Zwei mal zwei „Guten Morgen, meine geliebte Maus.“ Gernot beugt sich über Ingrid, die gerade neben ihm erwacht ist und küsst sie zärtlich und lange. „Morgen, mein Schatz.“, strahlt Ingrid ihn verliebt an, nachdem sie ihre Lippen voneinander gelöst haben. „Kuschelst Du noch ein bisschen mit mir?“, fragt sie Gernot leise. „Liebend gern. Aber musst Du nicht zum Dienst?“ „Och, bitte. Nur fünf Minuten.“ Gernot schüttelt in gespielter Entrüstung den Kopf. „Oberschwester, so kenn’ ich Dich ja gar nicht.“ Er breitet seine Arme aus und Ingrid kuschelt sich eng an ihn. „Es ist eben so schön in Deinen Armen.“, flüstert sie glücklich und genießt es, von Gernot so zärtlich gehalten zu werden. Schweren Herzens löst sie sich ein paar Minuten später nach einem letzten Kuss aus Gernots Armen und steht auf. Während sie sich im Badezimmer für ihren Dienst fertig macht, gehen ihre Gedanken zu Gernot, der noch im Bett liegt. Ein zärtliches Lächeln umspielt ihre Lippen. Nach langen Jahren der Trennung hatten sie vor drei Wochen den Schritt in eine neue gemeinsame Zukunft gewagt. Obwohl Ingrid zuerst gezweifelt hatte, ob sie nicht doch etwas Altes aufwärmen würden, hatte Gernot ihr jeden Tag aufs Neue bewiesen, dass es ein wirklicher Neuanfang für sie beide war. Immer wieder versicherte er sie seiner Liebe auf ausgefallene Art und Weise. Mal kam er sie im Schwesternzimmer besuchen und zog sie vor allen anwesenden Mitarbeitern in seine Arme oder er holte wie aus dem Nichts eine wunderschöne gelbe Rose hervor, wenn sie zur Dienstplanbesprechung in sein Büro kam und gestand ihr seine Liebe. Immer wieder hatte er eine neue Idee, und das gefiel Ingrid sehr. „Ich geh dann jetzt, Schatz.“, beugt Ingrid sich über Gernot, der wieder eingedöst war, und küsst ihn auf den Mund. „Mmh, ja. Bis nachher.“ Gernot hebt seine Hand und streichelt sanft über Ingrids Wange. „Ich vermisse Dich jetzt schon.“, seufzt er. „Du Armer. Du wirst es schon überleben.“, lacht Ingrid, küsst ihn nochmals und macht sich dann auf den Weg zur Klinik. Auf dem Weg zur Klinik sind Ingrids Gedanken bei Gernot und der vergangenen Nacht. Auch, wenn sie immer noch getrennte Wohnung hatten, verbrachten sie die meiste Zeit zusammen. So auch die letzte Nacht. Stürmisch hatten sie sich geliebt. Seit sie wieder ein Paar waren, hatte sich alles in ihrem Leben verändert, sogar ihre Liebesnächte. Die waren jetzt stürmischer denn je, als müssten sie sich gerade in diesen Momenten die ganze Wucht der Liebe, die sie jetzt wieder verband, beweisen. Andererseits hatte sie Gernot in den letzten drei Wochen als überaus zärtlichen Mann kennen gelernt, der aus seinen Fehlern gelernt hatte, und dessen Liebe sie jetzt wie ein wärmender Mantel umhüllte. Früher hatte er sie eher selten spüren lassen, wie schön es sein konnte, von ihm geliebt zu werden. Kaum ist Ingrid in der Klinik angekommen, kommt ihr schon Dr. Heilmann entgegengelaufen. „Oberschwester. Gut, dass Sie da sind. Ist der Professor auch schon da?“ „Nein, Dr. Heilmann. Der kommt erst in einer Stunde.“ Roland Heilmann macht ein verzweifeltes Gesicht. „Was ist denn los?“ Ingrid spürt eine -1- innere Unruhe in sich, irgendetwas stimmte hier nicht. „Wir hatten einen Notfall.“ „Dr. Heilmann. Bitte!“, drängt Ingrid auf Aufklärung. „Professor Keller wurde vor einer Stunde eingeliefert. Schwerer Herzinfarkt.“ „Oh, Gott. Günther!“, stößt Ingrid hervor. „Wo ist er? Wie geht es ihm? Kann ich zu ihm?“ „Er liegt auf der ITS, aber er ist noch immer bewusstlos. Sagen Sie es unserem Professor?“ Daran hatte Ingrid noch gar nicht gedacht. Wie sollte sie Gernot bloß beibringen, dass sein bester Freund nach einem schweren Herzinfarkt hier auf der ITS lag, ohne dass Gernot sich so aufregte, dass sein Herz dabei selber Schaden nahm. Aber zuerst wollte sie nach Günther sehen. Vielleicht, so überlegte sie, würde Berta, Günthers Lebensgefährtin, jetzt ihre Hilfe brauchen können. Doch Ingrid ist sehr überrascht, als sie Günthers Zimmer betritt – von Berta Finke weit und breit keine Spur. Ingrid geht hinüber zu Günthers Bett und streicht ihm sanft über die Wange. „Was machst Du bloß für Sachen, Günther?“, sagt sie leise, dann verlässt sie das Zimmer wieder. Sie musste unbedingt Gernot sofort abfangen, bevor er die schreckliche Nachricht von jemand anderem zu hören bekam. Auf dem Weg ins Foyer begegnet sie Dr. Heilmann im Aufzug. „Sagen Sie, Dr. Heilmann. Wie hat denn Frau Finke den Schock verkraftet, dass Professor Keller jetzt hier liegt?“ „Frau Finke? Wer ist Frau Finke?“ Ingrid starrt Dr. Heilmann entgeistert an. „Frau Finke ist Professor Kellers Lebensgefährtin.“ „Hier war niemand, Oberschwester.“ In Ingrid steigt die Wut hoch. Hatte sie sich also doch nicht in Berta Finke getäuscht. Sie war nur hinter Günthers Geld her, wie es ihm ging, schien ihr völlig egal zu sein. Da sieht Ingrid, wie Gernots Wagen vor dem Klinikeingang hält. Sie kämpft mit den Tränen, als sie auf ihn zugeht. „Maus. Tränen? Was ist denn los?“, sagt Gernot sofort, als er Ingrids Gesicht sieht. „Komm mit.“ Ingrid nimmt seine Hand und geht mit Gernot in die Cafeteria. Sie setzen sich. „Ingrid. Was ist passiert?“ „Günther ist heute Morgen eingeliefert worden.“ „Günther? Was ist mit ihm?“ Ingrid legt ihre Hand auf Gernots. „Er hatte einen schweren Herzinfarkt und ist noch immer ohne Bewusstsein.“ Gernot schießen die Tränen in die Augen und Angst um seinen besten Freund macht sich in ihm breit. „Ich muss zu ihm.“ Ingrid nickt und sieht ihm zu, wie er aufsteht. „Kommst Du mit?“ Flehend sieht Gernot sie an. Wiederum nickt Ingrid nur, greift wieder nach Gernots Hand und sie gehen auf die ITS. Völlig niedergeschlagen stehen sie eine ganze Weile nebeneinander an Günthers Bett, bevor sie sich dann an die Arbeit machen. Gernot hatte Anweisung gegeben, ihn sofort zu verständigen, wenn sich an Günthers Zustand etwas ändern sollte. „Wo ist eigentlich Berta?“, wundert sich Gernot, als Ingrid mittags in sein Büro kommt, um ein paar Unterschriften zu holen. „Berta! Die hat sich hier noch nicht sehen lassen! Eine Unverschämtheit!“, bricht es aus Ingrid hervor. „Also doch.“, sagt Gernot leise. „Sie wollte nur sein Geld. Günther ist ihr völlig egal.“ Ingrid nickt. „Das vermute ich auch. Komm, lass uns nach Günther sehen.“ -2- Als sie Günthers Zimmer betreten, liegt dieser noch immer regungslos im Bett. Gernot senkt traurig den Kopf und zieht Ingrid in seine Arme. Tröstend streichelt sie über seinen Rücken, als ihr Blick auf Günthers Gesicht fällt. Dieser hat tatsächlich die Augen geöffnet und sieht Ingrid fragend an. „Hallo, Günther.“, sagt sie leise und ihre Worte lassen Gernot abrupt herumfahren. „Mensch, Günther. Da bist Du ja wieder.“ Mit wenigen Handgriffen hat Gernot den Tubus, über den Günther beatmet wurde entfernt, nachdem er die Vitalfunktionen seines Freundes geprüft hat. Günther hustet und will etwas sagen, doch es kommt nur ein heiseres Krächzen aus seiner Kehle. „Lass gut sein, Günther. Wir reden später. Jetzt ruh Dich aus.“ Gernot legt seinen Arm um Ingrid und weist vor der Tür von Günthers Zimmer eine der Schwestern an, regelmäßig nach Günther zu sehen. Dann geht er mit Ingrid im Arm in sein Büro. „Meldet sich keiner. Ich versteh’ das nicht.“, sagt Gernot enttäuscht, nachdem er zum zigsten Mal versucht hat, Berta in Günthers Haus zu erreichen. „Die lass’ ich nicht mehr zu ihm. Sie würde ihm nur wehtun.“, sagt Gernot entschlossen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, dass er Berta Finke nie wieder sehen würde. „Barbara, bitte geben Sie mir sofort Bescheid, wenn sich an Professor Kellers Zustand etwas ändert.“, bittet Gernot seine Sekretärin. „Professor Keller?“ Barbara Grigoleit wird für einen winzigen Moment leichenblass. „Ja, er wurde mit einem schweren Herzinfarkt hier eingeliefert.“ „Oh, Gott.“, flüstert sie leise und mehr zu sich selbst. „Selbstverständlich, Chef.“, wendet sie sich dann wieder an Gernot, der Ingrid jetzt zur Tür bringt. „Bis nachher.“, sagt er leise, küsst sie noch einmal auf die Wange und geht zurück in sein Büro. Ingrid macht sich nach einem prüfenden Seitenblick auf Barbara auf den Weg ins Schwesternzimmer. Hatte sie sich eben getäuscht, oder hatten in den Augen von Gernots Sekretärin Tränen geglänzt. Allerdings lässt der arbeitsreiche Dienst Ingrid keine Gelegenheit mehr, über diese Beobachtung nachzudenken. Es ist schon weit nach Mitternacht, als Günther wieder erwacht. Er bemerkt, dass jemand in seinem Zimmer ist, dieser jemand sitzt direkt neben seinem Bett. Es sind die ihm seltsamerweise irgendwie bekannt vorkommenden Umrisse einer Frau, die Günther im fahlen Mondlicht wahrnimmt, und plötzlich weiß er, wer da bei ihm ist. „Frau Grigoleit, Sie?“ Mit großer Mühe hebt Günther Keller den Kopf. An seinem Bett sitzt Barbara Grigoleit und nickt, wobei sie krampfhaft versucht, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Wie schön.“, flüstert Günther kraftlos, dann ist er auch schon wieder eingeschlafen. Stumm sitzt Barbara am Bett ihres früheren Chefs und die Tränen rinnen unaufhörlich über ihr Gesicht. Viele Gedanken gehen Barbara durch den Kopf, als sie am Bett von Professor Keller sitzt. Ihre Gedanken gehen zurück in die Zeit, als sie noch seine Sekretärin war. Hatte sie sich ihm damals auch schon so nah gefühlt? Oder war dieses Gefühl erst in letzter Zeit entstanden? Wie sollte sie ihm ihre Anwesenheit an seinem Krankenbett erklären? Und vor allen Dingen, wie sollte sie ihrem Chef klar machen, warum sie sich heimlich auf die Intensivstation geschlichen hatte, obwohl hier nur Familienangehörige Zutritt haben? All das waren Fragen, auf die Barbara -3- im Moment keine Antwort wusste. Sie sieht auf die Uhr an ihrem Arm. Sieben Uhr, sie würde jetzt in ihr Büro hinübergehen. Keiner sollte wissen, dass sie hier um einen Menschen bangte, der ihr sehr, sehr viel bedeutet. Ungesehen gelangt Barbara Grigoleit eine halbe Stunde später wieder von der Intensivstation auf den Klinikflur und macht sich auf den Weg zu ihrem Büro. „Barbara! Wo waren Sie denn?“, klingt die Stimme ihres Chefs vorwurfsvoll aus seinem Büro, als er bemerkt, dass seine Sekretärin wieder aufgetaucht ist. „Entschuldigung, Herr Professor. Aber ich habe mich mit Frau Gauss in der Cafeteria verquatscht und dabei völlig die Zeit vergessen.“ Da Gernot Simoni genau weiß, was er an seiner Sekretärin hat und wie zuverlässig sie arbeitet, quittiert er ihre Entschuldigung mit den Worten: „Ist schon gut, Barbara. Dann fangen wir eben jetzt an.“ Und er diktiert ihr alle wichtigen Briefe, die an diesem Tag noch in die Post müssen. Trotz aller Arbeit finden sowohl Ingrid als auch Gernot immer wieder ein paar Minuten Zeit, Günther einen Besuch abzustatten. Auch, bevor sie nach ihrem Dienstschluss die Klinik verlassen, sehen sie noch kurz nach Günther. Der ist nach wie vor sehr schwach und das Sprechen fällt ihm schwer. „War Berta nicht da?“ Traurig schütteln Ingrid und Gernot die Köpfe. „Hm. Schade.“ Dann kippt Günthers Kopf zur Seite und er ist schon wieder eingeschlafen. Ingrid und Gernot machen sich auf den Weg nach Hause. „Ich hab noch mal versucht, Berta zu erreichen.“, sagt Ingrid, als sie jetzt zu Gernot herüber kommt und sich zu ihm auf die Couch setzt. „Und?“ Ingrid schüttelt den Kopf. „Also, ich versteh diese Frau nicht.“, sagt Gernot nachdenklich. „Warum ist Günther ihr so egal?“ „Gernot – diese Frau wollte bestimmt doch nur sein Geld. Krank ist er eben wertlos für sie.“ „Wertlos?!“ „Es hört sich hart an, aber glaube mir, die ist so, die hat Günther nie wirklich geliebt. Sonst wäre sie doch wenigstens ein einziges Mal in der Klinik aufgetaucht.“ „Ingrid, ich hab’ solche Angst um Günther.“ „Ja, ich auch.“ Sie sitzen noch eine Weile beisammen, dann steht Ingrid auf und zieht ihre Jacke an. „Fährst Du mich bitte nach Hause?“ Gernot sieht aus, als wäre er gerade aus einem tiefen Traum erwacht. „Bitte?“ „Fährst Du mich bitte nach Hause?“ Gernot steht auf und kommt zu Ingrid herüber. Er schlingt seine Arme um ihre Taille und vergräbt seinen Kopf in ihrer Halsbeuge. Dumpf klingt seine Stimme, als er jetzt spricht. „Bitte bleib, Ingrid. Ich möchte diese Nacht nicht allein sein. Darf ich in Deinen Armen einschlafen?“ Ingrid betrachtet ihn gerührt und streicht ihm sanft durchs Haar. „Natürlich, mein Schatz. Aber dann musst Du mich morgen früh erst in die Kochstraße fahren, damit ich mich umziehen kann.“ „Versprochen.“ Gernot hebt den Kopf von Ingrids Schulter und küsst sie auf den Mund. Dann greift er nach ihrer Hand und sie gehen gemeinsam nach oben ins Schlafzimmer. Ein paar Minuten später liegen sie eng aneinandergekuschelt im Bett und schlafen nach einem zärtlichen Gute-Nacht-Kuss ein. Ingrid hat ihre Arme fest um Gernot geschlungen; er fühlt sich in ihrer Umarmung sicher und geborgen. -4- Ein weiterer Tag vergeht noch, bevor sich bei Günther eine leichte Besserung seiner Beschwerden bemerkbar macht. Doch von Berta Finke ist immer noch weit und breit nichts zu sehen. Günther wundert sich zwar, wagt aber nicht, mit Gernot oder Ingrid über seine Gedanken zu sprechen. Sollten die beiden damals in seinem Wochenendhaus doch Recht gehabt haben? Erschöpft schläft Günther kurz darauf ein. Und während Ingrid und Gernot diesen Abend in glücklicher Zweisamkeit verbringen, scheint sich auch in Günthers Leben doch noch alles zum Guten zu wenden. Günther war irgendwann erwacht und hatte sich suchend umgesehen. Allmählich gelang es ihm, sich zu orientieren. Ihm fiel wieder ein, dass er in der Sachsenklinik lag. Er hatte laut seinem Freund Gernot einen schweren Herzinfarkt gehabt. Während er noch darüber nachgrübelte, ob Berta wohl hier gewesen ist, öffnet sich leise die Tür seines Krankenzimmers. Eine grün gekleidete Gestalt blickt sich vorsichtig um und huscht dann herein. Verwundert sieht Günther sein Gegenüber an. „Frau Grigoleit? Sie?“ Barbara Grigoleit steht neben seinem Bett und lächelt ihn unsicher an. Sie nickt. „Dann hab ich doch nicht geträumt. Sie waren letzte Nacht schon einmal hier, oder?“ Wieder nickt Barbara nur. „Setzen Sie sich doch zu mir. Bitte.“ Günther deutet auf den Stuhl, der neben seinem Bett steht. „Gern.“, erwidert Barbara, zieht sich den Stuhl heran und setzt sich. Eine ganze Weile schweigen die beiden und ihre Blicke treffen sich immer wieder für einen kurzen Moment, bevor sie verlegen in die andere Richtung blicken. „Ich muss jetzt gehen.“, sagt Barbara irgendwann leise und steht auf. „Alles Gute, Herr Professor.“ „Danke.“ Barbara geht hinüber zur Tür. „Barbara?!“, ruft Günther Keller hinter ihr her und sie dreht sich um. „Sie kommen doch wieder, ja?“ Wortlos nickt Barbara Grigoleit ihm zu und verlässt dann sein Zimmer. „Wie schön.“, sagt Günther zu sich selbst. In den nächsten Stunden ist er damit beschäftigt, darüber nachzudenken, warum ausgerechnet Barbara hier an seinem Bett saß, und nicht die Frau, die sein Leben mit ihm teilte. Warum kam Berta nicht zu ihm? Irgendwann an diesem Tag kommt Günther zu dem Schluss, dass Gernot damals in seinem Wochenendhaus doch Recht gehabt hatte. Berta wollte gar nicht ihn, sondern nur sein Geld. Seltsamerweise fühlt Günther sich in diesem Moment sehr erleichtert, ohne den genauen Grund dafür zu kennen. Sollte Berta doch bleiben, wo sie war. Es tat nicht einmal weh, ihr wahres Gesicht entdeckt zu haben. Etwas Anderes erscheint ihm in diesem Moment viel wichtiger. Ob Barbara ihr Versprechen halten würde? Ingrid erwacht im Morgengrauen in Gernots Armen. Der ist schon eine ganze Weile wach und hat Ingrid beim Schlafen zugesehen. Was war er doch für ein Glückspilz. Da hatte er tatsächlich noch einmal das große Glück gefunden – Ingrid ist in sein Leben zurückgekehrt. Liebevoll hatte er sie schon eine ganze Weile betrachtet. Immer wieder dachte er dabei aber auch an Günther, der eine Frau liebte, die seine Liebe gar nicht verdiente – eine Frau, die ihn schamlos ausnutzte und es einzig und allein auf das Geld seines Freundes abgesehen hatte. Wie anders -5- war es da doch mit Ingrid und ihm. Sie liebten sich ohne Wenn und Aber. Weder Geld noch sonst irgendwelche „irdischen“ Dinge spielten in ihrer Beziehung eine tragende Rolle. Da war nur eine große, unendlich tiefe Liebe zwischen ihnen. „Morgen.“, räkelt Ingrid sich in seinen Armen und reißt ihn aus seinen Gedanken, als sie jetzt ihre Arme um ihn schlingt und ihn zärtlich küsst. „Morgen, Maus.“, sagt Gernot zärtlich und streichelt Ingrid über die Wange. Ingrid ist aufgefallen, dass Gernot sehr nachdenklich wirkt. „Du denkst an Günther?“ Gernot nickt. „Er wird es schon schaffen, Du wirst sehen.“, sagt Ingrid leise und schmiegt sich fest an ihn. „Es hat mir so gut getan, dass Du mich diese Nacht in Deinen Armen gehalten hast, Maus. Ich liebe Dich so sehr.“ „Ich liebe Dich auch. Und es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass es Dir in meinen Armen gut geht.“ Wieder küssen sie sich zärtlich, dann starten sie in den Tag. Zuerst fährt Gernot Ingrid in die Kochstraße, wo diese sich geschwind umzieht. Dann fahren sie gemeinsam in die Klinik und statten zuerst einmal Günther einen Besuch ab. „Morgen, Ihr zwei.“ „Morgen, Günther.“, erwidern beide gleichzeitig. „Na, wie geht’s Dir heute?“, fragt Gernot betont locker. Günther sollte nicht merken, wie sehr Gernot sich um ihn sorgte. „Ganz gut eigentlich. Deinem Gesicht nach zu urteilen aber wohl eher nicht so gut.“ Erstaunt sieht Gernot seinen Freund an. Stand ihm die Sorge so offensichtlich ins Gesicht geschrieben? „Ach, wirst schon sehen. Unkraut vergeht nicht.“, witzelt Günther, und Gernot muss lachen. „Günther. So gefällst Du mir.“ Sie unterhalten sich noch eine Weile, dann gehen Ingrid und Gernot an die Arbeit. „Schön, dass Sie da sind.“, sagt Günther eine Viertelstunde, nachdem Ingrid und Gernot aus seinem Zimmer verschwunden sind, zu der Gestalt im grünen Kittel, die sich jetzt seinem Bett nähert. „Herr Professor, wie geht es Ihnen?“ „Ich glaube, ganz gut. Setzen Sie sich doch.“ Günther beobachtet seine Besucherin sehr genau. Ihre Augen waren rotgerändert, daran konnte auch die aufgetragene Schminke nicht viel ändern. Ein warmes Gefühl durchströmt Günther in diesem Moment. „Schön, dass Sie da sind.“, sagt er noch einmal. Es vergeht einige Zeit, bevor sich ein Gespräch zwischen Günther und seiner Besucherin entwickelt. Sie sprechen über belanglose Themen, bis Günther seine Hand auf die Hand seines Gegenübers legt. „Darf ich Sie um etwas bitten, Barbara?“ „Natürlich, Herr Professor.“ „Nennen Sie mich doch bitte Günther, ich sage ja auch Barbara zu Ihnen.“ Barbara Grigoleit sieht ihren ehemaligen Chef mit großen Augen an. Günther ist das Glitzern in Barbaras Augen keineswegs entgangen. „Also?“, hakt er nach, als Barbara ihm nicht antwortet. „Sehr gern – Günther.“, sagt sie leise und lächelt ihn verlegen an. „Aber jetzt muss ich wirklich gehen.“, verabschiedet sie sich dann, entzieht Günther ihre Hand und verlässt einen Moment später sein Zimmer. Günther reibt sich fröhlich die Hände. „Den ersten Schritt haben wir gerade gemacht, Barbara.“, sagt er zu sich selbst. -6- Auch in den folgenden Tagen bekommt Günther regelmäßig Besuch von Barbara, ohne dass irgendjemandem in der Klinik etwas auffällt. Mittlerweile haben sie einen guten Weg gefunden, relativ unbefangen miteinander umzugehen, auch wenn keiner der beiden bis jetzt mutig genug gewesen ist, dem anderen seine Gefühle einzugestehen. Oft, wenn Günther verzweifelt weinend in den Kissen lag, hatte Barbara einfach seine Hand genommen und ihm tröstende Worte gesagt. So auch heute Nacht. Wieder einmal kam Günther nicht mit der Tatsache zurecht, dass ihn zum einen die Frau, die er zu lieben geglaubt hatte, einfach so im Stich ließ und zum Anderen, dass er aufgrund seines Herzinfarktes sein Leben gründlich würde umkrempeln müssen. Und dann war Barbara zu ihm ins Zimmer gekommen. „Günther, was ist denn los?“, hatte sie ihn besorgt gefragt, als sie seine vom Weinen geröteten Augen gesehen hatte. „Es ist…, es ist…“ Die aufsteigenden Tränen machen Günther das Sprechen unmöglich. Barbara betrachtete ihn eine Weile ratlos. Dann war sie entschlossen vom Stuhl aufgestanden, hatte sich zu ihm auf die Bettkante gesetzt und seine Hände in die ihren genommen. Zärtlich hatte sie mit ihren Daumen über seine Handrücken gestreichelt, was in Günther ein Gefühl hervorrief, das seine Tränen fast auf der Stelle versiegen ließ. Unbewusst hatten sie ihre Hände dann ineinander verschränkt, und so hielten sie sich eine ganze Weile fest. „Es tut so weh, zu wissen, dass man von der Frau, die man zu lieben geglaubt hat, nur ausgenutzt worden ist.“, sagt Günther später leise. Barbara tut es im Herzen weh, als sie sieht, wie Günther unter dieser Situation leidet. „Aber nicht alle Frauen sind so, Günther.“, versucht sie ihm Mut zu machen. Günther wendet ihr seinen Blick zu und drückt dankbar ihre Hände. „Ja, Gott sei Dank gibt es auch Frauen, die es wert sind, geliebt zu werden.“ Ihre Blicke verharren ineinander und jeder hängt für eine Weile seinen Gedanken nach. Wie Günther wohl seine Worte gemeint hatte, überlegt Barbara. Ob Barbara den Wink verstanden hat? Günther ist sich nicht ganz sicher, er wusste Barbaras auf seine Bemerkung folgenden Blick nicht hundertprozentig zu deuten. Barbara, die mittlerweile genau wusste, wann die Nachtschwester ihre Runde machte, löste ihre Hände aus denen Günthers, stand auf und sah auf Günther hinunter. Ihre Blicke versanken tief ineinander. „Ich muss los.“, sagte Barbara leise, ohne den Blick aus den Augen des Mannes zu nehmen, den sie, wie sie sich mittlerweile eingestanden hatte, von ganzem Herzen liebte. „Komm wieder. Bitte.“, bat Günther sie leise und griff nach ihrer Hand. Unendlich sanft hauchte er ihr einen Kuss in die Handinnenfläche. Etwas irritiert entzog Barbara ihm ihre Hand, beugte sich dann aber kurz über ihn und küsste ihn zärtlich auf die Wange. „Bis morgen, Günther. Schlaf gut.“ Das Strahlen, das jetzt auf Günthers Gesicht liegt, erscheint Barbara heller und fröhlicher als das Strahlen der Sonne, und ihr macht sich ein großes Glücksgefühl breit. Als Barbara sein Zimmer verlassen hat, lächelt Günther immer noch versonnen vor sich hin. Endlich hatte er den Mut gefunden, Barbara zu duzen. Dieses neue, wundervolle Gefühl der Vertrautheit zwischen ihnen machte ihn sehr glücklich. Doch auch Barbara ging es nicht anders; beschwingt vor Glück macht sie sich in dieser Nacht auf den Heimweg. -7- Schon zu Beginn ihrer neuen Beziehung hatte Ingrid festgestellt, dass es Gernot jetzt gar nichts mehr auszumachen schien, auch in der Öffentlichkeit zu ihrer Liebe zu stehen. Dazu gehörten auch solche Momente wie gerade dieser hier in seinem Büro. Ungeachtet der Tatsache, dass jemand hereinkommen könnte, ließ Gernot seinen Gefühlen freien Lauf. Daher genießt Ingrid es umso mehr, dass sie ihn jetzt mit Zärtlichkeiten verwöhnen kann. Auch Gernot ist nicht untätig, und seine Finger öffnen geschickt Ingrids Schwesternkittel. Seine Hände gleiten fordernd über die darunter zum Vorschein kommende Haut. Sie verwöhnen sich gegenseitig eine ganze Weile, bis plötzlich Gernots Telefon klingelt. „Entschuldige.“ „Ist schon gut, Schatz.“ Ingrid steht von seinem Schoß auf und richtet ihre Kleidung, während Gernot hinüber zum Telefon geht. „Ja, sagen sie ihm, ich komme.“, beendet er das Gespräch. „Günther hat nach mir gefragt.“, klärt er Ingrid über den Inhalt des Telefonats auf, während er sein Hemd wieder zuknöpft. „Komm, gehen wir zu ihm.“ „Ja.“ Hand in Hand verlassen Ingrid und Gernot dessen Büro und machen sich auf den Weg zu ihrem Freund Günther, der schon sehnsüchtig auf sie wartet. „Ihr könnt mich doch nicht so lange allein lassen.“, grinst Günther sie an. Er ist froh, mit den beiden ein entspanntes Gespräch führen zu können. Zu sehr hatten sich seine Gedanken bis jetzt mit der Frau beschäftigt, der, wie er jetzt sicher wusste, sein Herz und seine Liebe gehörten – Barbara. Und jede Minute, die er länger an sie dachte, vergrößerte den Schmerz, den die Sehnsucht nach ihr in sein Herz brannte. Deshalb lässt er sich nur allzu gern durch das Gespräch mit seinen Freunden von dieser Sehnsucht ablenken. Er würde hier warten müssen, bis Barbara endlich wieder zu ihm käme. „Günther, wir verlegen Dich morgen auf die Normalstation. Dann werden wir Dich fit machen für die Reha. Einverstanden?“, erklärt Gernot seinem Freund zwei Tage später im Anschluss an die Visite. Günther war der letzte Patient auf ihrer Runde gewesen, und so konnte Gernot sich etwas Zeit für seinen Freund nehmen, nachdem seine Kollegen sich wieder an die Arbeit gemacht hatten. „Was bleibt mir schon anderes. Du hast mich in Deiner Gewalt.“, grinst Günther Gernot an. Doch dann macht sich wieder dieser sorgenvolle, ja beinahe verzweifelte Ausdruck auf seinem Gesicht breit, der Gernot vorhin schon einmal aufgefallen war. Er spricht Günther daraufhin an. „Liegt Dir etwas auf der Seele, mein Alter?“ Günther reagiert nicht und starrt gedankenverloren aus dem Fenster. Seit zwei Tagen war sie schon nicht mehr hier gewesen. Ihr war doch hoffentlich nichts zugestoßen? Günthers Herz krampft sich vor Sehnsucht nach der geliebten Frau zusammen. Warum bloß ließ sie ihn solange allein? Als Gernot einen Moment später seine Frage wiederholt, sieht Günther ihm direkt in die Augen und fragt ihn nach Barbara. „Gernot, wo ist Barbara, ähm, Frau Grigoleit? Ich hab’ sie schon so lange nicht mehr gesehen.“ Erstaunt sieht Gernot seinen Freund an. „Barbara? Barbara war hier? Aber wieso?“ „Ja, Barbara war hier. Bei mir. Ist es so verwunderlich, wenn die Frau, die ich liebe, an meinem Krankenbett sitzt?“, sagt Günther jetzt mit fester Stimme. Er findet es sinnlos, Gernot etwas vorzumachen. -8- „Du liebst sie?“ Günther nickt. „Sie hat mich jeden Tag besucht, als es mir so schlecht ging. Sie hat mir Mut gemacht, als ich verzweifelt war, und sie hat sich mit mir gefreut, als es mir wieder etwas besser ging. Sie hat so manche Nacht einfach nur meine Hand gehalten oder mich in ihren Armen gewiegt, wenn ich mit meinem Schicksal gehadert habe. Das war einfach wunderschön.“ Günther sieht seinen Freund fragend an. „Wo ist sie, Gernot?“ Gernot zuckt die Schultern. „Sie ist nicht mehr da, Günther. Sie hat unbezahlten Urlaub genommen – vor zwei Tagen. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.“ „Was soll das heißen?“ Vor lauter Aufregung wird Günthers Stimme ganz laut. „Reg Dich nicht auf, Günther.“ „Ich soll mich nicht aufregen? Die Frau, die ich liebe, ist fort, und Du sagst, ich soll mich nicht aufre…“ Wie ein Stein fällt Günther plötzlich zurück in die Kissen. „Günther! Verdammt! Sag doch was!“, ruft Gernot entsetzt. Ein Blick auf die Überwachungsmonitore zeigt Gernot auf den ersten Blick, dass sein Freund einen erneuten Herzanfall hatte. Er alarmiert sofort Dr. Brentano und gemeinsam gelingt es ihnen, Günther zu stabilisieren. Am Abend dieses Tages kommt Günther wieder zu sich. Es ist stockdunkel im Zimmer, trotzdem nimmt er eine ihm wohlbekannte Gestalt wahr. Barbara ist also tatsächlich wieder zu ihm gekommen. Als er sich gerade bemerkbar machen will, hört er die geliebte Stimme dicht neben sich. „Günther, Du darfst nicht sterben. Du darfst mich doch nicht allein hier auf dieser Welt zurücklassen, ich liebe Dich doch. Oh, Gott. Warum hab ich ihm das nicht schon längst gesagt. Jetzt ist es vielleicht zu spät.“ Barbara schluchzt erneut. Es fällt Günther unendlich schwer, sich weiter schlafend zu stellen. Viel lieber würde er Barbara jetzt in seine Arme nehmen und ihr sagen, dass auch er sie liebt. Aber wenn er jetzt zu erkennen gab, dass er gar nicht schlief, würde Barbara wahrscheinlich die Flucht ergreifen. Und das wollte er auf gar keinen Fall. Also tat er weiterhin so, als schliefe er. Barbara spricht weiter zu dem, wie sie meint, fest schlafenden Günther. „Wenn Du das alles hier überstanden hast, werde ich Dir sagen, wie sehr ich Dich liebe. Dass ich Dich brauche, dass Du der Mann bist, mit dem ich ewig glücklich sein möchte.“ Plötzlich fühlt Günther, wie sich zwei weiche, warme Lippen auf seine legen. Als er einen Augenblick später vorsichtig die Augen einen Spalt öffnet, ist er aber schon allein im Zimmer. Barbara ist gegangen. Eine winzige Glücksträne rollt über Günthers Wange. „Ich liebe Dich auch, Barbara.“, sagt er leise in den leeren Raum hinein. Mit einem glücklichen Strahlen auf dem Gesicht schläft er dann etwas später ein. Tränenüberströmt schleicht sich Barbara aus Günthers Zimmer, als plötzlich eine Frau vor ihr auftaucht. „Was haben Sie in Günthers Zimmer verloren?“, herrscht die Frau Barbara an. „Ich habe gesehen, wie sie ihn geküsst haben. Sie billige Schlampe, verschwinden sie hier! Günther gehört zu mir. Wir werden heiraten.“ Fassungslos starrt Barbara ihr Gegenüber an. Sie hatte die Frau nie gesehen, und doch wurde ihr mit einem Mal schlagartig klar, dass das Berta Finke sein musste. Günther hatte von ihr erzählt, die Beschreibung passte. Barbara mustert ihr Gegenüber abschätzend. „Wiederseh’n, Frau Finke.“, sagt sie nur knapp. Dann lässt sie Berta Finke stehen und geht hocherhobenen Hauptes an ihr vorbei in -9- Richtung Ausgang. Vor dem Klinikeingang kann sie jedoch die Tränen nicht mehr zurückhalten. Auf dem Nachhauseweg kämpft Barbaras Herz mit ihrem Verstand. Ihr Herz wollte bei Günther sein, aber ihr Verstand sagte ihr, dass sie keinerlei Rechte auf Günther hatte. Als Barbara zuhause ankommt, hat ihr Verstand über ihr Herz gesiegt – sie würde Günther niemals wieder sehen… Dass auch Berta Finke fast gleichzeitig mit ihr die Klinik verlassen hatte, ohne Günther besucht zu haben, wusste Barbara nicht. Gernot hat heute Morgen andere Probleme zu bewältigen. Völlig überraschend war Barbara Grigoleit vor zehn Minuten pünktlich zu Dienstbeginn in seinem Büro aufgetaucht und hatte ihn um unbezahlten Urlaub auf unbefristete Zeit gebeten. Da sie ihm persönliche Gründe für die Dringlichkeit des Urlaubs nannte und nicht weiter darauf einging, hatte Gernot schweren Herzens zugestimmt. Vor zwei Minuten hatte Barbara dann ihre Sachen gepackt und war verschwunden. Es klopft leise an Gernots Bürotür und Ingrid steckt auf sein „Herein!“ den Kopf durch die Tür. „Maus, schön, dass Du kommst.“ Gernot kommt mit ausgestreckten Armen auf sie zu, um sie fest an sich zu ziehen, als sie sich jetzt gegenüberstehen. Er vergräbt sein Gesicht an Ingrids Halsbeuge und seufzt leise. „Hey, was ist denn?“ Ingrid fährt ihm mit den Händen sanft durchs Haar. So kannte sie Gernot gar nicht. Er war früher immer darauf bedacht, keine Schwäche zu zeigen. Dass er jetzt dazu imstande war, machte ihn für Ingrid nur noch liebenswerter. „Barbara ist weg.“ „Wie – weg?“ „Sie hat unbezahlten Urlaub genommen.“ „Ja, aber warum?“ Gernot zuckt mit den Schultern. „Weiß nicht.“ Er löst seine Umarmung, greift nach Ingrids Hand und geht mit ihr zu der Sitzgruppe hinüber. Er setzt sich in einen der Sessel und zieht Ingrid auf seinen Schoß. Fest schlingt er seine Arme jetzt wieder um sie. „Ich bin so froh, dass es Dich gibt.“, flüstert er, bevor er Ingrid zärtlich küsst. Aus diesem zärtlichen Kuss wird sehr schnell ein sehr leidenschaftlicher Kuss, in dessen Verlauf sich Ingrids Hände einen Weg unter Gernots Oberhemd bahnen, um ihn mit zärtlichen Berührungen zu verwöhnen. Barbara ist gerade erst zwei Stunden zuhause, als es an ihrer Tür klingelt. Ihre Augen weiten sich vor Erstaunen. „Chef? Sie?“ „Ja, ich. Darf ich reinkommen?“ Barbara geht einen Schritt zur Seite und lässt Ihren Chef eintreten. Gernot Simoni hatte sich kurzentschlossen ins Auto gesetzt, nachdem er mit Ingrid übereingekommen war, dass es für Günther nur einen Weg gab, wieder gesund zu werden. Und dazu brauchte Günther vor allen Dingen Barbara, die Frau, die er liebte. Ingrid hatte Gernot mit einem zärtlichen Kuss verabschiedet und ihm viel Glück für sein heikles Unterfangen gewünscht. Ingrids Ratschläge kamen ihm jetzt wieder in den Sinn, als er vor seiner Sekretärin stand. „Sie können sich sicher denken, warum ich hier bin?“ „Ist es wegen meinem Urlaub? Ich brauche diesen Urlaub wirklich.“, sagt Barbara leise. „Nicht direkt deswegen. Es geht um Professor Keller.“ Gernot beobachtet Barbara Grigoleit genau und sieht, wie sie - 10 - mit den aufsteigenden Tränen kämpft. Als Barbara beharrlich schweigt, wagt Gernot einen weiteren Versuch. „Ihm fehlt der Wille, gesund zu werden, Barbara. Ich bin sicher, dass es ihm bald wieder besser ginge, wenn er jemanden hätte, auf den er sich voll und ganz verlassen kann.“ Energisch schüttelt Barbara den Kopf. „Was wollen Sie eigentlich von mir?“ „Kommen Sie mit mir zu Günther. Ich weiß doch, dass er Ihnen nicht gleichgültig ist. Hätten Sie sonst fast jede Nacht an seinem Bett gesessen? Glauben Sie mir, es ist schon richtig so.“, sagt Gernot leise und legt seiner Sekretärin ermutigend die Hand auf die Schulter. Doch die weicht vor ihm zurück. „Nein. Es geht nicht.“ „Barbara. Bitte, Sie müssen mitkommen. Er braucht Sie doch.“ „Mich braucht niemand.“, schluchzt Barbara verzweifelt. „Er hat doch diese, diese… - Berta!“ „Berta?“ Auf sein Nachfragen hin erfährt Gernot, dass Berta Finke eines Nachts in der Klinik aufgetaucht war, und Barbara, die nach einer durchwachten Nacht gerade Günthers Krankenzimmer verließ, abgefangen hatte. Das Gespräch war sehr unerfreulich verlaufen, und Berta Finke hatte sich Barbara gegenüber tatsächlich als Günthers zukünftige Frau ausgegeben. „Verstehen Sie jetzt, dass ich nicht mit Ihnen kommen kann?“ Gernot schüttelt den Kopf, greift wortlos nach dem Arm seiner Sekretärin und zieht sie mit sich. „Herr Professor…“, protestiert Barbara und will ihm seinen Arm entziehen. „Keine Widerrede. Sie kommen mit.“ Gernot Simoni bugsiert seine Sekretärin entschlossen zu seinem Wagen und einen Moment später fährt er mit ihr in Richtung Sachsenklinik davon. Währenddessen hatte Ingrid Günther Gesellschaft geleistet. Sie unterhielten sich über Günthers bevorstehende Reha, die er ambulant in der Sachsenklinik durchlaufen würde. Plötzlich flog die Tür zu seinem Krankenzimmer auf und Günther starrt sein Gegenüber entsetzt an. „Berta, Du?“ „Ja, ich. Hallo, Tiger.“ Berta will sich zu ihm beugen und ihm einen Kuss geben, doch Günther dreht den Kopf zur Seite. „Ich will Dich nie mehr sehen.“, sagt er leise. „Was???“ „Berta, geh! Erspare uns beiden hässliche Szenen und weitere Einzelheiten. Du hast mich nie geliebt, Du wolltest nur mein Geld. Ich trage Dir nichts nach, aber geh jetzt.“ Wie angewurzelt bleibt Berta Finke an Günther Kellers Bett stehen. „Haben Sie nicht gehört?“, mischt sich nun Ingrid ein. „Oder soll ich vielleicht nachhelfen?“ Ingrids Stimme nimmt einen kampfeslustigen Unterton an, der Berta veranlasst, fluchtartig das Krankenzimmer zu verlassen. Kaum ist Berta verschwunden, öffnet sich die Tür von Günthers Krankenzimmer erneut. Gernot tritt herein, eine verheult aussehende Barbara hinter sich her ziehend. „So, Günther. Da hast Du sie.“, sagt er grinsend und nimmt dann Ingrid bei der Hand. „Komm. Wir stören hier nur.“ Ingrid folgt ihm hinaus auf den Flur. „Erklärst Du mir das?“, fragt sie irritiert. „Aber gern. Komm, gehen wir einen Kaffee trinken.“ Er küsst Ingrid auf den Mund und zieht sie dann mit sich fort. „Barbara.“ Günther streckt Barbara seine Hand entgegen, da sie noch immer unschlüssig mitten im Zimmer steht. Auch jetzt bewegt sie sich kein Stück. „Komm mal her, Liebes.“, sagt Günther jetzt leise und aus seinen Augen strahlt Barbara die Liebe entgegen, die er für sie empfindet. Erstaunt sieht Barbara ihn an. „Liebes?“, - 11 - flüstert sie kaum hörbar. „Ja. Liebes. Nun komm schon her, ich darf doch noch nicht aufsteh’n.“, bittet Günther mit einem zärtlichen Unterton in der Stimme. Zögernd kommt Barbara näher. Günther ergreift ihre Hand und zieht sie zu sich auf die Bettkante. Mit der anderen Hand streichelt er ihr sanft über die Wange. „Günther, ich…“ „Schsch… - gib Dir keine Mühe, ich weiß längst, dass auch Du mich liebst. Ich hab’ es ja selbst gehört.“, strahlt Günther Barbara an. „Du hast…“ „Alles gehört, ja.“ „Alles?“ „Alles!“ Verlegen sieht Barbara zu Boden. „Ja, Günther. Ich liebe Dich.“, sagt sie leise, ohne ihn anzusehen – Ausflüchte hätten ja doch keinen Sinn. „Ich Dich auch.“, erwidert Günther, und zieht sie jetzt zu sich herunter. Sanft berührt er mit seinen Lippen die ihren, bis sie in einem unendlich langen, zärtlichen Kuss verschmelzen. „Das ist ja wunderbar.“, sagt Ingrid und strahlt Gernot fröhlich an, nachdem er ihr alles erzählt hat. „Ja, das finde ich auch.“ Glücklich strahlend zieht Gernot seine Ingrid in die Arme und ihre Lippen finden sich in einem zärtlichen Kuss. Vier Wochen später wird Günther aus der Klinik entlassen. Für den heutigen Abend hat er Ingrid und Gernot zu sich nach Hause eingeladen. Aufgeregt läuft er schon eine halbe Stunde vorher durchs Haus. „Günther, bitte. Du machst mich nervöser, als ich sowieso schon bin. Sie werden schon pünktlich sein.“ Zwei Arme schlingen sich von hinten um seine Taille. Er legt seine Hände auf die Hände, die auf seiner Brust liegen. „Barbara, ich weiß ja, aber ich freu mich doch so. Die werden Augen machen, wenn sie hören, dass Du vorgestern hier eingezogen bist.“ Er dreht sich zu Barbara um und sie umarmen sich. „Du bist das Beste, was mir passieren konnte. Ich liebe Dich.“ „Ich Dich auch, Günther.“ Als jetzt ein Auto in die Grundstückseinfahrt fährt, lösen sie ihre Umarmung und gehen Hand in Hand ihrem Besuch entgegen. Es wird ein heiterer Abend, in dessen Verlauf Ingrid und Gernot Barbara das ‚Du’ anbieten. „Wir sind doch Freunde.“, ermutigt Ingrid Barbara, als sie deren Zweifel bemerkt. „Ich weiß nicht. Was werden die Kollegen sagen, wenn ich meinen Chef plötzlich duze? Ich glaub’, ich kann das nicht.“, zögert Barbara. Da mischt sich Gernot in das Gespräch ein. „Natürlich kannst Du das, Barbara. Und ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn wir uns auch in der Klinik duzen. Schließlich arbeiten wir schon eine halbe Ewigkeit zusammen, und was die anderen denken, ist mir egal.“ „Also gut, einverstanden.“, stimmt Barbara daraufhin endlich zu. „Ach übrigens, Barbara wohnt jetzt hier.“, strahlt Günther Ingrid und Gernot an und zieht Barbara näher an sich. „Wie schön.“, erwidern Ingrid und Gernot gleichzeitig und ihre Blicke versinken für einen Moment ineinander. Ingrid nickt Gernot aufmunternd zu, woraufhin er anfängt zu sprechen. „Wir haben auch eine Neuigkeit für Euch.“ Barbara und Günther sehen erwartungsvoll zu Ingrid und Gernot hinüber. „Nun mach’s nicht so spannend, Gernot.“, fordert Günther seinen Freund zum Weitersprechen auf. Ein breites Grinsen steht in Gernots Gesicht. „Ratet mal.“ „Ihr habt es endlich mal geschafft, einen gemeinsamen Urlaub zu buchen?“, versucht Barbara es. „Falsch.“, lacht Ingrid. „Ihr habt beschlossen, in - 12 - der Sachsenklinik den Medikamentenraum zu Eurem heimlichen Liebesnest umzufunktionieren?“, fragt Günther, der seine beiden Freunde einen Tag vor seiner Entlassung aus der Klinik händchenhaltend und glücklich strahlend eben aus diesem Raum hatte herauskommen sehen. „Ist zwar eine hübsche Idee, aber leider auch falsch.“, schmunzelt Gernot, legt Ingrid den Arm um die Schulter und zieht sie zu sich heran. „Ihr zieht wieder zusammen?“, startet Barbara ihren zweiten Versuch. „Fast richtig.“ „Och, Gernot. Nun sag schon.“ Günther wird jetzt ungeduldig vor Neugier. „Sollen wir’s ihnen sagen, Maus?“, wendet Gernot sich an Ingrid und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. „Ja, ich denke schon.“, antwortet Ingrid und greift mit ihrer rechten nach Gernots rechter Hand und sie präsentieren stolz ihre Hände. „Seht mal.“ „I…I…Ihr seid…“ „Seit heute morgen 11 Uhr verheiratet. Ja.“, strahlt Gernot überglücklich, mit einer ebenso glücklich strahlenden Ingrid im Arm, die sich jetzt noch ein bisschen näher an ihn kuschelt, während Barbara und Günther immer noch fassungslos auf die goldenen Ringe an den Händen ihrer Freunde starren. Nachdem sie diese Überraschung einigermaßen verdaut haben, umarmen sie Ingrid und Gernot und gratulieren ihnen von Herzen. „Jetzt erzähl mal.“ Günther will jetzt alles ganz genau wissen. „Willst Du’s ihnen erzählen, Maus?“ Ingrid nickt, dann beginnt sie zu erzählen. Von der Angst, die Gernot um seinen besten Freund ausgestanden hatte nach dessen Herzinfarkt – von Ingrids Feststellung, dass Gernot sein Verhalten ihr zuliebe völlig geändert hatte – und von dem Abend, an dem Gernot ihr einen wundervollen, romantischen Heiratsantrag gemacht hatte. „Als ich nachts vom Spätdienst in meine Wohnung kam, wartete mein Schatz schon auf mich. Der Esstisch war wunderschön eingedeckt, die Kerzen brannten und vor mir stand mein Gernot in seinem besten Anzug mit einem riesigen Strauß gelber Rosen in der Hand. Ich war sprachlos. Er Gott sei dank nicht.“ Ingrid sieht Gernot an, in dessen Augen ein glückliches Strahlen liegt. „Er kam auf mich zu und sah mich mit seinen blauen Augen an. ‚Maus. Schön das Du da bist.’ hat er gesagt.“ Barbara und Günther sehen sich an und beide erinnern sich an die Momente, in denen Günther Barbara dasselbe gesagt hatte. „Und dann?“, forscht Barbara weiter nach. „Dann…, dann hat er gesagt: ‚Ich habe es satt, ständig quer durch die Stadt fahren zu müssen, um Dich sehen zu können.’ Ich hab’ ihn erst mal ganz entsetzt angesehen, aber Gernot hat mich nur angegrinst. Dann hat er gesagt: ‚Es wäre viel praktischer, wenn ich meine Frau abends direkt nach dem Dienst in unserem gemeinsamen Zuhause in die Arme nehmen könnte.’ Ich hab’ vor lauter Glück angefangen zu heulen wie ein Schlosshund. Gernot hat mir die Tränen aus dem Gesicht geküsst und mich gefragt, ob ich seine Frau werden will.“ Ingrid steigen vor Rührung, während sie erzählt, auch jetzt wieder die Tränen in die Augen. Als Gernot das bemerkt, kommt er seiner Frau zur Hilfe. „Und wie ihr seht, hat sie ‚ja’ gesagt.“ „Schön.“, seufzt Barbara und wischt sich verstohlen eine Träne der Rührung aus den Augen. Dadurch entgeht ihr das Aufblitzen in Günthers Augen. Der jedoch hat gerade eine wichtige Entscheidung getroffen. - 13 - Nach einem wunderschönen Abend fallen sich in zwei Schlafzimmern jeweils zwei Menschen glücklich in die Arme und lassen ihren Gefühlen füreinander in dieser Nacht freien Lauf. Am nächsten Morgen bringt Günther Barbara zur Sachsenklinik, da er heute sowieso einen Termin für die Nachuntersuchung hat. Freudestrahlend stürmt Barbara in das Büro ihres Chefs. „Morgen, Gernot.“ „Morgen, Barbara. Na, Du strahlst ja so.“ „Günther hat mir soeben einen Heiratsantrag gemacht.“ „Und?“ „Ich habe ‚ja’ gesagt.“ „Barbara, wie schön. Ich wünsche Euch alles Glück dieser Welt.“ Gernot umarmt Barbara und gratuliert ihr herzlich. Da erscheint plötzlich Sarah Marquardt in der halb geöffneten Tür und hört gerade noch, wie Barbara, während Gernot sie umarmt, sagt: „Ich bin ja so glücklich, Gernot.“ „Na, hier geht es ja zu wie in Sodom und Gomorra.“, klingt Sarahs Stimme von der Tür her zu Gernot und Barbara herüber. „Erst der Oberschwester schöne Augen machen und dann mit der Sekretärin rumknutschen.“ „Frau Marquardt, zügeln sie ihre Zunge.“, blitzt Gernot die Verwaltungschefin an, hält Barbara aber weiter im Arm. „Man sollte der armen Frau Rischke sagen…“ „Was wollen Sie der armen Frau Rischke sagen?“, ertönt da Ingrids Stimme hinter Sarah Marquardts Rücken. „D…d…das…“, stottert diese herum. „Frau Marquardt wollte Dir sagen, dass ich hier mit Barbara rumknutsche, obwohl ich Dir schöne Augen gemacht habe.“ Ingrid kann sich ob Gernots Erklärung ein Grinsen kaum verkneifen. Sie geht an Sarah Marquardt vorbei und bleibt mitten in Gernots Büro stehen. „So ist das also. Nimm zum Knutschen gefälligst Deine eigene Frau, Gernot!“, ertönt da Günther Kellers Stimme von der Tür her. Er kommt auf Barbara und Gernot zu und zieht Barbara aus Gernots Armen in seine. „Das hier ist nämlich meine.“, lacht er. Sarah Marquardt ist jetzt beinahe völlig verwirrt. „Frau? Eigene Frau?“, stammelt sie. „Tja, Sarah. Sehen Sie. Ich würde doch meinem besten Freund nie die Frau wegnehmen. Ich hab’ doch selber eine, und was für eine.“, strahlt Gernot seine Verwaltungschefin an. Die hält sich krampfhaft am Türrahmen fest. Was war hier eigentlich los? Sie sieht ihren Chef auf sich zukommen, der mittlerweile die Oberschwester bei der Hand genommen hat. „Frau Marquardt – darf ich vorstellen, das ist meine Frau. Ingrid Simoni. Und aus Barbara Grigoleit wird in vier Wochen Frau Barbara Keller.“ „Oh Gott, oh Gott.“, entfährt es Sarah noch, bevor sie ohnmächtig am Türrahmen entlang zu Boden rutscht. „Das war einfach zu viel für die Gute.“, lacht Gernot, hebt gemeinsam mit Günther die ohnmächtige Verwaltungschefin auf und legt sie auf die Couch. Verlegen lächelnd kommt Sarah Marquardt fünf Minuten später wieder zu sich. „Na dann, herzlichen Glückwunsch.“, sagt sie nur. „Danke.“, ertönt es aus vier Kehlen gleichzeitig, und während sich zwei glückliche Paare in den Armen liegen und in endlosen zärtlichen Küssen versinken, entschwindet Sarah Marquardt kleinlaut in ihr Büro. Ende. - 14 -