Technische Universität Dresden Institut für Politikwissenschaft Wintersemester 2012/13 HS/Projektseminar: An den Grenzen des Rechts. Zur politischen Theorie des Flüchtlings. Dozentin: Dr. Julia Schulze Wessel Projektarbeit: Die Anwesenheit auf dem Territorium beim Asylverfahren – Ein Auslaufmodell? Möglichkeiten extra-territorialer Asylverfahren in der EU Sonja Buder, Deborah Häßner, Rasha Nasr 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................................................. 1 2. Der Ort im historischen und modernen Asyl ......................................................................... 2 2.1. Die Kopplung von Ort und Schutzgesuch im historischen Asyl ........................................ 3 2.2. Der Zugang zum Territorium der EU ................................................................................. 4 3. Die Schweiz als Pionierin der extra-territorialen Asylverfahren im Schengen-Raum ........... 8 3.1. Konstitution des helvetischen Botschaftsverfahrens ........................................................... 9 3.2. Die Schweiz allein inmitten der EU .................................................................................. 11 4. Modell der extra-territorialen Asylverfahren ...................................................................... 13 4.1. Extra-territoriale Asylverfahren vs. Geschützte Einreiseverfahren ................................... 14 4.2. Die Rechtsfassung des Asyls und der Flüchtlinge als Basis für mögliche Institutionalisierungsszenarien ................................................................................................. 18 4.3. Die Gefahr der externalisierten Lagersysteme in extra-territorialen Verfahren ................ 20 5. Konklusion und Verfahrensvorschlag .................................................................................. 21 6. Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 25 2 1. Einleitung Seit der griechischen Antike müssen Menschen im Rahmen im Rahmen einer Asyl- und Schutzgewährung eventuell weite Strecken zurücklegen, um einen Ort zu erreichen, an dem diese gewährt und durchgesetzt werden. In der modernen Staatenwelt der Europäischen Union hat der gesamte europäische Rechtsraum diese Schutzwirkung. Trotz dieser Vergrößerung des Schutzraumes starben von 1998 bis 2011 starben 17.738 Menschen bei dem Versuch, die EU zu erreichen. (Facchi 2012: 11). Bedenkt man dabei, dass das Recht auf Schutz und Asyl durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unter Artikel 14 garantiert wird, stellt sich die Frage nach der Umsetzung dieser Garantien, zugespitzt die Versicherung des Zugangs zu diesem Recht, gegenwärtig besonders deutlich. Gerade deshalb wird auch in der Europäischen Union über die Gestalt des neuen gemeinsamen Asylsystems, unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach einem institutionalisierten Zugangsverfahren, diskutiert. So wollen wir uns in dieser Arbeit mit der Beziehung zwischen dem Ort des Asylgesuchs und dem Ort dieser Schutzgewährung auseinandersetzen. Im ersten Kapitel soll deshalb ein historischer Rückblick auf die Verbindung von Ort und Asylgewährung erfolgen. Am Beispiel der Schweiz soll im zweiten Kapitel ein Asylverfahren vorgestellt werden, bei dem das Territorium, auf dem Schutz gewährt wird, und der Ort der Asylantragsstellung entkoppelt sind. Bis zur Abschaffung im letzten Jahr arbeitete die Schweiz mit diesem Botschaftsverfahren, das eine gesicherte Einreise bei Schutzbedürftigkeit garantierte, und somit einen extra-territorialen Zugang zum territorialen Asylverfahren bot. Wir wollen nach Gründen für die Abschaffung dieses Modells suchen, um sie für die Erarbeitung des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit heranzuziehen. Nach einer theoretischen Einführung in den Forschungsstand der extra-territorialen Zugangsverfahren und einer Zusammenfassung des rechtlichen Bezugsrahmen im vierten Kapitel soll gezeigt werden, dass extra-territorialer Zugang im europäischen Recht umsetzbar ist, aber nicht gleichzeitig einem extra-territorialen Asylverfahren entspricht. Entscheidend ist auch, dass der Rechtszugang nicht mit einem formalen Asylverfahren zusammenfallen muss. Nichtsdestotrotz tritt die Europäische Union im Zuge des gemeinsamen Asylsystems als starke multinationale Akteurin auf, die sich damit auch der Frage nach der Verantwortung für die umliegende Staatenwelt stellen muss. 3 Ergebnis dieser Arbeit wird dann die Zusammenfassung der Analyse, die in einem Schaubild, der eine pragmatische Darstellung eines Vorschlages zu einem europäischen Verfahrensmodell zeigt, mündet, welches dem Kriterium des Gleichgewichts zwischen Flüchtlingsschutz und Grenzkontrolle zu entsprechen versucht. Es wird sich zeigen, dass den Schengen-Staaten eine völkerrechtliche Verpflichtung nachgewiesen werden kann, geschützte Einreise zur Vorbeugung illegaler Migration, menschlicher Gefahren, dem Schlepperwesen und der Folter, zu garantieren (vgl. Noll 2005: 573). 2. Der Ort im historischen und modernen Asyl Wer Asyl in Anspruch nehmen will, muss sich in den meisten Fällen erst einmal auf die Reise zu einem bestimmten Ort begeben. Im Zusammenhang mit Asyl muss deshalb auch der Begriff der Migration gedacht werden. Migration bezeichnet die „auf einen längerfristigen Aufenthalt angelegte räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes von Individuen, Familien, Gruppen oder auch ganzen Bevölkerungen“ (Oltmer 2012: 18). Mit wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen kam es im Laufe der Zeit zu immer mehr Formen von Migration. Darunter zählen beispielsweise Arbeitsmigration oder Kulturmigration. Besonders wichtig für diese Arbeit ist allerdings die Zwangsmigration oder auch Zwangswanderung. Per definitionem wird die Zwangswanderung als eine Form von Migration beschrieben, „die sich als alternativlos aus einer Nötigung zur Abwanderung aus politischen, ethno-nationalen, rassistischen oder religiösen Gründen ergibt“ (Oltmer 2012: 21). Warum Menschen nach Asyl suchen, kann verschiedene Gründe haben. Einer der Hauptgründe für Zwangswanderung und der damit einhergehenden Notwendigkeit der Asylgewährung ist staatliches Handeln. Durch diktatorische Regime, Kriege und Konflikte werden Menschen zur Flucht gezwungen. Flucht ist eine Unterform von Zwangswanderung und wird als das „Ausweichen vor einer lebensbedrohenden Zwangslage aufgrund von Gewalt“ (Oltmer 2012: 31) beschrieben. Besonders in der heutigen Zeit sind viele Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und Schutz in einem anderen Land zu suchen. Im Folgenden soll ein Überblick auf das historische Asyl und seine Kopplung an den Ort gegeben werden. Darauf aufbauend wird die harmonisierte europäische Asyl- und Außenpolitik vorgestellt. 4 2.1. Die Kopplung von Ort und Schutzgesuch im historischen Asyl Migration oder Wanderung sind keine modernen Phänomene, denn bereits vor über 100.000 Jahren begann der Mensch die Welt zu besiedeln, und damit zu wandern. Mit der Herausbildung von Gesellschaften und Staaten wurde die Notwendigkeit von Asyl immer dringender. Der Begriff Asyl kommt ursprünglich von dem griechischen Wort „asylón“ (Haase, Jugl 2007:1) – einer Freistatt oder einem heiligen, unantastbaren Ort. Griechenland stellt die Wiege des Asyls dar; im fünften Jahrhundert fand es erstmals Erwähnung und war für jedermann zugänglich. Schon Plutarch 1 berichtete in seinen Vergleichenden Lebensbeschreibungen von der Tradition des Asyls (vgl. Derlien 2003: 171, Arte 2009). Der historische Asylbegriff beschreibt weiterhin den „religiös oder politisch motivierten Anspruch auf Schutz oder Zuflucht (…), der insbesondere bei Bedrohung und Verfolgung Bedeutung erlangte (…)“ (Dreher 2003: 1). Im Nachfolgenden sollen die sechs bekannten Formen historischen Asyls vorgestellt werden um darauf aufbauend zu klären, ob eine traditionelle Kopplung von Ort und Schutzgesuch besteht. Das sakrale Asyl, oder Hikesie, bezeichnet die Zuflucht zu einer heiligen, den griechischen Göttern geweihten Asylstätte. Diese waren Altäre, aber besonders Tempel. Ein bekanntes Beispiel ist der Tempel des Poseidon auf der Insel Paros (vgl. Arte 2009). Das persönliche Asyl, auch Asylia genannt, beschreibt die Übertragung von Schutzrechten an eine bestimmte ausländische Person durch eine griechische Polis. Das bedeutete, dass Schutzrechte nur dann in Anspruch genommen werden konnten, wenn das Gebiet der Rechtsprechung der Polis erreicht wurde. Eine Weiterführung oder Verschmelzung von Hikesie und Asylia findet sich in der Zeit des Römischen Reiches - das territoriale Asyl, oder Asylum. Hierbei handelte es sich um die staatliche Anerkennung einer Asylstätte. Folglich war die Schutzwirkung eines sakralen Ortes abhängig von der Entscheidungsgewalt politischer Mächte. Schutzrechte konnten nur dann in Anspruch genommen werden, wenn dieser bestimmte sakrale, von politischen Mächten als schützend erklärte Ort, erreicht wurde. Zu historischem Asyl wird ebenso das Statuenasyl gezählt, die Zuflucht zu einem Bildnis oder einer Statue. Meist handelte es sich dabei um Statuen römischer Kaiser, bei denen besonders Sklaven Zuflucht fanden. Weiterhin wichtig im historischen Asyl war der Schutzbrief, oder auch logos asylias. 1 Plutarch war griechischer Schriftsteller und verfasste meist biografische Texte. In den „Vergleichenden Lebensbeschreibungen“ berichtet er von Asylstätten im Römischen Reich, die Zuflucht für schutzbedürftige Menschen garantierten. 5 Dabei garantierte ein privater oder staatlicher Schutzaussteller einer bedrohten Person Sicherheit vor Übergriffen zu, die sie sonst nur durch Anwesenheit einer Kirche hätte (vgl Dreher 2003: 1ff). Das bedeutet, dass der logos asylias eine Sonderform im historischen Asyl und eine Art Urform extra-territorialen Asyls darstellt. Denn die Garantie von Schutzrechten für eine bedrohte Person war nun nicht mehr an einen bestimmten Ort, sondern an ein Dokument gekoppelt. Der logos asylias kann als Vereinigung von Asylia und Kirchenasyl betrachtet werden (vgl. Dreher 2003: 1). Kirchenasyl, die Zuflucht zu einem sakralen Ort, in diesem Fall einer christlichen Kirche, stellt die Nachfolge der griechischen Hikesie dar. Dem Glauben nach waren alle Kirchen legitime Zufluchtsorte. Das Kirchenasyl wurde festgesetzt auf dem Konzil von Orléans im Jahre 511 (vgl. Arte 2009) und sorgte für die weltweite Verbreitung der Tradition des Asyls. Mit dem Entstehen von Staaten und Monarchien entwickelte sich allerdings ein immer größer werdender Konflikt, da das Kirchenasyl als Störung der staatlichen Rechtsprechung empfunden wurde. So wurde der Kirche mit dem Edikt von Villers-Cotterêts von 1539 (vgl. Arte 2009) der Anspruch auf Asylgewährung entzogen und Asyl im Zuge dessen zum weltlichen Recht. Asyl wurde nicht mehr nur dann gestattet, wenn man eine Kirche erreichte, sondern wenn Staatsgebiet betreten wurde. Das heißt, der Schutzraum änderte sich von kleinen Orten, über nationale Territorien bis hin zum Rechtsraum der Staatenverbünde in der Moderne (siehe Kapitel 2.2). Für die vorliegende Arbeit sind besonders die Asylia und das Asylum wichtig. Sie beinhalten Strukturen von Asyl, die auch heute noch vorherrschend sind. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass sich bei diesen zwei Arten historischen Asyls zeigt, dass eine Verbindung zwischen Ort und Schutz bereits zu Zeiten der Griechischen Polis beziehungsweise des Römischen Reiches, gegeben war. Denn man war vor seinen Verfolgern nur dann sicher, wenn man eine bestimmte heilige Stätte oder einen Ort erreichte, denen Schutzwirkungen zugesprochen wurden. Wanderung war demnach selbst zu Anbeginn der Zeiten des Asyls eine Grundvoraussetzung für die Inanspruchnahme von Schutzprivilegien. 2.2. Der Zugang zum Territorium der EU Nachdem aufgezeigt wurde, welche Arten historischen Asyls bekannt sind und dass eine traditionelle Kopplung von Ort und Schutzgesuch vorliegt, soll im Folgenden geklärt werden, wie der Zugang zum Territorium der Europäischen Union gestaltet ist. 6 Wie alle Politikfelder der Europäischen Union wurzelt auch die europäische Außen- und Asylpolitik in den Römischen Verträgen von 1957. Während die Außenpolitik kontinuierlich weiterentwickelt wurde, stellte man die Asylpolitik vorerst hinten an. Mit dem Schengener Abkommen, Schengen I im Jahr 1985, einigten sich die Benelux- Staaten, die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik, Personenkontrollen im Binnenraum abzuschaffen, also einen Wegfall der Binnengrenzen voran zu treiben (vgl. Haase, Jugl 2007: 1). Was zunächst einer Optimierung der Wirtschaft zwischen den Schengen-Staaten zu Gute kommen sollte, verschob die Probleme mit der Zunahme illegaler Einwanderung an die europäische Peripherie. Die Konsequenz zog man mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen, Schengen II von 1990, das einen wichtigen Schritt in eine gemeinsame europäische Asylpolitik darstellte, denn es ergänzte Schengen I um gemeinsame Visa- Regelungen, Zuständigkeiten bei Asylverfahren sowie Richtlinien zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit. Der Staatenverbund der EU entwarf mit den Dubliner Verordnungen, kurz Dublin I und II, eine Grundlage für die harmonisierte europäische Asylpolitik. Sie trieb im gleichen Zuge allerdings die Zentralisation des Rechtszuganges zum Rechtsraum der EU voran. Essenziell in Dublin I und II ist das „one-state-only“- bzw. „one-chance-only“- Prinzip. Es besagt, dass Asylsuchende nur im Land des Ersteintrittes einen Antrag auf Asyl stellen dürfen. Reisen Asylsuchende illegal weiter, werden sie in das Land des Ersteintrittes zurückgeschoben, welches verpflichtet ist, illegal weiter gereiste Asylsuchende zurückzunehmen (vgl. Haase, Jugl 2007: 2). In der Regel ist also nur ein Land zuständig für die Prüfung eines Asylantrages. Wird dieser abgelehnt, gilt der Beschluss für das gesamte Hoheitsgebiet der Europäischen Union. Asylsuchende haben also in der Tat nur eine Chance auf Asyl und das in nur einem Land der EU. Zwar sollten die Dubliner Übereinkommen ursprünglich für faire Asylverfahren sorgen; allerdings wurden nur Zuständigkeiten bei Asylfragen und keine Verfahrensregelungen EU-weit rechtskräftig. Dies führte, und führt jedoch dazu, dass bei Asylverfahren hauptsächlich nationalstaatliche und keine einheitlichen Entscheidungen getroffen werden (vgl. Pelzer 2008: 140) und letztendlich Schutz suchenden Menschen kein verlässlich standardisiertes Asylverfahren garantiert werden kann. Aufgrund der Abwesenheit eines Beschlusses für ein gemeinsames europäisches Asylverfahren durch die höchste justizielle Instanz, dem Europäischen Gerichtshof, steht den Mitgliedsstaaten die Konzipierung ihres eigenen Asylverfahrens frei. 7 Weiterhin sorgt das „one-state-only“-Prinzip für einen großen Ansturm auf die Länder mit europäischer Außengrenze. Asylbewerber*innen finden ihren Weg nach Europa meist über das Mittelmeer, was bedeutet, dass besonders Länder wie Griechenland, Italien, Spanien und Zypern überdurchschnittlich viele Asylanträgen stemmen müssen. Durch fehlende Maßnahmen der solidarischen Verantwortungsteilung werden negative Phänomene, wie die Überlastung mittelmeernaher Staaten, deutlich. Um dieser Überbelastung bereits genannter Staaten entgegenzuwirken, wurden Instrumente entwickelt, die den Flüchtlingsstrom lenken sollten. Eines dieser Instrumente stellt die Europäische Agentur für operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, FRONTEX, dar. Sie wurde durch die EG-Verordnung vom 26. 10. 2004 gegründet und nahm ihre Arbeit im Jahr 2005 auf (vgl. Pelzer 2008: 137). FRONTEX ist unter anderem zuständig für die Überwachung der EU- Außengrenzen zum Schutz vor Asylmissbrauch und Kriminalität. Diese FRONTEX-Einsätze, koordiniert durch Grenzschutzbeamte, führen zum Einen zu einer Entlastung des Ansturms durch Migrant*innen aus Nordafrika auf südeuropäische Länder (vgl. Pelzer 2008: 137). Auf der anderen Seite aber trägt FRONTEX durch ein intendiertes Kontrollprogramm auch zu einer Exterritorialisierung der europäischen Außengrenze bei. Obwohl die Asylpolitik mittlerweile, dem Schutzaufkommen gemäß, eine zentrale Rolle auf dem Gebiet der EU spielt, sind die Zugänge zu diesem Recht beschränkt. Das zeigt sich zum Beispiel in Anbetracht von FRONTEX-Einsätzen. Die Agentur hat alleine zwischen August und Dezember 2006 3.500 Flüchtlinge auf dem Atlantik aufgehalten und in den Senegal und nach Mauretanien zurückgesandt (vgl. Pelzer 2008: 138). So wird Asylsuchenden der Zugang zu EU-Recht und damit Schutz erst gar nicht ermöglicht. Dabei ist in Artikel 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergeschrieben, dass das Recht auf Asyl im Rahmen des Genfer Abkommens gewährleistet und als Grundsatz anerkannt wird. Die Europäische Union wird bisweilen nicht von ungefähr als „Festung Europa“ (Zandonella 2007: 48) bezeichnet, die „eine Politik der Abschottung insbesondere bei der Asyl- und Migrationspolitik“ (Zandonella 2007: 48) betreibt. Die rigide Asylpolitik der Europäischen Union zeigt sich ebenfalls darin, dass mit 230.000 Asylanträgen im Jahr 2005 die niedrigste Zahl gestellter Asylanträge seit 1988 verzeichnet wurde, bei gleichzeitigem Höchststand der der Außengrenzkontrollen. 2006 stellten weniger als 200 000 Menschen einen Asylantrag (vgl. Pelzer 2008: 135). Instrumente wie FRONTEX sorgen also durch immer strengere Grenzsicherung dafür, dass Schutzbedürftige noch weit vor den Grenzen des Hoheitsgebietes 8 der Europäischen Union vom Grenzübertritt abgehalten werden. Dieses Phänomen setzt die Idee des Non-Refoulement, also der Nichtausweisung schutzbedürftiger Menschen, außer Kraft. Die Kumulation verschiedener Maßnahmen, wie die Dubliner Verordnungen oder die Exterritorialisierung der EU- Außengrenzen, bewirkt im Endeffekt nur eine erschwerte Inanspruchnahme von Schutzrechten. Durch verstärkte Grenzkontrollen, die sich auch auf Drittländer ausweiten, Abschiebungen und intensivierte Überwachungsmaßnahmen, werden Asylbewerber*innen faktisch zum illegalen Grenzübertritt gezwungen. Nicht nur die Möglichkeiten der legalen Einreise sind kaum mehr vorhanden, auch der räumliche Korridor für die illegale Einreise zieht sich bedenklich zu. Die Tradition, dass ein bestimmter Ort erreicht werden muss um Schutz zu erhalten, findet sich, wie bereits in 2.1 erklärt, auch in den historischen Formen von Asyl. Sowohl bei der griechischen Asylia als auch bei der Form des Asylum im Römischen Reich spielten politische Instanzen eine bedeutsame Rolle. Durch sie wurde festgelegt, wem Asyl gestattet wird, beziehungsweise welcher Ort eine tatsächliche Schutzwirkung entfaltet – nämlich dann, wenn politische Mächte es so entschieden (vgl. Dreher 2003: 1). Damals wie heute war die Grundvoraussetzung der Inanspruchnahme rechtlicher Zuflucht von dem Erreichen eines bestimmten Ortes abhängig. Die Tradition der Verknüpfung von Ort und Schutz ist demnach auch im Europäischen Migrationsregime aktuell, denn dieser Schutz kann nur in Anspruch genommen werden, wenn vorher der Grenzübertritt in die Europäische Union geleistet werden konnte. Bestrebungen, gemeinsame extra-territoriale Asylverfahren einzuführen, existieren dennoch. Um Asyl zu gewähren, muss Asylbewerber*innen meist erst einmal der Flüchtlingsstatus zuerkannt werden. Mit der Richtlinie 2005/85/EC vom 01.12.2005 wurden Mindeststandards festgelegt, die bei der Entscheidung der Anerkennung oder Widerrufung des Flüchtlingsstatus dienlich sein sollen. Diese Richtlinie greift demnach bei allen Asylanträgen, die auf dem Hoheitsgebiet der EU, einschließlich ihrer Grenzen und Transitzonen, gestellt werden (vgl. Facchi 2012: 30). Um die legale Einreise zu optimieren, gab die EU im Jahre 2002 eine Studie in Auftrag, die prüfen sollte, inwieweit extra-territoriale Asylverfahren durchführbar sind. 2003 stellte Gregor Noll, Professor of Law an der Universität in Lund, diese Studie zur Durchführbarkeit von extra-territorialen Asylverfahren vor. Dabei wurden Vor- und Nachteile von geschützten 9 Einreiseverfahren analysiert und bereits implementierte Verfahren dieser Natur in EU- und Nicht-EU-Staaten untersucht. Schlussendlich wurden in dieser Studie fünf Optionen herausgefiltert, die die zukünftige Entwicklung von Protected Entry Procedures vorantreiben sollen (vgl. Facchi 2012: 32). Ausführlicher werden diese fünf Arten legaler Einreise, ohne die Bindung an das Territorium, in Kapitel 4 vorgestellt. Mit dem Stockholmer Programm von 2009 setzte der Europäische Rat fest, dass geschützte Einreiseverfahren und die Ausgabe von Visa aufgrund humanitärer Gründe zukünftig erleichtert werden müssen. Das größte Problem, das sich zeigt, ist das der Einreise an sich. Wenn diese nicht auf einer sicheren Grundlage gewährleistet werden kann, kommt es zum illegalen Grenzübertritt und einer erschwerten Inanspruchnahme von EU- Recht und damit dem Recht auf Asyl. Deshalb wird gefordert, eine legale Gewährleistung zur Einreise in die Europäische Union vor der Ausreise aus dem Heimatland bereit zu stellen. Denn, „[nur] auf der Grundlage dieser Garantie kann eine Reise sicher und regulär sein.“ (Facchi 2012: 94). Visabestimmungen kommen im Europäischen Migrationsregime demnach eine große Bedeutung zu. Aus dem Forschungsbericht „Exploring Avenues For Protected Entry In Europe“ aus dem Jahr 2012 geht hervor, dass Regelungen zwecks Visabestimmungen keine Modifikation bereits bestehender EU- Gesetze nach sich ziehen. Sie würden eher noch sicherstellen, dass bestehende Regeln voll ausgeschöpft werden, um so ein nötiges Gegenstück zur aktuellen Rechtsauslegung der Europäischen Union zu formen (vgl. Facchi 2012: 94). Nach einem stetigen Diskurs steht die Entwicklung von geschützten Einreiseverfahren noch immer am Anfang. Auch für gemeinsame europäische Verfahrensregelungen besteht Ausbaubedarf. Selbst Länder, die geschützte Einreiseverfahren institutionalisiert haben, schränken diese entweder ein oder schaffen sie wieder ab. Dabei ist die Entkopplung von Ort und Schutzgesuch keine Idee der Moderne. So wie der logos asylias im historischen Asyl, stellt die Schweiz im Schengen-Raum einen Ausnahmefall dar, deren Botschaftsverfahren für die Analyse herangezogen wurde, um Möglichkeiten der Entkopplung von Recht und Territorium für die gesamte EU zu erörtern. 3. Die Schweiz als Pionierin der extra-territorialen Asylverfahren im Schengen-Raum Die Entstehung des Botschaftsverfahrens geht auf den Kalten Krieg und die ehemaligen 10 Diktaturen Südamerikas, insbesondere in Chile und Argentinien, zurück. Zum damaligen Zeitpunkt war es Asylsuchenden kaum möglich, die jeweiligen Länder zu verlassen, um in die Schweiz zu reisen und einen Antrag einzureichen. Aus diesem Grund wurde ein Verfahren verfasst, welches Betroffenen die Möglichkeit gab, auch außerhalb der Eidgenossenschaft in deren Vertretungen Zuflucht zu finden (Schweizer Bundesrat 2010: 4467f.) und so einen extra-territorialen Zugang zum völkerrechtlich garantierten Flüchtlingsschutz bereit zu stellen. Das Verfahren selbst blieb jedoch territorial verhaftet, da die Möglichkeit der Antragstellung an die schweizer Auslandsvertretungen, also an einen Ort, gekoppelt war. Jedoch entfiel die Koppelung der Antragsstellung an den Aufenthalt in der Schweiz beziehungsweise eine ihrer Grenzen. Die Schweiz gilt seit jeher als eines der attraktivsten und wichtigsten Länder für Menschen, welche einen Antrag auf Asyl stellen möchten. Innerhalb Europas stellt sie das Land dar, welches proportional zu den Einwohnerzahlen am meisten Flüchtlinge aufnimmt und somit die höchste Immigrationsrate Europas aufweist (Currle 2004: 317ff.). Die Schweiz Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention, so dass für sie dieselben Leitlinien wie für alle Staaten der Europäischen Union gelten (Hailbronner 2000: 9). Selbst in den staatspolitischen Maximen der Eidgenossenschaft ist die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen, zusammen mit dem Grundsatz der politischen Neutralität, verankert (Kälin 1985: 165). Dennoch ist das Recht auf Asyl in der Schweiz kein Grundrecht, zumal die Ablehnung eines Antrages keinerlei gerichtlicher Prüfung unterliegt, sondern lediglich von Behörden bearbeitet wird. Das vollständige Asylverfahren der Eidgenossenschaft ist seit dem 01.01.1981 gesetzlich statuiert. Grund für eine einheitliche, umfassende Regelung sind unter anderem die Vorfälle gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Schweiz trotz ihrer jahrhundertelangen Asylgeschichte all ihre Grenzen schloss und somit etwa 10.000 Flüchtlingen die Ausreise aus Deutschland nicht gestattet wurde (Kälin 1985: 162ff.). 3.1. Konstitution des helvetischen Botschaftsverfahrens Eine Besonderheit des Schweizer Asylrechts, verglichen mit anderen Ländern Europas, stellt das sogenannte Botschaftsverfahren dar. Seit dem 5. Oktober 1979 ist es möglich, bei Schweizer Vertretungen, wie Botschaften oder Konsulaten im Ausland, einen Antrag auf ein Asylverfahren zu stellen (Achermann/Hausammann 1991: 255). Jenes Gesuch kann formlos mündlich oder schriftlich eingereicht werden. Dabei muss die eigene Identität entweder 11 nachgewiesen werden oder es muss plausibel belegt werden, warum der Nachweis nicht erbracht werden kann. Auch die Gründe für den Asylantrag sollten, wenn möglich, nachweisbar sein (Bundesamt für Migration 2012). In Fällen, bei denen vorerst keine akute Gefahr für Leib und Leben besteht, findet nach der Einreichung des Gesuchs vorerst eine Befragung mit dem/der Antragsteller*in sowie die Prüfung, ob die Einreise in die Schweiz unvermeidbar ist, statt. In Fällen, bei denen von einer dringenden Gefährdung gesprochen werden kann, kann ein sofortiges Einreisevisum erteilt und das Interview vorerst verschoben werden (Achermann/Hausammann 1991: 255f). Generell geht es beim Botschaftsverfahren allerdings nur um die Zulassung zum Asylverfahren, nicht um den Entscheid für oder gegen das Asyl an sich. Wenn es keine Möglichkeit gibt, sich im Herkunftsstaat aufzuhalten oder in einen anderen Staat zu reisen, darf der/die Antragsteller*in, für gewöhnlich auf eigene Kosten, welche jedoch meist von Hilfswerken getragen werden, in die Schweiz einreisen, wo dann durch das Bundesamt für Migration über das Gesuch entschieden wird (Schweizerische Beobachtungsstelle 2012). In besonderen Fällen, wie beispielsweise Familienzusammenführungen, übernimmt das Bundesamt die Reisekosten (Facchi 2012: 57). Eine Ausnahme des Botschaftsverfahrens ist die Antragstellung in einer Schweizer Vertretung in einem Staat, der weder die Schweiz noch der Herkunftsstaat ist. In diesem Fall wird davon ausgegangen, dass die/der Gesuchsteller*in bereits Schutz in diesem Land gefunden hat, so dass eine Einreise in die Schweiz nicht mehr notwendig ist. Lediglich bei besonderer Nähe zur Schweiz kann der Antrag in Ausnahmefällen auch in Schweizer Vertretungen in Drittstaaten bearbeitet werden (Achermann/Hausammann 1991: 256). Am 28. September 2012 wurde durch eine Gesetzesrevision der Bundesversammlung der Schweizer Eidgenossenschaft die dringliche Änderung des Asylgesetzes initiiert. Artikel 19 Absatz 1, sowie '1bis' des Schweizer Asylgesetzes wurden geändert und Artikel 19 Absatz 2 sowie Artikel 20 wurden bis auf Weiteres aus dem Gesetz entfernt. Somit können nur noch diejenigen ein Gesuch auf Schweizer Asyl stellen, welche sich „an der Schweizer Grenze oder auf dem Gebiet der Schweiz befinden“ (Bundesversammlung 2013: 8). Seit 2008 ist ein erheblicher Anstieg der Asylgesuche festzustellen, weshalb die Gesetzesrevision die „Minderung der Attraktivität der Schweiz als Zielland für Asylsuchende“ bezwecken soll (Fluri 2012). Diese Attraktivitätsminderung ist eine allgemein vorherrschende Tendenz der asyl- und ausländerrechtlichen Bestimmungen der Schweiz, aber auch der 12 europäischen Migrationspolitik, zu dem die Schweiz allenfalls durch die Beteiligung am Schengen-Raum zählt. Stufenweise wurde das Asylgesetz der Schweiz immer weiter verschärft, begleitet von Protesten, insbesondere von Seiten der hiesigen Menschenrechtsorganisationen und NGOs. Dieser Protest hat sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eingestellt, sodass die Abschaffung des Botschaftsverfahrens in einem Referendum zur Entscheidung gestellt wird, in dem die Stimmberechtigten am 9. Juni 2013 letztendlich darüber abstimmen, ob das Verfahren endgültig abgeschafft werden soll (Solidarité sans frontières 2013: 2). Begründet wird diese Abschaffung vor allem durch die zu hohe Belastung der Schweizer Auslandsvertretungen und Verwaltungen. Da die Schweiz das einzige Land Europas mit dieser Art des Verfahrens war, entstand eine ungleiche Überbelastung. Hinzu kam die andauernde Zunahme der Anzahl der Asylanträge sowie der Umstand, dass nur ein geringer Teil der Auslandsgesuche letztendlich bewilligt wurde, so dass ein Großteil der Verwaltungsarbeit im Land für Negativentscheide aufgewendet werden musste. Im Zusammenhang damit wurde auch kritisiert, dass Personen, deren Leben nicht in Gefahr war, das Botschaftsverfahren missbrauchten und so versuchten, nach Europa zu kommen, da jeder der gestellten Anträge angenommen und bearbeitet werden muss (Schweizer Bundesrat 2010: 4468). Der Kosten-Nutzen-Faktor lässt sich in Anbetracht der benötigten Personal- und Finanzressourcen und der letztendlichen Positiventscheide zumindest solange in Frage stellen, wie es kein übergeordnetes System zur Teilung der Verantwortungslast oberhalb der Schengen-Staaten gibt, welches diese Überlast auffängt. 3.2. Die Schweiz allein inmitten der EU Das helvetische Botschaftsverfahren bietet einen umfassenden Zugang zum Recht und institutionalisiert die Möglichkeit, auch außerhalb des Territorium mit diesem Recht in Kontakt zu treten. Nicht nur Kinder, junge Frauen und alte Menschen, für die der Weg in die Schweiz besonders gefährlich ist, haben durch jenes Verfahren die Option unter weitaus geringeren Risiken Schutz zu suchen als bei territorialen Anträgen, sondern auch die Schutzbedürftigen ohne eigene Mittel zur Einreise. Es bietet somit eine grundlegend sichere und legale Möglichkeit des Grenzübertrittes. Sollte das Botschaftsverfahren endgültig abgeschafft werden, würde sich das Schlepperwesen enorm ausbreiten und gefördert werden 13 und dadurch auch die Chance auf Schutz, besonders für die, die ihn am meisten brauchen, massiv verringert. Des Weiteren könnten sich viele der Flüchtlinge die Reise gar nicht erst leisten, wobei es eben genau diejenigen sind, die des Schutzes bedürfen (m.E.). Auch aus finanzieller Sicht bringt das Botschaftsverfahren einige Vorteile mit sich. Durch die extra-territoriale Vorauswahl der Asylsuchenden, werden die Betroffenen nicht dazu gezwungen illegal in die Schweiz einzureisen, wo sie bis zu dem endgültigen Entscheid über ihr Gesuch auf Staatskosten untergebracht und verpflegt werden müssen und aufgrund dieser Schwebesituation keine neue Lebensperspektive entwickeln können. Diese Prozedur kann mitunter jahrelang dauern und es ist weitaus günstiger, wenn sich die Asylsuchenden bis zum Entscheid über die Eröffnung eines Asylverfahrens in ihrem Heimatland aufhalten, solange gesichert ist, dass ihnen in Notsituationen die Einreise unbürokratisch gewährleistet wird. Auch die Ausreisekosten bei einem Negativentscheid müssen von der Eidgenossenschaft getragen werden. Im Falle eines konsequent extra-territorialen Verfahrens, bei dem sich die Antragsteller*innen weder im Staat noch an der Grenze zu diesem Staat befinden müssen, in dem es nur die non-territoriale Möglichkeit der Antragsstellung gibt, welche sich nicht an den Ort des Aufenthaltes koppelt, würden auch diese wegfallen. Lediglich der Verwaltungsaufwand wäre höher, aber das Prinzip im Endeffekt günstiger (Facchi 2012: 59). Dabei hat das Botschaftsverfahren in dieser Mischform aus geschützter Einreise und Zugang außerhalb der Landesgrenzen letztlich kaum Auswirkungen auf die effektive Anzahl der Asylgesuche. Lediglich der Verfahrensaufwand ist höher, der durch seine Abschaffung gerade in den Schweizer Vertretungen verringert werden soll (Beutler 2012). Diejenigen, die am Ende jedoch am meisten darunter leiden, sind die 'echten' Flüchtlinge, welche keine andere Möglichkeit haben, ihr Heimatland zu verlassen, auch wenn Gefahr für Leib und Leben besteht. Jene Asylsuchende, welche via Botschaftsverfahren in die Schweiz einreisen, sind erwiesenermaßen schutzbedürftig und haben durch die Abschaffung keine Chance mehr, diesen Schutz zu finden (Solidarité sans frontières 2013: 6). Die Alternative zum Botschaftsverfahren soll zukünftig das humanitäre Visum darstellen. Hierbei kann in Einzelfällen, in denen eine Gefährdung des Lebens ersichtlich ist, sowie kein anderer Staat für den Aufenthalt in Frage kommt, ein Einreisevisum auch außerhalb der Schweiz bei deren Botschaften erteilt werden. Davon ausgenommen sind jedoch erneut Gesuche aus Drittstaaten. Auch hier wird davon ausgegangen, dass bereits in jenem Drittstaat 14 Zuflucht gefunden wurde. Kritisch ist das vor allem in den Ländern, in denen die Schweiz keinerlei Vertretung aufzuweisen hat. Dazu gehören beispielsweise Somalia und Eritrea, aus denen fast die Hälfte aller Asylgesuche der Schweiz stammt (Solidarité sans frontières 2013: 5). All jene Menschen sind damit grundsätzlich von dem humanitären Visum ausgeschlossen. Somit besteht nach wie vor die Notwendigkeit einer Institution an einem bestimmten Ort, um ein Gesuch auf Asyl stellen zu können. Über 90 Prozent der durch das Botschaftsverfahren eingereisten Personen erhielten einen positiven Asylbescheid oder zumindest eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung (Solidarité sans frontières 2012: 4). Diese Zahlen zeigen, wie effektiv dieses Verfahren ist und wie umfassend der Zugang über die Möglichkeit des Schutzes entscheidet. Das Kernproblem bleibt aber die Überbelastung der helvetischen Vertretungen im Ausland, welche sich darauf zurückführen lässt, dass die Schweiz das einzige Land der Schengen-Staaten mit diesem extra-territorialen Verfahren ist. Die Eidgenossenschaft könnte damit eine Vorreiterrolle einnehmen und als Beispiel für zukünftige Modelle dienen. Prinzipiell ist die Maßnahme des Botschaftsverfahrens systempolitisch niedrigschwelligen Rechtszuganges, praktikabel eine und würde, Annäherung auf zur Grund des Europäischen Menschenrechtskommission herbeiführen. Eine zentrale Notwendigkeit stellt die Umsetzung auf supranationaler Ebene dar, um so eine gerechte Lastenverteilung gewährleisten zu können und eine Balance zwischen Flüchtlingsschutz und Migrationskontrolle zu generieren. 4. Modell der extra-territorialen Asylverfahren Auf Basis der vorhergehenden Analyse des schweizerischen Alleingangs im Schengen-Raum sowie des Scheiterns dieses Ganges aufgrund der Isolation zum europäischen System und der Rekonstruktion von historischen Asylformen in Bezug auf ihre traditionelle Bindung an einen Ort und später an ein Territorium, sollen im Folgenden schon länger existierende Modelle von Asylverfahren vorgestellt werden, die versuchen, in ihrer Theorie ohne die Kopplung von Territorium und Rechtszugang auszukommen. Extra-territoriale Verfahren haben ihren Ursprung bereits in der Antike, erinnern wir uns an den logos asylias aus dem zweiten Kapitel, deshalb soll im ersten Unterkapitel eine umfassende wie aktuelle Begriffsbestimmung der Verfahren, sowie eine Abgrenzung der einzelnen Modelle untereinander geleistet werden. Im zweiten Unterkapitel wird die Rechts(grund)lage abgesteckt, mit besonderem Augenmerk auf das Wechselspiel nationaler Rechtsetzung und 15 dem Völkerrecht, um von diesem Ausgangspunkt Möglichkeiten für praktische Umsetzungsszenarien und -strategien der extra-territorialen Asylverfahren zu entwickeln. Hier soll dann auch der Frage nachgegangen werden, ob die Lösung für die europäische Asylproblematik, gemessen an den politischen Zielsetzungen, nur in einer Kombination verschiedener Verfahren liegen kann und aus welcher Richtung eine Umsetzung initiiert werden sollte (EU vs. Nationalstaaten). Die Möglichkeit, jenen Fragestellungen wissenschaftlich gesichert nachgehen zu können verdanken wir maßgeblich dem Forschungsprojekt „Exploring new forms of access to asylum procedures. ET Entering the territory“, welches sich aus EU-Mitteln kofinanziert, und deren Forschungsreport, der eine bisher nicht existente Zusammenstellung von Wissen und empirischen Material zu den extra-territorialen Asylverfahren bietet, welche wir in der Forschungsliteratur nicht noch einmal finden konnten. 4.1. Extra-territoriale Asylverfahren vs. Geschützte Einreiseverfahren Der Zugang zu den Asylverfahren der meisten europäischen Staaten2 ist an die Anwesenheit auf dem Territorium eines möglicherweise schutzgewährenden Staates gebunden, denn die Möglichkeit ein Asylverfahren zu initiieren, benötigt das Treffen auf europäisches Recht. Diese Notwendigkeit zur Auslösung ist durch das entstehende Verfahrenssystem, dem CEAS3, nur auf europäischem Boden oder allenfalls an den EU-Außengrenzen möglich. „Access to protection is linked to access and admission to territories“ (Facchi 2012: 11 ). Das Grenz- und Visaregime der Schengen-Staaten erschwert den legalen Zugang zum Flüchtlingsschutz, sodass geradezu ein Zwang zu illegaler Einreise konstatiert werden muss (vgl. Facchi 2012: 91). Wie bereits im thematischen Aufhänger dieser Projektarbeit verdeutlicht, sind die Todesopfer zahlreich. Zusätzlich erreichen systembedingt immer noch eher diejenigen die EU nicht, die am meisten schutzbedürftig sind (vgl. Facchi 2012: 92). Während der Frage nach politischen Initiativen zur Umgestaltung der Zugangsverfahren und deren formaler Umsetzbarkeit erst im nächsten Kapitel stattgegeben wird, will dieses Kapitel die schon in der Diskussion um eine gemeinsames europäisches Asylverfahren der 90er-Jahre existenten (vgl. Facchi 2012: 30), von der Anwesenheit auf einem Territorium entkoppelten Zugangsverfahren vorstellen. 2 3 Gemeint ist hier die Europäische Union sowie die Schengen-Staaten. 'Common European Asylum System' als Maßnahmenpaket zur Vereinheitlichung von Verfahren und Kriterien. 16 Solche Verfahren lassen sich unter dem Oberbegriff der „extra-territorialen Asylverfahren“ zusammenfassen und definieren sich erst einmal dadurch, dass der Ort des Asylgesuchs vom Ort der Schutzgewährung entkoppelt ist. Unterhalb dieses Oberbegriffes tummeln sich aber eine Reihe von Verfahrensmodellen, die sich in mehrfacher Hinsicht unterscheiden lassen, so z.B. an der Anzahl der Personen, für die es bestimmt ist (Individual- vs. Massenschutz). Anhand der Gesamtheit der herangezogenen Literatur lassen sich fünf Arten der legalen Einreise im Rahmen eines Schutzgesuchs ohne Notwendigkeit der territorialen Präsenz aufzählen: 1. diplomatisches Asyl, 2. Resettlement, 3. humanitäre Aussiedlungen, 4. flexible Anwendung des Visakodex und 5. Verfahren zur geschützten Einreise (z. B. vgl. Facchi 2012: 92 oder vgl. den Heijer 2011: 175f.). Teilweise bereits in mehreren Ländern des Schengen-Raums erprobt, wurden die meisten dieser Verfahren bereits wieder abgeschafft, weil sie im Sinne der nationalen Interessenwahrung und des Teilens der Verantwortlichkeit ohne einheitliche Umsetzung Nachteile für die jeweiligen Staaten nach sich ziehen (vgl. Noll 2005: 542). Mit dem diplomatischen Asyl liegt ein extra-territoriales Verfahren mit einer längeren Tradition vor. Die Asylgewährung in und über Auslandsvertretungen von Nationalstaaten kommt aus dem Lateinamerika des 19. Jahrhunderts und ist im Diplomatierecht einzelner Länder nicht einheitlich geregelt (vgl. Facchi 2012: 25). Grundsätzlich kann diese Zugangsform als Möglichkeit in Ausnahmesituationen beschrieben werden, außerhalb eines möglicherweise schutzgewährenden Staates, nämlich in seiner Auslandsvertretung ein Asylverfahren zu eröffnen, aber auch auf Schiffen zur See, in Flugzeugen und militärischen Transportmitteln (vgl. Facchi 2012: 24). Kein Gegenstand des diplomatischen Asyls ist ein konkretes Einreiseverfahren, weshalb der von uns gesuchte Weg zur umfassenden Zugangsregelung an diesem Verfahren vorbeiführt. Ein völlig anderer Weg ist der des Resettlements. Einerseits existieren in diesem Rahmen bereits nationale Programme, wenn auch unverbindlich, mit freiwilligen Länderquoten für die 17 Anzahl der Umzusiedelnden, ohne EU-weite und grundlegende Harmonisierung dieser Programme. Andererseits ist der Charakter dieses Verfahrens eher der der Verantwortungsteilung bei einer Überbelastung durch die Zahl der Asylgesuche, denn der des gesicherten Zugangs zu einem Asylverfahren im Schengen-Raum von außerhalb. Vielmehr ist die Umsiedlung ein Instrument des Flüchtlingsschutz, um eine Ansiedlung innerhalb eines Mehr-Staaten-Systems zu garantieren (vgl. Facchi 2012: 25). Dass dabei eher die Präferenzen der beteiligten Nationalstaaten im Vordergrund stehen, wird klar, wenn man sieht, dass in der EU gerade mal 6,5% (vgl. Facchi 2012: 25) der weltweit Umgesiedelten einen Platz finden. Ein Platz für größere Flüchtlingsgruppen lässt sich wiederum im Rahmen der sogenannten humanitären Aussiedlungen finden (vgl. Facchi 2012: 26). Ebenso quotenbasiert wie das Resettlement-Verfahren, stehen Evakuierungen aus Krisenregionen bei Phänomen wie der Massenflucht im Vordergrund um, zeitlich begrenzt, subsidiären Schutz zu gewährleisten. Voraussetzung ist hier die Absprache mit dem entsendenden Staat, der wiederum eine vorherigen Anerkennung der humanitären Notsituation in den eigenen Flüchtlingslagern leisten muss. Ein gelungenes Krisenentschärfungsverfahren der EU, das Projekt 'Entering the Territory', gibt hier als Beispiel die Evakuierung von annähernd 100.000 KosovoAlbaner*innen aus mazedonischen Lagern in die EU und die Türkei an (vgl. Facchi 2012: 27), welches sich aber so gar nicht als ein standardisiertes Zugangs- und Einreiseverfahren denken lässt, da individueller Schutz in ihm nicht vorgesehen ist. Als Standardverfahren sind aber Protected Entry Procedures (PEP) konzipiert, allerdings ohne das Rechtssubjekt des diplomatischen Asyls in Anspruch zu nehmen. Ähnlich wie in diesem wird in den geschützten Einreiseverfahren das Asylgesuch an einen staatlichen Repräsentanten in einem Ursprungsland oder Drittstaat gerichtet, hier unter der besonderen Fokussierung einer Einreisegarantie bei der Annahme des Verfahrens (vgl. Facchi 2012: 28), die Bindung an die Territorialität erscheint allerdings variabel. Zwar ist eine Eröffnung des Asylverfahrens durch Botschaften und Flughafenzoll theoretisch denkbar, aber auch eine niedrigschwellige Feststellung von berechtigtem Schutzbedarf zur Auslösung der geschützten Einreise und die Beantragung des Asyls im Zielland gereicht der, durch die Beschlüsse von Tampere geforderten, einheitlichen Schutzwirkung (vgl. Fagerlund: 2002: 57). Eine von der EU-Kommission Einreiseverfahren in Auftrag bescheinigt gegebene diesen, Studie als Teil zur Machbarkeit von geschützten des Harmonisierungsprozesses des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems interpretierbar zu sein (vgl. Fagerlund: 2002: 55). 18 Diese ließen sich beispielsweise per Richtlinie in Kombination mit einer gestaffelten Verbindlichmachung durch die EU einführen. Sollten allerdings Botschaften zu intermediären Spielern werden, als direkte Beteiligte an Asylverfahren, eröffnet sich ein neuer Verantwortungskomplex in Bezug auf die Schutzsuchenden und ihre Unterbringung in Drittoder Heimatstaaten, während sie auf ihre Einreise warten. Deshalb soll die Gefahr eines externalisierten Lagersystems unter 4.3. genauer in den Blick genommen werden. Im Folgenden sind die bisher vorgestellten Verfahren nochmal in einer Tabelle zusammengefasst dargestellt. Eigenschaften der extra-territorialen Verfahren: Diplomatic asylum Protected Entry Resettlement Procedures Primary focus Typically Evacuation and dispersal Securing protection Offering alternatives Alleviating Alleviating acute in situ against the to illegal migration protection limbos in protection crises in will of the territorial for protection third countries situations of mass state seekers Individuals Individuals geared flight Individuals as well Groups as Groups towards “Locus” Embassy Embassy Processing Refugee camp centre/refugee camp Normal or Exceptional Normal Normal Exceptional No No Quotas Quotas exceptional practice? Quantitative limitations? Aus: Facchi 2012: 29. Ließen sich die bisher vorgestellten Verfahren durch ihre Charakteristika unter dem Begriff der extra-territorialen Asylverfahren einen, weil der Zugang zum Rechtsschutz klar außerhalb des schutzgewährenden Staatsterritorium lag, könnte die nun vorgestellte Idee der flexiblen Anwendung des Schengen-Visakodize eine komplementäre Vorstufe zu den aktuellen Asylsystemen sein. Zentral dafür ist die Erweiterung der Ausstellungsgründe für Schengenvisa um die des humanitären Schutzes in jenem Kodex. Insgesamt ist die Ausstellungspraxis sowohl der nationalen Visa, als auch der des Schengen-Raums von Staat 19 zu Staat unterschiedlich, da diese nationalen Bestimmungen unterliegt. Vereinzelt werden aber immer wieder Schutzgründe akzeptiert, um bei akutem Bedarf die Einreise zu gewähren (vgl. Facchi 2012: 27). So können Staaten nach Bedarf auch einfach diese Praxis einstellen wenn es nicht ihrer Interessenlage entspricht. Ein Umstand, der zeigt, inwieweit die Heterogenität eines Regelungsbereichs die Verlässlichkeit seiner Funktionen schmälert und das, obwohl die Diskussion um alternative Zugangsverfahren zum Rechtsschutz so alt ist wie die europäische Asylpolitik selbst (vgl. Facchi 2012: 30). 4.2. Die Rechtsfassung des Asyls und der Flüchtlinge als Basis für mögliche Institutionalisierungsszenarien Den grundlegenden Rahmen für die politische Gestaltung des europäischen Migrationsregimes bildet die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 und das New Yorker Protokoll von 1967 zur internationalen Rechtsstellung der Flüchtlinge auf der Basis des Völkerrechts. In ihm werden sowohl Kriterien zur Anerkennung des Flüchtlings festgelegt, als auch Maßnahmen zum Schutz, wenn ein Mensch diesen in seinem Heimatland verloren hat (vgl. Maaßen 2009: 272). Auch die heutige EU hat sich mit der Europäischen Menschenrechtskonvention fast zeitgleich zur GFK, ein multinationales Dokument zum Flüchtlingsschutz zugrunde gelegt4. Von diesem Normenfundament aus hat sich die EU, wie bereits unter 2.1. eingehender erläutert, zu einem supranationalen Akteur aufgeschwungen, der unter den Bestrebungen hin zu einer gemeinsamen Asylpolitik der Notwendigkeit „to balance border control and refugee protection“ (Fagerlund 2002: 4) ins Auge sehen muss. Die Flüchtlingsrechte kann auch von einer EU nicht gewahrt werden, in der Zugang zum Rechtsschutz dem Zugang zum Territorium entspricht (vgl. Facchi 2012: 91). Diesem Faktum versuchte sich die EU 1999 durch die Schlussfolgerungen von Tampere erstmalig anzunähern und gab über die EUKommission eine Machbarkeitsstudie für extra-territoriale Zugangsverfahren in Auftrag. Damit war der Problemkomplex „Zugang zum Rechtsschutz“ auf der europäischen Agenda und wurde im Stockholmer Programm von 2009 wieder aufgegriffen, insbesondere die spezifische Auseinandersetzung mit geschützten Einreiseverfahren und gemeinsamen Bearbeitungsmöglichkeiten europäischer Asylanträge. Für das gegenwärtige Jahr 2013 hat die europäische Kommission eine Mitteilung über alternative Zugangskonzepte zum Asyl 4 Ausgearbeitet Ende 1950, Inkraftgetreten 1953. 20 angekündigt (Facchi 2012: 93). Die eigentliche Kernfrage ist aber: Wie passen die unter 4.1. vorgestellten Einreiseverfahren zur „acquis communitaire“ (Fagerlund 2002: 55) der Europäischen Union beziehungsweise auch der Schengen-Staaten? Unter dem Titel V, dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in den Verträgen über die Arbeitsweise der EU (AEUV), wird die gemeinsame Asylpolitik von Artikel 77 bis 80 geregelt. In diesen findet sich das Postulat der Schaffung einer Gemeinsamen Asylpolitik (Art. 78 (1)) mit verbundenen Folgemaßnahmen, die auf eine Vereinheitlichung des Asylsystems in Bezug auf den Asyl- und Schutzstatus, gemeinsame Verfahren der Gewährung und Kriterien zur Prüfung der Zuständigkeit unter den Mitgliedstaaten abzielt. Weiter werden unter Artikel 79 (1) grundsätzliche asylpolitische Ziele formuliert, wie die Kontrolle von Flüchtlingsrouten in Hinblick auf die EU-Außengrenzen und Maßnahmenergreifung zur Vorbeugung sowie der Reduktion von illegaler Einwanderung. Artikel 80 fasst letztlich den Modus des gemeinsamen Arbeitens unter dem Grundsatz der Solidarität und des Teilens der Verantwortung untereinander zusammen. Gerade das zunehmende Phänomen der illegalen Einwanderung und die damit einhergehende Ausbreitung von Schlepperwesen und Menschenhandel bekäme durch die Protected Entry Procedures eine Entgegensetzung (vgl. Noll 2005: 573). Außer Instrumente zur Stabilisierung von Ausnahmesituationen, wie erleichterte Einreisebedingungen und die Evakuierung in Situationen der Massenflucht, ist in der europäischen Gesetzgebung kein Schutz außerhalb des Territoriums (vgl. Facchi 2012: 30) und keine Förderung und Regelung der Einreise von Schutz- und Asylsuchenden vorgesehen (vgl. Fagerlund 2002: 55). In Orientierung an der Chance der politischen Durchsetzung sollte die EU, anstatt an der Reformierung der bereits verfassten Normen zu scheitern, den Umsetzungsspielraum der gegebenen Gesetze ausloten (vgl. von Heijer 2011: 218), denn aus den bestehenden Gesetzen lässt sich durchaus eine Pflicht zum Einsatz geschützter Einreiseverfahren ableiten (vgl. Noll 2005: 572). „Europäischer Wohlstandschauvinismus“ (Brieskorn 2004: 43) könnte dann endlich dem langfristigen Ansatz zum Umgang mit illegaler Migration weichen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2008: 67). Somit gibt es das Potential der Verfasstheit europäischer Asylpolitik in Bezug auf eine praktische Zugangsalternative zur illegalen Einreise5 und weicht einer letzten Fragestellung: 5 Illegale Einreise verstanden als den selbständigen Grenzübertritt außerhalb staatlicher Kontrolle. 21 Auf welcher Basis lässt sich der Zugang zum Zugangsverfahren zu den europäischen Asylverfahren dann im Weiteren reglementieren? Die Schwierigkeiten bei der Erreichung schützenden Territoriums in einem anderem Staat, sei es auch auf dem Boden von Auslandsvertretungen, sind im vorherigen Kapitel bereits thematisiert worden. Deshalb schlagen wir vor, die PEPs nicht auf der Basis eines Asylgesuchs, sondern niedrigschwelliger auf der Basis eines allgemeinen Schutzgesuchs, auszulösen und ein mögliches Asylverfahren erst im schutzgewährenden Staat in Betracht zu ziehen. Orientiert an der Idee der Erweiterung der Ausstellungsgründe für Schengen-Visa könnten erst einmal sogenannte Visa with Limited Territorial Validity (LTTV) aus Gründen des subsidiären Schutzes, von den Mitgliedsstaaten als Legitimationsbasis für die Einreise ausgestellt werden. Die Verordnung (EG) Nr. 810/2009, hier bereits erwähnt als sogenannter Visa-Kodex, räumt unter Artikel 25 (1), Absatz 1, Mitgliedsstaaten bereits ein Recht zur Ausstellung einer räumlich begrenzten Einreiseerlaubnis aus humanitären Gründen ein, verweist aber unter Artikel 21 bei den allgemeinen Visa für den gesamten Schengenraum, auf die Einreisevoraussetzungen aus dem Schengener Grenzkodex. In jener dem Visakodex vorhergehenden Verordnung, Nr. 562/2006 muss ein Visainhaber*innen nach Artikel 5 nachweisen können, dass er die Kosten seines Aufenthaltes in den Schengen-Staaten selbst tragen kann. Da dies in Fluchtsituationen in der Regel nicht zutrifft, treffen wir hier auf eine der wenigen Gesetzespassagen, welche bei der Einsetzung eines gekoppelten Verfahrens aus geschützten Einreiseprozeduren und Einreiselegitimität durch begrenzte Schutzvisa langfristig der Änderung bedarf, um der Heterogenität der nationalen Ausstellungsrichtlinien für LTTVs zu entgehen. Denn die PEPs entsprechen dem gesetzten Ziel der Migrationskontrolle voll und ganz (vgl. Fagerlund 2002: 56). 4.3. Die Gefahr der externalisierten Lagersysteme in extra-territorialen Verfahren Die Idee und Umsetzbarkeit von Asylverfahren, in denen der Zugang zum Rechtsschutz und die Anwesenheit auf einem Territorium praktisch nicht mehr zusammenfallen, ist nicht nur wie bereits unter 2.2. eingehend dargestellt, eine europäische Debatte, sondern wurde auch im nationalen Kontext aufgegriffen. In diesem Zusammenhang sind in Deutschland besonders die Äußerungen des früheren Innenministers Otto Schily aus dem Sommer 2004 in den Fokus gerückt. So machte sich dieser für ein extra-territoriales, als auch ein europäisches 22 Asylverfahren stark, denn, „[der] Tod vieler Menschen könnte vermieden werden“ (Pro Asyl e.V. 2004: 1). So weit auch unsere Analyse des gegenwärtigen Flüchtlingsschutzsystems, allerdings weisen Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl auf eine ganz andere Lesart hin. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung vom 02.08.2004 äußerte Schily die Vorstellung einer Aufnahmeeinrichtung in Nordafrika, innerhalb derer die Schutzbedürftigkeit festgestellt wird, sowie eine mögliche Rückreise in den Heimatstaat geprüft werden soll (vgl. Pro Asyl e.V. 2004: 2). Verbirgt sich hier unter dem Deckmantel einer Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten zum europäischen Rechtsschutz gleichzeitig ein Steuerungspostulat in Bezug auf einreisende Asylsuchende und Flüchtlinge? Das ist immer auch ein Argument der Befürworter der extraterritorialen Verfahren, um es auf die politische Agenda zu setzen (vgl. Fagerlund 2002: 55). Bedenklicher ist, wie bereits unter 4.1. angedeutet, die unbedingte Regelungsnotwendigkeit in Bezug auf menschenwürdige Unterbringung in den Dritt- und Heimatländer und die Verantwortlichkeit, die sich aus der dortigen staatlichen Präsenz und Arbeit ergibt. Eine Entkopplung von territorialer Anwesenheit und Zugang zu einem Asylverfahren in einer Weise, die die verbindliche Verantwortung für die Flüchtlinge außerhalb die Sphäre des europäischen Rechts verschiebt, kommt einer Negierung des individuellen Asylrechts auf rechtsstaatlicher Grundlage gleich (vgl. Pro Asyl e.V. 2004: 3). Denn, so Otto Schily, „[eine] gerichtliche Kontrolle muss es nicht zwangsläufig geben. Wir sind außerhalb des Rechtsgebietes der EU“ (Pro Asyl e.V. 2004: 3). Und damit sind argumentativ erst die rechtlichen und politischen Konsequenzen gezogen, nicht die individuellen. Durch die Konstruktion extra-territorialer Asylverfahren ist praktisch ein Rückzug aus der Verantwortung möglich. 5. Konklusion und Verfahrensvorschlag Im ersten Kapitel der Analyse wurde gezeigt, dass in der Geschichte des Asyls die Kopplung eines Schutzgesuches an den Ort mit der Gebundenheit dieses Schutzgesuchs an Institutionen, wie der heiligen Stätte, der Kirche oder einer staatlichen Asylstätte, zusammenhängt. Nur der Schutzbrief (logos asylias) bildete eine Frühform des extra-territorialen Zugangs zum Schutz und ermöglichte dem Besitzer auch unter einer gewissen Schutzwirkung zu reisen. Trotz dieser Gebundenheit hat das Asyl im Sinne einer rechtlichen und räumlichen Schutzgewährung eine ungebrochene Tradition, die uneingeschränkt dafür spricht, dass es 23 Gründe gibt, warum Menschen gezwungen sind, ihr Land auf dem Wege der Flucht zu verlassen. Aus dieser Erkenntnis entsprang die Notwendigkeit, ein Recht auf einen derartigen Schutz zu versichern, der sich dann völkerrechtlich durch die Erklärung der Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention zumindest formal konstituieren ließ. Mit der universellen Gültigkeit dieser Dokumente stellt sich seitdem die Frage, wie diese Schutzrechte praktisch ausgestaltet und politisch reglementiert werden. Gegenwärtig hat sich, wie dargestellt, die Komplexität dieser Frage sogar zunehmend verschärft. Die Berechtigung der Frage, wie ein Staatenverbund, der auch rechtlich immer mehr als geschlossener Akteur auftritt, aber im Inneren Probleme mit seiner Entscheidungslegitimität und verfahrenspraktischer Harmonisierung hat, menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommt, ist am Beispiel der Europäischen Union und der Schengen-Staaten offenkundig. Äußere Geschlossenheit erfordert innere Geschlossenheit und so war es nicht schwer, im Zustand nationaler Asylverfahrensgesetzgebung auf dem europäischen Kontinent die Schweiz ausmachen zu können, welche als Schengen-Land durch eine Entzerrung von Ort des Schutzgesuch und Ort des Asylgesuchs eine Alternative zur EU-Asylpolitik angeboten hat. Wie wir im zweiten Kapitel der Analyse gesehen haben, konnte die Schweiz durch das Botschaftsverfahren nachweislich mehr und schneller Schutz umsetzen, ist aber daran gescheitert, dass im umliegenden politischen Bezugsraum ein konträres Verfahrenssystem mit rein territorialer Bindung und inneren Verschiebungsstrukturen existiert. Dennoch hat sich die Schweizer Form des Botschaftsverfahren als in sich praktikables Modell erwiesen, da es im Vergleich zu den europäischen Verfahren in einem höheren Maße die völkerrechtlichen Vorgaben erfüllen konnte, ohne einer Neuformierung des gesamten Verfahrenssystems zu bedürfen. Auch die theoretische Analyse der in der Debatte existierenden Verfahren im dritten Kapitel unserer Analyse, konnte die Praktikabilität der geschützten Einreise als gesicherten und extra-territorial ausgelösten Zugang zum Recht herausstellen. Denken wir dieses Verfahren nun im Schengen-Raum, dann fällt auf, dass die Verfasstheit der Grenzunion und ihre Regelung der Einreisekonditionen, eine reguläre Einreise auf der Basis eines Schengen-Visums aus Schutzgründen nicht vorsieht (vgl. Kapitel 4.2.). Nationale Visa unterliegen nationalen Bestimmungen und bieten keinerlei Erwartungssicherheit in Bezug auf ihre Einheitlichkeit. Einer der Schutzgründe könnte die Zugangssicherung zum Asyl sein, welche bisher nur territorial ausgelöst werden konnte. In dieser Form würde man also den Zugang zum Rechtsschutz nicht über die Extraterritorialität 24 des Asylverfahrens sichern, sondern man sichert diesen Zugang bereits niedrigschwellig auf der Basis einer generellen Schutzbedürftigkeit, gekoppelt an die garantierte Einreise über erweiterte Visa-Ausstellung. Dass die nationalen Auslandsvertretungen aufgrund ihrer weltweiten Existenz als geeignete Anlaufstelle erscheinen, wird durch ihre Schnittstelleneigenschaft zwischen Schutzsuchenden und Zielland weiter untermauert. Zumal der Gefahr der Überlastung der Botschaften, wie in der Schweiz auf Schengen-Ebene, durch das Teilen der Verantwortungslast begegnet werden könnte. Beispielsweise ist ein schrittweise verbindlich werdender Verteilungsschlüssel denkbar, der die proportionale Verantwortung der beteiligten Staaten auffängt und die Flüchtlinge schon vor der geschützten Einreise einem Zielland zuordnet. Hier könnten sich die Botschaften der Länder untereinander koordinieren; als langfristiges Ziel erfordert das geschlossene Auftreten der EU in der Asylpolitik natürlich auch eine gemeinsame Anlaufstelle, allerdings wirft die Idee der EU-Botschaften noch viel weitreichendere Problemkomplexe auf. Wird die im vorletzten Absatz angesprochen Schutzbedürftigkeit durch eine Botschaft bestätigt, würde dies das geschützte Einreiseverfahren auslösen. Dazu könnten erst einmal nationale Visa aus humanitären Gründen die Einreise legitimieren, zukünftig könnten erweiterte Schengen-Visa dreimonatigen Schutz garantieren. Die Einreiseart sollte nach ökonomischen Gesichtspunkten abgewogen werden, hier sind sowohl Flugzeuge als auch Schiffe denkbar. Die dabei entstehenden Kosten sind in der Schweiz oft durch Hilfsorganisationen geleistet worden (vgl. Kapitel 3.1.), dieses Konzept ist aber aufgrund der zu erwartenden Dimensionen nur als Teilkomponente denkbar. An dieser Stelle hat aber bereits das Forscherteam des 'Entering the Territory'-Projekts Vorarbeit geleistet und verweist bei der finanziellen Tragfähigkeit der PEPs auf Bonuszahlungen aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds an Länder, die Asylsuchende durch flexible Visahandhabung Rechtszugang gewähren, welche von der EU ab 2014 vorgesehen sind (vgl. Facchi 2012: 73). Weitere Klärung über den Status des Eingereisten und über weitere Verfahrensmöglichkeiten, wie das nationale Asylverfahren, könnte dann im Zielland erfolgen. Im Folgenden zeigen wir als Ergebnis unserer Arbeit ein Schaubild mit dem Ziel der einfachen und pragmatischen Darstellung eines Zugangsverfahrens, auch um aufzudecken, dass ein erster Schritt im Prozess, in der die EU zunehmend als geschlossene und verantwortungsvolle Akteurin der internationalen Flüchtlingspolitik auftreten sollte, erst mal 25 nur in der Änderung der Verfahrenspraxis liegt. Sicherlich ist den Verfasserinnen klar, dass mit dieser Arbeit nicht die Gerechtigkeitsproblematik in der internationalen Asyl- und Flüchtlingspolitik gelöst werden konnte. Wir wollten und konnten vielmehr zeigen, dass die Kopplung von Territorium und Asylverfahren solange Sinn hat, wie Asylverfahren nur nationale oder gar supranationale Reichweite haben, dass aber der extra-territoriale Rechtszugang ohne Zwang zur illegalen Einreise sehr wohl umsetzbar ist. Die völlige Entkopplung von Gebiet und Recht kann, wie im letzten Kapitel gezeigt, auch als Flucht aus der Verantwortung gestaltet werden. Dem Kriterium der politischen Durchsetzbarkeit auf der Basis bestehender Normen geschuldet, haben wir unseren Vorschlag als eine komplementäre Vorstufe zum bestehenden Asylsystem, mit Schubkraft in Richtung zukünftiger Zielsetzungen wie der Zugangserweiterung und Verfahrensharmonisierung, gedacht. 26 6. 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