1 Wien und Wagner Hartmut Zelinsky „Parsifal“ und „Hakenkreuz“ Dem aufmerksamen Zeitgenossen kann anhand verschiedener beflissener medialer Verlautbarungen in den vergangenen Monaten nicht entgangen sein, dass im Jahr 2013 ein doppeltes Wagnerjahr auf uns zukommt: der 200. Geburtstag und der 135. Todestag. Opernhäuser, Verlage, Akademien und andere Kultureinrichtungen haben ihre Programme längst daraufhin ausgerichtet und es steht zu vermuten, dass die Tendenz, ein nationales musikalisches Großereignis zu zelebrieren, überwiegen wird. Einen Vorgeschmack auf diese Tendenz bietet das Programmheft der von Herbert von Karajan als NebenBayreuth gegründeten „Osterfestspiele Salzburg 2013“, zum ersten Mal unter der künstlerischen Leitung von Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Im Zentrum steht eine Neuinszenierung des „Bühnenweihfestspiels Parsifal“, bei dessen Einstudierung durch Karajan Ostern 1981 Thielemann assistieren durfte, wie dieser in einem Einleitungsbrief an die „sehr geehrten Damen und Herren“ und „lieben Musikfreunde“ schreibt. Darin betont er, dass es ihn besonders freue, „dass im Wagner-Jahr 2013 erneut `Parsifal` im Fokus stehen wird - mit jenem Orchester im Graben, das Wagner einst selbst leitete und als seine `Wunderharfe` bezeichnete“. Dass durch dieses „Bühnenweihfestspiel“ seit 1882 von Bayreuth aus und nach Ablauf der dreissigjährigen Schutzfrist seit 1914 von unzähligen Opernhäusern aus eine deutsche Heilsidee des reinen Blutes als militante neue Religion mit einem „arischen“ Christus verbreitet werden sollte und bis zu den Nürnberger Gesetzen 1935 auch verbreitet wurde – damit werden die „lieben Musikfreunde“ nicht behelligt. Doch Thielemanns Mentor Karajan, der als Student in einen Personalbogen als Nationalität „deutsch-arisch“ eintrug und der Schüler des antisemitischen Bayreuther „Parsifal“-Dirigenten Karl Muck und früher Sympathisant des Nationalsozialismus wurde, war zweifellos ein in das „Geheimnis“ der Wagnerschen Werk-Idee und auch des „Parsifal“ „Eingeweihter“ – wie die Bayreuther Sprachregelung lautete. Doch auch das Programmheft der Salzburger Osterfestspiele betont den religiösen Karfreitags-Kontext dieser Tage: für den Umschlag und die Titel und Überschriften wählte man die Farbe violett, die Farbe der Katholischen Breviere, die auch schon in früheren Jahren für bayreuthtreue Wagner-Veröffentlichungen gewählt wurde. Doch auch an anderen Orten arbeitet Thielemann für Wagner: Jüngst erschien ein Buch mit dem Titel „Mein Leben mit Wagner“, über das in der FAZ zu lesen war: „Christian Thielemann sagt oft: Ich, ich, ich. Vielleicht wäre er gern des Teufels Dirigent – vor allem aber will er mit der Musik Wagners überwältigen.“1 Und als Ende Juli bei den Bayreuther Festspielen der für die Rolle des Holländers engagierte russische Bariton Evgeny Nikitin wegen einer Hakenkreuz-Tätowierung seine Titelpartie aufgeben mußte, bemerkte der „Holländer“-Dirigent Thielemann: „Ein Hakenkreuz geht nie, nicht nur in Bayreuth. Das geht auch in Australien nicht.“2 Mit dieser griffigen Bemerkung stellte Thielemann sich hinter die Entlassungsentscheidung der Festspielleitung, die allerdings bei der heftigen und breiten Diskussion um den Fall Nikitin in den verschiedenen Medien auch Kritik erfuhr. So wies der Münchner Opernintendant Nikolaus Bachler – ein gebürtiger Österreicher – darauf hin, dass der Sänger den Vorfall bedauert und Reue gezeigt habe, eine Reue, wie er hinzufügt, „die ich von der Familie Wagner in den letzten 50 Jahren nie vernommen habe“. Und Bachler betont mit Recht: „Ich sehe in der Causa zunächst mehr ein Problem Bayreuths und der Wagner-Familie als eines des Sängers. Dass die Torheit eines 16-jährigen Rocksängers ausgerechnet nun von der Wagner-Familie geahndet wird, finde ich verlogen. Man zeigt offenbar mit 1 2 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Oktober 2012, S. L 26 Münchner Abendzeitung, 24. Juli 2012,S.13 2 dem Finger auf jemanden anderen, weil man mit der eigenen Geschichte ein Problem hat.“3 Doch dieser Hinweis auf die „eigene Geschichte“ zielt auf die „braune Vergangenheit“ Bayreuths, deren ausstehende Aufarbeitung in zahlreichen Presseberichten, aber auch vom deutschen Kulturstaatsminister Bernd Neumann angemahnt wurde. So nötig und wünschenswert diese „Aufarbeitung“ auch sein mag, zu der es außerdem bereits zahlreiche Veröffentlichungen gibt, so wird die sogenannte Vergangenheitsbewältigung Bayreuth erst dann erreicht haben, wenn man nicht mehr nur auf die noch verschlossenen Nachlässe der Wagner-Familie und ihres braunen Umfeldes starrt, sondern Wagners musikdramatisches Werk, seine Werk-Idee und Weltanschauung ins Visier nimmt und damit die dominante und verheerende Wirkungsgeschichte seines werkbezogenen Vernichtungs- Antisemitismus und der Blutideologie seiner neuen deutschen Religion in Deutschland und Österreich.4 Die Anspielungn auf die NS-Zeit in Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung, der Bildermarsch durch die deutsche Geschichte unter Einbeziehung von Hakenkreuzfahnen in Stefan Herheims Bayreuther „Parsifal“, die Hakenkreuz-Diskussion des letzten Sommers und die unverfroren von der immer aktiven Bayreuther Schutztruppe gestreute Behauptung, dass nicht Wagner, sondern Cosima Wagner mit ihren ideologischen Mitstreitern für den Bayreuther Antisemitismus verantwortlich sei – alle diese Aktivitäten verweisen auf den Verdrängungdruck, Wagner nur ja herauszuhalten aus diesen beklemmenden, nie zur Ruhe kommenden Auseinandersetzungen, um seine angeblich davon unberührte Musik und Kunst zu retten. Lange vor 1933, schon im Wagnerjahr 1913, erschien im Verlag von Breitkopf & Härtel ein von Carl Siegmund Benedict herausgegebenes Jubiläumsbuch unter dem Titel „Richard Wagner – sein Leben in Briefen“, auf dessen Rücken das Hakenkreuz in einem Goldkreis mit Strahlenkranz und auf dessen vorderem Umschlag der Schwan aus dem „Parsifal“ vor einem Goldhintergrund mit Strahlenkranz eingedruckt sind.5 Hier wird unverkennbar an das Wissen von dem im „Parsifal“ verkündeten Heilsgedanken eines „arischen“ Christus mit seinem für das Judentum vernichtenden Konsequenzen appelliert, zumal in diesem Jahr 1913 die Exklusiv-Verkündigung vom Bayreuther Festspielhaus aus durch das Enden der dreißigjährigen Schutzfrist gefährdet war. Tatsächlich waren alle ParsifalschutzAktivitäten, an denen sich auch Arnold Schönberg und Hermann Bahr beteiligten, erfolglos und seit dem 1. Januar 1914 konnte die schauerliche Heils-Botschaft von allen Opernhäusern aus verkündet werden. Die Öffentlichkeit war schon seit Jahren auf dieses Ereignis eingestimmt worden und Wien spielt dabei eine nicht geringe Rolle, denn dort agierten die sich auf Wagner beziehenden antisemitischen Verfechter eines großdeutschen Gedankens, wie zum Beispiel Hermann Bahr und Georg Ritter von Schönerer. Allerdings lebten und wirkten in Wien auch die schärfsten und unabhängigsten Wagner-Kritiker wie Eduard Hanslick, Ludwig Speidel, Max Kalbeck, Daniel Spitzer, Joseph Popper-Lynkeus, Eduard Kulke, die als genaue unbestechliche zeitgenössische Beobachter Wagners rücksichtslosen „künstlerischen 3 Ebd. Siehe hierzu Hartmut Zelinsky, Die „feuerkur“ des Richard Wagner oder die „neue religion“ der Erlösung durch Vernichtung, in: Richard Wagner – Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?, Musik-Konzepte 5,München 1978 (S.79-112); -,Der „Plenipotentarius des Untergangs“ oder der Herrschaftsanspruch der antisemitischen Kunstreligion des selbsternannten Bayreuther Erlösers Richard Wagner. Anmerkungen zu Cosima Wagners Tagebüchern 1869-1883 (Geschrieben 1979), in: Neohelicon IX, 1, Budapest-Amsterdam 1982 (S. 145-176); --, Richard Wagners „Kunstwerk der Zukunft“ und seine Idee der Vernichtung, in: Geschichtsprophetien im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. Von Joachim H. Knoll und Julius H. Schoeps, BurgVerlag, Stuttgart-Bonn 1984 (S.84-106); --, Die deutsche Losung Siegfried oder die „innere Notwendigkeit“ des Judenfluches im Werk Richard Wagners, in: In den Trümmern der eigenen Welt, Hamburger Vorlesungen zu Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, hrsg. von Udo Bermbach, Reimer Verlag Berlin/ Hamburg 1989 (S.187-236); --, Verfall, Vernichtung, Weltentrückung. Richard Wagners antisemitische Werk-Idee als Kunstreligion und Zivilisationskritik und ihre Verbreitung bis 1933, in: Richard Wagner im Dritten Reich. Ein Schloss Elmau-Symposium, hrsg. von Saul Friedländer und Jörn Rüsen, C.H. Beck Verlag München 2000 (S.309-341) 5 Siehe hierzu Hartmut Zelinsky, Sieg oder Untergang: Sieg und Untergang. Kaiser Wilhelm II., die Werk-Idee Richard Wagners und der „Weltkampf“, Keyser Verlag München 1990 (= HZ II), S.90 4 3 Cäsarenwahn“6 ,Terrorismus und Fanatismus – die er beide selbst mehrfach hervorhob – und die Werkbezogenheit seines Vernichtungs-Antisemitismus bereits als Zeitgenossen erkannten und aussprachen. Nach der Bayreuther Sprachregelung, die sich in der Wagner-Literatur vielfach durchgesetzt hat, wurden diese oft jüdischen Kritiker als Wagner-Gegner abgestempelt, deren Veröffentlichungen daher als unglaubwürdig zu verachten und zu verdammen seien. Daher spielen die im folgenden präsentierten kritischen Zeugnisse in der apologetischen Wagnerliteratur keine Rolle, auch wenn sie Einsichten und Erkenntnisse bieten, die die durch die einzigartige musikalische Präsentation anziehend gebliebene dominante Wirkung der „Kunst und Weltanschauung“ Richard Wagners – so der Untertitel des 1883 erschienenen „Wagner-Lexikons“ – über die Wilhelminische Zeit bis zum Dritten Reich auf erschreckende Weise verständlich macht. So erkannte Hitler Wagner als seinen einzigen Vorläufer an und bezeichnete ihn als die „größte Prophetengestalt, die das deutsche Volk besessen habe“, und betont, dass im „Parsifal“ nicht die „christlich-Schopenhauersche Mitleidsreligion verherrlicht“ werde, „sondern das reine, adlige Blut, das in seiner Reinheit zu hüten und zu verherrlichen sich die Brüderschaft der Wissenden zusammengefunden hat“.7 „Wien der richtige Ort für die große Kunstsache“ und der Kritiker Eduard Hanslick Es kann nicht übersehen werden, dass Wagners Verhältnis zu und sein Verhalten gegenüber dem von ihm zum Juden erklärten Hanslick eng verbunden ist mit seiner Beziehung zu Wien, auf das als führender Metropole der Musik und des Theaters Wagners Blick früh gerichtet ist, wobei der nachfolgebereite Blick auf Beethoven zweifellos im Zentrum steht. Davon zeugt die im November 1840 in der „Gazette musicale de Paris“ des Musikverlegers Schlesinger in vier Folgen erschienene Novelle „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“, in der ein junger deutscher Künstler schließlich von Beethoven empfangen wird, der ihm seine Idee des musikalischen Dramas mitteilt. Hinter dem „R“ genannten Künstler verbirgt sich der Komponist, Kapellmeister und Schriftsteller Johann Friedrich Reichardt (1752-1814), der Verfasser „Vertraute(r) Briefe, geschrieben auf einer Reise nach Wien und den österreichischen Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809“. Das erste Mal besuchte Wagner selber Wien im August/September 1832 und wieder nach den revolutionären Dresdener Aktivitäten im Juni 1848 dann im Juli 1848, um auch in Wien seine Theaterpläne umzusetzen. Darüber schreibt der österreichische Publizist Friedrich Uhl in seinen Erinnerungen: „Richard Wagners erstes Erscheinen in Wien war weniger auffallend und geräuschvoll als jenes Berlioz’, des musikalischen Benvenuto Cellini. Wagner kam eigentlich gar nicht als Musiker, sondern als Politiker nach Wien... Wagner entwickelte seine Ideen und Pläne über das `Theater der Zukunft`...Er meinte, dass Wien der richtige Ort für die große Kunstsache wäre, und ich stimmte ihm natürlich bei.“8 Doch dass es Wagner um Herrschaft ging hat Eduard Devrient in seinem Tagebuch festgehalten:“ 12. Oktober 1848 ..Er klagt mich förmlich an, dass ich nicht auf seine Theaterrevolutionspläne eingegangen bin. Er meint, eine Schrift von mir hätte die Revolution längst vollendet. Wie der mich verbrauchen möchte für seinen Vorteil und seine Lieblingspläne...21. November 1848. Wagner kam, und wir gerieten in Diskussion über Theaterreform...Ich weiß genau, wie Wagner denkt. Er ist ein Phantast und treibt mit seinen demokratischen Prinzipien den ausgedehntesten Unfug. Ich weiß nun, dass der ein Tor ist, der sich mit ihm auf Direktionsgemeinschaft einlassen wollte. Zudem traten seine Gelüste, ein selbständiges Musikreich am Theater gründen und beherrschen zu wollen, Siehe hierzu Hartmut Zelinsky, Richard Wagner – ein deutsches Thema, Eine Dokumentation zur Wirkungsgeschichte Richard Wagners 1876-1976, Zweitausendeins Frankfurt/M. 1976 und Medusa Verlag.Berlin-Wien 19833 (=HZ I), S.65 7 Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler, Europa Verlag Wien, Zürich, New York 1940, S. 215f. 8 Richard Wagner, Ein Lebens- und Charakterbild in Dokumenten und zeitgenössischen Darstellungen, hrsg. von Werner Otto, Buchverlag Der Morgen Berlin 1990 (=Otto), S.95 f. 6 4 deutlich hervor.“9 Neben seinen sich verstärkenden musikalischen Einwänden war es eben dieser auch in der Gründung des „Patronats-Vereins“, der „Wagner-Vereine“ und der „Bayreuther Blätter“ (seit 1878) erkennbare und immer sichtbarer werdende absolute Herrschaftsanspruch Wagners, der Hanslicks Kritik herausforderte und verschärfte, wobei er seinen ruhigen, souveränen und argumentsicheren Ton immer beibehielt. In seinem Aufsatz „Kritische Nachfeier von Bayreuth“ – nach dem ersten „Bühnenfestspiel“ 1876 – kommt Hanslick auf den „Rattenkönig von Wagner-Vereinen und Wagner-Broschüren“, die „WagnerGötzendienst“ betreiben würden, ebenso zu sprechen wie auf die „Wagner-Vergötterungsaufsätze und Schmähartikel gegen alle Nicht-Wagnerianer“ in den „Bayreuther Blättern“. Hanslick konstatiert, daß die „Isolierung in dem kleinen Bayreuth ... in Wagner die Neigung zum Größenwahn ungemein verstärkt zu haben (scheint)“,und schreibt zu den von dem Wiener Liszt-Schüler Karl Tausig begründeten „PatronatVereinen“: „Die Erfindung solcher `Patronat-Vereine`, welche, halb Lehramt, halb Gottesdienst, Einem einzigen Künstler dienen, war erst unserer Zeit vorbehalten und leider unserer Nation. Schwerlich würde in Frankreich, England, Italien ein solches Spinnennetz von Vereinen sich ausbreiten können, welche auf ästhetischen Terrorismus hinarbeiten...“10 Hanslick wußte wovon er sprach, denn er hatte Wagners Weg seit ihrer ersten Begegnung in Marienbad im Juli 1845, wo Wagner ihn zu einer „Tannhäuser“Aufführung nach Dresden einlud, aufmerksam und anfangs auch mit Sympathie verfolgt. Nachdem Hanslick dann im Sommer 1846 den „Tannhäuser“ in Dresden gesehen hatte, zog er im Herbst dieses` Jahres zur Beendigung seines Studiums nach Wien und empfand es – wie er festhielt – „als eine wahre Schmach, daß Schumann und Wagner daselbst nur dem Namen nach bekannt waren“: „Ich wollte mein Scherflein dazu beitragen, diese beiden Tondichter in Wien rascher bekannt zu machen. Es glückte mir, die einzige damals in Wien existierende Partitur des `Tannhäuser`(Liszt`s Eigentum) für einige Tage zur Durchsicht zu erhalten; ich vertiefte mich darin und legte meine Ansicht in einer langen, mit Notenbeispielen reich gespickten Kritik nieder.“ Der Antwortbrief Wagners auf die ihm zugesandte Kritik vom 1. Januar 1847, den Hanslick nach über dreißig Jahren mit einem ausführlichen Kommentar selber veröffentlichte, ist deshalb ein bedeutendes Dokument, weil Wagner darin ausführlich mit freimütiger Offenheit und Klarheit den künstlerischen Schaffensprozeß beschreibt, den er wenig später im Zusammenhang mit den Programm- und KampfSchriften „Das Kunstwerk der Zukunft“, „Oper und Drama“ und „Das Judentum in der Musik“ (1849/1850) verdecken und mythisieren wird. Ein zentraler Satz darin lautet: „Schlagen Sie die Kraft der Reflexion nicht zu gering an; das Kunstwerk der höchsten Bildungsperiode kann nicht anders als im Bewußtsein produziert werden.“ Der Schluß von Hanslicks Kommentar lautet: „...Um so lieber übergebe ich der Öffentlichkeit jenen Brief aus jungen Tagen, in welchem sich die schönste Seite von Wagners Tätigkeit so offen darlegt: der sittliche Ernst und die unbeugsame Energie, mit welcher er seinen, einmal für richtig erkannten Weg verfolgt. Es ist mir angenehm, mit jenem Document Zeugniß ablegen zu können für den Geist und die Überzeugungstreue eines Mannes, dessen neuesten übermenschlichen Nimbus ich gleichwohl nach bestem Wissen und Gewissen bekämpfen muß.“11 Schon in dem Brief deutet sich eine gewisse Distanz an, wenn Wagner betont: „Was mich um eine Welt von Ihnen trennt, ist Ihre Hochschätzung Meyerbeers.“12 Denn hier kündigt sich schon die Kampfschrift „Das Judentum in der Musik“ an, als dessen Repräsentant und Agent in Wien Hanslick vor allem dann in den 60er Jahren Wagner im Wege steht, sodass dieser das Modell für die Figur des Beckmesser in den „Meistersingern“ wird, die ursprünglich auch den Namen „Veit Hanslich“ trug. Vom Sommer 1861 bis Anfang 1864 hielt 9 Ebd. S.98f. Eduard Hanslick, Musikalische Stationen (Der „Modernen Oper“ II.Teil), Allgemeiner Verein für deutsche Literatur Berlin l885, S. 264f. 11 Ebd. S. 270, 275, 276 12 Ebd. S 275 10 5 Wagner sich immer wieder mehrere Wochen in Wien auf, auf das er großen Wert legte und wo er ihm ergebene Gönner fand. Hier schrieb er im November 1861 den Prosaentwurf der „Meistersinger“ und Ende 1862 das „Vorwort zur Herausgabe der Dichtung des Bühnenfestspiels ‚Der Ring des Nibelungen’“ – 1863 veröffentlicht – und hier entstanden im Juni 1863 Partiturseiten der 1. Szene der „Meistersinger“. Der „Botschafter“ druckte den Text des ganzen ersten Aktes der „Meistersinger“ und für ihn schrieb Wagner „Drei Briefe über das Wiener Operntheater“. Nach dem „Tannhäuser“-Debakel im März 1861 erhielt Wagner von Karl Graf Lankoronski-Brzezic, dem Intendanten der Wiener Kaiserlichen Hoftheater, das Angebot, den „Tristan“ aufzuführen, ein Plan, der dann allerdings an dem Wiener Tenor Alois Ander scheiterte. Doch Wagner fuhr nach Wien und erlebte am 15. Mai 1861 in der Hofoper anläßlich einer „Lohengrin“-Aufführung eine beispiellose Huldigung. Von August bis Oktober 1861 wohnte Wagner in Gumpendorf bei dem Journalisten Adolf Kolatschek, dem Herausgeber des „Botschafter“, und später in der Innenstadt bei dem Arzt und Musikfreund Dr. Joseph Standhartner. Am 26. Oktober 1862 dirigierte Wagner zu Ehren der Fürstin Pauline Metternich, die ihm in Paris als großmütige Spende 25.000 Francs übergeben hatte, eine konzertante Aufführung von Teilen des „Tristan“, und am 26. Dezember 1862 und mit Wiederholungen am 1. und 11. Januar 1863 drei große Opernkonzerte mit Ausschnitten aus seinen Werken. Darüber schrieb der in Wien lebende Friedrich Hebbel: „Der Held des Tages ist hier jetzt Richard Wagner, der in Konzerten, die er selbst dirigiert, Fragmente aus seinen unvollendeten Opern zum besten gibt. Ich selbst wage nicht zu entscheiden, ob die Musik mehr die Seele ergreift oder das Rückenmark schüttelt....Immerhin ist der `Walkürenritt`eine vortreffliche Ouvertüre zum Wiener Karneval. Das pfeift, zischt, klingelt, rauscht, stürmt, als ob der Moment gekommen wäre, wo auch die Steine Ton und Stimme erhalten sollen, und man wundert sich nur noch, daß man beim letzten Taktstrich nicht samt dem Komponisten und dem ganzen Theater in die Luft fliegt.“13 „Die Meistersinger“ und „Das Judentum in der Musik“ Zu der Vorlesung seines „Meistersinger“-Textes am 23. November 1862 in der Wohnung des Dr. Standhartner hatte Wagner auch Hanslick einladen lassen. Man darf vermuten, daß dieser genau verstanden hat, was er hörte, auch wenn er sich später positiv dazu äußerte und sich gegen Wagners Darstellung – in „Mein Leben“ – , er sei während dieser Vorlesung immer blasser und verstimmter geworden und habe nach dem Schluß in unverkennbar gereizter Stimmung Abschied genommen, verwahrte mit den Worten: „Wie wunderbar verzerrten sich doch in Wagners Augen die einfachsten Dinge – oder wie sinnreich wußte er sie nachträglich zurechtzulegen!“14 Am 21. Juni 1868 hörte Hanslick in München die Uraufführung der „Meistersinger“ und veröffentlichte dazu am 24./26. Juni in der „Neuen Freien Presse“ in Wien eine scharfe ablehnende Kritik. Darin heißt es: „Nicht die Schöpfung eines echten Musikgenies haben wir kennengelernt, sondern die Arbeit eines geistreichen Grüblers, welcher – ein schillerndes Amalgam von Halbpoet und Halbmusiker – sich nach der Spezialität seines in der Hauptsache lückenhaften, in Nebendingen blendenden Talents ein neues System geschaffen hat, ein System, das in seinen Grundsätzen irrig, in seiner konsequenten Durchführung unschön und unmusikalisch ist. Wir zählen die `Meistersinger`mit einem Worte zu den interessanten musikalischen Ausnahms- oder Krankheitserscheinungen...“15 13 Otto, S.272,273 Otto, S.271/272 15 Otto, S.420; auch der gerade entlassene Wiener Burgtheaterdirektor Heinrich Laube besuchte die „Meistersinger“Uraufführung und schrieb darüber – Hanslicks Eindruck bestärkend – am 25. August 1868 ebenfalls in der „Neuen Freien Presse“: „...Ich habe Richard Wagner schon gekannt, als er noch ein Jüngling war, und sehe seiner Entwicklung zu seit dreißig Jahren... In Leipzig verkehrte ich 1833 mit ihm und entwarf damals einen Operntext für ihn, `Kosciusko`...Eine kluge Mischung von Idealismus und praktisch realem Blick war auch dem Jünglinge schon zu eigen. Wagner ist von einem tiefen 14 6 Die am Schluß der „Meistersinger“ beschworene „heil’ge deutsche Kunst“, die vorausweist auf den „Ring des Nibelungen“ und den „Parsifal“, zeigt der Öffentlichkeit nun unmißverständlich, worum es Wagner geht, der von sich selber sagte : „Ich bin der deutscheste Mensch, ich bin der deutsche Geist.“ 16 Das Gegen- und Feindbild ist und bleibt seit Veröffentlichung vom „Judentum in der Musik“ im Jahre 1850 der „Jude“, und wer im Wagnerschen Sinne „deutsch“ sagt, meint unaufhebbar „unjüdisch“ und „jüdisch“ meint „undeutsch“. Das Gegenbild in den „Meistersingern“ ist Beckmesser, der es wagt, sich in die deutsche Welt einzumischen, aber unfähig ist, das gestohlene deutsche Lied zu singen, er hat es „entstellt“, wie Hans Sachs höhnisch resümiert. Das Wort „Entstellung“ zielt bei Wagner ausnahmslos auf das „Judentum“, und auch im „Judentum in der Musik“ wird vom „entstellenden Ausdruck“ der „jüdischen Sprechweise“ gesprochen. Es ist daher von werkstrategischer Konsequenz, dass Wagner nach der Uraufführung der „Meistersinger“, die man als antisemitische Kampfoper oder als musikalische Neufassung vom „Judentum in der Musik“ bezeichnen könnte, eben diese Kampfschrift im März 1869 als Broschüre wiederveröffentlicht - diesmal unter seinem eigenen Namen und ergänzt um einen ausführlichen Brief an die Gönnerin Marie Muchanoff Kalergis „Aufklärungen über das Judentum in der Musik“. In diesem Brief ist „Dr. Hanslick in Wien“ das Haßobjekt und Wagner rächt sich an ihm auch – wie es scheint - für die Schrift „Das Musikalisch-Schöne“, in der Hanslick 1854 Mendelssohn hervorhob, und für die „Meistersinger“-Kritik. Aber vor allem ist Hanslick der Repräsentant der „musikalischen Judenschönheit mitten im Herzen eines vollblutig germanischen Systems der Ästhetik“. Der Judenverfolger Wagner behauptet in seiner bewährten Projektions-Manier die „Verfolgung“ und „Agitation der Juden“ gegen ihn, brandmarkt die „Einmischung des jüdischen Wesens in unsere Kunstzustände“ und erwägt sogar die Möglichkeit, „ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne“.17 In dem Wort „vollblutig“ erkennt man, daß das Blut-Thema, die Idee des reinen deutschen Blutes und das Geheimnis des von dem Judentum „befreiten“ arischen Christus, auch hier präsent ist. Es ist dieses Geheimnis, auf das die Verse bei der Grundsteinlegung für das Festspielhaus im Mai 1872 anspielen, das Wagner für seine „heilige“ und „deutsche“ Kunst errichtete. Nachdem er im März 1864 aus Wien, wo er im Mai 1863 die erste Etage eines dem Baron von Rachowin gehörenden Landhauses in Penzing für fünf Jahre gemietet und prächtig eingerichtet hatte18, wegen Wechselschulden geflohen war und im Mai 1864 der bayerische König Ludwig II. Wagner gesucht und gefunden hatte, war dieser fortan aller materiellen Sorgen ledig. Es ist nicht zu übersehen, wie diese neue Sicherheit Wagners „Grössenwahn“ und „Selbstvergötterung“ und damit seine Rücksichtslosigkeit und Schonungslosigkeit vor allem gegenüber den Juden zementierte, was auch an der Wiederveröffentlichung vom „Judentum in der Musik“ und dem höhnisch-verletzenden Selbsterhaltungstriebe; er ist von großer geistiger Gewandtheit und einem außerordentlichen Unternehmungssinn. Aus diesen Eigenschaften hat er ein System erklärt, welches all das zum Gesetze erhebt, was er kann. Und nur das! Und welches all das beseitigt, was er nicht kann... Seine Kombinationskraft ist viel stärker als sein Talent, und aus ihr stammt die musikalische Bewegung, die er anrichtet.“ (Ebd. S.421) Siehe hierzu den Rahmenessay „Richard Wagner und die Folgen“ und darin vor allem das 1. Kapitel „Wagner – der ‚Erbe Hegels’, der ‚deutscheste Mensch’, der konservative Revolutionär“ und darin 1.6. „Hegel und das ‚nagelneue Musiksystem’“.Unter den dort zitierten Versen Grillparzers findet sich auch das folgende Epigramm: „Ein Tor, wer der Torheit entgegenstrebt,/ Man muß es der Zeit übergeben/ Habe die Hegelsche Philosophie überlebt,/ Werd auch die Zukunftsmusik überleben.“ (HZ I, S. 6ff.) 16 HZ I, S.29; weiter heißt es in dem Eintrag vom 11. September 1865 im „Braunen Buch“: „Fragt den unvergleichlichen Zauber meiner Werke, haltet sie mit allem Übrigen zusammen: Ihr könnt für jetzt nichts anderes sagen, als – es ist deutsch. Aber was ist dieses Deutsche? Es muß doch etwas wunderbares sein, denn es ist menschlich schöner als alles Übrige? – O Himmel! Sollte dieses `Deutsche` einen Boden haben! Sollte ich mein Volk finden können! Welch herrliches Volk müßte das werden? Nur diesem Volke könnte ich aber angehören.“ 17 Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Breitkopf&Härtel/ C.F.W. Siegel Leipzig o.J., Bd. VIII (=RW VIII), S.250, S.251, S.254 18 Siehe hierzu Briefe Richard Wagners an eine Putzmacherin, veröffentlicht von Daniel Spitzer, Verfasser der Wiener Spaziergänge, Verlagsbuchhandlung Carl Conegen (Ernst Stülpnagel), Wien 1906. Zuerst erschienen als Feuilletons in der „Neuen Freien Presse“ am 16./17. Juni und mit Nachwort am 1. Juli 1877. 7 Ton des beigefügten Briefes abzulesen ist. Der am Schluß dieser Kampfschrift den Juden als einzig mögliche „Erlösung von dem auf Euch lastenden Fluche“, „die Erlösung Ahasvers“19, zugemutete „Untergang“ gehört spätestens seit dem März 1869 zum Glaubensbekenntnis jeden Wagnerianers. Das gilt auch für die durch Wagners Musik angezogenen Juden, die oft den Zugang zu Wagner suchten und fanden wie Karl Tausig und Heinrich Porges in Wien oder Joseph Rubinstein und Hermann Levi, der Uraufführungs-Dirigent des „Parsifal“20, aber auch der in Wien geborene Angelo Neumann, der 1862 als Bariton an der Wiener Hofoper tätig war und 1882-1883 mit dem von ihm gegründeten reisenden Wagner-Theater 135 „Ring“-Vorstellungen und 58 Wagner-Konzerte unter dem Dirigenten Anton Seidl veranstaltete. In Cosima Wagners Tagebüchern, deren erster Eintrag am 1. Januar 1869 bereits von der „Ausarbeitung des Juden-Aufsatzes“21 spricht und die ein antisemitisches Schreckensarsenal genannt werden müssen, kann man nachlesen, wie verächtlich und höhnisch man unter sich über die jüdischen Anhänger sprach, die dennoch schamlos ausgebeutet wurden und in ihrer ausweglosen SelbsthaßSituation tragische Figuren waren. Die antijüdische Stoßrichtung der „Meistersinger“ ist in Verbindung mit der öffentlich breit diskutierten Wiederveröffentlichung vom „Judentum in der Musik“ von den Zeitgenossen so genau begriffen worden, dass bei Aufführungen in Mannheim, Wien und Berlin jüdische Zuschauer bei Beckmessers Ständchen durch Zischen und Rufe protestiert haben. Cosima Wagner endet am 14. März 1870 einen sich auf den in deutschen Zeitungen breit behandelten „Meistersinger“-Eklat anläßlich der Wiener Erstaufführung beziehenden Eintrag mit der Triumphformel: “Jedoch vollständiger Sieg der Deutschen.“22 In seinem „Wiener Spaziergang“ über die „Meistersinger“-Aufführung kommt Daniel Spitzer ausdrücklich auf die Juden-Broschüre zu sprechen. Er schreibt: „Man hatte erwartet, daß infolge der Wagnerschen Broschüre ‚Das Judentum in der Musik’ die Aufführung der ‚Meistersinger’ erwünschte Gelegenheit zu einem kleinen Religionskriege bieten würde. ... Man kam jedoch während der Vorstellung über die Verbalinjurien nicht hinaus, wobei freilich die Wagnerianer oft jedes Maß vergaßen, und so einem sehr anständigen Zischer das Schmähwort ‚Mendelssohn-Bartholdy’, einem anderen den noch gröberen Schimpfnamen ‚Meyerbeer’ ins Gesicht schleuderten...“23 „Der Jude wird verbrannt“ Eduard Hanslick setzt sich in seiner Besprechung der Juden-Broschüre, die – wie er betont – „mit jedem Bogen leidenschaftlicher, gehässiger und verlogener (wird)“, ausführlich mit dem ihn und die Juden schmähenden Brief an Marie Muchanoff auseinander, auch wenn er Ekel an diesem „widerwärtigen Buch“ empfindet. Für ein „Libell gegen Wagner“ hätte er den Titel „Der Größenwahnsinn in der Musik“ 19 Richard Wagner, Die Kunst und die Revolution, Das Judentum in der Musik, Was ist deutsch?, hrsg. und kommentiert von Tibor Kneif, Rogner&Bernhard München 1975, S.77 20 Siehe hierzu Hartmut Zelinsky, Hermann Levi und Bayreuth oder der Tod als Gralsgebiet, in: Beiheft 6 zum Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv, hrsg. von Walter Grab, Tel Aviv 1984 (S.309-353), und Fono Forum Heft 7-11, München 1985; --, Der Dirigent Hermann Levi. Anmerkungen zur verdrängten Geschichte des jüdischen Wagnerianers, in: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern, Aufsätze, hrsg. von Manfred Treml und Josef Kirmeier unter Mitarbeit von Evamaria Brockhoff, Haus der Bayerischen Geschichte München 1988 (S.411-430); --, Arnold Schönberg – der Wagner Gottes. Anmerkungen zum Lebensweg eines deutschen Juden aus Wien, in: Neue Zeitschrift für Musik, April 1986, Schott Verlag Mainz 21 Cosima Wagner, Die Tagebücher, Band I 1869-1877, ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, R.Piper&Co. Verlag München/Zürich 1976 (=CW I), S.22 22 CW I S.208; über die Berliner Erstaufführung am 1. April 1870 in der Lindenoper notiert Cosima Wagner sich am 4. April: „Brief Herrn von Gerstorff’s aus Berlin über die Msinger; wie in Wien ist Beckmesser’s Ständchen das Signal für die Zischer gewesen, welche jedoch vollständig besiegt wurden.“ (Ebd.S. 216) Am Anfang seines unterwürfigen Briefes hatte Gerstorff geschrieben: „Vor einer halben Stunde war die Entscheidungsschlacht zwischen Judentum und Kunst noch heiß entbrannt, jetzt steht das Opernhaus stumm und dunkel, als sei nichts geschehen.“(Otto S.429) 23 Otto S.422 8 gewählt und wie ernst es ihm damit ist, zeigt eine Passage am Schluß des Textes: „Für die Charakteristik Wagners hat es (das widerwärtige Buch, HZ) eigentlich nur ein psychiatrisches Interesse. Die maßloseste Selbstvergötterung hat hier einen Gipfel erstiegen, auf dem ein Mensch mit gesunden Gehirnfunktionen nicht mehr zu atmen vermag.“ Als Motto setzte Hanslick an den Anfang: „Der Jude wird verbrannt, Lessing.“24 Hiermit zielt Hanslick auf den insgeheimen zentralen Wunschkern des bis zum „Ring des Nibelungen“ von Brandphantasien beherrschten Wagner. Als am 8. Dezember 1881 kurz vor Beginn von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ im Ringtheater in Wien ein Brand ausbrach, notiert Cosima Wagner am 10. Dezember: „Abends ereifert er sich wieder, und zwar bei Gelegenheit des Theaterbrandes in Wien, nach welchem er gefragt wurde. Das nichtsnutzigste Volk säße in einem solchen Operntheater; wenn in einer Kohlengrube arme Arbeiter verschüttet würden, das ergriffe und empöre ihn, aber solch ein Fall berühre ihn kaum.“ Am 17. Dezember liest man: „Daß 416 Israeliten bei dem Brand umkamen, steigert R.’s Teilnahme für das Unglück nicht.“ Am nächsten Tag erzählt Wagner von einer neulichen Aufführung von Lessings „Nathan der Weise“, „wo bei der Stelle, Christus war auch ein Jude, ein Israelit im Parterre bravo gerufen habe“. Und Cosima Wagner fügt kurz danach hinzu: „...wir sprechen vor Rub. (Rubinstein, HZ) unsere Empfindung über die Juden im Theater nicht aus, 400 ungetaufte und wahrscheinlich 500 getaufte. Er sagt im heftigen Scherz, es sollten alle Juden in einer Aufführung des ‚Nathan’ verbrennen.“ 25 Zum Hintergrund dieses schauerlichen und größenwahnsinnigen „Scherzes“ gehören mehrere hier gebündelte Momente: der ebenfalls im „Judentum in der Musik“ geschmähte Jude Offenbach, das jüdische Opernpublikum, der tolerante Judenfreund Lessing und dessen „Nathan“, doch vor allem der Bravo-Ruf des Israeliten, denn hier war der Kern des „Parsifal“ berührt, an dem Wagner gerade arbeitet, das „reine Blut“ des ursprünglichen, unjüdischen arischen Christus. Und eben an dem Tag des „heftigen Scherzes“ wie auch am Tag davor ist vom „Blut Christi“ die Rede. „Parsifal“ und „Racenkrieg“ Wie bei den „Meistersingern“ haben schon Zeitgenossen den Vernichtungs-Antisemitismus auch als Botschaft des „Parsifal“ festgehalten. Der in Wien lebende Brahms-Biograph Max Kalbeck schreibt im August 1882 in seiner in der „Wiener Zeitung“ veröffentlichten „Parsifal“-Kritik: „Der moderne Glaubensheld ist...zu der Einsicht gekommen, saß das neunzehnte Jahrhundert keinen christlich – semitischen Heiland mehr gebrauchen könne, sondern einen christlich – germanischen Erlöser dringend erheische ... Wir möchten den Sturm der Entrüstung sehen, welcher Alldeutschland durchbrausen würde, wenn zufällig ein jüdischer Componist auch nur die Hälfte von dem sich erlaubt hätte, was der Dichter des ‚Parsifal’ sich herausnimmt.“ Für Wagner , – schreibt Kalbeck – sei die moderne Kultur, das heißt die moderne Judenwelt, die „Welt“ überhaupt, wert, „vom Teufel geholt oder in einem Racenkrieg vernichtet zu werden“.26 1885, nach Wagners Tod, hat Joseph Popper-Lynkeus festgehalten, dass die Anhänger der Wagnerschen Kunst- und Geistesrichtung als Typus die „Quintessenz der neudeutschen (oder neugermanischen)“ als „neuer christlich-germanischen Entwicklung“ darstellen würden; man könne diese nur verstehen, wenn man die Gleichzeitigkeit ihrer inbrünstign Anbetung des „heiligen Grales“ mit ihrem brutalen Haß und auch ihrer Mordlust Juden gegenüber vor Auge habe. Popper-Lynkeus wirft der „Richard Wagnerschen Spezies der Antisemiten“ und den Schriften der Wagnerianer vor, dass sie zwar den „Parsifal“ als eine „idealste Religion“ empfinden, aber gegen die Jens Malte Fischer, Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“, Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus, Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2000, S.232f. 25 Cosima Wagner, Die Tagebücher, Band II, 1878-1883, ediert und kommentiert von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, R.Piper&Co. Verlag München/Zürich 1977(=CW II), S.845,852 26 Susanna Großmann Vendrey, Bayreuth in der deutschen Presse, Dokumentenband 2, Die Uraufführung des Parsifal 1882, Regensburg 1977, S.183f.,S.174 24 9 Juden tiefen Haß und Verachtung hegen und kultivieren würden und dass sich in ihren so viele Gegenstände betreffenden Aufsätzen und Broschüren nicht eine einzige Andeutung fände, „daß sie sich mit den Ungerechtigkeiten und Brutalitäten des Antisemitismus nicht befreunden können oder daß sie dagegen protestieren“. Und es folgt eine Passage, die unübersehbar die Verschränkung von Verklärung und Vernichtung in Wagners Werkidee – und insbesondere im „Parsifal“ – dokumentiert: „Im Gegenteil, sie schüren das Feuer nur immer mehr, und jene, die vor lauter Liebe zu den Tieren zerfließen, würden Mord an jüdischen Menschen in aller Ruhe gewähren lassen...“27 Der Gesinnungsgenosse Constantin Frantz Wagners „Kunst und Weltanschauung“ und seine antisemitische Deutschtums-Ideologie, die die Vernichtung des Judentums bejahte, standen auch hinter Wagners Beziehung zu Constantin Frantz, der als bekennender Antisemit einen gegen Bismarck gerichteten großdeutschen Föderalismus vertrat und dessen Schriften Wagner schätzte. Er widmete ihm die zweite Auflage von „Oper und Drama“, die wie die Juden-Broschüre 1869 erschien, und fordert ihn am Schluß seines 1878 in den „Bayreuther Blättern“ veröffentlichten Aufsatzes „Was ist deutsch?“ neben Paul de Lagarde auf, an der Beantwortung dieser Frage mitzuwirken. Wagner zitiert am Anfang seiner Schrift „Deutsche Kunst und deutsche Politik“ eine längere Passage aus den „Untersuchungen über das europäische Gleichgewicht“ von Constantin Frantz und nennt ihn einen der „umfassendsten und originellsten politischen Denker und Schriftsteller, auf welchen die deutsche Nation stolz zu sein hätte, wenn sie nur erst ihn zu beachten verstünde“28. In einem „Offenen Brief an Richard Wagner“ schreibt dieser „originelle politische Denker“ 1878 in den „Bayreuther Blättern“: „Geradezu ekelhaft endlich muß uns der jetzt präparierte und so anspruchsvoll auftretende neue deutsche Nationalgeist erscheinen, wenn es thatsächlich Juden sind, welche sich als die berufensten Stimmführer desselben gebehrden, und damit ebenso Geschäfte machen, wie auf der Börse oder im Kleidertrödel. Ei, wenn wir so durchaus deutschnational werden wollen, stossen wir doch zuvörderst das Judenthum aus, welches sich wie ein Bandwurm in unseren Nationalkörper eingenistet, die innersten Lebenskeime deutschen Volksthums verderbend und aussaugend.“29 Georg Ritter von Schönerer, der Wagner-Trauerkommers 1883 und Hermann Bahrs antisemitische Rede Diese antisemitische Haß- und Vernichtungs-Sprache beherrscht immer mehr gerade in Wien die sich auf Wagner berufenden deutschnationalen Aktivisten, deren Hauptrepräsentant Georg Ritter von Schönerer war, zu dessen frühen Mitarbeitern Victor Adler, Engelbert Pernerstorfer und Karl Lueger gehörten, die später eigene Wege gingen. Adler wurde führender österreichischer Sozialdemokrat, Pernerstorfer veröffentlichte 1891 in den Monatsheften „Deutsche Worte“ den Aufsatz „Richard Wagner und der Sozialismus“30 und Lueger wurde als Bürgermeister von Wien – seit 1897 – und als antisemitischer Hetzer 27 Joseph Popper-Lynkeus, Fürst Bismarck und der Antisemitismus, Wien und Leipzig 1925, S. 42f. RW VIII S.30 29 Bayreuther Blätter 1878, S.149 30 Siehe hierzu HZ I S.72f. Über diesen Kreis schreibt in seiner „Erzählung einer Jugend“ Franz Blei, der 1886 als Fünfzehnjähriger ein leidenschaftlicher Wagner-Verteidiger war: „Zu den kuriosen Bestandteilen dieser deutschnationalen Politik in Österreich gehörte außer dem selbstverständlichen antisemitischen Hephep auch das Wagnersche Walhall, und das die eben im Kriege reichgewordenen und hochgekommenen Nationalliberalen im Reiche lauter so Siegfriede seien, war für die bärtigen frischen Söhne unserer Alpen um so leichter zu glauben, als sie ihre heimatliche Naivität damals noch seltener als heute auf Reisen schickten. Dieser österreichische Deutschnationalismus war der Generation vor uns noch als das Radikale schlechthin vorgekommen, dem sie sich in der Jugend und aus Jugend anschlossen, so Hermann Bahr, so Pernerstorfer und Victor Adler , die 28 10 eine der wirkungsmächtigen und verhängnisvollsten Figuren der Wiener Stadtgeschichte. Schönerers Parolen „Ohne Juda, ohne Rom/ Wird gebaut Germaniens Dom“, „Durch Reinheit zur Einheit“ und sein Blatt „Unverfälschte Deutsche Worte“ bezeugen seine Wagner-Fixierung. Diese hat auch ein Biograph festgehalten: „Mit feuriger Beredsamkeit trat Schönerer für Richard Wagner schon zu einer Zeit ein, da alle führenden Wiener Judenblätter dieses bahnbrechende Genie und seine Werke wütend bekämpften. Er hatte eben die nationale Art und Bedeutung der Dichtung und der Musik dieses Mannes erkannt.“31 Schönerer nahm auch aktiv an dem Trauerkommers der deutschen Studentenschaft Wiens für den am 13. Februar 1883 gestorbenen Wagner am 6. März im Sophiensaal teil, der – wie ein Beobachter schrieb – „sich zu einer imposanten deutschnationalen Kundgebung gestaltete“ und an dem zahlreiche Abgeordnete, Professoren und Deputierte teilnahmen: „... Studiosus Kaan und Professor Blume sprachen über die Bedeutung Wagners für die christlich-deutsche Kunst. Von zahlreichen Zuschriften erregte besonders rauschenden Jubel die des Feldmarschalls Moltke. ... Weitere Reden Pernerstorfers, des Gründers des Deutschen Schulvereins, Professor Polzers, des Studiosus Bahr trugen einen durchaus nationalpolitischen Charakter ... Die Teilnehmer entfernten sich langsam unter den Klängen der ‚Wacht am Rhein’“. Die antisemitische Rede Hermann Bahrs wurde von einem Polizeikommissar unterbrochen, worauf Schönerer sich einmischte und „mit donnernder Stimme in die Versammlung (schrie), bis nach erregten und lauten Auseinandersetzungen schließlich doch der „Trauersalamander gerieben“ werden konnte. Wie Bahr am 11. März an seinen Vater schreibt, wurde gegen ihn, Schönerer, Prof.Polzer und die Funktionäre des „Vereins der deutschen Studenten“, der aufgelöst worden sei, Strafanzeige erstattet. Zwei Tage später äußert er sich über den Inhalt seiner Rede: „Was das Meritorische meiner Rede betrifft, so habe ich in derselben (die übrigens, wie mir Schönerer sagte, von den amtierenden Polizisten Wort für Wort mitstenographiert wurde) Wagner als Politiker, und zwar als großdeutschen Politiker charakterisiert. Die gravierendste Stelle ist die, wo ich Österreich eine ‚schwerbüßende Kundry, die sehnsüchtig des Erlösers harrt’ nenne; ferner, wo ich sage, daß R. Wagner keine kleinliche Anhänglichkeit an den Sächsischen Hof vorschützte, sondern offen in der Revolution mittat, für die ‚heiligste Sache, die großdeutsche Republik’‚ dann die Aufforderung zum Schwur, nicht eher zu ruhen und zu rasten, als bis R. Wagners heiliges Vermächtnis, der großdeutsche Gedanke, erfüllt sei.“32 Bahr mußte auf Grund seiner Rede die Wiener Universität verlassen und setzte sein Studium in Graz fort, doch er hat sich an seinen „Schwur“ gehalten. Er suchte immer wieder die Nähe zu Bayreuth, heiratete die Wagner-Sängerin Anna Bahr-Mildenburg und unterstützte mit seiner 1912 veröffentlichten Schrift „Parsifalschutz ohne Ausnahmegesetz“ die „Parsifal“-Schutzbewegung. Doch der Trauerkommers und Bahrs Rede hatte – könnte man sagen – historisch weitergehende Konsequenzen: ein ehemals Aktiver der „Academischen Burschenschaft Albia“ erklärte seinen Austritt, nämlich Theodor Herzl. Er schrieb dazu: „Aus den Tagesblättern habe ich mit großem Bedauern entnommen, daß der ‚Richard-Wagner’-Kommers, unter dessen Veranstaltern auch die Couleur sich befand, der als inaktives Mitglied anzugehören ich die Ehre habe, daß dieser Kommers sich in seinem Verlaufe zu einer antisemitischen Demonstration gestaltete. - Es fällt mir nicht ein, hier gegen diese rückschrittliche Mode des Tages zu polemisieren, ich will nur beiläufig erwähnen, daß ich vom Standpunkt der Freiheitsliebe selbst als Nichtjude diese Bewegung verurteilen müßte, der sich allem deutschnaional gewesen waren, bevor sie Sozialdemokraten wurden. In diese Vorschule brauchten wir uns nicht mehr zu begeben ...“ ( Franz Blei, Schriften in Auswahl, mit einem Nachwort von A. P. Gütersloh, Biederstein Verlag München 1960, S.70f) 31 E.V. von Rudolf, Georg Ritter von Schönerer, Der Vater des politischen Antisemitismus, Von einem, der ihn selbst erlebt hat, Verlag Franz Eher Nachfolger, München 1936, S.63 32 Ebd. S.50f. In einer „Autobiographischen Szizze” kommt Bahr – den Kontext verharmlosend – auf seine Rede zu sprechen: „Mit achtzehn Jahren kam ich dann nach Wien auf die hohe Schule. Ich dachte, mein Jus zu machen, um auch einmal ein braver Notar zu werden. Aber es begab sich, daß, in meinem dritten Semester, Richard Wagner starb, wir Burschenschafter hielten zu seinen Ehren einen Kommers, ich war der Redner. Da schlug mein deutsches Herz zu laut, es war damals bei uns gerade wieder einmal verboten, deutsch zu sein, ich wurde relegiert. Sonst wäre ich jetzt ein braver Notar in Linz an der Donau.“ (Das Hermann-Bahr-Buch, zum 19. Juli 1913 herausgegeben von S. Fischer Verlag Berlin, S.16) 11 Anschein nach auch meine Burschenschaft angeschlossen hat. ... Es ist ziemlich einleuchtend, daß ich, behaftet mit dem Hindernis des Semitismus (zur Zeit meines Einsprungs war das Wort noch unbekannt), heute nicht um Aufnahme in die Burschenschaft Albia ansuchen würde, die mir aus dem angegebenen Grunde auch verweigert würde – und daß ich dort nicht bleiben will, wo ich dies voraussetze, das ist jedem anständigen Menschen klar. ... als inaktiver Bursch komme ich um die Auflösung meines Verhältnisses zum Couleur ein.“33 Doch das hinderte Herzl nicht daran, zur Eröffnung des zweiten Zionisten-Kongresses in Basel 1898 Ausschnitte aus dem „Tannhäuser“ spielen zu lassen und von künftigen Aufführungen der Werke Wagners in einem israelischen Opernhaus zu träumen. Wiener Wagneriana Die von Hanslick apostrophierte „Wanderspinne“ der Wagner-Vereine erreichte auch Wien, wo Schönerer Mitbegründer des „Neuen Richard Wagner Vereins zu Wien“ war, dessen Ziel sein sollte, „die deutsche Kunst aus Verfälschung und Verjudung zu befreien“.34 Im Wiener Akademischen WagnerVerein spielte eine führende Rolle Emerich Kastner, der mehrere Wagneriana verfaßte und zum 1. Todestag die Zeitschrift „Parsifal“ herausgab, eine als Ergänzung der „Bayreuther Blätter“ gedachte „Halbmonatsschrift zum Zwecke der Erreichung der Richard Wagner’schen Kunst-Ideale“.35 1882, ein Jahr vor Wagners Tod, erscheint als „Festgabe zu den Bühnenfestspielen im Jahre 1882“ der „Katalog einer Richard Wagner-Bibliothek“ von Nikolaus Oesterlein, dessen vierter Band 1895 bis zur Nummer 10180 reicht. Ebenfalls 1895 erscheint ein „Beschreibendes Verzeichnis des Richard Wagner-Museums in Wien“ anläßlich des Verkaufs dieses Museums nach Eisenach, wo es sich heute noch im Reuter-WagnerMuseum befindet.36 1909 erscheint – herausgegeben von Dr. Richard Batka und Ludwig Hevesi – die auf Beckmesser weisende „Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater“ mit dem Titel „Der Merker“. Batka, der auch eine Wagner-Biographie verfaßte, schrieb 1908, anläßlich des 25. Todestages von Wagner ,auf Anregung von Angelo Neumann und Josef Kainz in Prag ein Wagner-Festspiel, in dessen Hauptszene Wagner – den Josef Kainz spielt – seinen Entwurf zu „Wieland der Schmied“ vorliest. Ebenfalls 1908 erscheinen in Wien „Illustrierte Blätter für Wagnersche Musik, Kunst und Literatur“ – von Eduard Klampfl redigiert –, deren Haupttitel „Richard Wagner“ lautet. Drei Wiener Wagnerianer: H.S. Chamberlain, Leopold von Schroeder, Otto Weininger Ehrenmitglied des „Neuen Richard Wagner-Vereins zu Wien“ war Houston Stewart Chamberlain, der 1908 die Tochter Wagners Eva heiratet und nachBayreuth zieht, wo er als völkischer DeutschtumsFanatiker sein verhängnisvolles Wirken fortsetzt und zum Bewunderer Hitlers wird. In Wien, wo er von 1889 bis 1908 lebte, verfaßte er seine die deutschen „Heils-Ideen“ Wagners popularisierenden und den arischen Menschen und Christus feiernden „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“. Sie erschienen 1899 im Münchner Bruckmann Verlag und wurden zu einem – auch vom deutschen Kaiser Wilhelm II. vielfach verteilten – Erfolgsbuch der Wilhelminischen Zeit. Über Chamberlain, den er 1900 in Wien kennenlernte, fand der Wiener Indologe Leopold von Schroeder Zugang zu Bayreuth und zu der Wagner-Familie, nachdem er seit dem ersten „Tannhäuser“ 1878 ein Wagner-Enthusiast war. 1911 erschien sein Buch „Die Vollendung des arischen Mysteriums in Bayreuth“, in dem man lesen kann: „Seit der Trennung der 33 34 35 36 Ebd. S 51 Siehe hierzu Brigitte Hamann, Hitlers Wien, Lehrjahre eines Diktators, Piper München Zürich 1996, S.344 Siehe hierzu HZ I S.55 Ebd. S.49 12 arischen Völkerstämme vor mehr als 5000 Jahren können dieselben jetzt zum ersten Male wieder an einem bestimmten Orte sich zusammenfinden. Durch Wagner ist Bayreuth zum idealen Mittelpunkt aller arischen Völker geschaffen worden und damit Deutschland und den Deutschen ein unschätzbarer Vorrang gesichert.“37 Bei der großen Wagnerfeier 1913 zum 100. Geburtstag am 22. Mai sollte Schroeder die Festrede halten, doch es gab – wie Schroeder in seinen Erinnerungen beschreibt – in der Vorhalle Schlägereien zwischen „Deutschen und Juden“, die dazu führten, daß die Deutschen „Die Wacht am Rhein“ anstimmten, wobei Schroeder mitsang.38 Schließlich konnte die Rede stattfinden, die 1914 unter dem Titel „Richard Wagner als nationaler Dramatiker“ in den „Bayreuther Blättern“ erschien. Chamberlain war auch einer der Lehrmeister des wohl bekanntesten jüdischen Antisemiten im Wien der Jahrhundertwende um 1900, Otto Weininger, der Wagner als den „größten Menschen seit Christus“ und den „Parsifal“ als die „tiefste Dichtung der Weltliteratur“39 bezeichnete. Im August 1902 besucht Weininger die Bayreuther Festspiele und hört – wenige Tage vor seinem Vater – den „Parsifal“. Von Oktober 1902 bis Mai 1903 schreibt er die Kapitel 11 bis 1440 von „Geschlecht und Charakter“, darunter das 13. Kapitel mit der Überschrift „Das Judentum“ und einem Motto aus Wagners „Das Judentum in der Musik“. Dieses Kapitel ist der Abschiedsruf eines jüdischen Antisemiten, der Geschichte gemacht hat – er hatte verstanden, daß die Figur der Kundry auf das Judentum zielt. Weininger beschließt, das KundrySchicksal an sich selbst zu vollziehen: Am 13. Februar 1903, Wagners 20.Todestag, schreibt er ein Testament, am 21. August ein zweites, und am 4. Oktober erschießt er sich im Sterbehaus Beethovens. Dieser spektakuläre Sebstvernichtungsakt wirkt wie die Vorwegnahme der nationalsozialistischen Judenvernichtung als Erfüllung der Wagnerschen Werk-Idee und auch der „Parsifal“-Botschaft. Hitler und Pfitzner haben das genau begriffen. Pfitzner kommt in seiner „Neuen Ästhetik der musikalischen Impotenz“ im Zusammenhang mit dem „Judentum in der Musik“ auf Weininger zu sprechen: „Aber das Judentum ist ein gefährliches Rätsel. Wagners ernste, tapfere und liebevolle Schrift hat ihm in Deutschland bei den Deutschen fast nur Hohn und Haß eingetragen, wogegen er bei den Juden, den ernsten und ehrlichen, wohl verstanden wird. Ja, die fast prophetischen Schlußworte (die 'Erlösung Ahasvers: der Untergang!' HZ) sind schon in manchen bedeutsamen Fällen Realität geworden.“41 Doch Pfitzner hat auch überliefert, dass Hitler Weininger genau kannte. In der Aufzeichnung eines Gespräches mit Hitler im Frühjahr 1923 im Schwabinger Krankenhaus hat Pfitzner festgehalten, dass Hitler Weininger erwähnt und gesagt habe, „daß dieser der einzige Jude wäre, den er gelten lasse, weil er sich selbst aus der Welt geschaffen hätte. Mein Einwand, daß er dieses Verfahren unmöglich von allen anderen Juden ebenfalls erwarten könne, gefiel ihm nicht und überhaupt schien ihm die große Tragik dieses Selbstmordes nicht zu Bewußtsein zu kommen: er sah in diesem Vorkommnis nur das in seinem Sinne Erfreuliche, daß ein Jude weniger auf der Welt war.“ Doch Pfitzner fährt nun fort: „Aber auch ein Antisemit weniger. Das hätte ihm zu denken geben sollen. Denn der Judenhaß in einem jüdischen Individuum – das wirft das hellste Licht auf das dunkle Problem – Antisemitismus eine Weltanschauung. Im Falle Weiningers offenbart sich der Bereitschaftswille zum Untergang, es kündigt sich etwas wie die Erlösung Ahasvers an.“42 Auch in den „Zwiegesprächen“ zwischen Hitler und Dietrich Eckart, dem am Schluß von „Mein Kampf“ beschworenen Mentor Hitlers, wird Otto Weininger angeführt, und noch im Führerhauptquartier in der Wolfsschanze bemerkte Hitler beim Thema des reinen Blutes zu Weininger: „Dietrich Eckart hat mir einmal gesagt, er habe nur einen 37 Leopold von Schroeder, Die Vollendung des arischen Mysteriums in Bayreuth, J.F.Lehmanns Verlag München 1911, S.211 38 39 40 Leopold von Schroeder, Lebenserinnerungen, H.Haessel Verlag Leipzig 1921, S.242f. Siehe hierzu HZ I S.101 Jaques de Rider, Der Fall Otto Weininger, Wurzeln des Antifeminismus und Antisemitismus, Wien München 1985, S.40 41 42 Siehe hierzu HZ I S.155 Klaus-Karl Hübler, In Sachen Pfitzner, in: Zeitschrift für Musikpädagogik, Heft 10, März 1980, S.12f. 13 anständigen Juden kennengelernt, den Otto Weininger, der sich das Leben genommen hat, als er erkannte, daß der Jude von der Zersetzung anderen Volkstums lebt.“43 Eckart schrieb 1894 Berichte aus Bayreuth für die „München-Augsburger Abendzeitung“ und veröffentlichte 1912 sein Buch „Österreich unter Judas Stern“. Den Fall des jüdischen Wagnerianers, der gerade die österreichische Musik- und Literaturgeschichte durchzieht, hat luzide Arnold Schönberg beschrieben, der sämtliche Veröffentlichungen von Weininger besaß und im Vorwort zu seiner „Harmonielehre“ dessen Namen im Zusammenhang mit „ungelösten Problemen“ erwähnt. Im März 1935 schreibt er in seiner Rede „Wir jungen jüdischen Künstler“: „ ... als wir jungen österreichisch-jüdischen Künstler heranwuchsen, litt unsere Selbstachtung stark unter dem Druck einiger Umstände. Es war die Zeit, als Richard Wagners Werk seinen Siegeszug antrat und dem Erfolg seiner Musik und seiner Dichtung eine Durchtränkung mit seiner Weltanschauung folgte. Man war kein echter Wagnerianer, wenn man nicht an seine Weltanschauung, an die Vorstellung von der ‚Erlösung durch Liebe’ glaubte; man war kein echter Wagnerianer ohne den Glauben an das Deutschtum; und man konnte kein echter Wagnerianer sein, wenn man kein Anhänger seines antisemitischen Aufsatzes über ‚Das Judentum in der Musik’ war“.44 Die „herrliche Erfüllung“ Doch die Probleme blieben „ungelöst“, da es angesichts des Siegeszuges des Wagnerschen „Größenwahns“ und Vernichtungs-Antisemitismus um Leben und Tod ging. Für die von Hitler angeordnete neue „Parsifal“-Inszenierung 1934 in Bayreuth wird in Erinnerung an die WagnerAufführungen in Wien unter Gustav Mahler und Alfred Roller letzterer – auf Wunsch Hitlers -für das 43 Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944, die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hrsg. von Werner Jochmann, Heyne-Taschenbuch 6097, S.148 44 Siehe hierzu Hartmut Zelinsky, Arnold Schönberg...(Anm.20), S.12. Der Typus des jüdischen Wagnerianers, der bis heute – gerade auch in dem Bayreuth seit 1951 – herhalten muß und sich auch bis in unsere Tage hergibt, um Wagners Antisemitismus zu relativieren und als Randphänomen abzutun, gehört gerade zur Wiener Geistesgeschichte. Eine Ausnahme bildet Franz Werfel mit seinem Buch „Verdi. Roman der Oper“(1925) , über das Alma Mahler-Werfel in ihren Erinnerungen schreibt: „Ich bin absolut nicht der Meinung, die in diesem Buch ausgesprochen wird. Aber ich fühle nicht das Recht in mir, ihn darin zu beeinflussen. Für mich ist Richard Wagner der Größere gewesen und wird es für mich immer bleiben. Franz Werfels Jugend aber fiel in eine um zehn Jahre spätere Zeit. Man hatte schon wieder andere Probleme. Und die Juden heute verzeihen Wagner den Aufsatz ‚Über das Judentum in der Musik’ nicht. Gustav Mahler hat vollkommen davon abgesehen. Auch er liebte Wagner über alles. ...“ ( Alma Mahler Werfel, Mein Leben, S. Fischer Verlag 1960, S.160) Max Brod, der mit Werfel einen „richtigen Wagnerkrach“ hatte,bemerkt zu dem Verdi-Roman: „Werfel dagegen verfolgte Wagner mit grimmigem Haß, der vielleicht Haßliebe war, zurückgedrängte Bewunderung, verleugnete Gemeinsamkeit mit manchen eigenen Wesenszügen. Mir war Werfels lässiges Hinabschauen auf Wagner ein Ärgernis. Trotz aller seiner manchmal zu nachdrücklichen Theatralik blieb mir Wagner durch seine von Anfang an dem Herkommen trotzbietende und späterhin immer freiere Harmonik verehrungswürdig, durch seine Entdeckung von neuen konsequenten Verwendungen der Quart und None, sein hinreißendes Melos, seine atemberaubende Rhythmik, seinen differenzierten Orchesterklang mit Hunderten von bahnbrechenden Erfindungen, blieb mir eine Meisterpersönlichkeit des allerhöchsten Ranges. Seine antisemitischen Schriften las ich nicht und habe sie bis heute nicht gelesen, um mir diesen reinen Eindruck einer beispiellosen Kunstoffenbarung nicht zu beflecken. Vielleicht kommt mit jetzt abnehmendem Jugendfeuer die Zeit, mich mit der Widersprüchlichkeit in der Gestalt dieses meines Urhelden abwägend zu befassen. Werfel aber ließ gar nichts von ihm gelten; um Verdi zu feiern, gab er Wagner den Hunden preis. (Max Brod, Streitbares Leben, Autobiographie, Insel Verlag Frankfurt am Main 1979, S.26) Doch im Vergleich zu dem mit Plattituden brillierenden Brod war Werfel wohl doch der Hellsichtigere und Weitsichtigere. Jedenfalls hat er in seinem im März 1933 vollendeten Roman „Die vierzig Tage des Musah Dagh“ in dem Genozid an den Armeniern während des ersten Weltkrieges durch die Türken die drohende Judenvernichtung thematisiert und in seiner Erzählung „Eine blaßblaue Frauenschrift“ hat er 1941 den Selbstmord eines jungen jüdischen Wagnerianers – wohl eine Erinnerung an den Selbstmord Weiningers – mitaufgenommen. Ganz im Fahrwasser Brods verkündete 1986 Hans Weigel: „Ich kann Richard Wagner weiß Gott nicht leiden, aber in Tel Aviv würde ich auf die Barrikaden gehen, auf daß er gespielt werden darf. Sich über Bücherverbrennungen ereifern und einen Dichterkomponisten ächten: Wo ist da der Unterschied? Ich habe dem Richard Wagner sehr viel vorzuwerfen, aber sein Antisemitismus ist für mich unerheblich.“ (Hans Weigel, Man kann nicht ruhig darüber reden, Umkreisung eines fatalen Themas,Verlag Styria, Graz 1986) 14 Bühnenbild verpflichtet; 1938 wird in Wien die Mahler-Strasse in Meistersinger-Strasse umbenannt; als Einstimmung auf die Verkündung der Nürnberger Blutgesetze am 15. September 1935 dirigiert Wilhelm Furtwängler am 10. September „in Anwesenheit des Führers“ im Nürnberger Opernhaus „Die Meistersinger“, die für alle Zeiten zum Festspiel der Reichsparteitage erklärt werden; 1938 werden nach dem „Anschluß“ die Reichskleinodien von Wien nach Nürnberg gebracht, wo sie während der „Reichsparteitage“ ausgestellt werden – unter ihnen die auf den „Parsifal“ weisende heilige Lanze; 1944 wird zur Erlangung des Doktorgrades der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien eine Inaugural-Dissertation eingereicht mit dem Titel „Die Reichsidee bei Konstantin Frantz“ – der Autor hieß Kurt Waldheim, aus Baden bei Wien. Es gab keine „Zischer“ mehr und in dem Vorwort eines 1938 veröffentlichten, mit ganzseitigen Fotos und Grußworten der Wagner-Familie versehenen und von Oberbürgermeister Willy Liebel als Ehrengabe verteilten Buches mit dem Titel „Richard Wagner und die Stadt der Meistersinger“ konnte man lesen: „Es ist eine wundersame Fügung, daß diesem großen Genius im Reiche der Kunst, dem von Juden und Judengenossen in der niederträchtigsten Art bespieenen Judengegner gerade in Nürnberg die Ehre zuteil wurde, in der Stadt, von der aus Julius Streicher seit vielen Jahren seinen schweren Kampf gegen das Weltjudentum führt. So haben auch die weltanschaulichen Lebensziele Richard Wagners in der Stadt seiner ‚Meistersinger’, der Metropole des Weltkampfes gegen das Judentum, wo der Führer auf dem ‚Reichsparteitag der Ehre (Freiheit, HZ)’ die Gesetze zum Schutz des deutschen Blutes, die Nürnberger Gesetze verkündete, eine herrliche Erfüllung gefunden.“45 Auch bei der Grundsteinlegung des „Hauses des deutschen Kunst“ in München am 15. Oktober 1933 wurde als Einstimmung auf den Geist dieses Propaganda-Tempels die „Meistersinger“-Ouvertüre gespielt und über dem Haupteingang verkündete eine Bronzetafel die auf Wagner weisende HitlerLosung:“Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflichtende Mission.“46 45 46 HZ I S.238 HZ II S.9