Der weltfremde Kobold

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Der weltfremde Kobold
Zur Komik von Roberto Benigni
Bereits als er das erste Mal in einer Hauptrolle auffällt, in Marco Ferreris Chiedo Asilo
(1979), ist er den Kindern zugeneigt. Benigni spielt einen noch sehr jungen alternativen
Lehrer, der am Ende mit einem tauben Kind ins Meer geht, während ein neues Kind geboren
wird. In seinem weichen Gesicht mit der durchsichtigen Haut zeichnen sich die Züge eines
sanften und leisen Weltfremden ab, dem ein merkwürdiges, beinahe mystisches Ende
vorbehalten ist – vor der lärmenden Welt der Erwachsenen weichen er und der Junge aus,
gehen Hand in Hand in das Urelement zurück, fotografiert durch einen starken Schleier.
Den eigentlichen Durchbruch erlebt Benigni in Down by Law (1986) von Jim Jarmusch. Dort
tritt er relativ spät auf: ein junger Italiener, der amerikanische Literatur in italienischer
Übersetzung gelesen hat wie Walt Whitman und Robert Frost, der amerikanische Filme
gesehen hat und offensichtlich einem Amerika-Traum folgt. Nun ist er ins Gefängnis
geworfen worden, da man ihn als Falschspieler enttarnt und verfolgt hat. Eine Billardkugel,
die er zurückwarf, traf einen seiner Verfolger an der Stirn, der fiel tot um. In der Zelle muß er
nun die Zeit verbringen mit Jack und Zack (John Lurie und Tom Waits), zwei schwerfälligen
Egozentrikern, die geleimt und als Unschuldige eingesperrt wurden. Lurie und Waits bewegen
sich betont langsam, so daß der Gegensatz zu dem quirlig-energischen Roberto/Bob
besonders deutlich hervortritt. Während Bob von dem Totschlag erzählt, der ihn ins
Gefängnis gebracht hat, sind alle drei am Gitter postiert, das die die Zelle vom Gang trennt.
Während Jack und Zack bequem zwischen diesen Stäben hängen (beinahe wie faule Affen),
als wäre da ein Aussichtsfenster, rüttelt Bob ungeduldig an der Barriere. Auffällig ist sein
Rhythmus: seine Leichtbeweglichkeit wird vom Kopf, von den Augen aus gesteuert, die die
Umwelt blitzschnell, oft wiederholt abtasten – versinkt er (stets nur kurz) in Erinnerung,
richtet sich sein Blick ins Weite, bleibt der Körper reglos. Bob ist viel sozialer als die beiden:
Nachdem er seine Geschichte vorgetragen hat, will er die beiden ›guten Kerle‹ umarmen, sie
lachen und entziehen sich diesem Angebot von Nähe, vermutlich auch aus leiser Scheu vor
diesem Mann, der einen Menschen getötet hat und bald nach seiner eher erstaunten als
schuldbewußten Konfession aufgeräumt die Schultern seiner Zellengenossen umfaßt, die sich
nun mit einem korrigierten Bild vom ›dritten Mann‹ in mürrische, brütende, inaktive
Schweigsamkeit zurückziehen. Roberto, der englisch radebrechende Italiener, malt nicht nur
ein Fenster auf die Wand der Zelle, er entdeckt auch beim Hofgang, wie man entkommen
könnte – und so geschieht’s. Auf der Flucht wird er beinahe zweimal allein gelassen von
seinen amerikanischen Gesellen. Immerhin: er, der nicht schwimmen kann und in den
Sümpfen von Louisiana deshalb auf Hilfe und auf Boote angewiesen ist, ihm gelingt es, einen
Hasen zu fangen und zu braten – währenddessen erzählt er von seiner Mutter, die Hasen
freundlich liebkost, bevor sie sie brutal ins Genick schlägt. Daran schließt sich eine
murmelnde Reflexion Bobs über seine merkwürdige Mutter und seine Familie an (wobei
übrigens Benigni die realen Namen seiner Familie und seiner Schwestern nennt). Als die drei
auf einer einsamen Landstraße an ein Haus kommen, geht Roberto ohne zu zögern hinein und
bleibt vorerst verschwunden – die beiden anderen folgen furchtsam und vorsichtig und
entdecken ein Idyll. In dem Haus wohnt eine junge Italienerin (Nicoletta Braschi, die
Lebensgefährtin und Ehefrau von Roberto Benigni, die in all seinen Filme mitspielt).
Zwischen der Italienerin und Roberto entwickelt sich schnell und kurzerhand eine
Liebesgeschichte, Roberto bleibt als Beschützer in der einsamen Wirtschaft zurück, während
die beiden anderen den Weg ins Freie suchen, jeder für sich.
Benigni gelang in Jarmuschs Film das Kunststück, einen äußerst einprägsamen komischen
Charakter zu entwerfen, der ihn nicht nur als Komödienspieler, der das richtige Timing hat
und das entsprechende Temperament, sondern auch als leibhaftigen Komödianten, als ›funny
bone‹ auszeichnet. Schon die Haare, die in der Mitte emporstehen wie bei Wilhelm Buschs
Max und sich zur Seite wegsträuben, links und rechts, lassen ihn wie einen Irrwisch
erscheinen. Hinzu kommt kontrollierte Beweglichkeit des mageren Körpers, vor allem des
Kopfes mit den eingefallenen Wangen, der sich blitzschnell hin- und herwendet und die
Situation erkundet – das wichtigste ist allerdings die an Begeisterung reichende gesellige
Fröhlichkeit, die dem Umstand gilt, daß er nicht allein auf der Welt ist: Das trompetenartig
hinausgestoßene »Jack, Zack, my friends«, mit dem er gleichsam die beiden muffelnden
Sonderlinge in einen partnerschaftlichen Verband eingemeindet, der ›Menschheit‹
zurückgewinnt, haftet auch deshalb in Erinnerung, weil die elementare Stimme der
franziskanisch-asketischen Erscheinung widerspricht. Auch die konzentrierte erotische
Zugewandtheit, die er seiner Partnerin beim langen gemeinsamen Tanz entgegenbringt, zeugt
von einem immer wieder überschäumenden, anscheinend unzerstörbaren ›élan vital‹ einer
Figur, die Gesellschaft braucht. Dabei, das wird im Gefängnis wie auf der Flucht erkennbar,
raubt ihm dieser Lebensmut nicht die Sensibilität – er zeigt leichtes Nachbeben, als er von
seinem Totschlag berichtet - , sondern er erlaubt ihm zusätzlich eine Art weltüberlegenes
Spiel in Notsituationen: So hat Bob Zeit, auf der oberen Pritsche sitzend und mit den Beinen
baumelnd, Zack interessiert nach seiner Meinung zu Walt Whitman und später in einer
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ähnlichen Situation nach Robert Frost zu fragen, wobei er bei dem eher zarten und hinter der
verhärteten Außenschicht durchaus empfindlichen Zack (der ein DJ sein soll) damit rechnen
kann, daß der sowohl Walt Whitman und Robert Frost kennt - aber nicht auf die Idee käme,
mitten in der beklemmenden Lage, in der alle drei sind, über Dichtung zu reden.
Nach dem Erfolg von Down by Law spielt Benigni vornehmlich in italienischen Produktionen.
Dabei wird seine Komik drastischer, sein Bewegungsrepertoire exzentrischer, ohne daß sich
das Liebenswürdige, immer wieder Schamhafte seiner Charaktere ganz verlieren würde. In Il
piccolo diavolo (Ein himmlischer Teufel, 1988) führt er bereits selbst Regie und spielt an der
Seite von Walter Matthau, der einen Priester darstellt, einen Teufel, der der Hölle entkommen
und zurück auf die Erde geraten ist. Er kehrt in diese Welt zurück, indem er in eine rundliche
ältere Dame namens Giuditta schlüpft, also übernimmt er deren Namen, sobald er von diesem
Körper befreit wird. Der Teufel Benignis ist vor allem durch das beinahe fassungslose
Staunen ausgezeichnet, das ihn bei der Begegnung mit irdischen Verhältnissen immer wieder
überfällt: Musik übt einen unwiderstehlichen Zauber auf ihn aus, er hört sie früher als der
schon leicht gealterte Pater Maurice an seiner Seite, dem Phänomen der Liebe steht er arglos
verblüfft gegenüber – als er zum ersten Mal die attraktive Nina sieht, eine Teufelin, die ihn
heimholen will (Nicoletta Braschi), verharrt er in blöder Starre, selbst das hingerissene
Grinsen in seinem Gesicht bleibt fixiert, während er unbewegt zuschaut, wie die Frau, die ihn
entzückt, einen schweren Koffer über Bahnsteig und Gleise schleppt. Er kennt nicht die
Zeremonien des Miteinanders von Frauen und Männern, erscheint deshalb als Tölpel, indes
als faszinierter Tölpel. Als eines der wichtigsten Mittel, schon in Down by Law fiel dies auf,
stabilisiert sich nun die Stimme Benignis: Er artikuliert kräftig und laut, seinem impulsiven
und sanguinischen Temperament entsprechend, das heißt aber, es fehlen die leisen
Abschattierungen der vorsichtigen oder behutsamen Artikulation – gerade dieses
Heraustrompeten,
ebenso
unbedacht
wie
unbedenklich,
läßt
ihn
die
Riten
der
situationsangepaßten Konversation ständig ignorieren. Wenn dann noch von heiklen Themen
wie Sex gesprochen wird, deren ›Delikatesse‹ er als Naiver gar nicht versteht, und er über alle
Ziererei und die verbogene Metaphorik der prüden Anspielung mit der Stentor-Stimme des
arglosen Toren hinauskräht, demontiert er die moralische Phrasealogie und zugleich betulichidealisierende Art, sie zu artikulieren. Also ist der komische Höhepunkt ein Essen, bei dem
würdige, ältere und jüngere Geistliche mit einem ergrauten und feinsinnigen Ehepaar
zusammensitzen.
Mißverständnisse
über
körperliche
Liebe
und
die
Bemerkung
Giudittas/Benignis, daß er in den Leib einer zufällig gegenwärtigen Frau hineingeschossen
sei, um auf dieser Welt anzukommen, stürzen die Anwesenden in schockiert-pikierte
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Sprachlosigkeit und den Freund, den Giuditta auf Erden gefunden hat, Pater Maurice/Matthau
in tiefe Verzweiflung, die ihn immer weiter trinken läßt, so daß er am Ende des Gastmahls
fast erheitert-betrunken auf den monströsen Störenfried reagiert.
Federico Fellini holt Benigni für seinen letzten Film, den er gedreht hat: La voce della luna
(Die Stimme des Mondes, 1989). Benigni figuriert hier als romantischer mondsüchtiger
Wanderer, bleich geschminkt, traurig weltfremd: ein zarter Narr, der wenig versteht und durch
die künstliche Welt der Fabel hindurchirrt. Diese Sentimentalisierung der Figur knüpft an
Ferreris Chiedo Asilo an, überspringt die antithetische Entwicklung ins Drastische, die
Benigni vorher und danach wieder in seinen Filmen anstrebt. In der römischen Episode von
Jim Jarmuschs Night on Earth (1991) darf er als römischer Taxichauffeur wieder ›diabolisch‹
agieren. Während einer nächtlichen Autofahrt erzählt Benigni von seinen erotischen
Erlebnissen, mit Schafen und Menschen, während er in abenteuerlicher Fahrt durch die leere
Stadt saust. Die lustvolle Erinnerung steigert sich so sehr, daß Benigni am Schluß wirklich
beide Hände braucht, um den ins Gedächtnis eingebrannten üppigen weiblichen Formen
seiner Liebschaft auch gestisch Umriß zu verleihen, während er in mimetischer
Vergegenwärtigung auf seinem Sitz aufgeregt hin und her rückt: Komik der schamlosen
Nachahmung, des geradezu archaischen Verstoßes gegen das Diktat der Sublimierung, das in
der Zivilisation und erst recht in der kirchlichen Gemeinde gilt. Denn sein Fahrgast ist ein
katholischer Würdenträger, ein Bischof, der diese Form der Ohrenbeichte, vor allem die
Intensität der wollüstigen Reminiszenzen, gar nicht gut verträgt. Ein tödlicher Herzanfall
ereilt ihn – fast ein schauriger Witz. Der Taxifahrer arrangiert die Leiche auf einer Bank:
Verlegenheitslösung eines Komödianten der noch nicht länger beim Tod verweilen will.
Auf zwei weitere Filme, die Benigni in den neunziger Jahren auch als Regisseur verantwortet,
gehe ich nur zögernd ein. In Johnny Stecchino (1991) agiert er in einer Doppelrolle, einmal
als schwarzbehüteter Mafioso, der seine zwangsneurotische Prägung nicht verbergen kann: Er
haßt die Küsse seiner Geliebten, putzt sich ständig ab, ein Narziß mit Furcht vor ›Schmutz‹,
ausgerechnet in diesem Metier. Zum anderen spielt er einen harmlosen Schulbusfahrer für
geistig Behinderte, den Doppelgänger des Mafioso, der - wie einst in Chiedo Asilo – sich mit
den Schwächsten in dieser Gesellschaft anfreundet. Ironisch ist der Transfer der Erfahrungen,
die der Schulbusfahrer, von der Frau des Mafioso entdeckt, auf die neue Klientel im
kriminellen Milieu überträgt: So übt er mit den Behinderten ein Tierstimmenkonzert ein und
wiederholt dasselbe später mit den Gangstern. Immerhin erweist er sich – und das
unterscheidet ihn von seinem finsteren alter ego - als Verteidiger der Wehrlosen, übrigens
auch der Frauen. Leider verliert der Film seine Kraft durch einfältige Scherze (der brave Held
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klaut Bananen und glaubt deshalb in Palermo verfolgt zu werden) und durch die
Verschiebung des Gangstermilieus ins Lächerliche und Karikaturistische.
Deutlichere Realitätskoordinaten sind dem folgenden Film Il Mostro (1994) eingezogen.
Benigni tritt wieder einmal als argloser Einzeller auf, der Ärger mit seinem Hausverwalter hat
und durch Gelegenheitsarbeiten ein wenig Geld verdient. Dank seines sonderbaren und sozial
wenig kontrollierten Verhaltens kommt er ins Visier der Polizei, die ihn als lang gesuchten
Sexual- und Serienmörder zu identifizieren glaubt. In der Tat hält die versteckte Kamera der
Behörde Momente fest, die ihn als Ungeheuer entlarven sollen – diese Passagen sind typische
Beispiele dafür, wie sehr der Augenschein trügen kann. In einem Café beispielsweise stößt
Benigni aus Versehen mit einem anderen Mann zusammen, dessen herabfallende
Zigarettenkippe hinter Benignis Hosenbund verschwindet. Auf der Straße bleibt Benigni
verzückt stehen, wieder einmal, weil er einer üppigen jungen Frau dabei zusieht, wie sie
ausgestreute Lebensmittel in ihre Tasche zurückstopft und dabei ihr Hinterteil in der Luft
umherkreisen läßt. Plötzlich merkt er, daß die brennende Zigarette höchst unangenehme
Wirkung tut, alle folgenden Handlungen sind aufs Äußerste zweideutig. Er klopft auf seine
Hose und würgt an seinem Hosenlatz, gießt Mineralwasser hinein und zeigt Anzeichen
spürbarer Erleichterung – aus polizeilicher Perspektive muß dies als schamlose Vorführung
der Körperreaktionen eines ungehemmten Triebtäters erscheinen. Eine Polizistin wird auf ihn
angesetzt, die ihn verführen soll (Nicoletta Braschi) und das gesamte Repertoire lasziver
Posen durchprobiert – ohne Erfolg, denn der schamhafte und arglose Held ist eher verstört
von diesem Verhalten ›culo a face‹ und versucht, sich abzulenken. Bevor sich am Ende der
Irrtum auflöst, Weiblein und Männlein friedlich zueinander finden, und auf karikaturistische
Weise in Hockstellung auf der einsamen Straße in den Sonnenuntergang davonhumpeln wie
einst Chaplin und Goddard am Ende von Modern Times, schon durch dieses ›freakhafte‹
Verhalten das auf den aufrechten Gang verzichtet, als Außenseiter stigmatisiert, erlebt die
Figur Benignis noch die Verfolgung durch einen lynchbereites Publikum, das ihn
fälschlicherweise für das Monster hält. Dies scheint der wesentliche Punkt an dem Film Il
Mostro zu sein, der längeres Nachdenken verdient: Die manchmal einfältige Komik
absonderlicher, sogar exzentrischer Lebensführung und scheinbar obszönen Verhaltens, selbst
auf der Straße, vor den Augen der Öffentlichkeit, kann umkippen in das Bedrohliche einer
Jagd auf Nicht-Angepaßte, der Kobold kann zum Sündenbock werden, zum Opfer der
mörderischen Meute von Normalmenschen. Virtuoser als bisher exekutiert Benigni in diesem
Film seine Körperwendigkeit: Mit einem blitzschnellen Sprung tauscht er ein Stück Gebäck in
eine Kaffeetasse, die von einem Kellner rasch vorbeigetragen wird; scheinbar tollpatschig
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reißt er im Fallen der vor ihm gehenden Polizistin das Höschen unter dem Minikleid hinunter
bis auf die Knöchel - ein zweifellos ebenso derber Einfall wie die in der Hose quergestellte
Taschenlampe, Bubenstücke, Pennäler-Clownerie, aber perfekt ausgeführt. Benigni knüpft
damit an die präzise Artistik der großen Slapstick-Komödianten an, ohne sie ständig zu
demonstrieren – die blitzschnelle Aktion bleibt für ihn ein beiläufiger ›lazzo‹, Nebenwerk des
gelernten Komödianten.
La vita è bella (1997) offenbart den reifsten Ausdruck von Benignis komischer Kunst: Wieder
erleben wir den hingerissen Liebenden, der scheinbar wie ein tumber Tor zweimal auf die
junge Frau fällt, die er zu begehren beginnt. Wieder erleben wir den unbotmäßigen Kobold,
aber in einer eigentümlichen Wendung: Aus dem kleinen, mehr oder weniger den Teufel
spielenden Sonderling ist eine furchtlose, unbestechliche, sogar verwegene Retterfigur
geworden, der sich im faschistischen Italien selbst als verfolgter Jude nicht einschüchtern läßt.
Wie nie zuvor strahlt diese Figur Benignis Lebenslust, Laune und Überlebenswillen aus –
wobei die Metapher ›ausstrahlen‹ hier mit Überlegung gewählt worden ist. Daß sich Benignis
feiner Physiognomie schon Altersspuren eingezeichnet haben, ist kaum zu bemerken, weil
dieses Gesicht ständig lacht: aus dem Mund dringt laut, ungeniert, furchtlos eine vehemente
Suada. Er starrt nicht mehr die Geliebte an, sondern begrüßt sie mit einem hinreißenden
Enthusiasmus. Die rückhaltlose Bewunderung, der Glanz der Liebeserklärung in der
Artikulation der einfachen Formel ›Buon giorno, principessa‹ wird niemand vergessen, der
den Film gesehen hat. Man könnte von einer gewappneten Naivität sprechen, die sich hier
kundtut, einer Fröhlichkeit, die sich durch Weltkenntnis nicht verbittern läßt.
Als Benigni, im zweiten Teil des Films zum Vater geworden, seinem Sohn Giosuè das
Wahnsystem des rassistischen Faschismus, das im Zweiten Weltkrieg auch Italien ereilt,
erklären muß, ist nicht nur dieversatile Intelligenz zu bewundern, mit der er ständig QuasiErklärungen für das Ausgesperrtsein der Juden und später im KZ für den Terror findet,
sondern auch die Promptheit, mit der ihm die Worte zur Rede zusammenschießen, nicht
zuletzt die Zugeneigtheit, die ihn nie vergessen läßt, daß er einem vierjährigen Knaben die
verrückte Welt zur vernünftigen Spielanlage zurechtrücken muß.
Nie zuvor hat Tempo die Inszenierung und die Spielweise des Protagonisten so sehr bestimmt
wie in La vita é bella: das Tempo der Rede, das Tempo der äußeren Bewegung. Benigni
springt, läuft, hüpft, saust mit dem Fahrrad die engen Gassen von Arezzo hinab. Er ist fast
hemmungslos in seinen Einfällen, die in großer Geschwindigkeit aufeinanderfolgen – ein Teil
eher den banaleren Kabinettstückchen der Komikerpraxis zugehörig: Eier, die auf dem Kopf
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des ›pompous ass‹, des Gegenspielers zerplatzen. Andere Pointen werden in doppelsinnige
Szenen eingefügt, z.B. der Raub der Braut aus dem Verlobungsfest, als gehöre dies zum
Ritual - mit Hilfe eines grün angemalten Pferdes, auf das Faschisten unsinnigerweise ›cavallo
ebreo‹, hebräisches Pferd, geschrieben haben. Hier tritt Benigni auf wie ein Robin Hood, ein
Ivanhoe, halb verklärt lächelnd, halb ironischer Spaßmacher in der Gestalt eines
unerschrockenen ›Märchenprinzen‹, der längst kein Luftikus mehr ist.
Benignis Übermittlung der barbarischen Lagerregeln, die er angeblich übersetzt, doch für den
Sohn ins ›Humane umfunktioniert‹ (um einen Ausdruck Thomas Manns zu verwenden),
haben den Charakter einer genialen Improvisation, die das gewalttätige Zerbrechen
menschlicher
Würde,
die
Unterwerfung
des
Individuums
unter
eine
kalte
und
lebensverachtende Maschinerie, schier unverständlich für den wahren Menschen, auf fromme
Weise in die Bedingungen und Vorschriften eines Kinderspiels ›umlügt‹. Ich finde es
bewundernswürdig, daß sich Benigni in dieser Dolmetscherrolle nicht versteift, was ihn sonst
auf die Dauer zu einem grotesken ›Verdrängungskünstler‹, wenngleich aus den besten
Absichten, verwandeln würde, zu einer deformierten Narrenfigur – er gewinnt stattdessen
zwei neue Dimensionen: (a) Er wird traurig, am allertraurigsten in der Szene mit dem
deutschen Arzt, der den Namen des kämpferischen Aufklärers Lessing zu Unrecht trägt und in
der Uniform selbst zum pathologischen Subjekt mutiert, der sich nicht mehr um den Schutz
des Lebens kümmert, sondern nur um das Lösen kurioser Rätsel (Horst Buchholz ist
eindrucksvoll als ›wahnsinniger‹ Arzt). Auch Benigni kann es die Sprache verschlagen, als er
bei einem Spaziergang, das schlafende Kind im Arm, zuerst von den Wonnen der
Alltäglichkeit träumend erzählt und plötzlich vor einem Hügel aus Schädeln und Knochen
steht, Metapher des unfaßlichen Todes-Grauens. (b) Er zeigt sich rührend besorgt um seine
Familie, wenngleich unbesorgt um die Folgen seines Tuns, als er in der Offizierskantine
neben dem alten Grammophon eine Platte mit der Barcarole aus Jacques Offenbachs
»Hoffmans Erzählungen« entdeckt (es ist zu vermuten, daß in keiner deutschen
Offizierskantine des Dritten Reichs Musik dieses jüdischen Komponisten zu finden war), sie
auflegt, den Klangtrichter zum offenen Fenster dreht und so eine musikalische Botschaft an
seine geliebte Principessa richtet, quer über die dunklen Höfe und die kalten Schlafsäle dieser
Zwangsanstalt.
(c) Benigni ist am Ende auch energisch und zielbewußt - wieder aus Sorge und Fürsorge.
Wenn er sich diesmal wie eine Frau verkleidet, dann nicht um mit Charlies Tante in
Konkurrenz zu treten, sondern um unauffällig zu den Frauen zu stoßen und seine Geliebte zu
suchen, alle zu warnen vor dem Abtransport. Das letzte Bild, das wir von ihm im Sinn
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behalten, wird durch den Schlitz des kleinen Kastens fotografiert, in dem sich der kleine
Giosuè versteckt hält, mit den Augen des Sohns also – der dort aushält, bis am nächsten Tag
die amerikanischen Panzer um die Ecke biegen, die Befreier da sind. Weil Guido weiß, daß
ihn sein Sohn sieht, will er ihm Mut machen: Mit weit ausgreifenden Arm und
Beinbewegungen marschiert er ab, ein heiterer Hampalmann, der lacht wie ein Bajazzo, dem
doch eher nach Weinen zumute ist, noch das Kopftuch umgebunden, das ihn als Frau
erscheinen lassen sollte - so geht er zur Exekution, die für uns unsichtbar hinter einer Mauer
vollzogen wird. Er ist im Schlußbild also nicht dabei, wenn das Kind die Mutter wiederfindet
und jubelt, daß sie gesiegt hätten, wie der Papa das . vorausgesagt habe - Giosuè meint das
Pseudospiel, das ihm suggeriert worden ist. Wir Zuschauer wissen, daß es noch ein Sieg
anderer Art ist, sicherlich genauso groß, wie er für den Vierjährigen erscheinen mag.
Sorge und Fürsorge, ich habe diese Begriffe in den letzten Sätzen öfter verwendet,
komplettieren Benignis komische Ausdrucksnuancen um Spielarten des Tragischen.
Vielleicht gehört diese Vervollständigung des spielerischen Reservoirs zur Figur des
Komödianten per se – wieviele ›Hanswurste‹ haben in späteren Stadien ihrer Laufbahn in
Theater- und Filmgeschichte abgrundtief verstörte Melancholiker gespielt (z.B. Michel
Serrault)! Bei Benigni mag man diese Ausweitung des Rollenprofils in La vita é bella nicht
unbedingt als neuerworbenes Repertoire bezeichnen, ist doch ein rührendes Moment, eine
feine Sensibilität schon früh der Hauptfigur in Chiedo Asilo zu eigen. Fast will mir
erscheinen, als sei das Lustspielhafte in einigen Produktionen der achtziger und neunziger
Jahre nur Abweichung von der ursprünglich bereits vorhandenen Kombination aus Lustigkeit
und Zartsinn, als habe das Koboldhafte nur vorübergehend das Sentimentalische (ich
verwende den Begriff nicht in negativer Absicht). Gerade die Brücke zwischen
Empfindsamkeit und Komik im Spiel Benignis macht das Unverwechselbare und Besondere
seines filmischen Kunstcharakters aus.
Ein letztes Beispiel für diese heikle, anderswo seltene und bei Benigni in La vita è bella oft
zauberhaft funktionierende Chemie der unterschiedlichen Elemente möchte ich erwähnen.
Guidos Freund erzählt ihm von Schopenhauer und der Kraft des Willens (die spezifische
Auslegung im Film hat natürlich wenig mit Schopenhauers eigenen Ansichten zu tun).
Worum geht es? Wenn man nur mit Handbewegungen etwas magisch beschwört, kann man
auch ohne direkten Kontakt seinen Willen auf entfernte Personen ausüben. Als Guido, im
Parterre sitzend – es wird »Hoffmanns Erzählungen« gespielt – , seine Principessa in einer
Loge erspäht, bemüht er sich mit beschwörenden ›Fingerübungen‹, ihren Blick auf sich zu
lenken. Bevor ihm dies am Ende auch gelingt, hat er indes die Aufmerksamkeit seiner
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erfreuten Nachbarin gefunden. Der Effekt ist eingetreten, nur unbeabsichtigt doppelt: Die
unbekannte Schöne und die bekannte Schöne wenden sich dem sehnsüchtig lockenden Mann
freudig zu. Der Kobold ist zum Verführer geworden, mehr noch: zum magischen
Verzauberer, der Weltfremde zum Weltkundigen, der diese mißratene Welt abwehrt und
durch eine vorgeschobene private Harmoniesphäre den Blicken entzieht.
Man kann weitere Schlußfolgerungen ziehen und in dieser strikten Bejahung des
Familienglücks, verbunden mit der ebenso affektiven Verleugnung einer mehr oder weniger
schlecht organisierten Außenwelt eine spezifisch italienische Reaktionsweise wiedererkennen.
Auch in dem Umstand, daß das Vorspielen ungebrochenen Humors für die Augen der Kinder
zur Pflicht (der Begriff ist schon zu preußisch), zum Auftrag eines sich sorgenden
Komödianten gehört! Schließlich scheint mir ein unverkennbar italienisches Moment in der
Komplexität des Komödianten Benigni zu liegen, daß er in fast allen Lebenslagen, wo nicht
bestürzende Trauer am Platz ist, das frohgemut Provozierende eines lauten Dagegenredens,
der sinnlichen Lust am Dasein nicht verliert - als Prophet unversiegbarer Lebensfreude. Henri
Bergsons These, daß das Lachen anästhesiere, unempfindlich mache für den wahren
Schrecken, gilt nicht für Benigni in La vita è bella. Das Lachen, das diese Figur begleitet,
kann sich auf unnachahmliche Weise mit Einfühlung und ›Verständnisinnigkeit‹ vereinigen.
Man muß weit zurück in der Filmgeschichte suchen, um dergleichen aufzufinden – bis zu
Charlie Chaplins The Kid (1921)
Thomas Koebner
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