D:\68618232.doc Max Fuchs 4.Dezember 1995 Wohlfahrtsstaat oder Markt? Auf dem Weg in eine andere Gesellschaft. Vortrag bei der Werkstatt-Tagung "Kultur der Organisation - Organisation der Kultur" am 7. Dezember 1995 in der Akademie Remscheid 1. "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" Beschreibung unseres Gemeinwesens oder utopische Hoffnung? Empirische "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung ausgeübt. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtssprechung sind an Recht und Gesetz gebunden." Dieser Artikel 20 unseres Grundgesetzes liest sich wie eine moderne Fassung der Forderungen aus der Französischen Revolution, in der zudem weitere wichtige Errungenschaften des bürgerlichen Emanzipationskampfes und des philosophischen Nachdenkens über die angemessene politische Ordnung aufgenommen sind: die Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, eine Hierarchisierung in der Rechts ordnung (Grundgesetz - Gesetzgebung - Rechtssprechung) sowie die Rechtsbindung der Exekutive und der Verwaltung.1 Von der Formulierung her " ... ist ein ... " klingt der Artikel wie eine empirische und unbestreitbare Beschreibung unseres Gemeinwesens und seiner Ordnung, seinem Sinngehalt nach ist er jedoch eine Norm, die zudem auf verfassungsrechtlich höchster Ebene angesiedelt ist, deren Änderung zugleich ein Ende des auf sie aufbauenden politischen Systems - eben der Bundesrepublik Deutschland - bedeuten würde. Hintergrund dieser Ordnungsvorstellung - quasi als ihre anthropologische Begründung - ist Artikel 12, der sich an international gültiges verbindliches Völkerrecht, nämlich die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" (vom 10.12.1948; in Kraft als verbindlich geltendes Völkerrecht seit 1976) anschließt Artikel 1 lautet wie folgt: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen." Und an anderer Stelle heißt es, daß all dies "unveräußerliche Rechte" sind, was heißt, daß kein Beschluß irgendeines Organes - auch kein demokratischer Beschluß - diese Grund rechte außer Kraft setzten kann.3 Man mag nun fragen, ob es tatsächlich aller drei Zentralbegriffe, der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit bedarf, ob es möglicherweise eine Hierarchie unter diesen drei Leitvorstellungen gibt, so daß die eine vielleicht sogar aus den anderen abgeleitet werden könnte.4 1 D:\68618232.doc Sowohl ein Blick in aktuelle Diskussionen als auch ein Blick in die Geschichte zeigt, daß dies nicht der Fall ist. Man kann nämlich zeigen, daß sich diese Ziele nicht gleichzeitig und gleichmäßig - und schon gar nicht in einem kontinuierlichen Fortschrittsprozeß - entwickelt haben, daß also Entwicklungen stattgefunden haben, die den Schwerpunkt unterschiedlich gesetzt haben und auch heute noch politische Strömungen sich darin unterscheiden, wie sie diese drei Grundprinzipien bewerten.5 Allerdings läßt sich auch zeigen, daß die Eckpunkte dieses Zieldreiecks vielfältig interdependent sind, sich also wechselseitig beeinflussen und bestimmen.6 Im Hinblick auf die etappenweise Realisierung der drei Grundwerte spricht viel für ein Entwicklungsschema, das der englische Soziologe Thomas H. Marshall7 vorgeschlagen hat: daß zunächst die bürgerlichen Freiheitsrechte erkämpft wurden, also die Unterdrückung durch den Adel (Frankreich) oder Kolonialmächte (USA) beseitigt wurde, daß dann politische Bürgerrechte ("Gleichheit") erstritten wurden und daß als letztes soziale Wohlfahrtsrechte ("Brüderlichkeit") auf der Tagesordnung standen. Kein einziges dieser Ziele hat sich im Selbstlauf durchgesetzt - im Gegenteil. Revolutionen, Aufstände, Revolten, Gegenrevolutionen, Restaurationen, politische und körperliche Unterdrückung markieren vielfältig diesen Entwicklungsweg. Untersucht man außerdem heute im Querschnitt weltweit, wie diese drei Prinzipien realisiert werden, - obwohl fast alle Länder dieser Welt inzwischen formell die Menschenrechtskonvention ratifiziert haben -, so wird man nur eine sehr kleine Anzahl von Ländern finden, in denen die Realität der Vision standhält. Selbst die Länder, die nicht nur Geburtsorte dieser neuzeitlichen Demokratie sind, sondern die sich auch heute noch viel darauf zugute halten, diese Prinzipien zu realisieren, stehen ständig vor den Menschenrechtsgerichtshöfen und müssen eingestehen, daß für einzelne Bürger oder für ganze Bevölkerungsgruppen die Realität ganz anders aussieht. Schwerer noch als diese vereinzelten, oft eher symbolischen Tribunale und Prozesse müßte jedoch gewertet werden, in welchem Umfang sich die Bevölkerung dieser Länder aus der Beteiligung an der politischen Gestaltung ihres Gemeinwesens zurückzieht. Nur eine Zahl mag dies belegen: Wenn sich weniger als die Hälfte der stimmberechtigten Bürger an den Wahlen zum US-Präsidenten beteiligen und dieser auch nur eine knappe Mehrheit bei der Entscheidungswahl erzielt, dann hat der gewählte US-Präsident eine legitimatorische Basis von gerade mal 20% der Wahlberechtigten. Die mit viel Leiden erstrittene politische Ordnung leidet also weltweit unter erheblichen Legitimationsproblemen.8 Im folgenden will ich unter einer sehr eingeengten Perspektive über diese Probleme nachdenken, der Perspektive nämlich, inwieweit zum Funktionieren dieser politischen Ordnung das dritte der genannten Ziele bei der Realisierung offenbar die größten Probleme bereitet und in seiner Relevanz vielleicht am meisten unterschätzt wird - mit möglicherweise katastrophalen Folgen für die Zukunft. 2. "Brüderlichkeit" im Wohlfahrtsstaat - oder wie kann man soziale Gerechtigkeit realisieren? Daß bei der Realisierung dieses dritten zentralen Zieles die entwickelte bürgerliche Gesellschaft sich so schwertut, liegt sicherlich nicht an seiner (zeitgebundenen) Geschlechtsspezifik der sprachlichen Form. Bis heute wird das Prinzip selber, vor allem aber die Versuche seiner Realisierung, mit Skepsis betrachtet. Die heute wichtigste Realisierungsform ist der Sozialstaat.9 Jede dritte Mark, die in Deutschland erwirtschaftet wird, wird über diesen "Sozialstaat" bewegt. Dies macht inzwischen bei einem Bruttosozialprodukt von ca. drei Billionen D-Mark einen Betrag von knapp einer Billion DMark aus. Dieser "Sozialstaat" ist ein Kind des 19. Jahrhun derts, 10 und ein 2 D:\68618232.doc Grundvorbehalt hängt sicherlich mit seiner Entstehung zusammen: Es ist kein Zufall, daß die preußischen Sozialgesetze (1881) zeitlich mit dem Sozialistenverbot (1878) zusammenfallen. Der caritative Akt als staatlicher Akt - immer wieder heiß gegen eine wirtschaftsliberale Position eines sich nicht in die Geschäfte einmischenden Staates erkämpft11 - hatte eben nicht nur die moralisch-sittliche Zielstellung, die Opfer der Industrialisierung vor den gröbsten Unbilden der neuen Wirtschaftsordnung zu schützen und damit zugleich Bürgerloyalität zu erkaufen, der Preis dafür war zugleich eine Einschränkung der bürgerlichen Freiheits- und Gleichheitsrechte. Dies mag als erster praktischer empirischer Beleg dafür gelten, daß es durchaus Zielkonflikte zwischen den drei obersten Grundsätzen einer bürgerlichdemokratischen Gesellschaftsordnung geben kann. Interessant ist auch die Entwicklungsrichtung, die Bismarck vorgegeben hat: es war die Realisierung von "Brüderlichkeit" durch Gesetz und durch staatliche Instanzen. Zwar entwickelte sich als "fortschrittliche Variante" des Subsidiaritätsprinzips12 das Prinzip der Freien Träger, die in der Realisierung des gesellschaftlichen Auftrages in der Jugend- und Sozialpolitik Anspruch auf öffentliche Mittel erhoben. Doch es hat sich im Gefolge der vielfältigen rechtlichen Regelungen in diesem Bereich - vor allem dort, wo es verbindliche Leistungszusagen gibt - eine Bürokratisierung dieses Unterstützungssystems entwickelt, die die "Freiheit" in diesem Bereich der Freien Träger nicht sonderlich gedeihen läßt - sofern es um die Freiheit der Nutzer geht. Auch hier eine der Ambivalenzen, an denen die Moderne so reich ist13 : eine gute Leitidee, eine praktikable Realisierungsform, eine rechtsverbindliche Absicherung von Ansprüchen auf der einen Seite; eine politische Vereinnahmung, die die Realisierung dieses Zieles in Konkurrenz zu den anderen Leitzielen bringt, eine Bürokratisierung als Folge der Rechtlichkeit des Anspruchs und damit verbunden ein ständig wachsender Teil der Mittel, der für die Aufrechterhaltung ihrer Vergabeform ausgegeben werden muß. Die Liberalen sehen zudem einen Widerspruch gegen ihre Vorstellung von der kleinen Rolle des Staates in der Wirtschaft, durchaus philosophisch ehrenvoll begründet mit den Freiheitsrechten des Einzelnen, die gerade gegen den Staat erkämpft werden; die Rechten sehen eher die Familie und den sozialen Nahraum und nicht den Staat (im Sinne ihres Konzeptes von Subsidiarität) in der Pflicht; und die Linken sehen die politische Funktionalisierung des Sozialstaates i.S. eines Kaufens von Massenloyalität. Von Beginn des Sozialstaates an gibt es die Diskussion seines Mißbrauchs: So nennt das Magazin "Focus" in der Ausgabe vom 18.10.1995 einen Betrag von 150 Milliarden D-Mark, der jährlich mißbräuchlich im Rahmen des Sozialstaates ausgegeben werden soll - ein immer wieder wirkungsvolles Argument in Zeiten, in denen erneut und stark vom Umbau, zunehmend aber auch deutlich vom Abbau des Sozialstaates gesprochen wird.14 Rufen wir doch noch einmal einige Argumente und Hintergründe in Erinnerung, die zu der Postulierung der "Brüderlichkeit" als zentralem Ziel geführt haben. Artikel 20 GG spricht nicht vom Sozialstaat, sondern lediglich davon, daß die Bundesrepublik ein "sozialer Bundesstaat" ist. Artikel 28 GG spricht von den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Beide Formulierungen reichen den Verfassungsjuristen, um das Sozialstaatsgebot als fundamentales Staatsziel anzuerkennen. Zentrale Merkmale, die sich - auch unter Hinzuziehung weiterer Artikel des GG - entwickelt haben, sind: Staatsinterventionismus zum Schutze des Einzelnen, Schutz der Arbeitskraft, Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Daseinsvorsorge. Es geht um die Sicherstellung politischer und sozialer Teilhabechancen, um soziale Gerechtigkeit: "Der Staat des ausgehenden 20. Jahrhunderts wird das Problem der "sozialen Gerechtigkeit" als Problem Nummer 1 anerkennen und danach verfahren, oder er wird eine vernichtende Legitimationseinbuße erleiden" (E. Denninger).15 Die Freiheit, gerade die Freiheit zum Eigentum - eine zentrale Grundidee in der englischen Sozialphilosophie des 18. Jahrhunderts (v.a. J. Locke), die auch deshalb das Etikett "Besitzindividualismus" erhält16 - kann unter Berufung auf diesen Grundsatz eingeschränkt 3 D:\68618232.doc werden zugunsten des Prinzips der Gleichheit: "Allerdings lehnt die freiheitliche Demokratie es ab, den wirtschaftlichen Tatbestand der Lohnarbeit im Dienste privater Unternehmer als solchen allgemein als Ausbeutung zu kennzeichnen. Sie sieht es aber als ihre Aufgabe an, wirkliche Ausbeutung, nämlich Ausnutzung der Arbeitskraft zu unwürdigen Bedingungen und unzureichendem Lohn zu unterbinden. Vorzüglich darum ist das Sozialstaatsprinzip zum Verfassungsgrundsatz erhoben worden; es soll schädliche Auswirkungen schrankenloser Freiheit verhindern und die Gleichheit fortschreitend bis zu dem vernünftigerweise zu fordernden Maße verwirklichen" (W. Rupp - v. Brunneck, zitiert nach Denninger 1980; Anmerkung 6). Höchst wichtig ist der weitere Verlauf der Umsetzung dieser Verfassungsposition: Angesichts der Wirtschaftskrise 1967 hat unter Federführung von Karl Schiller, einem Anhänger des englischen Wirtschaftstheoretikers J.M. Keynes, der im Falle von Krisen für eine kräftige Staatsintervention plädiert,17 der Bundestag das "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" verabschiedet, mit dem er der Verantwortung des Staates für die "soziale Wohlfahrt aller" entsprechen wollte. Gleichzeitig erhielt mit einer Grundgesetzänderung vom gleichen Tag (Artikel 109, Absatz 2) diese "soziale Wohlfahrt aller", die mit wirtschaftspolitischen Instrumenten herbeigeführt werden sollte, Verfassungsrang: "Bund und Länder haben den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen", haben also konkret für Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, niedrige Inflationsrate und einen Ausgleich der Handelsbilanzen zu sorgen - auch und gerade in sozialpolitischer Verantwortung und Perspektive.18 In diesen Zusammenhang gehört eine Frage, die ich später vertiefend aufgreifen will: Seit Beginn der Bundesrepublik - also insbesondere nach der euphorischen Zeit des Ahlener Programms der CDU19 - gab es immer wieder Bestrebungen, aus dem Grundgesetz eine bestimmte wirtschaftspolitische Ordnung als verfassungsrechtlich vorgeschrieben herauszulesen, so daß bereits 1954 das Bundesverfassungsgericht die "wirtschaftsverfassungsrechtliche Offenheit" des Grundgesetzes hervorgehoben hat.20 Diese Offenheit - eingeschränkt natürlich durch die Verfassungsgrundsätze - erlaubt es auch nicht, das bundesdeutsche Erfolgsmodell "soziale Marktwirtschaft" als einzig mögliche Wirtschaftsordnung festzuschreiben. Diese Offenheit des Grundgesetzes macht daher den Streit über unsere Wirtschaftsordnung und insbesondere darüber, wie sich das Sozialstaatsgebot realisiert, zu einer politischen Frage, über die zu streiten allemal lohnt.21 Tragen wir daher noch einige systematische und historische Bestimmungselemente des Sozialstaats zusammen, die freilich heterogen sind; denn: "Die Auslegung und inhaltliche Konkretisierung dieses Sozialstaatsprinzips bietet der Verfassungsrechtslehre bis heute und wohl auch künftig fast unüberwindbare Schwierigkeiten. Sieht man für den Augenblick davon ab, daß das Sozialstaatsprinzip mehr als jeder andere Begriff der geltenden Verfassung zu einseitiger und überspitzter Interpretation aus ideologischer Voreingenommenheit verleitet, so lassen sich für diese Auslegungsschwierigkeiten immer noch zwei gewichtige Gründe angeben. Verfassungspolitisch stammt die Vokabel "Sozialstaat" nicht aus einer einzigen und einheitlichen ideengeschichtlichen Quelle, sondern aus mehreren Quellen [...]; daraus folgt einerseits die Gefahr, daß es nur im Sinne eines einzigen Entwicklungsstranges ausgelegt und also zum archimedischen Punkt einer ideologisch ausgerichteten Umwertung der Verfassungswerte abgestempelt wird, andererseits die nicht weniger gefährliche Neigung, es überhaupt nur als Formelkompromiß mehrerer miteinander unvereinbarer politischer Positionen zu deuten und damit jeden Inhalts zu entkleiden." Soweit der ehemalige Verfassungsrichter und heutige Bundespräsident Roman Herzog, (ebenfalls zitiert nach Denninger 1980; Anmerkung 6). Der zentrale Ausgangspunkt der heutigen Sozialstaatsdiskussion ist soziale Gerechtigkeit, oder vielmehr: soziale Ungerechtigkeit. 4 D:\68618232.doc Die Diskussion darüber reicht zurück in die Anfänge bewußter Reflexion des Menschen über sein Schicksal. Neben Fragen der Bestimmung dessen was ist (Ontologie) und der Art und Weise, wie Erkenntnis zustandekommt, spielte stets der Fragenkomplex danach, was den Menschen in seinem Menschsein ausmacht und wie er dieses praktisch realisieren soll, die zentrale Rolle des philosophischen Denkens.22 Die "praktische Philosophie" als Reflexion über Moral, Ethik, Sittlichkeit, über das gute Leben und das richtige Verhalten war vielleicht obwohl in vielen Philosophie-Systematiken der theoretischen Philosophie nachgeordnet - der ursprüngliche Zweck der gesamten Veranstaltung Philosophie. Dies hat sich bis Kant (und darüber hinaus) nicht geändert, wenn dieser seinen berühmten Fragenkatalog bündelt in der letztlich entscheidenden Frage danach, was denn den Menschen eigentlich ausmacht und wie sich dies im Handeln zeigt.23 Die Orientierung des Handelns: als Einzelner und in der Gemeinschaft, die Organisation des Gemeinwesens in einer Weise, daß sich das Menschenrecht auf Freiheit und Selbstbestimmung für alle realisiert, beschäftigt die Rechtsphilosophie bis heute. Es ist daher kein Wunder, wenn - nach einem Zwischenhoch der Ästhetik, die jedoch in der Geschichte immer eng mit der Frage nach dem "guten Leben" verbunden war24 heute Ethik und Moralphilosophie wieder zu der wichtigsten Disziplin in Philosophie, Sozial- und Politiktheorie zu werden scheinen. Politische Philosophie, Sozialphilosophie und Moralphilosophie haben schließlich ihren gemeinsamen Fokus in dieser Frage nach der Gerechtigkeit, und geradezu ein Paukenschlag war die Schrift von John Rawls25 aus dem Jahre 1971: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Nicht nur, daß der interessanteste Streit der heutigen (Sozial-)Philosophie nämlich der Streit zwischen Kommunitarismus und Liberalismus,26 durch diese Schrift ausgelöst wurde, was wesentlich zu der aktuellen Konjunktur von Fragen der Moralphilosophie beigetragen hat: nach dem Ende der wichtigsten Konkurrenzmodelle zur Marktwirtschaft ist das Theorie-Angebot von Rawls zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit für alle höchst relevant: "Ausgehend von einer offenen Gesellschaft und demokratischer Verfassung und marktwirtschaftlicher Ordnung werden hier die völlige Gleichheit von Rechten und Pflichten, zugleich aber das Anerkenntnis einer gewissen Ungleichheit der Verteilung vorgeschlagen; allerdings wird auch eine eindeutige Begrenzung dieser Ungleichheit auf jenes Maß vorgesehen, aus dem sich noch erkennbare Vorteile für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft ergeben" (D. Döring/R. Hauser).27 Interessant ist, daß aktuelle Vorschläge zur Reform des Sozialstaates bewußt an dieses Prinzip einer "Gerechtigkeit als Fairneß" anknüpfen und hierbei auch und gerade in der Wirtschaftspolitik, allerdings auch in der Umweltpolitik und anderen Politikbereichen Instrumente zur Herstellung eines finanzierbaren Zieles sozialer Gerechtigkeit sehen.28 Gegenüber eher verfahrensorientierten Vorschlägen in der heute aktuellen moralphilosophischen Diskussion (z.B. in der sogenannten Diskursethik: J. Habermas oder K.-O. Apel) sind Vorschläge wie der von Rawls zunächst einmal praxisbezogener, obwohl natürlich die Schaffung der Voraussetzungen der Diskursethiken von Apel oder Habermas politisch ebenfalls anspruchsvoll sind und - sofern sich der politische Kommentator J. Habermas in Einklang mit seinem eigenen theoretischen Modell verhält - offenbar auch tragfähig zumindest für eine handfeste Kritik bestehender politischer Verhältnisse.29 Im Hinblick auf eine inhaltliche Füllung von Handlungszielen ist auch der zunächst als Gegenbewegung zum philosophischen Liberalismus von J. Rawls entstandene Kommunitarismus höchst ergiebig. Die wertemäßige Aushölung der US-Gesellschaft ist etwa Gegenstand der empirischen Studien des Religionssoziologen R. Bellah.30 Eine Bindung an Gemeinschaftswerte vertreten Neo-Aristoteliker wie M. Nußbaum31 oder A. MacIntyre.32 Eine Wiederbelebung religiöser Traditionen forderte bereits in den siebziger Jahren D. Bell, der damit die "kulturellen Widersprüche des Kapitalismus"33 lösen wollte. Die Wertefrage - und vor allem die Frage nach gemeinschaftlich geteilten Werten, an denen sich der Einzelne orientieren kann und sich 5 D:\68618232.doc auf diese Weise in die Gemeinschaft integriert, ist sicherlich deshalb zum entscheidenden Thema der aktuellen Philosophie geworden, weil die Gesellschaft solche Werte offenbar nicht mehr im Selbstlauf produziert, sie jedoch braucht. Die Logik des Marktes, so der Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, H. Dubiel, frißt die gesellschaftliche Moral, ohne sie erneuern zu können.34 Der Markt wird also hier als das Zerstörende, das Desintegrierende gesehen, so daß es verwundern muß, daß man heute bei aller berechtigten Kritik an der Bürokratie des Wohlfahrtsstaates, der zumindest beansprucht, ein "ethisches Minimum der Demokratie" (H. Dubiel) als praktizierte Solidarität mit den Hilfsbedürftigen aufrecht zu erhalten, ausgerechnet in einer Orientierung am Markt das Heil aus der Krise suchen will, so wie es sowohl aktuelle Vorschläge zum Umbau des Sozialstaates als auch Vorschläge zur Verwaltungsreform (Das "Neue Steuerungsmodell") formulieren. Was hat es also mit diesem Heilsbringer auf sich? 3. Der Markt - Mythos oder Realität? Der Begriff des "Marktes" hat in der häufigen Beschreibung seiner "Selbstheilungskräfte", bei der Beschwörung seiner wundersamen Wirkungen bei komplizierten Steuerproblemen etwas eigenartig Überreales. Gleichzeitig wird von ihm gesprochen wie von einem Ding, das man anfassen, riechen, hören kann. Und beide Dimensionen werden oft gleichzeitig in vertrauensbildender Absicht verwendet: Das Handfeste und das Geheimnisisvoll-Wirksame. Der "Markt" wird so gleichzeitig zu einer prallen Sinnlichkeit eines südländischen Lebensmittelmarktes und einer religiös-auratischen Anrufung an außerweltliche Mächte. Das prosaische Verständnis von Markt beschreibt ihn als - virtuellen - Ort, wo Nachfrage und Angebot zusammentreffen. Auf berechenbare Weise entsteht als Ergebnis ein Preis, in dem Anbieter und Nachfrager bei einer Menge, die für beide akzeptabel, ja gesetzmäßig zwingend ist, einen gerechten Ausgleich finden. Das Attribut "gerecht" ist hier kein Ausrutscher, keine sprachliche Metapher, sondern sehr ernst gemeint. Karl Marx spricht von einem "wahren Eden der Menschenrechte", wenn er die Logik des Tauschwertes, den Distributionsbereich des Kapitalismus beschreibt.35 Und weil es hier in der Tat "gerecht" zugeht, wo brav Tauschwert gegen Tauschwert gegeben wird, kann er hier den Schlüssel für die Entstehung des gesellschaftlichen Reichtums nicht finden. Diesen sucht (und findet) er vielmehr in der Produktion, dort findet er die Ware, die mehr schafft als sie kostet. Aber auch ohne die Marxsche Arbeitswertelehre ist das Marktdenken meist verkürzt und oft problematisch. Peter Bendixen36 entschlüsselt dieses Geschehen und zeigt, daß der Markt nicht bloß der Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage, sondern - vielleicht sehr viel mehr - der Ort ist, an dem sich Erfahrungen der Vergangenheit mit Zukunftserwartungen treffen, in dem vielfältige kulturelle und soziale Beziehungen sich vernetzen. Er bestätigt allerdings auch die traditionelle Denkweise dort, wo sie den Markt als Ort der strategischen Distanz, als Ort der Trennung von Eigenem und Fremdem begreift. Und schließlich - wieder mit Marx: Marktgeschehen ist nicht denkbar ohne den universellen Hauptnenner des Geldes, ohne die generalistische Abstraktion von allem Gebrauchswert. "Markt" heißt letztlich: Quantifizierung, Monetarisierung, Tauschwertorientierung - sonst funktioniert dies nicht. Markt gehört bei Habermas daher zum "System", das die "Lebenswelt" als sozialkulturellen Nahraum, als Ort der Gefühle und Gemeinschaftsbeziehungen zu kolonialisieren droht. Markt bewegt viel. Dies zeigt die Empirie kapitalistischer Gesellschaften. Markt zerstört jedoch auch viel, möglicherweise sogar das, was auch die Marktgesellschaft im Innersten zusammenhält, so wie Dubiel es diagnostiziert. Der Sozialstaat, erst recht das angelsächsische Konzept des Wolfahrtsstaates, der über die unmittelbare Kompensation sozialer Ungleichheit auch die Förderung von Bildung und Kultur vorsah, so wie es etwa im New Deal von Roosewelt geschehen ist, soll gegen die Marktlogik 6 D:\68618232.doc daher sozialen Zusammenhang, zumindest jedoch Solidarität für jene, die durch die Maschen der Marktwirtschaft gefallen sind, praktisch werden lassen. Der Markt ist kulturell vielfach determiniert - dies ist die These von Peter Bendixen.37 Und auch der Kapitalismus hat sehr viele Gesichter.38 Soziale Marktwirtschaft ist der Versuch, einen Kapitalismus mit humanem Gesicht zu zeichnen. Der Sozialstaat, so H.P. Ibsen, ist die Humanität der Industriegesellschaft.39 Wer daher den Markt gegen den Sozialstaat ausspielt, übersieht gerade diese Funktion, will also - wie im Untertitel angekündigt - den Weg in eine andere Gesellschaft. Daß andere Formen von Kapitalismus möglich sind, zeigt ein Blick in die USA oder nach England. Auch: Daß Marktwirtschaft mit Diktatur beziehungsweise mit autoritären Regimen einhergehen kann. Dies zeigt die deutsche Geschichte beziehungsweise heute Korea. Habermas spricht davon, daß das politische Kunststück heute darin besteht, instrumentelles, ästhetisches und moralisches Denken auszubalancieren.40 Und eine wichtige Rolle bei dieser Balance spielt bei Habermas die "Zivilgesellschaft".41 Dies ist zwar ebenfalls ein theoretisch und praktisch äußerst unklares Konzept.42 Doch als Bereich zwischen Staat und Markt, bei dem nicht primär die gesellschaftlichen Codes "Geld" oder "Markt", sondern wertbezogenes Handeln und Gemeinschaftsdenken regieren, wo also "Solidarität" und Gemeinnutz die Leitformeln sind, hat sie - vielleicht sogar als notwendige Oase und Entwicklungsfeld zur Produktion der gesellschaftlichen Ressource "Sinn" - eine wesentliche Integrationsleistung zu erbringen. Dieser Bereich muß nun nicht neu geschaffen werden, sondern er existiert bereits als dichtes Netzwerk der Selbsthilfe und Selbstorganisation als "Dritter Sektor" 43 - auch als Teil der spezifischen kulturellen und sozialen Entwicklung in Deutschland.44 Interessant ist, in welchem Umfang inzwischen in der jüngeren sozialpolitischen Diskussion gerade hier - als "vergessene" Seite des Sozialstaates - ein Lösungspotential für die Probleme dieses Sozialstaates gesehen wird.45 Selbst und gerade die nicht ausgefüllte Professionalität jenseits des Management-Standards der Wirtschaft wird als Vorteil für die Gesellschaft gesehen, weil durch diesen "funktionalen Dilettantismus"46 ein notwendiger Puffer und ein entschleunigendes Element im Prozeß der Problementstehung, diskussion und -bearbeitung entsteht. Dies soll nun nicht davon abhalten, die auch hier entstandenen Großbürokratien genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn die hier vorgestellte Wirkung hat dieser Bereich nur dann, wenn er in seiner Größe, Erscheinungsform und Funktionsweise auch wirklich "jenseits von Staat und Markt" operiert. Eines ist allerdings tödlich für dieses Feld: ihn im Rahmen von Rationalisierungsprozessen der Marktlogik zu unterwerfen. Denn die Prozesse, die hier verhandelt werden, taugen von ihrer Zielstellung und der Art und Weise ihres Vollzuges gerade nicht dazu, in Kategorien ökonomischer Prozesse verhandelt zu werden.47 In einer strategischen ökonomischen Denkweise ist dieses "unökonomische" Verhalten sogar ökonomisch rational, da es langfristig die soziale Qualität des Standortes Deutschlands sichert. Es ist also nicht bloß ein Streit zwischen ökonomischen und nichtökonomischen Rationalitätsformen, der hier stattfindet. Es ist zu einem großen Teil ein Streit zwischen kurzfristiger und langfristiger ökonomischer Perspektive.48 Möglicherweise können Kulturpolitik und Kulturarbeit hierbei einen Beitrag leisten: Nicht in der praktischen Realisierung dieses Zieles, sondern im Wachhalten eines lebendigen Diskurses.49 4. Kulturpolitik als Politik des Kulturellen Sozialpolitik ist so sehr mit Helfen beschäftigt, daß die gelegentlich formulierten Vorstellungen einer "Sozialpolitik als Gestaltung von Lebensweisen"50 oder einer Politik des Sozialen (etwa auf der Basis der bürgerlichen Teilhabe- und -nahmerechte der eingangs zitierten Tradition der Bürger- und Menschenrechte)51 eine zwar sinnvolle, aber unrealistische Wunschvorstellung bleiben müssen. Kulturpolitik kann eine solche utopische 7 D:\68618232.doc Sozialpolitik unterstützen, ja: vielleicht sogar erst realisieren - und dies gerade nicht mit ihren 15 Milliarden D-Mark Jahresetat, die angesichts des Umfangs des Sozialetats kaum ins Gewicht fallen, sondern vielmehr aufgrund ihrer (selbstgestellten) Aufgabe, einen Diskurs über Lebensstile, über die Frage, wie wir leben wollen, zu ermöglichen. Dies hat sie implizit immer und explizit und absichtsvoll spätestens seit Beginn der Neuen Kulturpolitik Ende der 60er Jahre getan. Denn selbst die Kulturpolitik, die sich am "Hochkultur-motiv" orientierte, nach G. Schulze 52 die Zeit von 1945 bis in die sechziger Jahre, verfolgte mit ihrem "Ideal des ästhetisch kompetenten Menschen" zunächst einmal philosophisch begründete humanistische Konzeption. Daß die gesellschaftstheoritische und politische Sensibilisierung ab Ende der sechziger Jahre hier etwas genauer hinzusehen half und dies gerade unter der Perspektive der sozialen Gerechtigkeit - betraf nicht nur die Kulturpolitik, sondern machte vielmehr den politischen Paradigmenwechsel für alle Politikfehler aus 53: und dies zugleich unter mehreren Aspekten der oben diskutierten Dimensionen von Gerechtigkeit: der (materiellen) Verteilungsgerechtigkeit, der Schaffung von verbesserten Zugangschancen einer Teilhabe und schließlich der Umsetzung des Zieles der Einmischung in gesellschaftliche Gestaltungsprozesse dadurch, daß es nicht mehr bloß um einen gerechteren Anteil an der Hochkultur ging, sondern man die Gleichberechtigung alternativer Kulturformen forderte und umzusetzen versuchte. Die vorgeschlagenen Periodisierungsversuche der Kulturpolitik - bei G. Schulze folgen dem Hochkulturmotiv das Demokratisierungsmotiv, das Soziokulturmotiv und das Ökonomiemotiv 54; A. Göschel unterscheidet für diese Phase einer aktiven Kulturpolitik das "Arbeits- und Aufklärungskonzept", das "Lebensweltkonzept" und das "Ästhetische Konzept"55 - lassen sich vor dem Hintergrund dieser gerechtigkeitsbezogenen Sichtweise sehr gut plausibel machen. Dies gilt sogar für die letzte Phase der Entwicklung kulturpolitischer Konzeptionen: der Durchsetzung des Ökonomiemotivs, die A. Göschel mit der Durchsetzung der soziologischen Konzeption der Lebensstile als Form der Entschlüsselung der Sozialstruktur in Verbindung bringt. Wie dies? Die These, die am vehementesten G. Schulze vertritt, besagt, daß seit den achtziger Jahren sozialökonomische Ungleichheit für die Konstitution (und folgerichtig dann auch: für die Erfassung) der Sozialstruktur kaum noch eine Rolle spielt, sondern vielmehr andere Formen der Distinktion greifen, also anstelle der alten sozialökonomischen Ungleichheit bedingt durch den gewachsenen Wohlstand nunmehr neue Ungleichheiten entstehen, bei denen der einzelne durch bewußte Wahlentscheidungen - gerade in der Auswahl der ästhetisch-kulturellen Inszenierung - seinen eigenen Lebensstil bastelt 56. Inzwischen gehen selbst Befürworter dieser soziologischen Basistherorie in vorsichtige Distanz zu dieser Konzeption, da spätestens mit der deutschen Einigung die Wohlstandsannahme überhaupt nicht mehr haltbar ist57. Und auch in den achtziger Jahren mußte man - vermutlich aus einer saturierten Sicht eines gut ausgestatteten Großstadtbürgers recht große Probleme mit der sozialen Wahrnehmung gehabt haben, um diese für einzelne Facetten ausgewählter gesellschaftlicher Segmente vielleicht gültige Konzeption zu einer gesamt-gesellschaftlichen Sozial-theorie zu verallgemeinern 58. Mit unserem Fokus der sozialen Gerechigkeit hat auch die darauf aufbauende Kulturpolitik insofern zu tun, als sie die entscheidende Frage sozialer Ungleichheit als gelöst betrachtete, so daß sie in der Tat guten Gewissens nach anderen Funktionen und Dimensionen von Kulturpolitik Ausschau halten konnte. Daß in der Zeit eines relativen Wohlstandes bei gleichzeitigem Wachstum der Kulturausgaben ausgerechnet die ökonomische Sichtweise an Bedeutung gewann, läßt sich vermutlich im Nachhinein wissenssoziologisch klären. Tatsache ist, daß somit in einer Warentauschgesellschaft, die als praktizierte und erfolgreiche Psychologie eines bestimmten ökonomischen Denkens ohnehin eine kaum hintergehbare 8 D:\68618232.doc Voraussetzung aller unserer Lebenstätigkeiten ist, nunmehr auch noch einer der letzten widerständigen Exklaven gegen eine solche Denkweise für diese geöffnet wurde. Und dies mit fatalen Folgen für die heutige Kulturlandschaft; denn was volkswirtschaftlich begonnen hat mit Standortüberlegungen und Umwegrentabilität 59 , endet heute betriebswirtschaftlich mit dem Neuen Steuerungsmodell, an dessen harten, ökonomischen Effizienz-Indikatoren eine so weiche Sache wie Kulturarbeit nur zerbrechen kann60. Verloren zu gehen droht damit eine Reflexionsinstanz, die in der Lage wäre oder sein müßte, die ökonomische Denkweise, deren Opfer sie zu werden droht, in ihren Grenzen zu reflektieren und zu bewerten. Eine so verstandene (Sozio-)Kulturpolitik braucht dann auch einen spezifischen Kulturbegriff: "Kultur" nämlich nicht in ethnologischer Weite, sondern in der Einengung auf einen bewußt normativen Gehalt, wie es Politik (und Pädagogik) als orientierendes Handlungskonzept brauchen. Dieser darf gerade nicht dem Markt untergeordnet werden. Erst dieser macht es nämlich möglich, die legitime Reichweite des Marktdenkens immer wieder kulturell zu reflektieren - auch um sicherzustellen, daß ein unersättlicher Markt seine eigenen Lebens- und Mentalitätsgrundlagen nicht auffrißt und zerstört.61 Erst dies schafft dann auch die Voraussetzung dafür, soziale Gerechtigkeit nicht mehr bloß in den Grenzen des eigenen Staates, sondern vielmehr auf internationale Ungleichheiten zwischen Nord und Süd hinzuweisen - Ungleichheiten - dies darf man pauschal behaupten-, die gerade durch eine von Wohlfahrtsdenken nicht beeinträchtigte radikale Marktlogik entstanden sind. Ebenso wie Außenpolitik zugunsten einer Weltinnenpolitik in Zukunft verschwinden mag, wird dann Entwicklungs(hilfe)politik ersetzt durch eine Welt-Sozial- und -Wirtschaftspolitik. Anmerkungen und Literatur Vgl. H. Hattenhauer: Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts.Heidelberg/Karlsruhe: UTB 1980. Artikel 1, Absätze 2 und 3 GG lauten:a) "Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.b) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtssprechung als unmittelbar geltendes Recht".Zwei wichtige Etappen in der Ausformulierung dieser sich auf das "Naturrecht" beziehenden Menschenrechtsdeklarationen sind die französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung in der jakobinischen Revolutionsverfassung (Artikel 21) vom 24. Juni 1793 sowie die Bill of Rights aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg aus dem Jahre 1763.Hinzuzufügen ist der (heute immer häufiger als problematisch angesehene) Bezug auf den christlichen Gott in der Präambel. Zitiert nach M. Kriele: Die Menschenrechte zwischen Ost und West.Köln: Wissenschaft und Politik 1977.Dort finden sich auch weitere, inzwischen als geltendes Recht ratifizierte völkerrechtliche Regelungen wie etwa der UN-Bürgerrechts- und der Sozialrechtspakt aus dem Jahre 1976 sowie als aktuellste Regelung die Schlußakte von Helsinki der (damaligen) KSZE aus dem Jahre 1975.A. Podlech hat fünf grundlegende Bedingungen zur Wahrnehmung von Menschenwürde angegeben: 1. Freiheit von Existenzangst, 2. Wahrung von Gleichheit, 3. Sicherung der Identität und Integrität eines Menschen inkl. des Verbotes der Brechung von Identität, 4. die (rechtsstaatliche) Begrenzung von Gewaltanwendung, 5. Achtung der körperlichen Kontingenz des Menschen, Verbot der Folter, Recht auf würdiges Sterben. 9 D:\68618232.doc Zitiert nach E. Denninger 1994 (Anm. 6).Insbesondere bedeutet "Menschenwürde" das Recht auf politische Mitgestaltung (ebd.). Diese Diskussion ist nicht bloß als intellektuelle Übung in Fragen der Normableitung interessant, sondern entscheidet letztlich über politische Programme; siehe hierzu die programmatisch sehr klaren Aussagen aus dem älteren Buch der Landeszentrale für politische Bildung NRW (Hg.): Demokratische Gesellschaft. Konsens und Konflikt. 2 Teile. München/Wien: Olzog 1975, in denen die normativen Grundlagen der großen Parteien, von Gerwerkschaft und Industrie sowie der Kirchen, von prominenten Autoren aus den jeweiligen Bereichen dargestellt werden - auf einem Niveau, das der heutigen politischen Diskussion gut täte. Sofern programmatische Klarheit in den Parteien z.Zt. überhaupt noch angestrebt wird. Vgl. etwa die Beiträge des Rechtsphilosophen E. Denninger im Funkkolleg Praktische Philosophie in der 25. Kollegstunde:"Von der bürgerlichen Eigentumsgesellschaft zum demokratischen Rechtsstaat".In: K.-O. Apel/D. Böhler/O. Höffe/M. Riedel/H.P. Schmidt(Hg.): Funkkolleg Praktische Philosophie.Weinheim/Basel: Beltz 1980 sowie die vier Bände:K.-O. Apel/D.Böhler/G. Kadelbach (Hg.): Praktische Philosophie.Frankfurt (Main): Fischer 1984.Siehe außerdem E. Denninger: Sicherheit/Vielfalt/Solidarität: Ethisierung der Verfassung? In: U.K. Preuß (Hg.): zum Begriff der Verfassung. Die Ordnung des Politischen. Frankfurt/M.: Fischer 1994, wo dieser historisch und systematisch die Bedeutung von Staatszielen in Verfassungen diskutiert und insbesondere erörtert, ob die drei Leitziele der französischen Revolution nicht besser durch Sicherheit, Vielfalt und Solidarität ersetzt werden sollten, so wie es in einzelnen Verfassungen Neuer Bundesländer bereits geschehen ist. Vgl. Th. H. Marshall: Bürgerrrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtstaates.Frankfurt (Main): Campus 1992.H. Bude ergänzt in: "Kultur als Problem". Merkur 558/559, Sept./Okt. 1995, S. 777,diese drei Stufen um eine vierte Stufe, deren Durchsetzung heute ansteht: Die kulturellen Identitätsrechte. Neben der Frage der sozialen Gerechtigkeit dürfte dieses Problem der Legitimation entscheidend für die Zukunft sein. Dies ist auch der politische Sinn der aktuellen moralphilosophischen Diskussion; vgl. etwa P. Henkenborg: Politische Ethik: Paradoxien der Moral in der Moderne.In: F. Neumann (Hg.): Handbuch Politische Theorien und Ideologien.Opladen: Leske und Budrich 1995. Über den Sozialstaat wird heute vorwiegend unter dem Aspekt seiner Krisenhaftigkeitverhandelt. Konstruktive Beiträge enthalten die folgenden Publikationen:R.G. Heinze/Th. Olk/J. Hilber:Der neue Sozialstaat. Analyse und Reformperspektiven.Freiburg i.B.: Lambertus 1988; K. Voy/W. Polster/C. Thomasberger (Hg.):Gesellschaftliche Transformationsprozesse und materielle Lebensweise.Marburg: Metropolis 1991; D. Döring/R. Hauser (Hg.):Soziale Sicherheit in Gefahr.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1995. Vgl. M. Schmidt: Sozialpolitik. Historische Entwicklung und internationaler Vergleich.Opladen: Leske und Budrich 1988.Schmidt diskutiert insbesondere unterschiedliche Erklärungsmodelle zur Entstehung einer staatlichen Sozialpolitik, wobei er auf der Basis der Ungleichzeitigkeit in der Einführung der verschiedenen Elemente der sozialen Sicherung in verschiedenen Vergleichsstaaten zeigen kann, daß der deutsche Weg einer sozialkonservativen Stabilisierung "von oben" keineswegs der einzige oder auch nur der vorherrschende Entwicklungsweg ist. Dies war daher der Paradigmenwechsel der sozialliberalen Freiburger Thesen der F.D.P.; vgl. K.H. Flach/W. Maihofer/W. Scheel: Die Freiburger Thesen der Liberalen.Reinbek: Rowohlt 1972. Diese geht auf O.V. Nell-Breuning zurück.Die nicht so fortschrittliche Variante versteht unter "Subsidiarität" die Verschiebung der Probleme auf dem Privatbereich und die Familie;vgl. W. Kerber SJ: Katholische Soziallehre. In: Landeszentrale 1975 (Anmerkung 4).Zur Zeit ist die letztere Variante wieder verstärkt im Gespräch. Die Sozialdemokratie spricht anstelle von 10 D:\68618232.doc Subsidiarität lieber von "Solidarität"; siehe hierzu:K.O. Hondrich/C. Koch-Arzberger: Solidarität in der modernen Gesellschaft.Frankfurt (Main): Fischer 1992. Siehe hierzu mein Beitrag "Ambivalenzen der Moderne" in S. Helms u.a.(Hg.): Verwerfungen der Gesellschaft (Arbeitstitel).Remscheid 1996 (i. E.). Wobei die Polemik dieser Rhetorik u.a. darin besteht, daß über Subventionen und ihr Mißbrauch wenig diskutiert wird. Denninger 1981, S. 11 (Anmerkung 6).Vgl. auch H. Hastedt: Gerechtigkeit.In: H. Hastedt/E. Martens (Hg.): Ethik. Ein Grundkurs.Reinbek: Rowohlt 1994, S. 198-214. Vgl. C.B. Macpherson:Die politische Theorie des Besitzindividualismus.Frankfurt (Main) 1971. Und dessen Aktualität immer wieder betont wird;vgl. etwa K.G. Zinn: Kritische Bemerkungen zur Metaphysik in der Politischen Ökonomie.Oder: Warum der Keynesianismus seine Zukunft noch vor sich hat.In: F. Deppe, S. Kebir u.a.: Eckpunkte moderner Kapitalismus-Kritik.Hamburg: VSA 1991. Siehe hierzu Denninger 1981 (Anmerkung 6), S. 31 f. Das sehr starke sozialistische Elemente enthält. Denninger u.a.O. (Anmerkung 6), S. 30. Im Hinblick auf die Frage der Legitimation im größeren Deutschland weist H. Glaser immer wieder darauf hin, daß es nicht die Marktwirtschaft, sondern die soziale Marktwirtschaft (also volle Regale und soziale Abfederung) war, die letztlich das Aus für die DDR brachte.Darauf, daß die Antworten auf die politische Frage nach der konkreten Umsetzung des allgemeinen Zieles sozialer Gerechtigkeit und speziell der Ausformung "Öffentlicher Wohlfahrt" sowohl im Vergleich verschiedener Länder, allerdings auch mit erheblichen Unterschieden je nach Region oder anderen sozialstrukturellen Indikatoren im selben Land sehr verschieden ausfallen, zeigt die neuerdings starken Zulauf erhaltende empirische Gerechtigkeitsforschung; vgl. etwa H.-P. Müller / B. Wegener (Hg.); Soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit. Opladen: Leske und Budrich 1995. Vgl. Th. Gil: Ethik.Stuttgart/Weimar: Metzler 1993. Für die neuere Diskussion siehe (neben Henkenborg 1995; Anmerkung 8)A. Pieper (Hg.): Geschichte der neueren Ethik 1,2.Tübingen/Basel: Francke 1992. "Alle Fortschritte in der Kultur, wodurch der Mensch seine Schule macht, haben das Ziel, diese erworbenen Kenntnisse und Geschicklichkeiten zum Gebrauch in der Welt anzuwenden; aber der wichtigste Gegenstand in derselben, auf den er jene verwenden kann, ist der Mensch: weil er sein eigener letzter Zweck ist". Vorrede zur "Anthropologie in pragmatischer Absicht" von I. Kant, hier Theorie-Werk-Ausgabe (Weischedel) XII, S. 399.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1982. Vgl. Eagleton, T.: Ästhetik. Geschichte ihrer Ideologie.Stuttgart/Weimar: Metzler 1994. J. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1994 (zuerst 1971). Vgl. A. Honneth (Hg.): Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften.Frankfurt (Main): Campus 1994.Siehe auch W. Reese-Schäfer: Was ist Kommunitarismus?Frankfurt (Main): Campus 1994.Dieser Auseinandersetzung verdanken wir auch die Einsicht, daß es nicht eine einheitliche Gerechtigkeit gibt, sondern daß "Sphären der Gerechtigkeit" mit unterschiedlichen Spielregeln sinnvoll zu unterscheiden sind, so etwa M. Walzer in seinem gleichnamigen Buch, das bei Campus/Frankfurt (Main) 11992 (Original: 1982) erschienen ist.R. Forst (in: Kontexte der Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt (Main): Suhrkamp 1994) unterscheidet die ethische, die Rechts-, die politische und die moralische Person, mit denen je die identitätskonstitutive ethische Gemeinschaft, die Rechtsgemeinschaft, die politische Gemeinschaft und die moralische Gemeinschaft der autonom Handelnden korrespondiert mit jeweils verschiedenen Anforderungen an Universalität beziehungsweise Kontextabhängigkeit der regulierenden Nor men. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, daß P. Koller die 11 D:\68618232.doc folgenden fünf distributiven Forderungen an eine zeitgemäße Vorstellung sozialer Gerechtigkeit richtet, so wie sie als Erbe der Aufklärung und Arbeiterbewegung entstanden ist: 1. alle Gesellschaftsmitglieder sollen die gleichen Rechte haben (rechtliche Gleichheit); 2. alle mündigen Bürger sollen eine weitestgehende gleiche Freiheit besitzen, wie sie in einem wohlgeordneten sozialen Zusammenleben für alle möglich ist (bürgerliche Freiheit); 3. alle Bürger wirken gleichberechtigt an kollektiven Entscheidungen über öffentliche Angelegenheiten mit (demokratische Beteiligung); 4. alle Bürger haben nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten und Leistungen gleichberechtigten Zugang zu beruflichen und politischen Positionen (soziale Chancengleichheit); 5. alle Gesellschaftsmitglieder erhalten gerechten Anteil an wirtschaftlichen Ergebnissen (wirtschaftliche Verteilungsgerechtigkeit). P. Koller: Gesellschaftsauffassung und soziale Gerechtigkeit. In: G. Frankenberg (Hg.): Auf der Suche nach der gerechten Gesellschaft. Frankfurt/M.: Fischer 1994. D. Döring/R. Hauser: Neue Akzente für die künftige Sozialpolitik. In: Döring/Hauser 1995 (Anmerkung 9), S. 251 f. Zum Beispiel: D. Döring: Ökologischer Umbau und der Spielraum der Sozialpolitik - eine These.In: Döring/Hauser 1995 (Anmerkung 9), S. 118-128. In eine ähnliche Richtung, die nicht blind gegenüber den Bürokratisierungsprozessen des Wohlfahrtsstaates ist, diesen als kulturelle Errungenschaft jedoch nicht aufgeben will, argumentiert auch G. Frankenberg: Solidarität in einer "Gesellschaft der Individuen"? Stichworte zur Zivilisierung des Sozialstaates. In Frankenberg 1994 (Anm. 26). Siehe hierzu die regelmäßig erscheinenden Bände der "Kleinen politischen Schriften" vonJ. Habermas im Suhrkamp-Verlag. R. Bellah u.a.: Gewohnheiten des Herzens.Köln: bund 1987. Vgl. auch Müller / Wegener 1995 (Anm. 21). M. Nußbaum: Menschliches Tun und soziale Gerechtigkeit.In: M. Brumlik/H. Brunkhorst (Hg.): Gemeinschaft und Gerechtigkeit.Frankfurt (Main): Fischer 1993. A. MacIntyre: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1995. So der Titel der deutschen Neuauflage seiner Schrift aus dem Jahre 1978 bei Campus,Frankfurt (Main): im Jahre 1991. H. Dubiel: Ungewißheit und Politik.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1994. Daß hiermit die wichtige sozialtheoretische Frage nach der Relevanz der gesellschaftlichen Integration über Werte - neben anderen Formen von Integration - gestellt ist (und von der empirischen Seite noch nicht beantwortet werden kann; vgl. etwa Liebig / Wegener in Müller / Wegener 1995 Anm. 21 -, S. 286ff.) sei hier nur angemerkt. MEW 23, S. 189 f. P. Bendixen: Die Ökonomie des Kulturmarktes oder die Dimension des Kulturellen in der MarktwirtschaftIn: Handbuch KulturManagement, 13. Lieferung Oktober 1995, A 3.5.Stuttgart/Düsseldorf: Raabe 1991 ff. Siehe hierzu sein Buch "Fundamente der Ökonomie - Ökologie und Kultur.Wiesbaden: Gabler 1991. So A. Bust-Bartels: Ökonomische Entwicklung und (Sozio-)Kultur.Hagen 1993; v.a. Kapitel 3: "Vollbeschäftigung und Kultur". Den engen Zusammenhang zwischen der Art und Weise, wie der Kapitalismus praktiziert wird und der Demokratie, zeigt D. Claessens: Kapitalismus und demokratische Kultur.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1992. Empirisch belegen M. Haller / B. Mach / H. Zwicky (Egalitarismus und Antiegalitarismus zwischen gesellschaftlichen Interessen und kulturellen Leitbildern. Ergebnisse eines internationalen Vergleichs. In: Müller / Wegener 1995; Anm. 26), daß die kulturellen Traditionen in den einzelnen Ländern entscheidender die je vorfindlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit prägen als andere Variablen (wie etwa Bildung, Familieneinkommen oder Konfession; vgl. u.a. ebd., S. 253ff).Zum direkten Vergleich zwischen Deutschland (mit einer eher etatischen Orientierung) 12 D:\68618232.doc und den USA (die traditionell individualistisch auch bei sozialpolitischen Problemen denken) siehe Beitrag von Liebig / Wegener 1995 in Müller / Wegener 1995 (Anm. 26). Zitiert nach Denninger u.a. O. (Anmerkung 6). J. Habermas: Die Normalität einer Berliner Republik. Kleine Politische Schriften VIII.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1995, S. 97. Siehe J, Habermas: Faktizität und Geltung.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1992, v.a. Kapitel 8. Vgl. das Themenheft der Zeitschrift: Das Argument 206 "Ethik und Staat: Zivilgesellschaft".Hamburg 1994. Siehe etwa E. Goll: Die freie Wohlfahrtspflege als eigener Wirtschaftsfaktor.Baden-Baden: Nomos 1991. Und ist als subsidiärer Bereich mit Anspruch auf öffentliche Mittel in der Jugend-, Sozialund Kulturarbeit ein wichtiger Leistungsträger in diesen Arbeitsfeldern. Siehe hierzu aktuell Th. Rauschenbach/Chr. Sachße/Th. Olk (Hg.):Von der Wertegemeinschaft zum Dienstleistungsunternehmen. Jugend- und Wohlfahrtsverbände im Umbruch.Frankfurt (Main): Suhrkamp 1995. Siehe etwa Heinze u.a. 1988 (Anmerkung 9), Kapitel 3 und 4. W. Seibel: Funktioaler Dilettantismus.Baden-Baden: Nomos 1992. Siehe hierzu meinen Beitrag "Ambivalenz des Dienstleistungskonzeptes". In: LKD (Hg.): Preis und Wert von Dienst und Leistung.Unna 1996 (i. E.). In dieser Richtung argumentiert auch W. Dettling.In: W. Dettling (Hg.): Perspektiven für Deutschland.München: Knaur 1994. Dies schmälert allerdings nicht die Tatsache, daß es auch um den Streit um die Hegeomonie von Denkformen im Kampf um das gesellschaftliche Deutungsrecht geht. Siehe hierzu meinen Beitrag "Kulturpolitik als Politik des Kulturellen".In: Th. Heinze (Hg.): Kultur und Wirtschaft.Opladen: Westdeutscher Verlag 1995. So M. E. Karsten/H. K. Otto. In: dies. (Hg.): Sozialberichterstattung als neue Strategie kommunaler Sozialpolitik.Weinheim/München: Juventa 1990, S. 24 ff. Siehe etwa die Themenhefte 31 und 32 der Zeitschrift "Widersprüche" (1989). G. Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt/M.: Campus 1992, Kapitel 11. Siehe hierzu etwa H. Glaser: Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 3 Bände.München: Hauser 1985/1986/1989 sowie J. Hermand: Die Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1965 - 1985: Frankfurt/M. - Berlin: Ullstein 1990. Schulze 1992, Kap. 11 (Anm. 52). Siehe etwa A. Göschel / K. Mittag / Th. Strittmatter: Die befragte Reform. Neue Kulturpolitik in Ost und West. Berlin: Difu 1995, Kapitel 2. Ebd., S.40ff. Ein Indikator für die neue Relevanz des Ungleichheitsdiskurses ist etwa die neue Reihe "Sozialstrukturanalyse", in der auch Müller / Wegener 1995 (Anm. 26) erschienen ist (dieser Titel zugleich als Beleg für die im Text aufgestellten Behauptungen. Dort finden sich auch zahlreiche Hinweise auf analoge Forschungsprojekte. Man darf diese wissenschafts-politische Schwerpunktsetzung durchaus for dem Hintergund der oben vorgestellten Problematik sehen, daß ein verbreitetes Bewußtsein sozialeer Ungerechtigkeit, wie es eben auch soziale Ungleichheit produzieren kann, der Gesellschaftordnung die Legitimations- grundlagen entzieht. Die "Zwei-Drittel-Gesellschaft" ist ein wichtiger Slogan der achtziger Jahre. "Überverallgemeinerung" ist auch wissenschaftsintern der zentrale Kritikpunkt an diesem Ansatz. Vorliegende empirische Studien beziehen sich stets auf sehr begrenzte Regionen und liegen z. T. auch schon einige Zeit zurück. Den Wert bei einer begrenzten Fragestellung und einem eng abgegrenzten Gegenstandsbereich zeigen P. Nollo / K. Ronneburger: Die neue Dienstleistungsstadt. Berufsmilieus in Frankfurt am Main. Frankfurt/M.: Campus 1995. 13 D:\68618232.doc Hierzu eindrucksvoll die Studien des Münchener ifo-Instituts. Hierzu aus einer ständig wachsenden Fülle knapp und kritisch mein Beitrag "Ambivalenz des Dienstleistungskonzeptes" in LKD (Hg.): Preis und Wert von Dienst und Leistung. Unna 1996 (i.E.) Jedes der gesellschaftlichen Subsysteme neigt dazu, die Hegemonie zu erwerben und seinen spezifischen Code als dominanten durchzusetzen.R. Münch (Dialektik der Kommunikationsgesellschaft.Frankfurt (Main): Suhrkamp 199, S. 303 f.) zeigt etwa auf der Basis der Soziologie von Parsons die Gefahren der Vereinseitigung; im Falle der Dominanz der Ökonomie: vollkommene Kommerzialisierung und Auflösung der Solidarität; im Falle der Sozialisierung: Auspressen der Ökonomie durch gesellschaftliche Ansprüche; im Falle der Kulturalisierung: Paralysierung der Politik durch Dauerreflexion; im Falle der Politisierung: Unterordnung aller Bereiche unter Machtspiele. Aufgrund der Besonderheit der Kulturpolitik und -arbeit, auf symbolische (nicht auf praktische) Weise das Ganze in den Blick nehmen zu können, ist aus meiner Sicht die Gefahr, die aus einer Dominanz der kulturellen Reflexion und Bewertung der Lebensweise entstehen könnte, am geringsten. 14