STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 1 ______________________________________________________________________ 96 KOMPLEXE RECHNUNG II (Potenzen, Logarithmen, Ortskurven) 96.1 Potenzieren mit ganzzahlig positivem Exponenten Potenzieren in kartesischer Darstellung Eine komplexe Zahl sei in der Form z = a + b⋅j gegeben. Multiplizieren wir diese komplexe Zahl n Mal mit sich selber, so entsteht eine neue komplexe Zahl w = n z : w n n n n-1 n = n-1 ⋅(bj) + . . . + n⋅a⋅(bj) = z = (a + b⋅j) = a + n⋅a n! ∑ (n - k) !⋅k !⋅ a(n - k) ⋅ (bj )k n + (bj) (96-1) k =0 _____________________________ Potenzieren in der Zeigerdarstellung Eine komplexe Zahl sei in der EULER schen Form z = │z│⋅ e j⋅ϕ gegeben. Die nte Potenz von z ergibt sich folgendermassen: w [ n = z = z e j⋅ϕ ]n n ⋅ e j⋅ϕ⋅n _______________ = z (96-2) Selbstverständlich kann die n-te Potenz von z auch in der trigonometrischen Form angegeben werden: n n n w = z = │z│ ⋅(cos ϕ + j⋅sin ϕ ) ____________________________ (96-3) n Diese Form lässt sich wie (a + b⋅j) entwicklen. Der Satz von DE MOIVRE 1 Aus dem Vergleich der vorangehenden Formen kann folgende Beziehung abgelesen werden: 1 Abraham de MOIVRE, 26.5.1667 - 27.11.1754, französischer Mathematiker. Er baute die Wahrscheinlichkeitsrechnung aus und verknüpfte die Lehre von den komplexen Zahlen mit den Winkelfunktionen (1730 MOIVRE scher Satz). _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 1 str STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 2 ______________________________________________________________________ n e j⋅ϕ⋅n = (cos ϕ + j⋅sin ϕ ) = cos(n⋅ ϕ ) + j⋅sin(n⋅ ϕ ) ________________________________________ (96-4) Praktische Anwendungen des Satzes von DE MOIVRE liegen u.a. in der Trigonometrie (Berechnung von Winkelfunktionen), der Goniometrie, den Amplitudenund den Winkel-Modulationen. Beispiel: 2 2 2 Aus (cos ϕ + j⋅sin ϕ ) = (cos ϕ - sin ϕ ) + j⋅2⋅cos ϕ ⋅sin ϕ = cos(2⋅ ϕ ) + j⋅sin(2⋅ ϕ ) lässt sich ablesen, dass gelten muss 2 2 cos(2⋅ ϕ ) = cos ϕ - sin ϕ und sin(2⋅ ϕ ) = 2⋅cos ϕ ⋅sin ϕ 96.2 Potenzieren mit ganzzahlig negativem Exponenten Die Potenz einer komplexen Zahl z mit einem ganzzahligen negativen Exponenten ergibt sich in der Zeigerdarstellung und mit Hilfe der EULER schen Form fol2 gendermassen: w -m =z = 1 m z __ = 1 [z e ] j⋅ϕ m = z -m - j⋅m⋅ϕ e (96-5) _____________________ 96.3 Radizieren Das Radizieren oder Wurzelziehen ist mehrdeutig. Wird die n-te Wurzel aus einer komplexen Zahl z gezogen, lassen sich genau n komplexe Zahlen finden, die hoch n gerechnet, die ursprüngliche komplexe Zahl ergeben. Gegeben ist die komplexe Zahl z = │z│⋅ e j⋅(ϕ + k⋅2π) und gesucht sei w als die nte Wurzel von z : w = n 1 z = zn = 1 ϕ [ 1 j ⋅ ( ϕ + k ⋅ 2 π ) n z ⋅e 2π z n ⋅ e j⋅ n + k⋅ n ; n, k ____________________ = ] (96-6) Diese Form lässt erkennen, dass für w als n-te Wurzel aus z genau n Zeiger auf2 Das Potenzieren mit negativen Exponenten ist auch in der kartesischen Form möglich. Der Nenner im m Bruch 1/(a+jb) wird nach (96.1) entwickelt und geordnet. Anschliessend kann konjugiert komplex erweitert werden. _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 2 str STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 3 ______________________________________________________________________ treten, die sich in ihrem Winkel unterscheiden und in ihrem Betrag übereinstimmen. Die n Zeigerspitzen liegen damit auf einem Kreis mit dem Mittelpunkt im Ursprung und dem Radius │w│. 1 │w│ = z n = n z und ϕw = 2π ϕ +k⋅ n n ; k = 0, 1, 2, ... n-1 Der Wert für w, der mit k = 0 erscheint, wird Hauptwert genannt. Der Hauptwert ϕ der n-ten Wurzel aus z erscheint mit dem Winkel . n Beispiel: 5π Gegeben sei die komplexe Zahl z = 32⋅ e j• 12 . Gesucht sei w = 5 z . Es werden: │w│ = 2 π als Hauptwert (für k = 0) und ϕ w0 = 12 29π 53π 77π 101π , ϕw2 = , ϕ w3 = , ϕw4 = ϕ w1 = 60 60 60 60 π w = 2 ⋅ e j⋅ 12 ; k = 0, 1, 2, 3, 4 n Mit Hilfe des Radizierens lassen sich auch Gleichungen der Form z1 - z2 = 0 lösen, worin z1 gefragt ist. Für z1 fallen n Lösungen an. 96.4 Reziprokwerte von Wurzeln w = = 1 1 mz z [ ]- 1 = z- m = z ⋅ e j⋅(ϕ + k⋅2π) m - 1 m ⋅e ϕ j⋅ m = 1 mz ϕ ⋅ e - j⋅ m ; m, k (96-7) _______________________________________ Beispiel: 1 1 1 - j⋅ π . = ⋅ e 2 . Gesucht wird w = 3z 8⋅ j 8 │w│ = 2 π als Hauptwert (für k = 0) und ϕ w0 = + 6 5π 3π , ϕw2 = ϕ w1 = 6 2 Gegeben sei z = Es werden: _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 3 str STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 4 ______________________________________________________________________ π w = 2 ⋅ e j⋅ 6 ; k = 0, 1, 2 96.5 Potenzieren mit gebrochenen Exponenten 3 Das Potenzieren mit gebrochenen Exponenten beinhaltet alle bisher betrachteten Möglichkeiten des Potenzierens und des Radizierens. Es seien p und q ganze Zahlen m, k . Das Potenzieren mit dem gebrochenem Exponenten p/q ergibt sich dann, mit q Lösungen, folgendermassen: w = q p z p [ p ⋅ϕ p ] p = z q = z ⋅ e j⋅(ϕ + k⋅2π) q p z q ⋅ e j⋅ q + k ⋅ q ⋅2π ________________________ = ; m, k , k (96-8) Für den Betrag und den Winkel von w sind abzulesen: p │w│ = z q ϕw = j ⋅ und p⋅ϕ p + k ⋅ ⋅ 2π q q Aus dem Winkel von w wird ersichtlich, dass es genau │q│ Zahlen w gibt, die hoch q/p gerechnet wieder z ergeben. Beispiel: 5π 3 Gegeben sei die Zahl z = 32⋅ e j⋅ 6 . Gesucht sei w = 5 z3 = z 5 . Es werden: │w│ = 8 π als Hauptwert (für k = 0) und ϕ w0 = 2 17π 29π 41π 53π , ϕw2 = , ϕ w3 = , ϕw4 = ϕ w1 = 10 10 10 10 π w = 8 ⋅ e j⋅ 2 ; k = 0, 1, 2, 3, 4 3 Anwendungen finden sich zum Beispiel in der Übertragungstechnik. _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 4 str STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 5 ______________________________________________________________________ 96.6 Potenzieren, wenn Basis und Exponent komplexe Zahlen sind Gegeben seien die komplexen Zahlen z1 = │z1│⋅ e j⋅(ϕ + k⋅2π ) und z2 = a + j⋅b. 4 Aus den beiden Zahlen soll der Ausdruck w = z1z2 gebildet werden. [ ] (a + j⋅b ) w = z1z2 = z1 ⋅ e j⋅(ϕ + k⋅2π ) Wir wenden auf diesen Ausdruck die Regeln der Potenzrechnung an und gewinnen: w = │z1│ ⋅│z1│ ⋅ e j⋅(ϕ + k⋅2π )⋅a ⋅ e j⋅ j⋅(ϕ + k⋅2π )⋅b a jb jb Mit der Beziehung │z│ = eln z wird der Faktor │z1│ = e jb⋅ln z1 . Setzen wir diesen umgewandelten Ausdruck ein, wird: a w = z1 ⋅ e- b⋅(ϕ + k⋅2π ) ⋅ e j⋅[a⋅(ϕ + k⋅2π ) + b⋅ln z1 ] ; k = 0, 1, 2 . ______________________________________ (96-9) Die gefundene Zahl w stellt sich dar in Betrag und Winkel: │w│ = z1 ⋅ e - b⋅(ϕ + k⋅2π ) a und ϕ w = a ⋅ (ϕ + k ⋅2π ) + b ⋅ ln z1 Das Potenzieren mit einem komplexen Exponenten zu einer komplexen Basis ist mehrdeutig. Der Wert, der sich für w mit k = 0 einstellt, nennen wir den Hauptwert. Beispiel: π Es seien gegeben z1 = - 1 + j ⋅ 3 und z2 = 3 ⋅ 2 ⋅ e- j⋅ 4 . Gesucht werde w = z1z2 . 2π In die geeignete Form gebracht werden z1 = 2 ⋅ e j⋅ 3 und z2 = 3 - j⋅3 . Eingesetzt wird: 2π 2π w = 23 ⋅ e3⋅ 3 + k⋅2π ⋅ e j⋅ 3⋅ 3 + k ⋅2 π - 3⋅ln 2 ; k = 0, 1, 2 ... oder weiter ausgewertet [ ] w = 4283,933 ⋅ e (k⋅6π ) ⋅ e j⋅[π⋅(1,3381+ k⋅6 )] 4 ; k = 0, 1, 2 ... Wenn die Zahlen beliebig vorliegen, wandle man die Basis in die Zeigerdarstellung (EULER) und den Exponenten in die kartesische Form. _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 5 str STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 6 ______________________________________________________________________ 96.7 Der Logarithmus einer komplexen Zahl Der natürliche Logarithmus einer komplexen Zahl 5 Gegeben sei die komplexe Zahl z = │z│⋅ e j⋅(ϕ + k⋅2π ) . Wir suchen den natürlichen Logarithmus der Zahl z nämlich w = ln z . w [ ] = ln z = ln z ⋅ e j⋅(ϕ + k⋅2π ) [ ] = ln │z│ + ln e j⋅(ϕ + k⋅2π ) w = ln │z│ + j⋅ (ϕ + k ⋅2π ) = u + j⋅v _______________________________ ;k = 0, 1, 2, .. (96-10) Der Imaginärteil der gefundenen komplexen Zahl ist mehrdeutig. Der Wert, der sich für w mit k = 0 einstellt, nennen wir den Hauptwert des natürlichen Logarithmus von z. Der Logarithmus zur Basis a von einer komplexen Zahl Aus dem Bereich der reellen Zahlen ist der Zusammenhang zwischen dem natürlichen Logarithmus und dem Logarithmus zur beliebigen Basis a bekannt: a y y ln x = log x ⋅ln a . Die Beziehung entsteht aus x = a , wenn wir x = a zur Basis e und zur Basis a logarithmieren und das Ergebnis vergleichen. Der Logarithmus einer komplexen Zahl zur beliebigen Basis a lässt sich somit folgendermassen angeben: w = loga z = ln z und es wird ln a 1 ⋅ [ln z + j ⋅ (ϕ + k ⋅ 2π )] = u + j⋅v ;k = 0, 1, 2, ... ln a ___________________________ = (96-11) Der Logarithmus einer komplexen Zahl zur Basis a ist mehrdeutig. Den Wert für w mit k = 0 nennen wir den Hauptwert. Die Basis a braucht nicht notwendigerweise reell zu sein. Mit a = A⋅ e j⋅(ψ + q⋅2π ) wird überführt in w 5 = loga z = ln z ln a Es ist geeignet, die gegebene komplexe Zahl z in die Zeigerdarstellung (EULER) zu bringen, bevor die Logarithums-Funktion ausgeübt wird. _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 6 str STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 7 ______________________________________________________________________ = ln z + j ⋅ (ϕ + k ⋅ 2π ) ln A + j ⋅ (ψ + q ⋅ 2π ) _______________________ = u + j⋅v ;k, q = 0, 1, 2, ... (96-12) Beispiele: 1) Es sei z = -10 = 10⋅ e j⋅(π + k⋅2π ) . Gesucht sei w = ln z . w = ln z = ln(10) + j⋅ (π + k ⋅ 2π ) = 2,3 + j⋅ π ⋅ (1 + 2 ⋅ k ) 2) Es sei z = 10⋅ e j⋅(π + k⋅2π ) . Gesucht sei w = log2 z . Es wird w = 3,322 + j⋅(4,532 + k⋅9,065) 3) Es sei z = -j⋅3 = 3⋅ e - j⋅ 2 - k⋅2π . Gesucht sei w = loga z , worin a = ─1 . π Es wird w -π ln 3 + j ⋅ + k ⋅ 2π 2 = 0,6994 + j ⋅ (- 1) = ln 1 + j ⋅ (π + q ⋅ 2π ) j ⋅ (2 + q ⋅ 4) 4⋅k - 1 0,6994 - j⋅ ; k = 0, 1, 2, ... q = 0, 1, 2, ... = 2 ⋅(1 + 2 ⋅ q) 2 ⋅ (1+ 2 ⋅ q) 96.8 Die Ortskurve Die komplexe Zahl z sei eine kontinuierliche Funktion des reellen Parameters p, das Heisst z = z(p) ;p . Die Zeigerspitzen dieser komplexen Zahl laufen mit variablem p entlang einer Kurve. Diese Kurve in der GAUSS schen Zahlenebene 6 wird Ortskurve genannt. Ortskurve, erzeugt durch den Parameter p: yj 3j 2j z(p1) 1j -6 -5 -4 -3 -2 -1 -2j z(p2) -3j Fig. 96-1 6 Im z(p4) x 1 2 3 4 5 6 z(p3) Re Ortskurve Ortskurven werden in der Elektrotechnik häufig verwendet um zu beschreiben, wie Impedanzen und Spannungs-, Strom- oder Leistungsverhältnisse von variierenden Frequenzen abhängen. Orstkurven zeigen die frequenzabhängigen Eigenschaften von Ein- und Zweitoren vollständig. _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 7 str STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 8 ______________________________________________________________________ Ist z(p) eine periodische Funktion von p, das heisst, ist z(p + P) = z(p), worin P als Periode bezeichnet wird, dann ist die Ortskurve geschlossen. Ortskurve einer periodischen Funktion yj Im 3j 2j z(p1) 1j z(p4) x -6 -5 -4 -3 -2 -1 -2j z(p2) -3j Fig. 96-2 1 2 3 4 5 6 z(p3) Re Ortskurve einer periodischen Funktion Beispiele: 3 Es sei z(t) = x(t) + j⋅y(t) = t + j⋅t ; -2 ≤ t ≤ 2 1) Mit Hilfe einer Wertetabelle lassen sich Werte zu x(t) und y(t) finden. Diese Wertepaare stellen dann Orte der Zeigerspitzen dar und die Ortskurve lässt sich zeichnen. t -2 -1,5 -1 -0,5 0 0,5 1 1,5 2 x(t) -2 -1,5 -1 -0,5 0 0,5 1 1,5 2 y(t) -8 -3,4 -1 -0,1 0 0,12 1 3,4 8 Als Bild ergibt sich eine kubische Parabel: yj Im 5j x 0 Fig. 96-3 1 Re Beispiel 1 _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 8 str STR-ING ELEKTROTECHNIK 96 - 9 ______________________________________________________________________ 2) 2 Es sei z(p) = x(p) + j⋅y(p) = sin(p) + j⋅sin (p) ; - ∞ < p < ∞ yj Im 1j x 1 0 Fig. 96-4 Beispiel 2 3) Es sei z(p) = x(p) + j⋅y(p) = yj 10 - j ⋅ 9 ⋅ p 1- j ⋅ 9 ⋅ p ; 0≤p<∞ Im z(p) 1j 0 1 Fig. 96-5 Re x Re Beispiel 3 _____________________________________________________________________ Kurt Steudler 96 - 9 str