2-079

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2-079
2-080
SITZUNG AM DIENSTAG, 19. NOVEMBER 2002
(Das Parlament genehmigt das Protokoll
vorangegangenen Sitzung.)1
VORSITZ: PATRICK COX
Präsident
2-085
Fortschrittsbericht über den Beitritt
(Die Sitzung wird um 15.05 Uhr eröffnet.)
2-081
Ribeiro e Castro (UEN). – (PT) Herr Präsident, ich
möchte kurz einen Punkt der Ordnung halber
ansprechen. Der Parlamentspräsident schloss die Debatte
von heute Vormittag über die Zukunft der erweiterten
Europäischen Union mit einem Glückwunsch an die
Dolmetscher für die Professionalität und die von ihnen
heute Vormittag geleistete Arbeit. Ich möchte sagen,
dass nach meiner Information die portugiesische Kabine
am meisten Direktübersetzungen, d. h. ohne Relais,
bewältigt hat. Ich sage das natürlich nicht, um eine Art
Wettbewerb zwischen den Kabinen zu provozieren,
sondern um mich Ihren Glückwünschen anzuschließen
und meinem Wunsch Ausdruck zu verleihen, dass das
Parlament künftig politisch auf der Höhe des
Professionalismus der Dolmetscher und in der Lage sein
möge, dem Beispiel, das sie uns gegeben haben, zu
folgen: eine praktische Demonstration, dass die
Erweiterung nicht als Ausrede für die Minderung des
Standards unserer Dolmetschleistungen benutzt werden
darf, sondern sie – im Gegenteil – als Instrument genutzt
werden sollte, um - wie der Präsident zu Recht
hervorhob - die sprachliche und kulturelle Vielfalt
Europas zu stärken.
2-082
Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen
Sitzung
2-083
Perry (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, mein Beitrag
war eigentlich für die gestrige Aussprache über die
Medien vorgesehen, aber ich konnte diesen Termin
leider nicht wahrnehmen, weil es äußerst schwierig war,
nach Straßburg zu kommen. Lassen Sie mich nur
feststellen, dass man, wenn man aus dem für seinen
Nebel und Smog bekannten Vereinigten Königreich
kommt, wohl kaum das Klima in Straßburg kritisieren
kann. Stattdessen möchte ich den Flughafenmitarbeitern
dafür danken, dass sie der Sicherheit oberste Priorität
einräumen. Ich möchte mich einfach beim Präsidenten
und dem Haus für mein Fehlen entschuldigen. Ich bin
tapfer um 6.00 Uhr in der Früh von zu Hause
losgefahren, um rechtzeitig hier zu sein.
2-084
Der Präsident. – Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass
Sie zusätzlich zu Ihren Bemerkungen, die im Protokoll
vermerkt werden, gemäß Artikel 120 Absatz 7 die
Möglichkeit haben, eine schriftliche Stellungnahme
abzugeben, die dem ausführlichen Sitzungsbericht der
entsprechenden Aussprache beigefügt wird.
der
2-086
Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt der
Bericht (A5-0371/2002) von Herrn Brok im Namen des
Ausschusses
für
auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit
und
Verteidigungspolitik zur Erweiterung: Bericht über die
Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum
Beitritt (KOM(2002) 700 – C5-0474/2002 –
2002/2160(INI)).
2-087
Brok (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir heute
Vormittag die historischen Dimensionen sehr deutlich
vor Augen geführt bekommen haben, möchte ich jetzt
damit beginnen, auf die ungeheuren Anstrengungen der
Beitrittskandidaten hinzuweisen, durch die sie den
Transformationsprozess zu Wege gebracht haben. Ich
glaube, es gab in vielen dieser Länder eine politisch
mutige Haltung, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen,
die zu einer Veränderung des politischen, ökonomischen
und sozialen Systems führen mussten. Diese
Maßnahmen hätte man ohnehin in weiten Bereichen
durchführen müssen, aber sie hatten auch mit der
Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu tun. Ich
glaube, dass wir manches von diesem Mut und dieser
Durchsetzungsfähigkeit auch für unsere eigene
politische Arbeit mitnehmen können.
Gleichzeitig möchte ich mich bei dieser Gelegenheit bei
den Verhandlungsparteien bedanken, und zwar beim
Rat, insbesondere bei der Kommission und bei den
Beitrittsländern, die in den letzten Jahren ein
unermessliches Maß an Arbeit auf sich genommen
haben, um dieses Werk langsam zu einem positiven
Ende zu führen. Wir müssen allerdings sehen, dass in
diesem Prozess noch eine Reihe von Dingen in Ordnung
zu bringen ist. Z. B. müssen einige schwerwiegende
Fragen bis Kopenhagen noch geklärt werden, bzw.
werden im Prozess danach noch Anpassungen
notwendig sein. Damit meine ich nicht nur die Erfüllung
der Übergangsregelungen, die natürlich zeitlich befristet
sein müssen, sondern auch die Fragen, die wir in unseren
Berichten aufgreifen und die mit mangelnden
Fähigkeiten von Administration und Gerichtswesen zu
tun haben, die mit Minderheitenrechten, mit Korruption
und Menschenhandel zu tun haben. Dies sind Beispiele
für Probleme, die bis zum Inkrafttreten der Erweiterung
maßgeblich in Angriff genommen werden sollten. Ich
halte daher die Position der Kommission für richtig,
gerade in diesen Bereichen schwerpunktmäßig die
Vorbeitrittshilfe einzusetzen, um auf diese Art und
Vorlage
von
Dokumenten
–
Entschließungsanträgen: siehe Protokoll.
1
Einreichung
von
6
Weise bis zum Mai 2004
Voraussetzungen zu schaffen.
19/11/2002
die
notwendigen
Ich stimme mit Ihnen überein, dass uns, nachdem diese
Leistungen auf allen Seiten vollbracht wurden, noch
manches bevorsteht. Wir als Europäisches Parlament
sind bereit, unseren Beitrag durch Einhaltung des
Zeitplans dazu zu leisten. Es war dieses Haus, das
beschlossen hat, dass der Beitritt erfolgen soll, so dass
diese Länder an der Europawahl des Jahres 2004
teilnehmen können, und es hat damit das Datum gesetzt,
das die anderen übernommen haben. Wenn der
Beitrittsvertrag, der ja etwa 6000 Seiten umfassen soll,
vorliegt, wollen wir dafür sorgen, dass wir spätestens
Anfang April unsere Entscheidung treffen können, so
dass der vorgesehene Unterschriftstermin eingehalten
werden kann und damit auch der Fahrplan für die
Ratifizierung Mitte 2004 eingehalten wird.
Es gibt einige sehr konkrete Fragen, die es im Rahmen
der Verhandlungen anzusprechen gilt. Ich meine die
Strukturbeihilfen und die Landwirtschaft. Ich möchte
noch einmal betonen, ich hoffe auf die Weisheit aller
Verhandlungspartner, dass die Verhandlungen in einer
Form stattfinden, dass das Ergebnis anschließend auch
noch glaubwürdig als Erfolg dargestellt werden kann,
damit wir nicht wegen Kleinigkeiten im Vergleich zur
historischen Dimension am Ende an irgendeinem
Referendum scheitern. Ich glaube, dass wir uns das in
voller Verantwortung vor Augen halten sollten, und ich
bin der Ansicht, dass wir in den kommenden Wochen
noch einige Unterstützung leisten müssen. Das bedeutet
auch, dass wir uns ernsthaft fragen müssen, ob wir
beispielsweise Geld, das sich bis 2006 ja nicht
vermehren wird, überproportional für Direkthilfen
einsetzen möchten, oder ob es nicht besser wäre, es
makroökonomisch für die ländliche Entwicklung
insgesamt einzusetzen. Das möchte ich nur als
Fragestellung zum Nutzen dieser Länder hier in den
Raum stellen.
Ich bin davon überzeugt, dass es gelingen wird, auch die
Kaliningrad-Frage zum Abschluss zu bringen. Ich hoffe,
dass alle Auseinandersetzungen mit den Verhandlungen
beendet sein werden und dass Kommission und Rat
schnell konkret erklären können, was mit dem travel
document light gemeint ist. Eins ist völlig klar, und das
ist die Position des Europäischen Parlaments: Wir
müssen eine Brücke zu Russland bauen, aber es muss
klar sein, dass Litauen ohne Beschränkung Mitglied der
Europäischen Union wird, dass wir die Interessen eines
kleinen, souveränen Landes beachten, und dass wir
keine Lösung akzeptieren, die Litauens Eintritt in das
Schengen-System verhindert, behindert oder verzögert.
(Beifall)
Ich meine, dass das ein wichtiger Hinweis auf die
nächsten Wochen ist. Ich hoffe, dass das auf der
Grundlage des bisherigen Verhandlungsergebnisses
funktionieren wird.
Ich möchte auch deutlich machen, dass die beiden
Länder, mit denen jetzt noch kein Abschluss getätigt
wird, sich darauf verlassen können müssen, dass man wenn sie die Verhandlungen zu Ende führen und die
Bedingungen erfüllen - kein neues Veto und kein neues
Alibi erfindet und die Tür dann für sie verschlossen ist.
Auch dies gehört zur Absicherung von Ländern wie
Bulgarien und Rumänien dazu.
Ich hoffe, dass die Zypern-Frage auf der Grundlage des
Vorschlags von Kofi Annan gelöst werden kann. Ich
meine, dass das ein wichtiger Fortschritt für die
Beziehungen innerhalb und außerhalb der Europäischen
Union ist sowie zur Befriedung des Mittelmeerraumes,
unabhängig vom Beitritt und der Erweiterung der
Europäischen Union,
aber
auch
in diesem
Zusammenhang. Ich meine allerdings auch, dass so
etwas Selbstverständliches - nämlich dies zu erreichen nicht damit verbunden sein darf, dass man die
politischen Kriterien von Kopenhagen aus Gründen des
politischen Rabatts verwässert.
Wir werden nach Kopenhagen, nachdem den Bürgern
klar wird, dass wir es im ersten Schritt mit 10 Ländern
ernst meinen, in den heutigen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union eine breite Diskussion darüber
bekommen, wie weit es denn noch gehen soll. Dann
können wir das nur glaubwürdig vertreten, wenn wir
sagen, eine weitere Erweiterung der Europäischen Union
geht nur auf der Grundlage der vollen Erfüllung der
Kopenhagener Kriterien, sowohl auf der politischen als
auch auf der ökonomischen Seite. Ich meine, dass dies
zur Glaubwürdigkeit des gesamten Prozesses gehört.
Um alle Missverständnisse zu beseitigen: Wenn die
Türkei diese Bedingungen erfüllt, zu denen heute auch
die Einhaltung der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union gehört, und dies voll und ganz
Bestandteil einer politischen Entwicklung der Türkei ist,
das Militär keine politische Rolle in der Türkei mehr
spielt und volle Rechtsstaatlichkeit hergestellt wird,
dann hat sich die Türkei in einer dramatischen Weise
verändert, und dann müssen wir über die Mitgliedschaft
der Türkei in einer positiven Weise nachdenken. Ob sie
es erreicht, weiß ich nicht, aber wir sollten ihr die
Chance geben, es zu erreichen. Deswegen kommt es hier
auf die politischen Kriterien an.
(Beifall)
2-088
Haarder, Ratspräsident. – (DA) Herr Präsident, wir
nähern uns jetzt dem entscheidenden Termin. In 23
Tagen werden wir in Kopenhagen hoffentlich die
Beitrittsverhandlungen mit zehn Beitrittskandidaten
abschließen, den Verhandlungen mit Bulgarien und
Rumänien neue Impulse verleihen und eine
Entscheidung über die nächste Phase der Kandidatur der
Türkei treffen. Damit nähern wir uns dem Ziel, das wir
anstreben: einem einheitlichen, wiedervereinigten
Europa.
19/11/2002
Heute haben wir darauf bereits einen Vorgeschmack
bekommen. Wir haben eine Generalprobe durchgeführt,
und es hat sich gezeigt, dass ein so großes Parlament mit
der Anwesenheit von Mitgliedern aus 27 Ländern hier
im Plenarsaal durchaus möglich ist und dass es ebenso
möglich ist, in 23 Sprachen zu dolmetschen, wie das
geschehen ist. Viele Zweifler müssen jetzt einsehen,
dass diese Dinge durchaus durchführbar sind.
Heute Vormittag haben wir ein historisches Ereignis
erlebt, und ich finde, dass dem Parlament großer Dank
für die Demonstration dessen gebührt, was uns in
anderthalb Jahren erwartet, sowie für die Demonstration,
dass es machbar ist. Damit hat es dazu beigetragen, den
gesamten Prozess unumkehrbar zu machen, sodass kein
Weg mehr zurückführt.
Aber auch der gestrige Tag war auf seine Art historisch.
Gestern fand in Brüssel zum ersten Mal eine
Ministerkonferenz
unter
Beteiligung aller
25
Mitgliedstaaten statt. Sie war natürlich informell. Sie
fand unmittelbar vor der ordentlichen Tagung des Rates
Allgemeine Angelegenheiten statt, in der beschlossen
wurde, was wir vorher mit den neuen Mitgliedstaaten
besprochen hatten. So einigten wir uns u. a. darauf, dass
die neuen Länder am 1. Mai 2004 beitreten sollen. Das
lässt Zeit für die Ratifizierung der Beitrittsverträge und
gleichzeitig haben die neuen Mitgliedstaaten dadurch die
Möglichkeit, gleichberechtigt an den Wahlen zum
Europäischen Parlament teilzunehmen. Es wurde auch
Einigung darüber erzielt, dass sie ab dem
Beitrittszeitpunkt, also ab 1. Mai 2004, durch eigene
Mitglieder in der derzeitigen Kommission vertreten sein
können. Das setzt natürlich das Einverständnis dieses
Parlaments voraus, dass zehn Kommissare ohne
Portefeuille - und wahrscheinlich ohne Zustimmung
durch das Parlament - ihre Ämter antreten können. Klar
ist jedoch, dass sich zum Zeitpunkt der Ernennung der
neuen Kommission, wahrscheinlich am 1. November,
selbstverständlich alle Kommissare – wie üblich – dem
Zustimmungsvotum des dann neu gewählten Parlaments
stellen müssen.
Wir müssen einen besonderen Dank an die
Beitrittskandidaten richten und ihnen Respekt für ihre
Leistung zollen. Sie haben eine imponierende Leistung
erbracht, um allen von uns aufgestellten Kriterien
gerecht zu werden. Das ist nach meinem Verständnis
auch die Aussage des Berichts, den wir heute behandeln.
Die Kopenhagener Kriterien sind der Maßstab, an dem
die politischen und wirtschaftlichen Reformen der
Länder gemessen werden. Es sind grundlegende
Reformen durchgeführt worden. Demokratische
Strukturen wurden entwickelt, es wurden Rechtsnormen
zum Schutz der Menschenrechte eingeführt und beim
Minderheitenschutz große Fortschritte erzielt. Im
Wirtschaftsbereich hat eine imponierende Entwicklung
von der Planwirtschaft früherer Zeiten hin zur
Marktwirtschaft stattgefunden. Die Preisbildung ist
liberalisiert worden, es wurden Privatisierungen
durchgeführt, in der Industrie, der Landwirtschaft und
im
Finanzsektor
haben
umfangreiche
Umstrukturierungen stattgefunden. Die öffentlichen
7
Verwaltungen sind reformiert worden, um den
gemeinschaftlichen Besitzstand übernehmen zu können.
Wenn man bedenkt, wie viele Anstrengungen in jedem
dieser Bereiche erforderlich waren, muss man die neuen
Länder wirklich bewundern. Deshalb dürfen wir auch
die berechtigte Erwartung nicht enttäuschen, dass sie
jetzt innerhalb kurzer Zeit vollwertige Mitglieder werden
können. Über diese imponierenden Fortschritte
informieren der Fortschrittsbericht der Kommission und
das Strategiepapier zur Erweiterung, die am 9. Oktober
vorgelegt wurden. Darin werden alle zehn Länder
beschrieben, und die Kommission kam zu dem Schluss,
dass sie für die Mitgliedschaft bereit sind.
Bevor sie aber Mitglieder werden, sind allerdings noch
weitere Anstrengungen erforderlich. Die Kommission
hat nicht festgestellt, dass die Arbeit getan ist und die
Vorbereitungen abgeschlossen sind. Sie hat gesagt, dass
sie rechtzeitig abgeschlossen werden können. Die
Beitrittskandidaten haben als Reaktion auf die
Fortschrittsberichte der Kommission deutlich gemacht,
dass sie ihre Bemühungen in den von der Kommission
aufgezeigten Bereichen verstärken werden, und diese
Anstrengungen werden mit EU-Mitteln unterstützt.
In Bezug auf die Beitrittsverhandlungen ist noch einiges
zu tun. Der Europäische Rat von Brüssel traf eine Reihe
wichtiger Entscheidungen über die noch offenen
finanziellen Fragen. In diesen Tagen finden intensive
Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten über diese
Themen statt. Und es ist klar, dass ein erfolgreiches
Ergebnis von allen Beteiligten Einsatz und
Kompromissbereitschaft verlangt – von den derzeitigen
Mitgliedstaaten ebenso wie von den zukünftigen. Wir
wissen alle, dass ein bestimmter wirtschaftlicher
Rahmen festgelegt worden ist, dass aber innerhalb dieses
Rahmens natürlich noch Verhandlungsspielräume
bestehen.
Der Abschluss der Verhandlung in Kopenhagen in
23 Tagen wäre ein unglaublicher Durchbruch. Darauf
folgen dann die Arbeiten zur Ausfertigung,
Unterzeichnung und Ratifizierung der Verträge. Das
Parlament muss den Verträgen vor ihrer Unterzeichnung
zustimmen, und die Verlautbarung des Parlaments, den
Verträgen so schnell wie möglich zustimmen zu wollen,
belegt ein weiteres Mal die Rolle des Parlaments als
Antriebskraft einer schnellen Erweiterung.
Der Europäische Rat in Kopenhagen wird sich nicht nur
mit den 10 Ländern befassen. Es werden auch wichtige
Entscheidungen in Bezug auf Bulgarien und Rumänien
getroffen, die noch einen längeren Weg zurückzulegen
haben.
In Brüssel wurden die Bemühungen dieser Länder um
einen Beitritt 2007 deutlich unterstützt. Gemäß den
Schlussfolgerungen von Brüssel muss der Europäische
Rat in Kopenhagen detaillierte Fahrpläne festlegen,
wozu
auch
Terminpläne
und
eine
erhöhte
Heranführungshilfe zur Förderung des Beitrittsprozesses
dieser Länder gehören. Die Entscheidungen in
8
Kopenhagen sollen also die Aussichten für eine
Mitgliedschaft Bulgariens und Rumäniens verbessern.
Was die Türkei angeht, kommt die Kommission zu dem
Schluss, dass seit dem letzten Fortschrittsbericht große
Fortschritte bei der Erfüllung des politischen Kriteriums
von Kopenhagen gemacht worden sind. Das ist eine
erfreuliche Entwicklung, die es fortzusetzen gilt. Die
Entwicklung in der Türkei im vergangenen Jahr zeigt,
dass 1999 in Helsinki eine richtige Entscheidung
getroffen wurde, als man ihr den Status eines
Beitrittskandidaten zusprach.
Gleichzeitig wird festgestellt, dass zur vollständigen
Erfüllung des politischen Kopenhagener Kriteriums
noch einiges zu tun bleibt. Zur Stärkung ihrer
Beitrittsperspektiven wird die Türkei von der
Kommission zu weiteren Reformen und zur Umsetzung
der bereits beschlossenen Reformen ermutigt. Gemäß
den Schlussfolgerungen von Sevilla ist der Europäische
Rat in Kopenhagen der entscheidende Zeitpunkt für die
weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen der EU
und der Türkei. Deshalb ist es wichtig, alle Türen bis zur
Entscheidung in 23 Tagen in Kopenhagen offen zu
halten.
Abschließend möchte ich dem Parlament für seine
eindeutige und vorbehaltlose Unterstützung der
Erweiterung danken, die heute Vormittag bekundet
wurde und die sich in dem vorgelegten Bericht
widerspiegelt, wie dies auch in der kommenden Debatte
der Fall sein wird. Das Parlament hat zur Schaffung
eines
Resonanzbodens
für
die
gesamte
Erweiterungsdebatte
beigetragen.
Für
den
Erweiterungsprozess ist gerade die Unterstützung der
Parlamentarier und der Bevölkerung von wesentlicher
Bedeutung. Wir müssen sicherstellen, dass das so bleibt,
indem wir den Rahmen für eine gründliche und
sachliche Debatte über die Erweiterung in unseren
Ländern ebenso wie in den neuen Mitgliedstaaten
schaffen. Die Beratungen des Europäischen Parlaments
über die Erweiterung spielen eine wichtige Rolle. Von
hier aus werden die Signale an die Völker Europas
hinsichtlich der Bedeutung der zu treffenden
Entscheidungen gesandt. Deshalb möchte ich noch
einmal dem Parlament, dem Präsidenten persönlich und
auch Herrn Kommissar Verheugen für die enorme
Arbeit danken, die von den Institutionen der
Europäischen Union in den einzelnen Bereichen geleistet
worden ist.
(Beifall)
2-089
Verheugen, Kommission. – Herr Präsident, meine sehr
verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte
zunächst Herrn Abgeordneten Brok und dem Ausschuss
für
auswärtige
Angelegenheit,
Menschenrechte,
gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik sehr
herzlich danken für den Bericht, der hier vorgelegt
wurde und der eine wirkliche intensive Beschäftigung
mit der Sache zeigt. Ich möchte auch danken für die sehr
gute Zusammenarbeit, die wir im Laufe der Jahre
19/11/2002
entwickelt haben. Es ist ein bisschen wie die Stimmung
vor Weihnachten, in der wir ja schon sind, wenn man
weiß, man macht etwas zum letzten Mal, und das ist
wahrscheinlich schon das letzte Mal, dass ich mich beim
auswärtigen Ausschuss für die Zusammenarbeit
bedanken
darf,
jedenfalls
was
das
große
Erweiterungspaket angeht.
Ich möchte das gesamte Parlament und insbesondere
seinen Präsidenten, Pat Cox, in diesen Dank
einbeziehen. Ich finde die Initiative, die das Parlament
heute entwickelt hat, war wirklich des Europäischen
Parlaments würdig und hat gezeigt, dass diejenigen, die
hier die europäischen Bürgerinnen und Bürger
repräsentieren, die Erweiterung eben nicht als einen
technischen Prozess verstehen, sondern als ein
entscheidendes Stück politischer Einigung unseres
Kontinents. Es ist heute auch deutlich gemacht worden,
dass dieser Erweiterungsprozess, wenn ich das einmal so
sagen darf, auch eine Seele hat.
Das Jahr 2002 war ein Hürdenlauf - das muss man
deutlich sagen: Wenn ich kurz in Erinnerung rufen darf,
mit welchen Problemen wir am Anfang dieses Jahres
konfrontiert waren, und was wir alles vor uns gesehen
haben: die Problematik Landerwerb in Polen, die
Problematik Stilllegung in Ignalina, die Problematik der
Beneš-Dekrete in Tschechien, die Wahlen in der
Slowakei, das irische Referendum, die Kaliningradfrage
und letztlich das Finanzpaket. Wir sind wirklich von
Hürde zu Hürde gekommen, aber wir haben alle diese
Hürden nehmen können. Es liegt jetzt noch eine einzige
Hürde vor uns, und das ist die Einigung auf das
abschließende Verhandlungspaket.
Der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ hat gestern der
Präsidentschaft und der Kommission mit der
notwendigen Flexibilität und den notwendigen
Vollmachten ein klares Mandat erteilt, jetzt mit den
Kandidatenländern substantielle Gespräche zu führen,
das heißt, ihnen abschließende Pakete vorzulegen, die
für jedes einzelne Land maßgeschneidert sein werden.
Es wird nicht ein Vorschlagspaket geben, das dann für
alle gültig sein soll, sondern wir werden auf jedes
einzelne Land zugehen und versuchen, bei jedem
einzelnen Land die Probleme, die noch auf dem Tisch
sind, adäquat anzusprechen. Wir können das hier tun,
weil wir unmittelbar nach der Tagung des Europäischen
Rats in Brüssel mit den Kandidatenländern zwei Runden
von intensiven Gesprächen hatten, bei denen es darum
ging, alles, was jetzt noch offen ist, auf den Tisch zu
legen. Ich hatte darüber im Ausschuss für auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit und Verteidigungspolitik bereits berichtet.
Es gibt eine große Zahl von bilateralen Themen, die
direkt mit dem jeweiligen Land geregelt werden müssen.
Das reicht von außerordentlich schwierigen Fragen wie
beispielsweise der gesamten Wettbewerbsproblematik
mit Polen und Ungarn bis hin zur einen oder anderen
eher bizarren Sondersituation, der aber auch unter
Umständen Rechnung getragen werden muss, weil sie
19/11/2002
Einfluss - und zwar sehr starken - auf die öffentliche
Meinung haben kann.
Auf der anderen Seite wissen wir aus dieser Runde, dass
die horizontalen Fragen eigentlich überall gleich gesehen
werden. Hier haben wir es mit bekannten Themen zu
tun. Im Grunde sind es vier, und sie hängen eng
zusammen: Es ist im Bereich des Haushaltskapitels die
cash flow-Problematik, speziell im ersten Jahr. Es ist die
Frage des Drucks, den das Finanzpaket insgesamt auf
die Haushalte der Kandidatenländer in den Jahren 2004,
2005 und 2006 ausübt. Lassen Sie mich Folgendes
sagen, um verständlich zu machen, was ich meine: Die
Regeln, unter denen die europäischen Mittel zur
Verfügung gestellt werden, bedeuten durchaus auch eine
Belastung für die Haushalte dieser Länder. In dem einen
oder anderen Fall führt diese Belastung dazu, dass
erhebliche Einschnitte vorgenommen werden müssen in
Bereichen, in denen niemand hier in diesem Haus - da
bin ich sicher - die Einschnitte gerne sehen wird.
Gleichwohl hat das Land, wenn es die zur Verfügung
stehenden Mittel voll ausschöpfen will, keine andere
Wahl. Wir versuchen, hier noch einen Weg zu finden,
wie wir solche Haushaltsprobleme vermeiden können.
Der Rat hat in Brüssel wie der Rat „Allgemeine
Angelegenheiten“ gestern einerseits die Grenzen noch
einmal bestätigt, innerhalb derer wir uns bewegen
müssen, aber sie haben auch eine gewisse Flexibilität
geschaffen. Ich will etwas deutlicher werden, was diese
Flexibilität angeht. Zum Beispiel hat der Rat zwar
gesagt: Wir reduzieren die vorgesehenen Mittel für die
Struktur- und Kohäsionsfonds um 2,5 Mrd. Euro übrigens hat er das mit Zustimmung der Kommission
gesagt, weil auch wir zu dem Ergebnis gekommen
waren, dass es vermutlich sehr, sehr schwierig sein
würde, diese Mittel tatsächlich vollständig in den drei
Jahren in eine Programmplanung einzubeziehen. Aber er
hat die Obergrenze für Ausgaben, die in Berlin
beschlossen worden war, nicht verändert. Wenn wir
darauf hinweisen, dass der Berliner Rahmen strikt
beachtet werden muss und auch die Brüsseler
Beschlüsse nicht verändert werden können, dann ergibt
sich daraus schon, dass ein gewisser Spielraum
vorhanden ist.
Wenn man sich den deutsch-französischen Kompromiss,
der zur Einigung im Rat führte, in Bezug auf die
Direktzahlungen genau anschaut, dann hat ja nur das
dritte Jahr der Direktzahlungen - das Jahr 2006 -, wo
eine Ebene von 35 % erreicht wird, eine Auswirkung auf
das, was in Brüssel beschlossen wurde. Die
Agrarausgaben sollen ja auf dem Niveau des Jahres 2006
festgeschrieben werden. Vom Jahr 2005 und vom Jahr
2004 ist dabei nicht die Rede. Ich will an diesen beiden
Beispielen nur zeigen, dass es richtig ist, wenn wir
sagen: Das, was auf dem Tisch liegt, ist kein Angebot,
das nur entweder insgesamt angenommen oder abgelehnt
werden kann. Es lässt vielmehr einen gewissen Raum für
eine vernünftige Verhandlungsführung.
Nach Kopenhagen geht es dann darum, dass die
Kandidatenländer das tun, was auch hier in den
9
Berichten des auswärtigen Ausschusses ausdrücklich
gefordert wird, nämlich sich auf erkannte Mängel und
Schwachstellen mit unserer Hilfe zu konzentrieren. Wir
werden über das Ergebnis dieser Bemühungen noch
einmal ausführlich Bericht erstatten. Seitdem nun das
Beitrittsdatum feststeht - es wird der 1. Mai 2004 sein -,
wird dieser abschließende Bericht dem Rat und dem
Parlament am 1. November, vermutlich am 31. Oktober
2003, vorgelegt werden, so dass hier noch einmal eine
Möglichkeit besteht, auf die Einhaltung der
Verpflichtungen zu drängen.
Was Bulgarien und Rumänien angeht, so hat der Rat
gestern den Vorschlag der Kommission übernommen,
eine weiterentwickelte Vorbeitrittsstrategie für diese
beiden Länder anzunehmen. Sie gilt für jeweils ein
Land, ist also keine einheitliche Strategie, sondern eine
für Bulgarien und eine für Rumänien. Der Unterschied
zu bisherigen Verhandlungsfahrplänen besteht darin,
dass wir bisher immer festgelegt haben, bis wann welche
Entscheidungen für die Verhandlungen getroffen werden
müssen. Das ist hier nicht mehr notwendig, weil die
Kapitel nahezu alle schon geöffnet sind. Hier setzen wir
kurzfristige, mittelfristige und auf das Beitrittsdatum
bezogene Richtwerte, die das jeweilige Land zu einem
bestimmten Zeitpunkt erreicht haben sollte, damit der für
das Jahr 2007 vorgesehene Beitritt erfolgen kann.
Danach, also nach Kopenhagen - das ist heute Morgen
hier schon erörtert worden -, kommt die Stunde der
Parlamente,
beginnt
der
politische
Entscheidungsprozess. Dazu brauche ich hier nicht viel
zu sagen, außer dass selbstverständlich die Kommission
dem Europäischen Parlament in den entscheidenden
ersten Monaten des Jahres 2003 in jeder Hinsicht zur
Verfügung stehen wird. Welcher Ausschuss auch immer
und welches Gremium auch immer fachliche Auskünfte
und Diskussionsbedarf anmeldet, wir werden zur
Verfügung stehen. Das ist auch für uns die Priorität Nr. 1
zu Beginn des nächsten Jahres, die Präsident Prodi
morgen hieran dieser Stelle bei der Vorstellung unseres
Arbeitsprogramms auch noch einmal ausdrücklich
darstellen wird. Ich denke, dass hier Parlament und
Kommission gemeinsam diese sehr, sehr schwierige
Aufgabe meistern können.
Nun noch ein Wort zur Türkei, weil auch diese Frage im
nächsten Jahr noch eine Rolle spielen wird. Ich teile
ganz das, was Herr Brok gesagt hat - das hätte ja von mir
sein können -, nämlich dass die Türkei, die der
Europäischen Union beitreten kann, eine ganz andere
Türkei sein wird. Das ist genau das, was wir mit dem
Vorbeitrittsprozess erreichen wollen. Ich muss sagen, ich
sehe nicht ein, warum eine erfolgreiche Strategie
abgebrochen werden soll. Was wir in Helsinki getan
haben, hat den Veränderungsprozess in der Türkei erst
richtig in Gang gesetzt, mehr als alles andere jemals
zuvor. In der Frage des Datums hat die Kommission ihre
Präferenz eindeutig dargelegt. Die Kommission bleibt
dabei, dass alle Kandidaten gleich behandelt werden
sollen, und dass deshalb über ein Datum für die
Eröffnung von Verhandlungen erst zu reden ist, wenn
10
die politischen Kriterien tatsächlich erfüllt sind, und das
ist eindeutig nicht der Fall.
Ich möchte Ihnen auch mitteilen, dass diese Frage ganz
einseitig und ohne Absprache von der Türkei zum
Thema gemacht wurde. Es hat niemals irgendwo eine
Diskussion darüber gegeben, dass ein Datum für die
Aufnahme von Verhandlungen festgelegt werden soll,
bevor die politischen Kriterien erfüllt sind. Das ist eine
einseitige Forderung der Türkei, und ich bin nicht
gewillt, und die Kommission ist nicht gewillt, sich einer
solchen Situation einfach zu beugen. Da baut die andere
Seite Druck auf und sagt: Wenn ihr diesem Druck nicht
nachgebt, dann führt ihr eine Krise unserer Beziehungen
herbei. Das ist nicht die Art und Weise, wie wir
miteinander umgehen sollten.
(Beifall)
Ich möchte das sehr deutlich sagen.
In diesem Zusammenhang ein kurzes Wort zur
Zypernfrage: Auch hier finde ich, beweist die
Helsinkistrategie ihre Richtigkeit. Ohne die Beschlüsse
von Helsinki wären wir nicht dahin gekommen, wo wir
sind. Es war immer meine Auffassung, dass, wenn sich
etwas bewegt in Zypern, es sehr, sehr spät sein wird.
Deshalb müssen zwei Dinge politisch eindeutig
klargestellt werden. Erstens muss, was auch immer in
den vor uns liegenden 23 Tagen geschieht, die
Entscheidung über die Beitritte in Kopenhagen getroffen
werden. Das gilt auch für den Beitritt Zyperns. Das kann
nicht verschoben werden. Das ist der Dreh- und
Angelpunkt für die gesamte Strategie. Die erwünschte
Lösung ist natürlich, dass der Beitritt auf der Grundlage
einer grundsätzlichen Einigung über das Paket von Kofi
Annan vollzogen werden kann. Aber selbstverständlich
ist es auch möglich, die notwendigen Entscheidungen in
Kopenhagen zu treffen und dann den politischen
Prozess, der die Friedenslösung in Zypern herbeiführen
soll, fortzusetzen. Es ist absolut nicht gesagt, dass die
Entscheidung in Kopenhagen ein Ende der
Bemühungen, den Frieden dort zu finden, bedeutet,
wenn es nicht vor Kopenhagen schon zu einem
Abschluss kommt.
Im Zusammenhang mit den Vorschlägen der Vereinten
Nationen sind eine Reihe von Fragen aufgeworfen
worden, die die Vereinbarkeit des Friedensplans mit dem
europäischen Gemeinschaftsrecht betreffen. Ich will hier
noch einmal darauf hinweisen, dass wir immer gesagt
haben, dass es bestimmte Dinge gibt, die nicht
verhandelbar sind. Die müssen erfüllt sein. Zum Beispiel
muss ein Mitgliedsland entscheidungsfähig sein in
unseren Institutionen und muss mit einer Stimme
sprechen. Es muss Strukturen haben, zentrale
Regierungsstrukturen,
die
stark
genug
sind,
Gemeinschaftsrecht
zu
verwirklichen
und
durchzusetzen. Und es muss unsere Grundwerte und
Prinzipien schützen und achten, als da sind Demokratie,
Menschenrechte, Minderheitenschutz usw.
19/11/2002
Die Vereinten Nationen wussten, dass das für uns eine
absolute conditio sine qua non ist. Nach einer ersten
vorsichtigen Prüfung glaube ich, sagen zu können, dass
die Vorschläge diesen Bedingungen auch entsprechen.
Dann gibt es ein zweites Problem: Das sind Wünsche an
uns, die sich aus der Bizonalität und Bikommunalität
ergeben, die dem Vorschlag zugrunde liegen. Es sind
Wünsche in Bezug auf die Anpassung des
gemeinschaftlichen Besitzstandes. Ich halte es nicht für
erforderlich, dass wir auf diese Fragen jetzt eingehen,
sondern auf diese Fragen sollten wir dann eingehen,
wenn diejenigen sie uns stellen, die hinterher gemeinsam
in diesem Staat leben wollen. Solange sie nicht erklärt
haben, dass sie überhaupt diesen Staat wollen, brauchen
wir, glaube ich, nicht die Frage zu beantworten, welche
Regeln des Zusammenlebens in diesem Staat mit dem
gemeinschaftlichen Besitzstand vereinbar sind. Wir
sollten niemandem die Gelegenheit geben, sich unter
Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht aus der
Verantwortung für die politische Entscheidung zu
entfernen, die jetzt getroffen werden muss. Das ist der
wichtige Punkt.
Schließlich geht es jetzt darum, in den Mitglieds- und
Kandidatenländern Akzeptanz für das endgültige
Ergebnis zu schaffen. Deshalb sage ich auch ganz klar,
dass das Schlusspaket für jedes einzelne Kandidatenland
auch von einem ordentlichen Schuss Großzügigkeit auf
unserer Seite begleitet sein muss. Hier ist kein Platz für
Kleinlichkeit. Es kommt auch der Punkt, wo wir einfach
sagen müssen, dass das berechtigte Anliegen und
berechtigte Wünsche sind und dass es politisch einfach
sonst nicht möglich sein wird, den Menschen zu
erklären, warum der Beitritt gut für sie ist. Da müssen
wir dann auch einmal einen Schritt auf die
Kandidatenländer zutun und auch klarstellen, dass es
unter keinen Umständen eine Mitgliedschaft zweiter
Klasse geben wird. Ich bin dem Ratsvorsitz sehr
dankbar, dass er das in Bezug auf die
Regierungskonferenz bereits klargestellt hat. Das ist
auch die Auffassung der Kommission. Nach Abschluss
der Verhandlungen werden die Länder, die die
Verhandlungen
abgeschlossen
haben,
an
der
Regierungskonferenz gleichberechtigt teilnehmen, und
zwar von Anfang an. Dasselbe gilt für die Kommission.
In Bezug auf Absicherung und Übergangsfristen möchte
ich nur sagen, dass es sich hierbei um ganz normale
Instrumente handelt, durch die verhindert werden soll,
dass wir unangenehme Überraschungen erleben. Es ist
nichts anderes als eine notwendige Risikovorsorge.
Ich halte die Arbeit, die der Ausschuss für auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit und Verteidigungspolitik geleistet hat und die
nun zum Abschluss kommen soll, für eine wertvolle und
wichtige Hilfe in der letzten Phase dieser
Verhandlungen, und ich möchte die Hoffnung
ausdrücken, dass es uns gelingen wird, mit dem Druck,
den wir erzeugen, den Zug in der letzten Phase noch
etwas zu beschleunigen, damit er pünktlich in den
Zielbahnhof Kopenhagen einlaufen kann.
(Beifall)
19/11/2002
2-090
Poos (PSE), Ko-Berichterstatter. – (FR) Herr Präsident,
nach 28 Jahren des Konflikts und der Besetzung gibt es
nun heute einen Funken Hoffnung auf die friedliche
Wiedervereinigung Zyperns. Dieser Hoffnungsschimmer
war der Auslöser für den Entschließungsentwurf, über
den wir morgen abstimmen werden. Wir hoffen, dass
beide Konfliktparteien trotz des Zeitdrucks und des
engen Zeitplans noch vor Kopenhagen den
ausgewogenen Vorschlägen von Kofi
Annan
grundsätzlich zustimmen werden, so dass eine
wiedervereinigte und versöhnte Insel Zypern der
Europäischen Union beitreten kann.
Die griechischen Zyprer haben diese Vorschläge
innerhalb der vom Generalsekretariat festgelegten
Fristen bereits akzeptiert, während die türkischen Zyprer
weiterhin recht zögerlich sind. Jegliche Intervention von
dritter Seite könnte das labile Gleichgewicht des Plans
der Vereinten Nationen noch zerstören. Dies gilt
beispielsweise für die Drohung von Seiten Ankaras, das
nachdrücklich darauf besteht, dass Zypern auch im Falle
einer politischen Lösung nicht vor der Türkei in die
Europäische Union aufgenommen werden darf. Eine
derartige koloniale Haltung – dies nur am Rande –
würde die Unabhängigkeit und die Souveränität
Zyperns, wie sie in den Resolutionen des
Sicherheitsrates bekräftigt wurden, in Frage stellen.
Außerdem würde man sich mit einer solchen Einstellung
in brutaler Weise auch über die Meinung der
Gewerkschaften, der Oppositionsparteien und der
türkischen Zyprer hinwegsetzen, von denen sich in einer
kürzlich durchgeführten Umfrage 98 % für den Beitritt
ausgesprochen haben.
Da jedes Beitrittsland nach seinen eigenen Leistungen
beurteilt wird, könnte ein derartiges Veto – sofern es
bestätigt würde – nur kategorisch zurückgewiesen
werden, und in diesem Fall wäre es für den
Europäischen Rat von Kopenhagen ein Leichtes, die
Republik Zypern gemäß den Schlussfolgerungen von
Helsinki als neues Mitglied der Europäischen Union
aufzunehmen. Die türkischen Zyprer wären dann leider
auf der Verliererseite, denn so eine Chance bietet sich
kein zweites Mal.
Außerdem sollten der Ratspräsident und Kommissar
Verheugen dem Parlament noch einmal bestätigen, dass
ein eventuelles Scheitern des Verfassungsreferendums in
einem der beiden Inselteile den Beitritt Zypern zur
Europäischen Union nicht in Frage stellen würde. An
diesem Punkt sind wir jedoch noch nicht angelangt, und
wir dürfen noch hoffen, dass diese historische Chance in
einer letzten Kraftanstrengung ergriffen wird.
(Beifall)
2-091
Schröder, Jürgen (PPE-DE), Ko-Berichterstatter. Meine Herren Präsidenten, Herr Kommissar,
Kolleginnen und Kollegen! Kollege Brok hat in seinen
einführenden Worten schon etwas gesagt, was im
Grunde genommen für alle Beitrittskandidaten - aber
auch für die Tschechische Republik - gilt. Es sind noch
11
bestimmte Dinge nachzuholen, im wirtschaftlichen
Bereich, im administrativen Bereich. Ich möchte darauf
nicht eingehen, weil diese Dinge im Grunde genommen
keine Probleme darstellen, sondern im Laufe der
nächsten Zeit gelöst werden.
Gestatten Sie mir aufgrund der besonderen Bedeutung
eines Punktes, mich auf diesen zu konzentrieren. Es sind
die Dekrete des Präsidenten Edward Beneš, die wir sehr
ausgiebig im Auswärtigen Ausschuss diskutiert haben.
Ich habe im Namen unserer Fraktion einen letzten
Änderungsantrag eingereicht, den ich Ihnen hier
vorstellen möchte: „Das Europäische Parlament geht von
den Schlussfolgerungen der von ihm in Auftrag
gegebenen
Gutachten
aus,
wonach
die
Präsidentendekrete aus Sicht des EU-Rechts kein
Hindernis für den EU-Beitritt Tschechiens sind, was
einschließt, dass nach dem Beitritt des Landes alle EUBürger auf dem Gebiet der Tschechischen Republik die
gleichen Rechte haben, dass in absentia-Urteile außer
Kraft gesetzt werden und dass das Gesetz Nr. 115 vom
8.
Mai
1946
vom
Standpunkt
moderner
Rechtsstaatlichkeit keine Existenzberechtigung hat“ lassen Sie mich wiederholen, „dass das Gesetz Nr. 115
vom 8. Mai 1946 vom Standpunkt moderner
Rechtsstaatlichkeit keine Existenzberechtigung hat;
erachtet die grundsätzlichen Aussagen der deutschtschechischen Erklärung vom 21. Januar 1997 als eine
gute Grundlage für die Versöhnung, die die moralische
Basis für die europäische Einigung darstellt; hält eine
politische Geste der tschechischen Seite in diesem Sinne
für wünschenswert.“
Dieser Text respektiert die Würde all derer, die in den
vergangenen Jahrzehnten gelitten haben, wobei es
wichtig ist, die Reihenfolge der historischen Ereignisse
noch einmal in Erinnerung zu rufen. Zuerst gab es die
Nazi-Herrschaft, dann gab es die Besetzung Tschechiens
durch Nazi-Deutschland, dann gab es den Krieg, und
dann gab es die Vertreibung. Es haben sehr, sehr viele
Menschen gelitten, Tschechen und Sudetendeutsche,
Ungarn und Roma und andere. Ich glaube, dieser Text
respektiert die Würde aller, er respektiert aber auch die
Würde all derer, die heute in der Tschechischen
Republik und in der Europäischen Union leben, aller, die
heute leben, die aber persönlich nichts mit diesen
Ereignissen zu tun haben und die nach vorne blicken,
denen es um die Gegenwart und um die Zukunft geht.
Überdies fordert dieser Text nichts, er übt keinen Druck
auf die Tschechische Republik aus.
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen, da mein letzter
Änderungsantrag allen Seiten gerecht wird, bitte ich Sie,
ihn morgen bei der Abstimmung zu akzeptieren, wie
auch den gesamten Bericht.
(Beifall)
2-092
Gahler (PPE-DE), Ko-Berichterstatter. – Herr
Präsident! Als Berichterstatter für Estland denke ich an
diesen denkwürdigen Tag zurück, als ich vor
neuneinhalb Jahren erstmals in Estland ankam. Schon
12
damals war dort der starke Wille spürbar, mit der
Vergangenheit aufzuräumen, nach vorne zu schauen, die
eigenen Fähigkeiten mit den modernen technischen
Möglichkeiten zu kombinieren und eine beispiellose
Modernisierung in Wirtschaft und Verwaltung auf den
Weg zu bringen.
Die wirtschaftliche Radikalkur hat soziale Härten mit
sich gebracht. Das ist wahr. Aber die sind auch in
anderen Ländern feststellbar. Allerdings erscheint mir
die Wirtschaftsstruktur Estlands inzwischen gesünder als
in manchen anderen Kandidatenländern. Das schafft
bessere Möglichkeiten dafür, dass jetzt auch auf den
sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft verstärktes
Augenmerk gelegt werden kann.
Wenn ich schon bei den Problempunkten bin, dann
möchte ich gerne auf das zurückkommen, was der
Kommissar gesagt hat: Wir müssen auch ein Stück
Großzügigkeit jetzt in den letzten Verhandlungen an den
Tag legen. Ich möchte konkret werden und sagen, dass
etwa die estnische Milch sicherlich nicht die
Europäische Union überschwemmen wird. Wenn
überhaupt, wird sie schon in Finnland versickern.
Aber wir haben gesehen, dass die Esten ihre
Landwirtschaft zehn Jahre den Weltmarktbedingungen
ausgesetzt haben. Hätten wir das hier in der
Europäischen Union getan, würden wir uns sicherlich
um die Überlebenden einer solchen Radikalkur
besonders kümmern. Nichts anderes, denke ich, sollten
wir auch den Esten in diesem Zusammenhang gewähren.
Also bitte etwas Großzügigkeit, was diesen Bereich in
Estland betrifft!
Wir haben andere Probleme in Bereichen, wie
beispielsweise dem Ölschieferabbau. Da kommen zu
Umweltproblemen Strukturprobleme, und es besteht die
Besonderheit, dass dort die Minderheit besonders stark
vertreten ist. Auch da, glaube ich, müssen wir uns als
Europäische Union an Investitionen in gewissem Maß
beteiligen. Aber insgesamt möchte ich den estnischen
Freunden sagen: „Tere tulemast ja kõike head, kallit
söbrad eestist!“
Als stellvertretender Vorsitzender der Delegation für die
Beziehungen zu Litauen möchte ich kurz darauf
hinweisen, dass wir in der letzten Woche, als wir unsere
GPA-Tagung zu diesem Thema dort hatten, ausführlich
darüber diskutiert haben, dass wir eigentlich mit den
möglichen praktischen Auswirkungen der KaliningradVereinbarung nicht sehr glücklich sind. Wir befürchten,
dass insbesondere die litauischen Behörden, aber auch
die Reisenden selbst einiges an technischen und
praktischen Unzulänglichkeiten hinnehmen werden
müssen, und hoffen, dass da noch bessere Lösungen
gefunden werden können.
(Beifall)
2-093
Queiró (UEN), Ko-Berichterstatter. – (PT) Herr
Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar, meine
19/11/2002
Damen und Herren Abgeordneten! Vor zwölf Jahren
stellte das außerordentliche Ereignis, symbolisiert durch
den Fall der „Berliner Mauer“, die zwei Blöcke trennte,
aber auch ein Volk voneinander teilte, in gewisser
Hinsicht einen Pionierschritt im Prozess der
europäischen Erweiterung in Richtung Mittel- und
Osteuropa dar.
Im Gefolge dieser Wiedervereinigung beschloss der
Europäische Rat von Kopenhagen 1993 die assoziierten
Staaten Mittel- und Osteuropas, die einen Beitritt
wünschten, in die Europäische Union zu integrieren. Der
Europäische Rat von Kopenhagen stellte klar, dass der
Beitritt dieser Länder von der Erfüllung von
Verpflichtungen abhängen würden, die mit ihrer
Beteiligung an der Union zwangsläufig verbunden
waren. Wir alle kennen diese Verpflichtungen, die so
genannten Kopenhagener Kriterien, sodass sie jetzt im
vorliegenden Zusammenhang nicht im Einzelnen
genannt werden müssen. Neben der deutschen
Wiedervereinigung dürfen wir zwei andere politische
Ereignisse nicht außer Acht lassen, die, obgleich nicht so
symbolträchtig, für die nachfolgenden Schritte dieses
Prozesses der europäischen Wiedervereinigung von
besonderer Bedeutung waren.
Ich meine in erster Linie den Gipfel von Nizza, auf dem
sich
die
europäischen
Staatsund
Regierungsoberhäupter
verpflichteten,
die
Gemeinschaftsinstitutionen zu reformieren, um sie an
ein um mehr als zwölf Länder erweitertes Europa
anzupassen. Wir alle sind uns bewusst, dass ein
Scheitern in diesem Bereich dazu führen würde, dass der
Erweiterungsprozess für viele Jahre gefährdet wäre.
Welche Auffassung wir auch hinsichtlich der
gefundenen institutionellen Lösungen haben mögen, so
steht doch fest, dass die Kandidatenländer seit Nizza
zumindest ihre entsprechenden Positionen in der Union
kennen lernen und erfahren konnten, was sie in der
Zukunft zu erwarten haben.
Zum Zweiten meine ich den Gipfel von Göteborg, der
die schwedische Präsidentschaft beschloss. In ihren
Schlussfolgerungen haben Europas führende Köpfe
unumstößlich bekräftigt, dass der Erweiterungsprozess
unumkehrbar ist, und erstmals einen Termin – Ende
2002 – für den Abschluss der Verhandlungen mit den
Kandidatenländern festgelegt, die dann beitrittsfähig
sind, mit dem erklärten Ziel, dass diese Länder bereits
als Mitglieder an den Wahlen 2004 zum Europäischen
Parlament teilnehmen können.
Jetzt, da sich 2002 nun seinem Ende nähert und das
Europäische Parlament heute Vormittag zum ersten Mal
eine Plenarsitzung mit den Vertretern aller
Kandidatenländer abgehalten hat, ist es unsere Pflicht,
aber auch unser Wunsch, den außerordentlichen
Anstrengungen dieser Länder Beifall zu zollen, die sie
zur Anpassung ihrer politischen, ökonomischen, sozialen
und justiziellen Strukturen an das Modell der
Europäischen
Union
unternommen
haben,
Anstrengungen, die diesen Moment vor allem zu einem
19/11/2002
Sieg machen, der ihnen gehört und anerkannt werden
muss.
Wie ein ungarischer Kollege heute Vormittag sagte, ist
nur zu bedauern, dass die kommunistische Diktatur, die
diese Länder mehr als vierzig Jahre lang unterjocht hat,
es ihnen unmöglich gemacht hat, an diesem
wunderbaren Abenteuer der europäischen Integration
von Anfang an teilzuhaben. Doch bedeuten diese Worte
nicht, man wäre sich nicht darüber im Klaren, dass die
Union ein Unterfangen mit Risiko ist und dieses Risiko
mit der Erweiterung wächst, indem zwei Welten
zusammengeführt werden, die sich auf leider weit
auseinander klaffenden Entwicklungsstufen befinden,
was die Unterschiede zwischen den reicheren und den
weniger wohlhabenden Regionen verstärken und den
Anteil der Bevölkerung in den weniger begünstigten
Regionen erhöhen wird.
Es liegt also auf der Hand, dass Fragen gestellt und
Ängste offenbart werden, beispielsweise dass die
regionale Kohäsionspolitik nicht mehr so effektiv sein
wird oder zu Schwierigkeiten bei der Finanzierung der
Strukturpolitik im ökonomischen und sozialen Bereich
führen wird. Doch eben dieses Europa, so voller
Herausforderungen und Schwierigkeiten, dessen jüngste
Geschichte sich auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt
hat und in dem sich alle Verhältnisse in gut einem
halben Dutzend Jahren verändert haben, hat die Starken
von den Schwachen, die Sieger von den Zaghaften und
den in ihr Schicksal Ergebenen getrennt.
Herr Präsident, zu den Ländern, die sich durch
besondere Anstrengungen der Annäherung an die
Europäische Union auszeichneten, gehört Ungarn,
dessen Entwicklung und aktuelle Lage ich versucht habe
als Berichterstatter dieses Parlaments zu begleiten.
Erwartungsgemäß kam der letzte periodische Bericht der
Kommission über Ungarn zu dem Schluss, dass – unter
Berücksichtigung der bis zu seiner Veröffentlichung
erzielten Fortschritte – das Land in der Lage sein wird,
bis Ende des Jahres die Verhandlungen abzuschließen
und die aus dem Beitritt resultierenden Verpflichtungen
gemäß dem vorgesehenen Zeitplan zu übernehmen. Das
ist keine Überraschung. Was die Dynamik der
Verhandlungen betrifft, so gehörte Ungarn immer zu den
führenden Kandidatenländern, und seine Erfolge,
insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, wurden als
mit die besten in der Region gelobt. Nach wie vor ist die
Wirtschaft Ungarns eine der dynamischsten dieser
Region,
sie
verzeichnet
eine
der
höchsten
Wachstumsraten Europas, die niedrigste Inflationsrate
der letzten zehn Jahre, eine relativ niedrige
Arbeitslosenquote sowie ein kontinuierliches Wachstum
im Handelsaustausch mit der Europäischen Union.
In den Beschlüssen, die das Parlament in den letzten
zwei Jahren gefasst hat, wurden eine Reihe von
Empfehlungen formuliert, vor allem mit Blick auf die
Fortsetzung der Reformen im Bereich der Integration der
Minderheit der Roma, den Ausbau des sozialen Dialogs
und die Annahme des Mediengesetzes oder auch die
Einhaltung der Regelungen für die staatlichen
13
Handelseinrichtungen. Heute können wir feststellen,
dass in diesen und in vielen anderen Bereichen
Fortschritte erzielt wurden und dass die von den
ungarischen Behörden unternommenen Anstrengungen
nachhaltig waren. Abschließend möchte ich nur noch
sagen, dass sich Ungarn in einer guten Position befindet,
um 2004 der Europäischen Union beizutreten,
wenngleich es fortfahren muss, seine Vorbereitungen
entsprechend den im Verlaufe der Verhandlungen
eingegangenen Verpflichtungen weiterzuverfolgen. Wir
hoffen, Ungarn in der nächsten Legislaturperiode dieses
Parlaments mit derselben parlamentarischen Vertretung
bei uns zu haben, die die jetzigen Mitgliedstaaten mit
einer entsprechenden Bevölkerung genießen.
(Beifall)
2-094
Schroedter (Verts/ALE), Ko-Berichterstatterin. – Herr
Präsident, Herr Kommissar, Herr Ratspräsident, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Reden von heute
Vormittag über die historischen Taten der Bürgerinnen
und Bürger in den mittel- und osteuropäischen Ländern
haben mich sehr beeindruckt. Die Sehnsucht nach
Freiheit und Demokratie hat damals Stacheldrähte
zerreißen lassen, hat Mauern niedergerissen, hat
Eigenständigkeit wiederhergestellt und zwar in der
Überzeugung, dass das der richtige Weg zu Integration
und Einheit auf diesem Kontinent ist.
Der starke Wille zur Integration damals hat nicht darüber
nachdenken lassen, wen und wie viel das kostet und
wessen Privilegien etwa dabei flöten gehen. Es war der
gemeinsame Wille, der alle Menschen geeint hat, weil
sie wollten, dass wieder Freiheit für sie geschaffen wird.
Bedenkenträger, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätten
damals so etwas nicht zustande gebracht. Es ist
eigentlich schade, dass heute unser Handeln nicht von
diesen politischen Visionen - gepaart mit politischem
Willen - bestimmt ist.
Ich möchte nicht den Eindruck vermitteln, dass ich die
Probleme, die konkret auf dem Tisch liegen, einfach
wegwische und dass ich meine, es gäbe sie nicht. Aber
wir müssen bei der Frage, wie wir die Probleme lösen,
Prioritäten setzen, und dabei müssen wir darauf achten,
dass die Prioritäten genau dort liegen, wo es um die
Integration Europas geht, und nicht Nebenschauplätze
von populistischen Harlekins bedienen. Ich bin davon
überzeugt, dass das Einhalten von Grundregeln der
Demokratie, der Achtung von Minderheiten und
Menschenrechten einen zentralen Indikator der
Integration darstellt und zwar für alle.
Ich halte es für wichtig, dass die Beitrittsländer im
Integrationsprozess an dieser Stelle nicht nachlassen.
Das bedeutet auch, dass sie ihre Verwaltungen stärken
bis hin auf die lokale Ebene, dass Korruption bekämpft
wird, dass die Justizministerien und das Justizwesen auf
allen Ebenen gestärkt werden, dass es einen freien
Zugang für alle Menschen zu den Gerichten gibt, und
dass sie sich gerecht behandelt fühlen, denn da spüren
14
19/11/2002
sie die Veränderung, die die Europäische Union in die
Länder hineingetragen hat.
seiner Souveränität anders behandelt als alle anderen
Länder der Europäischen Union.
Das bedeutet für Lettland, dass es sich bemühen muss,
auch nach dem Beitritt die russische Minderheit zu
integrieren und auch in den finanziellen Anstrengungen
nicht nachzulassen, obwohl es für die neue Regierung
hart wird, solche Entscheidungen finanzieller Art weiter
zu fällen.
Malta, für das ich der Schattenberichterstatter der
Fraktion der Sozialistischen Partei Europas bin, hat
nichts zu befürchten. Im Übrigen wissen die
Mittelmeervölker und insbesondere wir, die wir von
Inseln stammen, dass der menschliche Geist angesichts
des tiefen Blaus von Himmel und Meer schafft und
wächst und dass sich, so sicher wie auf den Tag die
Nacht folgt, der schöpferische Geist durchsetzt.
Es ist aber auch Aufgabe der Europäischen Union, selbst
integrationsfähig zu sein, entscheidungsfähig zu sein,
transparent und demokratisch gestaltet zu sein, und da
muss ich sagen, die Hausaufgaben müssen auf westlicher
Seite besser gemacht werden. Der Vorwurf der
Unfähigkeit, der im Zusammenhang mit den
Agrarausgaben und auch den Strukturausgaben geäußert
wurde, ist meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt.
Ich halte es für wichtig, dass die ländliche und die
regionale Entwicklung ein Schwerpunkt sind. Wenn wir
da nicht aufpassen, hängen die Beitrittsländer jahrelang,
jahrzehntelang am Tropf. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt, und ich muss sagen, da wurde in Brüssel einfach
die falsche Entscheidung gefällt. Wir sollten - und ich
hielte es für gut, dem Vorschlag von Verheugen zu
folgen - mehr Flexibilität hineinbringen, d. h. dort, wo
Absorptionsfähigkeit vorhanden ist, sollte auch gezahlt
werden,
um
sicherzustellen,
dass
die
Strukturentwicklung in den Ländern schnell vorangeht.
Genauso sehe ich das in Bezug auf die Schrottreaktoren.
Die Schrottreaktoren sind nach der Erweiterung ein
gemeinsames Problem, und deshalb halte ich auch hier
Flexibilität für notwendig. Gegebenenfalls müssen die
Mittel substanziell erhöht werden, wenn Litauen es z. B.
in Bezug auf Ignalina nicht selber schafft. Das
Kernkraftwerk ist eine explosive Gefahr für alle. In
diesem Sinne wünsche ich mir, dass die letzten
Aktivitäten wirklich zu einer Integration dieser Länder
führen und nicht zu ...
(Der Präsident entzieht der Rednerin das Wort.)
2-095
VORSITZ: GUIDO PODESTÀ
Vizepräsident
2-096
Souladakis (PSE), Berichterstatter. – (EL) Herr
Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir
erleben eine der bedeutendsten Phasen der modernen
europäischen Geschichte. Alle gemeinsam, Völker,
Regierungen, Parlamente und auch wir hier im
Europäischen Parlament schlagen nicht nur eine neue
Seite auf, sondern beschreiben sie auch, mit Visionen
und Realismus, mit Hoffnung und Stabilität. Während
dieser Entwicklung sollen sich alle Länder und alle
Völker sicher und gleichberechtigt fühlen.
In diesem Sinne darf sich Litauen, für das ich der
Berichterstatter bin, bei der endgültigen Regelung zu
Kaliningrad nicht so fühlen, als würde es hinsichtlich
Bei Zypern, dem institutionell und wirtschaftlich am
weitesten vorangeschrittenen Kandidatenland, erweist
sich die politische Entschlossenheit der Europäischen
Union, die keinerlei Meinungen tolerieren darf, die es
Dritten gestatten könnten, sich in die Aktivitäten der
Union einzumischen. Gleichermaßen wird hierbei die
Entschlossenheit der Union beurteilt, eine Lösung zu
unterstützen, die den gemeinschaftlichen Besitzstand
sowie die Notwendigkeit einer staatlichen und
funktionellen Existenz der Republik Zypern respektiert.
Angesichts dieser Gegebenheiten ist die Aufnahme
Zyperns
in
die
Europäische
Union
eine
Selbstverständlichkeit,
unabhängig
vom
Entwicklungsstand bei der Lösung des politischen
Problems.
Rumänien und Bulgarien werden hoffentlich bald
Mitglieder der Europäischen Union sein. Meiner
Meinung nach behandeln wir insbesondere Rumänien
ein wenig strenger als andere Länder, wobei ich darauf
hinweisen möchte, dass die Zahl seiner Abgeordneten
kleiner ist, als es seiner Bevölkerung entspricht.
Als Grieche erwarte ich, dass die Türkei schnell ein
gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union sein
wird. Dies gilt jedoch für eine Türkei, die ebenso
demokratisch wie alle europäischen Länder ist. Kemal
Atatürk, der einen modernen Staat für die Türken
geplant hat, wäre bestätigt, wenn alle institutionellen
Veränderungen vollendet und umgesetzt würden und
wenn auch in der Türkei die militärische Führung sich
den Entscheidungen der demokratischen politischen
Führung unterordnen und sie durchführen würde. Ich bin
sicher, die neue politische Führung der Türkei hat
begriffen, dass Europa mit demokratischen Prozessen
und nicht durch orientalisches Feilschen aufgebaut wird.
Wir sind letztlich keine Buchhalter. Wir sind Politiker
und müssen den Weg für das neue Europa mit
visionärem Realismus ebnen. Denn genau daran werden
wir gemessen, und dort wird man uns Recht geben. Als
Grieche erwarte ich, wie auch Sie, Herr Kommissar,
voller Hoffnung die Unterschrift für das neue Europa des
21. Jahrhunderts in Athen unterhalb der Akropolis des
Perikles und der Pnyx der Volksversammlungen, aber
auch der Tribüne, von der aus der Apostel Paulus zu den
Athenern sprach.
2-097
Stenzel (PPE-DE), Ko-Berichterstatterin. – Herr
Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar!
19/11/2002
Gestatten Sie, verehrte Abgeordnete, dass ich diese Rede
zum Anlass nehme, sowohl in meiner Funktion als
Berichterstatterin für Malta als auch als Ko-Vorsitzende
des Gemischten Ausschusses zur Tschechischen
Republik Stellung zu nehmen.
Ich bin stolz auf diesen Tag, weil das Europäische
Parlament heute ein Zeichen der Öffnung gesetzt hat und
den Beitrittskandidaten signalisiert, sie sind uns
willkommen! Der europäische Parlamentarismus hat
damit ein kräftiges Lebenszeichen gesetzt. Der Eindruck,
den ich von dieser heutigen Aussprache mit den
Beitrittskandidaten hatte, ist ein Eindruck der
Selbstverständlichkeit. Es ist normal, dass Europa
zusammenfindet, erstmals friedlich, freiwillig und
demokratisch. Gerade für ein Land wie Österreich, das
im Herzen Europas liegt, bedeutet dies nach den Zeiten
der Spaltung Europas als Folge des Zweiten Weltkriegs
eine Wende hin zu einem besseren, wirtschaftlich und
sozial stabileren Europa mit einem sicherheitspolitischen
Mehrwert. Wir knüpfen hier an eine mitteleuropäische
Tradition an, die uns gerade jetzt, anlässlich des 90.
Geburtstages von Otto von Habsburg, dem überzeugten
europäischen Abgeordneten und Kaisersohn, wieder
besonders bewusst wird.
Die historische Perspektive darf uns natürlich nicht den
Blick auf die Probleme von heute verstellen. Es gibt
noch viel zu tun bis zum Beitritt - Bekämpfung der
Korruption, ebenso wie Stärkung der Administrationen
und einer unabhängigen, funktionsfähigen Justiz. Die
Sicherheit muss sich natürlich auch auf den nuklearen
Bereich beziehen. Deshalb begrüße ich ausdrücklich,
dass in dem Bericht zu Tschechien die vollständige
Einhaltung der unter Vermittlung der EU-Kommission
eingegangenen bilateralen Verpflichtungen hinsichtlich
Temelins erwartet wird, dass weitere Kraftwerke wie
Ignalina oder Koslodui, oder auch Teile von Bohunice
geschlossen
werden
müssen.
Es
sind
Übergangsregelungen zu begrüßen, die in einer flexiblen
Art und Weise den Schutz des Arbeitsmarktes sowie
sensibler Wirtschaftsbereiche ermöglichen. Auch das
schrittweise Einschleifen von Direktzahlungen an die
Landwirte in den Beitrittsländern - vor allem Polens macht Sinn. Derartige Regelungen sind keine
Benachteiligung. Übergangsregelungen haben immer
Integrationsprozesse begleitet, ebenso die zeitlich
begrenzten Schutzklauseln, auf die Sie, Herr Verheugen,
hingewiesen haben.
Wenn es nicht zu einer Erweiterung käme, würden der
österreichischen Wirtschaft pro Jahr 270 Millionen Euro
entzogen
werden.
Allein
ein
Wegfall
der
Handelshemmnisse bedeutet 450 Millionen Euro pro
Jahr. Da steht es schon dafür, dass jeder einzelne
Österreicher 28 Euro pro Jahr in die Erweiterung
investiert. Die Erweiterung der EU ist unsere Zukunft.
Probleme aus der Vergangenheit gilt es zu überwinden.
In diesem Sinne sollte auch der von Jürgen Schröder dem Berichterstatter für Tschechien - eingebrachte
Eintrag zum Thema Beneš-Dekrete verstanden werden.
Er hat ein Plädoyer für die Unterstützung dieses Artikels
gegeben, das ich voll inhaltlich unterstützen möchte.
15
Eine breite Unterstützung dieses Antrags wäre ein
positives Signal durch das Europäische Parlament.
Lassen Sie mich nun noch auf meinen eigentlichen
Bericht zu Malta eingehen. Es ist gut, dass die
Erweiterung auch eine mediterrane Komponente hat.
Malta ist ein kleiner Inselstaat, der in der Europäischen
Union zweifellos seine Zukunft finden wird. Im
wesentlichen sind die Probleme der Integration - seien es
die der Landwirtschaft oder der Subventionen der
Werften - zu bewältigen. Auch hat Malta ein zutiefst
europäisches Erbe. Für Österreich ist Malta insofern von
besonderem Interesse, weil wir Tausende Urlauber pro
Jahr hinschicken und weil wir uns an dem privatisierten
Flughafen beteiligen. Politisch hoffen wir, dass das
Ergebnis eines Referendums über den EU-Beitritt Maltas
als demokratische Entscheidung der Bevölkerung
akzeptiert wird, denn eine dritte Chance dürfte es nicht
geben!
(Beifall)
2-098
Gawronski (PPE-DE), Ko-Berichterstatter. – (IT) Herr
Präsident, viele haben heute – völlig zu Recht – von
einem historischen Ereignis gesprochen, und ich möchte
nicht der Versuchung unterliegen, das ebenfalls zu tun.
Als Unionsbürger mit einem polnischen Vater und als
Berichterstatter zu Polen möchte ich jedoch allen
Kolleginnen und Kollegen des polnischen Parlaments,
die auf der Tribüne Platz genommen haben, denjenigen,
die zu uns in die Fraktion kommen werden, wie auch
allen anderen, einen besonderen Willkommensgruß
entbieten.
(Beifall)
Die Abstimmung im Ausschuss für auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit und Verteidigungspolitik zum Bericht über
Polen ist genau nach meinen Wünschen ausgefallen,
d. h. sämtliche von mir befürworteten Änderungsanträge
wurden angenommen und alle von mir abgelehnten
wurden zurückgewiesen. Es ist ein ausgewogener
Bericht, der die erheblichen Fortschritte, die erzielt
worden sind, anerkennt und einige Vorbehalte in Bezug
auf die parteiische Auswahl der Mitglieder des
Beamtenapparats, die von einer leicht übertriebenen
Auffassung vom spoil system zeugt, und die Kontrolle
der Regierung über Presse und Fernsehen äußert. In
diesem Bereich wurden einige Verbesserungen erzielt,
doch ist nun erneut eine Stagnation, wenn nicht gar ein
Rückschritt eingetreten, weshalb ich hierzu einen
mündlichen Änderungsantrag gestellt habe, der
hoffentlich morgen angenommen wird.
Während meiner ganzen Arbeit an dem Bericht über
Polen hatte ich stets einen Satz von Papst Johannes
Paul II im Hinterkopf – ich nenne hier gern seinen
Namen, der heute Morgen nicht erwähnt worden ist,
obgleich
der
Papst
ein
Vorkämpfer
der
Wiedervereinigung Europas war –, den er in einem mir
gewährten Interview geäußert hatte. Als ich Seine
16
Heiligkeit fragte, wer von der von ihm so sehr erhofften
Annäherung zwischen beiden Teilen Europas am
meisten profitieren werde, antwortete er mir, das Europa
der vormals kommunistischen Länder könne dem
anderen Europa mehr geben, weil diese Länder durch die
Erfahrungen unter dem kommunistischen System gereift
seien.
Die Aussprache von heute Vormittag gibt mir die, auch
von Präsident Cox und Kommissar Verheugen
geäußerte, Hoffnung, dass diese Vorhersage eintreffen
möge.
Ich würde mich freuen, wenn die polnischen
Abgeordneten des Europäischen Parlaments – ich muss
sagen, dass wir heute Vormittag einige polnische Redner
gehört haben, die nicht repräsentativ waren –
überzeugter wären und ich würde mich freuen, und wenn
sie jene Kraft, jenen Elan mit uns teilen würden, der es
den Polen ermöglicht hat, Mauern niederzureißen,
Solidarnosc zu gründen und den Weg für den Sturz des
Kommunismus zu ebnen, was ein entscheidendes
Element für die Gestaltung unserer gemeinsamen
Zukunft war.
(Beifall)
2-099
Der Präsident. – Ich muss unsere Gäste darauf
hinweisen, dass es nach der Geschäftsordnung dieses
Parlaments nicht gestattet ist, von der Tribüne aus
Zustimmung oder Ablehnung zu äußern.
2-100
Wiersma (PSE), Ko-Berichterstatter. – (NL) Herr
Präsident! Ich werde mich heute ganz auf die Slowakei
konzentrieren, das Land, für das ich Berichterstatter im
Namen des Parlaments bin. Die Slowakei hat das Finale
der EU-Beitrittsverhandlungen erreicht, wozu dieses
Land, das vor vier Jahren noch politisch isoliert war, zu
beglückwünschen ist. In zwei aufeinander folgenden
Wahlen hat die Bevölkerung der Slowakei keinen
Zweifel an ihrer demokratischen und pro-europäischen
Gesinnung bestehen lassen. Die Unterstützung für die
EU ist Meinungsumfragen zufolge nach wie vor
unvermindert hoch.
Heute ist nicht der Zeitpunkt für eine endgültige
Bewertung, diese wird das Europäische Parlament
Anfang
kommenden
Jahres
vornehmen.
Selbstverständlich sind noch die Ergebnisse des Gipfels
von Kopenhagen abzuwarten, ich bin jedoch davon
überzeugt, dass die Slowakei in der Lage sein wird, die
Verhandlungen erfolgreich abzuschließen. Die heutige
Entschließung stellt daher eine Art beschränkter
Momentaufnahme dar, der vollständige Bericht wird von
uns nächstes Jahr erstellt. Wie bei anderen
Beitrittskandidaten bedarf es bis zum Zeitpunkt des
Beitritts im Jahr 2004 noch großer Anstrengungen.
Ich möchte der Slowakei dabei zwei Prioritäten mit auf
den Weg geben.
19/11/2002
Die Verstärkung der Verwaltungskapazitäten ist meines
Erachtens die Wichtigste. EU-Rechtsnormen müssen
adäquat umgesetzt und EU-Gelder korrekt verwendet
werden können. Das entspricht auch dem Streben nach
einer transparenteren Regierung, die Korruption mit
harter Hand bekämpft. Die neue Regierung der Slowakei
hat diesbezügliche Initiativen angekündigt, und wir
erwarten mit Interesse und einer gewissen Spannung den
Bericht.
In
demselben
Zusammenhang
einer
transparenten Gesellschaft und einer transparenten
Regierung ist es von Bedeutung, dass die Reform des
Gerichtswesens und der Justizorganisation fortgeführt
wird.
Des Weiteren sind wir noch immer sehr besorgt über die
Situation der Roma, übrigens nicht nur hinsichtlich der
Slowakei. Immer wenn ich unmittelbar mit den
Lebensbedingungen der Roma konfrontiert werde, stelle
ich fest, dass alle Vorhaben, die in den vergangenen
Jahren formuliert wurden, in der Praxis vor Ort noch zu
wenig umgesetzt wurden. Ich weiß, dass die Probleme
nicht in ein paar Jahren zu lösen sind. Die Ausführung
von Politik kostet Zeit und Geld. Deshalb fordere ich
von
der
slowakischen
Regierung
eine
Art
Mehrjahresverpflichtung für die Lösung der nach dem
Beitritt fortbestehenden Probleme. In dem Bericht über
Tschechien findet sich derselbe Passus. Im Übrigen wird
die Situation der Roma in der erweiterten Union nach
meinem Dafürhalten eine derartige Sonderstellung
einnehmen, dass sich der Konvent zwangsläufig damit
zu befassen haben wird.
Wir stellen hohe Forderungen. Wir tun dies in der
Erwartung, dass die Slowaken deren Angemessenheit
einsehen werden, so wie sie von uns Fairness bei der
endgültigen Bewertung erwarten dürfen. Wir können
von neuen Mitgliedstaaten nicht mehr erwarten als von
den jetzigen. Aus diesem Grunde distanziere ich mich
von der häufig unfairen Kritik an der Slowakei, auch in
meinem eigenen Land. Die Slowakei hat einen
Schlussstrich unter seine Meciar-Vergangenheit
gezogen. Es zählen die Leistungen von heute, und auf
ihnen muss unser Urteil beruhen.
2-101
Volcic (PSE), Ko-Berichterstatter. – (IT) Herr Präsident,
neue Kulturen, auch die Kultur Sloweniens – des
Landes, über das ich Bericht erstatte – werden sich selbst
wie auch der gesamten europäischen Familie einen
Zugewinn und gleichzeitig eine neue Sicherheit bringen.
Dies ist dann der Moment der halbvollen Gläser, des
Optimismus, der Vorteile. Selbstverständlich wird auch
der Moment der Schwierigkeiten, der halbleeren Gläser
kommen, wenn nämlich die Regierungen die Akzeptanz
ihrer Bevölkerung zu gewinnen versuchen müssen.
Die europäischen Sozialisten haben stets für das
erweiterte Europa gekämpft. In diesem Prozess haben
die Mittelmeeranrainerstaaten, darunter Italien, die das
Bindeglied zu Mitteleuropa sind, eine wichtige Rolle
gespielt.
19/11/2002
Wir befürworten es, denjenigen, die Mitglied der
europäischen Familie werden wollen, die Türen zu
öffnen. Selbstverständlich gibt es kein automatisches
Recht auf die Mitgliedschaft im „Club“: die
Zugehörigkeit erwirbt man durch viel harte Arbeit, was
den Verhandlungsführern der Beitrittsländer bekannt ist.
Vermutlich waren sie bisweilen über die Härte der
Verhandlungen sogar bestürzt.
Slowenien ist das reichste unter den Beitrittsländern, mit
einer europäischen Tradition auch im institutionellen
Bereich. In der Vorbereitungsphase bestand das
Hauptproblem in der Beschleunigung der Rechts- und
Verwaltungsverfahren und der Lösung der noch offenen
Probleme, die das vorherige Regime hinterlassen hatte.
Es handelte sich also um eine ähnliche, jedoch weniger
komplizierte Situation als in einigen anderen
Beitrittsstaaten.
Als vor einigen Jahren noch viel Kritik geäußert wurde,
war es immer ziemlich schwierig, große Versäumnisse
oder Mängel in Slowenien festzustellen, die nicht ihre
Erklärung
im
alltäglichen
Leben
oder
im
Durchgangsverkehr gefunden hätten. Für alle
Kandidatenländer, auch für Slowenien, wird es jedoch
nicht leicht sein, zum Zeitpunkt des Beitritts zur Union
die übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen.
In den Fortschrittsberichten der internationalen
Organisationen über Slowenien wird jedenfalls von einer
funktionierenden Marktwirtschaft und der Einhaltung
der Kriterien von Kopenhagen, die das zu erreichende
Niveau festlegen, gesprochen.
In meinem Bericht wurde eine Ziffer aufgenommen, die
sich auf die Bekämpfung von Betrug, Korruption und
Drogenhandel bezieht. Diese Phänomene existieren
zwar, jedoch im Vergleich zu anderen Ländern in
wesentlich geringerem Ausmaß. Deshalb gerät der Text
vielleicht durch ihre Erwähnung in eine Schieflage: Die
beste Lösung wäre, diese Ziffer einfach zu streichen.
Übrigens steht Slowenien unter den 102 Ländern, in
denen das Auftreten von Korruptionserscheinungen
bewertet wurde, nur an 27. Stelle und hat zudem 2002
eine Konferenz zum Thema Korruption durchgeführt.
Man kann also nicht behaupten, dass in diesem Bereich
nichts unternommen würde.
Abschließend noch ein technischer Hinweis: Der Begriff
„denazionalizzazione“, den ich in der Originalfassung
verwendet habe, wurde in einigen Sprachfassungen mit
dem Wort „Privatisierung“ übersetzt, das eine andere
Bedeutung hat.
2-102
Van Orden (PPE-DE), Ko-Berichterstatter. – (EN)
Herr Präsident, die Erweiterung ist ein Prozess, den wir
alle generell begrüßen. Angesichts der Tatsache, dass die
Union große Anforderungen an die Kandidatenländer
stellt, ist es bedauerlich, dass sie ihr eigenes Haus noch
nicht in Ordnung gebracht hat. Dabei denke ich vor
allem an die dringend erforderliche Reformierung der
Gemeinsamen Agrarpolitik und das Finanzgebaren der
17
Kommission. Sie ist offenbar nach wie vor nicht in der
Lage, die riesigen öffentlichen Mittel, die ihr von
unseren Steuerzahlern zur Verfügung gestellt werden,
ordnungsgemäß abzurechnen.
Ferner hoffe ich, dass die Kandidatenländer, nachdem
sie das Stadium der unkritischen Begeisterung für die
Europäische Union hinter sich gelassen haben, eine
skeptischere Haltung gegenüber vielen Aspekten des
Projekts Europäische Union entwickeln werden. Da die
meisten von ihnen das grässliche kommunistische
Experiment zurückgewiesen haben, das ihre Länder
50 Jahre lang verzerrt und korrumpiert hat, hoffe ich
schon, dass sie die unangemessene Einmischung in ihre
nationale Souveränität und die linksorientierte politische
Korrektheit, die nur allzu oft von den Institutionen der
Europäischen Union ausgeht, ablehnen werden.
Als Berichterstatter für Bulgarien möchte ich die
Delegation des bulgarischen Parlaments besonders
herzlich willkommen heißen. Ich weiß um die enormen
Fortschritte, die Bulgarien auf dem Gebiet der
wirtschaftlichen, politischen und sozialen Reformen in
den letzten Jahren erzielt hat. Die Bestrebungen, der
Europäischen Union im Jahre 2007 beizutreten, sind
realistisch, und darum sollten wir auch nicht
herumreden. Wir müssen Bulgarien jede erdenkliche
Unterstützung erweisen, damit das Land dieses Ziel
erreichen kann.
Bulgarien ist in den letzten Jahren sehr gut
vorangekommen. Das Land verfügt über eine gut
funktionierende Marktwirtschaft, und die Privatisierung
macht Fortschritte. Die Vorschläge für die Reformierung
der öffentlichen Verwaltung und zur Bekämpfung der
Korruption
stellen
ebenfalls
eine
wichtige
Voraussetzung für den politischen und ökonomischen
Wandel dar. In vielen Bereichen besteht jedoch noch
erheblicher Handlungsbedarf. Die Schattenwirtschaft
spielt nach wie vor eine beträchtliche Rolle, und die
Arbeitslosigkeit ist hoch. Das sind Erscheinungen, mit
denen einige der jetzigen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union durchaus vertraut sein dürften.
Vorerst hat der makroökonomische Fortschritt noch
nicht zu spürbaren Verbesserungen für die Bevölkerung
geführt. Die Armut ist in einigen Bereichen nach wie vor
groß. Das trifft nicht nur auf die Bevölkerungsgruppe
der Roma zu, wo energischer als bisher vorgegangen
werden muss, sondern auf die Bulgaren generell. Das
hilfsbedürftigste Element jeder Bevölkerungsgruppe sind
die Kinder, und ich habe mit Nachdruck darauf
verwiesen, dass mehr Ressourcen, einschließlich von
Gemeinschaftsmitteln, für die Verbesserung der Lage
der Kinder und der Kinderbetreuung eingesetzt werden
müssen.
Ich muss auch auf das Kernkraftwerk Kosloduj und die
Termine für die Stilllegung der Blöcke 3 und 4 eingehen.
Die Meinungen gehen in dieser Angelegenheit sehr stark
auseinander,
und
leider
hat
sich
diese
Meinungsverschiedenheit zu einem symbolischen Streit
entwickelt, bei dem keine der beiden Seiten nachgeben
18
will. Die Sicherheit muss bei Kernkraftwerken stets an
erster Stelle stehen. Sicherheitstechnisch scheint jedoch
nichts gegen eine Stilllegung im Jahre 2008 anstelle von
2006 zu sprechen, sofern dies für die wirtschaftliche
Lage von Bulgarien von erheblichem Vorteil wäre.
Eine Entscheidung sollte im Rahmen der unter der
Schirmherrschaft des Rates durchgeführten Peer Review
getroffen werden, wobei die Ergebnisse einer
Untersuchung durch die IAEA im Juni sowie einer
objektiven Analyse der wirtschaftlichen Folgen einer
solchen Stilllegung zu berücksichtigen sind.
2-103
Nicholson
of
Winterbourne
(ELDR),
KoBerichterstatter. – (EN) Herr Präsident, ich möchte der
Konferenz der Präsidenten für die Anberaumung und
Durchführung dieser einzigartigen Sitzung danken. Ich
möchte ferner Herrn Haarder, unserem ehemaligen
Kollegen, und seinem Team danken, durch die der
dänische Ratsvorsitz eine historische Dimension erhält.
Besondere Anerkennung zolle ich dem Kommissar
selbst sowie seinem Team. Unter der entschlossenen
Führung des Kommissars wurden sämtliche Hindernisse,
die die Erweiterung verzögern könnten, überwunden.
Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er riesige und schier
unlösbare Probleme erfolgreich in Angriff genommen
und gelöst, so dass wir der Erweiterung heute froh und
zuversichtlich entgegensehen können.
In diesem Zusammenhang möchte ich die rumänische
Parlamentsabordnung besonders herzlich begrüßen.
Analog zu den anderen Kandidatenländern dieser aus
zwei Wellen bestehenden Osterweiterung hat auch
Rumänien immense Fortschritte erzielt, die seit dem
Gipfel in Helsinki im Dezember 1999, als zudem die
neue Regierung ihr Amt antrat, besonders spürbar sind.
Wenn sich Rumänien an den neuen und ausgezeichneten
Fahrplan der Kommission hält und sich die
Unterstützung durch die Kommission, den Ministerrat
und das Parlament sichert, dann sollte es dem Land
definitiv gelingen, sein Ziel, der EU am 1. Januar 2007
beizutreten, zu erreichen, und zwar aus eigener Kraft
und nicht, weil es Anspruch darauf hat. Deshalb bestehe
ich auf der Beibehaltung dieses Termins im Bericht des
Parlaments. Ich bin davon überzeugt, dass Rumänien
Ende der Woche Mitglied der NATO werden wird.
Wenn Rumänien seine Anstrengungen intensiv,
kontinuierlich und engagiert fortsetzt und wir das Land
entsprechend unterstützen, dann könnte es zum
1. Januar 2007 hier vertreten sein. Ich empfehle die
Fortschritte Rumäniens dem Haus.
2-104
Oostlander (PPE-DE), Ko-Berichterstatter. – (NL) Herr
Präsident! Die Türkei genießt als Beitrittskandidat einen
Sonderstatus. Wir unterhalten bereits seit sehr langer
Zeit Beziehungen mit der Türkei, nicht nur in der EU als
Bewerberland oder potenzielles Beitrittsland, sondern
auch vor allem als Mitglied der NATO. Hier hat die
Türkei eine herausragende Position inne, die wir immer
geschätzt haben und noch stets schätzen. Die EU ist
jedoch etwas anderes, sie ist weitaus profunder. Bei der
EU-Mitgliedschaft geht es um Teilnehmerstaaten mit
19/11/2002
gleichen Merkmalen, denn als Mitglieder der
Europäischen Union entscheiden wir gegenseitig über
unsere Zukunft. Daher kommt den politischen Kriterien
ein solch außergewöhnlich hoher Stellenwert zu. Früher,
als wir noch eine Wirtschaftsgemeinschaft waren, haben
wir dies gar nicht so bedacht. Für uns war es im Grunde
völlig normal, Rechtsstaaten mit einer funktionierenden
parlamentarischen Demokratie zu sein; das war eine
Selbstverständlichkeit. Heute verhält es sich anders.
Bei dem Erweiterungsprozess haben wir erkannt, wie
bedeutend der Charakter der Europäischen Union als
Bündnis demokratischer Rechtsstaaten ist. Deshalb halte
ich es für ungemein wichtig, dass wir der Türkei
gegenüber auf unserem in Helsinki angenommenen
Standpunkt beharren: Erst wenn ihr die politischen
Kriterien von Kopenhagen erfüllt, können wir mit
Verhandlungen über eure Mitgliedschaft beginnen. Dies
ist meiner Ansicht nach eine deutliche und klare
Position, an der wir unbedingt festhalten müssen. Von
diesem prinzipiellen Standpunkt aus betrachtet ist die
Nennung eines Datums vor der Aufnahme von
Verhandlungen sehr inkonsequent. Sollte der Rat
dennoch, direkt oder indirekt, einen diesbezüglichen
Beschluss fassen, würde er damit zu verstehen geben,
dass die politischen Kriterien für ihn eigentlich nicht so
wesentlich sind. Ich habe sogar Hypothesen des Inhalts
gehört, der Rat wolle ein Datum festsetzen, an dem
bestimmt wird, wann die Verhandlungen aufgenommen
werden. Sie werden uns, Herr Haarder, sehr geehrter
Herr amtierender Ratspräsident, so etwas doch sicherlich
nicht zumuten wollen. Ich nehme an, dass Sie Europa
vor einem solchen indirekten Konstrukt bewahren und
dass die politischen Kriterien weiterhin oberste Priorität
haben werden. Wenn der Charakter der EU irrelevant
sein sollte, könnte sich der Rat fragen, warum dann
überhaupt weiter verhandelt werden soll. Ich rechne
jedoch damit, dass dies beim nächsten Rat nicht der Fall
sein wird. Ich verwerfe derartige Gedankengänge. Sie
schaden den Interessen der Europäischen Union und
denen der türkischen Bürger und – was sehr wichtig ist –
sie untergraben auch die Unterstützung für den Beitritt
der Türkei, die derzeit bei der Bevölkerung der Union
besteht. Wir haben in den Niederlanden vor kurzem
erlebt, dass sogar bezüglich eines herausragenden
Landes wie Polen, mit dem wir bereits seit langem
Beziehungen unterhalten und bei dem wir eine hohe
Übereinstimmung der politischen Kultur haben
feststellen können, mit einem Referendum über seinen
Beitritt gedroht wurde. Wenn der Beitritt eines
Kandidatenlandes keine Unterstützung in der
Bevölkerung findet, Gott weiß, was dann passieren
könnte, und daher muss auch im Falle der Türkei der
Prozess sorgfältig überwacht werden.
Bei keinem der Beitrittskandidaten hat sich die Frage der
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als so problematisch
erwiesen. Verglichen damit ist die Übernahme des
übrigen Besitzstandes offensichtlich kein sehr großes
Problem, zumindest was die Türkei betrifft. Kommissar
Verheugen hat vorhin gesagt, vor allem Helsinki habe
damit, dass der Türkei der Status eines
Beitrittskandidaten
verliehen
wurde,
den
19/11/2002
Veränderungsprozess in der Türkei erst richtig in Gang
gesetzt.
Selbstverständlich
haben
wir
diese
Veränderungen zur Kenntnis genommen und anerkennen
ihre Bedeutung für die Verhältnisse in der Türkei, aber
für uns waren sie noch nicht ausreichend. Meine
brennendste Frage lautet allerdings: Warum unternimmt
die Türkei solche Schritte; dahinter muss doch eine
Überzeugung stehen? War dieses Versprechen seitens
der Union erforderlich, damit die Türkei den Weg hin zu
einem Rechtsstaat einschlägt? Das wäre nicht richtig.
Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die
türkische Regierung, auch die neue Regierung, aus
Überzeugung den Weg zu Rechtsstaatlichkeit und
Demokratie beschreitet. Dies darf nicht Gegenstand
eines Feilschens auf Seiten der Europäischen Union sein,
sondern muss spontan geschehen.
Ich erinnere mich an Gespräche mit den rumänischen
Ministern, die erklärten, sie hätten ihr Problem mit der
Ukraine betreffend die kleine Insel im Schwarzen Meer
selbst gelöst. Ich sagte, wir hätten darauf gedrängt, sie
aber behaupteten, sie hätten das Problem aus eigenem
Antrieb gelöst, da Rumänien großen Wert darauf lege,
dass die Erfüllung dieser Kriterien spontan geschieht.
Die Rumänen haben sich damit meiner Meinung nach
großartig verhalten, und ich hoffe, auch die Türkei wird
sich aus Überzeugung diesbezüglich für eine solche
Lösung entscheiden. Andernfalls wird nie ein
Vertrauensverhältnis aufgebaut werden.
Ich bin dem Wunsch, der Türkei ein positives Signal zu
senden, zugänglich und unterstütze deshalb die von den
Sozialisten vorgeschlagene Ziffer bezüglich einer
verstärkten Zusammenarbeit in mehreren Sektoren. Das
ist von praktischem Nutzen. Es kann natürlich eine
Weile dauern, bis die nächste Phase, nämlich die der
Verhandlungen und der Mitgliedschaft, erreicht ist. Aus
diesem Grund unterstütze ich gleichfalls den
Änderungsantrag von Herrn Ferber, in dem gesagt wird,
dann sei eine Regelung zu treffen und wir müssten
miteinander vereinbaren, ob wir diesbezüglich eine
Zwischenlösung finden sollten. Über die in diesem
Änderungsantrag vorgeschlagenen Streichungen bin ich
nicht glücklich, da dem gesamten Beitrittsprozess
dadurch der Rahmen entzogen wird. Ich lege Wert
darauf, dass wir diesen Rahmen jederzeit konsequent
und prinzipiell aufrechterhalten. Auch um der Türkei
willen.
19
vergessen - stehen beispielsweise etwa 5 Milliarden
Eigenmittel, die die neuen Länder bereits zum Haushalt
der Europäischen Union beisteuern werden.
Deswegen ist es wichtig, noch einmal die
Grundsatzpositionen zur Anpassung der neuen
Finanziellen Vorausschau deutlich zu machen, über die
das Plenum im Juni abgestimmt hat. Mittlerweile hat der
Rat auf seinem Gipfel in Brüssel ebenfalls Teile dieser
Parlamentsposition übernommen, beispielsweise den
Grundsatz der stufenweisen Integration bei den
Direktzahlungen in der Landwirtschaft, beispielsweise
die Klarstellung, dass nach dem Beitritt kein neuer
Mitgliedstaat Nettobeitragszahler werden sollte, und
beispielsweise eine Regelung, die verhindern soll, dass
ein Land nach dem Beitritt finanziell schlechter gestellt
sein wird als unmittelbar vor dem Beitritt.
Ich lege großen Wert darauf, dass die notwendige
Anpassung der Finanziellen Vorausschau auf der
Grundlage von Artikel 25 der Interinstitutionellen
Vereinbarung auf Vorschlag der Kommission
gemeinsam - so heißt es wörtlich - gemeinsam von Rat
und Europäischem Parlament mit den entsprechenden
Mehrheiten vorgenommen wird. Ich würde mir erwarten,
Herr Ratspräsident, dass beispielsweise in der
Haushaltskonzertierung klargelegt wird, dass es eine
kontinuierliche, umfassende Information des Parlaments
zum Fortgang der Verhandlungen gibt, und in einem
entsprechenden Trilog Einigkeit darüber erzielt wird,
wie das Verfahren zur Anpassung der Finanziellen
Vorausschau in den nächsten Monaten auf den Weg
gebracht wird. Denn viele Fragen bleiben offen: Wie ist
beispielsweise die Formulierung des Europäischen Rates
von Berlin zu verstehen, die Ziffer 12 der
Schlussfolgerungen, die ausdrücklich besagt, dass man
eine klare Trennung zwischen den Ausgaben der alten
Union und den neuen Mitgliedern haben will? Hat diese
Erklärung von Berlin Bestand oder wird es nach dem
Beitritt einen gemeinsamen Haushalt Rubrik für Rubrik
geben? Das muss klargestellt werden.
Wird es, wenn es das Beitrittsdatum 1. Mai 2003 gibt,
einen Nachtragshaushalt geben? Macht es überhaupt
Sinn,
sozusagen
vier
Monate
lang
Vorbeitrittsprogramme zu organisieren und laufen zu
lassen und erst dann acht Monate - ob im Bereich der
Agrar-, der Struktur- oder der Innenpolitik - die neuen
Mitglieder als neue Mitglieder zu betrachten?
2-105
Böge (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des
mitberatenden Haushaltsausschusses. – Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Verfasser der
Stellungnahme des Haushaltsausschusses möchte ich
ausdrücklich betonen, dass natürlich die politischen und
wirtschaftlichen Vorteile der Erweiterung die möglichen
haushaltspolitischen Kosten bei Weitem überwiegen.
Dennoch geht es darum, auch in der Haushaltspolitik
einen mittel- und langfristig verlässlichen und auf beiden
Seiten mehrheitsfähigen Rahmen zu schaffen. So
sprechen wir beispielsweise für 2006 von einem
Haushaltsrahmen von etwa 15 Milliarden Euro
Ausgaben, aber auf der anderen Seite - und das wird oft
Ich glaube, auch in der Frage der neuen Nachbarn und
Partnerschaften kommt es darauf an, sehr genau zu
prüfen, welche notwendigen finanziellen Anpassungen
wir beispielsweise in der Kategorie 4 - Außenpolitik vorzunehmen haben. Dies betrifft sowohl die Türkei als
auch andere Nachbarn und neue Partner, wo wir über
ganz spezielle, neue Partnerschaften miteinander zu
reden haben werden.
2-106
Ettl (PSE), Verfasser der Stellungnahme des
mitberatenden Ausschusses für Beschäftigung und
soziale Angelegenheiten. – Herr Präsident, meine Damen
20
und Herren! Der heutige Tag ist geprägt von einem
guten Gemeinschaftsgefühl und von Vertrauen in die
Zukunft Europas. Gute Emotionen helfen dabei,
Schwierigkeiten zu überwinden, die auf die
Kandidatenländer
noch
zukommen
werden.
Wirtschaftliche Anpassungsprozesse erfordern auf allen
Seiten höchstes politisches und soziales Engagement.
Allein
die
Restrukturierungsprozesse
der
Schwerindustrie und des Bergbaus erfordern verstärkte
Begleitmaßnahmen gegen die steigende Arbeitslosigkeit.
Daher ist es notwendig, alle Mittel einzusetzen, die dem
vorbeugen helfen, und den sozialen Dialog in den
Beitrittsländern zu stärken. Nur damit ist eine
demokratische Weiterentwicklung der Sozial- und
Arbeitsgesetzgebung gewährleistet. Wir reden viel und
oft über die soziale Dimension Europas, vergessen aber
geflissentlich,
darauf
hinzuweisen,
dass
die
Sozialgesetzgebung ein ebenso wichtiger Bestandteil des
Besitzstands
ist
wie
beispielsweise
die
Wettbewerbsvorschriften.
Die Umsetzung des sozialen Besitzstands ist von
gesamteuropäischer Bedeutung, weil dadurch Stabilität
erreicht wird und potenziellen Konflikten vorgebeugt
werden kann. In diesem Sinne ersuche ich Sie, die
beiden Abänderungsanträge des Ausschusses für
Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, gestellt von
Herrn Oostlander und mir, anzunehmen.
In der verbleibenden Zeit bis zum Beitritt der
Kandidatenländer ist aus beschäftigungspolitischer
Sicht, aus wirtschaftspolitischer Sicht und aus
sozialpolitischer Sicht noch viel zu tun. Die
Mitgliedstaaten, die an die Kandidatenländer grenzen,
sind gefordert, grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu
unterstützen und zu forcieren. Den Arbeitnehmern muss
in diesen Regionen geholfen werden, sich besser an die
Arbeitsmarktentwicklung anpassen zu können. Nur
dadurch können noch bestehende Vorurteile im Bereich
der
Freiheit
des
Dienstleistungsund
Arbeitnehmerverkehrs abgebaut werden.
Jedenfalls - und das möchte ich zum Abschluss betonen
- gilt es, den Kandidatenländern für die bisherigen
Leistungen im Hinblick auf den EU-Beitritt höchste
Achtung zu erweisen.
2-107
Salafranca Sánchez-Neyra (PPE-DE). – (ES) Herr
Präsident, Herr Haarder, unser geschätzter amtierender
Ratspräsident, Herr Kommissar, meine Damen und
Herren Abgeordneten! Die Erweiterung ist eine
geschichtliche und moralische Notwendigkeit und eine
einzigartige Chance für eine Versöhnung dieses
Kontinents mit sich selbst.
Der heute Vormittag geführten Aussprache und der
laufenden Aussprache über den Bericht von Herrn Brok,
den ich zu seiner Arbeit beglückwünschen möchte, liegt
eine Notwendigkeit zugrunde: das gründliche
Nachdenken über uns selbst, unsere Rolle in der Welt,
darüber, was das Projekt Europäische Union war,
19/11/2002
gegenwärtig ist und was es im Zusammenhang mit einer
erweiterten Union sein soll.
Wenn ich darüber nachdenke, gelange ich zu der
Überzeugung, dass die Arbeit des Europäischen
Konvents von grundlegender Bedeutung ist und wir eine
geeignete Formel finden müssen, um – wie heute
Vormittag gefordert wurde – die Vertreter der
Kandidatenländer in die Arbeit der Regierungskonferenz
einzubeziehen.
Was die Kurzfristigkeit angeht, so bin ich davon
überzeugt, dass wir dank der Anstrengungen der
Europäischen Kommission, der Mitgliedstaaten und der
Kandidatenländer in wenigen Wochen in Kopenhagen
imstande sein werden, zu einer vernünftigen und fairen
Einigung zu gelangen. Ebenso denke ich, dass wir auf
der Grundlage einheitlicher und somit nicht
diskriminierender Bedingungen für alle in der Lage sein
werden, unseren Weg mittels der Vorbeitrittsstrategien,
die heute Vormittag hier dargelegt wurden, und durch
Abschluss der laufenden Verhandlungen abzustecken.
Dennoch halte ich es für wichtig, dass wir uns nicht im
Unmittelbaren und Heutigen verlieren. Ich meine,
Geschichte ist nicht nur eine in der Vergangenheitsform
geschriebene Erzählung. Denn wenn wir keine klare
Vorstellung von unseren zukünftigen Zielen und
Projekten haben, werden wir nicht nur nicht imstande
sein, unsere Zukunft zu gestalten, sondern wir werden
auch große Schwierigkeiten haben, die Vergangenheit zu
verstehen.
Heutzutage wird die Geschichte im Präsens konjugiert.
Und in diesem historischen Präsens, in dem wir leben,
nimmt die Europäische Union als einer seiner
wesentlichen Protagonisten Gestalt an. Heute stellt sie
sich als Wirtschafts-, Finanz- und Industriemacht dar,
wobei für sie jedoch die große und unbedingte
Notwendigkeit besteht, ihre Präsenz auf internationaler
Ebene zu bekräftigen und sich mit einer Sicherheits- und
Verteidigungspolitik auszurüsten, die es uns ermöglicht,
den neuen Formen der Bedrohung, insbesondere nach
den Anschlägen vom 11. September, zu begegnen.
Wir müssen die mit der Erweiterung verbundenen
Herausforderungen meistern, wir müssen sämtliches
Potenzial und jedwede Synergie nutzen, wir müssen
einen politisch und wirtschaftlich geeinten Raum
schaffen, der 500 Millionen Menschen zusammenführt,
von denen in der Anfangsphase 300 Millionen dieselbe
Währung nutzen werden. Ich denke, es geht schließlich
und endlich darum, dass wir, mit Großzügigkeit und
Weitblick, imstande sind, Idealen gegenüber Zahlen,
obgleich diese durchaus wichtig sind, den Vorrang zu
geben.
2-108
Sakellariou (PSE). – Herr Präsident, Herr
Ratspräsident, Herr Kommissar Verheugen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine
Ausführungen damit beginnen, dass ich für diese
Debatte, aber auch für die ganze Arbeit der
19/11/2002
Berichterstattung zur Erweiterung und für die ganze
Arbeit der Vorbereitung der Erweiterung, auch an die
Adresse der Kommission, meinen und den Dank meiner
Fraktion für die hervorragende Zusammenarbeit
ausspreche. Herr Kommissar, das sind nicht bloß
Lippenbekenntnisse, denn wir haben ja tatsächlich zu
jeder Zeit sämtliche Informationen bekommen. Wir
haben die Debatte geführt im Ausschuss für auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit und Verteidigungspolitik, und ich möchte
auch dem Vorsitzenden dieses Ausschusses danken,
sowohl für seinen Bericht als auch für die gesamte
Zusammenarbeit. Ich glaube, alle Fraktionen, alle
politischen Kräfte des Ausschusses haben ihr Bestes
getan, um diesen historischen Vorgang kritisch zu
begleiten und dazu beizutragen, dass dieser Vorgang,
diese Erweiterung ein Erfolg wird.
Ich habe zwei bestimmte Punkte, die ich zusätzlich zu
dem ansprechen möchte, was die Kollegen zu den
einzelnen Ländern und auch zu dem allgemeinen Teil
gesagt haben, was richtig und intelligent war. Dabei
handelt es sich um zwei sehr konkrete Probleme.
Erstens, geht es um den allseits begrüßten Vorschlag des
Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu Zypern. Da
gibt es aber einen Punkt, der missverständlich sein
könnte im Anhang IX, und zwar die Vorschläge zu
Artikel 1 Absatz 1 hinsichtlich eines Referendums der
Bürger in dem geteilten Land, wenn das
Grundabkommen angenommen ist. Diese Fragen in
diesem Referendum sollen mit ja oder nein beantwortet
werden. Sie sollen einmal die neue Struktur des Staates
betreffen und dann den Beitritt Zyperns zu der
Europäischen Union. Ich glaube, die Europäische Union
müsste - ich freue mich, dass Sie mir bereits winken
Herr Kommissar - völlig unabhängig davon diese Frage
nach den Vereinbarungen von Helsinki entscheiden, und
Zypern sollte sich entsprechend dazu äußern.
Die zweite Frage betrifft die Türkei. Ich möchte daran
erinnern, dass wir heute nicht über die Türkei
debattieren, weil wir hier die Erweiterungsdebatte
führen, und die Türkei ist in diesem Moment kein
Beitrittsland. Sie ist ein Kandidat, und diesen Status hat
die Türkei seit 1999. Allerdings sind trotz der großen
Anstrengungen und der großen Erfolge und Fortschritte,
die die Türkei erreicht hat, die Kopenhagener politischen
Kriterien nicht erfüllt. Daher sehe ich auch keinen
Grund, von irgendeinem Datum zu reden. Ich möchte
Ihnen das sagen, Herr Ratspräsident: Die Bestimmung
eines Datums kommt nicht in Frage, zumindest nicht für
uns!
2-109
Malmström (ELDR). – (SV) Herr Präsident! Herr
Ratspräsident, Herr Kommissar, verehrte Kollegen und
liebe zukünftige Kollegen auf der Tribüne!
Heute ist ein historischer Tag, eine Art Vorfeier vor dem
großen Fest, das wir bald alle zusammen feiern werden.
Es wird ein Fest zum Abschluss jener langen Reise, die
21
wir zusammen unternommen haben, um gemeinsam die
Vereinigung Europas zu erreichen.
Straßburg und die Region, in der wir uns gerade
befinden, legen Zeugnis davon ab, wie man in früheren
Zeiten versucht hat, Europa zu vereinigen. All die
anonymen Gräber, in denen Tausende französischer und
deutscher junger Männer begraben sind, erinnern auf
tragische Weise daran, wie mit Gewalt und Zwang
versucht worden ist, die Einigung Europas zu erreichen.
Die Berliner Mauer hingegen war der Versuch,
Begegnungen und Einigung von Menschen und Ideen zu
verhindern. Was die EU so einzigartig macht, ist die
geniale aber historisch ungewöhnliche Idee, Menschen
am Verhandlungstisch statt durch Schützengräben zu
vereinen. Meine Kollegin Marit Paulsen pflegt zu sagen,
die EU gebe die Macht den Bürokraten statt den
Soldaten. Ich finde diese Formulierung ziemlich
treffend.
Die EU besteht jedoch nicht allein aus Bürokraten,
sondern auch aus Politikern mit Visionen und Ideen. Die
Idee und Vision des Europäischen Parlaments ist stets
der feste Glaube an die Vorteile der gemeinsamen
Entwicklung der
europäischen
Zusammenarbeit
gewesen. Konsequent und beharrlich haben wir die
Erweiterung vorangetrieben, indem wir deutliche
Termine
gesetzt,
Forderungen
gestellt
und
Etappenpunkte vorgegeben haben. Manchmal hat es
stürmische Zeiten in den Regierungen oder der
Innenpolitik gegeben, aber wir sind standhaft geblieben.
Der Bericht von Herrn Brok, der von der Fraktion der
Liberalen und Demokratischen Partei Europas
unterstützt wird, verleiht unserer Einigkeit deutlichen
Ausdruck.
Für uns Liberale ist die Erweiterung, oder
Wiedervereinigung, viele Jahre lang die Frage mit der
höchsten Priorität gewesen. Sie ist die natürliche
Konsequenz des Falls der Berliner Mauer und des
Durchbruchs der Demokratie, der Freiheit und der
Marktwirtschaft in Mittel- und Osteuropa. Die EU war
mit
ihren
ausschließlich
westeuropäischen
Mitgliedsstaaten lange Zeit unvollständig. Nur wenn wir
zusammen agieren, können wir unsere gemeinsamen
Werte
und
Ambitionen
verteidigen:
Freiheit,
Demokratie, Menschenrechte, ein funktionierender
Markt mit Wachstum und Wohlstand in einem Europa,
in dessen Zentrum die Bürgerinnen und Bürger stehen.
Auch die kommenden großen Herausforderungen Umweltprobleme, grenzüberschreitende Kriminalität,
die Rolle Europas in der Welt und unsere Verantwortung
für eine gerechtere Weltordnung - können nur durch
gemeinsame Anstrengung gemeistert werden. Das gilt
auch für die Reform der europäischen Institutionen, die
demokratischer und effizienter werden müssen. Ich freue
mich auf die frischen Ideen und Beiträge unserer neuen
Kollegen in diesen Fragen.
In einem vereinten Europa sind wir alle verschieden.
Aber wir sind alle gleichwertig und müssen uns an dem
selben Maßstab messen lassen. Die Fraktion der
22
Liberalen und Demokratischen Partei Europas hat
hartnäckig dafür gestritten, dass die Kopenhagener
Kriterien, insbesondere die politischen, respektiert
werden. Menschenrechtsverletzungen können niemals
entschuldigt werden. Wir freuen uns über die
Fortschritte, die in den Kandidatenländern gemacht
worden sind und werden auch weiterhin die Entwicklung
auf diesen Gebieten überwachen: die Achtung der
Minderheiten, die Pressefreiheit, gute Verwaltung
sowohl in den neuen als auch in den alten
Mitgliedsstaaten. Unserer Meinung nach müssen die
Sicherheitsklauseln genau auf diese Weise umgesetzt
werden, d. h. durch eine kontinuierliche kritische
Beurteilung der Einhaltung und Achtung unserer
gemeinsamen Werte durch uns alle. Wir müssen
Anforderungen an uns selbst stellen, sowohl in den
neuen als auch in den alten Mitgliedsstaaten, und dürfen
keine Aufteilung in A- und B-Mitglieder dulden.
Viele schwierige Probleme sind im Verlauf dieses
Herbstes
gelöst
worden.
Die
dänische
Ratspräsidentschaft hat unglaubliche Anstrengungen
unternommen, ebenso die Kandidatenländer. Es wäre
doch wunderbar, wenn sich bis zum Ende des Jahres
auch eine Lösung der Zypernfrage abzeichnen würde.
Ich hoffe, dass wir alle zu einer derartigen Lösung
beitragen können. Ferner wünsche ich mir auch ein
deutlich positives Signal an die Türkei. Die neue
Regierung
verdient
unsere
Ermutigung
und
Unterstützung.
Der Bericht des Herrn Brok sollte von Ihnen in den
Kandidatenländern als Willkommensgruß und Einladung
zum Fest gedeutet werden. Es wird ein Fest, bei dem die
Einteilung in „Wir in der EU“ und „Ihr in den
Kandidatenländern“ aufgehoben wird, bei dem wir alle
„Wir in der EU“ werden!
2-110
Brie (GUE/NGL). – Herr Präsident, Herr Kommissar,
Herr Ratspräsident! Man muss es nicht wiederholen,
dass dies ein historischer Tag ist, zumindest für dieses
Parlament. Auch meine Fraktion wird mit großer
Mehrheit den Bericht Brok unterstützen, genauso wie
wir die Erweiterung der Europäischen Union als eine
historische Chance sehen. Ich verstehe nicht ganz,
warum Sie, Herr Haarder, und gerade eben auch die Frau
Kollegin Malmström, von der Wiedervereinigung
geredet haben. Wenn ich mir die Geschichte Europas
ansehe, fällt auf, dass dieser Kontinent eigentlich noch
nie vereinigt war. Die Leistung, die jetzt vollbracht wird,
ist um so größer, als es erstmalig um die Vereinigung
dieses Kontinents geht.
Ich möchte die Harmonie nicht allzu sehr stören, aber
doch drei Problempunkte wenigstens benennen, wegen
derer ich mit dem Bericht etwas unzufrieden bin, trotz
der generellen Zustimmung. Erstens bedaure ich es, dass
fast alle Anträge, die sich mit den großen sozialen und
beschäftigungspolitischen
Problemen,
die
die
Transformationsprozesse und der Erweiterungsprozess
in den Beitrittsländern hervorrufen, abgelehnt wurden.
19/11/2002
Auch in der realen Politik wird diesen Fragen viel zu
wenig Aufmerksamkeit gewidmet.
Zweitens ist es für meine Fraktion weiterhin
unbefriedigend, dass anders als in früheren
Erweiterungsfällen die Gleichberechtigung der neuen
Mitgliedsländer und ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht
von Anfang an voll gewährleistet wird. Sie, Herr
Kommissar, haben für die Öffentlichkeit auch sehr viel
getan, das weiß ich, aber der Egoismus einiger
Regierungen hat hier doch Wesentliches verhindert. Ich
kenne die Probleme, aber es ist für mich schon
problematisch,
wenn
gerade
in
einem
Erweiterungsprozess, der als historische Aufgabe
bezeichnet
wird,
rechtliche
und
finanzielle
Diskriminierung nicht von Anfang an verhindert wird.
Drittens bedauern wir, dass die Vorschläge für weitere
Anstrengungen in den Grenzregionen nicht in den
Bericht aufgenommen wurden. Ich glaube, dass
insbesondere die verantwortlichen Regierungen,
möglicherweise aber auch die Kommission, gerade in
diesen Gebieten noch zu wenig tun, um die
weitreichenden Veränderungen, die eintreten werden,
positiv zu unterstützen. Es ist gegenwärtig nicht
ausgeschlossen, dass zumindest einzelne dieser
Regionen eher zum Transitgebiet der Erweiterung
werden. Abgesehen von dem realen Problem fordere ich
daher Kommission und Regierungen noch einmal auf,
alles zu tun, damit die bisherigen Grenzregionen zu
Werkstätten der europäischen Integration werden und
ihre positiven menschlichen und sozialen Ergebnisse
dort auch erlebt werden, so wie das in früheren
Grenzregionen, zum Beispiel Saarland, Lothringen,
Luxemburg durchaus positiv erreicht wurde.
2-111
Lagendijk (Verts/ALE). – (NL) Herr Präsident! Hoffen
wir, dass Herr Giscard d’Estaing mit seinem
Konventvorschlag eine ebenso heftige Diskussion
auslöst wie mit seinen Bemerkungen, der Beitritt der
Türkei sei nicht erwünscht. Plötzlich streiten sich alle
über die Frage, ob es nun richtig oder falsch war, der
Türkei die Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen. Ehrlich
gesagt ist es bei dieser Debatte nicht sehr hilfreich, wenn
die beiden extremen Positionen eingenommen werden,
nämlich auf der einen Seite die Zustimmung zu einer
Mitgliedschaft der Türkei, sofern alle Bedingungen
erfüllt werden, und auf der anderen Seite ein
kategorisches Nein. Zwischen diesem Schwarz-Weiss
sind
zahlreiche
Personen
um
verschiedene
Nuancierungen bemüht. Der Beitrag von Herrn Brok war
dafür ein typisches Beispiel. Leider ist Herr Brok nicht
mehr anwesend, aber wenn ich ihn richtig verstanden
habe, hat er heute gesagt, die Türkei müsse seiner
Ansicht nach eine Chance erhalten. Wenn die Türkei
jedoch alle Forderungen der Europäischen Union erfüllt,
ist sie nicht mehr die Türkei.
Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrter
Herr Brok, lassen Sie uns doch mit diesen
Wortspielereien und dieser Vernebelung in Bezug auf
die Türkei aufhören. Gestern herrschte Nebel auf dem
19/11/2002
Flughafen, heute erzeugen Sie Nebel hier im
Sitzungssaal. In den Medien hat Herr Brok ganz deutlich
gesagt, er halte den Beschluss von 1999, der Türkei den
Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren, für einen
Irrtum und dieser Irrtum müsse korrigiert werden. Ich
begrüße die Flexibilität von Herrn Brok, ebenso wie
seinen heutigen Standpunkt, doch ist damit dann nicht
die Unterstützung in Einklang zu bringen, die er selbst
als Berichterstatter einem Änderungsantrag von Herrn
Ferber zuteil werden lässt, in dem eine besondere
Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei gefordert
wird. Dies stellt eine Alternative zur Mitgliedschaft dar.
Das befürworte ich nicht, und ich hoffe, Herr Brok wird
sich heute und morgen ebenfalls dagegen aussprechen.
Ich fordere Sie auf, mit diesen Nebelschwaden und
Wortspielereien aufzuhören. Es mag unterschiedliche
Auffassungen zum Zeitplan und den verschiedenen
Phasen in der Annäherung zwischen der Türkei und der
EU geben. Über das Ziel all dieser Bemühungen,
nämlich die Mitgliedschaft in der Union, gibt es jedoch
keine Diskussion mehr. Wir müssen weg von diesen
doppelten Agenden, weg von der Heuchelei, weg von
dem „Ja“-Sagen und „Nein“-Hoffen. Wenn wir der
Türkei grünes Licht geben, so heißt das, dass die EU
alles in ihrer Kraft Stehende tun wird, damit die Türkei
irgendwann Mitglied werden kann.
Was bedeutet das nun konkret? Wenn die neue
Regierung der Türkei die Chancen für die Lösung des
Zypern-Konflikts ergreift, wenn sie die bereits
beschlossenen Reformen endlich in die Praxis umsetzt,
wenn sie darüber hinaus neue Reformen durchführen
will, wie sie es dieses Wochenende mit zero tolerance
für Folter angekündigt hat, wenn diese Regierung
endlich Gefangene wie die Sacharow-Preisträgerin Lela
Zana, freiließe ... Wenn all dies geschieht, dann kann die
EU nicht anders, als sich mit diesem Land weiter zu
befassen. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang
den Worten von Kommissar Verheugen anschließen.
Wenn sich die Beitrittskandidaten auf die EU
zubewegen, muss auch die EU handeln. Das bedeutet,
dass auch die Annäherung zwischen der Türkei und der
EU nicht einseitig verlaufen darf. Meines Erachtens
muss in Kopenhagen ernsthaft über die Nennung eines
so genannten review date nachgedacht werden, eines
Datums, beispielsweise in einem Jahr, an dem wir
nochmals prüfen, ob die Türkei alle Bedingungen und
alle politischen Kriterien erfüllt. Wenn dieses Urteil
positiv ausfällt, müssen wir den Mut haben, der Türkei
ein Datum für künftige Verhandlungen in Aussicht zu
stellen.
2-112
Andrews (UEN). – (EN) Herr Präsident, in den letzten
Wochen wurden intensive Anstrengungen zur
Beschleunigung
des
Erweiterungsprozesses
unternommen. Doch bis die Erweiterung der EU
praktische Wirklichkeit wird, müssen noch eine Reihe
von Schwierigkeiten überwunden werden. Wir dürfen
die schwierigen Aufgaben, mit denen wir im Vorfeld des
Beitritts der zehn Länder zur Europäischen Union
konfrontiert sind, nicht unterschätzen.
23
Der EU-Konvent darf nicht vergessen, dass in etlichen
der Kandidatenländer ein Referendum über den EUBeitritt ansteht. Wir sollten diesen Prozess für die
Menschen in den Kandidatenländern so unkompliziert
wie möglich gestalten. Genau in diesem Punkt könnte
sich der EU-Konvent als problematisch erweisen: Er eilt
den Völkern Europas zu weit voraus. Werden wir die
Kandidatenländer nächstes Jahr allen Ernstes bitten, den
Beitrittsvertrag per Referendum zu ratifizieren, nur um
sie ein Jahr später erneut zu bitten, einen weiteren EUVertrag zu ratifizieren, der noch weitreichendere
Änderungen für das Funktionieren der Union vorsieht?
Anhand welcher Grundlage würden die Bürger beim
Referendum im nächsten Jahr ihre Entscheidung treffen?
Anhand der existierenden EU-Verträge, einschließlich
des kürzlich ratifizierten Vertrags von Nizza, oder
anhand einer Reihe von neuen Vorschlägen des EUKonvents? Haben wir denn nichts aus dem jüngsten
Referendum in Irland gelernt? Der Vertrag war nun
wirklich relativ bescheiden, aber es war sehr schwierig,
ihn den Bürgern zu erläutern. Es ist uns im zweiten
Anlauf zumindest teilweise gelungen, den Vertrag zu
erklären, dennoch wissen die Menschen nach wie vor
kaum über EU-Belange Bescheid.
Trotzdem preschen einige Leute im EU-Konvent vor
und wollen am liebsten sämtliche Abläufe im
Alltagsbetrieb der Union umfassend reformieren. Wir
senden widersprüchliche Signale an die Bürger in den
Kandidatenländern
aus
und
unterbreiten
widersprüchliche Vorschläge. Ich würde sogar noch
weiter gehen und behaupten, dass der EU-Konvent
Gefahr läuft, die Konturen des Erweiterungsprozesses zu
verwischen. Ich muss das Haus und die Mitglieder des
Konvents daran erinnern, dass der Konvent ein
Konsultationsprozess
ist
–
die
eigentlichen
Entscheidungen sollten und müssen vom Ministerrat
getroffen werden.
Keinesfalls dürfen wir das enorme Arbeitspensum
unterschätzen, dass es noch zu bewältigen gilt, bevor wir
von einer erfolgreichen Erweiterung sprechen können.
Die Kandidatenländer müssen das gesamte Paket von
EU-Richtlinien und -Verordnungen umsetzen. Die
Beitrittsverhandlungen bestehen aus 38 verschiedenen
Kapiteln. Die Kandidatenländer werden einige Zeit
brauchen, bis sie das gesamte Regelwerk umgesetzt
haben. Wir alle wissen, dass der Beitritt von zehn neuen
Ländern keine einfache Aufgabe darstellt. Dem Tempo
der Reformen kommt die größte Bedeutung zu. Wir
können nicht zulassen, dass Diplomaten und Politiker,
was künftige Entwicklungen betrifft, den Bürgern
Europas zu weit vorauseilen. Wir müssen dafür sorgen,
dass die Bürger mit uns Schritt halten können. Wir
können ihre Unterstützung nicht als selbstverständlich
voraussetzen.
Aus irischer Sicht ist festzustellen, dass es äußerst
schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein dürfte, die
Bürger Irlands von einem neuen EU-Vertrag zu
überzeugen, der sich über die irische Verfassung
hinwegzusetzen scheint. Jeder Vorschlag, der darauf
24
19/11/2002
abzielt, die Vertretung kleiner Mitgliedstaaten in den
EU-Institutionen einzuschränken, steht in krassem
Widerspruch zu den Grundsätzen der Gleichheit, die das
erklärte Ziele der Europäischen Union sind.
von vornherein verdächtig. Diese Art des Nationalismus
ist in meinen Augen sogar schädlicher als der
traditionelle Nationalismus. Die Erweiterung wird in
diesem Punkt hoffentlich zur Besinnung führen.
2-113
2-114
Belder (EDD). – (NL) Herr Präsident! Es wird viel Lärm
um die Erweiterung gemacht. Bezüglich der EUFähigkeit der neuen Mitgliedstaaten kann ich mich kurz
fassen: Der Bericht Brok bietet einen guten Einblick in
die noch bestehenden Restzweifel seitens der EU. Die
Kandidatenländer müssen ihre Bemühungen in einzelnen
Bereichen intensivieren. Europäische und nationale
Politiker
müssen
ihrer
Bevölkerung
die
vorangegangenen Anstrengungen der Beitrittskandidaten
deutlich machen.
Die Kandidatur der Türkei ist anders gelagert. In
Helsinki wurde das Land unter großem Druck auf die
EU offizieller Beitrittskandidat. Nun versucht Ankara
die EU erneut zu bedrängen, ein Datum für die
Eröffnung der Verhandlungen zu nennen. Es scheint mir
jedoch deutlich zu sein, dass die EU diesem Druck
standhalten muss, aus dem einfachen Grund, dass die
Türkei kein Land ist, das sich in die EU einfügt. Die
Türkei ist zwar eine Demokratie, aber sicherlich keine
westliche. Und obwohl sie ein sekulärer Staat ist,
unterscheidet sie sich in Kultur und Geschichte zutiefst
von den heutigen, durch das Christentum geprägten
Mitgliedstaaten der EU. Wir können das Wort
„Europäische“ streichen, wenn die Türkei Mitglied der
Union
wird.
Des
Weiteren
hat
sich
die
Rechtsstaatlichkeit in der Türkei zwar verbessert, ist
jedoch noch lange nicht ausreichend. Ich möchte Sie
beispielsweise auf die schwierige Lage der Christen in
dem Land verweisen. Die EU kann der Türkei eine
engere Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen
anbieten. Der Kandidatenstatus hingegen war ein Fehler,
der besser korrigiert werden sollte.
Der Beitritt bedeutet jedoch nicht den Endpunkt für die
EU. Wie wird die Europäische Union nach der
Erweiterung aussehen? Ist es ein Europa, das in der Lage
ist, die Konflikte der Vergangenheit hinter sich zu
lassen? Ein Europa, das Frieden, Solidarität und gerechte
Beziehungen zwischen ihren Mitgliedstaaten unterstützt?
Die Ideen über eine Vergemeinschaftung der GASP
stehen meines Erachtens im Widerspruch zu diesen
Grundsätzen. Die Unterschiede zwischen den
Mitgliedstaaten sind auf diesem Gebiet einfach zu groß.
Die Integration in diesem Bereich kann daher nur durch
Zwang geschehen. Darauf kann keine ausgewogene
Politik aufgebaut werden. Außerdem handelt es sich um
einen Bereich, in dem Identitätsgefühle eine große Rolle
spielen, was potenzielle Spannungen zwischen den
Mitgliedstaaten erhöht.
Die Länder Europas müssen sich vor Nationalismus in
Acht nehmen. Es ist jedoch auch ein Nationalismus auf
europäischer Ebene möglich, wobei wir nur zur
Mehrung unseres eigenen Ruhmes nach dem Status einer
Weltmacht streben. Andere große Länder wären dann
VORSITZ: GIORGOS DIMITRAKOPOULOS
Vizepräsident
2-115
Dupuis (NI). – (IT) Herr Präsident, Herr Ratspräsident,
Herr Kommissar, verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, der Kollege Gawronski hat Recht: das
Europa der 15 dürfte wohl am meisten von der
Erweiterung profitieren. Doch diese Erweiterung – das
muss meines Erachtens klargestellt werden, und ich
hoffe sogar, der Rat und die Kommission werden sich
dazu äußern – ist nicht das Ende des
Erweiterungsprozesses der Europäischen Union. Es gibt
etwa zehn Kaukasus- und Balkanländer, die nicht einmal
auf der Liste der Kandidatenländer stehen und sich
demnach nicht einmal in der Lage der Türkei befinden,
welche die Europäische Union jedoch ebenso braucht
wie die Türkei, auch um zunehmende Tendenzen in
fundamentalistischer Richtung zu vermeiden, wie heute
von mehreren Kolleginnen und Kollegen gesagt wurde.
Uns wurden heute die Berichte über jedes einzelne
Beitrittsland vorgetragen, doch wäre es meines
Erachtens fair und korrekt gewesen, diesen zehn
Ländern, die demnächst der Europäischen Union
beitreten werden, auch einen Bericht über die heutige
Lage in jedem der 15 Mitgliedstaaten vorzulegen. Vom
wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet wäre es
vielleicht hilfreich für diese Länder zu erfahren, dass die
Gefahr einer „Japanisierung“ des europäischen
Kontinents nicht auszuschließen ist, dass Deutschland,
Italien, aber auch Frankreich heute nicht in der Lage
sind, die gebotenen Strukturreformen anzupacken, was
in Anbetracht ihrer Dimensionen auch Auswirkungen
auf die Wirtschaft der zehn Beitrittskandidaten haben
könnte.
Ebenso läge es wohl im Interesse dieser zehn neuen
Mitgliedsländer, darüber informiert zu werden, dass in
einigen der 15 gegenwärtigen EU-Staaten das
Rechtssystem ganz sicher einer Demokratie unwürdig
ist. Ich denke an Belgien, an Italien, aber auch an einige
Fälle, die dem Anschein nach von geringerer Bedeutung,
wie das, Herr Ratspräsident, was in diesen Tagen in
Ihrem Land, in Dänemark, geschieht, wobei ich mich
insbesondere auf die Behandlung des Problems der
Inhaftierung des stellvertretenden tschetschenischen
Ministerpräsidenten Achmed Sakajew durch die
Behörden Ihres Landes beziehe. Ich glaube nicht, dass
das den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit entspricht.
Wir sprechen vom Europa der Demokratien, aber
vielleicht sollten wir vom Europa der Demokratie reden.
Die Demokratie in diesem Haus, die Demokratie im Rat
und in der Kommission, die Demokratie in der Union
allgemein würde sicher nicht den Kriterien genügen, die
wir heute für die Beitrittskandidaten festlegen. Hier geht
es um die Frage, mit dem sich der Konvent eingehend zu
19/11/2002
befassen hat, eine Frage, die, wie wir hoffen, mit dem
Entschluss angepackt und gelöst wird, das
amerikanische Modell, die Demokratie amerikanischen
Stils zu übernehmen und sich nicht auf die europäische
Tradition zurückzubesinnen, die unserem Kontinent so
viel Schaden zugefügt hat.
2-116
Elles (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, wie viele
meiner Vorredner bereits sagten, ist dies ein historischer
Tag für den aktuellen Prozess der Erweiterung. Ich
möchte über Kopenhagen hinausschauen und einen
Blick auf die nächste Etappe werfen.
Einige Redner haben die Frage aufgeworfen, ob die
Bemerkungen von Valéry Giscard d'Estaing zur Türkei
unzeitgemäß waren, ob hier nicht ein falsches Signal zur
falschen Zeit ausgesandt wird und ob sich Europa mit
dem potenziellen Beitritt
der
Türkei
nicht
möglicherweise bis zur Unkenntlichkeit verändert. Er
spricht dieses Thema jedoch ganz zu Recht an, denn
sobald wir dem Beitritt der Türkei unsere Zustimmung
gegeben und einen Termin festgesetzt haben, dürfte es
schwer sein, der Ukraine, Weißrussland und anderen
Ländern, die geographisch mehr in Europa anzusiedeln
sind als die Türkei, den Beitritt zu verweigern.
Herr Rasmussen, Herr Watson und Herr Haarder waren
sehr großzügig mit ihrer Feststellung, dass wir der
Türkei einen Termin nennen können, sobald sie die
politischen Kriterien erfüllt. Und wie steht es um die in
der Erklärung von Kopenhagen von Juni 1993 genannten
ökonomischen Kriterien? Im Mittelpunkt dieser
Erklärung stand die Frage der institutionellen Stabilität,
die wir in unserem Eifer zu vergessen scheinen. Sind wir
wirklich der Meinung, dass die Stabilität der Union nach
dem Beitritt der Türkei und möglicherweise anderer
Länder, die sicher nach denselben Kriterien
aufgenommen werden, gewährleistet sein wird und dass
die Union effektiv geleitet und verwaltet werden kann?
Mit dieser Frage wird sich der Ende der Woche in Prag
stattfindende NATO-Gipfel beschäftigen. Die Bürger
fragen sich jetzt allerdings, ob die NATO nach Beitritt
etlicher mittel- und osteuropäischer Länder noch
wirklich handlungsfähig und effektiv sein wird. Das
Gleiche gilt für die Europäische Union. Auf dem
Europäischen Rat von Helsinki wurde die Türkei
offiziell zum Beitrittskandidaten erklärt. Laut
Assoziierungsabkommen aus dem Jahre 1961 gilt die
Türkei ebenfalls als Beitrittskandidat. Doch es stellt sich
die Frage, ob die Europäische Union mit der Türkei als
Vollmitglied umfassend handlungsfähig sein und der
demokratischen Kontrolle unterliegen wird.
Ich stelle folgende drei Thesen auf. Erstens sollten wir
eine Pause einlegen, sobald die zehn Länder beigetreten
sind und wir die Verhandlungen für den Beitritt von
Rumänien und Bulgarien abgeschlossen haben. Es wäre
voreilig, jetzt einen Termin oder einen Termin für einen
Termin festzusetzen. Zweitens müssen wir alle
Möglichkeiten ausloten, einschließlich einer speziellen
Partnerschaft mit der Türkei, bevor wir die
25
Beitrittsverhandlungen mit all ihren Konsequenzen
aufnehmen. Vor allem aber, da stimme ich Herrn Prodi
zu, sollte der Rat in Kopenhagen einen Prozess einleiten,
der unseren Umgang mit künftigen Kandidaten für den
EU-Beitritt prüft und entsprechende Kriterien festlegt.
Ich habe den Eindruck, als ob der Europäische Rat unter
dänischem Vorsitz mit geschlossenen Augen in die
Zukunft geht. Es ist für alle einfacher, Ja statt Nein zu
sagen, aber zum jetzigen Zeitpunkt will kein Mitglied
des Europäischen Rates Ja zum Beitritt der Türkei sagen.
Nein will aber auch keiner sagen. Wir sollten uns
darüber klar werden, was wir wollen. Wir sollten eine
klare Strategie haben, damit wir den europäischen
Bürgern versichern können, dass die Europäische Union
auch in zehn Jahren noch stabil, erfolgreich und effektiv
sein wird.
2-117
Swoboda (PSE). – Herr Präsident, Herr Ratspräsident,
Herr Kommissar! Ich bekenne, dass ich ob des
Zusammentreffens mit unseren Kolleginnen und
Kollegen aus den Kandidatenländern heute hier in
Straßburg etwas skeptisch war. Es hätte missverstanden
werden können als Signal „alle Probleme sind gelöst, die
Erweiterung ist gelaufen.“ Gott sei Dank war dem nicht
so.
Es war richtig bewegend, all die Kolleginnen und
Kollegen mit ihren unterschiedlichen Sprachen zu
treffen und ihnen auch zu vermitteln, dass noch viel zu
tun ist, dass es noch offene Probleme und Aufgaben gibt.
Es war eine gute Möglichkeit, auch darzulegen, dass
auch wir eine Öffentlichkeit haben, der wir die
Verhandlungsergebnisse vermitteln müssen, eine
Öffentlichkeit, die wir überzeugen müssen. Die
Anpassung an die Regeln der Europäischen Union, an
den acquis communautaire, muss fortgesetzt werden.
Wir sind in diesem Parlament eine gute Lobby für die
Erweiterung. Allerdings müssen die Bedingungen - auch
die finanziellen - stimmen. Die Erweiterung ist also kein
karitativer Akt, keine barmherzige Handlung. Sie ist der
Versuch, ein gemeinsames Europa aufzubauen, auch auf
der Grundlage der bisherigen Fortschritte der
Europäischen Union, die gemeinsam politisch erarbeitet
wurden. Es geht um die Überwindung von Jalta. Es geht
auch um die Überwindung der Kriegs- und
Nachkriegsordnung, und ich glaube, alle sollen ein
Interesse daran haben.
Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Ich meine, auch
die Tschechische Republik sollte genauso fähig sein, die
Vergangenheit kritisch zu beurteilen und in die Zukunft
zu schauen, wie alle anderen darauf verzichten sollten,
aus den nachvollziehbaren und durchaus auch
kritisierbaren Vorgängen nach Ende des Krieges
politisches Kapital zu schlagen. Wenn wir beide Seiten
dafür gewinnen können, können wir wirklich eine neue
Zukunft gestalten.
Nun noch zur Türkei. Das Land hat im Sommer eine
Reihe von Maßnahmen beschlossen, die einen echten
26
Fortschritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit und volle
Demokratie eingeleitet hat. Zwar sind weder die
rechtlichen Schritte ausreichend noch sind die
Maßnahmen bereits umgesetzt. Aber wir haben jetzt eine
Regierung, die sich bereit erklärt, das zu tun, die auch
beweisen möchte, dass sie eine europäische Richtung
hat, dass sie den in Europa vorhandenen Standard der
Trennung von Staat und Religion akzeptiert. Vor allem
erwarten wir von dieser Regierung eine Lösung des
Zypernproblems.
In dieser Phase, Kollege Elles - und es gibt ja auch einen
diesbezüglichen Antrag - der Türkei den Sessel vor die
Tür zu stellen und nur über ein Sonderverhältnis zu
sprechen, halte ich für eine gefährliche Initiative.
Sowohl Bürger des Islam als auch Bürger türkischer
Abstammung haben Platz in der Europäischen Union.
Ob und wann wir konkret mit der Türkei verhandeln und
verhandeln sollen, kann aus meiner Sicht heute nicht
entschieden werden. Wir alle haben aber ein großes
Interesse daran, die Türkei zu ermutigen und zu
beweisen, dass der Islam und eine moderne Demokratie
auf einen Nenner gebracht werden können, und alles,
was als eine Entmutigung verstanden werden kann,
lehne ich aus meiner Sicht ab.
Mein letzter Punkt: Ich war zu Beginn dieser Woche auf
dem Balkan. Ich habe dort gesehen, dass man vor dieser
Erweiterung ein bisschen Angst hat, herausgelassen zu
werden, übrig gelassen zu werden. Ich bitte Kommission
und Rat, sich zu überlegen, wie sie im nächsten halben
Jahr Signale setzen können, um zu zeigen, dass der
Balkan Teil des Erweiterungsprozesses wird, nicht
heute, nicht morgen, aber vielleicht übermorgen, wenn
er dieselben Dinge erfüllt, die die Kandidatenländer
erfüllt haben. Hier ein klares Signal zu geben, wäre sehr
positiv!
2-118
Duff (ELDR). – (EN) Herr Präsident, der Beitritt
Zyperns kann erst dann als wahrhaft erfolgreich
bezeichnet werden, wenn sich Griechen und Türken
wirklich ausgesöhnt haben. Zum Glück bieten die
Vorschläge von Kofi Annan eine solide konstitutionelle
Grundlage für eine solche Aussöhnung.
Das Paket von Vorschlägen entlehnt geschickt Teile des
Schweizer Regierungsmodells sowie des belgischen
Modells für europäische Beziehungen. Was jetzt auf
dem Tisch liegt, ist die beste Lösung, die die türkischen
Zyprioten erwarten können. Sie garantiert ihnen
Gleichheit vor dem Gesetz sowie politische
Gleichberechtigung und schützt ihre Interessen als die
kleinere Volksgruppe. Sie verpflichtet die neu
gegründete Republik Zypern zur Unterstützung der
türkischen
Mitgliedschaft,
und
ihre
Übergangsbestimmungen entsprechen der Mehrzahl der
Forderungen in Bezug auf Eigentum, Wohnsitz und
Selbstachtung.
Herr Erdogan, Herr Simitis, Herr Clerides und Herr
Denktasch müssen sich jetzt auf den bedeutungsvollen
19/11/2002
Schritt in Richtung Integration und Aussöhnung
vorbereiten und Teilung und Revanche ablehnen.
2-119
Papayannakis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Es
ist das erste Mal in der Geschichte, dass wir auf die
Vereinigung des Kontinents zusteuern. Das hat es noch
nie gegeben. Allerdings diskutieren wir gegenwärtig nur
über die geographische Erweiterung und sehr viel
weniger über die Vertiefung dieser Union, was ja
eigentlich auch ein Grund dafür ist, warum wir die
Union wollen. Politische Union, Wirtschaftsunion,
gemeinsame Sozialpolitik, integriertes ökologisches
Eingreifen sowohl hier als auch weltweit, dies sind die
Gründe, weshalb wir die Union wollen, und ich hoffe
und glaube zutiefst, dass auch die Kolleginnen und
Kollegen aus den Kandidatenländern dies wollen und sie
nicht die Absicht haben, mit uns über andere,
zweitrangige Details zu diskutieren.
Wenn wir nun schon einmal über die Erweiterung
sprechen, so sind dafür auf jeden Fall die
Gleichbehandlung und die Respektierung der Würde der
anderen nötig. Dies geschieht nicht immer. Wir haben,
wie ich glaube, nicht genügend betont, auch wenn dies
in unserer Entschließung enthalten ist, dass die
ungerechte Regelung zur Zahl der Europaabgeordneten
Ungarns oder der Tschechischen Republik so schnell
wie möglich korrigiert werden muss. Das ist auch in
jeder Hinsicht absurd. Ich meine, was machen wir denn,
wollen wir sparen? Ich kann das nicht verstehen.
Für eine erfolgreiche Erweiterung ist eine klare
Perspektive vonnöten. Herr Präsident, verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die Türkei hat ein Recht
darauf zu erfahren, welches die Perspektive ihrer
Beziehungen mit der Europäischen Union ist. Das
gleiche Recht haben auch Bulgarien und Rumänien.
Aber, Herr Präsident, Herr Ratspräsident, das gleiche
Recht haben auch die Länder des weißen Flecks auf dem
Balkan, über die wir überhaupt nichts sagen, obwohl ihre
Lage auf unserem Kontinent, in Europa, wie auch immer
man es betrachtet, sehr viel näher und sehr viel zentraler
ist.
Schließlich noch etwas zu Zypern. Es scheint der
Zeitpunkt für ernste Verhandlungen und politische
Lösungen gekommen zu sein. Lassen Sie uns dies
unterstützen, hoffen wir, dass es gut geht. Eine Sache
muss jedoch klar sein, vielleicht noch klarer, als es hier
zu vernehmen war. Es kann keine Lösung gefunden und
akzeptiert werden, wenn sie ständige Abweichungen
vom gemeinschaftlichen Besitzstand enthält. Etwas
anderes sind Übergangsbestimmungen – alle Länder
haben es irgendwann bei der Erweiterung kennen gelernt
– aber diese gelten für einen bestimmten Zeitraum und
haben ein Ablaufdatum. Wenn wir also vorankommen
wollen, müssen wir dies allen Beteiligten klar machen.
Anderenfalls unterminieren wir, glaube ich, einen
Versuch, der mit großen Hoffnungen für die Zukunft
verbunden ist.
2-120
19/11/2002
Jonckheer (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, Herr
Ratspräsident, Herr Kommissar! So wie die friedliche
Vereinigung des europäischen Kontinent symbolisch mit
dem Fall der Berliner Mauer begonnen hat, wissen wir
heute, dass die Erweiterung der Europäischen Union um
die ersten zehn Kandidatenländer laut Beschluss des
gestrigen Außenministerrates am 1. Mai 2004 offiziell
vollzogen wird. Wir wissen jedoch auch, dass der
Übergang oder, besser gesagt, der volkswirtschaftliche
Umgestaltungsprozess der betroffenen Länder sehr viel
mehr Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich erinnere
lediglich daran, dass ein Land wie Polen eine offizielle
Arbeitslosenquote von 17 % aufweist und im Jahr 2000
ein BIP je Einwohner in Höhe von lediglich 39 % des
Gemeinschaftsdurchschnitts verzeichnen konnte. Im
Zusammenhang mit diesem Umgestaltungsprozess
weisen viele meiner Kollegen immer wieder und
sicherlich mit Recht darauf hin, welche Bedingungen die
Beitrittsländer noch erfüllen müssen.
Herr Ratspräsident, ich persönlich möchte Sie ganz
direkt und sehr präzise fragen, wie der Rat auf die
Forderungen reagieren wird, die die Regierungen der
zehn Kandidatenländer am vergangenen Freitag in
Warschau formuliert haben. Ich gestehe, dass ich
diesbezüglich kein Spezialist bin, aber die vorgelegten
Forderungen sind meines Erachtens durchaus berechtigt:
ein Finanzpaket zur Förderung der makroökonomischen
Stabilität, eine Nettofinanzlage, die nicht nur für 2004,
sondern auch für die Jahre 2004 bis 2006 verbessert
werden muss, und schließlich die vollständige
Umsetzung
der
in
Berlin
eingegangenen
haushaltspolitischen Verpflichtungen. All dies sind
meines Erachtens wirklich berechtige Forderungen.
Da ich nun heute Vormittag mit Besorgnis zur Kenntnis
nehmen musste, dass der dänische Ministerpräsident
offenbar nicht beabsichtigt, von den Beschlüssen des
Europäischen Rates von Brüssel abzuweichen, möchte
ich gerne klare Auskünfte darüber haben, ob Sie als
Reaktion auf diese berechtigten Forderungen der
Regierungen der Beitrittsländer ein besseres Angebot als
dasjenige von Brüssel unterbreiten oder ob Sie an diesen
Beschlüssen festhalten werden. Meines Erachtens gibt es
hier, neben den von uns vorgebrachten Gemeinplätzen,
konkrete Forderungen, auf die wir eingehen müssen und
die – ich sage es noch einmal – meiner Ansicht nach
völlig zu Recht von den Regierungen der
Kandidatenländer formuliert wurden.
2-121
Hyland (UEN). – (EN) Herr Präsident, ich begrüße die
Möglichkeit, an dieser historischen Debatte teilnehmen
zu können, und ich freue mich auf den in nicht allzu
weiter Ferne liegenden Tag, da die Vertreter der
einzelnen Kandidatenländer ihre Rechte als Abgeordnete
dieses Hauses sowie in allen Institutionen der
Europäischen Union umfassend ausüben werden.
Vor allem begrüße ich die vom Rat der Außenminister
gestern in Brüssel gegebene Bestätigung, dass die neuen
Mitgliedstaaten umfassend in die sich an den Konvent
anschließende Gestaltung des neuen Vertrages
27
einbezogen werden sollen. Eines der wichtigsten
Verhandlungskapitel, die noch nicht abgeschlossen sind,
bezieht
sich
auf
die
Agrarwirtschaft.
Die
Schlussfolgerungen des jüngsten Europäischen Gipfels
von Brüssel schließen eine Neuverhandlung der in
Berlin vereinbarten Regelungen und der Agenda 2000
eindeutig aus. Sie bilden den Rahmen, an den wir uns
bei unseren Verhandlungen mit den Kandidatenländern
halten müssen. Die schnellstmögliche Integration in die
gemeinsame Agrarpolitik liegt im Interesse all jener
Länder - neuer wie alter Mitgliedstaaten -, die sich für
eine leistungsstarke Agrarpolitik einsetzen.
2-122
Coûteaux (EDD). – (FR) Herr Präsident, ich möchte
mich in erster Linie an Sie wenden, da ich eine
förmliche Beschwerde, die ich auch in Form eines
Antrags zur Geschäftsordnung hätte vorbringen können,
einreichen möchte. Mein Antrag bezieht sich auf
Artikel 117, in dem die Gleichstellung der Sprachen der
Union festgelegt ist. Sofern diese Gleichstellung nicht
möglich ist, wie beispielsweise auf der Anzeigetafel, ist
es seit Jahrzehnten gängige Praxis, dass zumindest die
Landessprache des Parlamentssitzes, hier in Straßburg
also das Französische, verwendet wird.
Nun kann jedoch seit gestern Nachmittag jeder
feststellen, dass auf der zusätzlichen Anzeigetafel, die
für unsere neuen Mitglieder hier im Hause angebracht
wurde, nur noch eine einzige Sprache, nämlich das
Englische, verwendet wird. Viele von uns sind darüber
empört, und zwar nicht nur Franzosen, sondern auch
Abgeordnete aller Nationalitäten, die nicht möchten,
dass Englisch zur alleinigen Sprache Europas wird.
Im Übrigen habe ich erst gestern folgenden Ausruf einer
spanischen Kollegin gehört: „Sie werden den Eindruck
haben, dass sie nicht der Europäischen Union, sondern
den Vereinigten Staaten von Amerika beitreten.“ Ich
bitte Sie um Weiterleitung dieses Protests an das
Präsidium unseres Parlaments.
Genau diese Befürchtung möchte ich übrigens hier im
Namen der neun französischen Mitglieder meiner
Fraktion, aber auch im Namen sehr vieler anderer
Kollegen, zum Ausdruck bringen. Können wir sicher
sein, dass der Beitritt zur Europäischen Union in der
Form, wie sie sich immer deutlicher abzeichnet, für die
Kandidatenländer tatsächlich einen Beitritt zu Europa
bedeutet? Können wir sicher sein, dass sie nicht im
Gegenteil ein Stück von ihrer europäischen Seele
aufgeben, die bei ihnen häufig am stärksten zu spüren
war? Können wir sicher sein, dass sie nicht zu Opfern
eines groß angelegten Täuschungsmanövers werden und
letztlich nicht bereits auf dem Weg sind, Europa zu
verlassen, um sich einem atlantischen Universum
anzuschließen, in dem alle Besonderheiten, Kulturen,
Sprachen und schließlich dieses europäische Erbe, das
ihnen wie uns anvertraut wurde, gleichgeschaltet
werden? Ihre Zugehörigkeit zu Europa bedarf keiner
Anerkennung, denn sie ist bereits seit Jahrhunderten eine
Tatsache. Uns allen sollte klar sein, dass sie auch ohne
einen Beitritt zur Europäischen Union europäische
28
Länder sind; man könnte sogar behaupten, ohne den
Beitritt wären sie sicherlich noch europäischer.
In Wahrheit geht es hier nicht um die Erweiterung
Europas, die seit ewigen Zeiten Realität ist, sondern um
die Erweiterung der Europäischen Union, also einer
Organisation, bei der es sich um etwas ganz anderes und
häufig sogar um das genaue Gegenteil handelt.
Wenn ich dies sage, lasse ich mich von der Freundschaft
zu diesen Völkern leiten, und ich spreche im Namen sehr
vieler Franzosen, die – ich glaube sogar mehrheitlich –
diese teuflischen und im Grunde totalitären Pläne für das
angebliche europäische Aufbauwerk ablehnen. Liebe
Freunde aus den osteuropäischen Ländern, ihr gebt eure
Seelen, euer Erbe, eure Kulturen, eure Freiheiten und
schließlich auch eure eigenen Interessen auf, und nichts,
meine Damen und Herren, macht das deutlicher als der
sprachliche Aspekt, auf den ich eingangs hinwies. Bei
dieser Gelegenheit möchte ich mich übrigens bei der
Kommission, die hier durch Herrn Verheugen vertreten
ist, darüber beschweren, dass die Kandidatenländer im
Februar 2002 aufgefordert wurden, während der
Beitrittsverhandlungen den gesamten Schriftverkehr in
Englisch abzufassen.
Diese Sprachenfrage ist eine Art Signal. Die
Allgegenwart des Englischen ist ein klarer Hinweis auf
die drohende Gefahr: liebe Freunde aus den
osteuropäischen Ländern, leider, leider, leider tut ihr
nichts anderes, als ein Herrschaftssystem gegen ein
anderes einzutauschen.
2-123
Der Präsident. – Vielen Dank, Herr Coûteaux.
Bezüglich Ihrer Anmerkung versichere ich Ihnen, dass
alles, was Sie gesagt haben, gemäß dem entsprechenden
Artikel der Geschäftsordnung, registriert worden ist und
von den Parlamentsdiensten geprüft wird.
19/11/2002
abzuwarten, was kein Problem darstellen würde, weil es
sich dabei, im Gegensatz zum Vertrag zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft, um einen flexiblen
zwischenstaatlichen Vertrag handelt?
Andererseits haben wir aber auch eine große Hoffnung.
Wir werden dieses neue Europa gemeinsam aufbauen.
Wenn wir die bisherige Linie beibehalten, entwickelt
sich Europa bald zu einem zentralistischen,
vereinheitlichenden Superstaat, der den nationalen
Demokratien geringschätzig gegenübersteht. Dies ist
eine ernsthafte Gefahr. Und wir haben ja erst heute
Vormittag gehört, dass einige der Ansicht sind, man
brauche nach der Erweiterung eine strengere zentrale
Abschottung, um auf die zunehmende Vielfalt
entsprechend reagieren zu können. Diese Tendenz stößt
bei vielen zukünftigen Mitgliedern und auch bei uns auf
Ablehnung. Wir wollen im Gegenteil ein neues,
vielfältiges, flexibleres, freieres und auf geachtete
nationale Demokratien ausgerichtetes Europa aufbauen.
Heute Vormittag hat ein Vertreter Lettlands seine Sorge
darüber zum Ausdruck gebracht, wie es wohl um die
Entscheidungsfreiheit seines Landes bestellt sein wird,
wenn es in einem Europäischen Parlament mit
732 Mitgliedern von nur 8 Abgeordneten vertreten wird.
Dies ist eine berechtigte Frage, die sich zahlreiche
Länder, selbst einige große, stellen sollten. Die einzige
Möglichkeit, um in Zukunft diese Aufweichung der
Demokratie und diesen Eindruck des völligen
Kontrollverlusts zu vermeiden, ist die klare Einbindung
der nationalen Parlamente in die europäische
Entscheidungsfindung,
indem
man
ihnen
ein
tatsächliches Recht zugesteht, zur Einbeziehung ihres
Landes in diese oder jene Entscheidung Ja oder Nein zu
sagen. Wenn wir dieses freiere und demokratischere
Europa verwirklichen wollen, dann müssen diejenigen,
die die Freiheit ihres Landes und ihre nationale
Demokratie und damit das wahre Europa lieben,
gemeinsam ihre Werte verteidigen.
2-124
Berthu (NI). – (FR) Herr Präsident, ebenso wie meine
Kolleginnen und Kollegen der MPF-Delegation möchte
ich die Vertreter der Staaten, die der Union bald
beitreten werden, sehr herzlich willkommen heißen. Mit
diesem Schritt kehren sie in ihre natürliche Familie
zurück, in die große europäische Familie, von der sie
durch den Kommunismus getrennt waren. In diesem
Sinne werden wir dem Bericht Brok zustimmen. Bei
dieser Gelegenheit möchte ich in einem Punkt mein
Bedauern und gleichzeitig meine Hoffnung zum
Ausdruck bringen.
Zunächst einmal halte ich es für bedauerlich, dass wir
nach dem Fall der Berliner Mauer so lange auf diesen
europäischen Zusammenschluss warten mussten, obwohl
er doch derart eng mit den Werten unserer Zivilisation
und mit unserem gemeinsamen Erbe mit christlichen
Wurzeln verknüpft ist. Zwei Länder, Rumänien und
Bulgarien, werden auch weiterhin noch einige Jahre
ausgeschlossen bleiben. Warum sollen wir aber nicht
jetzt schon auf sie zugehen, warum sollen wir ihnen
nicht jetzt schon den Beitritt ermöglichen, ohne den
Vertrag zur Europäischen Union im engeren Sinne
2-125
Tajani (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, wir stehen kurz
vor einem außergewöhnlichen Ereignis: der Geburt des
neuen Europa. Die institutionellen Reformen, deren
Verwirklichung Aufgabe des Konvents und der
Regierungskonferenz ist, nicht zuletzt um die Risiken zu
verringern und die Chancen für die Bürger zu
vergrößern, sind lediglich der letzte, entscheidende
Schritt vor der Wiedervereinigung unseres Kontinents.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir Unionsbürger
dürfen die historische Tragweite dieses Ereignisses nicht
unterschätzen.
Nach
60
Jahren
sollen
die
osteuropäischen Länder endlich zu einem neuen großen
Hauptakteur der internationalen Politik gehören. In
Wahrheit handelt es sich nicht um eine Erweiterung; wir
ziehen es vielmehr vor, von Vereinigung zu sprechen,
weil sich mit den Völkern der Union die Völker des
ehemaligen Sowjetimperiums wiedervereinen, die durch
den stalinistischen Superstaat von dem Raum der
Freiheit, des Friedens und des Fortschritts ferngehalten
wurden. Ich wünsche mir, dass sie in dem Europa von
morgen weiterhin ihre Sprache sprechen können, so wie
19/11/2002
auch wir weiterhin die unsere sprechen wollen. Sie sind
Europäer wie wir; Prag, Warschau, Budapest, und auch
Sofia und Bukarest sind ebenso europäische Städte wie
Rom, Athen, Paris, Madrid und London.
Herr Präsident, lassen Sie mich als römischer Bürger
darauf hinweisen, dass die Wurzeln Europas auch in
Istanbul, dem antiken Konstantinopel, Hauptstadt des
Oströmischen Reiches liegen. Somit sind wir bei der
Frage der Türkei. Meiner Überzeugung nach müssen wir
bis 2003 einen Termin für die Einleitung des
Beitrittsverfahrens für die Türkei festlegen. Vor diesem
Land, das zu Zeiten des Kalten Krieges viel für die
Verteidigung Europas getan hat, die Türen zu
verschließen, wäre ein Fehler, der letztendlich das
Erstarken des islamischen Fundamentalismus fördern
würde. Die türkische Demokratie hat viele Fortschritte
gemacht – mit der Abschaffung der Todesstrafe
beispielsweise –, auch wenn selbstverständlich noch
viele weitere erzielt werden müssen.
Wir Europäer haben die Pflicht, dieses Land zu
unterstützen. Wir sind verpflichtet, seinen Weg in das
zukünftige neue Europa zu fördern. Es bleibt zu hoffen,
dass von Kopenhagen ein positives Signal in dieser
Richtung kommt.
2-126
Katiforis (PSE). – (EL) Herr Präsident, Herr
Ratspräsident, Herr Kommissar! Die Erweiterung
Europas stellt uns vor die historische Frage: Wir reden
über die Erweiterung Europas, aber was genau verstehen
wir unter Europa? Ich glaube, die Europäische Union als
die Wiederherstellung einer geographischen Einheit zu
interpretieren, wäre übermäßig mechanistisch. Die
Europäische Union ist meiner Überzeugung nach die
Wiederherstellung einer historischen Realität, einer
dreitausendjährigen Geschichte, die eine neue Grundlage
für ihr weiteres Funktionieren erfordert. Alle, die in
diesen dreitausend Jahren eine Rolle spielten, haben, so
sie noch existieren, selbstverständlich ihren Platz im
heutigen Europa.
Ich unterstreiche dies, da kürzlich die Frage gestellt
wurde, ob denn die Türkei in geographischer Hinsicht
ein europäisches Land ist. Aber es kann doch nicht um
geographische Kriterien gehen. Die Türkei ist
unzweifelhaft Teil unserer Geschichte. Ich erinnere
daran, dass, als die Krise des Ottomanischen Reiches im
19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, die
europäischen Mächte den Sultan als „den kranken Mann
Europas“ bezeichneten, sie nannten ihn weder den
kranken Mann des Nahen Ostens noch den kranken
Mann Kleinasiens.
Das Hindernis für die Türkei ist nicht ihr uneuropäischer
Charakter,
sondern
es
sind
einerseits
die
Unzulänglichkeit ihrer Demokratie und andererseits ihre
expansionistische Außenpolitik. Heute gibt es
Hoffnungen an beiden Fronten. Die letzten Wahlen
vermittelten ein anderes Bild von der Türkischen
Republik. Sie zeigten, dass ein tatsächlicher und
grundlegender Regierungswechsel möglich ist. Es bleibt
29
abzuwarten, in welchem Maße dauerhafte politische
Veränderungen vorgenommen werden, die die
Demokratie in diesem Land festigen und zur Erfüllung
der Kopenhagener Kriterien beitragen. Aber wenn die
Kopenhagener Kriterien erfüllt sind, gibt es kein
weiteres Hindernis für die Türkei, Mitglied der
Europäischen Union zu werden.
Zum zweiten Punkt, der aggressiven militaristischen
Außenpolitik, gibt es auch ein Kriterium, Herr Präsident,
und zwar selbstverständlich die Lösung des
Zypernproblems, die Beendigung der Besetzung
Nordzyperns durch die türkische Armee. In dem Maße,
wie die Türkei bereit ist, auf der Grundlage des jüngsten
Plans des Generalsekretärs der Vereinten Nationen bei
der Lösung des Zypernproblems zu helfen, wie es auch
in den Entschließungen des Europäischen Parlaments
gefordert wurde, würde auch eine Umkehr im Bereich
der Außenpolitik beginnen und eine friedliche
Revolution auf diesem Gebiet stattfinden, die
insbesondere für die Türkei von sehr großem Wert wäre,
da sie es mehr als alle anderen nötig hat, endlich ihren
demokratischen Weg zu finden.
2-127
Van Hecke Johan (ELDR). – (NL) Herr Präsident! In
der heutigen Debatte ging es vor allem um die Frage,
inwieweit die Kandidatenländer bereit für den Beitritt
sind. Leider wurde die Frage, ob auch die Europäische
Union dafür bereit ist, nicht oder nur am Rande gestellt.
In der Euphorie des Augenblicks dürfen wir nicht blind
für die Probleme in verschiedenen Bereichen sein. Das
größte ist meines Erachtens nach wie vor die
Finanzierung der Erweiterung und damit inhärent
verbunden
die
Reform
der
Agrarpolitik.
Bedauerlicherweise wurde die notwendige Reform auf
2007 verschoben. Des Weiteren bedaure ich, dass den
Bauern in den neuen Mitgliedstaaten erst im Jahr 2013
dieselbe Behandlung zuteil wird wie den Landwirten der
heutigen Europäischen Union. Die jetzige EUAgrarpolitik, bei der Subventionen an die Produktion
gekoppelt werden, ist nicht zu vertreten und
inakzeptabel. Sie führt zu Überschüssen, hohen
Lebensmittelpreisen und Umweltschädigung und hat
auch fatale Auswirkungen für die Bauern in der Dritten
Welt.
Meines Erachtens müssen wir als Parlament daher
Kommissar Fischler weiterhin in seinem Streben nach
einer schnelleren und gründlicheren Reform der
Agrarpolitik mit einer Neuausrichtung der Subventionen
auf die ländliche Entwicklung und in Richtung der neuen
Mitgliedstaaten unterstützen. Wir müssen unbedingt ein
Europa der zwei Geschwindigkeiten verhindern: ein
Europa der reichen Länder der heutigen Union, die
krampfhaft an ihren Privilegien festhalten, und eines der
armen Länder der neuen Mitgliedstaaten, die zwar
dieselben Pflichten, aber leider nicht dieselben Rechte
haben.
2-128
Modrow (GUE/NGL). – Herr Präsident, die
außerordentliche Aussprache hat die Vielschichtigkeit
der Sichtweisen und der Probleme im Prozess der
30
Erweiterung der Europäischen Union und ihrer künftigen
Gestaltung noch sichtbarer gemacht. Manches wird so
gesehen, wie es der Fortschrittsbericht zeigt, aber vieles
wird kritischer betrachtet, als es im Bericht geschieht. Es
gab auch manche Töne, die nicht unkritisch zu
betrachten sind. Auch wer Jalta und Potsdam einfach
und pauschal in Frage stellt, sollte wissen, was er tut,
wenn es um die Grenzen in Europa geht. Es ist vielleicht
kein Beinbruch, wenn es jetzt eine Aussage zum
Verschieben des Termins des Beitritts gibt. Aber wenige
Wochen
danach
finden
die
Wahlen
zum
Europaparlament statt, und die Ergebnisse des Konvents
werden von den Fünfzehn allein beschlossen.
Die Terminverschiebung hat doch vor allem inhaltliche
Gründe. Die noch zu lösenden Probleme sind kniffliger
als angenommen. So erwarten Polen und andere Staaten,
dass die Agrarförderung neu überdacht und die
Gleichstellung nicht erst 2013 erreicht wird.
Befürchtungen, dass eine Union der ersten und der
zweiten Klasse entstehen könnte, sind nicht überwunden.
Das ist die natürliche Reaktion darauf, dass von den
Kandidaten größtes Entgegenkommen gefordert wird,
während die notwendigen Übergangsfristen kaum
ausgehandelt wurden.
Kommissar Verheugen hat verständliche Komplexe,
wenn er den Parlamentariern 6000 Seiten an Text zur
Bestätigung des Beitritts zumutet. Wir sollten uns aber
vielmehr fragen, was wir den Bürgern der künftigen
Union zumuten, wenn es um diese Zahl geht. Die
Parlamente, die nationalen wie unseres, sind gefordert,
den Finger in die Wunden zu legen und ein solches
Herangehen zu fordern, das Stabilität und Gleichheit
sichert und verhindert, dass wir uns schließlich in
ausweglosen Kreisen wiederfinden könnten.
2-129
Mayol i Raynal (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident,
meines Erachtens haben wir heute Vormittag, wie alle
meine Kollegen bereits betont haben, in der Tat einen
historischen Augenblick erlebt, als wir unsere
Kolleginnen und Kollegen aus den Kandidatenländern
empfangen haben. Ich möchte hier eine kleine Frage
ansprechen, das Dolmetschen. Die Anzahl der
Amtssprachen wurde von elf auf 20 erhöht, was einen
beachtlichen Fortschritt darstellt. Ich beglückwünsche
die Dolmetscherdienste, die diese Übersetzungsarbeit
trotz schwieriger technischer Bedingungen gemeistert
haben. Als Katalane würde ich mir für die Zukunft
wünschen, dass auch meine Sprache, die von zehn
Millionen europäischen Bürgern gesprochen wird, hier
im Hause offiziell anerkannt wird. Diese Anmerkung sei
mir im Zusammenhang mit dem Bericht Brok erlaubt.
Dieser Bericht weist darauf hin, dass eines der Kriterien
von Kopenhagen die Kandidatenländer zum Schutz der
Minderheiten und insbesondere der nationalen
Minderheiten verpflichtet, und er zählt einige der von
den Beitrittsländern bereits erzielten Fortschritte auf.
Dies begrüßen wir sehr.
19/11/2002
Der Bericht verschweigt jedoch einige Schwierigkeiten.
Ich weiß beispielsweise, dass die Verwaltungsgliederung
in einigen Beitrittsländern zu Lasten der nationalen
Minderheiten vorgenommen wurde, und in einigen
dieser Länder wurden die Bedingungen für die
Gründung von politischen Parteien in einer Weise
festgelegt, dass Minderheiten überhaupt keine Partei
gründen könnten. Und schließlich stellt sich das Problem
der Beneš-Dekrete, aufgrund derer eben diese
Minderheiten im Jahre 1945 widerrechtlich enteignet
wurden, eine schreiende Ungerechtigkeit, die auch heute
noch aktuell ist und eines Tages wieder gut gemacht
werden muss. Ja, Herr Präsident, bevor wir anderen
Lektionen erteilen, müssen wir erst einmal unser eigenes
Vorgehen in Frage stellen. Wenn ich von „uns“ spreche,
so meine ich die Mitgliedstaaten. Kann beispielsweise
ein Staat, der bis heute die Ratifizierung der
Europäischen Sprachencharta verweigert, in die
Europäische Union aufgenommen werden? Diese und
viele andere Fragen könnte man sich stellen, und daher
bin ich der Ansicht, dass wir die Kopenhagener Kriterien
mit gewisser Nachsicht auslegen und die Tore zu
unserem Europa weit öffnen sollten.
2-130
Der Präsident. – Vielen Dank. Ihre Anmerkungen
wurden registriert.
2-131
Borghezio (NI). – (IT) Herr Präsident, wir haben nicht
mit Kritik an der Erweiterung gespart und haben oft,
auch im Plenum des Europäischen Parlaments,
Besorgnis wegen der sich daraus für den Arbeitsmarkt
ergebenden Probleme – mit dem Risiko eventuell sehr
folgenschwerer Störungen des KMU-Systems in
Padanien – und wegen der von dem Bericht Brok positiv
aufgegriffenen Befürchtungen bekundet, in einigen
dieser Länder könnten aufgrund des Fehlens
entsprechender Rechtsvorschriften und aufgrund der
politischen Traditionen keine, oder keine ausreichenden,
Voraussetzungen für die Schaffung wirksamer
Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung der
Finanzkriminalität
und
mafiöser
Erscheinungen
bestehen. Gleichwohl wollen wir diese Gelegenheit
ergreifen,
um
jenen
freien
Völkern
einen
Willkommensgruß zu entbieten und eine brüderliche
Hand zu reichen, die sich ihre kulturelle Identität auch in
den schrecklichen Jahren der kommunistischen Hölle
bewahrt haben und nun der Union beitreten, wie auch
wir beigetreten sind, d. h. gewiss nicht, um nach so
vielen Jahren der Diktatur das Diktat der weltweiten
Anerkennung, der political correctness zu akzeptieren
oder unter einen neuen Zentralismus zu geraten. Wir
zählen auf ihre Unterstützung in diesem Kampf, um mit
ihnen gemeinsam den christlichen Charakter des
Europas der Völker und Regionen, das wir aufbauen
wollen, verteidigen zu können.
Was das überaus heikle Thema Türkei anbelangt – das in
dieser gesamten Debatte wieder und immer wieder unter
der Oberfläche auftaucht –, so möchten wir den Mut von
Präsident Giscard d'Estaing nachdrücklich hervorheben,
denn er hat einen Stein in den Teich der oftmals
übervorsichtigen Diskussion über die europäische Politik
19/11/2002
geworfen, indem er klar und deutlich ausgesprochen hat,
wie die Lage ist, die wir alle kennen und wie sie in
sämtlichen Geschichtsbüchern nachzulesen ist, nach
denen alle Schüler aller europäischen Länder gelernt
haben, nämlich dass die Türkei nicht zu Europa gehört –
weder historisch noch geografisch noch politisch – und
die
in
Kopenhagen
festgelegten
politischen
Beitrittskriterien im Bereich der Menschenrechte, der
Grundfreiheiten und sogar der religiösen Freiheit nicht
erfüllt. Es handelt sich um ein Land, um ein Regime, das
weder das historische Problem der Vernichtung, des
Massenmords am armenischen Volk aus der Welt
geschafft noch Fortschritte hinsichtlich der Anerkennung
der Rechte der kurdischen Minderheit gemacht hat; ein
Land, das zu Recht, mit allem Respekt und dem
gebotenen Anstand als eine Art „Kolumbien im
Mittelmeerraum“ bezeichnet werden kann, welches eine
der gefährlichsten, den Drogenhandel auf internationaler
Ebene steuernden Mafiaorganisationen beherbergt.
Mit anderen Worten, wir sind der Ansicht, dass eine
politische Union mit der Türkei ausgeschlossen ist, auch
weil der EU-Beitritt der Türkei für die Europäische
Union bedeuten würde, dass sie unmittelbar an Irak, Iran
und Syrien grenzen würde.
2-132
Ferber (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Ratspräsident
- den Kommissar hätte ich auch gerne begrüßt -, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich nur auf ein
Thema konzentrieren, das gerade schon angesprochen
wurde, aber ich möchte es in deutlich anderer Form
ansprechen. Ich denke, wir müssen uns als Europäisches
Parlament seriös die Frage stellen: Wie wollen wir
dauerhaft mit einem so wichtigen Land wie der Türkei
umgehen? Ich denke, wir müssen hier ein paar Fragen
sehr seriös beantworten. Die erste Frage lautet: Wollen
wir wirklich Jahr für Jahr über die Fortschrittsberichte
der Türkei einen Spiegel vorhalten und ihr sagen, tut uns
leid, ihr seid noch nicht so weit? Wollen wir dauerhaft
mitmachen, dass die gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union dadurch ein
Handicap hat, dass wir auf NATO-Ressourcen nicht
zurückgreifen können, weil das als Erpressungspotenzial
der Türken genutzt wird? Haben wir nicht vielmehr die
Aufgabe, Antworten zu finden auf die Frage, wie wir
heute schon, vor einer Mitgliedschaft oder unterhalb der
Möglichkeit einer Vollmitgliedschaft zur Europäischen
Union, dazu beitragen können, als Europäische Union
besondere Beziehungen mit der Türkei aufzubauen, um
all die Fragen, die wir gemeinsam zu beantworten haben,
ganz konkret im Bereich der Außen- und
Sicherheitspolitik seriös angehen zu können?
Deswegen ist meine Bitte an die Kolleginnen und
Kollegen, sich sehr ernsthaft mit dieser Fragestellung
auseinander zu setzen und vielleicht dann doch dem
Antrag der EVP stattzugeben und ihm zuzustimmen, der
genau dies zum Inhalt hat. Es ist der Änderungsantrag
Nr. 7, der besagt: Wir müssen jetzt beginnen, eine
spezielle Beziehung mit der Türkei aufzubauen, um all
die gemeinsamen Probleme auch gemeinsam lösen zu
können. Wir sollten nicht warten, bis die Türkei
31
irgendwann in der Lage ist, aufgrund ihrer
Menschenrechtssituation, ihrer demokratischen Situation
usw. auch seriös als Beitrittskandidat angesehen zu
werden. Ich würde mich freuen, wenn dieses Haus sich
diesem dringenden Anliegen anschließen würde, damit
wir zu guter Zusammenarbeit in diesem wichtigen
Teilraum Europas kommen.
2-133
Lalumière (PSE). – (FR) Herr Präsident, heute
Nachmittag kommen wir hier als Vertreter der
Mitgliedstaaten zusammen, aber wir beschäftigen uns
natürlich
vor
allem
mit
den
befreundeten
Beitrittsländern. Die Zusammenkunft von heute
Vormittag stellt ein schönes und sehr positives Symbol
dar. Unsere Tätigkeit ist jedoch noch nicht
abgeschlossen. Wie wir alle hoffe auch ich, dass die
Verhandlungen in den nächsten Wochen zum Abschluss
kommen und von Erfolg gekrönt sein werden. In diesem
Zusammenhang bedauere ich, dass die finanziellen
Fragen so breiten Raum einnehmen. Ich möchte
keineswegs der Verschwendung das Wort reden, denn
unüberlegtes Geldausgeben liegt mir fern, aber unsere
Regierungen und wir selbst müssen uns großzügig und
vorausschauend zeigen. „Realpolitik“ ist nicht unbedingt
ein Synonym für Geiz, aber allzu geringe Budgets
können den Reformprozess in Mitteleuropa verzögern,
was uns später möglicherweise teuer zu stehen kommen
könnte.
Der Beitritt unserer Freunde wird nicht das Ende aller
Schwierigkeiten bedeuten. Meine Hauptsorge gilt den
öffentlichen Meinungen und der Geisteshaltung beider
Seiten. So bleibt etwa bei uns noch einiges zu tun, damit
unsere Mitbürger den tieferen Sinn der Erweiterung der
Union verstehen. Momentan beschäftigen sie sich vor
allem mit kleinlichen Rechnereien, und am Ende sieht
man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. In den
Kandidatenländern fürchte ich, dass eine gewisse
Verwirrung darüber Fuß fasst, was die Europäische
Union denn genau ist, welche grundlegenden Ziele sie
verfolgt und wie sie sich das Zusammenleben unter
tatsächlicher Abtretung von Souveränitätsrechten
vorstellt. Für Länder, die leidenschaftliche Verfechter
ihrer Unabhängigkeit und Freiheit sind, bedeutet die
Mitgliedschaft in der Europäischen Union einen
gewaltigen
Sprung,
wenngleich
er
äußerst
gewinnbringend ist – ich zähle nicht zu den
Euroskeptikern. Ich bedauere es, dass dieser Aspekt im
Rahmen der auf die Kopenhagener Kriterien
ausgerichteten Verhandlungen etwas vernachlässigt
wurde, da man sich bisher im Wesentlichen mit den
technischen und vor allem wirtschaftlichen Fragen
beschäftigt hat. Nach dem Beitritt muss diese
Erklärungs- und Überzeugungsarbeit jedoch innerhalb
der gesamten erweiterten Union fortgeführt werden.
Wie Kommissar Verheugen vorhin selbst angemerkt hat,
geht es beim Erweiterungsprozess nicht nur um
technische Fragen, sondern er hat auch eine Seele.
2-134
Väyrynen (ELDR). – (FI) Herr Präsident, mit der
Erweiterung der Europäischen Union verlängert sich
32
unsere gemeinsame Grenze mit Russland, und wir
bekommen eine Reihe neuer Nachbarn hinzu. Und auch
unsere neuen Nachbarn werden sich vermutlich bald um
eine Mitgliedschaft bewerben und die Erweiterung wird
sich fortsetzen.
Uns allen ist sehr wichtig, dass unsere Außengrenze
sowohl offen als auch sicher ist. Es dürfen in Europa
keine neuen Barrieren errichtet werden, die das
Miteinander und die Zusammenarbeit mit anderen
Ländern verhindern. Auch gilt es, die wirtschaftlichen
und sozialen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten
und unseren Nachbarländern auszugleichen. Dies ist von
besonderer Wichtigkeit für jene Mitgliedstaaten, die an
den Außengrenzen der Union liegen.
Mit dem Fortschreiten der Erweiterung müssen wir eine
neue Politik für ein größeres Europa schaffen, eine
Politik, die sowohl die bilateralen Beziehungen zu
unseren heutigen und den künftigen Nachbarn als auch
die Entwicklung der multilateralen Zusammenarbeit,
beispielsweise im Rahmen des Europarates oder der
OSZE, umfasst.
Heute Vormittag haben sich einige Mitglieder des
Europäischen Parlaments bemüht, die Abgeordneten aus
den neuen Mitgliedstaaten dahingehend zu belehren,
dass sie bereit sein müssten, Souveränitätsrechte ihrer
eigenen Staaten aufzugeben und zu akzeptieren, dass
sich die Union zu einem multinationalen Bundesstaat
entwickelt. Ich schließe mich diesen Auffassungen nicht
an. Eine sich erweiternde Union muss ein
demokratisches Bündnis souveräner Staaten sein,
welches
von
einem
die
Mitgliedstaaten
repräsentierenden Ministerrat geführt wird.
2-135
Alavanos (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident, wir
erleben sicher einen bedeutenden Moment. Dies ist eine
wichtige Sitzung, ein Bericht des Ausschusses für
auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik mit
vielen positiven Elementen und ein außerordentlich
bedeutender Augenblick für eines der Kandidatenländer,
für Zypern.
Ich denke, es könnten sich positive Perspektiven
eröffnen, es bleibt jedoch noch einiges zu klären. Ich
habe zwei Fragen. Eine richtet sich an den
Ratspräsidenten, Herrn Haarder: Herr Ratspräsident, es
gibt zwei parallele Prozesse, den Beitrittsprozess und
den Prozess für eine Lösung auf der Grundlage des
Vorschlags des UN-Generalsekretärs, der den
Kopenhagener Gipfel als einen Wendepunkt nutzt und
die Bedingung stellt, dass beide Seiten den Originaltext
seines Vorschlags unterzeichnen. Als Termin für eine
mündliche Antwort hatte er das gestrige Datum gesetzt.
Es gab eine positive Antwort seitens der Republik
Zypern, von türkisch-zyprischer Seite jedoch liegt keine
Antwort vor, vielleicht weil Herr Denktasch krank ist.
Meine Frage ist, ob uns der Ratsvorsitz bei einem
Andauern dieser Situation, das heißt, wenn die Antwort
der türkisch-zyprischen Seite weiter ausbleibt und der
19/11/2002
ungewisse Zustand anhält, versichern kann, dass auf
dem Gipfeltreffen von Kopenhagen gemäß den
Beschlüssen von Helsinki als Erstes der Beschluss über
den Beitritt der Republik Zypern gefasst wird?
Die zweite Frage richtet sich an Herrn Verheugen, der
nicht hier ist, was sehr ungewöhnlich erscheint, da er
sonst unsere Sitzungen sehr aufmerksam verfolgt. Ich
hoffe, dass ihm sein Kollege meine Frage übermittelt.
Der Annan-Vorschlag, der verschiedene interessante
Elemente enthält, sieht quantitative Beschränkungen
hinsichtlich des Niederlassungsrechts, des Rechts auf
Eigentum sowie des aktiven und passiven Wahlrechts
für die Bürger beider Seiten vor, die für immer und nicht
nur für eine Übergangszeit gelten sollen. Für immer!
Das wäre eine Verletzung des gemeinschaftlichen
Besitzstandes. So hätte ein Finne im griechischzyprischen Teil – wenn wir so wollen – mehr Rechte als
ein türkischer Zyprer und ein Portugiese im türkischzyprischen Teil mehr Rechte als ein griechischer Zyprer.
Das
verstößt
eindeutig
gegen
den
Acquis
communautaire. Gedenkt die Kommission – und hier
hätte ich gern eine Antwort von Herrn Verheugen, wenn
er kommt –, auf konstruktive und positive Weise zu
intervenieren, damit die Lösungen des AnnanVorschlags dem gemeinschaftlichen Besitzstand
entsprechen und nicht im Widerspruch dazu stehen?
2-136
Evans, Jillian (Verts/ALE). – (EN) Herr Präsident, ich
hatte in den vergangenen drei Jahren die Ehre, im
Gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Litauen
mitzuarbeiten, in dem wir uns mit einigen schwierigen
Problemen beschäftigen mussten, die bereits erwähnt
wurden, so dass ich sie nicht wiederholen werde.
Die Entschlossenheit, mit der die Kandidatenländer an
deren Überwindung gegangen sind und nach positiven
Lösungen gesucht haben, hat zu beeindruckenden
Resultaten geführt. Für ein kleines Land wie das von mir
vertretene Wales ist es zudem wichtig, dass zahlreiche
andere kleine Länder hier im Europäischen Parlament
eigenständig vertreten sein werden. Die Fraktion der
Grünen/Freie Europäische Allianz wünscht sich ein
Europa, in dem diese kleinen Länder und Regionen eine
wichtige Rolle spielen und wo Länder wie Wales
irgendwann einmal die gleichen Rechte haben werden
wie unsere Freunde aus den zehn Kandidatenländern. Sie
müssen gewährleisten, dass die Rechte von
Minderheiten geachtet und weitere Schritte zur
Regionalisierung unternommen werden. Europa wird
vielfältiger, und zwar nicht nur in wirtschaftlicher und
sozialer, sondern auch in sprachlicher, kultureller und
politischer Hinsicht, und das begrüßen wir. Wir müssen
uns für ein wahres Europa der Bürger einsetzen, in dem
jeder die gleichen Rechte und die gleiche Achtung
genießt.
2-137
Kronberger (NI). – Herr Präsident! In Ziffer 46 des
Berichts wird gefordert, dass vor Abschluss der
Beitrittsverhandlungen die Arbeitsgruppe des Rates für
nukleare Sicherheit dem Europäischen Parlament über
die Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen für Temelin
19/11/2002
berichten muss. Diese Forderung ist richtig und wichtig,
denn die Betreiber erfüllen derzeit nicht einmal die
wesentlichen, minimalen Sicherheitsvorgaben, wie die
Sanierung der viel diskutierten 28,8 Meterbühne. Die
viel kritisierte Qualität von unsicheren Ventilen wurde
ebenfalls nicht verbessert. Die Leitungen haben nach wie
vor keine zweite Schutzschicht, wie dies europäischer
Standard wäre. Die erste Schutzschicht ist jedenfalls
nicht ausreichend.
Damit erfüllt das Atomkraftwerk Temelin keinesfalls die
Auflagen der Ratsarbeitsgruppe, wie dies im Melker
Prozess vereinbart wurde. Wenn darauf nicht geachtet
wird, kann man auch den von der Kommission am
Beginn dieses Monats getätigten Anlauf, neue
Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke zu schaffen,
bereits jetzt als fehlgeschlagen betrachten.
2-138
Gomolka (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr
Kommissar, Herr Ratspräsident, verehrte Kolleginnen
und Kollegen aus diesem Parlament und aus den
Kandidatenländern! Erlauben Sie mir, mit besonderer
Herzlichkeit die lettischen Kollegen zu begrüßen, die
Anfang Oktober dieses Jahres in das neue Parlament
ihres Landes gewählt wurden. Ich begrüße sie deswegen
so herzlich, weil ich mich seit Jahren mit ihren
Bemühungen, mit ihrer Arbeit sehr verbunden fühle.
An Tagen wie heute stelle ich mir die Frage - und
sicherlich nicht nur ich -, was mich am
Erweiterungsprozess in den vergangenen Jahren
besonders beeindruckt hat. Unter den sehr vielen
beachtlichen Leistungen wird eine nur sehr selten
gewürdigt. In vielen Berichten der Kommission oder des
Parlaments
findet
sich
ein
kurzer,
aber
bedeutungsschwerer Satz - ein Satz, der selten
kommentiert wird, bei dem Bedeutung und Beachtung
weit auseinander klaffen, manchmal sogar in einem
Missverhältnis zueinander stehen. Dieser Satz lautet
ganz lapidar - und das trifft für alle zehn
Kandidatenländer zu: „Die politischen Bedingungen für
den Beitritt werden erfüllt.“ Das heißt, das erste und für
mich
wichtigste
in
Kopenhagen
formulierte
Beitrittskriterium stellt kein Hindernis dar.
Ich halte diese fundamentale Feststellung nicht für eine
Selbstverständlichkeit. Wir sollten allen Kolleginnen
und Kollegen in den Parlamenten und Regierungen der
Kandidatenländer unsere Anerkennung dafür zollen,
dass sie auch in schwierigen Situationen an
demokratischen Prinzipien festgehalten haben. Die
Pflege demokratischer Beziehungen ist keine
Selbstverständlichkeit in Zeiten des Umbruchs und der
Neuorientierung, in Zeiten enormer wirtschaftlicher
Probleme
und
radikaler
Änderungen
der
Lebensumstände.
Nach
Jahrzehnten
der
Zwangsherrschaft haben die Bürger demonstriert, was
politische Priorität sein muss: Demokratie und Freiheit
haben Vorrang; sie müssen behütet und geschützt
werden.
2-139
33
Lund (PSE). – (DA) Herr Präsident, wir stehen an einer
wichtigen Wegscheide der europäischen Geschichte. Ich
glaube, wir alle haben während der Sitzung am
Vormittag ein angenehmes Rauschen vernommen. Ab 1.
Mai 2004 wird die Gemeinschaft nicht weniger als 25
Länder umfassen. Fast ganz Europa wird jetzt zu einer
Gemeinschaft
zusammengeschlossen.
Zehn
Beitrittsländer haben ihre Vorbereitungen auf die
Mitgliedschaft im Wesentlichen abgeschlossen. Das war
ein anstrengender und oft schmerzhafter Prozess für
diese Länder. Sie müssen noch die verwaltungsmäßigen
und juristischen Kapazitäten aufbauen, die notwendig
sind, um die Rechtsnormen der EU rein praktisch
durchzuführen und einzuhalten, u. a. in den Bereichen
Landwirtschaft, Lebensmittelrecht und Umwelt. Das gilt
auch für die regionale und örtliche Ebene.
Ich halte es u. a. für wichtig, dass die Forderungen nach
einer Integration von Umwelt und Gesundheitsschutz
jetzt in allen Sektoren wirklich eingehalten werden. Das
gilt nicht zuletzt im Agrarbereich und für die
Entwicklung der Infrastruktur. Dies ist eine Forderung,
die nicht nur bis zur Aufnahme der neuen Länder
Gültigkeit hat, sondern in höchstem Maße auch danach
gilt. Innerhalb des kürzlich auf dem Gipfeltreffen im
Oktober in Brüssel festgelegten Rahmens müssen die
Beitrittsbedingungen jetzt für jeden einzelnen neuen
Mitgliedstaat abschließend festgelegt werden. In den
Verhandlungen sind in erster Linie Flexibilität sowie
Solidarität sowohl mit den Antragsländern als auch unter
den Mitgliedstaaten untereinander erforderlich. Wir
müssen dafür sorgen, dass den neuen Mitgliedstaaten
faire Wettbewerbsbedingungen zugesichert werden,
damit ihr Beitritt zur EU zu einer positiven Entwicklung
ihres Wohlstands führen kann. Und ich sage das auch,
weil diese wichtige Erweiterung nur durch eine positive
und überzeugende Unterstützung der Bürger in den
kommenden Volksabstimmungen ihre wirkliche
Bedeutung erlangen kann. Ich bin davon überzeugt, dass
die dänische Präsidentschaft und Herr Kommissar
Verheugen über die Flexibilität und die solidarische
Einstellung verfügen, die es möglich machen, in
Kopenhagen den endgültigen Aufnahmebeschluss für
jedes einzelne Land zu treffen – wenn nicht am 12., dann
am 13. Dezember.
2-140
van den Bos (ELDR). – (NL) Herr Präsident! Die
jüngere Generation kann sich kaum noch vorstellen, dass
Europa einst ein zerrissener Kontinent und permanent
von einem Ost-West-Konflikt bedroht war. Die
Bevölkerung Mitteleuropas hat selbst den Stacheldraht
zerschnitten, und seitdem haben die Kandidatenstaaten
beeindruckende Fortschritte erzielt. Dennoch dürfen wir
nicht unterschätzen, wie viel in Bereichen wie gute
Staatsführung, Korruption, Menschenhandel und
Minderheiten noch zu tun bleibt. Die heutige Feier läutet
den Start des Endspurts ein, aber das Finale findet erst in
zwei Jahren statt. Es ist enttäuschend, dass manche
Parteien, wie die VVD in den Niederlanden, die
Erweiterung nutzen, um Wähler zurückzugewinnen,
indem sie auf Angstgefühle der Bürger setzen. Diese
werden unzureichend informiert. Verantwortliche
34
19/11/2002
Politiker weisen nicht nur auf die Probleme, sondern
auch auf die großen Vorteile der Erweiterung hin.
Populismus ist die neue Epidemie, die mit liberalen
Mitteln bekämpft werden muss und nicht angefacht
werden darf. Die Europäische Union ist selbst nicht in
der Lage, sich eingehend auf die Erweiterung
vorzubereiten. Das sehr engstirnige nationale
Eigeninteresse Frankreichs verhindert die Durchführung
der Agrarreformen. Darüber hinaus droht eine neue
Spaltung Europas, auch in diesem Parlament, über die
Frage des Beitritts der Türkei. Die Einladungen sind
bereits verschickt, weder Giscard noch der Papst können
sie nunmehr aus dem Briefkasten fischen, aber es ist
noch zu früh, um ein Datum für die Aufnahme der
Verhandlungen festzulegen. Wir wollen nicht unsere
Kräfte mit einem Land vereinen, in dem noch gefoltert
wird. Für die kommenden Generationen liegen die
größten Bedrohungen außerhalb des Kontinents; hier
scheint der Frieden gesichert zu sein.
2-141
VORSITZ: GÉRARD ONESTA
Vizepräsident
2-142
Krarup (GUE/NGL). – (DA) Herr Präsident, ich hatte
in diesem Hause oft Gelegenheit, das hervorragende
norwegische Handbuch für Gebirgswanderer zu zitieren.
Ein äußerst wichtiger Rat lautet schlicht und einfach,
dass man sich bei mangelnder Übereinstimmung
zwischen Karte und Landschaft an der Landschaft
orientieren soll. Es gibt viele Beispiele dafür, dass diese
grundsätzliche Regel von diesem Parlament – und auch
von der Europäischen Union insgesamt – nicht beachtet
wird. Man bewegt sich in einer Welt der Illusionen, und
das deutlichste Beispiel dafür erlebe ich in dieser
Debatte.
Keines der grundlegenden Probleme der so genannten
Osterweiterung ist gelöst. Einerseits besteht kein Zweifel
daran, dass die wirtschaftlichen Gegebenheiten dazu
führen werden, dass man auch in Zukunft an der
langjährigen
Tradition
der
westeuropäischen
Ausbeutung unserer osteuropäischen Nachbarn aufgrund
von Unterschieden in den Entlohnungs- und
Kapitalbedingungen usw. festhalten wird. Andererseits
ist die laufende Anpassung ein Anzeichen dafür, dass
Bedarf an einer Infrastruktur besteht – mein Landsmann
Torben Lund ist darauf eingegangen –, die noch lange
nicht vorhanden ist. Das, was alles gebraucht wird, ist
einfach nicht realisierbar. Ich möchte noch hinzufügen,
dass unser ausgezeichneter Europaminister ein
hervorragender Liederschreiber ist, aber diese Fähigkeit
reicht in diesem Zusammenhang nicht aus.
2-143
Isler Béguin (Verts/ALE). – (FR) Herr Präsident, Herr
Kommissar! Dies ist ein außergewöhnlicher Tag für die
Völker Europas, denn wir gestalten friedvoll einen
Erweiterungsprozess,
ja
einen
Wiedervereinigungsprozess, der im vergangenen
Jahrhundert noch undenkbar gewesen wäre. Dies ist ein
einzigartiger Augenblick und eine Chance für uns alle,
für die derzeitigen und die künftigen Unionsmitglieder,
denn die Geschichte und die Vielfalt Europas stehen für
die Grundwerte unserer Gesellschaft.
Europa steht an einem Scheideweg. Wenn es
bevölkerungsreicher, einflussreicher und solidarischer
wird, kann es noch zu einer Veränderung der
Weltordnung beitragen. Sofern dieses Europa die
erforderliche Kraft und den Mut hat, ist es in der Lage,
den Menschen in den Mittelpunkt des Weltgeschehens
zu stellen und die soziale und ökologische Dimension in
all ihre Entscheidungen einzubeziehen. Das Vorhaben
der nachhaltigen und solidarischen Entwicklung muss
als Zielvorgabe der Union bekräftigt werden.
Gemeinsam werden wir erfolgreich sein. Europa wird
das sein, was wir daraus machen: eine mittelmäßige
Macht, die in den Egoismen einzelner Nationen
gefangen ist, die den Beitrittsländern lediglich
25 Milliarden Euro bewilligt haben, während es beim
Marshall-Plan 97 Milliarden waren, oder aber eine
Union, die sich für ihre politischen, sozialen und
umweltpolitischen Ziele einsetzt.
Ich persönlich glaube an die Zukunft, die wir gerade
aufbauen, insbesondere angesichts der gewaltigen
Anstrengungen von Seiten der Kandidatenländer. Nun
liegt es an uns, ob wir unseren Worten auch Taten folgen
lassen.
2-144
Pirker (PPE-DE). – Herr Präsident, Herr Kommissar!
Ich möchte mich nur mit dem Thema der inneren
Sicherheit befassen, weil diese Sicherheit ein sehr hohes
Gut für uns darstellt, für die Bürger der Europäischen
Union genauso wie für den Wirtschaftsstandort
Europäische Union. Eines unserer Ziele bei der
Erweiterung muss sein, ein Mehr an Sicherheit zu
gewinnen durch eine gemeinsame Strategie, durch eine
gemeinsame Politik im Kampf gegen Korruption,
internationales Verbrechen, illegale Einwanderung usw.
Die Kandidatenländer, und zwar alle, haben im
Vorbereitungsprozess
enorme
Anstrengungen
unternommen, um die innere Sicherheit auf einen hohen
Standard zu bringen. Die Europäische Union hat sie
dabei tatkräftig mit Programmen unterstützt. Die
Kommission prüft alljährlich, welche Fortschritte zu
verzeichnen sind. Einige haben große Fortschritte erzielt,
aber andere haben leider auch noch Defizite
aufzuarbeiten.
Ich möchte, ohne Länder zu nennen, einige dieser
Defizite aufzeigen. Einmal steht hier im Bericht: „Zur
Bekämpfung
der
Korruption
und
der
Wirtschaftskriminalität, die nach wie vor Anlass zu
ernster Sorge geben, sind verstärkte Anstrengungen
erforderlich.“ Oder: Es gibt noch Defizite bei der
Rechtsangleichung im Bereich der Geldwäsche oder
beim Schutz der finanziellen Interessen. Weiter heißt es,
dass besondere Aufmerksamkeit der Bekämpfung von
Drogen und Schmuggel, von Betrug, Korruption und
organisierter Kriminalität zu widmen ist, oder dass die
Anstrengungen gegen organisierte Kriminalität zu
verstärken sind.
19/11/2002
Das sind ganz konkrete Anhaltspunkte, die zeigen, wo
einzelne Kandidatenländer noch enorme Anstrengungen
vor sich haben.
Ich richte heute, da auch Repräsentanten der
Kandidatenländer da sind, den Appell an Sie alle, alles
zu unternehmen, damit die noch bestehenden Defizite
beseitigt werden und auch die erweiterte Union eine
Sicherheitsunion bleibt.
Ich bin mir sicher, dass Sie bei all der Unterstützung, die
Sie erhalten, tatsächlich diese Defizite aufarbeiten
werden und die Ziele erreichen können. Es wäre im
Interesse von uns allen.
35
weiß, dass Herr Denktasch noch immer sehr krank ist,
aber es muss eine Möglichkeit geben, Zustimmung zu
diesem Plan als Verhandlungsgrundlage zu signalisieren.
Ich weiß, dass die Mehrzahl der türkischen Zyprer an
einer positiven Reaktion interessiert ist.
Zweitens fordere ich Sie auf, den von der Fraktion der
Liberalen und Demokratischen Partei Europas
vorgelegten Änderungsantrag 24 zu unterstützen, in dem
die Umwandlung des Beitrittskontrollprozesses zu einem
für sämtliche – alte und neue – Mitgliedstaaten
geltenden System der gegenseitigen Peer Reviews
gefordert wird. Dies würde die Durchsetzung der
demokratischen Kontrolle, der Integrität der öffentlichen
Verwaltung, der Nichtdiskriminierung, der bürgerlichen
Freiheiten und der Rechtsstaatlichkeit gewährleisten.
2-145
Berger (PSE). – Herr Präsident, sehr geehrter Herr
Ratspräsident, sehr geehrter Herr Kommissar! Ich hatte
gemeinsam mit dem Kollegen Oostlander die Ehre, den
Beitrittsprozess aus der Sicht des Ausschusses für die
Grundfreiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und
innere Angelegenheiten zu verfolgen, und das nun schon
über viele Jahre. Was jetzt noch zu tun bleibt, wird im
schriftlichen Bericht gesagt. Was ich hier im
Unterschied zum Kollegen Pirker betonen möchte, ist
der enorme Fortschritt, den alle Beitrittskandidaten auf
diesem ebenso weiten wie schwierigen Gebiet erzielt
haben - auch dank der Unterstützung durch die
Kommission und unserer Mitgliedstaaten: Die
Abschaffung der Todesstrafe, die zumindest in den
Gesetzen einiger Beitrittskandidaten noch vorhanden
war,
die
Diskriminierung
der
verschiedenen
Minderheiten,
zum
Beispiel
der
russischen
Minderheiten, die jetzt bessere Integration der RomaMinderheiten, der Aufbau einer demokratischen Polizei
und demokratischer Strafverfolgungsbehörden sowie
anderer wichtiger Behörden im Sektor Justiz und
Verwaltung und vieles andere mehr ist in einer wirklich
beispiellosen Anstrengung gelungen.
Das gilt für alle Kandidatenstaaten, sicher, zum Teil in
unterschiedlichem Ausmaß, aber im Besonderen gilt es
auch für die Republik Tschechien, die mir besonders am
Herzen liegt. Umso bedauerlicher ist es für mich, dass
von der gegenwärtigen österreichischen Regierung
keinerlei Anerkennung dessen kommt, was an Positivem
erreicht wurde, und dass zumindest eine unserer
Regierungsparteien versucht, im laufenden Wahlkampf
mit antitschechischen Parolen noch etwas für sich zu
erreichen. Dabei steht natürlich wiederum die
Vergangenheit im Mittelpunkt. Ich hoffe, dass wir nach
den Wahlen am Sonntag in Österreich eine Regierung
haben werden, die die gemeinsame Zukunft der
Republik Tschechien und Österreichs in den Mittelpunkt
stellt und die weder der Erweiterung noch der Vertiefung
der Europäischen Union im Wege steht.
2-146
Ludford (ELDR). – (EN) Herr Präsident, wir leben in
einer Zeit, in der wir historisch bedingte Teilungen
endgültig aufheben. Zunächst möchte ich etwas zu
Zypern sagen und die türkisch-zyprischen Behörden
auffordern, positiv auf den Annan-Plan zu reagieren. Ich
Wir müssen Geld, Zeit und Mühe in unser System der
Demokratie und Gerechtigkeit in der gesamten
Europäischen Union investieren. Die derzeitigen
15 Mitgliedstaaten sind sicher nicht vollkommen, und
wir dürfen keinesfalls unsere Investitionen in unsere
Agrarwirtschaft abbauen. Wir reden sehr viel über die
Agrarwirtschaft und die Strukturfonds. Im Rahmen
konstruktiver gegenseitiger Evaluierungen sollten wir
mindestens ebenso viel über die Fundamente der
Demokratie und Gerechtigkeit in allen unseren
Mitgliedstaaten reden.
2-147
Laguiller (GUE/NGL). – (FR) Herr Präsident, ich bin
für die Erweiterung der Union bis zu den geografischen
Grenzen Europas und darüber hinaus, aber wenn die
Großmächte, die die Europäische Union dominieren, die
Erweiterung vorantreiben, so tun sie dies nicht etwa aus
Großzügigkeit. Ihre Industrie- und Finanzkonzerne
haben sich bereits der Wirtschaft der osteuropäischen
Länder bemächtigt, und die Erweiterung soll diese
Inbesitznahme noch festigen. Der EU-Beitritt wird die
Arbeitnehmer dieser Länder nicht vor der bereits hohen
Arbeitslosigkeit, niedrigen Löhnen oder dem Abbau der
sozialen Sicherungssysteme schützen, und er wird auch
die Bauern nicht vor der Vertreibung von ihrem Land
bewahren.
Diese
Länder
werden
nicht
als
gleichberechtigte Partner in die Europäische Union
integriert werden, sondern als Untergebene, die sich den
Beschlüssen der Großmächte, der Herrschaft des
französischen, deutschen oder englischen Großkapitals
unterwerfen müssen. Die Arbeitnehmer wiederum
werden für die Konzerne aus dem Westen arbeiten
müssen, und zwar bei wesentlich geringeren Löhnen als
diejenigen ihrer westlichen Kollegen, deren Bezahlung
auch schon unzureichend ist.
Wie sollte man übrigens nicht schockiert sein angesichts
der Tatsache, dass die Bürger der Beitrittsländer auf
Jahre hinaus nicht dieselben Rechte auf Freizügigkeit
und Niederlassungsfreiheit wie die Bürger der
derzeitigen Europäischen Union genießen werden?
Deshalb möchte ich anlässlich des EU-Beitritts dieser
neuen
Länder
ihre
Arbeitnehmer
und
ihre
Volksschichten grüßen und die Hoffnung zum Ausdruck
bringen, dass wir in Zukunft mit vereinten Kräften für
36
die Verbesserung unserer Lebenssituation kämpfen
werden.
19/11/2002
Beweis dafür, dass westliche Demokratie und Kultur mit
der islamischen Welt koexistieren und umfassend
kooperieren können.
2-148
Schörling (Verts/ALE). – (SV) Herr Präsident! Verehrte
Kollegen! Im Großen und Ganzen begrüße ich den
Bericht von Herrn Brok. Ich möchte mich außerdem für
die Bemühungen der Kommission, des Europäischen
Parlaments und nicht zuletzt der Kandidatenländer
bedanken, die diese Erweiterung ermöglicht haben.
Heute möchte ich dennoch an die Strategie für eine
nachhaltige Entwicklung erinnern, die während des
Gipfels von Göteborg angenommen wurde, ebenso wie
an das Umweltprogramm der Vereinten Nationen
(UNEP), das in Johannesburg beschlossen wurde. Die
EU hat versprochen, bei der Durchführung dieses
Programms die Führung zu übernehmen.
In allen Politikbereichen der EU, in allen Plänen und
Programmen muss sich jetzt die Ausrichtung auf eine
ökologisch nachhaltige Entwicklung manifestieren,
damit wir die notwendige Kursänderung in der EU
durchsetzen,
aber
auch
die
erforderlichen
Umweltinvestitionen
in
den
Kandidatenländern
vornehmen können. Der Anteil der für Umweltfragen
vorgesehenen Mittel aus den Strukturfonds und der
Gemeinsamen Agrarpolitik muss daher deutlich erhöht
werden. Zurzeit werden bis 2006 etwa zehn Prozent der
Strukturfonds für Umweltinfrastruktur, wie etwa für die
Abwasserreinigung, bereitgestellt. Es ist außerdem
notwendig, Umweltverträglichkeitsprüfungen, SEA, im
Rahmen der Agrar- und Strukturpolitik vorzunehmen.
Darauf weist auch das Europäische Parlament hin. In
den Mitgliedstaaten wird das ab dem Jahre 2003 der Fall
sein. Diese Maßnahmen sind absolut notwendig, wenn
wir tatsächlich eine nachhaltige Entwicklung in der
gesamten, erweiterten EU erreichen wollen.
2-149
Cushnahan (PPE-DE). – (EN) Herr Präsident, der
Bericht hat meine volle Unterstützung. Angesichts der
unglücklichen Äußerungen von Herrn Giscard d'Estaing
möchte ich speziell etwas zum Thema Türkei sagen.
Meiner Ansicht nach sind die Äußerungen des
Vorsitzenden des Konvents inakzeptabel und
unangebracht. Vor allem verwahre ich mich gegen seine
Feststellung, diejenigen, die den Beitritt der Türkei
unterstützten, seien Gegner der Europäischen Union. Ich
unterstütze die türkische Mitgliedschaft in der EU,
allerdings nur, wenn die Türkei die Kopenhagener
Kriterien erfüllt.
Ich lehne die enge Sichtweise, die Union sei ein
„christlicher“ Verein, ab. Meiner Ansicht nach sollte sie
ein pluralistisches Gebilde sein, das den vielfältigen
Charakter der EU in ihrer heutigen Form, also vor der
Erweiterung, widerspiegelt.
Ich habe stets den Standpunkt vertreten, dass der Beitritt
der Türkei eine wichtige Verbindung zwischen dem
Westen und der islamischen Welt herstellen kann. Seit
dem 11. September ist dies von noch größerer
Bedeutung. Die Mitgliedschaft der Türkei wäre der
Der jüngste Regierungswechsel in der Türkei ändert
nichts an meinem Standpunkt. Das Volk hat gesprochen,
und wir müssen sein Urteil akzeptieren. Ich begrüße die
von Herrn Abdullah Gul, dem stellvertretenden AKPVorsitzenden, bei seinem jüngsten Besuch in Brüssel
gegebene Zusage, man werde das Reformprogramm
fortsetzen.
Bevor jedoch ein Termin für die Aufnahme der
Beitrittsverhandlungen festgesetzt werden kann, ist der
überzeugende Beweis anzutreten, dass dieses
Reformprogramm auch wirklich umgesetzt wird. Die
Freilassung politischer Häftlinge, die Abschaffung der
Folter, die Anwendung des geltenden Rechts auf die
Sicherheitskräfte, die Achtung der Rechte der
kurdischen Minderheit und andere Maßnahmen in
Verbindung mit den Kopenhagener Kriterien bilden eine
wichtige Voraussetzung dafür, dass ein Termin für die
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen festgesetzt
werden kann.
Entsprechende Fortschritte liegen in den Händen der
neuen türkischen Regierung und nicht der EU.
2-150
Karamanou (PSE). – (EL) Herr Präsident, Herr
Kommissar, Herr Ratspräsident! Ich möchte als
Vorsitzende des Ausschusses für die Rechte der Frau
und Chancengleichheit meine tiefe Befriedigung
ausdrücken, dass wir im Hinblick auf die Erweiterung
der Union und die Begründung eines wirklich vereinten
Europas auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte
endlich auf der Zielgerade angekommen sind.
Angesichts dieser Perspektive halte ich die Rolle der
Frauen Europas für sehr wichtig. Es ist auch im Hinblick
auf den neuen Verfassungsvertrags der Europäischen
Union endlich an der Zeit, dass das Thema der Achtung
der Menschenrechte der Frauen und der praktischen
Durchsetzung
des
anerkannten
Prinzips
der
Gleichbehandlung der beiden Geschlechter in allen
Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen und politischen
Lebens Europas auf der politischen Agenda nach oben
gesetzt wird. Leider sind wir noch weit von dieser
Vision entfernt. Dies wurde besonders heute Morgen
während der Aussprache in diesem Saal deutlich, bei der
die Rednerliste den Eindruck eines Männerklubs
vermittelte, wo Frauen seltene Gäste sind.
Ich bin sehr beunruhigt über die Lage der Frauen in
vielen Beitrittsländern, wo sich ihre Situation mit dem
Übergang zur freien Marktwirtschaft nicht verbessert
hat. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, und die
Lohnunterschiede sind größer geworden. Die
Infrastruktur für die Betreuung von Kindern und älteren
Menschen hat sich verschlechtert, während der
Menschenhandel und die Vermarktung von Frauen und
Kindern
durch
organisierte
Verbrecherbanden
explosionsartige Ausmaße angenommen haben.
19/11/2002
Als Ausschuss für die Rechte der Frau und
Chancengleichheit haben wir wiederholt betont, dass
eine effektive Durchsetzung von Maßnahmen gegen
sexuelle Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen im
Mittelpunkt des Erweiterungsprozesses stehen muss.
Außerdem bekräftigen wir nochmals, dass die Parteien
und Regierungen die gleiche Beteiligung von Frauen
und Männern an den Beschlussfassungsprozessen
fördern müssen. Keine Politik kann glaubwürdig sein,
wenn sie nicht die Chancengleichheit der Geschlechter
in den Entscheidungsprozessen und bei der
Zukunftsplanung fördert. Die Parteien und Regierungen
sollten hinsichtlich der Geschlechter ausgewogene
Vertretungen in die Europawahlen 2004 schicken. Die
Erweiterung stellt eine Gelegenheit zur Vertiefung der
Demokratie dar. Ich bin auch der Überzeugung, dass die
Chancengleichheit der Geschlechter kein überflüssiger
Luxus, sondern eine Notwendigkeit für die
Verbesserung der Qualität unserer Beschlüsse, für ein
besseres Verständnis der heutigen Probleme und ein
effektiveres Funktionieren unserer Demokratie ist.
2-151
Maaten (ELDR). – (NL) Herr Präsident! Auch im
Namen der niederländischen Liberalen möchte ich die
Gelegenheit nutzen, um meine Unterstützung für den
Prozess der Erweiterung um zwölf Länder, mit denen
nun verhandelt wird, auszusprechen, und zwar aus
historischen Gründen, wie wir sie heute Vormittag bis
zum Überdruss gehört haben, aber auch aus politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Gründen. Wir sind für
die Erweiterung, aber wir dürfen die Problematik nicht
weiter verschleiern, die umso drängender ist, als der Big
Bang weitere Probleme mit sich bringen wird. Mitglied
der Europäischen Union zu sein ist schwieriger, als
Mitglied zu werden. Die meisten Beitrittskandidaten
scheinen ausreichende Fortschritte zu verzeichnen, mit
einigen
anderen
gibt
es
jedoch
ernsthafte
Schwierigkeiten, vor allem hinsichtlich Korruption,
Umsetzung des Besitzstands, Verwaltungskapazität und
unabhängiger
Finanzkontrolle.
Die,
übrigens
ausgezeichneten, Fortschrittsberichte der Europäischen
Kommission haben uns noch nicht davon überzeugt,
dass der Beitritt aller zehn Staaten 2004 stattfinden kann.
Wir werden dies beurteilen, wenn die Verhandlungen
abgeschlossen sind.
Das
System
der
Fortschrittskontrolle
und
Sicherheitsklauseln der Europäischen Kommission kann
zwar manchmal eine Lösung sein, aber dieses schöne
Instrument ist nur begrenzt einsetzbar. Wo der
Rechtsstaat
nicht
funktioniert,
bieten
die
Sicherheitsklauseln keine Lösung. Wie steht die
Kommission dazu? Für welche Werte nämlich steht die
EU,
wenn
so
wesentliche
Grundsätze
wie
Rechtsstaatlichkeit nicht in Ordnung sind? Außerdem
sind wir der Ansicht, dass diese Bedingungen nicht nur
für die Beitrittskandidaten gelten müssen, sondern auch
für die heutigen Fünfzehn. Ein positives Beispiel ist der
Bericht von Herrn Jan Mulder im Ausschuss für
Haushaltskontrolle.
37
Das bringt mich zum letzten Problem, nämlich dass die
interne Beschlussfassung der Union völlig unzulänglich
geordnet ist. Wir möchten, dass auf der kommenden RK
ein Ergebnis erzielt wird, das zur Lösung verschiedener
bottlenecks, wie Mitentscheidung des Europäischen
Parlaments und des Rats, Zugang der Öffentlichkeit zu
den Sitzungen des Rats in seiner Funktion als
Gesetzgeber, Abschaffung des Vetorechts im Rat und
Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission
durch das Europäische Parlament oder durch die Wähler,
beiträgt. Meine Frage an den Rat lautet: Wenn die RK
die institutionellen bottlenecks, genau wie in Nizza,
nicht löst, gibt es dann einen Plan B? Auf jeden Fall,
Herr Präsident, müssen wir im April 2003 vor allem für
eine durch Fairness gekennzeichnete Erweiterung
optieren.
2-152
Alyssandrakis (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Da
wir gerade über Demokratie und Erweiterung sprechen,
ich erhielt soeben die Nachricht, dass ein Journalist und
Mitglieder der Rifondazione aus Prag ausgewiesen
wurden, wo sie sich wegen einer Demonstration gegen
die NATO-Erweiterung befanden. Das verurteile ich.
Die Europäische Union ist weder eine philanthropische
Organisation noch eine Beschützerin des Wohlergehens
und der Freiheit der Völker. Sie ist ein herzloser
Mechanismus zur Verteidigung der Interessen des
Großkapitals, sie ist der europäische Außenposten des
globalen
imperialistischen
Systems,
der
die
Errungenschaften der Arbeitnehmer bekämpft sowie
eine Armee und Unterdrückungsmechanismen aufbaut,
um jede Stimme des Widerstands zu ersticken.
Ziel der Erweiterung ist das Ausfüllen des Vakuums, das
der Sturz des sozialistischen Systems in Europa
hinterlassen hat, was auch durch das revanchistische
Geschrei heute in diesem Saal deutlich geworden ist. Ein
weiteres Ziel besteht in der Stärkung der neuen
bürgerlichen Klasse, die sich um ihre Herrschaft Sorgen
macht, da die Völker sich immer mehr bewusst werden,
was sie mit dem Umsturz verloren haben. Die
Erweiterung erfolgt in völliger Übereinstimmung mit
den Vereinigten Staaten sowie parallel zur NATOOsterweiterung und zur Änderung ihrer Rolle hin zu
mehr Aggressivität.
Der Charakter der Europäischen Union und die
Erfahrung unseres Volkes während der 22-jährigen
Mitgliedschaft unseres Landes lassen nicht zu, dass wir
vor den anderen Völkern die Wahrheit verbergen, sie
zwingt uns, sie vor den Folgen ihrer Vereinnahmung zu
warnen. Die Folgen ihres Beitritts werden, entgegen den
Erwartungen im Hinblick auf Wohlstand, die durch die
Propaganda geweckt werden, katastrophal für die
Wirtschaft dieser Länder sein, deren Produktion noch
weit geringer ist als in den letzten Jahren des
Sozialismus. Bereits durch die Handelsbilanz schöpft die
Europäische Union jährlich 30 Milliarden Euro ab, das
heißt sie wird finanziert statt selbst zu finanzieren.
38
Was Zypern betrifft, so ist man sich darüber einig, dass
der Annan-Vorschlag sich mit voller Unterstützung der
Vereinigten Staaten und der Europäischen Union weit
vom Rahmen der UNO-Beschlüsse und der bisherigen
Vereinbarungen zwischen den Bevölkerungsgruppen,
die in den Papierkorb geworfen werden, entfernt hat. Es
handelt sich um eine versteckte Form der Konföderation,
die dazu führt, dass die Teilung institutionell anerkannt
wird und die türkische Invasion und Besetzung als fait
accompli akzeptiert werden. Diese Tatsache hat eine
umfassende Bedeutung, da sie eine Akzeptanz der
Anwendung militärischer Gewalt zur Erreichung
politischer Ziele und Grenzveränderungen seitens der
UNO selbst mit sich bringt. Diese Entwicklung ist eine
unmittelbare Konsequenz des Verfahrens für den Beitritt
Zyperns zur Europäischen Union, des G8-Beschlusses
und der Beschlüsse von Helsinki, vor deren Folgen
unsere Partei rechtzeitig gewarnt hat. Es ist vielleicht das
erste Mal in der 84jährigen Geschichte der
Kommunistischen Partei Griechenlands, dass wir keine
Genugtuung äußern können, wenn sich unsere
Vorhersagen als wahr erweisen.
2-153
Posselt (PPE-DE). - Herr Präsident! Als Paneuropäer
habe ich seit den siebziger Jahren auf den heutigen
großen Tag hinarbeiten dürfen. Otto von Habsburg war
heute hier, er wurde mehrfach erwähnt und ich durfte ihn
auf diesem ganzen Weg begleiten. Ich feiere diesen
heutigen Tag, und empfinde ihn als einen ganz großen
Tag.
Als Sohn einer böhmischen Familie bin ich auch
glücklich, dass heute zum ersten Mal hier ein
Abgeordneter Tschechisch gesprochen hat, und zwar
mein Freund Daniel Kroupa. Er steht in der Tradition
eines großen Sozialdemokraten, Jiri Pelikan, der hier als
Exiltscheche
nach
der
ersten
Direktwahl
Europaabgeordneter war. Es gab hier aber immer auch
Angehörige des zweiten Volkes Böhmen, der
sudetendeutschen Volksgruppe: Ich nenne Volkmar
Gabert und Egon Klepsch. Auch ich stehe in dieser
Tradition; wir haben uns hier immer als Botschafter
Böhmens verstanden.
Von Böhmen ist vor 80 Jahren die Pan-Europa-Idee
ausgegangen, Böhmen ist das Herz Europas. Insofern
bedauere ich es, dass Anfang dieses Jahres in Prag
plötzlich die Rede von der Verteidigung der
Nachkriegsordnung war. Wir brauchen in Europa keine
Nachkriegsordnung. Wir brauchen auch keine Kriegsoder Vorkriegsordnung, sondern was wir am Beginn des
21. Jahrhunderts bauen wollen, ist eine neue, gerechte
Völkerordnung, aufgebaut auf Versöhnung, auf Heilung
der Wunden, die wir uns gegenseitig zugefügt haben, auf
Recht, auf gegenseitigem Respekt und gegenseitiger
Anerkennung. Daher mein Appell an die tschechischen
Verantwortlichen: Entsorgen Sie Unrechtsdekrete wie
die Beneš-Dekrete dahin, wo sie hingehören, nämlich
auf den Müllhaufen der Geschichte!
Bauen wir gemeinsam ein neues Europa, in dem die
Völker gleichberechtigt zusammenleben, das auf
19/11/2002
Volksgruppen- und Minderheitenschutz gerichtet ist, auf
Respekt vor der kulturellen Vielfalt in diesem Europa,
wie sie heute früh in so eindrucksvoller Form hier in den
Reden zum Ausdruck gekommen ist.
(Beifall)
2-154
Andersson (PSE). – (SV) Herr Präsident! Ich möchte
dem Herrn Berichterstatter Elmar Brok für einen wie
immer guten Bericht danken.
Dies ist ein historischer Tag für das Europäische
Parlament. Die Erweiterung ist die größte Aufgabe, mit
der wir uns in der Europäischen Union zu beschäftigen
haben. Durch die Erweiterung wird Europa für
kommende Generationen sicherer und die Demokratie in
unserem Teil der Erde gestärkt. Es gibt jedoch
mancherorts auch eine Menge Skeptiker, die der
europäischen
Zusammenarbeit
immer
wieder
vorgeworfen haben, sie ziele einzig auf die reichen
Länder in unserem Erdteil. Jetzt öffnen wir diese
Zusammenarbeit für alle Länder unseres Kontinents und
zeigen dadurch, dass sie für ganz Europa gedacht ist.
Ich schließe mich meinen Vorrednern an, die der
Ansicht sind, dass wir alle aus dieser Situation
profitieren können. Natürlich wird die Erweiterung
kurzfristig Kosten mit sich bringen, aber ich bin
vollkommen davon überzeugt, dass wir langfristig
ökonomische Gewinne werden verzeichnen können. Ich
selbst stamme aus der Ostseeregion. Für mich zeichnet
sich ab, dass die Wirtschaft in unserem Teil Europas
durch die Erweiterung wachsen wird. Auf dem Gebiet
der Umweltpolitik können große Fortschritte erzielt
werden, indem wir in den neuen Mitgliedsstaaten
entsprechende Maßnahmen ergreifen. Davon profitieren
beide Seiten. Dasselbe gilt für den Arbeitsmarkt, wo das
Risiko besteht, dass Arbeitsplätze als Folge
verschlechterter Bedingungen woanders hin verlegt
werden. Auch diese Situation wird verbessert, wenn wir
alle gemeinsame Mindestbedingungen erhalten. Vor
einigen Tagen habe ich ein Seminar zum Thema
grenzüberschreitende Kriminalität besucht. Durch eine
enge Zusammenarbeit werden wir auch dieses Problem
bewältigen können.
Es bestehen gute Chancen, dass wir alle als Gewinner
aus der Erweiterung hervorgehen, sowohl die alten EUStaaten als auch die Kandidatenländer. Es kommt jedoch
darauf an, wie wir mit der Situation umgehen und wie
wir diese Herausforderung meistern. Es geht um ein
Europa mit noch größerer Vielfalt, um ein wirtschaftlich,
sozial und kulturell reicheres Europa.
2-155
Oomen-Ruijten (PPE-DE). – (NL) Herr Präsident!
Vergangene Woche habe ich in meiner Provinz für die
Schüler einer weiterführenden Schule einige Kurse über
Europa und die bevorstehende Erweiterung abgehalten.
Meine Zuhörer waren – und das ist heutzutage
erstaunlich – aufmerksam, interessiert und auch ruhig.
Mein politisches statement, es sei nicht unser politisches
und unser persönliches Verdienst, dass wir auf der
19/11/2002
Sonnenseite des Eisernen Vorhangs geboren wurden,
und es sei nicht die Schuld der Beitrittskandidaten, dass
sie so lange in unserem Schatten leben mussten, wurde
mit gebotenem Respekt aufgenommen. Ob mein
Argument jedoch überzeugend genug war, zeigte sich an
den anschließenden Fragen: Was bringt uns die
Erweiterung, welche Vorteile ziehen wir daraus?
Die Aussprache von heute Vormittag zeigt auch die
Kehrseite der Medaille. Neben der festen Überzeugung,
dass dieses eine unteilbare Europa für ein friedliches
Zusammenleben der Bürger wichtig ist, wurden auch
andere Vorstellungen laut. Wie willkommen sind wir?
Werden wir nicht zu Bürgern zweiter Klasse? Welche
zusätzlichen Mittel stellt ihr für uns bereit, um damit die
Bürger in unseren Ländern zu überzeugen?
Wir haben überzeugend ein Erweiterungsszenario in
Gang gesetzt, das gelingen muss. Wir sollten uns jedoch
zu Herzen nehmen, dass wir weniger erfolgreich darin
waren, unsere Bürger auch voll von der Bedeutung und
der Notwendigkeit des politischen Ideals, das diese
Erweiterung für uns alle darstellt, zu überzeugen. Wir
haben zu wenig kommuniziert, und dadurch erhalten
Unsicherheit oder latente Ängste eine Chance, an die
Oberfläche zu gelangen, und die Erweiterung wird zu
einem politischen Spiel, bei dem es um eigene
kurzfristige Gewinne geht.
Ich beteilige mich an dieser Aussprache auch als
Berichterstatterin über die Erweiterung für den
Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und
Verbraucherpolitik und verfolge das Dossier daher
aufmerksam. Wir müssen uns meines Erachtens auch
mehr darum kümmern, dass die Menschen Sorgen
haben.
Diese
betreffen
beispielsweise
die
Lebensmittelsicherheit,
die
Freizügigkeit,
die
Umweltprobleme und deren grenzüberschreitende
Bekämpfung. Sie betreffen auch die Atomkraftwerke,
die auf der einen Seite geschlossen und auf der anderen
Seite mit Zweifeln umgeben sind. Wir sollten jetzt, nach
Kopenhagen, dieses Dossier mit aller Entschlossenheit
und sehr viel effizienter anpacken.
2-156
Iivari (PSE). – (FI) Herr Präsident, während meiner
Anreise nach Straßburg habe ich das ausgezeichnete und
ziemlich erschütternde Buch von Antony Beevor über
den Weg der Roten Armee nach Berlin gelesen. Das war
eine vortrefflich geeignete Reiselektüre anlässlich dieser
historischen Plenarsitzung. Die wichtigste Aufgabe für
die Union bei der Erweiterung besteht darin
sicherzustellen, dass sich europäische Völker niemals
mehr den Bestrebungen machthungriger Diktatoren
unterwerfen oder sich zum Hass aufeinander anstacheln
lassen. Von ebenso herausragender Wichtigkeit ist es,
gleichzeitig mit der Erweiterung unsere gemeinsamen
demokratischen Strukturen zu stärken. Ich bin froh, dass
die Vertreter der Bewerberstaaten an der Arbeit der
Delegation, die sich mit der Zukunft Europas
beschäftigen wird, teilnehmen können.
Wir haben bislang viel zu wenig darüber gesprochen,
wie die EU selbst von der Erweiterung profitiert. Wir
39
sind in der Tat nicht nur die gebende Seite. Die
großartige kulturelle Tradition und das kreative
Potenzial der Kandidatenländer eröffnen neue
Möglichkeiten für die Wettbewerbsfähigkeit, die sich
auf Wissen und Können gründet, als auch für eine
verbesserte Lebensqualität unser Bürgerinnen und
Bürger. Die kulturelle und sprachliche Vielfalt ist eine
große Quelle des Reichtums und bietet ein enormes
Potenzial. Auch ist es erfreulich zu beobachten, dass die
Bewerberstaaten bereits am Programm „Kultur 2000“
sowie an weiteren Programmen teilnehmen.
Die Kriterien für die Mitgliedschaft müssen gleichwohl
bis zum Abschluss der Verhandlungen im Auge behalten
werden. Es sei daran erinnert, dass funktionierende
Arbeitsmarktbeziehungen ein wesentlicher Teil der
Arbeit der Union sind. Als stellvertretende Vorsitzende
der Estland-Delegation bin ich beunruhigt über
Informationen, wonach der soziale Dialog in Estland
abgerissen ist. Das ist weder akzeptabel noch ist es klug.
Ich hoffe, dass mein Nachbarland, das in den Bereichen
von Wirtschaft und Technologie beachtliche Erfolge
erzielt hat, in der Lage sein wird, auch diese
Angelegenheit in Ordnung zu bringen.
2-157
Gemelli (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, Herr
Ratspräsident, Herr Kommissar Verheugen, als Erstes
möchte ich dem Kollegen Brok und allen KoBerichterstattern für den von ihnen ausgearbeiteten
Bericht danken.
Wir schließen nun einen ersten Teil der
Wiedervereinigung Europas ab, und der heutige
Vormittag hat uns eine entsprechende, ermutigende
Zukunftsperspektive geboten. Die Wiedervereinigung
wird fortgeführt werden, bis wir alle Länder, welche die
europäische Kultur und ihre Grundwerte teilen, in die
Strukturen der Union oder in andere, im wesentlichen
ebenso wirksame Strukturen aufgenommen haben. Die
Fortsetzung dieses Prozesses ist unabdingbar, wenn wir
dazu beitragen wollen, die Werte der Demokratie,
Freiheit und Gleichheit weltweit zu gewährleisten, um
jeden Tag zu einem Tag des Friedens zu gestalten, der
immer stärker, immer bewusster und immer
einvernehmlicher wird.
Ich verstehe die Diskussion um die Grenzen Europas,
doch werden die Grenzen unserer Gesellschaft durch die
Kultur bestimmt, die wir der Welt anzubieten haben
werden: je mehr diese Kultur mitgetragen wird, desto
weiter werden die Grenzen reichen und desto zahlreicher
werden die Bürger werden, die sich dafür entscheiden,
unsere Vorschläge zur institutionellen, politischen und
gesellschaftlichen Organisation der Gemeinschaft zu
teilen.
Slowenien
ist
zusammen
mit
den
anderen
Beitrittsländern wichtig, weil es das Tor für einen
künftigen Beitritt der Balkanländer ist, die sich unserer
multikulturellen, multiethnischen und durch religiöse
Vielfalt geprägten Gemeinschaft anschließen werden.
40
19/11/2002
Parallel zu dem erreichten politischen Ziel muss der
Weg zur Verteidigung der Menschrechte, zum
angestrebten wirtschaftlichen und sozialen Niveau und
zur Bekämpfung der immer noch durch hohe Raten
gekennzeichneten
Kriminalität
und
Korruption
beschritten werden.
Schlussfolgerungen
der
Internationalen
Atomenergieorganisation neu überdacht werden. Die
IAEA stellt in ihrem im Juni erschienenen Bericht fest,
dass die Betriebssicherheit der Blöcke den
internationalen Standards für Kraftwerksblöcke dieses
Alters in anderen Teilen der Welt entspricht.
Es ist wirklich wichtig, individualistische Denkweisen
zu überwinden, um zu begreifen, dass man Teil eines
größeren Organismus ist, den man im Wesentlichen
ergänzen muss und von dem man sich niemals
starrköpfig ausschließen darf, in dem alle eine Rolle zu
spielen haben, um gemeinsame Ziele zu erreichen.
Ich hoffe, dass der Rat einer solchen Neubewertung
zustimmen wird.
Ich hoffe, der Konvent möge einen Vorschlag erarbeiten,
der die Instrumente der Demokratie wirksam werden
lässt und auch anderen Gebieten in der Welt von Nutzen
sein wird, um der Menschheit Frieden, Wohlstand und
Fortschritt zu sichern.
2-158
Adam (PSE). – (EN) Herr Präsident, auf der Tagung des
Gemischten Parlamentarischen Ausschusses EULitauen, die letzte Woche in Brüssel stattfand, wurden
die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt, wie sie in den
Absätzen 78 bis 84 des Berichts formuliert werden,
bestätigt. Zwei Kapitel sind noch zu schließen, und zwar
erstens das Kapitel Agrarwirtschaft, wo eine gewisse
Flexibilität im Hinblick auf die Quoten zu begrüßen
wäre, und zweitens das Kapitel Finanzierung, wo der
Beitrag zur Finanzierung der Schließung des
Kernkraftwerks Ignalina und die Bereitstellung
alternativer Möglichkeiten der Stromerzeugung noch
endgültig zu klären sind. Dazu bedarf es einer Einigung
zu den Verfahren und zum zeitlichen Rahmen der
Stilllegung.
Der GPA verwies darauf, dass die Fortschritte im
Rahmen der Programme SAPARD, Phare und Ispra
sorgfältig überwacht werden müssen und dass Litauen in
der Lage sein muss, nach dem Beitritt die sich im
Rahmen der Fonds für die strukturelle und ländliche
Entwicklung bietenden Möglichkeiten auszuschöpfen.
Die
alsbaldige
Bestätigung
des
einheitlichen
Programmplanungsdokuments
ist
in
diesem
Zusammenhang von entscheidender Bedeutung.
Was die kürzlich erfolgte Einigung zur russischen
Enklave Kaliningrad angeht, möchte ich betonen, dass
dies zu keinerlei Abstrichen an Litauens Souveränität
oder der litauischen Mitgliedschaft im Schengen-System
führen darf. Sorge bereitet uns allerdings die Tatsache,
dass praktische Probleme die Umsetzung verzögern
könnten.
Ich habe eine Studie zu den nuklearen Aspekten des
Beitritts
durchgeführt.
Die
Schließung
der
Kernkraftwerke Ignalina und Kosloduj erfordert in
beiden Fällen eine Energiestrategie, die die jeweiligen
Nachbarländer berücksichtigt. So rechtfertigt die PhareStudie von August 2001 die Vollendung von Block 2 des
Kernkraftwerks Cernovoda. Die Stilllegung der Blöcke 3
und 4 des KKW Kosloduj sollte ausgehend von den
2-159
Cunha (PPE-DE). – (PT) Herr Präsident, die
Erweiterung der Europäischen Union ab 2004 bildet
einen historischen Meilenstein beim Aufbau des
Europas, was wir alle – aus unterschiedlichen Gründen aufrichtig begrüßen.
Erstens, weil sie die Versöhnung von zwei Teilen
desselben Kontinents symbolisiert, die über ein halbes
Jahrhundert lang bis vor knapp einem Jahrzehnt
voneinander getrennt waren. Zweitens, weil sie mit einer
nahezu Verdopplung der Anzahl der Mitgliedstaaten und
einem Wachstum ihrer Bevölkerung und ihres
Hoheitsgebiets um fast ein Drittel die größte
Erweiterung in der Geschichte der Europäischen Union
ist. Drittens, weil sie Länder umfasst, in denen noch bis
vor kurzem eine staatliche Wirtschaft herrschte und die
jetzt
eine
schmerzhafte,
aber
Phase
der
Umstrukturierung ihrer Wirtschaften mit einem relativ
niedrigen durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen
durchleben.
Viertens, weil die meisten der neuen Länder noch über
einen im Vergleich zur gegenwärtigen Europäischen
Union sehr großen Agrarsektor verfügen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf zwei Aspekte
besonders hinweisen:
- Zum einen sind diesen Ländern Hilfen zu geben,
Gemeinschaftsbeihilfen, finanzielle Hilfen, technische
Hilfe, um sie in die Lage zu versetzen, den Prozess ihrer
wirtschaftlichen Wiederbelebung und Entwicklung zu
beschleunigen. Wir dürfen aber auch nicht vergessen,
dass einige Regionen in der gegenwärtigen Europäischen
Union der Fünfzehn ebenfalls sehr arm sind und dass die
Europäische Union deswegen die Politik des
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts nicht
aufgeben darf, die sie diesen Gebieten gegenüber seit
einigen Jahren verfolgt.
- Zum anderen ist zu beachten, dass die Verdopplung der
Anzahl der Landwirte mit dem Beitritt Rumäniens und
Bulgariens eine weitgehende Vereinfachung der
Gemeinsamen Agrarpolitik erfordern wird, und darüber
hinaus eine Verringerung der Agrarbeihilfen für alle
jetzigen und künftigen Landwirte in Folge der neuen
Einschränkungen der Finanzierung der GAP, die vom
Europäischen Rat von Brüssel am 25. Oktober festgelegt
wurden, verlangt. Deshalb muss die Europäische Union
den kürzlich von ihrem Landwirtschaftskommissar
unterbreiteten Vorschlag zur Reformierung der GAP
ernst nehmen, um den Boden für eine bessere Zukunft
19/11/2002
für die Landwirte sowohl in der derzeitigen als auch in
der künftigen Union zu bereiten.
2-160
Myller (PSE). – (FI) Herr Präsident, und Sie, Herr
Kommissar Verheugen und Herr Europaminister
Haarder als Vertreter des Vorsitzes, Sie haben heute so
hart gearbeitet. Ich weiß, dass Sie einen langen Tag
hinter sich haben, möchte aber dennoch auf eine Sache
eingehen, die Herr Kommissionspräsident Prodi heute
angesprochen hat. Er hat sich nämlich für eine künftige
Europäische Union ausgesprochen, die sich selbst eine
starke Politik der guten Nachbarschaft erarbeiten müsse.
Die Erweiterung der Europäischen Union hat ihr in allen
ihren Phasen neue Nachbarn beschert. Anlässlich der
letzten Erweiterung hat die Europäische Union
zusätzlich zu der bereits vorhandenen westlichen und der
südlichen auch eine nördliche Dimension erhalten. Im
Ergebnis der bevorstehenden Erweiterungsrunde werden
wir zudem eine ganz spezielle östliche Dimension
bekommen.
Die Politik der guten Nachbarschaft darf allerdings nicht
nur auf dem Papier stehen: Die Europäische Union sollte
auch über eine wirkliche praktische Politik mit Zielen
und Maßnahmen verfügen. Die nördliche und die
östliche Dimension treffen im Bereich der Ostsee
aufeinander. Nach der Erweiterung wird die Ostsee
demnächst tatsächlich zu einem Binnenmeer innerhalb
der Europäischen Union, ausgenommen die Tatsache,
dass sie an einer Ecke an Russland und hier an dessen
beinahe bevölkerungsreichste Region von St. Petersburg
angrenzt. Und genau mit dieser Region muss die bereits
begonnene Zusammenarbeit mit dem Ziel der Schaffung
von Stabilität sowie eines sozialen und ökologischen
Gleichgewichts auch weiterhin gestärkt werden. Darüber
hinaus muss auch die künftige Regional- und
Strukturpolitik
Möglichkeiten
für
eine
grenzüberschreitende
Zusammenarbeit
und
die
Kooperation sowohl an den alten als auch an den neuen
Grenzen schaffen.
2-161
Sommer (PPE-DE). – Herr Präsident, viel wurde heute
schon zur Türkei gesagt. Dies ist überhaupt nicht
verwunderlich, denn dieses Parlament ist ein Spiegelbild
der Bevölkerung der Europäischen Union, und unsere
Bürgerinnen und Bürger zu Hause beschäftigen sich sehr
stark mit diesem Thema. Es verstärken sich die Indizien,
dass man der Türkei im Dezember in Kopenhagen einen
Termin für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
nennen will. War die Äußerung des Ratsvertreters heute
nicht sehr eindeutig? Aber wir sind doch überhaupt nicht
im Zugzwang. Die Kopenhagener Kriterien sind nicht
erfüllt, und sie sind nicht verhandelbar. In diesem
Zusammenhang mein Dank an Herrn Verheugen, dass er
sich heute so eindeutig zu dem Thema Türkei geäußert
hat.
So wichtig die Türkei für uns ist, darf es doch keine
politischen Rabatte etwa wegen der Zypernfrage oder
wegen der geostrategischen Rolle der Türkei geben!
Dieses Land wollte ja immer schon eigene
Beitrittsregeln aufstellen, unter dem Motto „Wir sind
41
kein Kandidat wie jeder andere.“ Man hat immer von
Seiten der Türkei versucht, uns unter Druck zu setzen,
aber so geht es nicht! Das wäre schließlich auch ein
Affront gegenüber den hier anwesenden Vertretern der
Beitrittskandidatenländer. Und trotzdem wird zum
Beispiel auch jemand wie der deutsche Bundeskanzler
nicht müde anzukündigen, dass er für eine Terminierung
im Sinne der Türkei eintreten wird. Dies ist nicht nur ein
Zeichen für schwere europapolitische Inkompetenz.
Dieser Kanzler, der sein eigenes Volk belogen und
betrogen hat, will seine Wahlkampffehler ausbügeln.
Nun soll auf Kosten der gesamten Europäischen Union
das deutsch-amerikanische Verhältnis wieder verbessert
werden. Ist das nicht purer Opportunismus? Ist das nicht
unglaubwürdig? Es ist in nicht erträglichem Maß
unehrlich! Es ist besonders unehrlich gegenüber dem
türkischen Volk. Ist es nicht ehrlicher, der Türkei zu
sagen, dass da noch Probleme sind, und dass wir diese
Probleme doch in ihrem eigenen Interesse ansprechen
müssen, weil man sie sonst nicht lösen kann? Ehrlich ist,
zu sagen, dass die Annäherung der Türkei an die
Europäische Union, wenn überhaupt, nur in kleinen,
stetigen Schritten geht. Dieser Weg ist noch immer nicht
leicht.
Wir hoffen, dass die Türkei, diese große stolze Nation,
ihren Weg beharrlich in ihrem ureigenen Interesse
weiterverfolgt und dass sie sich irgendwann einmal
überlegt, ob sie wirklich so viele Souveränitätsrechte an
die Europäische Union im Zuge eines Beitritts abtreten
will, oder ob sie nicht auf anderer Ebene mit uns
zusammenarbeiten will. Dieses Angebot machen wir
schon jetzt.
2-162
Ceyhun (PSE). – Herr Präsident, Herr Ratspräsident,
Herr Kommissar! Ich verstehe die ganze Aufregung
nicht. Wir streiten seit gestern über die Türkei. Kollegin
Sommer - ich schätze gerade Frau Kollegin Sommer
sehr -, ich verstehe gerade bei Ihnen überhaupt nicht,
warum wir, während wir über die Erweiterung reden, auf
einmal eine Streitigkeit über eine Grundsatzfrage haben,
nämlich ob die Türkei überhaupt zur Europäischen
Union gehört.
Wir haben demnächst die Gelegenheit, diese Frage
sachlich zu behandeln, wenn wir über den Bericht
Oostlander sprechen. Gerade ein Kollege von Ihrer
Fraktion ist jetzt der Berichterstatter, ein bekannter
Politiker, der auf jeden Fall kein Befürworter der Türkei
ist. Sein Bericht wird uns Gelegenheit bieten, über diese
Thematik sachlich streiten oder diskutieren zu können.
Ich habe immer mehr den Verdacht, wenn ich den
Antrag
von
Herrn
Kollegen
Ferber
lese,
Änderungsantrag 7, dass es überhaupt nicht um die
Türkei und in Wirklichkeit überhaupt nicht um die
Europäische Union geht. Es geht anscheinend um
Deutschland, um Innenpolitik in Deutschland. Es geht
anscheinend darum, dass es demnächst in Deutschland,
in Hessen und in Niedersachsen, zwei wichtige
Landtagswahlen gibt. Angeblich müssen wir jetzt im
Europäischen Parlament über die Türkei streiten, aber in
42
Wirklichkeit nutzen wir aus diesem Grund die
Gelegenheit. Das ist das Hauptproblem.
Ich bin ganz ehrlich. Ich habe mit der Türkei im Moment
mehr Probleme als Kollegin Sommer, weil ich von
Islamisten nicht viel halte, und das sind für mich
Islamisten, auch wenn sie sich heutzutage anders
darstellen. Ich bin sehr neugierig, wie sie alles
verwirklichen wollen, was sie versprochen haben. Ich
habe gerade mit der neuesten Entwicklung riesige
Probleme.
Trotzdem sehe ich nicht ein, warum wir jetzt diese
Debatte für etwas anderes missbrauchen. Eigentlich sind
wir auch gegenüber der Bevölkerung der Europäischen
Union nicht ehrlich, wenn wir auf einmal solche
künstlichen Debatten produzieren. Wenn Sie wollen,
machen wir das, wenn wir über den Bericht Oostlander
diskutieren, und dann wird man sehen, dass wir offen
und ehrlich diskutieren können.
(Beifall)
2-163
Sacrédeus (PPE-DE). – (SV) Herr Präsident! 28 Jahre
lang sind Berlin und Deutschland geteilt gewesen. Das
ist nun Geschichte. Seit 28 Jahren sind auch Nicosia und
Zypern geteilt. Lassen wir auch das Geschichte werden,
und zwar so bald wie möglich! Die Türkei muss die
Resolutionen der UN respektieren und den
Anstrengungen zum Erlangen einer politischen Lösung
für Zypern ihre volle Unterstützung geben. Wenn die
Beratungen misslingen, muss Zypern beim Europäischen
Rat in Kopenhagen jetzt im Dezember dennoch grünes
Licht für eine Mitgliedschaft ab 2004 erhalten.
Es wäre außerordentlich wichtig, der islamfreundlichen
türkischen Regierung klar zu machen, dass die türkischzypriotische Seite davon Abstand nehmen muss, mit
einer permanenten Teilung Zyperns zu drohen, sollte der
südliche Teil in die EU aufgenommen werden, bevor die
türkisch-griechischen Verhandlungen abgeschlossen
sind. Ich gehe davon aus, dass es der Türkei
vollkommen
klar
ist,
dass
keinerlei
Beitrittsverhandlungen geführt werden können, bevor
nicht die Besatzungstruppen aus einem zukünftigen
Mitgliedsstaat der EU, nämlich Zypern, abgezogen sind.
Es geht hier um die Glaubwürdigkeit der EU und um die
EU als Friedensprojekt. Allen Initiativen der neuen
türkischen Regierung und der UN in der Zypernfrage
muss diese selbstverständliche Einsicht zugrunde liegen.
Im
Text
des
Ausschusses
für
auswärtige
Angelegenheiten,
Menschenrechte,
gemeinsame
Sicherheit und Verteidigungspolitik habe ich Gehör für
die Ansicht erhalten, dass die demokratische
Entwicklung der Türkei, nicht zuletzt in Bezug auf den
Schutz ethnischer und religiöser Minderheiten,
Voraussetzung für jede Erhöhung der ökonomischen
Heranführungshilfe vonseiten der EU sein muss. Im
Jahre 1900 waren ein Viertel der türkischen
Bevölkerung Christen. Hundert Jahre später nur noch ein
Tausendstel. Das ist ein tragisches Beispiel für
19/11/2002
umfassende Übergriffe gegen Religionsfreiheit und
religiöse Toleranz, von denen nicht zuletzt christliche
Assyrer und Armenier betroffen waren.
Des Weiteren habe ich mich daran beteiligt, die
Forderungen des Europäischen Parlamentes an die
Kandidatenländer zu verschärfen, z. B. hinsichtlich der
Bekämpfung der Korruption und der Einführung einer
wirtschaftsorientierten Perspektive. Ich möchte die
Kandidatenländer recht herzlich in der Europäischen
Union willkommen heißen!
2-164
Cashman (PSE). – (EN) Herr Präsident, ich spreche als
Mitglied
des
Gemischten
Parlamentarischen
Ausschusses
EU-Bulgarien
sowie
als
Schattenberichterstatter für Rumänien. Ich will
versuchen, mich kurz zu fassen. Wir brauchen für
Bulgarien und Rumänien natürlich einen Termin, einen
Zielpunkt.
Daher
schließe
ich
mich
dem
vorgeschlagenen Termin voll und ganz an. Bei einem
Besuch auf Malta konnte ich mich selbst von der
ausgezeichneten Arbeit im Hinblick auf die sexuelle
Orientierung überzeugen. Diesen Bereich dürfen wir
nicht vergessen, wenn wir uns mit den Rechten von
Minderheiten beschäftigen. Die Arbeit der maltesischen
Schwulenbewegung macht meines Erachtens deutlich,
dass
das
Gesetz
über
Beschäftigung
und
Arbeitsbeziehungen vor allem im Bereich der sexuellen
Orientierung
nicht
den
Bestimmungen
der
Beschäftigungs-Rahmenrichtlinie entspricht.
Ich begrüße die positiven Feststellungen zur Türkei. Was
die negativen Äußerungen zur Türkei betrifft, so haben
wir leider ein weiteres Mal Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit in Aktion erlebt. Wir müssen
dieselben Bedingungen und Prinzipien anwenden. Bei
der Anwendung der Prinzipien können wir nicht selektiv
vorgehen. Für sämtliche Kandidatenländer wie auch für
Länder wie die Türkei, die den Wunsch äußern, der
Europäischen Union beizutreten, müssen dieselben
Grundsätze gelten. Wenn wir der Türkei die Tür weisen,
dann werden wir das eines Tages bereuen. Davon bin ich
überzeugt.
2-165
Izquierdo Rojo (PSE). – (ES) Herr Präsident, ich
möchte den heute hier anwesenden Kommissar und den
amtierenden Ratspräsidenten bitten, uns zu erklären, wie
sie den Gleichheitsgrundsatz innerhalb dieses
Erweiterungsprozesses anwenden werden.
Ich bin der Meinung, dass, entsprechend der französischdeutschen Vereinbarung, festgelegt werden muss, dass
die finanziellen Kosten der Erweiterung nicht auf die
ärmsten
Länder,
die
unterhalb
des
Gemeinschaftsdurchschnitts
liegen
und
eines
nachhaltigen Fortschritts bedürfen, entfallen dürfen.
Gleichermaßen darf die Rechnung für die Erweiterung
nicht an die reichsten Länder gehen. Wir müssen das
gesamte erweiterte Europa vor jedweder Gefahr einer
Verarmung seiner Teile schützen.
19/11/2002
Wir müssen den Absatz 24 des Berichts Brok auf alle
Gebiete und Regionen der Europäischen Union
ausdehnen, da die Erweiterung auf kein Gebiet der
Gemeinschaft negative Auswirkungen haben darf.
Ich möchte den Kandidatenländern sagen, dass sie daran
denken müssen, dass der Schutz des Menschen, ohne
Ausnahme, ohne Unterschied, heutzutage das Rückgrat
der Europäischen Union ist. Unser Hauptaugenmerk
richtet sich gegenwärtig auf die Ausgrenzung der Frau,
die Ausgrenzung der Minderheiten der Sinti und Roma.
In Europa ist kein Platz für Ausgrenzung, für
Vertreibung, für Marginalisierung, weder in kollektiver
noch in individueller Form. Europa erlebt, beginnend
mit dem heutigen Tage, eine neue Dynamik, die, weil
stärker und kraftvoller, seinen entferntesten und
andersartigsten Elementen mehr Aufmerksamkeit
schenken muss.
2-166
De Veyrac (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, ich
möchte drei Anmerkungen machen.
Es ist völlig normal, dass zum Thema Türkei eine
Debatte stattfindet. Man kann sich nicht einerseits
darüber beklagen, dass sich die Europäer nicht für
Europa interessieren, und gleichzeitig eine Debatte über
diese Erweiterung ablehnen, eine Erweiterung, die in
höchstem Maße vom ursprünglichen Vorhaben der
Europäischen Union abweicht.
Außerdem werden bei der jetzt anstehenden Erweiterung
mehr Länder als je zuvor beitreten. Erinnern wir uns
daran, dass wir bisher nie mehr als drei Länder
gleichzeitig aufgenommen haben. Die momentan
laufende Erweiterung ist noch nicht abgeschlossen, und
wir alle hoffen auf ihren Erfolg. Wir sollten erst einmal
dieses Vorhaben abschließen, bevor wir eine Debatte
über eventuelle künftige Erweiterungen beginnen.
Wir müssen in der Lage sein, den großen Nachbarn der
Europäischen Union, also auch der Türkei – aber nicht
nur ihr – eine andere Lösung anzubieten als das
Dilemma, in das man uns zwängen möchte: Beitritt oder
Ausschluss.
Es gibt nämlich durchaus eine andere Lösung, wie sie
die PPE vorgeschlagen hat und die dem Problem
wesentlich besser gerecht wird. Sie besteht darin, ein
spezielles Beziehungsgefüge mit einer im Wesentlichen
wirtschaftlichen Komponente zu definieren, mit dessen
Hilfe eine gewisse Zahl von Projekten und
Infrastrukturmaßnahmen finanziert werden kann: in
dieser Form ist beispielsweise der nordamerikanische
Kontinent organisiert, und dort würde niemand den
Beitritt Mexikos oder Kanadas zu den USA vorschlagen.
Die PPE weist einen neuen Weg, der der
Problemstellung wesentlich besser gerecht wird. Ich bin
sicher, dass das Europäische Parlament ein offenes Ohr
für die Stimmung in der Bevölkerung haben wird, um
dann in dieser Richtung voranzuschreiten und neue
43
Rahmenbedingungen zwischen der Europäischen Union
und den direkten Nachbarländern zu schaffen.
2-167
Baltas (PSE). – (EL) Herr Präsident, liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Europäische Union wird dieses Mal
auf eindrucksvolle Weise erweitert. Zehn neue Länder
treten ihr bei. Gestatten Sie mir, dass ich mich bei dieser
interessanten und viel versprechenden Entwicklung nicht
mit den zweifellos stärker bevölkerten und auch
geographisch der heutigen Europäischen Union näher
liegenden Ländern beschäftige, sondern mit Zypern.
Zypern, dieses kleine Land mit der langjährigen
Geschichte und seinem tragischen Schicksal in den
letzten Jahren, bildet geographisch den entlegensten
Punkt im Mittelmeergebiet der Europäischen Union und
hat auf Grund seiner Lage viel zur Nahostpolitik der
Union beizutragen. Es ist eine Tatsache, dass die
politische Bedeutung Zyperns seinen wirtschaftlichen
Beitrag zur zukünftigen Entwicklung der Europäischen
Union weit übersteigt. Gleichzeitig mit dem Beitritt
Zyperns demonstriert nun die Europäische Union ihre
internationale Dimension sowie ihren internationalen
Charakter und trägt entscheidend zur Lösung des
Zypernproblems bei.
Die Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes in
Zypern ist der Schlüssel für die Annäherung, die
Zusammenarbeit und das harmonische Zusammenleben
von griechischen und türkischen Zyprern in einem
einheitlichen
föderativen
Staat
mit
zwei
Bevölkerungsgruppen, der frei und unabhängig ist und
die Menschenrechte sowie die nationalen und religiösen
Besonderheiten seiner Einwohner achtet. Auf dieser
Grundlage kann eine gerechte, nachhaltige und
funktionierende Lösung gefunden werden, die der UNOGeneralsekretär mit seinen Vorschlägen und den
Verhandlungen zwischen den interessierten Seiten
anstrebt.
Darüber hinaus ist der Beitritt Zyperns zur Europäischen
Union ein Experiment und eine Herausforderung auch
für die Türkei in ihrem Versuch, die Verfahren zur
Erfüllung der Gemeinschaftskriterien zu beschleunigen,
die es ihr in Zukunft ermöglichen, selbst der
Europäischen Union beizutreten. Möge alles nach Plan
verlaufen!
2-168
Marini (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, nach der
heutigen Aussprache verstehe ich, warum die Türkei
fordert, dass auf der bevorstehenden Tagung des
Europäischen Rates im Dezember ein Termin für die
Einleitung der Verhandlungen festgelegt wird. Ich
unterstütze die Forderung der Türkei, weil wir hier eine
Art Komödie erleben, die zwar von Präsident Giscard
d'Estaing inszeniert worden ist, jedoch heute auch in
diesem Hohen Haus aufgeführt wird.
Hier steht nicht zur Debatte, ob die Türkei den Kriterien
entspricht, die es zu erfüllen hat, um in naher Zukunft
Mitglied der Union zu werden – und bei dieser
Forderung dürfen wir streng sein –, sondern es wird eine
44
Diskussion darüber entfacht, ob die Türkei in Zukunft
beitreten kann oder nicht, und darüber theoretisiert, ob
eventuell ein anders geartetes Bündnis angebracht wäre.
Bereits getroffene Entscheidungen werden rückgängig
gemacht, und die Bewilligung eines Kredits für ein
großes, für den Westen und für Europa sehr wichtiges
Land, das beantragt hat, Vollmitglied der Union zu
werden, wird in Frage gestellt.
Ich persönlich pflichte dem Bericht und dem
Entschließungsantrag von Herrn Brok zu, in denen er die
Kommission im Vorfeld des Beitritts zu einer
verstärkten Zusammenarbeit sowie den Rat dazu
auffordert, eine kohärentere Position einzunehmen, als
sie bisweilen vom Parlament zum Ausdruck gebracht
worden ist, nicht aber dem Änderungsantrag Ferber –
den ich morgen ablehnen werde –, weil im Falle seiner
Annahme der gesamte Ansatz des Berichts und
Entschließungsantrags Brok umgestoßen würde und
diese keinen Sinn mehr hätten. Für das, was ich sage,
gibt es triftige Gründe: Einem großen Land gegenüber,
das einen gemäßigten Islam praktiziert, pro-westlich
orientiert ist, das eine enorme kulturelle Bedeutung an
unseren Grenzen erlangen und der Außen- und
Verteidigungspolitik der Union Substanz geben könnte,
sind wir zu einer klaren Aussage verpflichtet.
Ich hoffe, dass wir morgen den Änderungsantrag Ferber
ablehnen werden – als Mitglied PPE-DE-Fraktion werde
ich das jedenfalls tun –, um somit einen Schritt in dieser
Richtung vorankommen zu können.
2-169
Glante (PSE). – Herr Präsident, meine sehr verehrten
Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fast am Schluss der Debatte ist es nicht einfach, noch
einen neuen Aspekt hereinzubringen. Nachdem hier
große Übereinstimmung darüber herrscht, dass wir
diesen Prozess begrüßen und wir davon ausgehen, dass
uns demnächst zehn neue Staaten ihre Kolleginnen und
Kollegen - ganz offiziell - hierher schicken, möchte ich
jedoch einen Aspekt noch einmal ansprechen, und zwar
die Notwendigkeit in allen künftig 25 Ländern dafür zu
werben, dass dies auch in der öffentlichen Meinung, bei
den Bürgerinnen und Bürgern, Akzeptanz findet. Ich
denke, dass das eine große Aufgabe ist, die vor uns liegt
und die nicht erst beginnen kann, wenn der
Beitrittsprozess mit dem Unterzeichnen der Verträge
praktisch abgeschlossen ist.
Ich komme aus einer Region, die 1990 sozusagen über
Nacht in diese Europäische Union kam. Ich weiß, dass
viele Bürgerinnen und Bürger den notwendigen
Umstrukturierungsprozess
als
eine
persönliche
Niederlage, als eine Zurückstufung, durch die sie zu
Verlierern gestempelt wurden, empfunden haben. Ich
denke, wir müssen den Menschen auch in den
Beitrittsländern klarmachen, dass eine Mitgliedschaft in
der Europäischen Union auch dazu führt, dass Mittel und
Wege zur Verfügung gestellt werden, damit die
Bürgerinnen und Bürger den schwierigen Prozess sozial
abgefedert durchlaufen können. Das wird eine große
19/11/2002
Aufgabe für uns sein, denn wir brauchen schließlich
Mehrheiten in der Bevölkerung.
Wenn wir uns in diesem Parlament einig sind, ist das
begrüßenswert, aber wir müssen die Bürgerinnen und
Bürger, wie es immer so schön einfach heißt, „in diesem
Prozess mitnehmen“, und dieses Mitnehmen ist
sicherlich nicht einfach. Lassen Sie uns gemeinsam
daran arbeiten, dass das vermittelbar ist.
Als Mitglied im Ausschuss für Industrie, Außenhandel,
Forschung und Energie wünsche ich mir bei den
nächsten
konkreten
Diskussionen
über
Verhandlungsergebnisse, dass die mitberatenden
Ausschüsse etwas fairer und intensiver am Prozess
beteiligt werden. Ich weiß, das ist eine große politische
Leistung, ein großer politischer Bericht, aber die
einzelnen Fachausschüsse haben sicherlich auch das eine
oder andere Wichtige zu dem Prozess zu sagen.
2-170
Arvidsson (PPE-DE). – (SV) Herr Präsident! Wir
nähern uns dem vereinten Europa! Das ist die natürliche
Folge davon, dass der Wind der Freiheit die
geschlossenen Grenzen in Europa, die unüberwindbaren
Gegensätze, das Misstrauen, das Sowjetsystem und die
kommunistischen Diktaturen wegfegte. Ich bin
überzeugt, dass das Jahr 2004 in die Geschichtsbücher
eingehen wird, ebenso wie das Jahr 1989.
Die Erweiterungsarbeit muss jedoch fortgesetzt werden.
Wir müssen den neuen Mitgliedstaaten mit Respekt
begegnen. Wenn die EU wächst, ist das
Subsidiaritätsprinzip
noch
deutlicher
der
Zusammenarbeit zugrunde zu legen. Dabei muss die
nationale
Selbstbestimmung
in
den
neuen
Mitgliedstaaten genauso gelten wie in den alten. Die
Dinge, die wir in unseren Ländern ohne die EU regeln
wollen, müssen auch in den neuen Mitgliedstaaten
nationale Angelegenheiten bleiben.
Der Erweiterungsprozess darf auch nach den Jahren
2004 und 2007 nicht aufhören. Wir wissen bereits jetzt,
dass es neue Bewerbungen für die Aufnahme in die EU
geben wird. Auf dem Europäischen Rat in Helsinki im
Jahre 1999 wurde die Türkei als Beitrittskandidat
angenommen. Das Europäische Parlament kann nicht
jetzt, drei Jahre später, versuchen, diesen Entschluss zu
ändern, wie es in einigen Änderungsanträgen gefordert
wird. Es ist nichts vorgefallen, das eine solche
Maßnahme rechtfertigen würde. Man kann nicht einfach
innerhalb eines internationalen, vertrauensbildenden
Prozesses plötzlich die Voraussetzungen ändern. Es
wäre unter der Würde eines großzügigen und
verantwortungsvollen Europäischen Parlaments, die
Voraussetzungen für die Türkei in dieser Weise zu
ändern. Die Türkei hat große Fortschritte gemacht, um
die Verhandlungen für einen Beitritt in die EU
aufnehmen zu können. Es gibt noch einiges zu tun, und
es ist die Entscheidung der Türkei, ob sie die
Entwicklung fortführen will. Ich bin jedoch davon
überzeugt, dass ein demokratischer türkischer
Rechtsstaat eine entscheidende Bedeutung für ein
19/11/2002
besseres Verständnis zwischen der westlichen und der
islamischen Welt haben wird. Solche Freunde sind
gerade in dieser Zeit sehr wertvoll.
2-171
Kauppi (PPE-DE). – (FI) Herr Präsident, ich kann
mich vollen Herzens den Worten von Herrn Arvidsson
anschließen, die dieser soeben in Bezug auf die Türkei
gefunden
hat.
Die
Türkei
hat
ihre
Menschenrechtssituation und ihre Rechtspraxis in einem
Maße verbessert, das unsere Anerkennung verdient.
Allerdings halte ich es für sehr bedauerlich, dass es
inzwischen Überlegungen gibt, möglicherweise einen
Politikwechsel zu vollziehen. Unsere Botschaft an
Ankara sollte dieselbe bleiben, die sie stets gewesen ist,
nämlich, dass die Mitgliedschaft in der EU allen
europäischen Staaten offen steht, wenn sie denn die
Kriterien für die Mitgliedschaft erfüllen.
Mit der Erweiterung wächst der Binnenmarkt, der den
Kernmechanismus der EU bildet, was wiederum die
Erfolgschancen der EU auf dem Weltmarkt verbessern
wird. Aber zwischen den Festreden sollten wir nicht
vergessen, dass ein funktionierender Binnenmarkt große
Anstrengungen aller Beteiligten erfordert hat und auch
künftig erfordern wird. Gerade aus diesem Grunde
enthalten die Kriterien von Kopenhagen auch die
Forderung,
dass
die
Beitrittskandidaten
wettbewerbsfähig auf dem Binnenmarkt sein müssen.
Ich schließe mich der Auffassung des Berichterstatters,
Herrn Brok, dahingehend an, dass uns noch viel Arbeit
bevorsteht. Politische Beschlüsse zu fassen ist einfacher
als wirtschaftliche Strukturreformen durchzusetzen. Der
Zeitplan bis zum Jahr 2004 ist sehr eng. Manchmal ist es
schwierig, Strukturreformen in der Wirtschaft
durchzusetzen, aber wir müssen an unseren
Selbstverpflichtungen
konsequent
festhalten.
Insbesondere muss gewährleistet sein, dass die künftigen
Mitgliedstaaten über die entsprechenden Fähigkeiten in
den Bereichen der Verwaltung und des Rechtsstaates
verfügen, um als Teil des Binnenmarktes agieren zu
können.
Unsere Aufgabe als Politiker ist es, das erfolgreiche
Funktionieren des Binnenmarktes nach der Erweiterung
sicherzustellen. Dies bedeutet, dass die Arbeit nicht mit
Kopenhagen enden kann. Die neuen Mitgliedstaaten
müssen auch nach dem Beitritt ihre Reformpolitiken
fortsetzen.
Die
inneren
Reformen,
die
die
Bewerberstaaten durchführen, tragen jedenfalls auf lange
Sicht zum Wohlstand und zur Stabilität ihrer
Gesellschaften bei. Das Europäische Parlament muss
auch weiterhin darüber wachen, dass alle Beteiligten, die
gegenwärtigen Mitgliedstaaten, die Kommission sowie
die künftigen Mitgliedstaaten, ihren Beitrag zur
Vollendung der Erweiterung leisten.
2-172
Bourlanges (PPE-DE). – (FR) Herr Präsident, am
Abend nach einer siegreichen Schlacht sagte Winston
Churchill einmal: „Das ist nicht das Ende. Es ist nicht
einmal der Anfang vom Ende. Aber es ist vielleicht das
Ende des Anfangs.“ Meines Erachtens beschreibt dies
45
unsere Situation sehr treffend. Unsere Freunde, die sich
uns anschließen, haben mit Sicherheit das Gefühl, sie
seien am Ende des Weges angelangt. In Wirklichkeit
aber haben sie lediglich die erste Etappe hinter sich, und
in Zukunft müssen wir alle zusammen Europa aufbauen.
Sie kommen nicht in eine vorgefertigte Welt. Die
politische Union muss erst noch geschaffen werden;
dasselbe gilt für die Außen- und Verteidigungspolitik.
Die Institutionen müssen im Rahmen des Konvents
umgestaltet werden, und ab sofort nehmen die
Beitrittsländer an der Arbeit des Konvents aktiv teil.
Wir leben also in einem Europa, das wir alle gemeinsam
aufbauen werden. Sie brauchen keine Komplexe zu
haben oder das Gefühl, Sie würden in eine von anderen
und für andere geschaffene Welt gelangen: Sie gelangen
zusammen mit anderen in eine Welt, die wir alle
gemeinsam aufbauen werden. Und ich möchte Ihnen
ganz einfach sagen, was meines Erachtens das
Geheimnis des europäischen Einflusses ausmacht.
Manche meinen, man müsse hart und energisch sein,
man müsse ständig aus den eigenen nationalen
Interessen heraus kritisieren und protestieren.
Keineswegs. Europa erschließt sich denen, die es lieben.
Dies ist die Grundregel der Europäischen Union: wer sie
liebt, der bekommt viel von ihr zurück!
2-173
Haarder, Ratspräsident. – (DA) Ich möchte mich bei
Herrn Bourlanges für seine Schlussbemerkung
bedanken, die mir die willkommene Gelegenheit gibt,
meine abschließenden Anmerkungen vorzubringen.
Zunächst möchte ich den Berichterstattern für die
ernsthafte Arbeit danken, die sich in den Berichten
niedergeschlagen
hat.
Sie
enthalten
solide
Einschätzungen,
kluge
Überlegungen
und
Schlussfolgerungen. Damit verfügen wir über eine
seriöse Grundlage für eine massive Unterstützung der
Erweiterung, wie sie heute vom Parlament nochmals
zum Ausdruck gebracht worden ist. Man kann die
Unterstützung guten Gewissens massiv nennen. Sie ist in
diesem Saal in den vergangenen acht Stunden zum
Ausdruck gekommen. Ich bedanke mich für Ihr
Engagement und für Ihre Unterstützung.
Ich möchte jetzt auf einige der wichtigsten Fragen
eingehen. Bis zu den Verhandlungen in Kopenhagen –
also in den nächsten drei Wochen – müssen wir die
gewaltige Aufgabe bewältigen, die Verhandlungen mit
jedem der zehn Beitrittskandidaten abzuschließen. Die
Präsidentschaft wird die Verhandlungen gemeinsam mit
der Kommission unter vollständiger Respektierung der
in Berlin beschlossenen Ausgabenobergrenzen und der
in
Brüssel
angenommenen
Schlussfolgerungen
durchführen. Das war Inhalt der Empfehlung des Rates
Allgemeine Angelegen an die Präsidentschaft auf der
gestrigen Tagung. Die Präsidentschaft wird auf dieser
Grundlage arbeiten und ihr Äußerstes tun, um
Kompromisse zu finden, die für die neuen und die
derzeitigen Mitgliedstaaten annehmbar sind. Das
erfordert allerdings eine hohe Kompromissbereitschaft
und großes Verständnis für die Meinungen und
46
Bedürfnisse
der
Gegenpartei.
Zum
Thema
Verhandlungen ist zu sagen, dass selbstverständlich
verhandelt werden kann und natürlich Flexibilität
möglich ist, doch wie ich glaube, sind sich alle in diesem
Saal einig darüber, dass das EU-Recht respektiert
werden muss. So sind die in Berlin festgelegten
Ausgabenobergrenzen zu respektieren ebenso wie die in
Brüssel getroffenen Entscheidungen, z. B. in Bezug auf
die
Agrarausgaben.
Trotzdem
gibt
es
Verhandlungsspielräume, worauf auch Herr Kommissar
Verheugen hingewiesen hat.
Gegenüber Herrn Bonde, Herrn Modrow und mehreren
anderen möchte ich betonen, was auch Herr FoghRasmussen kurz vor der Mittagspause sagte, dass es
nicht angeht, dass die fünfzehn Länder jetzt einen neuen
Vertrag verfassen, dem die zehn neuen Länder danach
zustimmen, ohne ihn beeinflussen zu können. Bei der
gestrigen Ministerkonferenz wurde noch einmal
bestätigt, was in Ziffer 23 des Vertrages von Nizza steht,
nämlich dass die neuen Länder vollständig
gleichberechtigt, mit dem gleichen Rede- und
Stimmrecht wie die jetzigen Mitgliedstaaten, an der
kommenden Regierungskonferenz teilnehmen. So ist es,
und alles andere wäre ja auch kritikwürdig,
unannehmbar und könnte von den Politikern der neuen
Mitgliedstaaten unmöglich zum Gegenstand einer
Volksabstimmung gemacht werden.
Ich glaube, Frau Myller hat das Thema der neuen
Nachbarn angeschnitten. Nach der Erweiterung im Osten
bekommen wir ja neue Nachbarn, und auf der gestrigen
Tagung des Rates Allgemeine Angelegenheiten in
Brüssel wurde eine langfristige Strategie in Bezug auf
den Umgang mit den neuen Nachbarn beschlossen. Der
Rat äußerte den Wunsch, eine anspruchsvolle,
weitsichtige und integrierte Strategie gegenüber jedem
dieser neuen Nachbarländer zu erarbeiten, um
Demokratie und Wirtschaftsreformen, nachhaltige
Entwicklung und Handel sowie Stabilität, Wohlstand
usw. auf der anderen Seite der neuen EU-Grenze zu
fördern. Es wurde betont, dass auf die besonderen
politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse jedes
Landes Rücksicht genommen werden soll und dass diese
gesamte Frage im Zusammenhang mit der
gegenwärtigen Vertiefung der Zusammenarbeit mit
Russland zu sehen ist. Es ging auch um
grenzübergreifende
Zusammenarbeit,
organisierter
Kriminalität, illegale Einwanderung und regionaler
Zusammenarbeit zwischen den neuen Nachbarländern.
Ich kann Ihnen also versichern, dass dies alles
berücksichtigt wird. Es wurde daher der Beschluss
gefasst, die Kommission und den Hohen Vertreter
aufzufordern, möglichst schnell detaillierte Vorschläge
vorzubereiten, und ebenfalls festgelegt, dass die
Beitrittskandidaten dazu konsultiert werden.
Herrn Alavanos und anderen, die über Zypern
gesprochen haben, möchte ich Folgendes sagen: Der
UN-Generalsekretär legte bekanntlich am 11. November
einen Vorschlag für eine Gesamtlösung des ZypernKonflikts vor. Es handelt sich um einen 150 Seiten
langen, umfassenden Vorschlag. Der vorgelegte Plan hat
19/11/2002
die Form einer politischen Gesamtlösung, die
sicherstellen soll, dass Zypern als Ganzes der EU
beitreten kann. Was den Beitritt angeht, so bilden die
Schlussfolgerungen von Helsinki weiterhin die
Grundlage für die Haltung der EU. Die EU würde einen
Betritt der wiedervereinigten Insel bevorzugen, doch
eine solche Lösung ist keine unabdingbare
Voraussetzung für den Beitritt. Der Rat wird seine
Entscheidung über die Aufnahme Zyperns unter
Berücksichtigung aller relevanten Faktoren treffen. Die
EU unterstützt im Übrigen die Bemühungen des UNGeneralsekretärs und wird sich einer Gesamtlösung des
Konflikts anschließen können, die den Prinzipien der
Europäischen Union gerecht wird, d. h. Zypern muss als
Mitgliedstaat in der Lage sein, mit einer Stimme zu
sprechen und die korrekte Anwendung des EU-Rechts
zu sichern.
Für das Verhältnis zur Türkei gilt weiterhin die ebenfalls
in Helsinki getroffene Entscheidung des Europäischen
Rates. Die Türkei ist Beitrittskandidat und wird auf die
gleiche Weise wie die übrigen Beitrittskandidaten
behandelt. Im Bericht der Kommission wurde
festgestellt, dass das politische Kriterium, das
Voraussetzung zur Aufnahme von Verhandlungen ist,
noch nicht erfüllt ist, aber große Fortschritte erzielt
worden sind. Die wirtschaftlichen Kriterien müssen
spätestens zum Zeitpunkt der Aufnahme in die EU
erfüllt sein. Auf der Tagung des Europäischen Rates in
Kopenhagen wird über die nächste Phase des
Verhältnisses der Türkei zur EU entschieden, und somit
wird die Türkei genau so behandelt, wie dies bei allen
anderen Beitrittskandidaten der Fall war.
Abschließend möchte ich zu Herrn Maaten und Herrn
Arvidsson sagen, dass uns allen klar ist, dass die
Erweiterung von 15 auf 25 und später auf 27 oder
vielleicht 28 Mitgliedstaaten einen neuen Vertrag
voraussetzt, weil wir sonst Probleme bekommen.
Deshalb gibt es ja den Konvent, und deshalb wird es
eine
Regierungskonferenz
geben,
auf
der
selbstverständlich auch Entscheidungen getroffen
werden müssen. Nach allem, was ich gehört habe, auch
gestern von den Mitgliedstaaten und den neuen
Mitgliedstaaten, ist man sich im Klaren darüber, dass die
Entscheidungen so getroffen werden müssen, um die
Probleme zu vermeiden, von denen Herr Maaten
gesprochen hat, d. h. in anderen Worten Probleme
mangelnder Beschlussfähigkeit. Herr Arvidsson hat
Recht, dass sich eine Union mit so vielen
Mitgliedstaaten
auf
die
wichtigsten
Themen
konzentrieren muss und sich nicht um zu viele Dinge
kümmern darf, da wir ein sehr kompliziertes System
bekommen würden, wenn wir uns nicht an das
Subsidiaritätsprinzip halten.
Mit diesen Worten, Herr Präsident, möchte ich mich
herzlich für diese achteinhalb Stunden lange Debatte
bedanken, in der eine massive Unterstützung für das
anstehende große Projekt zum Ausdruck kam. Darauf
können wir stolz sein, und ich erlaube mir „wir“ zu
sagen, weil ich als Mitglied des Parlaments von Anfang
an dabei war.
19/11/2002
2-174
Der Präsident. – Vielen Dank, Herr Ratspräsident. Sie
haben mit Recht darauf hingewiesen, dass wir eine der
längsten Debatten unseres Parlaments hinter uns haben.
Angesichts der vor uns liegenden Aufgaben hatte sie
jedoch durchaus ihre Berechtigung.
Zum Abschluss dieser Debatte erteile ich nun Herrn
Verheugen im Namen der Kommission das Wort.
2-175
Verheugen, Kommission. – Herr Präsident, meine
Damen und Herren! Nachdem die Ratspräsidentschaft
alle Fragen so präzise beantwortet hat, kann ich es mir
erlauben, sehr kurz zu sein. Ich glaube, dass diese
Debatte sehr hilfreich gewesen ist. Sie hat zu der
Dynamik beigetragen, die wir brauchen, um mit dem
entsprechenden Rückenwind in Kopenhagen ins Ziel zu
gelangen. Sie hat auch klare Orientierungen gegeben,
worauf in den vor uns liegenden Verhandlungen noch zu
achten ist, und wir werden uns bemühen, die von dieser
Debatte ausgegangenen Orientierungen in die
Verhandlungen einzubringen.
2-176
Der Präsident. – Vielen Dank, Herr Kommissar.
Die Aussprache ist geschlossen.
Die Abstimmung findet morgen um 12.00 Uhr statt.
(Die Sitzung wird um 19.20 Uhr geschlossen.) 2
2
Tagesordnung der nächsten Sitzung: siehe Protokoll.
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19/11/2002
INHALT
SITZUNG AM DIENSTAG, 19.
NOVEMBER 2002 ....................................5
Genehmigung des Protokolls der
vorangegangenen Sitzung .....................5
Fortschrittsbericht über den Beitritt .....5
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