Gemeinsame Tage Ingrid macht sich auf den Weg in Gernots Büro. Im Moment geht es ihr besonders gut. Seit sie aus ihrem Urlaub zurückgekehrt ist, sprüht sie geradezu vor guter Laune und Elan. Die Arbeit geht ihr so leicht wie noch nie, von der Hand. Seit sie letzte Woche wieder ihren Dienst in der Klinik angetreten hatte, war ihr Gernot nur selten über den Weg gelaufen. Das beunruhigte sie doch einigermaßen, denn in der letzten Zeit hatte er immer wieder ihre Nähe gesucht. Ihr Rat war ihm immer sehr wichtig gewesen. Doch jetzt scheint Gernot,sich nur noch in seinem Büro zu vergraben, welches er nur verlässt, wenn er im OP gebraucht wird. Wenn sie ihn dann einmal von weitem sieht, bereitet ihr sein Aussehen Sorgen. Sein Gesicht wirkt blass und eingefallen. Jetzt musste Ingrid ihm Unterlagen bringen, was sie dazu nutzen will herauszufinden, was mit Gernot los ist. Da Barbara gerade nicht das ist, betritt Ingrid, nachdem sie angeklopft hatte, Gernots Büro. Er blickt nicht einmal auf, als sie näher an ihn herantritt. Gernot sitzt auf der Couch und ist tief in seine Akten versunken. Vor ihm liegen zahlreiche Stapel mit Unterlagen. „Gernot?“ Doch Gernot reagiert erstmal nicht. Ingrid kommt noch näher. Erst jetzt bemerkt er, dass Ingrid vor ihm steht. Als Ingrid ihn so sieht, ist sie erstmal schockiert. Er scheint regelrecht durch sie hindurch zu blicken. „Ach Ingrid, du bist es“ Gernot kann sich nur ein gequältes Lächeln abringen und wendet sich kurz wieder seinen Akten zu. Es dauert eine Weile, bis Ingrid ihre Sprache wieder gefunden hat. „Gernot! Um Himmels Willen, was ist denn los mit dir?“ „Mit mir? Mit mir ist alles in Ordnung.“ „Ja das sehe ich. Sag mal, wie wäre es mal mit einer Pause?“ „Eine Pause, die kann ich mir nicht leisten, Frau Marquardt schüttet mich im wahrsten Sinne des Wortes mit Arbeit zu.“ „Aber das geht so nicht! Sieh dich doch mal an!“ „Sehr charmant danke.“ „Gernot, du weißt, wie ich das meine.“ Gernot setzt sich etwas auf und versucht, seinen Rücken zu strecken und mit der Hand seinen verspannten Nacken zu lockern. Ingrid legt ihren Aktenstapel auf den Tisch, kommt mit einem Kopfschütteln auf ihn zu und tritt hinter die Couch. Sie legt ihm ihre Hände in den Nacken und beginnt, ihn zu massieren. Gernot genießt es, Ingrids Hände zu spüren. Es ist schon so lange her, dass sie sich so nahe waren. „Zumindest ein paar Minuten Ruhe würden dir ganz gut tun.“ „Die hab’ ich doch jetzt! Also Ingrid, wenn dir dein Job als Oberschwester nicht mehr gefällt, du könntest bei mir sofort anfangen.“ „Das könnte dir so passen!“ Gernot legt den Kopf in den Nacken, um zu Ingrid aufblicken zu können. Ingrid lässt ihre Hände auf Gernots Schultern liegen, setzt sich aber auf die Lehne der Couch 1 und blickt Gernot streng an. Zärtlich streicht sie ihm durch die angegrauten Haare. „Du solltest dich mal richtig ausschlafen und dir nicht die Nächte hier in der Klinik um die Ohren schlagen.“ „Ach Ingrid, wenn das so einfach wäre!“ Ingrid sieht ihn nachdenklich an. „Wenn man will, schafft man alles!“ Gernot denkt still, dass er vieles geschafft hat, doch Ingrid zu halten, hat er nicht geschafft. Doch das hat er sich selbst vorzuwerfen, denn er hat nie richtig um ihre Liebe gekämpft oder versucht, Ingrid wieder zurückzugewinnen. „Gernot, versprichst du mir etwas?“ Gernot grinst sie verschmitzt an und sieht ihr tief in die Augen, was Ingrid tief im Herzen sehr freut. So hatte er sie schon lange nicht mehr angesehen. „Alles, meine Liebe.“ Bei den Worten „meine Liebe“ zuckt Ingrid leicht zusammen und nimmt ihre Hände von Gernots Schultern. Erst dieser Blick und dann noch diese Worte. Mit einem Mal war sich Ingrid nicht mehr so sicher, dass Gernot nichts mehr für sie empfindet. Doch nach einem kurzen Moment des Schweigens fängt sich Ingrid wieder, doch sie versucht, Gernots Blick auszuweichen. „Versprichst du mir, dass du, so bald wie möglich, nach Hause gehst und dich etwas ausruhst?“ Gernot ist erfreut darüber, dass sich Ingrid Sorgen um ihn macht. Das gibt ihm doch noch Hoffnung, dass Ingrid vielleicht immer noch die gleichen Gefühle hat, wie er für sie. Gernot greift nach Ingrids Hand und drückt diese zärtlich. „Oberschwester, Sie sind viel zu streng mit mir.“ „Herr Professor, Sie scheinen das zu brauchen, da Sie sonst Raubbau mit Ihrer Gesundheit treiben.“ Gernot sieht Ingrid mit einem zärtlichen Blick an, dem Ingrid auch dieses Mal nicht standhalten kann. „Ich verspreche es dir, Ingrid. Sobald es geht, fahr ich nach Hause.“ Ingrid nickt zufrieden. Da fällt ihr ein, weshalb sie eigentlich gekommen ist. „Die Akten, die ich dir eigentlich bringen wollte, nehme ich dann besser wieder mit. Sonst kommst du mir noch auf dumme Gedanken.“ Sie nimmt den Stapel wieder vom Tisch und geht zur Tür. Bevor sie geht, schenkt sie ihm noch ein aufmunterndes Lächeln. Gernot sieht ihr noch einige Zeit sehnsüchtig hinterher. Am liebsten hätte er sie gar nicht gehen lassen. Nach einigen Stunden wird Ingrid gebeten, ein Bett auf der ITS herzurichten. Als der Patient aus dem OP kommt, versorgt sie diesen routiniert. Sie wendet sich zum Gehen und bemerkt Gernot, der in OP-Kleidung vor der Glasscheibe steht und sie beobachtet. Ingrid kontrolliert noch einmal alles und schließt dann leise die Tür hinter sich. Sie kommt auf Gernot zu und baut sich mit verschränkten Armen vor ihm auf. Sie sieht ihn mit einem strengen Blick an. Schuldbewusst sieht Gernot zu Boden. „Kannst du dich erinnern, was du mir noch vor ein paar Stunden versprochen hast?“ „Das kann ich, aber ...“ 2 „Gernot, was war denn so wichtig, dass du noch immer hier bist.“ „Ingrid, es war ein Notfall.“ „Das mag schon sein, aber du bist doch nicht der einzige Arzt hier, oder?“ „Schon, aber ...“ Doch weiter kommt er nicht. Er sieht sie mit einem so unwiderstehlichen Blick an, dass sie nicht weiter böse auf ihn sein kann. „Vergiss es einfach!“ Sie greift nach seiner Hand und zieht ihn mit sich. Gernot sieht sie überrascht an, folgt ihr aber widerstandslos. Im Schwesternzimmer angekommen, bugsiert sie ihn bestimmt in einen Sessel. Sie schenkt eine Tasse Tee ein und reicht sie ihm. Gernot blickt etwas skeptisch. „Eine Tasse Kaffee wäre mir lieber.“ „Die bekommst du bei mir aber nicht.“ „Warum denn nicht?“ „Weil zuviel Kaffee deiner Gesundheit schadet.“ „Ach Ingrid!“ „Gernot, ich bitte dich, denk an dein Herz!“ Gernot sieht Ingrid mit einem durchdringenden Blick an. Macht sie sich wirklich sorgen um ihn. Er setzt ein charmantes Lächeln auf und greift nach Ingrids Hand. Zärtlich streicht er darüber. „Ich bin überrascht, dass du dich so um mich sorgst!“ „Irgendjemand muss ja dafür sorgen, dass du wieder vernünftig wirst.“ „Schön, dass gerade du das bist.“ Ingrid entzieht Gernot ihre Hand. Sie fürchtet, dass sie diesem Blick und diesem Lächeln nicht widerstehen kann. Sie ist erleichtert, als wenige Sekunden später eine Patientenglocke ertönt. Sie macht sich schnell auf den Weg. In den folgenden Minuten überlegt sie, wie sie mit der neu entstandenen Situation zwischen ihr und Gernot umgehen soll. Auch Gernot überlegt sich, wie er weiter vorgehen könnte, damit er Ingrid wieder für sich gewinnt. Mittlerweile ist er sich ziemlich sicher, dass Ingrid noch immer Gefühle für ihn hat. Er beschließt, Ingrid aber nicht zu sehr zu bedrängen, denn er spürt, dass sie sich in vielen Momenten nicht sicher ist, und sich dann von ihm zurückzieht. Als sie zu ihm ins Schwesternzimmer zurückkehrt, lenkt er das Gespräch in eine ganz andere Richtung. Sie unterhalten sich noch lange. Ingrid versucht, ihn schließlich aber doch noch dazu zu überreden, dass er nach Hause fährt. „Gernot, ich bitte dich, fahr nach Hause und ruh dich aus!“ „Ich würde aber lieber hier bleiben ... bei dir.“ Ingrid steht auf und tritt ans Fenster. Nachdenklich blickt sie hinaus in die dunkle Nacht. „Muss ich jetzt von vorne anfangen?“ „Nein natürlich nicht. Ich geh’ nur noch schnell in mein Büro und hole meine Sachen.“ Gernot steht auf und kommt auf Ingrid zu. Sie sieht im Spiegelbild, dass er näher auf sie zutritt. Einen Moment später spürt sie, wie sich seine Hände um ihre Taille 3 legen. Zärtlich haucht er ihr einen Kuss auf den Hals. „Danke Ingrid.“ Ingrid kann die Tränen kaum mehr zurückhalten. Mit tränenerstickter Stimme versucht sie zu antworten. „Wofür?“ „Dafür, dass du da bist.“ Mit diesen Worten verschwindet Gernot aus dem Schwesternzimmer. Einige Zeit später kommt Ingrid am Empfang vorbei. Als sie einen flüchtigen Blick nach draußen wirft, traut sie ihren Augen kaum. Gernots Auto steht noch immer vor der Tür. Eiligen Schrittes geht sie hinauf in Gernots Büro. Ohne anzuklopfen stürmt sie hinein. Gernot blickt überrascht auf. Wiederum findet ihn Ingrid über eine Akte vor. Ingrid sieht ihn mit einem strengen Blick an, obwohl Gernot ein schuldbewusstes Gesicht macht. Doch bevor Ingrid richtig lospoltern kann, reicht er ihr seine Hand und zieht sie neben sich auf die Couch. Ohne Ingrid erst zu Wort kommen zu lassen, beginnt er zu sprechen. Er versucht ihr zu erklären, warum es ihn im Moment nicht nach Hause zieht. „Ingrid, ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll. Wenn ich nach Hause komme, dann ist das Haus einfach so leer. Auf Dauer halte ich das einfach nicht aus. Ich fühle mich oft so einsam, sodass die Klinik der einzige Ort ist, an dem es mir ein bisschen besser geht.“ Gernot hält noch immer Ingrids Hand fest. Zärtlich streicht sie mit ihrer anderen Hand über seine. „Das kann ich gut verstehen, mir geht es nicht anders. Aber trotzdem Gernot, wenn du so weiter machst, wirst du dich noch zu Tode arbeiten.“ „Das weiß ich doch, aber ...“ „Ich kann mich noch gut erinnern, als du mich in Zwangsurlaub geschickt hast, als ...“ „Ich weiß Ingrid, ich weiß.“ „Wenn ich dich schon nicht dazu bringen kann, dass du nach Hause fährst, dann leg dich zumindest hier für ein paar Stunden hin. Es nützt keinem, wenn der Klinikchef total übermüdet durch die Gegend läuft.“ Mit einem zärtlichen Blick sieht Gernot Ingrid an und versichert ihr, dass er dieses mal gehorchen wird. „Bleibst du noch ein bisschen bei mir?“ „Wenn du willst, aber ...“ „Ich kann mir im Moment nichts Schöneres vorstellen.“ Im selben Moment streckt sich Gernot auf der Couch aus und bettet seinen Kopf auf Ingrids Oberschenkel. Ihre Hand, die er noch immer fest in der seinen hält, zieht er auf seine Brust, sodass Ingrid seinen Herzschlag spüren kann. „Also das ist doch ...“ „Sehr angenehm.“ Gernot blickt zu ihr auf und lächelt sie an. „Gernot, eigentlich hab’ ich noch viel zu tun.“ „Wofür hast du denn dein Personal, du musst etwas mehr delegieren.“ Ingrid kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. 4 „Da regt sich gerade der richtige auf.“ „Ich weiß, wir sind eben beide aus demselben Holz geschnitzt.“ „Da ist was Wahres dran.“ „Aber Ingrid, ich verspreche dir, ich werde es deinem Chef nicht verraten, dass du heute Nacht eine längere Pause eingelegt hast, um einem Mann Gesellschaft zu leisten.“ „Sehr aufmerksam von dir.“ Während ihrer letzten Worte streicht Ingrid Gernot zärtlich durch die Haare. Ihre Hand liegt immer noch auf seiner Brust. Sie spürt, wie sein Atem allmählich regelmäßiger wird, da Gernot in einen erholsamen Schlaf gesunken ist. Nachdenklich betrachtet sie ihn noch eine Weile. Nach allem, was heute passiert ist, ist sie sich so sicher, wie schon lange nicht mehr, dass sie Gernot noch immer sehr liebt. Sie bleibt noch einige Minuten so sitzen, bevor sie aufsteht und Gernots Kopf vorsichtig auf die Couch zurücksinken lässt. Sie holt noch schnell eine Decke und deckt ihn damit zu. Bevor sie geht, küsst sie ihn noch zärtlich auf die Wange. Während ihres restlichen Nachtdienstes schweifen Ingrids Gedanken immer wieder zu Gernot ab. Sie denkt darüber nach, wie es jetzt wohl weitergehen wird. In der letzten Nacht gab es zahlreiche Momente, in denen sich Ingrid am liebsten in Gernots Arme geschmiegt und ihn nie wieder los gelassen hätte. Erst nennt er sie „meine Liebe“, dann küsst er zärtlich ihren Hals, wie er selten zuvor gemacht hat, und dann offenbart er ihr auch noch sein Gefühlsleben. All diese Dinge sind während ihrer Beziehung so selten vorgekommen. Doch jetzt sehnt sie sich mehr nach Gernot als in den vergangenen beiden Jahren seit ihrer Trennung. Früh am Morgen kehrt Ingrid in Gernots Büro zurück. Sie trägt jetzt keine Dienstkleidung mehr. Ingrid trägt ein Tablett mit Frühstück bei sich, welches sie kurz zuvor noch schnell organisiert hatte. Als sie das Büro betritt schläft Gernot noch tief und fest. Sie stellt das Tablett ab und setzt sich zu Gernot auf die Couch. Zärtlich gibt sie ihm einen Kuss auf die Wange, um ihn zu wecken. Verschlafen schlägt Gernot die Augen auf und betrachtet Ingrid mit einem Lächeln. Wie schön wäre es, wenn er jeden Tag von Ingrid mit einem Kuss geweckt würde. „Guten Morgen, na ausgeschlafen?“ „Guten Morgen, Ingrid! So gut hab’ ich schon lange nicht mehr geschlafen. Gernot legt seine Hand auf Ingrids, die auf ihren Knien liegt. „Danke, dass du mich dazu gebracht hast, dass ich mich ausruhe. Wenn du nicht gewesen wärst, dann hätte ich wahrscheinlich die ganze Nacht durchgearbeitet.“ „Na zum Glück hab’ ich das verhindert.“ „Wärst du nicht da gewesen ...“ „Du weißt, ich bin immer für dich da!“ Gernot zieht Ingrid Hand näher zu sich haucht ihr einen zarten Kuss darauf. „Das weiß ich und ich danke dir dafür.“ Etwas verlegen blickt Ingrid zu Boden, doch sie fängt sich relativ schnell wieder. 5 „Sag mal, hast du heute viel zu tun?“ „Das Übliche, warum?“ „Du solltest mal wieder was unternehmen, um zu entspannen.“ „Und wie?“ „Du könntest zum Beispiel mal wieder auf den Golfplatz gehen.“ „Ich hab’ aber keine Lust, alleine zu spielen.“ „Du könntest ja Günther fragen.“ „Der ist zur Zeit auf einem Kongress und kommt erst in einer Woche wieder zurück.“ „Wie wär’s, wenn du in dein Ferienhaus fährst.“ „Ach ich weiß nicht.“ „Also es ist nicht gerade einfach mit dir, weißt du das!“ „Ich finde die Idee mit dem Golf gar nicht so schlecht.“ „Hast du nicht gerade gesagt, du willst nicht alleine spielen?“ „Schon, aber ich dachte ,du könntest mich begleiten.“ „Ich?“ „Ja, du.“ „Gernot, du weißt, dass das nicht gerade mein Sport ist. Ich war damals viel zu selten dort. Ich kann das nicht.“ „Du müsstest nur öfter spielen, dann kommt alles von alleine.“ „Das glaubst du, ich bin mir da aber nicht so sicher.“ „Außerdem hättest du heute die Chance, einen äußerst attraktiven und charmanten Golflehrer für dich alleine zu haben.“ Ingrid lächelt Gernot verschmitzt an, denn sie weiß genau, was jetzt kommt. Trotzdem steigt sie auf sein Spielchen ein. „Und wer soll denn dieser Wunderknabe sein?“ „Ich natürlich!“ Nach längerem bitten lässt sich Ingrid schließlich doch überreden. Gernot verspricht, sie am Nachmittag zu Hause abzuholen. Darauf ist Ingrid schon gespannt, denn gestern hat er öfters etwas versprochen und dann doch nicht Wort gehalten. Gernot verlässt gegen Mittag die Klinik und fährt nach Hause, um sich umzuziehen, bevor er Ingrid abholt. Frisch geduscht und neu eingekleidet holt Gernot Ingrid von zu Hause ab. Als er ihr gegenüber tritt, bemerkt sie so beiläufig, dass er schon wieder viel besser aussieht als gestern. Auf dem Weg zum Golfplatz sprechen sie nicht viel miteinander. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Dort angekommen beschleicht Ingrid ein ungutes Gefühl. Es ist das gleiche Gefühl, welches sie auch schon früher verspürt hat, wenn sie mit Gernot hier war. Ihr kam es immer so vor, als würde sie als einfache Krankenschwester nicht in diese Umgebung passen. Auch Gernot konnte ihr nie dieses Gefühl nehmen. Aus diesem Grund war es damals eher die Ausnahme, dass Gernot Ingrid mit auf den Golfplatz nahm. Doch heute ist das ganz anders. Gernot besorgt Ingrid sofort eine Ausrüstung und dann ziehen sie los. Gernot ist Ingrid gegenüber so aufmerksam wie selten zuvor. Es scheint, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, dass sie beide gemeinsam hier 6 sind. Ihr erster Weg führt sie auf die Driving Range, wo Ingrid erst wieder an ihrem Abschlag arbeiten soll. Sie ist sich nach wie vor sicher, dass Golf absolut nicht ihr Sport ist. Erst zeigt ihr Gernot noch einmal, welche Haltung sie einnehmen soll. Im Grunde macht Ingrid ihre Sache nicht schlecht, doch einige Kleinigkeiten bemängelt Gernot immer noch. Um Ingrid zu verdeutlichen, was er meint, tritt er hinter sie und greift um sie herum nach ihren Händen, die auf dem Schlägergriff liegen. Er legt ihre Hände in der korrekten Position auf den Schläger und führt gemeinsam mit ihr den Schwung aus. Da Gernot so nah bei ihr steht, kann sie seinen Atem in ihrem Nacken spüren. Ihre Gedanken schweifen zu jenem Moment am Vorabend ab, in dem Gernot ihren Hals geküsst hat. Sie denkt, wenn er das jetzt auch macht, dass treffe ich gar keinen Ball mehr. Beim nächsten Schlag legt Gernot seine Hände auf Ingrids Hüfte, um sie stabil zu halten, wenn sie schlägt. Auch Gernot ist diese Nähe zu Ingrid nicht unangenehm. Er genießt es, sie spüren, ihr Parfum zu riechen. Am liebsten hätte er den Golfschläger einfach fallen gelassen und Ingrid in seine Arme gezogen. Ingrid macht ihre Sache heute richtig gut. Gernot ist sogar sehr überrascht, dass Ingrid heute so gut schlägt. „Ingrid, gib es zu, du hast heimlich trainiert.“ „Ja natürlich, und jetzt werde ich dich in Grund und Boden spielen.“ Gernot lächelt sie an und streicht ihr zärtlich über die Wange. „Dann lass uns gehen.“ Auf ihrer Runde genießen die beiden die Natur und das schöne Wetter. Es ist nicht viel los, daher können sie sich Zeit lassen. Auf dem Weg zum nächsten Green unterhalten sie sich über viele Dinge. Eines sparen sie jedoch aus – die Liebe. Keiner von beiden wagt es, dieses Thema anzusprechen, obwohl es beiden auf der Seele liegt. Nachdem sie ihr Spiel beendet haben, trinken sie noch ein Glas Rotwein auf der Terrasse des Clubhauses. Später bringt Gernot Ingrid nach Hause. Zuvorkommend hilft er ihr aus dem Wagen. Mit einem galanten Handkuss verabschiedet er sich. Lieber hätte er Ingrid in seine Arme gezogen und geküsst, doch er spürt, dass Ingrid noch etwas Zeit braucht. Es gab zwar immer wieder Momente, in denen Ingrid seine Zärtlichkeiten erwiderte, trotzdem gab sie ihm auch immer wieder zu verstehen, dass sie Bedenken hat, was eine zweite Chance für sie beide betrifft. In dieser Nacht sehnen sich beide mehr nach dem anderen, als in den zwei Jahren seit ihrer Trennung. Die heute entstandene Nähe zwischen ihnen stimmt beide nachdenklich. Am nächsten Morgen klingelt schon früh Ingrids Telefon. Gernot ist am Apparat. „Guten Morgen, Ingrid. Hier ist Gernot“ „Guten Morgen, na gut geschlafen.“ „Sehr gut sogar. Ingrid?“ „Ja“ „Sag mal, hast du heute schon etwas vor?“ 7 „Nein warum? „Ich hab’ heute frei und ich wollte ... ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Lust hast, mich in mein Ferienhaus zu begleiten.“ Ingrid sagt erstmals nichts. Sie überlegt, ob es klug ist, wenn sie auch den heutigen Tag mit Gernot verbringt. Dadurch entsteht ein kurzer Moment des Schweigens. „Ingrid? Bist du noch dran?“ „Ja, ich bin noch dran.“ „Und was sagst du?“ „Ich würde dich sehr gern begleiten.“ „Ausgezeichnet. Passt es dir, wenn ich dich in einer Stunde abhole.“ „Geht in Ordnung. Dann bis später.“ Ingrid und Gernot genießen den Tag in vollen Zügen. Sie führen ernsthafte, aber auch heitere Gespräche, kochen gemeinsam und lachen viel miteinander. Immer wieder kommt es zwischen ihnen zu kleinen Zärtlichkeiten, die beide sehr genießen. Doch keiner spricht offen aus, was in den letzten beiden Tagen zwischen ihnen passiert ist. Am späten Nachmittag sitzt Ingrid auf der Terrasse und liest in einem Buch, während Gernot einige Dinge im Garten erledigt. Immer wieder beobachtet sie ihn verstohlen. Doch jetzt ist er aus ihrem Blickfeld verschwunden. Sie kann ihn nicht mehr sehen, aber sie hört ihn schimpfen. Im selben Moment sieht sie auch Wasser spritzen. Neugierig verlässt Ingrid die Terrasse. Als sie um die Ecke biegt, bietet sich ihr ein göttliches Bild, denn Gernot kämpft mit einem Gartenschlauch, der an einer Stelle aufgerissen ist. Er versucht das Loch zu zuhalten. Er ruft Ingrid zu, dass sie das Wasser abstellen soll. Doch diese bricht in schallendes Gelächter aus und denkt nicht mal im Traum daran, das Wasser abzustellen. Na warte, denkt sich Gernot und richtet den Schlauch genau auf Ingrid. „Wenn ich schon nass bin, dann darfst du auch nicht verschont werden.“ Erschrocken flüchtet Ingrid. Gernot wirft den Schlauch hin und läuft ihr nach. Nach wenigen Metern hat er sie eingeholt, greift nach ihr und zieht sie eng an sich. Mittlerweile ist auch Ingrid klatschnass, denn zum einen hat Gernot sie mit dem Schlauch genau getroffen und zum anderen hat er sie so nah an sich gezogen, dass seine nassen Kleider ihre auch mit Wasser tränken. Ingrid streicht sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und sieht Gernot tief in die Augen. In diesem Moment sind sich ihre Lippen gefährlich nahe. Langsam nähert sich Gernot Ingrids Lippen, doch diese weicht zurück. Sie legt ihre Hände auf seine Brust und drückt ihn etwas zurück. Plötzlich hat sie ihre Angst vor ihrer wider gewonnenen Nähe übermannt. Sie löst sich aus seiner Umarmung und geht zurück ins Haus. Gernot sieht ihr nach, bis sie in der Tür verschwunden ist. Nach einiger Zeit dreht Gernot das Wasser ab und folgt ihr. Er versteht die Welt nicht mehr. Er hatte eigentlich den Eindruck, dass zwischen ihm und Ingrid alles wieder in Ordnung ist. Sie hatte doch seine Zärtlichkeiten immer wieder erwidert. Als er nach oben kommt, hört er die Dusche laufen. Er geht ins Schlafzimmer und holt sich etwas Trockenes zum Anziehen. Er bringt auch Ingrid einen Pullover mit, da sie ja nichts anderes zum Anziehen mit hat. Auf dem Weg nach unten teilt er Ingrid, als er am Bad vorbei geht, mit, dass er ihr etwas zum Anziehen aufs Bett 8 gelegt hat. Im Wohnzimmer zündet Gernot inzwischen ein Feuer im Kamin an, denn mittlerweile hat es zu dämmern begonnen und die Luft ist deutlich kühler geworden. Während sich Gernot noch schnell unter die Dusche stellt, zieht sich Ingrid in Gernots Schlafzimmer einen trockenen Pullover an. Anschließend geht sie nach unten, um sich am Feuer etwas zu wärmen. Als Gernot nach unten kommt, findet er Ingrid vor dem Kamin stehend vor. Leise kommt er näher und bleibt ganz dicht hinter Ingrid stehen. Sie spürt natürlich sofort, dass Gernot hinter ihr steht. Langsam legen sich seine Hände um ihre Taille. Sie spürt seinen Atem in ihrem Nacken. „Bitte lauf nicht wieder weg.“ Ingrid greift nach seinen Händen und flüstert ein leises – NEIN. Überglücklich über diese Reaktion küsst Gernot zärtlich Ingrids Nacken. Ingrids Herz beginnt schneller zu schlagen und sie bekommt eine Gänsehaut. Langsam dreht sie sich zu Gernot um und sieht ihm tief in die Augen. Ihre Lippen nähern sich und sie beginnen, sich zärtlich zu küssen. Gernot zieht Ingrid mit sich auf die Couch, wo sie sich lange küssen. Nach langer Zeit lässt sich Gernot in die Kissen sinken. Er zieht Ingrid noch näher an sich. Sie legt ihren Kopf auf seine Brust. Gernot streicht ihr zärtlich über den Rücken und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn. „Darf ich dich etwas fragen, Ingrid?“ „Natürlich.“ „Warum bist du vorhin weggelaufen?“ „Ich hatte Angst.“ „Angst?“ „Plötzlich sind mir alle Fehler eingefallen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben. Ich hatte Angst, dass wir wieder alles falsch machen werden.“ „Darüber hab’ ich auch nachgedacht.“ „Weißt du, noch einmal eine Trennung verkrafte ich nicht.“ „Das musst du auch nicht. Wenn wir daran arbeiten, nicht wieder die gleichen Fehler zu machen, dann steht einer glücklichen Zukunft nichts mehr im Wege.“ „Bist du dir da sicher?“ „Ingrid, ich liebe dich und ich werde alles tun, damit du glücklich bist. Ich lass dich nämlich nie wieder los.“ „Ich liebe dich auch. Denkst du etwa, dass ich einen wunderbaren Mann wie dich noch einmal verlasse?“ Gernot blickt Ingrid ernst an und streicht ihr zärtlich über die Wange. „Ich hoffe nicht!“ „Viel zu lange hab’ ich auf deine Zärtlichkeit verzichten müssen. Nie wieder will ich ohne dich sein.“ Ingrid steht auf und zieht Gernot zu sich hoch. Ganz nah an seinen Lippen flüstert sie: „Herr Professor, wo ist denn hier das nächste Bett.“ „In meinem Schlafzimmer, Oberschwester.“ Gernot hebt Ingrid auf seine Arme und trägt sie in sein Schlafzimmer. Sie 9 verbringen eine wundervolle Nacht, geprägt durch Liebe, Zärtlichkeit, Wärme und Nähe. Am nächsten Morgen weckt Gernot Ingrid mit einem zärtlichen Kuss. Zuvor war einmal kurz aufgestanden und hat sie beim Schlafen beobachtet. „Na mein Schatz, hast du gut geschlafen.“ „Ja, viel besser als gestern.“ „Gestern?“ „Ja, da warst du nicht bei mir.“ „Mir ist auch so ergangen. Ich hab’ dich gestern Nacht so vermisst.“ Ingrid richtet sich plötzlich im Bett auf. „Gernot, wie spät ist es?“ „Kurz nach neun.“ „Neun! Ich muss in die Klinik.“ Ingrid will aufstehen, doch Gernot zieht sie zurück in seine Arme. „Nein, heute nicht.“ „Aber ...“ „Ich hab’ in der Klinik angerufen und uns zwei Tage Urlaub verschafft.“ „Wie bitte?“ „Ich muss mein Glück mit dir doch erstmal genießen!“ „Aber dir ist schon klar, dass unsere Geschichte in der Klinik natürlich sofort die Runde machen wird.“ „Na und! Früher oder später würden sie es ohnehin erfahren.“ Erfreut über diese plötzliche Wendung beugt sich Ingrid über Gernot und beginnt, ihn zärtlich zu küssen. Lange Zeit später liegen sie zueinander gewandt und sehen sich tief in die Augen. Gernot streicht zärtlich über Ingrids Hand. „Nie wieder will ich morgens ohne dich aufwachen.“ „Ich doch auch nicht.“ „Ingrid, könntest du dir vorstellen, dass wir ...“ Ingrid sieht Gernot fragend an. „Ich meine, glaubst du, dass wir für immer ...“ „Gernot, soll das heißen...?“ Gernot nickt. „Ingrid, willst du meine Frau werden?“ Mit Tränen in den Augen antwortet Ingrid mit JA. Überglücklich zog Gernot Ingrid in seine Arme und neuerlich versinken sie in einem langen, zärtlichen Kuss. In den nächsten beiden Tagen genießen sie ihre wieder gewonnene Nähe und bleiben in Gernots Ferienhaus, wo sie sich ungestört ihrer Liebe hingeben. 10