Maria greift blitzschnell und ohne, dass die alte Frau etwas mitbekommt, zum Küchenmesser und verbirgt dieses hinter ihrem Rücken. MARIA ...auf alle Fälle ist es da gemütlicher. FRAU Wie gesagt, ich will Sie ja nicht stören, denn... VORRAUM, WOHNUNG MARIA, INNEN Wir kommen jetzt wieder in den Vorraum, die Frau geht vor, Maria hinterher. Die Frau dreht sich zu Maria, die hält das Messer hinter ihrem Rücken versteckt. FRAU ...ich kenne Sie ja eigentlich auch gar nicht, und da, ...nicht? MARIA Ich verstehe! Maria wird sichtlich immer unruhiger, sie scheint unmittelbar vor der Tat zu stehen, ihr Herz rast, man kann es hören, POCH-POCH-POCH-POCH. Sie beißt sich in die Unterlippe. Sie hebt etwas das Messer. FRAU Aber ich dachte mir, dass ich ihnen vielleicht helfen kann, weil er nicht da ist und ich selbst ja einmal, vor vielen Jahren allerdings, .... 75 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Maria ist jetzt soweit, POCHPOCH-POCHPOCH-POCHPOCH. Ihre Hand umgreift noch einmal kräftig das Messer. Sie sticht gleich zu. FRAU ...von meinem Mann ...VERLASSEN worden bin. Und da kann so ein Gespräch schon helfen, ...nicht? Unter Frauen, dachte ich mir, ...nicht? Maria blickt mit großen Augen auf die alte Frau, die blickt auf Maria verwundert zurück. Maria senkt ihre hand ab, sie löst etwas den festen Griff um das Messer. FRAU Auch wenn ich schon mehr tot bin als lebendig, aber dass vergisst man sein Leben nicht. Mein Mann hat sich ja damals auch so einfach aus dem Staub gemacht und... Die Nachbarin studiert Marias Miene. FRAU Geht's Ihnen nicht gut, sie blicken so, ...nicht? MARIA (stotternd, abgehakt) Seien Sie mir, bitte, nicht böse, aber würden Sie jetzt, bitte, gehen! Ich kann jetzt nicht reden! Die Frau blickt auf Maria. FRAU Ich verstehe. Natürlich. Wenn Sie etwas brauchen, bitte, melden Sie sich, ich helfe Ihnen sehr gerne, nicht? Maria steht versteinert da, aus ihren Augen schießen Tränen. Die Frau streichelt Maria über die Wange. FRAU Es wird alles wieder gut, glauben Sie mir. Marias Wangen sind tränenüberströmt. Die alte Frau dreht sich um, öffnet die Tür, blickt auf Maria: FRAU Bis später, .... 76 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Sie geht hinaus, kurz, bevor sie die Tür schließt: FRAU …nicht? Maria steht wie versteinert da, sie blickt auf das Messer, lässt das Messer fallen, KLING, blickt in das Badezimmer auf die Badewanne. SCHNITT AUF WOHNUNG JACKIE, INNEN, FRÜHER ABEND RING-RING! Das Telefon LÄUTET! Die Wohnung ist menschenleer. SCHNITT AUF METZGEREI, SCHLACHTRAUM, INNEN, FRÜHER ABEND Alexander steht gerade an der riesigen, laut dröhnenden Faschiermaschine und presst mit Gewalt einen abgetrennten Unterschenkel hinein. Vorne quillt Faschiertes in einen silbernen Fleischbehälter. Hinter ihm steht ein großer Plastikbehälter, in dem sich unzählige schwarze Herrenhalbschuhe und elegante Frauenschuhe befinden. Jackie steht neben Alexander und sortiert Burenwürste aus. Jackie und Alexander tragen ihr Metzgeroutfit. Jackie horcht plötzlich auf. Mozarts 'Kleine Nachtmusik' SPIELT. Jackie hebt ihr Handy ab. Sie gibt Alexander ein Handzeichen, die Maschine abzustellen. JACKIE Fleischerei Osterkorn! Guten Abend! Wie kann ich Ihnen helfen? WOHNUNG MARIA, VORRAUM, INNEN, FRÜHER ABEND Maria telefoniert. Bei 'Fleischerei Osterkorn ' entkommt Maria ein zynisch-trauriges Grinsen. 77 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Ich bin es. WIR SCHNEIDEN ZWISCHEN JACKIE UND MARIA VOR UND ZURÜCK. JACKIE Maria! Bei 'Maria' blickt Alexander aufgeregt auf Jackie. JACKIE Schön, dass du dich doch noch meldest, ich... wir haben uns echt schon Sorgen gemacht um dich. MARIA Bestimmt! Jackie geht telefonierend durch die Metzgerei, Alexander steht wie angefroren da und beobachtet aufmerksam seine Schwester. JACKIE Sicher! Was glaubst du denn? Ja, das ist ja irgendwie nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben. Das war nicht so gut und wir, ...vor allem ich möchte auch sagen, dass es mir leid tut, ganz ehrlich! Ich habe mir schon gedacht, dass du eventuell sogar zu den...dass du vielleicht die Nerven verlierst und ... du warst doch nicht...? MARIA Keine Sorge, Jackie, ich war nicht. JACKIE Habe ich mir dann ja gedacht! Ich habe ja gewusst, dass du deine beste Freundin nicht so einfach den Bullen auslieferst. MARIA Ich gehe morgen. Jackie bleibt abrupt stehen, dreht sich um zu Alexander, blickt diesen an. 78 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Morgen? MARIA Ich will, dass das alles vorbei ist. JACKIE Das ist es aber auch für mich, weißt du das? Und ich glaube nicht, dass ich das verdient habe, oder? Habe ich das verdient? MARIA Du hast bis morgen noch Zeit, dir etwas zu überlegen. Das ist auch der Grund, warum ich dich anrufe. Ich glaube, das bin ich dir schuldig. JACKIE Toll, wie du an mich denkst, ehrlich? MARIA Tut mir leid, aber es geht nicht mehr! JACKIE Und was ist mit Alexander, was ist mit ihm? Alexander blickt bei der Nennung seines Namens zuerst aufgeschreckt weg, dann noch aufmerksamer zu Jackie bzw. dem Telefon. Marias Blick wird nachdenklich, mitleidig. JACKIE Hast du dir das auch überlegt? Wie soll ich ihm das sagen? Wie soll ich ihm das beibringen. Kannst du mir das sagen, bitte? MARIA Sag' ihm.... JACKIE Ja? Was soll ich ihm sagen? 79 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Sag' ihm, ...dass es mir leid tut. Ich wollte das alles nicht. JACKIE Ist das alles? MARIA Das ist... alles. Beide schweigen, dann: JACKIE (sanfter Ton) Würdest du mir, bitte, noch einen letzten Gefallen tun? Sag du es ihm, ich bring' das nicht, ich schaffe das nicht. Sag du es ihm, persönlich!!! MARIA Das kann ich nicht. JACKIE Maria, bitte, Alexander! Du weißt, dass er für dich...du weißt schon! Ich glaube, es würde ihm das Herz brechen, wenn du ihm dabei nicht in die Augen siehst. Du kannst herkommen, ich bin auch nicht hier, wenn du das nicht willst. MARIA Nein, ich komme nicht! JACKIE Maria, tu was du willst, aber das bist du mir schuldig, hörst du? Du kommst heute Abend noch vorbei und klärst das mit meinem Bruder, hörst du, das bist du mir schuldig! Das bist du IHM schuldig, verdammt noch einmal! MARIA Vergiss es! Ich komme nicht, schon gar nicht in die... TÜÜÜT! Jackie hat aufgelegt! Maria blickt auf den Hörer, legt nachdenklich auf. 80 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 ZURÜCK bei JACKIE: Jackie steckt das Handy weg. Sie nähert sich langsam Alexander, nimmt ihn bei der Hand und führt ihn während des Dialoges langsam zur Arbeitsfläche. JACKIE Es war Maria! Alexander nickt: 'Ja!' JACKIE Es tut mir leid, dass ich dir das jetzt so sagen muss, und mich schmerzt es genauso, das kannst du mir glauben, aber es ist nun mal so: Maria scheißt auf uns! Alexander blickt verwundert auf Jackie. JACKIE Ja, so ist das! Sie scheißt auf uns. Sie verpfeift uns bei den Bullen. Sie scheißt auf uns, auf das alles hier, auf das Geschäft von unseren Eltern,... Jackie nähert sich wieder dem wie angeeist dastehenden Alexander. JACKIE ... auf das Lebenswerk von unserer Mama und unserem Papa, die dafür gerackert haben wie Tiere, nur dafür, dass wir eines Tages das Geschäft für sie weiterführen, die alles nur für uns getan haben, für ihre Kinder, für uns zwei…. Alexander zeigt keine Reaktion, aber sein Blick wird immer abwesender. JACKIE Und das Ganze geht vor die Hunde, weil Maria plötzlich für sich entdeckt, dass das so nicht geht. Sie lässt uns dreckig im Stich. Und das heißt für mich, dass ich für lange Zeit ins Gefängnis muss und du, du wirst wahrscheinlich in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher kommen, für immer. Dort kommst du nicht mehr raus. Das heißt, wir werden uns wahrscheinlich nie mehr sehen und du wirst nie mehr bei mir übernachten können. Jackie legt ihre Hände auf Alexanders Schultern, der mit gesenktem Kopf vor ihr steht. JACKIE Aber es gibt noch EINEN Ausweg. 81 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Alexander blickt auf Jackie. JACKIE Sie muss weg! Für immer! Verstehst du das? Sie steht uns im Weg und deshalb muss sie weg! Verstehst du das? Alexander nickt. Jackie umarmt ihren Bruder, er erwidert die Umarmung nicht. JACKIE So ist es gut! Ich weiß ja, was gut ist für dich, ich bin doch deine große Schwester! Jackie löst die Umarmung. JACKIE Und jetzt bereiten wir alles vor, weil sie kommt bald. Ist das gut? Alexander nickt `Ja!` JACKIE Sehr gut! STRASSEN DER STADT, ABEND Abenddämmerung! Maria steigt aus einer Straßenbahn und geht einem Gehsteig entlang. METZGEREI, SCHLACHTRAUM, INNEN, ABEND Alexander steht vor der Schlachtbank und beobachtet teilnahmslos Jackie, wie sie in einer alten Schublade hektisch nach etwas sucht. JACKIE Das muss doch noch irgendwo... Jackie greift in die Lade und nimmt einen schweren Gegenstand, eingewickelt in ein Tuch, und eine kleine Holzschachtel raus und legt diese auf die Schlachtbank. Jackie schlägt das Tuch beiseite und wir sehen einen mächtigen Schlachtschussapparat. 82 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Jackie hebt diesen hoch, öffnet die kleine Schachtel, in der sich die Patronen befinden, nimmt eine raus und lädt das grimmige Mordgerät. Jackie hebt den Apparat, drückt ab, PENG. Ein mächtiger Stahlbolzen schießt nach vor. JACKIE Schön! Alexander nickt zustimmend. METZGEREI, AUSSEN, SPÄTER ABEND Maria kommt vor der Fleischerei zu stehen. Die Gasse ist schlecht beleuchtet, von innen dringt kein Licht nach außen. Maria wirft durch die Schaufenster einen vorsichtigen Blick ins Innere, man kann nichts sehen, absolut dunkel. Sie geht zur Tür, drückt die Türschnalle, die Tür ist offen. Maria öffnet vorsichtig die Tür, .... METZGEREI, INNEN QUIIIIITSCH, und tritt vorsichtig ein. Sie drückt den Lichtschalter, KLICK, kein Licht. KLICK-KLICK-KLICK: Es bleibt dunkel. Maria geht nach kurzem Zögern weiter ins Innere vor. MARIA Alexander? Keine Antwort. Alles still. MARIA Alexander? Keine Antwort. Alles still. MARIA (laut) Jackie? Keine Antwort. Alles still. Maria wird die Sache unheimlich. Sie geht vorsichtig weiter vor und kommt in den langen Gang, der zur Metzgerei nach hinten führt. Das schwache Licht in diesem Gang flackert. Maria blickt nervös vor und zurück. 83 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Sie kommt mit dem Rücken vor einer halb offenen Tür zu einem Nebenraum zu stehen. Ihr Blick fällt auf den Boden, wo sie einen langen Schraubenzieher liegen sieht. Maria greift nach dem Schraubenzieher und hält diesen wie eine Stichwaffe. Sie geht langsam weiter vor. Sie blickt nach vor und sieht durch den Türschlitz vom Eingang zum Schlachtraum schwaches Licht in den Gang dringen. Sie geht weiter vor, WUMMS, Maria erschrickt, sie ist gegen einen herumstehenden Gegenstand gestoßen. JACKIE (off) Maria? Maria blickt verblüfft hoch, Jackie hier anzutreffen. Maria antwortet nicht. JACKIE (off) Maria? MARIA Ja, ich bin es. JACKIE (off) Gott sei Dank! Ich dachte schon...Komm doch rein! OFF: Es nähern sich Schritte. Maria verharrt. MARIA Am Gang ist das Licht ausgefallen. Die schwere Eingangstür öffnet sich, Licht fällt in den Gang, und Jackie steht unter der Tür. Aufgrund des starken Gegenlichts können wir nur die Umrisse Jackies ausmachen. Maria verbirgt schnell den Schraubenzieher hinter ihrem Rücken. JACKIE Ist die verdammte Lampe schon wieder kaputt. Unglaublich, wir haben sie erst gestern richten lassen und jetzt das. MARIA Was tust du hier? 84 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE Das ist meine Metzgerei, schon vergessen. MARIA Du weißt, was ich meine. JACKIE Es tut mir leid, ich hätte dir Bescheid geben können, aber Alexander wollte, dass ich dabei bin, du kennst ihn ja. Komm rein jetzt, er kommt gleich. MARIA Wo ist er? JACKIE Er ist draußen beim Auto, er wollte etwas holen. Maria blickt nach hinten in Richtung der Straße. MARIA Beim Auto? JACKIE Es steht im Hof hinten. Muss ja nicht jeder sehen, was wir hier so in der Gegend rumkarren, ich glaube, das ist, oder war, auch in deinem Sinne, oder? Maria nickt. JACKIE Was ist jetzt, kommst du? Oder willst du da im Dunkeln warten? Keine Antwort. Jackie macht Andeutungen, nach innen zu gehen. MARIA Ich komme schon. JACKIE Schön! 85 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Jackie lässt die Tür offen und geht ins Innere ab. Maria zögert noch eine Sekunde, blickt auf den Schraubenzieher, rauf auf die defekte Lampe, und legt den Schraubenzieher wieder am Boden ab. Sie geht langsam nach vor. Direkt vor dem Eingang bleibt Maria noch einmal stehen und wirft einen vorsichtigen Blick in das Innere. JACKIE (off) Was ist jetzt? Kommst du rein? METZGEREI, SCHLACHTRAUM, INNEN, FRÜHER ABEND Maria geht noch einen Schritt vor, steht jetzt direkt unter der Tür und sieht Jackie hinter der Arbeitsfläche stehen. Maria blickt in den Kühlraum. Dort hängen Leichen auf den Fleischhaken. JACKIE Ich weiß schon, der Anblick hier ist nicht schön, aber.. .du musst ja nicht lange bleiben. Maria macht einen Schritt weiter in den Raum, sie steht jetzt vor der geöffneten Tür, blickt auf Jackie. MARIA Das Ganze muss aufhören, Jackie. Dass du das nicht verstehst? Das ist doch alles Wahnsinn hier! JACKIE Es wird aufhören, Maria, es wird aufhören. Schon bald… (betont) …schon sehr bald, … (betont) stimmt's? Maria nickt. Die Tür hinter Maria beginnt sich langsam zu schließen und hinter der langsam zufallenden steht ...niemand. Jetzt taucht von unten Alexander auf, Maria steht mit dem Rücken zu ihm und kann ihn nicht sehen. Alexander steht jetzt direkt hinter Maria, er hebt mit der rechten Hand den Schlachtschussapparat und hält diesen ganz nah an Marias Kopf Er zögert. Jackie blickt mit großen Augen und auffordernder Mimik auf Alexander, Maria kann die Mimik Jackies (noch) nicht deuten. 86 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (schreit) Drück ab! Maria blickt jetzt über ihre Schulter nach hinten. In diesem Moment presst Alexander mit seinem Arm um Marias Hals diese fest an sich, setzt ihr den Schlachtschussapparat an den Kopf Sein Blick ist sehr grimmig. Maria röchelt. JACKIE Drück ab! Jetzt, verdammt noch einmal! Tu es, du Idiot! Alexander blickt bei 'Du Idiot' erbost auf Jackie, Maria blickt über ihre Schulter nach hinten, soweit das geht. MARIA (röchelnd) Alexander, bitte nicht! JACKIE (schreit) Drück ab! Jetzt! Tu, was ich dir sage! MARIA (röchelnd) Alexander! JACKIE Drück ab! Alexanders Blick weicht auf, er blickt unsicher zwischen Jackie und Maria hin und her. Alexanders fester Griff um Marias Hals lockert sich, er hebt das Mördergerät etwas von Marias Kopf ab. JACKIE Alexander! Drück jetzt ab! Jetzt! Mach schon! Alexander löst sich jetzt etwas von Maria und es macht den Anschein, als würde er die Waffe gegen sich selbst richten. 87 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (eindringlich) Alexander!! !!! In diesem Moment versucht sich Maria von Alexander losreißen. Instinktiv drückt Alexander Maria wieder an sich, setzt den Apparat an und PENG, der Bolzen schießt nach vor und trifft die zurückweichende Maria von oben in die Schulter. Es herrscht jetzt seltsame Ruhe, Maria blickt entsetzt und stumm vor Schock auf die Wunde, Alexander und Jackie blicken erstarrt und abwartend auf Maria. Maria schreit nach einigen Sekunden des Schocks vor Schmerzen auf, greift sich auf die blutende Wunde. Maria nimmt all' ihre Kraft zusammen, der Schmerzschrei verwandelt sich in einen markerschütternden Kampfschrei, und wirft sich nach hinten auf Alexander, der dadurch nach hinten gedrückt wird und mit dem Kopf wuchtig an der verfliesten Wand aufschlägt: WUMM! Er rutscht langsam nach unten, bis er an der Wand lehnend zum Sitzen kommt. Er rührt sich nicht mehr. Der Aufschlag war so stark, dass Alexander das Bewusstsein verloren hat. JACKIE Du Idiot! Jackie greift zu einem wuchtigen Schlachtbeil und zielt auf. Maria schrickt auf und wirft sich auf den Boden, Jackie schwingt voll durch, über Maria saust das Beil mit einem WUSCH vorbei und schlägt in die Fliesenwand mit so einer Wucht ein, WUMM, dass eine Fliese heraus bricht und auf den darunter sitzenden Alexander fällt. Maria wuchtet sich hoch unter der jetzt über ihr stehenden Jackie und hebt bzw. drückt Jackie zurück, das Schlachtbeil bleibt in der Wand steckend zurück. Maria drückt Jackie quer durch den ganzen Raum, bis die beiden auf der anderen Seite des Raumes gegen die Beine der dort an den Fleischerhaken hängenden Leichen stoßen, sie wühlen sich raufhandelnd durch die Reihe der Leichen, bis sie wieder in die Mitte des Raumes kommen. Jackie kann Maria abschütteln und stößt sie auf den Boden, wo Maria hart aufschlägt. Maria greift sich an die schmerzende und stark blutende Wunde. Jackie eilt zur Schlachtbank, wo sie nach der Säge greift und diese, RÖÖMMMMRÖMM, hastig startet, Abgaswolken steigen auf Maria schrickt auf, rappelt sich hoch und sieht Jackie mit der Säge auf sich zueilen. Maria flüchtet sich auf die gegenüberliegende Seite der Schlachtbank, der Weg nach draußen ist durch Jackie abgeschnitten. 88 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Maria ergreift sich ein kurzes, auf der Schlachtbank liegendes Messer. Sie blickt noch einmal auf die Bank, legt das Messer zurück und greift sich ein kleines Schlachtbeil. Kaum macht Jackie, die ja die Jägerin ist, einen Schritt nach rechts, bewegt sich Maria ebenfalls nach rechts, so dass keine der anderen näher kommen kann. Selbst so 'ausgebuffte' Tricks wie rechts antäuschen und links wegstarten, fruchten nicht. So geht das eine Zeit lang hin und her, bis, RÖÖÖM-RÖM-KRACHZ-RÖM-ACHZKR/ICHZ, die Säge ihren Geist aufgibt, Benzin alle. Da hilft alles Rütteln und Schütteln nichts, die Säge mag nicht mehr. Jackie blickt etwas verzweifelt Maria an, die jetzt in der Position der Jägerin ist. Maria wechselt sofort auf die Seite der Schlachtbank, wo sie den Weg Jackies abschneiden kann, jetzt sucht Maria die Entscheidung. Jackie hat auf Druck Marias auf die andere Seite gewechselt, wo sie aber wiederum die defekte Säge gegen das ja dort liegende Messer austauschen kann, ein strategischer Fehler Marias. Das Licht fällt aus, geht wieder an, flackert. Beide Frauen schauen nach oben, dann wieder nach vor. JACKIE (auf die Tür nickend, schwer atmend) Du kannst noch gehen! MARIA (entschlossen, atmet schwer) Jetzt nicht mehr! Sekunden vergehen, in denen sich die beiden hasserfüllt in die Augen blicken. JACKIE Bis zum Ende? MARIA Was sonst? Jackie nickt, schlägt mit dem Messer mit voller Wucht, KLIRR, auf die Kette der Motorsäge, die Kette reißt. Jackie zieht die Kette mit einem ZRRRR von der Säge, schwingt die Kette, SUNG-SUNG-SUNG, bedrohlich seitlich neben sich. 89 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 JACKIE (nickend) Ich bin bereit! Maria blickt sich etwas um, bewegt sich dann etwas zurück, ohne dabei Jackie natürlich nicht aus den Augen zu verlieren, und greift nach einem leeren, großen Plastikbehälter und hält diesen vor sich als Schild und bewegt sich damit wieder zurück zur Schlachtbank. MARIA Und ich erst! Jackie nickt, Maria nickt. Die beiden blicken auf den freien Platz neben der Schlachtbank. Die beiden bewegen sich gleichzeitig und ohne sich aus den Augen zu lassen seitlich gehend hinter der Schlachtbank hervor auf den freien Platz, wo im Hintergrund Alexander noch immer regungslos am Boden liegt. Das flackernde Licht zerlegt die Bewegungen wie ein Stroboskop in Standbilder. Der Kampf geht ins Finale: Duellartig stehen sich die beiden Frauen nun schwer bewaffnet gegenüber. SUNG-SUNG-SUNG: Jackie schwingt bedrohlich ihre Kette, ihr Messer hält sie in ihrer erhobenen, rechten Hand. Maria steht verschanzt hinter ihrem Schild, das Beil hält sie in ihrer rechten Hand etwas nach hinten, um dieses jederzeit mit einem Schwung nach vor bringen zu können. Maria startet einen Angriff: Mit einem Kampfschrei stürmt sie mit erhobenem Schild und ausgeholtem Schlachtbeil auf Jackie zu. Jackie macht einen Ausfallschritt und zieht mit voller Wucht die Kette durch, die mit einem ZENG über den Rand des Schildes hinweg kracht und mit einem PFUUU auf die bereits verletzte Schulter Marias schwingt. Die Kette springt nach hinten weg und fällt zu Boden: KLING. Maria schreit vor Schmerz auf, sie zieht das Schild etwas nach hinten und lässt das Beil nach vor schwingen. Jackie kann sich gerade noch bücken, das Beil saust, SENG, über Jackie hinweg. Jackie versucht, die offene Deckung ihrer Feindin zu nützen, richtet sich auf und stößt das Messer nach vor. Maria zieht das Schild hoch und, CRONG, das Messer dringt durch den Plastikbehälter hindurch und auf der anderen Seite wieder raus und kommt nur ganz knapp vor Marias Gesicht zu stehen. Jackie versucht das Messer wieder raus zu ziehen, vergeblich. 90 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 Maria drückt nun das Schild vor, schiebt mit aller Kraft dagegen und drängt Jackie nach hinten. Jackie kommt nach ein paar Schritten zum Stolpern, hält sich am Schild fest und reißt Maria mit zu Boden. WUMM Die beiden schlagen hart auf Im Hintergrund liegt nach wie vor regungslos Alexander. Jackie liegt nun unter dem Schild am Boden, Maria oben auf Maria holt mit ihrem Beil aus, Jackie versteckt sich hinter dem Schild und ZENG, das Beil dringt nun in den Schild ein und kommt auf der Seite Jackies wieder raus, knapp vor Jackies Gesicht. Maria zieht das Beil wieder raus, holt mit beiden Händen aus. Jackie wirft das Schild hoch, dieses trifft Maria und fällt seitlich weg. Maria zielt an, Jackie liegt waffen- und deckungslos vor ihr. JACKIE Mariaaaaaaa! Das Licht fällt völlig aus, absolute Dunkelheit. Maria zieht voll durch, SENG und WUMM. Kurzes Schweigen. Das Licht geht wieder an. Wir sehen, dass das Beil ganz knapp neben dem Kopf Jackies in den Fliesenboden gerammt wurde. Jackie blickt mit großen, starren Augen auf das Beil. JACKIE Spinnst du? Jackie schlägt Maria die Waffe aus der hand und wirft mit Hilfe ihrer Beine Maria seitlich neben sich hinweg. Jackie rollt sich auf Maria, so dass Maria jetzt unten und Jackie oben liegt. Jackie hat Maria im Würgegriff, Maria greift Jackie an die Gurgel, die beiden drücken so fest sie können zu. Die Gesichter färben sich langsam Rot, beide röcheln nach Luft, keine gibt auf, obwohl die Kräfte und das Durchhaltevermögen bei beiden sichtlich sinkt. Jackie kann sich nicht mehr auf Maria halten und fällt seitlich neben Maria, ohne auch nur kurz die Hände von ihrem Hals genommen zu haben. Lange halten die das nicht mehr durch. Beide geben ihr Letztes und drücken noch einmal mit voller Kraft zu. Sie können kaum sprechen. JACKIE Hör auf! 91 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 MARIA Hör du auf! JACKIE Hör DU auf! MARIA Ich kann nicht! JACKIE Ich auch nicht! MARIA Schön! JACKIE Schön! Maria nickt 'Verstehe!', Jackie nickt 'Verstehe!'. Die beiden drücken noch einmal mit voller Wucht so lange zu, bis sie beide tot zusammen sacken. Sie sind tot. Regungslos liegen sie sich gegenüber, die Hände am Hals des anderen. Sie scheinen sich irgendwie zu umarmen. Wir blicken von oben auf den Schauplatz dieses Kampfes. Alexander erwacht aus seiner Bewusstlosigkeit und greift sich auf den Hinterkopf. Er sieht die beiden Frauen vor sich liegen. Er richtet sich auf und blickt erstarrt auf Jackie und Maria. Sekunden vergehen, dann geht Alexander auf Jackie zu, nimmt sie bei den Füßen und zerrt sie in Richtung der Schlachtbank. ABBLENDE AUFBLENDE WOHNUNG MARIA, KÜCHE, INNEN, NACHT BLUBB-BLUBB! Am Küchenherd kocht ein großer Topf mit Wasser. Alexander sitzt am Küchentisch und hat einen Teller mit vielen gekochten Burenwürsten vor sich. Er mampft wild in sich rein. 92 © Rainer Weidlinger, Wien 2007 WOHNUNG MARIA, WOHNZIMMER, INNEN, NACHT Im bläulichen Licht des Fernsehers sehen wir Alexander auf der Couch liegen, die Füße hat er hoch gelagert, mit einer Wolldecke zugedeckt. Er knabbert genüsslich an einer Burenwurst. Wir hören eine Tiersendung über das Paarungsverhalten von Gorillas im afrikanischen Tropenwald. Alexander gähnt. Die angebissene Wurst legt er seitlich weg auf einen Teller mit anderen Burenwürsten. Er schaltet den Fernseher ab und dreht sich seitlich weg zum Schlafen. ALEXANDER (gähnend) Ja, Herr Doktor. ABBLENDE ENDE © Rainer Weidlinger, Wien 2007 93