Deutsche Exportstärke und internationale Ungleichgewichte Gesamtmetall-Pressekonferenz Berlin 3. Juni 2010 2 Deutsche Exportstärke und internationale Ungleichgewichte In der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion wird immer wieder die starke Ausrichtung der deutschen Wirtschaft auf den Export beklagt. Dies sei eine Folge zu geringer Lohnsteigerungen und zurück gedrängter Konsumtätigkeit. Die deutsche Exportstärke sei ein internationaler, zumindest aber ein europäischer Störfaktor, denn sie trage eine Mitschuld an der Wachstumsschwäche und den Defizitproblemen anderer Euroländer. Gefordert wird eine Verminderung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft durch höhere Lohnsteigerungen. Ausgleichen soll dies eine damit einher gehende stärkere Binnenorientierung der deutschen Wirtschaft. Eine solche Forderung ist nicht nur aus branchenwirtschaftlicher Sicht unsinnig, auch für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wäre eine solche Strategie in hohem Maße gefährlich. Industrie auf Export angewiesen Der deutsche Export besteht zum größten Teil aus Industrieprodukten, überwiegend aus M+E-, Stahl- und Chemieerzeugnissen. Zusammen bestreiten sie rund 75 Prozent des deutschen Exports, die M+E-Industrie allein rund 55 Prozent. Der direkte Exportanteil beträgt in der M+E-Industrie rund 50 Prozent, einschließlich der Zulieferungen aus der M+E-Industrie sind es über 65 Prozent, in der Automobilindustrie sogar fast 80 Prozent (Grafik). Exportabhängigkeit der M+E-Industrie Zwei Drittel der Arbeitsplätze hängen am Export 2007* indirekt direkt 57,5 Metallerzeugnisse 58,5 74 60 63 Med.Büroma- ElektroMess-, schinen, geräte, Steuer- DV-Ge- (Erzg. u. Regeltech. räte Verteilg.) 65 67,5 M+E Maschinen Rundf.-, Fernseh-, IT-Tech. 76 sonst. Fahrzeuge 78 Kraftwagen Quelle: iw consult, *eigene Schätzung Weite Teile der M+E-Industrie stellen Produkte her, deren wirtschaftliche Fertigung viel höhere Stückzahlen erfordert als auf dem vergleichsweise kleinen deutschen Inlandsmarkt absetzbar sind. Die technischen und personellen Kapazitäten sowie die Höhe des Aufwandes für Forschung und Entwicklung sind darauf ausgelegt. Für eine ausgeglichene Handelsbilanz müssten die Exporte rechnerisch um rund 150 Mrd. Euro herunter gefahren werden. Ohne eine entsprechende Ausweitung des Inlandsgeschäftes und/oder Kompensation durch andere Wirtschaftssektoren gingen 3 damit unmittelbar rund 500.000 und einschließlich der Verbundbereiche rund 750.000 Arbeitsplätze verloren. Eine stärkere Binnenorientierung der Exportbranchen ist praktisch nicht durchführbar. Wer denn in Deutschland soll die Maschinen, Schiffe, Flugzeuge, Eisenbahnen, Kraftfahrzeuge, Elektrogeräte, Kraftwerksturbinen usw. zusätzlich kaufen, die im Ausland weniger abgesetzt würden? Und bei einer Schwächung der Industrie kann es auch keine Kompensation durch Dienstleistungssektoren geben. Umgekehrt sind die Abnehmerländer der deutschen M+E-Exporte auf diese Investitionsgüter angewiesen, um die eigene Entwicklung voranzubringen. Dabei haben sich die Gewichte der Zielländer verschoben: Vor allem China wird als Kunde für die M+E-Unternehmen in Deutschland immer wichtiger (Grafik). Zielländer deutscher M+E-Exporte 2009 Frankreich weiterhin vor USA, China auf dem Vormarsch Länder 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. Frankreich USA Großbritannien China Italien Österreich Spanien Niederlande Belgien + Luxemb. Schweiz Polen Russland Tschechien Schweden Türkei Mrd. Euro 2009 %-Anteil 46,0 34,1 30,7 27,6 25,3 18,9 17,8 17,5 14,5 13,5 13,2 11,9 11,2 8,4 6,8 11,0 8,1 7,3 6,6 6,0 4,5 4,3 4,2 3,5 3,2 3,1 2,8 2,7 2,0 1,6 alle übrigen Länder jeweils unter 1,6 Prozent Herkunftsländer deutscher M+E-Importe 2009 China baut Führung aus Länder 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. China Frankreich USA Tschechien Japan Italien Großbritannien Österreich Schweiz Ungarn Niederlande Spanien Polen Belgien + Luxemb. Republik Korea Mrd. Euro 2009 %-Anteil 33,9 26,6 19,9 14,4 14,0 14,0 13,7 12,2 10,4 9,8 9,8 9,2 8,8 7,3 6,5 13,0 10,2 7,7 5,5 5,4 5,4 5,3 4,7 4,0 3,8 3,8 3,5 3,4 2,8 2,5 alle übrigen Länder jeweils unter 2,5 Prozent 4 5 M+E nicht überall Spitze In Bezug auf „Exporterfolge“ ist die Situation innerhalb der M+E-Produktpalette höchst unterschiedlich. Die M+E-Industrie ist auf einer Reihe von Teilmärkten Exportweltmeister (Land mit dem höchsten Anteil am Welthandel). Dies trifft zu für große Teile des Maschinenbaus und für die Premiummarken der Pkw-Branche. Andere M+E-Produkte (IT-Sektor, vor allem aber Low-tech-Erzeugnisse) tun sich dagegen zunehmend schwerer auf den in- und ausländischen Märkten. Viele sind schon aus dem Markt verschwunden oder mitten drin in diesem Prozess, weil sie wegen zu hoher Lohnkosten in Deutschland preislich nicht mehr mithalten können. Löhne nicht Schuld Die Wettbewerbsstärke der deutschen Exportwirtschaft basiert nicht auf Dumpinglöhnen, sondern auf Premiumqualität, Know-how, Service, Problemlösungsfähigkeit, fortschrittlicher Technik, u.a.m. Deutschland als rohstoffarmes Land ist im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung spezialisiert auf die Herstellung hoch spezialisierter Investitionsgüter und Premiumprodukte. Deutschland liefert anderen Ländern die für ihre Wirtschaftsentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit dringend benötigten Anlagen, Ausrüstungen und Problemlösungen. Die Strategie, durch höhere Lohnzuwächse die preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher M+E-Erzeugnisse zu verschlechtern, um so die Exporte herunter und die Importe hoch zu fahren, wäre ein Schuss nach hinten und auch nicht im Sinne der ausländischen Kundschaft. Todsicher wären die Einbußen im Export. Auf entsprechend höhere Importe würde man aber wohl vergeblich warten. Viel größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Politik auch die Defizitländer veranlasst, bei ihren Bemühungen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit nachzulassen. Am Ende stünden drastische Produktions- und Arbeitsplatzverluste, aber keine beschäftigungsverträgliche Umstrukturierung der deutschen Industrie. Die Forderung insbesondere der französischen Finanzministerin, den Binnenmarkt zu stärken, ist grundsätzlich richtig. Der vorgeschlagene Weg ist allerdings falsch. Nachhaltig mehr Nachfrage schaffen wir nicht durch höhere Löhne und Steuern, sondern nur durch mehr Beschäftigung. Im übrigen: Gerade die exportorientierte Metall- und Elektro-Industrie hatte in den vergangenen Jahren doppelt so hohe Lohnsteigerungen wie die übrigen (binnenländisch ausgerichteten) Wirtschaftbereiche. Auch hat die deutsche Exportwirtschaft sowohl absolut als auch in Relation zur Produktivität (Lohnstückkosten) höhere Arbeitskosten (Löhne und Lohnnebenkosten) als ihre ausländischen Konkurrenten. Trotz der Krise sind die Tarifentgelte im Jahr 2009 deutlich gestiegen: Obwohl als Folge der Krise die gesamtwirtschaftliche Produktivität im Jahr 2009 um etwa 2 Prozent gesunken ist und die Inflationsrate kaum über Null lag, wurden die Tarifentgelte der M+E-Mitarbeiter im vergangenen Jahr spürbar erhöht – in zwei Stufen um insgesamt 4,2 Prozent zuzüglich einer Einmalzahlung von 120 Euro. „Der Tarifabschluss 2008 hat die Tarifentgelte strukturell deutlich erhöht“, konstatiert auch Jörg Hofmann, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg. Netto und real gerechnet liegen die tariflichen Entgelte 2009 um 4,4 Prozent höher als 2008. Die Mitarbeiter sind also mit einem deutlich höheren Entgelt in das Jahr 2010 gestartet, Nachholbedarf besteht in keiner Weise. 6 Keine Lohnzurückhaltung M+E-Tariflöhne klar vorn Tariflöhne M+E Tariflöhne übrige Branchen 6 5 4 3,4 3,9 3,1 3,1 3,0 3,0 2,5 3 2 1 0 2,8 2,7 2,0 1,2 0,9 1,1 1,2 3 2,5 2,8 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Statistisches Bundesamt; 2009: Gesamtmetall-Schätzung Keine deutsche Konsumschwäche Deutschland hat keineswegs einen unterentwickelten Konsum. Seit Beginn der Währungsunion liegt die deutsche Konsumquote (Privater Konsum in % des BIP) über dem Durchschnitt der Eurozone. Gesamtwirtschaft braucht Exportüberschuss Auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sind hohe Exportüberschüsse unverzichtbar. Sie beschaffen unserer Volkswirtschaft das Geld, das sie benötigt, um die Reisetätigkeit ins Ausland, die hohen Öl- und Gasrechnungen, die steigenden Konsumgüter- und Nahrungsmittelimporte, die Zahlungen des Staates an internationale Organisationen u.a.m. finanzieren zu können, ebenso die Kredite an andere Staaten und sonstige ausländische Schuldner. Dem Handelsbilanzüberschuss von 135 Mrd. standen 2009 z.B. Defizite in der Dienstleistungsbilanz von 16 Mrd. Euro und bei den laufenden Übertragungen von 33 Mrd. Euro gegenüber. Deutsche Exporte hilfreich für ganz Europa Die starke und globale Exportorientierung der deutschen Industrie, insbesondere gegenüber Ländern mit hohem Wachstum, hilft auch anderen europäischen Ländern, aus der Krise heraus zu kommen. Ein Großteil ihrer Vorleistungen bezieht die Exportwirtschaft aus dem Ausland. Griechenland Völlig absurd ist die Behauptung, die deutsche Exportstärke sei Mitschuld am Staatsbankrott Griechenlands. Die Finanzprobleme Griechenlands sind 7 ausschließlich hausgemacht. Ebenso die Tatsache, dass sich in Griechenland keine wettbewerbsfähigen Industriestrukturen gebildet haben. Es gibt kaum Industrie in Griechenland, die mit deutschen Unternehmen im Wettbewerb steht (und unterlegen wäre). Die gesamten Exporte Deutschlands nach Griechenland betrugen 2009 nur 6,7 Mrd. Euro (M+E 3,0 Mrd. €), das waren nur 0,8 Prozent (M+E 0,7%) aller deutschen Exporte. Deutsche Waren haben einen Anteil von 13 Prozent an allen Importen Griechenlands. Zum Vergleich: Der Anteil deutscher Waren an den jeweiligen Importen beträgt in Österreich Schweiz Tschechien Polen Ungarn Niederlande, Slowakei Frankreich, Belgien/Luxemb. 47% 37% 30% 28% 26% je 20%, je 18%. Arbeitskosten (Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft): Mit exakt 54.890 Euro an Arbeitskosten mussten westdeutsche Industriebetriebe im Jahr 2009 je Vollzeitarbeitskraft durchschnittlich kalkulieren – das waren 1.200 Euro weniger als 2008. Damit sind die Arbeitskosten erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik gesunken. Ursächlich für diesen Rückgang waren vor allem der starke Einsatz von Kurzarbeit und der Abbau von Überstunden, wodurch sich die Arbeitszeit je Beschäftigten im Schnitt um 6 Prozent reduzierte. In Ostdeutschland verlief die Entwicklung analog: Dort kostete die Unternehmen eine Vollzeitkraft im vergangenen Jahr 36.830 Euro, 310 Euro weniger als 2008. Dieses Jahr dürften die Arbeitskosten mit dem Rückgang der Kurzarbeit jedoch wieder steigen. Die Wirtschaftskrise beeinflusste auch die Struktur der Arbeitskosten. Denn die Personalzusatzkosten wurden durch die so genannten Remanenzkosten der Kurzarbeit – etwa die ungeschmälerte Vergütung für Urlaubs- und Feiertage – sowie durch die Folgekosten von Entlassungen und Insolvenzen in die Höhe getrieben. Je 100 Euro Direktentgelt mussten die Arbeitgeber 2009 in Westdeutschland 72,40 Euro für Soziales drauflegen, im Jahr 2008 waren es 71,30 Euro. In Ostdeutschland stieg diese Personalzusatzkostenquote von 60,10 auf 61,10 Euro. 8 Arbeitskosten international: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hat sich in den vergangenen Jahren merklich verbessert. Zu verdanken war dies vor allem dem nur moderaten Anstieg der Arbeitskosten – einzig Japan und die Schweiz haben seit dem Jahr 2000 eine noch größere Kostendisziplin an den Tag gelegt als Deutschland. Dennoch tragen die hiesigen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes verglichen mit der ausländischen Konkurrenz nach wie vor ein beträchtliches Handicap. Westdeutschland hatte 2008 mit Arbeitskosten von 35,22 Euro je Stunde die dritthöchste Belastung aller Industrieländer.