Mittwoch, 20. März 2013 20 Uhr, Volkshaus 7. Philharmonisches Konzert Reihe A Mythos Gral Richard Wagner (1813-1883) Vorspiel zum 1. Aufzug "Lohengrin" WWV 75 Charles-Marie Widor (1844-1937) Sinfonia sacra op. 81 für Orgel und Orchester Adagio Adagio Andante con moto Allegro moderato Tempo I ma un poco agitato Pause Peter Michael Hamel (*1947) Gralbilder für Orchester Luzifers Sturz Christus am Kreuz Der höchste Ort Richard Wagner (1813-1883) Vorspiel und Karfreitagszauber aus der Oper "Parsifal" WWV 111 Dirigent: Fabrice Bollon Orgel: Christian Schmitt 1 Der Dirigent Fabrice Bollon (*1965) ist ein sehr vielseitiger französischer Dirigent. Sein Repertoire umfasst nicht nur die viel gespielte Standardliteratur, sondern auch weniger bekannte Werke, beispielsweise die von ihm 2003 geleitete deutsche Erstaufführung der Oper Pénélope von Gabriel Fauré. Im Konzertbetrieb selten zu hören sind auch die von Bollon erarbeiteten symphonischen Werke von Suk oder Ryelandt, die er für das Label Cypres auf CD einspielte. Neugier und stilistische Unbestechlichkeit, verbunden mit einer persönlichen Sicht, charakterisieren seine künstlerische Arbeit. Nach seinem Dirigierstudium am Mozarteum Salzburg in den Meisterklassen von Michael Gielen und Nikolaus Harnoncourt debütierte er bei den Salzburger Festspielen mit der Oper »Satyrikon« von Bruno Maderna. Nach fünf Jahren als Chefdirigent des Symphonie Orchesters von Flandern in Brügge übernahm er für fünf Spielzeiten die Position des stellvertretenden Generalmusikdirektors an der Oper Chemnitz, wo er sich in zahlreichen Premieren und Wiederaufnahmen das große romantische und spätromantische Opernrepertoire Wagners und Richard Strauss’ erarbeiten konnte. Fabrice Bollon gastierte bei allen großen nationalen Rundfunkorchestern mit denen er mehrere CDs aufnahm, sowie außerhalb Deutschlands beim Residentie Orkest Den Haag, Orchestre National de Lyon, Orchestre Philharmonique de Monte Carlo, Strasbourg, Radio France und Luxembourg, RAI Turin u.v.m. Seit der Spielzeit 2008/09 ist Fabrice Bollon Generalmusikdirektor am Theater Freiburg. Höhepunkte seiner dortigen Arbeit waren die Premieren »Der Freischütz«, »Salome«, »Tosca«, sowie »Samson und Dalila« von Saint-Saëns, »Simon Boccanegra« von Verdi sowie Wagners »Die Walküre« und »Siegfried«. Darüber hinaus tritt Fabrice Bollon auch als Komponist in Erscheinung. Sein Konzert für DJ und Orchester »Viderunt omnes« wurde im Gewandhaus Leipzig 2009 (Wiederholung in Jena im Dezember 2010) und sein »Konzert für E-Cello und Orchester« 2011 in Karlsruhe uraufgeführt. Der Solist Christian Schmitt (*1976) studierte Kirchenmusik (A-Examen) und Konzertreife (mit Auszeichnung) an der Musikhochschule Saarbrücken sowie Orgel bei James David Christie (Boston) und Daniel Roth (Paris). Er ist Preisträger bei mehr als zehn nationalen und internationalen Orgel- und Musikwettbewerben, so in Atlanta, Brügge, Calgary, Philadelphia und Tokio wie auch 2001 beim Deutschen Musikwettbewerb. 2003 wurde er mit dem Solistenpreis der Europäischen Kulturstiftung »Pro Europa« ausgezeichnet. Christian Schmitt konzertiert weltweit – so in Luzern, in Zürich, mit den Berliner Philharmonikern, im Gewandhaus zu Leipzig und in Wien. Als Solist spielt er mit führenden nationalen Rundfunkorchestern, dem Orchester der Beethovenhalle Bonn und der Staatskapelle Weimar. In der Spielzeit 2012 gab er sein Debut bei den Salzburger Festspielen. Als Dozent ist er an der Internationalen Bach Akademie Stuttgart tätig und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Musik Saar. Zuvor war er regelmäßig Gastdozent an Musikhochschulen in Boston, Cremona, Oslo, Moskau, Seoul, Taschkent und in Bogota. Er gehört den Jurys des Bundeswettbewerbs »Jugend Musiziert«, des Wettbewerbs »Soli Deo Gloria« in Moskau und des Deutschen Musikwettbewerbs an. Seine Diskographie umfasst über 20 CD-Einspielungen als Solist sowie Mitschnitte für sämtliche Rundfunkanstalten des ARD. Durch seine Aufnahmen von modernen, wissenschaftlichen Gesamtausgaben der Werke G.F. Händels (Hg. T. Koopman) und F.X. Brixis (Butz-Verlag) fördert er ein Orgelspiel, das die Erträge der musikwissenschaftlichen Forschung mit der musikalischen Praxis vereint. Zuletzt hat er mit den Bamberger Symphonikern mehrere Werke Charles-Marie Widors für Orgel und Orchester eingespielt. 2 Der heilige Gral – ein Mythos, ein Menschheitsmärchen, eine Religion. Bei vielen Völkern gibt es eine Geschichte, die von einem Gefäß – sei es aus Holz, Stein oder edlem Metall – mit wundersamen Kräften berichtet. Niemand hat diesen Kelch jemals gesehen. Viele waren auf der Suche nach ihm, nach der Gralsburg und dem Gralskönig, der ihn mit seiner Ritterschaft bewacht. Einige Erzählungen ranken sich um den Heilsbringer. Eine handelt von Parsifal, dem reinen Tor, der zur Weisheit gelangt und den Gralskönig Amfortas heilen kann. Eine andere erzählt von seinem Sohn Lohengrin, der sich als edler Ritter für Gerechtigkeit in der Menschenwelt einsetzt, letztlich an den Zweifeln seiner Frau Elsa scheitert und wieder zum Gral zurückkehren muss. Oder die von König Artus, den Rittern seiner Tafelrunde, der Insel Avalon und dem Zauberer Merlin. Viele Geschichten entspinnen sich um den Kelch des letzten Abendmals, in dem Josef von Arimathäa das Blut des gekreuzigten Jesu, welches nach einem Speerhieb aus seiner Seite floss, auffing. Vielleicht erhofft man sich durch diesen Kelch eine schnelle Heilung und Rettung der Welt. Wäre das nicht zu einfach? Die Wahrheit liegt in der Suche. Der Mensch muss sich selbst erst seiner Sünden gewahr werden, ehe er zum Wissenden wird. Denn nur dieser erkennt überhaupt die Erlösung. Die drei Komponisten Richard Wagner, Charles-Marie Widor und Peter Michael Hamel haben Kompositionen über dieses Thema verfasst. Sie haben aber nicht einfach Geschichten nacherzählt, sondern wollten selbst mit ihren Werken die Zuhörer wissend machen. Es erwartet sie heute kein kuscheliger Abend – vielmehr gilt es die Musik zu erkennen und zu verinnerlichen. Sie können hören, fühlen und begreifen. Die Komponisten wollten mit ihrer Musik Veränderung, im Idealfall Einsicht bewirken. Lassen Sie sich während der kommenden Stunden auf dieses Experiment ein! Die Komponisten und ihre Werke Das heutige Konzert wird mit keinem geringeren als dem Geburtstagskind Richard Wagner eröffnet. Wir kennen ihn als Revolutionär, Exilant und Nutznießer Ludwig des II., des Bayerischen Königs. Manche sehen in ihm den Emporkömmling und exzentrischen Egoisten, der nur seine Philosophie des Gesamtkunstwerkes und der Kulturreligion konsequent durchsetzen wollte. Andere identifizieren ihn als musikalisches Genie, den Begründer einer neuen Operntradition. Thomas Manns Meinung dazu ist weit bekannt und sei aufgrund seiner Treffsicherheit hier noch einmal zitiert: »[Wagner,] dieser schnupfende Gnom aus Sachsen mit dem Bombentalent und dem schäbigen Charakter.« Entgegen all dieser landläufigen Meinung haben wir es hier immer noch mit einem bedeutenden Komponisten zu tun, der nicht nur seine Zeitgenossen erstaunte, sondern auch Künstler späterer Generationen enorm beeinflusste. Wie eben schon angedeutet, war Komponieren für ihn nicht nur bloßes Handwerk, sondern vielmehr eine Lebensphilosophie. Er schaute, wenn man so will, hinter den Theatervorhang, wollte nicht nur unterhalten, sondern etwas bewegen. Er hatte eine Vision, die es galt unter die Leute zu bringen! Aufgrund seiner Vielseitigkeit – er schrieb eigene Texte, komponierte und arrangierte das Bühnenbild – war er in allen Wissenschaften heimisch. Interessiert an allem was den Staub der Vergangenheit abstreifte, konnte er sich mit seiner schnellen Auffassungsgabe sofort in die aktuellsten Theorien hineindenken und sie für sich gewinnbringend einsetzen. Die Verarbeitung und Weiterentwicklung avantgardistischer Ideen kann man in all seinen Werken feststellen. Das Konzert beginnt mit dem Vorspiel zum 1. Aufzug seiner Oper Lohengrin WWV 75. Schon mit dem Wort Vorspiel haben wir eine dieser Innovationen direkt vor uns. Bei seinen 3 Zeitgenossen begann eine Oper bis dahin mit der Ouvertüre, einer symphonisch angelegten Zusammenfassung inhaltlicher Themen in Art einer Sonatenhauptsatzform. Bei Wagner jedoch steckt man schon mitten im Geschehen. Das Vorspiel greift das Hauptthema auf, die allumfassende musikalische Handlung. Bei der Oper »Lohengrin« ist das der Heilige Gral. Mit seinem Erscheinen wird die Handlung eröffnet und mit der Gralserzählung im späteren Verlauf wieder beschlossen. Das Vorspiel verweist insofern auf das kommende Geschehen, als dass es als Kreislauf angelegt ist. Das Gralsmotiv ist das alles beherrschende Thema. Es wird von Mal zu Mal intensiviert, womit die Aura des Grals aus einer Dämmerung heraus immer klarer wird. Bis schließlich das geweihte Gefäß in all seinem Glanz und seiner Herrlichkeit mit Trompeten und Posaunen im fortissimo für uns zu erkennen ist. Jedoch wird im letzten Drittel deutlich, dass durch die Zurücknahme der Instrumentation auch der Kelch mit sphärischen Klängen wieder im Nebel verschwindet. Somit lässt Wagner den Zuhörer mit Hilfe der Musik schon erahnen, dass das Drama um Lohengrin und Elsa tragisch enden wird. Ebenso wie die kurze Erscheinung des Grals, taucht Lohengrin auf, erstrahlt als Retter und Erlöser. Dennoch muss er wegen der zweifelnden Elsa, die das Frage-Verbot bricht, wieder zum Gral zurückkehren. Schon in diesem Musikstück geht Wagner seiner Philosophie nach, den Zuhörer wissend zu machen. Er lässt die Musik erzählen, was die Protagonisten selbst noch nicht erahnen oder ausgesprochen haben. In seinen späteren Opern geht er darin noch einen Schritt weiter und die Musik wird zum Wegweiser für die Akteure, gibt Anstoß zu Handlungen. Äußere und innere Vorgänge werden von ihr durchdrungen. All dies gipfelt im Musikdrama Wagners, der Erfüllung seiner Philosophie des Gesamtkunstwerkes. Dieses sieht er als Verdeutlichung der tiefen Wahrheit der religiösen Symbole und des Künstlers als Mittler zwischen Gottheit und den »normalen« Menschen. Umgesetzt hat er dies in Perfektion mit seinem Bühnenweihfestspiel Parsifal WWV 111 aus dem wir am Ende des heutigen Abends das Vorspiel und den Karfreitagszauber hören. Nur Parsifal, der reine Tor, kann durch das Erleben von Mitleid zur Erkenntnis gelangen und die Gralsritter sowie ihren König erlösen. Man wird dadurch an den Spruch »Der Weg ist das Ziel.« erinnert. Erst als sich Parsifal auf die Suche nach dem heiligen Speer begibt, im Garten des verstoßenen Gralsritters Klingsor von der Sünderin Kundry verführt und damit von der Gralsgemeinschaft getrennt werden soll, offenbart sich ihm die Wahrheit. Er wird zum Wissenden. Sein Rückweg wird ihm durch einen Fluch erschwert und er muss noch einige Zeit auf der Suche nach dem rechten Weg herumirren. Unterdessen wird ihm die Verantwortung für all seine Handlungen bewusst. Er ist geläutert. Die ihm zugeteilte Rolle des Erlösers der zerfallenden Gralsgemeinschaft und der verödeten Welt kann er nun übernehmen. Dieses Moment vertonte Wagner mit dem Karfreitagszauber. Er setzte wie ein Maler dafür bewusst die verschiedenen Klangfarben des Orchesters ein. Mit dieser Kompositionsweise kann er die jeweils erwünschte Stimmung und klanglichen Effekte hervorrufen. Durch den Einsatz bestimmter Instrumente kann er zum Beispiel eine nicht anwesende Person bei uns in Erinnerung rufen und somit den Inhalt einer Szene stark beeinflussen. Beim Karfreitagszauber setzt er dieses Können nun zur Gestaltung eines Schauplatzes ein, der im Begriff ist sich zu verwandeln. Entgegen der Begrifflichkeit des Karfreitags als Trauer- und Klagetag im Gedenken an die Kreuzigung Christi auf dem Berg Golgatha, verlagert Wagner den Schwerpunkt auf den Erlösungsgedanken dieser Szene. Durch den Tod Jesu hat Gott die Schuld von der Welt genommen und mit dessen Auferstehung den Menschen den Weg ins Ewige Leben geebnet. Eben dieses Paradies lässt Wagner nun mit seinem Karfreitagszauber erwachen. Die Musik ist unendlich ruhig, voller Zärtlichkeit. Vor uns vollzieht sich ein Frühlingserwachen als Symbol für die Erlösung der Welt aus ihrer Hoffnungslosigkeit und einen Neuanfang in Friede und Gerechtigkeit. Die Musik spendet uns Trost. Sie entrückt uns, offenbart uns die 4 göttliche Wahrheit und macht uns ebenso wie zuvor Parsifal zu Wissenden. Wagner hat damit den Aspekt des Künstlers als Mittler zwischen der göttlichen und irdischen Welt, mit der Offenbarung der größten Erkenntnis von allen – der Erlösung des Menschen – mit Hilfe der Musik vollzogen. Den Erlösergedanken nahm auch Charles-Marie Widor auf, als er seine Sinfonia sacra op. 81 für Orgel und Orchester komponierte. Dieses Werk entstand vor dem Hintergrund seiner Ernennung zum Mitglied der königlichen Akademie der Künste in Berlin im Jahre 1907. Angeregt von Albert Schweitzer, einem seiner ehemaligen Orgel-Studenten und freundschaftlicher Wegbegleiter, wollte er aus Dankbarkeit für seine Ernennung und dem daraus resultierenden Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben der beiden Nachbarländer Frankreich und Deutschland, ein großes Orgelwerk komponieren. Anlass hierfür bot die Aussicht einer Uraufführung im Advent des gleichen Jahres, welche somit das Thema der Komposition vorgab: Die Ankunft des Heilands, des Erlösers der Welt. Bei Widor kann man den Leitgedanken des heutigen Abends, den Gral, als Entsprechung für Jesus Christus ansehen. Auch er trat für Gerechtigkeit ein, heilte Kranke und gab den Hungernden zu Essen. Wie anders sollte man es auch sehen in dem Wissen, dass die Kraft des Grals dem Blute Jesu entspringt? Widor nimmt als tonale Grundlage für seine Komposition den Choral »Nun komm, der Heiden Heiland«. Es handelt sich hierbei um die Bearbeitung eines Hynmus des Ambrosius von Mailand durch Martin Luther. Rund 200 Jahre später übernimmt Johann Sebastian Bach Textteile in seine gleichnamige Kantate. Der eben schon erwähnte Albert Schweitzer hatte Charles-Marie Widor die Semantik der Bachschen Choralbearbeitung erschlossen und somit trat der Komponist schon in früheren Jahren für Bachs Musik ein und wurde zum französischen Pendant eines Felix MendelssohnBartholdy. Die Sinfonia sacra ist insgesamt im gemäßigten Tempo gehalten, gen Schluss wird dieses dann jedoch erhöht. Die ersten beiden Sätze beginnen kaum hörbar im pianissimo. Das Orchester stellt dabei das gesamte Werk über das Klagen der schmerzerfüllten Menschheit dar. Die Orgel steht dem gegenüber als Gesang der Engel aus der göttlichen Welt. Mit der Erwartung des Heilands und dessen zukünftiger Erscheinung wandelt die Orgel die mollhafte Klage des Orchesters in Dur, von Dunkelheit in Licht. Ebenso wie Richard Wagner vertrat auch Charles-Marie Widor die Ansicht, dass die Musik aussprechen kann, wofür Worte nicht ausreichen: »Es ist das Gefühl des Erhabenen und Unendlichen, für das Worte immer ein inadäquater Ausdruck bleiben und das allein in der Kunst zur wahren Darstellung gelangt.« Einen Anklang an Richard Wagner, den Meister des Operndramas, meint man dann auch im letzten Satz in den vollen Akkorden der Orgel zu vernehmen. Im folgenden Werk nach der Pause, den Gralbildern, vertont Peter Michael Hamel im zweiten Satz einen Choral noch plakativer als Widor. Seine gesamte Tonsprache besteht aus plastischen Klangcharakteren. Er setzt diese musikalischen Bilder ein, um uns den Inhalt der drei Gralbilder zu verdeutlichen. Schon im ersten Satz, dem Sturz des Luzifers, benutzt er glissandierende Posaunen für die Darstellung der Distanz zwischen Himmel und Hölle. Der Sturz des Satans könnte die Sündhaftigkeit der Menschen darstellen, denn er war der Versucher und Ankläger der Menschen (vgl. Adam und Eva sowie Hiob). Er glaubte nicht an das Gute und wollte Gott beweisen, dass seine Kreaturen schlecht sind. Diese Respektlosigkeit den Menschen gegenüber und die damit verbundene Gehorsamsverweigerung werden als Punkte für die Verbannung in die Höllenfeuer angesehen. 5 Gott selbst aber will die Schuld von den Menschen nehmen, indem er seinen Sohn für sie hergibt. Die Parabel für den Kreuzestod Jesu stellt der Choral „O Haupt, voll Blut und Wunden“ aus der Feder Paul Gerhardts und Johann Crügers, mit seinen 10 Strophen zu einem der wichtigsten Kirchenlieder der Passionszeit avanciert, dar. Die unglaubliche Erniedrigung und Folter des Gottessohnes wird musikalisch mit improvisatorisch anmutenden Störfaktoren zu der Choralmelodie intensiviert. In seinem Streben nach Harmonie und Schönheit löst Hamel diese Flecken immer wieder auf und erinnert an den Erlösungsgedanken, der am Ende der Marter Jesu für die Christen steht. Diese Vorausahnung wird dann auch mit dem dritten Satz »Dem höchsten Ort« eingelöst. Ein Paradies, wie es vor dem Sündenfall bestand, wird mit dem Schönen Ton suggeriert. Diesem werden wiederum tiefe Töne gegenübergestellt, welche uns die weite Ferne zum Höchsten Ort aufzeigen. Diese überwindet nur, wer um seine eigene Sündhaftigkeit weiß und somit die Erlösung überhaupt erkennen kann. Das 1981 komponierte Werk ist ein Konglomerat seiner Musik zu dem Bühnenstück »Merlin oder das wüste Land« von Tankred Dorst, womit der direkte Bezug zum Gralsmythos und dem Titel der heute aufgeführten Komposition gegeben ist. Mit »Merlin« wollte der Dramatiker in Form eines Weltmärchens die Verhältnisse in der Welt als Ganzes darstellen. Der im ersten Satz, dem Sturz des Luzifer, dargestellte Wettkampf zwischen Gott und Luzifer wird auf der Bühne zwischen Merlin und dem Teufel ausgetragen. Für das Gute steht Artus mit seinen Rittern der Tafelrunde, jedoch sind sie alle nur zu menschlich und streiten um Liebe und Macht. All dies endet im Chaos, in der Katastrophe der Entscheidungsschlacht, die niemand gewinnt, da das Land zerstört, entvölkert und verwüstet wird. Peter Michael Hamel lässt seine Gralbilder nicht in solchem Elend enden. Vielmehr zeigt er uns mit seinen kompositorischen Mitteln die Erlösung auf. Mit seiner Musik möchte er das allumfassende Bewusstsein – Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart des Menschen im Hier und Jetzt – erreichen. Diese Kompositionsweise oder Philosophie bezeichnet er als integral. Durch die Vereinigung des Magischen, Mythischen und Mentalen soll die Botschaft dem Zuhörer, der körperlich empfindet, seelisch erlebt und die Musik geistig-strukturell erfasst, bewusst werden. Dies erinnert stark an die Philosophie eines Richard Wagner, der auch die Kunst und besonders die Musik in ihrer Vereinigung im Operndrama als Vermittler der religiösen Botschaft sieht. Jessica Brömel, M.A. 6