Ewig lieben, heißt ewig leben Als Gernot nach einem langen Arbeitstag die Klinik verlässt und auf sein Auto zugeht, regnet es in Strömen. Schnell läuft er um sein Auto herum und steigt ein. Nachdem er zwei Straßen weit gefahren ist, sieht er eine ihm wohl bekannte Gestalt über den Bürgersteig gehen, die vom Regen schon völlig durchnässt ist. Auf der Höhe dieser Gestalt hält er den Wagen an und öffnet das Fenster. „Ingrid! Komm, ich fahr’ dich nach Hause.“ Ingrid läuft auf den Wagen zu. „Aber ich bin klatschnass, Gernot. Ich würde dir doch nur die Sitzpolster durchweichen.“ „So’n Quatsch. Nun steig schon ein.“ „Wie du meinst.“ Ingrid öffnet schnell die Tür und lässt sich neben Gernot auf den Sitz fallen. Aus ihren Haaren tropft der Regen und auch ihr Gesicht ist ganz nass. „Hier.“ Gernot hält ihr sein Stofftaschentuch hin. „Danke.“ Sie trocknet sich notdürftig das Gesicht ab. „Brrrr, ist mir kalt“, zittert Ingrid. „Ich fahr dich schnell nach Hause, damit du gleich unter die heiße Dusche kannst.“ Fürsorglich dreht Gernot die Heizung im Auto höher und setzt die Fahrt fort. Sie unterhalten sich über die Klinik und den Dienstplan, den sie für die nächste Woche morgen noch gemeinsam erstellen müssen. Ingrid ist froh, dass Gernot sie aufgegabelt hat und sie nun nach Hause fährt. Wenn sie ehrlich zu sich selbst ist, muss sie sich eingestehen, dass sie die räumliche Nähe zu ihm in diesem Moment sehr genießt. Ihre Gedanken schweifen ab zu den glücklichen Zeiten, die sie beide miteinander verbracht haben. Auch Gernot geht es ähnlich. Er fühlt sich sehr wohl, so mit Ingrid neben sich im Auto. Viel zu selten hatten sie in der letzten Zeit miteinander gesprochen, geschweige denn, etwas unternommen. In den vergangenen Wochen hatte er sich immer wieder dabei ertappt, dass er Ingrid gerne wieder viel näher sein möchte. Er sehnte sich jede Nacht nach ihr, nach ihren zärtlichen Berührungen und ihren Küssen. Aber wie sollte er ihr das sagen? Er konnte sich doch nicht einfach vor sie hinstellen und sagen: Ingrid, ich liebe Dich. Komm wieder zurück zu mir. Denn er wusste doch nicht, ob sie mehr für ihn empfindet als nur Freundschaft. Der Wagen gleitet langsam über die dunkle Straße. Es regnet immer noch. Vor einer Linkskurve will Gernot den Wagen etwas abbremsen, aber als er das Bremspedal durchtritt, reagieren die Bremsen nicht. „Verdammt! Ich kann nicht bremsen!“, schreit er verzweifelt. „Halt dich fest, Ingrid!“ Er hat diesen Satz nicht mal zu Ende gesprochen, als der Wagen von der Straße abkommt und sich im angrenzenden Feld mehrmals überschlägt. Als Gernot wieder zu sich kommt, stellt er fest, dass sein Wagen auf dem Dach liegen geblieben ist. Die Tür lässt sich nicht öffnen und er muss durch das Fenster hinauskrabbeln. „Ingrid.“ Der Schmerz in seiner Brust schnürt ihm fast die Luft ab. Da hört er ein leises Stöhnen. Durch die Wucht des Aufpralls ist Ingrid aus dem Auto geschleudert worden und liegt einige Meter entfernt. Schnell kriecht Gernot auf allen Vieren zu ihr hin. „Ingrid.“ Verzweifelt blickt er auf sie herunter. Doch dann gewinnt der Arzt in ihm die Oberhand und er zieht sie aus dem Gefahrenkreis des Autos heraus. Kaum, dass er sie hinter einen Busch gezogen hat und mit letzter Kraft neben sie sinkt, gibt es einen ohrenbetäubenden Knall. Das auslaufende Benzin hat sich entzündet und lässt seinen Wagen in Flammen aufgehen. „Ingrid.“ Noch immer ist Ingrid bewusstlos. Gernot versucht, sie zu untersuchen, aber er ist selbst viel zu schwach dazu. Sie liegt neben ihm im Gras, ihr Gesicht ist blutverschmiert und sie atmet schwer. Der Schmerz in Gernots Brust wird immer stärker. Er haut sich mit der Faust auf die Brust. „Du verdammtes Herz. Schlag weiter.“ Er bekommt kaum noch Luft. Sein Kopf sinkt auf Ingrids Oberkörper, und bevor auch er bewusstlos wird, flüstert er leise: „Ich wollte mit dir zusammen leben und nicht zusammen sterben…“ Als Ingrid wieder zu sich kommt, ist sie zunächst völlig orientierungslos. Sie blickt sich um. Der Kopf tut ihr weh und das Atmen fällt ihr schwer. „Gernot? Gernot? Wo bist du?“, ruft sie leise. „Er kann dich nicht hören, Ingrid.“ „Günther? Du? Wo ist Gernot? Und wo bin ich hier?“ „Du bist in meiner Klinik. Ihr seid fünf Minuten von hier mit dem Wagen verunglückt.“ Günther legt ihr beruhigend die Hand auf den Arm. „Wo ist Gernot?“, fragt Ingrid wieder. „Bitte, Ingrid, du darfst dich nicht aufregen.“ „Günther, bitte. Wenn du mir nicht sagst, wo Gernot ist, rege ich mich nur noch mehr auf.“ Sie will sich aufrichten, wird jedoch von Günther wieder in die Kissen zurückgedrückt. „Bleib liegen, Ingrid. Du hast eine schwere Gehirnerschütterung, eine große Wunde am Kopf und sechs gebrochene Rippen.“ Ingrid beschleicht ein ungutes Gefühl. Tränen steigen in ihre Augen. „Ist – er – tot?“, kommt es über ihre Lippen. „Nein, er lebt.“ „Gott sei Dank“, flüstert Ingrid. „Aber…“ „Aber? Bitte Günther…“ „Er ist sehr schwer verletzt. Wir müssen die Operation abwarten.“ „Operation?“ „Er hat zwei gebrochene Rückenwirbel, Ingrid. Ich will dir nichts vormachen. Du weißt, was das bedeuten kann. Und für sein angegriffenes Herz ist diese Operation auch ein hohes Risiko.“ Günther seufzt. Für ihn ist es sehr schmerzvoll, seinem besten Freund vielleicht nicht helfen zu können. Sie hatten schon so viel gemeinsam in ihrem Leben erlebt. Er fühlte sich so hilflos. Tränen stehen in seinen Augen. Als er Ingrid ansieht, merkt er, dass sie ihn beobachtet. „Günther. Ich kann dich so gut verstehen.“ Sie greift nach seiner Hand. „Wir müssen hoffen – hoffen und beten, Günther. Gernot würde nicht wollen, dass wir hier rumheulen“, grinst sie ihn unter Tränen schief an. Günther reißt sich zusammen. „Stimmt, Ingrid. Weißt du was? Wenn du willst, darfst du nach der Operation zu ihm. Es wird gut sein, wenn du da bist, wenn er aufwacht. Ich hole dich dann selber hier ab.“ Er küsst sie auf die Wange. „Ich bin so froh, dass du mir eine so gute Freundin geworden bist, Ingrid. Alleine würde ich das jetzt nicht schaffen…“ Ingrid greift nach seiner Hand. „Günther. Wir werden es schaffen…“ Günther verlässt das Zimmer und Ingrid ist mit ihren Gedanken allein. Die Tränen rinnen unaufhaltsam über ihr Gesicht. Wenn sie Gernot doch nur helfen könnte. Wenn sie ihm doch nur gesagt hätte, dass sie ihn immer noch liebt. Was, wenn es jetzt dafür zu spät ist? Ingrid schluchzt laut auf. Falls alles wieder gut würde, da war sie sich sicher, würde sie Gernot offen gestehen, wie viel er ihr immer noch bedeutete. Der Unfall hatte ihr klar gemacht, dass das Leben viel zu kurz sein kann, um seine Zeit mit Unwichtigem zu vertrödeln. Wichtig ist jetzt nur Gernot – und ihre tiefe, unauslöschliche Liebe zu ihm. In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages ist Gernot so weit stabil, dass man beschließt, die Operation sofort durchzuführen. Günther, der zwar nicht selbst operiert, ist im OP anwesend. Nichts könnte ihn jetzt in seinem Büro halten. Er ist der Überzeugung, dass er es Gernot schuldig ist, hier zu sein. Denn schließlich war es Gernot, der ihn damals vom Tod errettet hatte. Unbewusst hoffte er, dass er im schlimmsten Falle gleiches für seinen Freund tun könnte. „Es war eine sehr schwierige Operation und ob sie gelungen ist, kann man erst mit Bestimmtheit sagen, wenn Gernot aufgewacht ist.“ Günther steht an Ingrids Bett. „Aber es besteht doch Hoffnung?“, will Ingrid wissen. „Die Chancen stehen gut, dass alles wieder in Ordnung kommt. Weiß er eigentlich, dass du ihn immer noch liebst?“ „Ich, aber…“ „Ingrid, mach mir nichts vor. Ich kenne dich zu gut. Du hast nie aufgehört, ihn zu lieben.“ Ingrid nickt. „Du hast Recht, Günther. Aber ich konnte es ihm nicht mehr sagen…“ Wieder weint sie. „Du wirst bald Gelegenheit dazu haben, Ingrid. Da bin ich mir sicher.“ Günther wendet sich zum Gehen. In der Tür dreht er sich noch einmal um. „Ich weiß, dass er dich auch immer noch liebt…“ Dann ist er verschwunden. Lange grübelt Ingrid noch über Günthers Worte nach. Hatte Gernot tatsächlich mit Günther über seine Gefühle für sie gesprochen. Wäre nur dieser Unfall nicht gewesen, dann könnte sie Gernot jetzt in ihre Arme schließen und ihm zeigen, was sie für ihn empfindet. Erschöpft gleitet Ingrid in die Kissen und fällt in einen unruhigen Schlaf. In ihren Träumen glaubt sie Gernots Stimme zu hören. „Ich wollte mit dir zusammen leben und nicht zusammen sterben…“ Schweißgebadet wird Ingrid wach. Hatte sie diese Worte nur geträumt, oder hatte Gernot sie wirklich zu ihr gesagt. Sie war sich nicht sicher. Auch zwei Tage später ist Gernot noch immer nicht bei Bewusstsein. Günther hat Ingrid zwar erklärt, dass so etwas nach so einem schweren Unfall nicht ungewöhnlich ist, aber die Angst um Gernot hat er ihr damit nicht nehmen können. Da sie selber noch nicht wieder laufen darf, hat sie darauf bestanden, dass man ihr einen Rollstuhl gibt. So sitzt sie stundenlang an Gernots Bett und hält seine Hand. Sie weiß, wie wichtig für Komapatienten Stimmen und Berührungen sind. Mit leiser Stimme erzählt sie ihm Geschichten aus ihrer gemeinsamen, glücklichen Zeit und streichelt immer wieder seine Hand. Als Günther am Abend in Gernots Zimmer vorbeischaut, sitzt Ingrid immer noch dort. „Ingrid, ich muss darauf bestehen, dass du dich jetzt hinlegst“, sagt er leise zu ihr. „Du darfst dich noch nicht überanstrengen. Bitte. Ich sage dir sofort Bescheid, wenn er zu sich kommt.“ Ohne eine Antwort Ingrids abzuwarten, hat er den Rollstuhl schon aus der Tür geschoben und Ingrid zurück in ihr Zimmer gefahren. Drei Tage später darf Ingrid das erste Mal aufstehen und sich ohne Rollstuhl fortbewegen. Das Laufen fällt ihr aufgrund der vielen gebrochenen Rippen noch sehr schwer, aber die feste Bandage, die man ihr angelegt hat, lindert die Schmerzen ein wenig. Auch die Kopfwunde schmerzt sie noch. Ihr erster Weg führt sie zu Gernot, der noch immer regungslos in seinem Bett liegt. Das gleichmäßige Piepsen des Überwachungsmonitors hört Ingrid schon gar nicht mehr, wenn sie hier bei ihm ist. Aber ihr fällt auf, dass sich seine Gesichtsfarbe heute ein wenig verändert hat, vielleicht ein Zeichen dafür, dass er bald aufwacht? Sie geht an sein Bett, beugt sich zu ihm hinunter und haucht ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Dann setzt sie sich auf die Bettkante und nimmt seine linke Hand in ihre beiden Hände. So sitzt sie eine ganze Weile wortlos an seinem Bett. Sie mag ihm heute nichts von früher erzählen, also beginnt sie kurz darauf, ihm über ihre Träume und Wünsche zu erzählen. „Weißt du, Gernot, bevor wir den Unfall hatten, war ich mir schon darüber klar geworden, dass du mir noch immer alles bedeutest. So oft schon habe ich es bereut, dass ich mich damals von dir getrennt habe, ohne dir überhaupt noch eine Chance zu geben. Jetzt würde ich dir jede Chance geben, denn ich liebe dich über alles. Bitte, werd’ doch schnell wieder gesund, ich möchte doch so gerne, dass wir unser Leben wieder miteinander teilen. Ich sehne mich so nach deiner Liebe. Hörst du mich? Ich liebe dich.“ Ingrid beugt sich vor und haucht einen zärtlichen Kuss auf Gernots Lippen. Als sie sich wieder aufrichtet, bemerkt sie, dass das Piepsen des Monitors in kürzeren Abständen erfolgt. Ein Herzanfall? Doch bevor Ingrid den Klingelknopf für die Schwester drücken kann, fühlt sie, wie sich zwei Arme um ihre Taille schlingen. „Ich liebe dich auch, Ingrid.“, flüstert Gernot leise. Es dauert einige Zeit, bis Ingrid ihre Sprache wieder gefunden hat. „Gernot. Liebster.“ Unaufhaltsam rollen ihr die Tränen über das Gesicht. Zärtlich streicht Gernot ihr mit einer Hand die Tränen aus dem Gesicht und sein Zeigefinger streicht sanft über das große Pflaster auf ihrer Stirn. „Dass du lebst, Ingrid. Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren…“ Auch er hat Tränen in den Augen. „Du hast eben gesagt, du gibst uns noch eine Chance. Ist das wirklich wahr?“ „Du hast alles gehört, was ich dir eben gesagt habe?“ „Ja. Alles.“ Gernot grinst. „Warum hast du dich dann nicht bemerkbar gemacht?“, wundert sich Ingrid. „Ich wollte doch hören, was du so über mich denkst, mein Schatz.“ „Du Schuft!“, lacht Ingrid. Noch immer liegen Gernots Arme um Ingrids Taille. Er zieht sie etwas näher an sich, als Ingrid vor Schmerz zusammenzuckt. „Habe ich dir wehgetan?“ „Halb so schlimm. Ich habe ein paar gebrochene Rippen…“ „Tust du mir einen Gefallen, Ingrid?“ „Jeden.“ „Komm mal näher, ich muss dir was sagen.“ Ingrid beugt sich zu ihm hinunter, als Gernots Hände ihr Gesicht ganz nah zu sich ziehen. Seine Lippen legen sich auf die ihren und verschließen sie mit einem endlosen, leidenschaftlichen Kuss, den Ingrid genauso leidenschaftlich erwidert. Nachdem sie sich voneinander gelöst haben, flüstert Ingrid glücklich: „Diese zweite Chance werden wir nutzen, nicht wahr, Liebster?“ „Ja, mein Liebes. Und wir werden es dieses Mal richtig machen.“, erwidert Gernot leise und streichelt dabei ihre Wange. Dann meint Ingrid, dass es nun Zeit wäre, Günther zu verständigen, dass Gernot wieder zu sich gekommen ist. Erfreut registriert Günther, dass Gernot und Ingrid sich an den Händen halten, als er ins Zimmer kommt. Also scheint doch alles noch mal gut geworden zu sein. Er untersucht Gernot gründlich und kann ihm dann bestätigen, dass die Operation erfolgreich verlaufen ist und Gernot bald wieder ganz der Alte sein wird. „Ich werde nie wieder ganz der Alte sein“, sagt Gernot mit einem liebevollen Blick auf Ingrid. „Ich habe dieser wundervollen Frau hier nämlich versprochen, dieses Mal alles richtig zu machen. Und damit will ich gleich anfangen.“ Günther und Ingrid sehen sich verständnislos an. Vorsichtig richtet Gernot sich etwas auf und greift nach Ingrids Händen. „Ich wünsche mir so sehr, dass du nach unserer Entlassung hier wieder zu mir ziehst, ich möchte keine Minute meines Lebens mehr ohne dich sein. Willst du dir das überlegen, Ingrid?“ Tränen schimmern in Ingrids Augen. Dann antwortet sie leise: „Da gibt es nichts zu überlegen.“ Sie küsst ihn zärtlich. Günther hat sich in der Zwischenzeit geräuschlos zurückgezogen – hier wird er im Moment nicht mehr gebraucht. Sechs Wochen später wird Gernot aus der Reha entlassen. Man hatte ihm dort noch einmal versichert, dass die Stabilisierung der gebrochenen Wirbel erfolgreich gewesen ist und er wieder ein ganz normales Leben führen kann. Als das Taxi vor seiner Villa hält, öffnet sich die Haustüre und Ingrid kommt auf ihn zugelaufen. Vor drei Tagen ist sie hier wieder eingezogen und hat sehnsüchtig auf ihn gewartet. Sie fliegt förmlich in Gernots Arme, der sie auffängt und fest an sich zieht. „Liebster. Du bist wieder da. Ich habe so auf dich gewartet, die letzten Stunden zogen sich endlos hin, und…“ Weiter kommt sie nicht, denn Gernot verschließt ihr mit einem stürmischen Kuss den Mund. „Lass uns reingehen.“ Gernot fasst ihre Hand und geht mit Ingrid ins Haus. Kaum ist die Haustür hinter ihnen ins Schloss gefallen, zieht Gernot sie ungestüm in seine Arme. Begierig sucht sein Mund den ihren. Als sie sich schwer atmend nach einem endlosen Moment wieder voneinander lösen, rückt Ingrid auf Armlänge von ihm ab und sieht ihn prüfend an. „Haben dir die Ärzte denn keine Schonung verordnet?“ Gernot grinst. „Was meinst du denn? Die haben mich in der Reha so richtig fit gemacht. Jetzt bin ich fitter, als ich früher jemals war…“ „Oh, je.“ „Wieso oh je?“ Ingrid lacht. „Dann wirst du ja sicher demnächst noch viel mehr und viel länger arbeiten als sonst. Oder?“ „Nix da. Ich werde von jetzt ab meine neu gewonnene Kondition ausschließlich im privaten Bereich einsetzen, verehrte Oberschwester.“ Ingrid grinst ihn frech an. „Ach ja, dann können wir ja gleich mal einen kleinen Test machen.“ Sie greift nach seiner Hand und zieht ihn mit sich zur Couch. Nachdem er sich gesetzt hat, setzt sie sich auf seinen Schoß und legt ihm die Arme um den Hals. Leidenschaftlich küsst sie ihn und ihr Kuss wird von Gernot sofort erwidert. Ingrids streichelnde Hände machen ihn bald rasend vor Leidenschaft. Kurz entschlossen schiebt er Ingrid von seinem Schoss, steht auf und zieht sie schnell mit sich die Treppe hoch ins Schlafzimmer. Dort geben sie sich ihren Liebkosungen hin und genießen es, endlich wieder beieinander zu sein. Den Rest des Tages verbringen sie im Bett und wachen dann am nächsten Morgen gleichzeitig auf. „Hallo, schönes Kind!“, lächelt Gernot und küsst Ingrid zärtlich auf die Stirn. „Hallo!“ Ingrid schmiegt sich eng an ihn. „Es ist schön, mit dir aufzuwachen.“, sagt Gernot. „Na, dass muss ich mir aber noch mal überlegen, ob ich jeden Morgen mit dir aufwachen will.“ Gernot stutzt, Traurigkeit liegt in seinem Blick. „Aber Ingrid, warum? Ich dachte wir wollen für immer zusammenbleiben.“ Warum hat sie ihre Meinung geändert. Hatte er etwas falsch gemacht. Ingrid richtet sich auf und stützt sich auf ihren Ellenbogen, so dass sie Gernot ins Gesicht sehen kann. Als sie bemerkt, dass sie ihn mit ihrer Bemerkung verunsichert hat, sagt sie schnell: „Du Dummer. Natürlich bleiben wir für immer zusammen. Aber dafür musst du auch etwas tun.“ Gernot lächelt sie an. „Für dich tu ich alles.“ „Alles?“ „Ja, alles. Aber warum musst du dir das noch mal überlegen mit uns beiden.“ „Na, weil ich morgens großen Wert auf einen Guten-Morgen-Kuss lege. Da musst du dich schon etwas mehr anstrengen als gerade eben.“ Ohne dazu Stellung zu nehmen, drückt Gernot sie zurück auf das Kissen und beugt sich über sie. In seinen wundervoll blauen Augen kann sie all die Liebe sehen, die er für sie empfindet. Zu weiteren Gedanken kommt Ingrid nicht mehr, weil sich Gernots Lippen auf ihre legen und seine Hände in ihr ein Feuer entfachen, dass alles Unwichtige verschlingt. Gemeinsam fliegen sie zu den Sternen… Bis zu Gernots und Ingrids Rückkehr in die Klinik sind es noch zwei Wochen, die die beiden hauptsächlich damit verbringen, gemeinsam etwas zu unternehmen. Ingrid genießt es, dass Gernot immer an ihrer Seite ist und ihr all das gibt, was er damals versäumt hat. Er ist aufmerksam, liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab und umhüllt sie mit seiner Liebe. Etwas bang ist es Ingrid davor, wie alles weitergehen wird, wenn sie wieder zum Dienst müssen. Aber Gernot zerstreut ihre Bedenken, als er ihr verspricht, immer Zeit für sie zu haben und alles zu tun, um nicht dieselben Fehler zu machen wie damals. Längst ist er sich darüber im Klaren, dass er Ingrid heiraten möchte und er beschließt, seinen Plan am nächsten Abend in die Tat umzusetzen. Am ersten Arbeitstag werden beide herzlich von allen Kollegen begrüßt, die es gar nicht wundert, dass ihr Chef und die Oberschwester wieder zueinander gefunden haben. Das Glück der beiden steckt die anderen an und die meiste Zeit des Tages herrscht in der Klinik eine lockere, fröhliche Stimmung. Gernot hat versprochen, Ingrid pünktlich zu Dienstschluss im Schwesternzimmer abzuholen. Als er dort ankommt, ist von Ingrid nichts zu sehen. „Ingrid?“ „Ja, hier.“, kommt eine Stimme aus der Ecke, wo die Kleiderspinde stehen. „Bin gleich soweit. Ich ziehe mich gerade um.“ Ohne ein Geräusch zu machen, schließt Gernot die Tür des Schwesternzimmers und schleicht auf Ingrids Spind zu. Ingrid, die mit dem Rücken zu ihm steht, hat nichts bemerkt. Jetzt steht er direkt hinter Ingrid und pustet ihr zärtlich in den Nacken, was Ingrid tausend kleine Schauer über den Körper jagt. Sie lehnt sich an seine Brust und er schlingt die Arme um sie. „Gernot. Ich muss mich anziehen.“ Sanft küsst er sie auf die Schulter. „Für mich musst du dich nicht unbedingt anziehen…“ „Du bist unmöglich.“ „Ja, ich weiß.“ Er dreht sie zu sich um und blickt ihr tief in die Augen. So stehen sie eine ganze Weile, bis Ingrid leises sagt: „Mir wird kalt.“ „Komm, ich wärme dich.“ Gernot zieht sie so eng in seine Arme, dass ihr fast die Luft wegbleibt und küsst sie leidenschaftlich. „Jetzt besser?“, grinst er. „Viel besser. Aber jetzt muss ich mich wirklich anziehen.“ Schnell schlüpft sie in ihren Pullover und ihre Jeans. „So, fertig.“ Sie greift nach seiner Hand und zieht in mit sich. „Komm. Ich hab heute noch was vor mit dir.“, sagt sie geheimnisvoll. „Was denn?“, fragt Gernot neugierig. „Wird noch nicht verraten.“ So verlassen sie Hand in Hand die Klinik. Zu Hause angekommen, bittet Ingrid Gernot darum, seinen Smoking anzuziehen und nicht nach den Gründen zu fragen, die würde er schon noch früh genug erfahren. Ingrid zieht ihr schönes schwarzes Abendkleid an, das sie extra für den heutigen Abend gekauft hat. Als sie so im Wohnzimmer erscheint, wo Gernot schon auf sie wartet, verschlägt es ihm die Sprache. Er geht auf sie zu und küsst sie zärtlich. „Können wir?“, fragt Ingrid. „Ja.“ Als Gernot so vor ihr her zum Auto geht, muss Ingrid wieder einmal feststellen, dass er in seinem Smoking einfach umwerfend aussieht. Gernot dreht sich zu ihr um und merkt, dass sie ihn beobachtet. „Stimmt irgendwas nicht?“ „Doch, doch. Ich habe nur gerade festgestellt, was für ein attraktiver Mann du für dein Alter eigentlich noch bist“, grinst sie. „Alter? Ich habe wohl nicht richtig gehört. Na, warte.“ Lachend kommt er auf sie zu und zieht sie in seine Arme. Bevor er sie leidenschaftlich küsst, flüstert er dicht an ihren Lippen: „Ich liebe dich.“ Dann zieht er Ingrid mit sich zum Auto. „Und wo soll die Reise hingehen, schöne Frau?“ „Zur Thomaskirche.“ „Zur Kirche? Am Abend?“ „Frag nicht soviel, fahr!“, lacht Ingrid. Als sie an der Thomaskirche ankommen und sich im Innern einen Platz gesucht haben, stellt Gernot fest, dass die Kirche bis auf den letzten Platz besetzt ist. Der Thomanerchor gibt sein alljährliches Festkonzert. Die stimmungsvollen Melodien und Choräle lassen diesen Abend wunderschön werden. Nachdem das Konzert zu Ende ist, und Gernot aufstehen will, hält Ingrid ihn noch einen Moment zurück. „Die Überraschung kommt doch erst noch.“, flüstert sie. Als die Kirche bis auf sie zwei leer ist, steht Ingrid auf und zieht ihn mit sich. „Komm.“ Sie gehen durch das Kirchenschiff bis zum blumengeschmückten Altar. „Wunderschön.“, flüstert Gernot ergriffen. Ingrid dreht ihn zu sich herum und ihr Blick senkt sich tief in seine wundervollen blauen Augen. So verharren sie einen Moment. Dann unterbricht Ingrid die Stille. „In dieser Kirche möchte ich gerne heiraten.“ „Mmh.“ Gernot hat gar nicht recht verstanden, was Ingrid gerade gesagt hat. „Hast du gehört. In dieser Kirche möchte ich gerne heiraten.“ „Heiraten? Du willst heiraten? Aber wen denn?“, fragt Gernot total verwirrt und ohne zu wissen, was er da gerade eigentlich gesagt hat. Ingrid lacht leise. „Wen? Ich kenne da einen ungeheuer attraktiven, liebevollen, einfühlsamen Mann mit einer unheimlich erotischen Stimme. Den würd’ ich schon nehmen…“ Sie küsst ihn zärtlich auf den Mund. Jetzt endlich begreift Gernot. „Ingrid!“ Er zieht sie in seine Arme und sein Gesicht ist jetzt ganz nah vor ihrem. Glücklich strahlt er sie an. „Ja. Ich will“, sagt er. „Aber eigentlich ist der Mann doch derjenige, der diese Frage stellen sollte“, grinst er. „Wenn ich darauf warte, bin ich alt und grau, bis wir endlich verheiratet sind.“ „Ich liebe dich auch noch, wenn du alt und grau bist, mein Schatz“, grinst Gernot. Er küsst sie und dann zieht er sie mit sich aus der Kirche hinaus. „Wo willst du so schnell hin?“ „Wohin? Ich kenne da einen ungeheuer attraktiven, liebevollen, einfühlsamen Mann mit der unheimlich erotischen Stimme, der es darauf abgesehen hat, die Nacht mit dir zu verbringen.“ „Ach, ja? Den würd’ ich gerne mal kennen lernen“, lacht Ingrid glücklich. Als sie in der Villa ankommen, führt Gernot Ingrid ins Wohnzimmer. „Warte einen Moment hier, ja?“ Er verschwindet in der oberen Etage und kommt nach einem kurzen Augenblick schon zurück. „Komm mal her zu mir.“ Er streckt die Hände nach Ingrid aus. Sie geht auf ihn zu und legt ihre Hände in seine. Ihre Blicke versinken ineinander. Nach einer Weile geht Gernot noch näher auf Ingrid zu. „Du hast mir meine Überraschung aber gründlich verdorben, mein Schatz?“ „Ich? Aber wieso?“ Gernot greift in seine Jackentasche und holt einen wunderschönen Ring heraus. „Deswegen. Jetzt habe ich endlich mal einen Ring für Dich, und dann das.“, lacht er. Er zieht Ingrids Hand an seine Lippen und streift ihr anschließend den Ring über den Finger. „Ich wollte dich doch heute Abend fragen, ob du meine Frau werden willst.“ „Dann frag mich doch.“ „Willst du meine Frau werden, Ingrid?“ „Ja, ich will.“ Gernot reißt sie mit einem Jubelschrei in seine Arme und wirbelt sie herum. „Du machst mich so glücklich, Ingrid.“ Seine Lippen suchen die ihren und verschließen sie mit einem leidenschaftlichen Kuss. Dann nimmt er sie auf seine Arme und trägt sie nach oben ins Schlafzimmer, wo sie eine wundervolle Nacht verbringen. Gegen Morgen schlafen sie erschöpft, aber überglücklich ein. Gernot wacht einige Stunden später auf, weil er Ingrids Stimme hört. Sie liegt neben ihm und scheint einen sehr beunruhigenden Traum zu haben, denn sie wirft ihren Kopf in den Kissen hin und her. „Ingrid.“ Leise spricht er sie an. Sie zuckt zusammen und schießt schweißgebadet in die Höhe. Tränen laufen über ihr Gesicht. „Liebes. Was ist denn?“ Gernot hat sich neben sie gesetzt und legt ihr den Arm um die Schultern. Ingrid legt den Kopf auf seine Schulter. „Ich hatte wieder diesen Traum.“ „Welchen Traum?“ Sie erzählt ihm, dass sie oft von dem Unfall träumt und endet mit den Worten: „Und dann höre ich immer deine Stimme, die mir zuflüstert: „Ich wollte mit dir zusammen leben und nicht zusammen sterben…“ Sie schluchzt. „Armer Schatz.“ Gernot zieht sie mit sich auf das Kissen zurück und bettet ihren Kopf an seine Schulter. Beruhigend streichelt er ihren Rücken. Eine ganze Weile später sagt er: „Aber ein Traum war das nicht, Ingrid.“ „Wieso?“ „Als du da so vor mir lagst, weißt du, nach dem Unfall, da habe ich gedacht, ich hätte dich für immer verloren. Und das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich zu dir gesagt habe: Ich wollte mit dir zusammen leben und nicht zusammen sterben…“ „Ach, Gernot!“ Ingrid weint wieder. „Schsch, Liebes. Nicht weinen. Wir hatten doch Glück und haben es beide geschafft, nicht wahr.“ Ingrid nickt. „Weißt du,“, sagt Gernot tröstend zu ihr, „…ich habe da neulich mal in einem Buch einen schönen Satz gelesen. ‚Ewig lieben, heißt ewig leben.’ Und wir werden uns doch ewig lieben, oder?“ „Ja. du hast Recht.“, flüstert Ingrid und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. Dann kuschelt sie sich wieder in seinen Arm und schläft ein. Gernot beobachtet sie noch eine Weile, bevor auch er einschläft. Vier Wochen später heiraten Ingrid und Gernot in der Thomaskirche. Als Ingrid an Günthers Arm die Kirche betritt, stockt Gernot, der vor dem Altar auf sie wartet, der Atem. Wunderschön ist seine Ingrid. Sie trägt ein bodenlanges cremefarbenes, trägerloses Kleid, dass ihre schmalen Schultern wunderbar zur Geltung bringt. In ihrem Haar glitzert ein wunderschönes Diadem, dass den Schleier festhält. Gernot hat Tränen in den Augen. Um ein Haar hätte er diese wundervolle Frau nie heiraten können, geht es ihm durch den Kopf. Aber alles hatte ein gutes Ende gefunden. Jetzt ist Ingrid bei ihm angekommen und Günther übergibt ihm Ingrids Hand. Fest umschließt er sie mit der seinen. Nach einer stimmungsvollen Trauung und einer rauschenden Feier mit allen Freunden und Kollegen kommen Ingrid und Gernot müde, aber glücklich zu Hause an. Nachdem Gernot seine Frau über die Schwelle getragen hat, setzt er sie vorsichtig auf dem Boden ab. Er geht zum Wohnzimmerschrank und holt eine kleine Dose aus der Schublade. „Hier, ein kleines Geschenk für dich.“ Ingrid nimmt das Päckchen und öffnet es. Auf rotem Samt liegt dort eine Kette mit einem Amulett. Sie nimmt es heraus und öffnet das Amulett. Tränen schimmern in ihren Augen. „Liebster Mann. Ich danke dir.“ Sie küsst ihn zärtlich. Wieder blickt sie auf das Amulett. In der rechten Hälfte ist ein Bild von Gernot und in der linken Hälfte ist ein kleiner Text eingraviert: ‚Ewig lieben heißt ewig leben.’ „Aber ich habe auch noch ein Geschenk für Dich. Komm mit.“ Sie zieht ihn hinter sich her ins Schlafzimmer. „Wo willst Du denn mit mir hin?“ „Ich will dich entführen.“ „Wohin denn?“ „Zu den Sternen.“ Sie bugsiert ihn zum Bett und drückt ihn in die Kissen. Ihre Hände leisten ganze Arbeit und bald brennt in Gernot eine unbezähmbare Leidenschaft. Mit einem heiseren „Meine geliebte Frau.“ zieht er Ingrid fest an sich und abermals fliegen sie gemeinsam zu den Sternen…. Erschöpft, aber glücklich liegen sie sich in den Armen, und bevor sie eng aneinander gekuschelt einschlafen, hört Gernot Ingrid noch leise flüstern: „Ewig lieben, heißt ewig leben.“ Ende.