Prof. Dr. Rolf D. Herzberg Übersicht und ergänzende Ausführungen zur Vorlesung Strafrecht – Allgemeiner Teil Täterschaft und Teilnahme Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 2 F. Täterschaft und Teilnahme Die Abgrenzung ist nur für Vorsatztaten wichtig. Bei fahrlässigen Taten gibt es nur Täter. I. Täterschaft In jeden Straftatbestand des BT muss man eine der in § 25 genannten Begehungsformen hineinlesen. Das „Begehen“, von dem Abs. 1 und Abs. 2 des § 25 sprechen, ist der Oberbegriff für Handeln und Unterlassen. Unterscheiden Sie die drei in § 25 genannten Täterschaftsformen! Fall 1: T möchte X, Y und Z töten. a) Er hetzt seinen Rottweiler auf den X, den das Tier zerfleischt. b) Eine Woche später lässt er den Y von Z erschießen, indem er dem Z androht, anderenfalls ihn zu töten. c) Eine weitere Woche später ertränkt er den Z in der Ostsee, und zwar mit Hilfe seines Freundes M, der ebenfalls den Tod des Z wünscht. T ist im Fall 1 a strafbar aus §§ 212, 25 I Alt. 1. Aus diesen beiden Vorschriften bildet sich die Tatbestandsformulierung: „Wer einen Menschen selbst tötet, ...“ – Weil die unmittelbare Alleintäterschaft der Normalfall ist, wird § 25 I Alt. 1 in Strafrechtsgutachten gar nicht erwähnt. T ist im Fall 1 b strafbar aus §§ 212, 25 I Alt. 2. Aus diesen beiden Vorschriften bildet sich die Tatbestandsformulierung: „Wer einen Menschen durch einen anderen tötet, ...“ – Weil die sog. mittelbare Täterschaft ein Ausnahmefall ist, wird die Voraussetzung der Tatbegehung „durch einen anderen“ immer erwähnt und geprüft. T ist im Fall 1 c strafbar aus §§ 212, 25 II. Aus diesen beiden Vorschriften bildet sich die Tatbestandsformulierung: „Wer einen Menschen mit einem anderen gemeinschaftlich tötet, ...“ – Weil die sog. Mittäterschaft ebenfalls ein Ausnahmefall ist, wird die Voraussetzung der Tatbegehung von „mehreren gemeinschaftlich“ immer erwähnt und geprüft. In einfachen Fällen wie diesem prüft man die Strafbarkeit von T und M sogleich gemeinsam und sagt am Ende: „T und M haben sich wegen eines Totschlags in Mittäterschaft strafbar gemacht (§§ 212, 25 II).“ Unterscheiden Sie die zwei großen Meinungslager zur Täterschaft: Rspr.: Animus-Theorie (= subjektive Theorie) Täter ist, wer Täterwillen („animus auctoris“) hat; Teilnehmer ist, wer bloßen Teilnehmerwillen („animus socii“) hat. H. Lit.: Tatherrschaftslehre (= materiell-objektive Theorie) Täter ist, wer Tatherrschaft hat. Genauer zur Animus-Theorie Objektiv genügt jeder Tatbeitrag, sei er auch noch so gering. Subjektiv ist – zusätzlich zu den üblichen Voraussetzungen (Vorsatz, besondere subjektive Merkmale) – der Täterwille erforderlich. Ob ein Beteiligter Täterwillen hat, ist „nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 3 zu beurteilen“; „wesentliche Anhaltspunkte“ sind insbesondere „der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat“ sowie „der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängen“ (BGHSt 36, 363, 367). Ob nach diesen Indizien der Täterwille im jeweiligen Fall bejaht oder verneint werden muss, ist äußerst unklar. Mit dem Kriterium der „Tatherrschaft oder wenigstens dem Willen zur Tatherrschaft“ nähert sich die Rspr. der Tatherrschaftslehre an. Genauer zur Tatherrschaftslehre (s. etwa Kühl, AT3, § 20 Rn 26). Objektiv ist mehr als irgendein Tatbeitrag erforderlich, nämlich Tatherrschaft. Üblich ist eine sehr naturalistische Beschreibung. Danach ist Tatherrschaft das In-den-Händen-Halten des Tatgeschehens, die Steuerung des Tatablaufs; Tatherrschaft hat, wer die Tat nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann. Auch dieses Kriterium ist recht vage, aber immerhin präziser als die Frage nach dem Täterwillen. Subjektiv gibt es nur die üblichen Voraussetzungen (Vorsatz, besondere subjektive Merkmale). Nur muss sich natürlich der Vorsatz auf die objektive Tatherrschaft erstrecken: Das In-den-Händen-Halten des Geschehens muss vom Vorsatz umfasst sein. Allgemeine Hinweise zur Prüfung der Täterschaft im Gutachten Halten Sie sich an die allgemeine Aufbauregel, dass im objektiven Tatbestand die objektiven Merkmale geprüft werden und im subjektiven Tatbestand die subjektiven! Das heißt: Klären Sie im objektiven Tatbestand, ob die nötigen objektiven Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen! Nötig ist nach der Animus-Theorie nur ein ganz geringer Tatbeitrag, nach der Tatherrschaftslehre ist ein bedeutender Tatbeitrag nötig. Klären Sie im subjektiven Tatbestand, ob die nötigen subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen! Nötig ist nach der Tatherrschaftslehre nur das Übliche, nach der Animus-Theorie ist zusätzlich Täterwille nötig. Entscheiden Sie sich nur dann zwischen Animus-Theorie und Tatherrschaftslehre, wenn beide Ansichten zu verschiedenen Ergebnissen kommen! Das passiert am ehesten im objektiven Tatbestand, wenn der objektive Tatbeitrag des Beteiligten marginal und gering ist. Im subjektiven Tatbestand hingegen können Sie ein Divergieren der beiden Täterschaftslehren leicht vermeiden. Weil nämlich die Kriterien der Animus-Theorie nahezu beliebig sind, können Sie die Animus-Theorie in Ihrem konkreten Fall fast immer zu demselben Ergebnis kommen lassen, zu dem Sie auch mit der Tatherrschaftslehre kommen. Wenn eine Streitentscheidung nötig ist: Machen Sie deutlich, dass die Animus-Lehre einem schweren methodischen Einwand ausgesetzt ist, nämlich dem der Beliebigkeit ihrer Ergebnisse und des Fehlens jeglicher Kraft, die Praxis anzuleiten und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 4 1. Alleintäterschaft (§ 25 I) a) Das Selbstbegehen der Straftat (sog. unmittelbare Täterschaft), § 25 I Alt. 1 Beim Deliktsaufbau gibt es über das soeben vor 1 Gesagte hinaus keine Besonderheiten. Fall 2: T installiert abends eine Bombe mit Zeitzünder im Laderaum eines noch unbesetzten Jumbo-Jets. Als die Bombe in der Nacht planmäßig explodiert und Besatzung wie Passagiere in den Tod reißt, schläft T. Unproblematisch: T ist (u. a.) Täter eines Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln (§ 211). Machen Sie sich nur klar, dass trotz der Bezeichnung „unmittelbare Täterschaft“ Tathandlung und Taterfolg zeitlich weit auseinander liegen können (vgl. § 8). Fall 3: (LG Duisburg, Urt. v. 25.3.1993) Der 1921 geborene G hatte im April 1945 als SSRottenführer einen Evakuierungsmarsch vom Nebenlager Wiener Neudorf zum KZ Mauthausen zu bewachen. Auf ausdrücklichen Befehl seines Vorgesetzten V erschoss er den Häftling H, der nicht mehr gehen konnte. Zur Zeit des Schießens war V weit entfernt und nicht erreichbar. Strafbarkeit von G nach § 212? G hat objektiv zurechenbar den Tod eines anderen Menschen verursacht und damit nach allen Ansichten den objektiven Tatbestand des § 212 erfüllt. G hat auch vorsätzlich gehandelt. Damit ist nach Ansicht der Tatherrschaftslehre der Tatbestand komplett verwirklicht. Die AnimusTheorie fragt noch zusätzlich, ob G auch „Täterwillen“ hatte. In einem Fallgutachten können Sie dem G diesen Täterwillen ohne Bedenken attestieren, denn G war als der Todesschütze maßgeblich an der Tat beteiligt, hatte die Tatherrschaft und auch den Willen dazu (vgl. die oben vor 1 genannten Kriterien des BGH). Das LG Duisburg hat sich allerdings auf den Standpunkt gestellt, G habe keinen Täterwillen gehabt. Schon früher (als es § 25 noch nicht gab) hat die Rspr. so argumentiert und maßgeblich sein lassen, dass das Tatinteresse gering gewesen sei; RGSt 74, 84 ff. (Badewannenfall); BGHSt 18, 87 ff. (Stachynskij-Fall). Konstellationen wie Fall 3 zeigen, dass die Animus-Theorie mit dem heutigen StGB nicht vereinbar ist. Denn gemäß § 25 I Alt. 1 wird nun einmal als Täter bestraft, wer die Straftat selbst begeht. Daran besteht bei G im Fall 3 kein Zweifel. Für seine Strafbarkeit mehr zu verlangen, nämlich einen im Gesetz nirgends auch nur angedeuteten Täterwillen, ist gegen das Gesetz. Fall 4: T bemüht sich seit langem, seinen friedliebenden und gemütvollen Bernhardiner zu einem Kampfhund zu erziehen. Der Dressurerfolg ist außerordentlich mäßig: Kampfeslust und Gehorsam des Bernhardiners sind schwach und unberechenbar. Als eines Tages zwei Nachbarkinder auf der Straße vor Ts Haus spielen und lärmen, öffnet T dem Hund die Tür und ruft „Fass!” Es geschieht, was ebenso gut ungeschehen hätte bleiben könnte: Lustlos, aber in Maßen gehorsam trottet der Hund auf das Kind K zu und beißt ihm sorgenvoll in den Arm. K schreit vor Angst und Schmerzen auf, aber es fließt kein Blut. Strafbarkeit des T nach § 223? T hat unbestritten eine einfache Körperverletzung begangen. Machen Sie sich aber eines klar: Wenn man mit dem oben genannten naturalistischen Kriterium der Tatherrschaftslehre ernst maVorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 5 chen würde, müsste man die Täterschaft verneinen! Denn es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass T das Tatgeschehen „in den Händen hielt“ oder die Tat „nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen“ konnte: Es war reiner Zufall, ob der Hund gehorchen und beißen würde. Der Fall zeigt, dass dieses Täterschaftskriterium also nicht richtig sein kann, denn es führt zur Verneinung von Täterschaft, wo sich alle über die Bejahung von Täterschaft einig sind. Ziehen Sie daraus zwei Lehren: 1. Wenden Sie das naturalistische Kriterium der Tatherrschaftslehre bei der unmittelbaren Täterschaft nicht an! Sie dürfen das so machen. Denn die Anhänger der Tatherrschaftslehre wenden ihr Kriterium bei der unmittelbaren Täterschaft ja selber nicht an. 2. Machen Sie Sich klar: Ein Kriterium, was schon bei der unmittelbaren Täterschaft nicht stimmt, kann konsequenterweise auch bei der mittelbaren und der Mittäterschaft nicht stimmen. Vertiefung: Es gibt neben dem naturalistischen Zweig der Tatherrschaftslehre auch einen stärker normativistischen Zweig. Er stellt nicht ab auf eine faktische Beherrschung und Steuerung des Geschehens, sondern darauf, ob sich jemand das Geschehen nach normativem Maßstab als seine Tat zurechnen lassen muss. Das ist bei aller Schwierigkeit doch ein recht präziser und weithin zuverlässig funktionierender Maßstab. Denkt man diese normative Ausrichtung zu Ende, so kann man jedenfalls für die Alleintäterschaft (unmittelbare und mittelbare Täterschaft) sagen: Ein Tatbeteiligter ist dann Täter, wenn zwischen ihm und dem Taterfolg kein anderer als Täter steht. In dieser konsequenten Ausprägung ist die normativierende Tatherrschaftslehre aber – soweit ersichtlich – noch nirgends veröffentlicht. Deshalb können Sie sich zwar gedanklich daran orientieren und sich vieles damit klar machen; aber Sie sollten dieses Kriterium nicht in Ihren Fallgutachten offen zur Schau tragen, weil Sie Ihren Prüfer damit verdutzen könnten. b) Das Begehen der Straftat „durch einen anderen“ (sog. mittelbare Täterschaft), § 25 I Alt. 2 aa) Grundlagen der mittelbaren Täterschaft Die Möglichkeit, eine Straftat „durch einen anderen“ zu begehen, war schon vor Einführung des § 25 I Alt. 2 anerkannt. Die Vorschrift begründet also keine Strafbarkeit, sondern ist nur eine Klarstellung. Vertiefung: Häufig werden unmittelbare und mittelbare Täterschaft als zwei einander ausschließende Täterschaftsformen angesehen. Genau genommen ist aber die mittelbare Täterschaft nur ein Unterfall der unmittelbaren Täterschaft. Auch derjenige nämlich, der eine Straftat „durch einen anderen” begeht, begeht die Tat ja „selbst”; denn er „selbst” ist ja der Täter. Dass das Gesetz beide Formen mit einem „oder” verknüpft, besagt nichts. Bei § 303 etwa spricht es davon, dass jemand eine Sache „beschädigt oder zerstört”; und es ist allg. A., dass das Zerstören nur ein Unterfall des Beschädigens ist. Lernen Sie die Termini „Hintermann”, „Vordermann”, „menschliches Werkzeug”, „Tatmittler”, „Tatherrschaft” und „Verantwortungsdefizit”! Bei der mittelbaren Täterschaft gibt es immer zwei Personen auf der „Täterseite“: Den „Hintermann“ (im Fall 5 den A) und den „Vordermann” (im Fall 5 b den S). Zu klären ist in einem Fallgutachten immer, ob der „Vordermann“ selber Täter ist und ob der „Hintermann“ Täter (dann Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 6 eben „mittelbarer“ Täter) ist (oder vielleicht nur Anstifter oder Gehilfe). Man pflegt zu sagen, dass der „Hintermann“ dann Täter ist, wenn er den „Vordermann“ als „menschliches Werkzeug“, als „Tatmittler“ eingesetzt hat und deshalb die „Tatherrschaft“ hat. Das wiederum bejaht man fast immer, wenn beim „Vordermann“ ein „Verantwortungsdefizit“ besteht (genauer unter bb). Fall 5: A bewirkt absichtlich die Verletzung des Kindes K, indem er ... a) seinen Hund auf K hetzt; b) seinen zehnjährigen Sohn S auffordert, K zu verprügeln. A hat im Fall 5 a die Körperverletzung (§ 223, evtl. § 224 I Nr. 2: mittels eines gefährlichen Werkzeugs) „selbst“ begangen. In der Var. b hat er sie „durch einen anderen“ begangen, nämlich durch ein schuldloses Werkzeug. Das ist unbestritten. Die Animus-Theorie würde argumentieren: A hatte in beiden Varianten Täterwillen. Das ist zwar nicht falsch und führt zum richtigen Ergebnis, ist aber eine recht beliebige Zuschreibung. Die naturalistische Tatherrschaftslehre würde argumentieren: A hielt in beiden Varianten das Geschehen steuernd in Händen. Aber wenn wir uns den Sohn S im Fall 5 b als so unzuverlässig denken wie den Bernhardiner in Fall 4, dann wird deutlich, dass die Täterschaft des A im Fall 5 b genauso wenig wie in Fall 4 und in Fall 5 a davon abhängen kann, wie zuverlässig das eingesetzte (menschliche oder sächliche) Werkzeug funktioniert. Man ist sich – bei aller Unterschiedlichkeit des gewählten eher „äußerlichen“ Kriteriums – in der Sache recht einig darüber, dass es die fehlende rechtliche Verantwortung des Tatmittlers ist, die uns zu der rechtlichen Bewertung bringt, der Hintermann sei der Täter (näher sogleich unter bb). Vertiefung: Machen Sie sich am Fall 5 klar, was es bedeutet, wenn man sagt, A habe die Körperverletzung „durch den S“ begangen! Üblicherweise sagt man: Wenn die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft vorliegen, wird dem Hintermann die Tathandlung des Vordermannes wie eine eigene Handlung zugerechnet. Konkret zum Fall 5 b: Dem A sollen die von S ausgeteilten Schläge „wie eigene Schläge des A zugerechnet“ werden. Das halten wir für eine unnötig komplizierte und auch in der Sache unzutreffende Beschreibung des rechtlichen Gedankens. Denn im Fall 5 a würde man auch nicht sagen, dem A wären die Bisse des Hundes „wie eigene Bisse des A zuzurechnen“. Man würde sich vielmehr mit der schlichten und hinreichenden Feststellung begnügen, dass sein Befehl an den Hund die Tathandlung war. Konsequenterweise muss man dann auch im Fall 5 b sagen, das sein Befehl an S die Tathandlung war. Die „Besonderheit“ der Tatbegehung „durch einen anderen“ liegt allein darin, dass die Tathandlung des A keine Sache und kein Tier in Gang gesetzt hat, sondern einen Menschen. bb) Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft (1) Ein Dritter als „anderer“ Unproblematische Fälle Fall 6: T veranlasst W zur Schließung einer Tür mit der Folge, dass O stundenlang in einem Kellerraum gefangen sitzt. a) W weiß gar nicht, dass er jemanden einschließt. b) W ist ein zwölfjähriges Kind. c) W ist geisteskrank oder vom Alkohol enthemmt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 7 d) T täuscht W vor, O sei ein in flagranti ertappter Einbrecher. e) T ist Anwalt und überzeugt W davon, als Hausherr sei er (W) zur Schließung ohne Rücksicht auf die Folgen berechtigt. f) Als W sich weigert, droht T ernsthaft mit Prügeln. Erklären Sie, worauf jeweils die rechtliche Bewertung beruht, dass T die Freiheitsberaubung (§ 239) „durch einen anderen“ begeht, also mittelbarer Täter ist! Im Fall 6 a ist W ein vorsatzloses Werkzeug, in Var. b und c ein schuldloses, in Var. d eines im Erlaubnisumstandsirrtum (also entweder ein gerechtfertigtes oder ein entschuldigtes), in Var. e eines im unvermeidbaren Verbotsirrtum (also ein schuldloses), in Var. f ein genötigtes (also nach h. L. ein wegen § 35 schuldloses). Die Animus-Theorie würde jedes Mal argumentieren, dass T Täterwillen gehabt habe. Das ist, wie schon mehrfach betont, nicht widerlegbar, aber eben beliebig und nicht der Sachgrund. Die Tatherrschaftslehre würde jedes Mal argumentieren, dass T Tatherrschaft gehabt habe. In den Var. a, d und e würde sie von „Wissensherrschaft“ des T sprechen, in den Var. b, c und f von „Willensherrschaft“). Das ist, wie ebenfalls schon mehrfach betont, als faktische Macht, das Geschehen zu steuern, nicht überzeugend, hingegen sehr wohl unter Hinweis auf das normative Defizit des Tatmittlers, also seine fehlende strafrechtliche Verantwortung. Machen Sie sich klar, dass immer dann, wenn dem Vordermann lediglich die Schuld fehlt, auch eine Anstiftung (§ 26) vorliegt! So ist das in den Var. b, c, e (und je nach rechtlicher Bewertung bei W auch in den Var. d und f). Dann tritt die Anstiftung aber hinter der mittelbarer Täterschaft zurück. Faustregel: Strafrechtliche Verantwortung des Vordermannes weist dem Hintermann die Rolle eines bloßen Teilnehmers (Anstifter, Gehilfe) zu. Fehlt die strafrechtliche Eigenverantwortung, so handelt der Hintermann „durch einen anderen“. Aber Achtung! Mit dem Handeln „durch einen anderen“ ist der Hintermann noch nicht automatisch mittelbarer Täter. Das zeigt ... Fall 7: Der Sadist S zwingt Frau F mit Todesdrohungen dazu, ihre 14-jährige Tochter T zu quälen. F hat nicht nur den Tatbestand einer einfachen Körperverletzung (§ 223) verwirklicht, sondern sogar den einer Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 I Nr. 1). Sie hat sich aber nicht strafbar gemacht, weil sie von S dazu mit Todesdrohungen genötigt worden war (h. L.: nach § 35 entschuldigender Nötigungsnotstand). S ist mittelbarer Täter einer einfachen Körperverletzung (§§ 223, 25 I Alt. 2). Er hat aber keine Misshandlung von Schutzbefohlenen begangen. Denn das würde voraussetzen, dass die gequälte T seiner Fürsorge oder seiner Obhut unterstand oder seinem Hausstand angehört hat usw. Problematische Fälle (Auswahl) Die Probleme liegen meist bei der Frage, ob schon mittelbare Täterschaft vorliegt oder wenigstens Anstiftung. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 8 Fall 8: Frau F bereitet ihre Geburtstagsfeier vor und bittet ihre gehorsame 20-jährige Tochter T, aus dem Keller des Nachbarn N heimlich ein paar Flaschen Sekt zu besorgen. T macht das, aber nur, damit N, den sie nicht leiden kann, sich über den Verlust des Champagners ärgert. Dass ihre Mutter die Flaschen bekommt, ist der T klar, aber egal. Hat T einen Diebstahl (§ 242) begangen? Oder F? Was ist ein „dolos-absichtsloses Werkzeug“? T hat dem N fremde bewegliche Sachen weggenommen; sie hat auch vorsätzlich gehandelt, aber ohne Zueignungsabsicht. Also hat sie keinen Diebstahl begangen. F könnte einen Diebstahl in mittelbarer Täterschaft (§§ 242, 25 I Alt. 2) begangen haben. F hat zurechenbar verursacht, dass es zur Wegnahme fremder beweglicher Sachen gekommen ist. Täterin wäre sie aber nur, wenn sie die Tat „durch einen anderen“ begangen hat. Das könnte hier T sein. T hat wie gesagt vorsätzlich, aber absichtslos gehandelt. Ob das für mittelbare Täterschaft genügt, ist umstritten (Stichwort: „dolos-absichtsloses Werkzeug“). Die Rspr., also die AnimusLehre, macht das wie üblich allein vom „Täterwillen“ abhängig und könnte im Fall 8 ohne Schwierigkeiten eine mittelbare Täterschaft der F bejahen (vgl. BGH, NStE Nr. 16 zu § 242 StGB). Das Lager der Tatherrschaftslehre ist gespalten. Der faktische Zweig verlangt eine Überlegenheit des Hintermannes, die sich nicht schon aus der Nichtstrafbarkeit des Vordermannes ergibt (z. B. SKStGB-Hoyer2000, § 25 Rn 45–47; LK-Roxin11, § 25 Rn 140). Danach wäre mittelbare Täterschaft hier abzulehnen mit der Begründung, T habe wegen ihres Vorsatzes das gesamte Geschehen durchschaut und daher selber gesteuert, F hingegen habe keine Herrschaftsmacht gehabt; nicht einmal Anstiftung wäre mangels Haupttat zu bejahen (wohl aber § 246). Der normative Zweig bejaht – jedenfalls beim „dolos-absichtslosen Werkzeug” – mittelbare Täterschaft mit der Begründung, dass das Strafbarkeitsdefizit der T genüge, das Geschehen rechtlich als Tat der F zu bewerten (z. B. Jescheck/Weigend, AT5, S. 669 f.; Tröndle/Fischer50, § 25 Rn 3; anders aber Stratenwerth, AT I4, § 12 Rn 37). Diese Ansicht finden wir nach dem bislang Gesagten nur konsequent. Vertiefung: Gerade am Fall 8 lässt sich gut erklären, warum die streng normative Tatherrschaftslehre vorzugswürdig ist. Der Grund findet sich letztlich in § 26. Diese Vorschrift zeigt, indem sie dem Anstifter dieselbe Strafe wie dem Täter androht, dass das Bestimmen eines anderen zur verantwortlichen Deliktsbegehung der eigenen Deliktsbegehung materiell gleichwertig ist. Die Abgrenzung von Täterschaft und Anstiftung ist also nur formal-typisierend. Wenn T Zueignungsabsicht gehabt und damit eine dem § 26 genügende Haupttat begangen hätte, wäre F als Anstifterin „gleich einem Täter“ zu bestrafen. Wenn dagegen – wie hier mangels Zueignungsabsicht – das die Anstiftung nur formal typisierende Merkmal der Haupttat nicht erfüllt ist, ändert das nichts am Gewicht von Fs Tatbeitrag. F verdient also in beiden Fällen die gleiche Strafe (Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 I GG). Weil nun aber § 26 nicht greift, spricht alles dafür, die Wegnahmeverursachung in Zueignungsabsicht als täterschaftlichen Diebstahl zu erfassen. – Was dieser Einsicht bei vielen im Wege steht, ist vermutlich der Ausdruck der „Tatherschaft“; denn eine irgendwie geartete Herrschaft über T hat F ja nicht. Der Ausdruck „Tatherrschaft“ ist aber keiner, der sich im Gesetz findet. Deshalb darf man sich nach seinem Wortsinn nicht richten. Gemäß § 25 I 2. Fall kommt es nur darauf an, dass F den Sekt „durch einen anderen“ weggenommen hat. Und das kann man allemal sagen, und es so zu sehen, ist nach dem gerade Gesagten auch in der Sache geboten. Fall 9: Wie Fall 6 e. Aber T ist kein Anwalt, sondern Zahnarzt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 9 Ist W einer Freiheitsberaubung (§ 239) strafbar? Oder T? Gibt es einen „Täter hinter dem Täter“? W hat tatbestandlich und rechtswidrig eine Freiheitsberaubung begangen. Er handelte zwar wie im Fall 6 e im Verbotsirrtum, aber anders als dort diesmal im vermeidbaren, denn er durfte der Rechtsauskunft eines Zahnarztes nicht vertrauen. W handelte also gemäß § 17 mit Schuld und ist daher strafbar. T hat die Einsperrung des O zurechenbar verursacht. Täter wäre er aber nur, wenn er diese Einsperrung „durch einen anderen”, hier den W, begangen hätte. W befand sich wie gesagt nur im vermeidbaren Verbotsirrtum. Ob das für mittelbare Täterschaft reicht, ist umstritten. Die Rspr., also die Animus-Lehre, macht das wie üblich allein vom „Täterwillen“ abhängig und könnte im auch im Fall 9 ohne Schwierigkeiten eine mittelbare Täterschaft des T bejahen (vgl. BGHSt 35, 347, 352–354). Das Lager der Tatherrschaftslehre ist gespalten. Der faktische Zweig verlangt eine faktische Überlegenheit des Hintermannes, die durchaus auch bei Strafbarkeit des Vordermannes vorliegen können soll (z. B. Baumann/Weber/Mitsch, AT10, § 29 Rn 139; S/SCramer/Heine26, § 25 Rn 38). Danach wäre mittelbare Täterschaft hier zu bejahen mit der Begründung, T habe wegen seines überlegenen Rechtswissens das gesamte Geschehen gesteuert. Der normative Zweig verlangt für die mittelbare Täterschaft, dass der Vordermann ein strafbarkeitsausschließendes Defizit hat (so z. B. Jescheck/Weigend, AT5, S. 669; Stratenwerth, AT I4, § 12 Rn 53, 55). Danach genügt Ws bloß strafbarkeitsminderndes Defizit nicht; T ist danach also kein mittelbarer Täter, wohl aber Anstifter. Vertiefung: Wir halten es für richtig, ein strafbarkeitsausschließendes Defizit zu verlangen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Wenn man bloße Strafbarkeitsminderungen genügen lassen wollte, dürfte man nicht bei strafrahmenabsenkenden Strafmilderungen (wie z. B. § 17 S. 2) stehen bleiben, sondern müsste konsequenterweise jeden strafmildernden Gesichtspunkt genügen lassen, sogar wenn er erst bei der konkreten Strafzumessung zum Tragen käme wie zum Beispiel eine „schwere Kindheit“ des W (vgl. § 46 II: „das Vorleben des Täters“). Damit würden die Ergebnisse aber ganz unplausibel. Weil wir kein Kriterium sehen, mit dem man die strafmildernden Defizite sachlich begründet unterscheiden könnte, halten wir sie insgesamt für nicht ausreichend, eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes zu begründen. – Zweitens: Es besteht bei bloß strafbarkeitsmindernden Defiziten des Vordermannes auch kein Bedürfnis, mittelbare Täterschaft des Hintermannes zu bejahen. Denn weil der Vordermann Täter ist, kommt für den Hintermann Anstiftung in Betracht. (2) Das Opfer als „anderer“ Fall 10: X bringt Y am Strand dazu, sein Schlauchboot mit einem Messer aufzuschlitzen. a) Er schafft das, indem er dem Y einredet, es sei ein fremdes Schlauchboot. b) Er schafft das, indem er dem Y für den Fall der Weigerung Prügel androht. c) Er schafft das, indem er ausnutzt, dass Y erst 4 Jahre alt ist und noch kein Verständnis für sein Eigentum und dessen Beschädigung hat. Im Ansatz fragen Animus-Theorie und Tatherrschaftslehre wie immer nach dem „Täterwillen“ bzw. der „Tatherrschaft“ des Hintermannes. Aber natürlich kann man hier für eine Faustformel nicht auf diejenigen Kriterien zurückgreifen, die bei einem Dritten als „anderer“ gelten. Denn jemand wie Y, der sein eigenes Rechtsgut verletzt, handelt nicht deliktisch; deshalb kann man bei ihm nicht sinnvoll danach fragen, ob er mit oder ohne Vorsatz, rechtmäßig oder rechtswidrig, mit oder ohne Schuld gehandelt hat. In der Sache lässt man deshalb maßgeblich sein, ob er frei- Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 10 willig sein Rechtsgut verletzt hat. Man greift also auf die Voraussetzungen einer Einwilligung zurück. Faustregel: Das sein eigenes Rechtsgut verletzende Opfer ist ein Werkzeug des Hintermannes, wenn es ... gar nicht erkennt, dass es sein eigenes Rechtsgut verletzt (Irrtum, „Wissensherrschaft“) oder genötigt wird (Zwang, „Willensherrschaft“). „Wissensherrschaft“ liegt vor im Fall 10 a und c, „Willensherrschaft“ in der Var. b. In allen drei Var. ist X mittelbarer Täter einer Sachbeschädigung. cc) Prüfungsaufbau bei der mittelbaren Täterschaft I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tätermerkmale b) Tatobjekt c) Taterfolg d) Tathandlung: Hier Beschreibung, dass und wie der Täter auf den Vordermann eingewirkt hat. e) Kausalität: Hat die Einwirkung des Täters auf den Vordermann zum Erfolg geführt? f) Objektive Zurechnung War die Einwirkung des Täters auf den Vordermann im Hinblick auf den eingetretenen Erfolg eine unerlaubte Gefahrschaffung und hat sich im Erfolg genau diese unerlaubt geschaffene Gefahr verwirklicht? g) Tatbegehung „durch einen anderen“ = War der Vordermann ein „menschliches Werkzeug“? h) Weitere objektive Merkmale 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz (insb. hins. 1 g) b) Weitere subjektive Merkmale c) „Täterwille“ erforderlich und gegeben? II. Rechtswidrigkeit III. Schuld 2. Mittäterschaft, § 25 II a) Grundlagen der Mittäterschaft aa) Der typische Fall und die Idee der wechselseitigen Zurechnung (§ 25 II) Fall 11: A und B schlendern nachts durch die Stadt. Als ihnen der schmächtige Passant O entgegenkommt, sagt A zu dem kräftigen B: „Du, der hat sicher Geld dabei. Das schnapp ich mir, wenn du ihm ein bisschen Angst machst. Halbe halbe?“ B nickt. Als O sie erreicht, droht B ihm mit Schlägen und veranlasst ihn so zum Stillhalten, während A in allen Taschen nach Geld sucht und Os Portmonee an sich nimmt. Strafbarkeit von A und B gemäß §§ 240, 242, 249? Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 11 A ist nach § 25 I Alt. 1 Alleintäter eines Diebstahls (§ 242); B hat eine Nötigung (§ 240) begangen. Wegen Raubes (§ 249) können sie nur bestraft werden, wenn man jedem das vom anderen begangene Unrecht zurechnen kann. Das leistet § 25 II. Gängige Stichworte: „arbeitsteiliges Zusammenwirken“, „funktionale Tatherrschaft“. bb) Das Verhältnis zur Alleintäterschaft Im Vergleich zur unmittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 1) wirkt die Mittäterschaft immer strafbarkeitsausweitend, weil ja dem einen das vom anderen begangene Unrecht zusätzlich angelastet wird (Fall 11). Im Vergleich zur mittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) wirkt die Mittäterschaft manchmal nicht strafbarkeitsausweitend. Das zeigt Fall 12: Wie Fall 11, aber B ist schwachsinnig und A weiß das. Abwandlung: A weiß nichts von Bs Schwachsinn. B ist wegen Schuldunfähigkeit (§ 20) straflos. A ist im Hinblick auf die Wegnahme Alleintäter (§ 25 I Alt. 1) und hinsichtlich der räuberischen Drohung mittelbarer Täter (§ 25 I Alt. 2). Zugleich ist A auch Mittäter nach § 25 II, denn für Mittäterschaft ist es nicht nötig, dass der andere schuldhaft handelt (§ 29). Die Strafdrohung ist so oder so dieselbe. Vertiefung: Wie soll man A verurteilen? Am besten wegen Raubes in mittelbarer Täterschaft, wenn man die Ansicht teilt, dass die Tatbegehung „durch einen anderen“ nur ein Sonderfall der Selbstbegehung ist. Denn dann ist es überflüssig, die Raubstrafbarkeit des A über den „Umweg“ der Zurechnung fremden Unrechts nach § 25 II zu begründen. – Im Ergebnis ebenso Jakobs, AT2, 21/91; unklar bei LK-Roxin11, § 25 Rn 171. In der Abwandlung von Fall 12 kennt A die Schuldunfähigkeit des B nicht. Deshalb kann er wegen § 16 I 1 auch nicht aus § 25 I Alt. 2 als mittelbarer Täter bestraft werden: Er weiß nicht, dass er die Tat „durch einen anderen“ begeht. Es bleibt aber seine Strafbarkeit aus § 25 II. b) Voraussetzungen der Mittäterschaft aa) Besondere Tätermerkmale Fall 13: Der Kriminalbeamte K und der Zeuge Z schlagen bei einer amtlichen Gegenüberstellung gemeinsam auf den Verdächtigen V ein. K und Z sind Mittäter einer gefährlichen Körperverletzung (§§ 224 I Nr. 4, 25 II). K ist zusätzlich Alleintäter einer Körperverletzung im Amt (§§ 340 I, III, 25 I Alt. 1). Z ist insoweit kein Täter, weil er selber kein Amtsträger ist; er ist nur Gehilfe (§§ 340 I, III, 27). – Siehe LKRoxin11, § 25 Rn 169. bb) Das gemeinschaftliche Begehen Probleme bereitet das Merkmal „gemeinschaftlich begehen“. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass Mittäter nur ist, wer erstens einen objektiven Beitrag zur Tatbegehung leistet und zweitens mit dem anderen einen „gemeinsamen Tatentschluss“ gefasst hat. Man spricht häufig vom „bewussten und gewollten Zusammenwirken“ (etwa Wessels/Beulke, AT30, Rn 524). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 12 (1) Der objektive Tatbeitrag aa) Mittäter kann nur sein, wer überhaupt einen objektiven Tatbeitrag leistet. Fall 14: (vereinfacht nach BGH, NStZ 1993, 385) M, E und F sind im Auto unterwegs, E sitzt am Steuer. M kommt spontan auf die Idee, man könne das Geschäft der H ausrauben. M und E planen die Tat. F sagt, er fahre mit, wolle aber auch ein Drittel der Beute. Die Tat verläuft wie geplant: E fährt vor Hs Geschäft, M und E stürmen hinein, E hält der H eine Pistole vor, während M die Kasse lehrt, beide steigen wieder in den Wagen und E fährt davon. Strafbarkeit der Beteiligten gemäß § 249? M und E haben einen gemeinschaftlichen Raub begangen (§§ 249, 25 II). F ist kein Mittäter, weil er keinen objektiven Beitrag geleistet hat. bb) Der objektive Tatbeitrag darf nicht ganz untergeordnet sein, sondern muss einiges Gewicht haben. Fall 15: M ist eines Nachts in die Villa des verreisten V eingedrungen und schweißt in stundenlanger Mühe den Tresor auf. Um zwei Uhr morgens bringt ihm seine Frau F wie vereinbart eine Mahlzeit. Die Stärkung tut dem M gut. Im Morgengrauen verlässt er die Villa mit seiner Beute. Strafbarkeit von M und F nach § 242? Die Tatherrschaftslehre verlangt einen „wesentlichen“ Beitrag (LK-Roxin11, § 25 Rn 189,191; S/S-Cramer/Heine26, § 25 Rn 64, 69)., d. h. dass „ihm eine im Rahmen arbeitsteiliger Ausführung relevante Funktion“ (LK-Roxin11, § 25 Rn 189) zukommen muss. Die Animus-Theorie kommt im Ergebnis ebenfalls zur Verneinung von Täterschaft. Sie lässt zwar als objektiven Tatbeitrag jede noch so geringfügige Tätigkeit genügen und fragt danach, ob der Beteiligte „die Tat als eigene“ will (also Täterwillen und nicht bloßen Gehilfenwillen hat); s. dazu oben unter I vor 1. Das ermittelt sie aber in einer wertenden Betrachtung aller Umstände; wesentliche Anhaltspunkte sollen sein „der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille zur Tatherrschaft“ (BGHSt 37, 289, 291). Deshalb wird von der Rechtsprechung bei ganz untergeordneten Tätigkeiten meist Täterschaft verneint (so etwa in BGHSt 34, 124, 125). cc) Umstritten ist, ob eine Tätigkeit im Vorbereitungsstadium als Tatbeitrag ausreicht. Fall 16: (nach BGHSt 37, 289 ff.) G und H werden polizeilich gesucht. Sie rüsten sich mit geladenen Revolvern aus und verabreden, im Fall einer drohenden Verhaftung ohne Rücksicht auf das Leben anderer zu schießen. Eines Abends treten mehrere Polizeibeamte auf sie zu, um sie festzunehmen. G nimmt sofort zum Zeichen der Aufgabe die Hände hoch; H erschießt zwei Beamte. Strafbarkeit von G und H nach § 212? Unterscheiden sie neben der Animus-Theorie die „weite“ und die „enge“ Tatherrschaftslehre! H ist nach § 212 strafbar. G ist es nur dann, wenn er Mittäter des Totschlags war. Das war er nur dann, wenn er einen objektiven Tatbeitrag geleistet hat. Dafür kommt allein sein Verhalten vor Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 13 dem fraglichen Abend in Betracht. Die meisten lassen für § 25 II solch einen Beitrag genügen; so die subjektive Theorie (z. B. BGHSt 37, 289, 292 f.) und die weite Tatherrschaftslehre (etwa S/SCramer/Heine26, § 25 Rn 66; Wessels/Beulke, AT30, Rn 529). Andere verlangen einen Tatbeitrag im Ausführungsstadium; so die enge Tatherrschaftslehre (z. B. LK-Roxin11, § 25 Rn 181). Die enge Tatherrschaftslehre verdient u. E. den Vorzug: Mittäter kann nach dem Wortlaut des § 25 II nur sein, wer an der Tat-„Begehung“ mitwirkt. Man unterscheidet aber allgemein zwischen bloßen Vorbereitungshandlungen und der eigentlichen Tatbegehung (vgl. §§ 8, 9). Für einen Alleintäter wären das Einstecken der Waffe und die Erklärung, zum Todesschuss bereit zu sein, unbestritten nur Vorbereitung. Es gibt keinen Grund, das bei einem Mittäter anders zu sehen. Vertiefung: Im Gegenteil spricht das Gesetz sogar dafür, Verbrechensverabredungen noch nicht als Teil der Tatbegehung anzusehen. Gemäß §§ 30 II, 31 I Nr. 3 wird nämlich derjenige, der (wie G) mit einem anderen ein Verbrechen verabredet und danach vollkommen untätig bleibt (also nicht an der Tat mitwirkt, sie aber auch nicht verhindert), nur aus § 30 bestraft, also nur wegen des Versuches einer Beteiligung. (2) Der gemeinsame Tatentschluss aa) „Tatentschluss“ hat nur, wer den Vorsatz hat, dass sein (unter 1 näher beschriebener) objektiver Tatbeitrag zusammen mit dem Beitrag des anderen zur Verwirklichung des Tatbestandes führt. Das ist nichts weiter als der übliche Vorsatz (vgl. § 16 I 1); er bezieht sich hier auf die Umstände des jeweiligen Tatbestandes sowie auf den objektiven Umstand des gemeinschaftlichen Begehens. Der Tatentschluss ist nur dann ein „gemeinsamer“, wenn die Mittäter sich über ihre Tatentschlüsse verständigt haben. Fall 17: S hat sich über V geärgert. Als er ihn nachts ohne Freunde auf dem Parkplatz der Disco sieht, schlägt er ihn zu Boden. Dabei ist ihm klar, dass die in der Nähe stehende D jede günstige Gelegenheit zu einem Diebstahl nutzt; er will sogar, dass D sich an V bereichert. In der Tat nimmt D dem ohnmächtigen V das Geld ab. D wiederum hatte den früheren Streit zwischen S und V mitbekommen und wusste deshalb, als S sich dem V näherte, dass er ihn niederschlagen würde. S hat eine Körperverletzung (§ 223) begangen, D einen Diebstahl (§ 242). Haben Sie auch einen Raub (§ 249) begangen? Der objektive Tatbestand eines Raubes in Mittäterschaft liegt vor. Auch hatten S und D beide den Vorsatz, dass dem O mit Gewalt das Geld weggenommen werden würde; und sie hatten sogar auch Dritt- (S) bzw. Selbstzueignungsabsicht (D). Aber ihr Tatentschluss war kein „gemeinsamer“. Also haben sie keinen Raub in Mittäterschaft begangen. Vertiefung: Die Voraussetzung des sog. gemeinsamen Tatentschlusses kann man systematisch § 30 II 3. Fall entnehmen. Dort ist für den Versuch der Beteiligung (> Mittäterschaft) das Erfordernis der Verbrechensverabredung aufgestellt. Und allgemein sieht man den Versuch der Mittäterschaft als notwendiges Durchgangsstadium für das vollendete Delikt an. Dann ist es aber folgerichtig, auch für das mittäterschaftlich vollendete Delikt die „Verabredung“ zu verlangen. Das tun ja alle, sie nennen es nur verkomplizierend „gemeinsamer Tatentschluss“. Bei richtigem Verständnis gehört die Verabredung in den objektiven Tatbestand verortet. Denn „verabreden” bedeutet, objektiv für Einigkeit sorgen. Sieht man es so, wäre im subjektiven Tatbestand der Vorsatz darauf zu beziehen (§ 16 I 1). Weil dieser Aufbau zu sehr vom Üblichen abweicht, empfiehlt es sich für die Klausur bislang nicht, ihr Gutachten so aufzubauen. In der Hausarbeit hingegen haben Sie Platz und können den Leser an der Präzisierung teilhaben lassen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 14 bb) Am gemeinsamen Tatentschluss fehlt es insoweit, als ein Mittäter mehr tut, als vorher abgesprochen wurde (Mittäterexzess). Fall 18: Wie Fall 11. Aber A hat vor der Tat eine geladene Pistole eingesteckt, ohne es B zu sagen. Strafbarkeit von A und B nach §§ 249, 250? A und B haben gemäß §§ 249, 25 II einen Raub in Mittäterschaft begangen (oben bei Fall 11). A hat vorsätzlich eine Waffe bei sich geführt und hat somit einen schweren Raub begangen (§ 250 I Nr. 1 Buchst. a). – Auch für B ist § 250 objektiv verwirklicht, denn „ein anderer Beteiligter am Raub“, nämlich A, hat eine Schusswaffe bei sich geführt. Diesen Umstand hat B aber nicht gekannt. Er hat also insoweit gemäß § 16 I 1 ohne Vorsatz gehandelt und kann nicht aus § 250 bestraft werden. Vertiefung: Eine andere Frage ist, ob A aus § 250 als Mittäter oder als Alleintäter zu verurteilen ist. Genauer ist eine Verurteilung als Mittäter (so auch BGHSt 36, 231, 232). Denn die von B begangene Drohung, die für eine Bestrafung aus § 250 Voraussetzung ist, kann dem A ja nur über § 25 II zugerechnet werden. – Man darf sich nicht sprachlich davon beirren lassen, dass es dann im Fall 18 nur einen Mittäter gibt. So etwas kann zum Beispiel auch dann passieren, wenn einer von zwei Mittätern nicht bestraft werden kann, weil er z. B. schwachsinnig und wegen § 20 schuldlos ist (s. nur SKStGB-Hoyer2000, § 25 Rn 107). cc) Nach allgemeiner Ansicht kann Mittäterschaft auch dann vorliegen, wenn sich ein zunächst ganz Unbeteiligter erst im Laufe des Geschehens mit den anderen verständigt und einmischt (sukzessive Mittäterschaft). Als unproblematisch gilt Fall 19: (nach BGH, GA 1969, 214) X und Y geraten mit O in Streit und schlagen auf ihn ein. Nach den ersten zehn Schlägen bekommen sie spontane und willkommene Unterstützung von ihrem Freund Z. Strafbarkeit von X, Y und Z? Alle drei werden als Mittäter einer gefährlichen Körperverletzung bestraft (§ 224 I Nr. 4). Vertiefung: Bei der sukzessiven Mittäterschaft ist v. a. zweierlei umstritten: 1. Haftet der Hinzutretende auch für besondere Erschwerungsgründe, die schon vorher verwirklicht worden sind? 2. Ist sukzessive Mittäterschaft auch noch nach formeller Vollendung, aber vor materieller Beendigung der Tat möglich? – Siehe dazu etwa BGHSt 2, 344 (345 ff.), GA 1994, 485; Schönke/Schröder-Cramer/Heine26, § 25 Rn 91; Kühl, AT3, § 20 Rn 126 ff.; LK-Roxin11, § 25 Rn 192 ff. c) Prüfungsaufbau bei der Mittäterschaft Aufbauprobleme bestehen, weil das Merkmal der gemeinschaftlichen Begehung ein objektivsubjektives Mischmerkmal ist: Es besteht wie gezeigt aus objektiven und subjektiven Untermerkmalen. Hier eine Aufbauempfehlung zu § 249 im Fall 11: Strafbarkeit von A und B wegen Raubes in Mittäterschaft (§§ 249, 25 II) durch das Androhen von Schlägen und das Ansichnehmen des Portmonees I. Tatbestand Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 1. Objektiver Tatbestand a) Wegnahme einer fremden beweglichen Sache aa) Für A und B fremde bewegliche Sache? +, das Portmonee. bb) Ist es zu einer Wegnahme gekommen? +, seitens des A. b) Ist es zu einer Anwendung von Drohungen gekommen? +, seitens des B. c) Objektiver Tatbeitrag sowohl von A als auch von B? +, siehe a und b. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 15 16 2. Subjektiver Tatbestand a) Gemeinsamer Tatentschluss? +, Einigung Sekunden vor der Tatbegehung. b) Zueignungsabsicht? +, A beabsichtigt Selbstzueignung, B Drittzueignung. c) Täterwille erforderlich und gegeben? Täterwille von A und B kann bejaht werden; also keine Erörterung, ob der Täterwille wirklich eine Voraussetzung der Mittäterschaft ist. II. Rechtswidrigkeit und Schuld? +. Fall 13: Für K und Z §§ 224, 25 II bejahen. Für K § 340 bejahen. Für Z §§ 340, 25 verneinen und §§ 340, 27 bejahen. Fall 14: Für M und E §§ 249, 25 II bejahen. Für F §§ 249, 25 II prüfen und beim objektiven Tatbeitrag verneinen. Fall 15: Für M § 242 bejahen. Für F §§ 242, 25 II prüfen. Beim objektiven Tatbeitrag Meinungsstand nennen: Tatherrschaftslehre würde den hinreichenden Beitrag verneinen, subjektive Theorie den Täterwillen. Fall 16: Für H § 212 bejahen. Für G §§ 212, 25 II prüfen, beim objektiven Tatbeitrag Meinungsstand nennen und sich entscheiden. Fall 17: Für S § 223 bejahen. Für D § 242 bejahen. Für S und D §§ 249, 25 II prüfen und gemeinsamen Tatentschluss verneinen. Fall 18: Für A und B §§ 249, 25 II bejahen. Für A §§ 250, 25 II bejahen. Für B §§ 250, 25 II prüfen und beim gemeinsamen Tatentschluss verneinen. 3. Versuch und Rücktritt bei Allein- und Mittäterschaft a) Versuch und Rücktritt bei der unmittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 1) Keine Besonderheiten. Ausführlich im 3. Kapitel D IV. b) Versuch und Rücktritt bei der mittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) aa) Versuch bei der mittelbaren Täterschaft (§§ 25 I Alt. 2, 22) Die Vorstellung von der Tatbestandsverwirklichung („Tatentschluss“) muss sich auf den kompletten objektiven Tatbestand beziehen. Die Vorstellung muss bei der mittelbaren Täterschaft also auch darauf gerichtet sein, die Tat „durch einen anderen“ zu begehen. Das unmittelbare Ansetzen beim Versuch in mittelbarer Täterschaft ist umstritten. Fall 20: Vater V braucht Schnaps und Zigaretten. Deshalb ruft er seinen siebenjährigen Sohn S zu sich, um ihn zum Klauen in den Supermarkt zu schicken. a) Als S ihn fragt, was los sei, findet V doch noch Schnaps und Zigaretten in einer Schublade und schickt S wieder aus dem Zimmer. b) Er trägt dem S die Besorgung auf. Während S noch zögerlich fragt „Muss ich wirklich?”, findet V das Gesuchte und entlässt S ohne Auftrag. c) S verlässt gehorsam das Zimmer und zieht sich seine Schuhe an. Da findet V das Gesuchte und entpflichtet S. d) S kommt auf dem Weg zum Supermarkt unter ein Auto und stirbt. e) S nimmt im Supermarkt eine Flasche Schnaps in die Hand, sieht sich verstohlen um und erblickt den Ladenbesitzer, der ihn streng beobachtet. Da stellt S die Flasche wieder zurück. Hat Vater V einen Diebstahl in mittelbarer Täterschaft (§§ 242 I, 25 I Alt. 2) versucht? – 1. A.: Der mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an bereits mit der Einwirkung auf den Tatmittler. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 17 Die einen blicken dabei auf den Beginn der Einwirkung (Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, AT10, 29/155; Tröndle/Fischer50, § 22 Rn 26), andere auf den Abschluss der Einwirkung (Jakobs, AT2, 21/105). Das heißt für Fall 20: Nicht in Var. a, in Var. b je nach Spielart und gewiss in Var. c bis e. – 2. A.: Der mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an erst mit dem unmittelbaren Ansetzen des Tatmittlers. Merke: Es kommt nach dieser Ansicht nicht darauf an, welchen Zeitpunkt sich der mittelbare Täter für das Ansetzen des Tatmittlers vorstellt. So Kühl, AT3, § 20 Rn 91; LK-Vogler10, § 22 Rn 101; wohl auch Maurach/Gössel, AT 27, § 48 Rn 115. Das heißt für Fall 20: Erst in Var. e. – 3. A. (h. L.): Der mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an in dem Moment, in dem er nach seiner Vorstellung „die Herrschaft über das Geschehen endgültig aus der Hand gibt oder das geschützte Rechtsgut unmittelbar gefährdet wird“ (Lackner/Kühl23, § 22 Rn 9). Man muss also danach unterscheiden, ob der Tatmittler in Gegenwart des Hintermannes tätig werden soll oder in dessen Abwesenheit. a) Der anwesende mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an mit dem Eintritt einer unmittelbaren Gefahr für das Rechtsgut, d. h. mit dem unmittelbaren Ansetzen des Tatmittlers. b) Der abwesende mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an mit der Entlassung des Tatmittlers aus dem Herrschaftsbereich. Das heißt für Fall 20: Nicht in Var. a bis c, aber in Var. d und e. Aus der Lit. siehe noch Jescheck/Weigend, AT5, S. 521; LK-Roxin11, § 25 Rn 152; SKStGBRudolphi1993, § 22 Rn 20a; Wessels/Beulke, AT30, Rn 613; wohl auch S/S-Eser26, § 22 Rn 54a. Von ihnen lassen aber manche – wie der BGH, dazu sogleich – die Entlassung aus dem Herrschaftsbereich nur genügen, wenn der Tatmittler nach der Vorstellung des Hintermannes „sogleich“, „nunmehr“, „unverzüglich“ o. ä. zur Tat schreiten soll. Wer diese Einschränkung mitmacht, kann in Var. d das unmittelbare Ansetzen verneinen oder bejahen; das Kriterium ist für beide Wertungen offen. – Der BGH vermengt alle drei Ansätze. In einer der neuesten Entscheidungen heißt es: Bei der mittelbaren Täterschaft „liegt zwar ein Ansetzen des Täters zur Tat schon vor, wenn er seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, es ist also nicht erforderlich, dass der Tatmittler seinerseits durch eigene Handlungen zur Tat ansetzt. Ein unmittelbares Ansetzen ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Tatmittler in der Vorstellung entlassen wird, er werde die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr in engem Zusammenhang mit dem Abschluss der Einwirkung vornehmen ... Demgegenüber fehlt es hieran, wenn die Einwirkung auf den Tatmittler erst nach längerer Zeit wirken soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie einmal Wirkung entfaltet. In diesen Fällen beginnt der Versuch erst dann, wenn der Tatmittler ... seinerseits unmittelbar zur Tat ansetzt. Entscheidend für die Abgrenzung ist daher, ob nach dem Tatplan die Einzelhandlungen des Täters in ihrer Gesamtheit schon einen derartigen Angriff auf das geschützte Rechtsgut enthalten, dass es bereits gefährdet ist und der Schaden sich unmittelbar anschließen kann ..., oder ob die Begründung einer solchen Gefahr dem noch ungewissen späteren Handeln des Tatmittlers überlassen bleibt“ So BGHSt 43, 177, 180; vgl. auch BGHSt 30, 363, 365; NStZ 1986, 547. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 18 Das heißt für Fall 20: Nicht in Var. a bis c, vielleicht in Var. d und bestimmt in Var. e. Stellungnahme Hardtung: Nach den allgemeinen Lehren, wie sie sich im Skript „Vorlesung Strafrecht I“ beim Versuch finden, hat V im Fall 20 nach seiner Vorstellung „zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt“, wenn er eine Handlung vorgenommen hat, die nach seiner Vorstellung der eigentlichen Tathandlung unmittelbar vorangeht, also ohne wesentliche Zwischenakte in sie einmündet. Was ist hier die eigentliche Tathandlung? Wer einen Diebstahl durch einen anderen begeht, begeht diese Tat dadurch, dass er sein menschliches Werkzeug in Gang setzt; nicht anders, als wenn jemand seinen dressierten Hund die gewünschte Beute apportieren lässt oder einen Totschlag begeht, indem er eine Kugel abfeuert. Diese eigentliche Tathandlung ist im Fall 20 (noch etwas pauschal) das Losschicken des S, also die Zeitspanne vom Beauftragen des S bis zu dessen Verlassen der Wohnung. Die vorherigen Einwirkungen des V auf S (Herbeirufen, Beginn des Beauftragens) sind dagegen noch nicht die eigentliche Tathandlung, ebenso wenig wie das Herbeirufen des Hundes oder das Entsichern und Heben der Waffe. Das spätere Geschehen (S ist unterwegs, S ist im Supermarkt) hingegen spielt schon nach der eigentlichen Tathandlung des V, so wie das Laufen und Zuschnappen des Hundes oder das Fliegen und Zerstören der Kugel. Beim Einsatz dieser sächlichen Werkzeuge erklärt man nach allg. Ansicht nicht das Zuschnappen des Hundes oder das Einschlagen der Kugel zur Tathandlung des Täters. Dann aber ist es nur konsequent und systematisch geboten, auch beim Einsatz eines menschlichen Werkzeugs nicht das Handeln des Werkzeugs zur Tathandlung des Täters zu erklären; vielmehr muss man auf das Handeln des Täters selber blicken. Zu dieser seiner eigenen Tathandlung, d. h. zum Losschicken des S, muss V also unmittelbar angesetzt haben. Deshalb wäre es ganz unpassend, für V das unmittelbare Ansetzen des Tatmittlers maßgeblich sein zu lassen (so aber oben die 2. Ansicht und für manche Fälle der BGH). Es geht hier nun einmal um die Strafbarkeit des Hintermannes wegen Versuches und damit um sein unmittelbares Ansetzen (vgl. nur SKStGB-Rudolphi1993, § 22 Rn 20a). Das passt auch am besten zu den Vorstellungen des Gesetzgebers: Er sah beispielhaft den Versuch, einen Betrug durch einen täuschenden Brief zu begehen, in der Absendung des Briefes (Sonderausschuss-Prot. V/1747) und einen Totschlagsversuch im Losschicken des Boten mit der vergifteten Nahrung zu den Opfern (Sonderausschuss-Prot. V/1748); dem entspricht hier das Losschicken des S. Das „Losschicken“ erstreckt sich im Fall 20 allerdings über den Zeitraum von der Beauftragung des Werkzeugs bis zu dessen Losgehen. Fraglich bleibt also, wann ganz genau V unmittelbar angesetzt hat: Schon mit dem letzten Wort an S (Var. c) oder erst mit dem Verlassen der Wohnung (Var. d)? Hier neige ich zum späteren Moment. Zwar hat V mit dem letzten Wort seine Tathandlung, nämlich die Einwirkung auf S, schon komplett begangen; alles weitere Verhalten des V ist bloßes Unterlassen. Aber S ist noch im Herrschaftsbereich des V und kann jederzeit von ihm gestoppt werden. In den Gesetzgebungsmaterialien wird in einem vergleichbaren Beispiel (Täter will mittels einer Bombenexplosion töten) das unmittelbare Ansetzen nicht schon im Scharfmachen der Bombe gesehen, sondern erst darin, dass der Täter von der scharf gemachten Bombe weggeht (Schlee, SA-Prot. V/1773 f.). Ein vom Tatort abwesender mittelbarer Täter setzt also – so mein Formulierungsvorschlag – unmittelbar an, wenn er den sinnlichen Kontakt zum (sächlichen oder menschlichen) Werkzeug beendet hat. Das entspricht (wohl) dem, was andere die „Entlassung aus dem Herrschaftsbereich“ nennen. Danach hat V auch in Var. d einen Versuch begangen. Stellungnahme Herzberg: Der Rückblick zeigt, dass es sich so verhält, wie zu vermuten war. Man kann nicht einfach sagen, dass im Streit um das Problem des Themas die einen Recht haben Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 19 und die anderen, ohne es einzusehen, Unrecht. Richtiges und Unrichtiges findet sich vielmehr auf die verschiedenen Theorien verteilt. Die Fehler der einen wie der anderen Seite werden m.E. vermieden, wenn man die Dinge so sieht: Beim deliktischen Versuch ist zu unterscheiden zwischen Versuchshandlung und Versuchserfolg. Jene bedeutet schon die Teilerfüllung des Versuchstatbestandes, dieser muss hinzutreten, damit das Versuchsdelikt zustande kommt. Dafür entscheidend ist in den Fällen unseres Themas – genau wie sonst – die unmittelbare Gefahr der Verwirklichung des Tatbestandes, gemessen an der Vorstellung des Täters beim eigenen Handeln. Der Versuch liegt also jedenfalls dann vor, wenn der Tatmittler die Zuspitzungshandlung vornimmt, die der Täter beim eigenen Handeln erwartet hat, die also im Rahmen seiner zu dieser Zeit gegebenen Vorstellung liegt. Er liegt – mit schwächerem Gewicht – auch bereits dann vor, wenn der Zeitpunkt erreicht ist, für den der Täter beim eigenen Handeln die Zuspitzungshandlung sich als frühestens möglich vorgestellt hat. Weder so noch so kommt aber das Versuchsdelikt zustande, wenn der Täter vor diesem Zeitpunkt erfährt, dass die Deliktsvollendung ausgeschlossen ist. (Ausführlich zum Ganzen Herzberg, FS-Roxin, 749 ff.) bb) Rücktritt bei der mittelbaren Täterschaft (§ 24 I) Keine Besonderheiten. Wie beim unmittelbaren Täter gilt Abs. 1 des § 24. Der rücktrittswillige mittelbare Täter kann z. B. sein menschliches Werkzeug rechtzeitig stoppen; er kann selber die Vollendung verhindern; er kann sein Werkzeug die Vollendung verhindern lassen, so wie man sich beim Rücktritt der Hilfe eines jeden beliebigen Menschen bedienen kann (etwa indem man den Notarzt ruft, der das Leben des angeschossenen Opfers rettet). c) Versuch und Rücktritt bei der Mittäterschaft (§ 25 II) aa) Versuch bei der Mittäterschaft (§§ 25 II, 22) Die Vorstellung von der Tatbestandsverwirklichung („Tatentschluss“) muss sich auf den kompletten objektiven Tatbestand beziehen. Die Vorstellung muss bei der Mittäterschaft also auch darauf gerichtet sein, die Tat mit einem anderen „gemeinschaftlich“ zu begehen. Bedenken Sie: Für den Täter ist es ein objektiver Umstand, dass er und sein Mittäter einen gemeinsamen Tatvorsatz haben, d. h. sich verständigt haben also über ihre Vorsätze. Die Vorstellung einer Tatbegehung in Mittäterschaft hat also nur, wer sich vorstellt, sich mit einem anderen über die Tatbegehung verständigt zu haben. Das unmittelbare Ansetzen beim Versuch in Mittäterschaft ist umstritten. Fall 21: Bandenchef C will, dass T und M den O in dessen Haus töten. Der von C erdachte und auf Os Lebensgewohnheiten abgestimmte Tatplan sieht folgenden Ablauf vor: M soll um 17 Uhr an der Haustür klingeln und den allein anwesenden O, wenn er die Tür öffnet, ins Haus stoßen und ins Badezimmer drängen. Dann soll T nachkommen und den O im Bad mit einer von C zur Verfügung gestellten Waffe erschießen. Am Tattage geht M, gefolgt von T, zur Haustür und klingelt. Als O öffnet, stößt M ihn in die Wohnung. Das ist für die im und am Haus postierte Polizei das Zeichen zum Zugriff. Abwandlung: M und T werden schon von der Polizei festgenommen, als sie vor Os Haus gerade aus dem Wagen steigen. Strafbarkeit von M, T und C nach §§ 212, 25 II, 22, 23 I, 12? – 1. A. (h. L.): Setzt ein Mittäter nach allgemeinen Regeln unmittelbar an, so setzen damit zugleich alle anderen unmittelbar an (Gesamtlösung). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 20 Arg: Jeder Mittäter muss sich die Tatbeiträge jedes anderen zurechnen lassen, also auch dessen unmittelbares Ansetzen. Etwa BGHSt 36, 249 (250); 39, 236 (238); S/S-Eser26, § 22 Rn 55. Das heißt für Fall 21: Nach h. A. hätte ein Alleintäter spätestens im Moment des Hineindrängens zum Totschlag unmittelbar angesetzt (manche würden schon das Klingeln genügen lassen). M hat selber den O ins Haus gedrängt und damit unmittelbar angesetzt. – Das wird dem noch draußen wartenden T zugerechnet. – Lässt man Cs „Mitwirkung im Vorbereitungsstadium“ für eine Mittäterschaft genügen, dann ist auch ihm das unmittelbare Ansetzen des M zuzurechnen. In der Abwandlung hat keiner unmittelbar angesetzt. – 2. A: Der einzelne Mittäter setzt unmittelbar an, wenn er zu dem seine Tatherrschaft begründenden Verhalten unmittelbar ansetzt (Einzellösung). Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975, S. 104 ff. Das heißt für Fall 21: M hat zu seinem Tatbeitrag, dem Hineinstoßen, unmittelbar angesetzt. – T aber hat zu seinem Tatbeitrag, dem Schießen, noch nicht unmittelbar angesetzt. – C hingegen hat seinen Tatbeitrag sogar schon komplett geleistet, hat also unmittelbar angesetzt. In der Abwandlung hat nur C unmittelbar angesetzt. – 3. A: Der einzelne Mittäter setzt unmittelbar an, wenn er zu dem seine Tatherrschaft begründenden Verhalten unmittelbar ansetzt und die mittäterschaftliche Gesamthandlung nach allgemeinen Regeln bis zum Versuch gediehen ist. SKStGB-Rudolphi1993, § 22 Rn 19a. Das heißt für Fall 21: M hat zu seinem Tatbeitrag, dem Hineinstoßen, unmittelbar angesetzt; das war zugleich das unmittelbare Ansetzen „nach allgemeinen Regeln“. – T hat zu seinem Tatbeitrag, dem Schießen, noch nicht unmittelbar angesetzt. – C hat seinen Tatbeitrag sogar schon komplett geleistet, hat also unmittelbar angesetzt; zusätzlich ist es auch (nämlich durch M) zum unmittelbaren Ansetzen „nach allgemeinen Regeln“ gekommen. In der Abwandlung hat C zwar seinen Tatbeitrag schon komplett geleistet, es fehlt aber noch das unmittelbare Ansetzen „nach allgemeinen Regeln“. Deshalb ist keiner wegen versuchten Totschlags strafbar. Stellungnahme: T stellte sich vor, dass erst M den O ins Bad drängen und dann T den O erschießen werde. Damit stellte T sich die gemeinschaftliche Begehung eines Totschlags vor. Wäre es zur Verwirklichung dieses Geschehens gekommen, würde dem T das Drängen des M zugerechnet. Solch ein Drängen ist nach allg. Ansicht ein unmittelbares Ansetzen zum Totschlag. Also hatte T eine Vorstellung, wonach ihm das unmittelbare Ansetzen des M zugerechnet wird wie sein eigenes Verhalten. Weil es im Fall 21 wie von T vorgestellt zum unmittelbaren Ansetzen des M gekommen ist, hat folglich auch T „nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt“ (§ 22). – Damit ist von den drei genannten Ansichten die erste vorzugswürdig. Vertiefung 1: Nicht stören darf man sich daran, dass Ts eigener Tatbeitrag noch in der Zukunft lag. Denn für die von § 22 zum Kriterium erhobene „Vorstellung von der Tat“ ist es vollkommen anerkannt, dass man auf die komplette Vorstellung blicken muss. Anderenfalls käme man immer zu unsinnigen Ergebnissen: Beim Alleintäter etwa ist das Heben der Waffe und das Zielen nur deshalb ein unmittelbares Ansetzen zum Totschlag, weil der Täter beim Heben und Zielen die Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 21 Vorstellung hat, gleich – also in der Zukunft! – abzudrücken; ohne Berücksichtigung dieser Zukunftsvorstellung könnte man das unmittelbare Ansetzen niemals bejahen. Vertiefung 2 (sehr speziell): Aber auch die erstgenannte Ansicht befriedigt nicht. Gemäß § 22 kommt es für einen Versuch darauf an, dass der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar ansetzt. Es kommt also für den Versuch – egal in welcher Täterschaftsform – niemals darauf an, was eine andere Person tatsächlich tut; es zählt immer nur, was der Täter sich vorstellt. Und die Vorstellung einer Person kann von der Realität abweichen. Das zeigt sich an der Abwandlung zu Fall 21, wenn man (was wir freilich nicht tun würden, s. Fall 16) die Mitwirkung des C im Vorbereitungsstadium als Tatbeitrag genügen lässt: C stellte sich beim Losschicken seiner Leute vor, dass sie ins Haus des O eindringen und ihn töten würden. Nach „seiner Vorstellung“ hat er also zur Verwirklichung des Totschlags angesetzt in dem Moment, den er beim Losschicken von T und M für den Tatzeitpunkt hielt, also am Tattag um 17 Uhr. bb) Rücktritt bei der Mittäterschaft (§ 24 II) Nach § 24 II 1 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Damit werden alle Fälle erfasst, die beim Alleintäter unter § 24 I 1 Alt. 1 und 2 fallen. Das dazu Gesagte gilt auch hier. Fall 22: T und M wollen als Mittäter eines Einbruchsdiebstahls den Safe öffnen. T liest von einem Zettel die Kombination ab und M stellt sie ein. Nach der zweiten Zahl besinnt sich T und geht mit dem Zettel davon. Auch M muss unverrichteter Dinge abziehen. Die einzige Besonderheit ist terminologischer Art, nämlich die, dass im Sinne des § 24 II 1 auch derjenige die Vollendung „verhindert“, der die weitere Ausführung der Tat schlicht aufgibt, so dass seine Mitbeteiligten die Tat nicht mehr erfolgreich abschließen; so z. B. T im Fall 22. Nach § 24 II 2 Alt. 1 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet wird. Das entspricht § 24 I 2. Das dazu Gesagte gilt auch hier. Fall 23: Wie Fall 22. Aber T und M wähnen nur, die richtige Kombination zu kennen. Tatsächlich sind die Zahlen falsch. T hat die Vollendung der Tat nicht verhindert, weil der Diebstahl auch bei vollständiger Nennung der vermeintlich richtigen Zahlenkombination nicht vollendet worden wäre. Ein Rücktritt nach § 24 II 1 scheidet also mangels Verursachung der Nichtvollendung aus. Angesichts der Vorstellung des T, die richtige Kombination zu kennen, hat er aber das zur Nichtvollendung Optimale geleistet. Sein schlichtes Aufhören war deshalb ein „ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern“. Weil T sich auch freiwillig bemühte und die Vollendung ohne sein Zutun ausblieb, ist ein Rücktritt nach § 24 II 2 Alt. 1 zu bejahen. Nach § 24 II 2 Alt. 2 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird. Hierzu gibt es im Abs. 1 kein Pendant. Fall 24: Wie Fall 23. Aber nachdem T die Nennung der weiteren Zahlen verweigert hat und gegangen ist, beschließt M, auf gut Glück eine völlig neue Kombination einzustellen. Das Unwahrscheinliche geschieht: Die Kombination stimmt. M öffnet den Tresor, nimmt die Juwelen an sich und macht sich davon. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 22 Man könnte schon bezweifeln, ob die geschehene Tat wirklich noch diejenige ist, die T gemeinsam mit M und dem Zahlenzettel versucht hat; man könnte sie auch als eine andere, neue Tat allein des M ansehen. Aber auch wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass die von T und M gemeinsam versuchte Tat durch Ms Weiterhandeln doch noch begangen worden ist, dann ist sie jedenfalls unabhängig von Ts früheren Tatbeitrag (Nennung zweier falscher Zahlen) begangen worden. Auch hat sich T freiwillig und ernsthaft um die Nichtvollendung bemüht, ist also zurückgetreten. II. Teilnahme Aufbauempfehlung: I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Die vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat eines anderen (sog. Haupttat) b) Bei § 26: Das Bestimmen Bei § 27: Das Hilfeleisten 2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Strafzumessung (§§ 26, 27 II 2; ggf. § 28) 1. Anstiftung (§ 26) a) Objektiver Tatbestand aa) Die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ eines anderen (sog. Haupttat) Beachten Sie § 11 I Nr. 5! Fall 25: Nachdem M Bankrott gegangen ist, treibt ihn seine Frau F in den Selbstmord, um in den Genuss seiner Lebensversicherung zu kommen. M hat sich selber getötet; das erfüllt weder den Tatbestand des § 212 noch den irgendeiner anderen Verbotsnorm. Damit war Ms Verhalten keine „rechtswidrige Tat“ und F kann nicht als Anstifterin bestraft werden. – Aber je nach den (nicht geschilderten) näheren Umständen kommt ein Totschlag in mittelbarer Täterschaft in Betracht. Fall 26: Autofahrer A und sein Beifahrer B haben es eilig. Als A vor einer rot werdenden Ampel bremst, ruft B: „Komm egal; gib Schub, Rakete!“ Daraufhin gibt A Vollgas und fährt sehenden Auges bei Rotlicht über die menschenleere Kreuzung. A hat zwar eine rechtswidrige Tat im üblichen Sprachsinne begangen, nämlich eine Ordnungswidrigkeit. Das genügt aber nicht für § 26. Dort wird eine „rechtswidrige Tat“ im speziellen Sinne des § 11 I Nr. 5 verlangt, nämlich eine rechtswidrige straftatbestandliche Tat. Daran fehlt es hier. Fall 27: Frau F ist der Kastanienbaum im Garten ihrer Nachbarn N ein Dorn im Auge, weil er Schatten auf ihre Terrasse wirft. Als die Eheleute N im Urlaub sind, bedrängt F ihren Mann M, in den Nachbargarten zu gehen und dort die störenden Äste abzusägen. M gehorcht, ohne F zu sagen, dass die Eheleute N ihm das vor ihrer Abreise ausdrücklich erlaubt haben. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 23 M hat nicht den Tatbestand des Hausfriedensbruches (§ 123 I Alt. 1) verwirklicht; denn er hat zwar das befriedete Besitztum der Eheleute N betreten, aber nicht gegen deren Willen, ist also nicht „eingedrungen“ (sog. „tatbestandsausschließendes Einverständnis“). Den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303) hingegen hat M – jedenfalls nach h. A. – sehr wohl erfüllt, handelte aber wegen der Einwilligung der Eheleute N gerechtfertigt (sog. „rechtfertigende Einwilligung“). Mangels Rechtswidrigkeit der Tat scheidet also eine Strafbarkeit der F wegen Anstiftung aus. Fall 28: Beim Hinausfahren aus einer Parkbucht beschädigt Autofahrer A ein anderes Fahrzeug. Beifahrer B bewegt ihn zur Weiterfahrt durch die Täuschung, es sei nichts passiert. A hat eine „rechtswidrige Tat“ i. S. der §§ 26, 11 I Nr. 5 begangen, nämlich ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 I). Er hat aber nicht vorsätzlich gehandelt, so dass B nicht wegen Anstiftung strafbar ist. – Eine Strafbarkeit des B wegen mittelbarer Täterschaft hängt insb. davon ab, ob er das Tätermerkmal „Unfallbeteiligter“ (definiert in § 142 V) erfüllt hat; hierzu fehlen im Fall nähere Angaben. Fall 29: Der Skinhead S fordert seinen Kumpel K auf, den schlafenden Obdachlosen O mit dem Stiefel ins Gesicht zu treten. K tut das, und zwar so heftig, dass O an den Verletzungen stirbt. a) An diese Folge hatte K nicht gedacht, wohl aber S. b) An diese Folge hatte keiner der beiden gedacht. Lesen Sie §§ 11 II, 18! K hat eine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227) begangen, denn er hat den O vorsätzlich verletzt (§§ 223, 224) und dadurch fahrlässig dessen Tod verursacht (§ 18). K hat den Tod des O zwar nur fahrlässig verursacht. Er hat aber dennoch die Straftat der „Körperverletzung mit Todesfolge“ im Sinne des § 26 „vorsätzlich begangen“; das bestimmt § 11 II. Dazu hat S ihn bestimmt. In Var. a liegt auch der von § 26 verlangte Vorsatz des S vor. In Var. b hat S zwar im Hinblick auf die Todesfolge ohne Vorsatz gehandelt. Das ist aber für eine Bestrafung aus §§ 227, 26 nicht nötig. Denn § 18 besagt ausdrücklich, dass auch der Teilnehmer schon bei bloßer Fahrlässigkeit für die besondere Folge haftet. Fall 30: B bedrängt den volltrunkenen A, noch mit dem Auto zu fahren. A erkennt zwar seinen desolaten Zustand, setzt sich aber ans Steuer und fährt los. A hat vorsätzlich eine „rechtswidrige Tat“ i. S. der §§ 26, 11 I Nr. 5 begangen, nämlich eine Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 I. Er handelte wegen der Volltrunkenheit zwar höchstwahrscheinlich gemäß § 20 im Zustand der Schuldunfähigkeit; aber das spielt für die Strafbarkeit des B wegen Anstiftung keine Rolle. – In einem Gutachten wäre vor Bs Strafbarkeit aus §§ 316 I, 26 eine Strafbarkeit aus § 316 I in mittelbarer Täterschaft zu erwägen. Sie wäre aber mit der h. L. zu Recht zu verneinen, weil B selber kein „Fahrzeug geführt“ hat (§ 316 als sog. „eigenhändiges Delikt“). Fall 31: Im Fall 22 nimmt M nur irrtümlich an, die Nachbarn hätten ihm das Betreten des Gartens und das Absägen der Äste erlaubt. M hat eine rechtswidrige Tat begangen, nämlich zunächst einmal einen Hausfriedensbruch (§ 123 I Alt. 1). Insoweit fehlte ihm aber der Vorsatz, denn er kannte nicht den Umstand, dass er Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 24 gegen den Willen der Hausrechtsinhaber in deren Garten ging. Also scheidet eine Strafbarkeit der F aus §§ 123 I Alt. 1, 26 aus. Schwieriger liegen die Dinge bei §§ 303, 26: Sieht man mit der h. L. eine Einwilligung als Rechtfertigungsgrund an, dann hat M vorsätzlich den Tatbestand des § 303 verwirklicht. Ob das eine „rechtswidrige“ Tat war, hängt davon ab, wie man den Erlaubnisumstandsirrtum des M sich auswirken lässt. Steht man auf dem Standpunkt, dieser Irrtum des M lasse die Rechtswidrigkeit entfallen, scheidet eine Strafbarkeit der F wegen Anstiftung aus; lässt man den Irrtum des M erst schuldausschließend wirken, so liegt eine vorsätzliche rechtswidrige Tat des M vor und F ist wegen Anstiftung strafbar. Richtig ist die erstgenannte Lösung. Fall 32: Der masochistische M bewegt die Prostituierte P durch reichen Lohn, ihn mit der Peitsche schlimm zu quälen und zu verletzen. P ist strafbar wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 I Nr. 2), denn die Einwilligung des M war gemäß § 228 unwirksam. M hat die P zu dieser Tat bestimmt. Dennoch ist man sich darüber einig, dass M nicht wegen Anstiftung strafbar ist. Die Begründung dafür lautet: Unser Strafrecht ist ein Strafrecht zum Rechtsgüterschutz. Ein Teilnehmer (Anstifter und Gehilfe) wird aus demselben Grund wie ein Täter bestraft, nämlich weil er ein fremdes Rechtsgut verletzt (oder gefährdet). Daran aber fehlt es bei demjenigen, der zur Verletzung eines eigenen Rechtsgutes auffordert. Also muss man über den Gesetzeswortlaut hinaus eine weitere Strafbarkeitsvoraussetzung aufstellen: Die Haupttat muss gegen ein für den Anstifter fremdes Rechtsgut gerichtet sein. Konstellationen wie hier in Fall 32 laufen unter dem wenig hilfreichen Stichwort „notwendige Teilnahme“. Bei Licht besehen folgt die Straflosigkeit des M aus den allgemeinen Grundsätzen. Wie jedes Handlungsmerkmal muss auch das „Bestimmen“ eine strafrechtlich missbiligte Gefahr schaffen, die sich im Anstiftungserfolg (der Tathandlung des Haupttäters) verwirklicht. Sich selbst zu gefährden ist aber rechtlich nicht missbilligt (näher zum Ganzen Herzberg, JuS 1987, 617 ff.) bb) Das Bestimmen Merke: Bestimmen ist das Hervorrufen des Tatentschlusses. Ergänzend: 1. Umständlich sagt man auch, der Haupttäter müsse gerade durch die Anstifterhandlung zum „omnimodo facturus“ (das bedeutet: der fest zur Tat Entschlossene) werden. – 2. Wenn die Rspr. betont, ein Bestimmen erfordere „ein Hervorrufen des Tatentschlusses beim Täter und zugleich die Unterordnung unter dessen Willensentschluss“ (BGHSt 9, 370, 379 f.), so ist der zweite Teil des Zitates aus der Animus-Theorie geboren, wonach Täterschaft und Teilnahme nach dem Täterwillen zu unterscheiden seien. Wer nicht die Animus-Theorie der Rspr., sondern die Tatherrschaftslehre der h. L. bevorzugt, braucht diesen Zusatz nicht. (1) Unproblematische Fälle Prototypen des Bestimmens schildern beispielsweise Fall 26, Fall 27 und Fall 30. Auch noch unproblematisch ist ... Fall 33: Der Industrielle I will den Journalisten J beseitigen lassen, weil dieser Is illegalen Waffengeschäften auf die Spur gekommen ist, und sucht nach jemandem, der die Tat für ihn ausführt. Berufskiller K hört davon und beschließt, die Tat zu begehen, falls I ihm Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 25 dafür 10.000 € zahle. Als er I ein entsprechendes Angebot macht, sagt I zu. Daraufhin tötet K den J mittels einer Autobombe. Die Tötung des J ist eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat des K. Zu ihr wurde er von I bestimmt. K hatte die Tat zwar schon erwogen (vielleicht sogar schon geplant oder sogar vorbereitet); aber er hatte noch keinen wirklichen Tatentschluss, alles hing von der Bereitschaft des I zur Zahlung ab. Also hat I den K zur Tat bestimmt. „Kettenanstiftung“ Fall 34: K wünscht den Tod des O. Er fordert A auf, den T mit Os Tötung zu beauftragen. Alles geht glatt: A beauftragt T, T tötet O. Kettenanstiftung nennt man die Anstiftung eines anderen zur Anstiftung eines Dritten zur Haupttat (die Kette kann auch noch mehr Personen enthalten). Nach h. A. ist die Kettenanstiftung „mittelbare Anstiftung zur Haupttat“ (BGHSt 6, 359, 361; Lackner/Kühl23, § 26 Rn 8; Wessels/Beulke, AT30, Rn 570); danach wäre K zu bestrafen aus §§ 212, 26 (vielleicht §§ 211, 26). Vertiefung: Die h. L. ist mit Händen zu greifen ungenau: Die Haupttat, zu der der K den A angestiftet hat, ist dessen Anstiftung zum Totschlag; also ist K strafbar gemäß §§ 212 (vielleicht § 211), 26, 26. Das Gesetz selber unterscheidet zwischen der Anstiftung zur Tatbegehung und der Anstiftung zur Anstiftung, wie § 30 I 1 beweist. – Diese richtige Strafbarkeitsbegründung wird in BGHSt 6, 359, 361 auch vollkommen korrekt nachgezeichnet. Nur verwässert der BGH dort die gewonnene Klarheit mit dem sich anschließenden Satz: „Da der Anstifter zur Anstiftung ... nach dem Gesetz zu bestrafen ist, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er ... angestiftet hat, so kann man die Anstiftung zur Anstiftung mit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum auch als mittelbare Anstiftung zur Haupttat auffassen“ (Hervorhebung von uns). (2) Problematische Fälle (Auswahl) „Situative Anstiftung“ Für das im obigen Merksatz genannte Hervorrufen des Tatentschlusses ist Mindestvoraussetzung, dass das Verhalten des Anstifters für die Entstehung des Tatentschlusses kausal ist. Das ist aber nur die unstreitige Mindestanforderung. Umstritten ist, ob für ein Bestimmen noch mehr erforderlich ist als bloße Verursachung. Fall 35: Der verschrobene O geht mit seinen 10-jährigen Neffen N in die Spielwarenabteilung eines Kaufhauses und lässt ihn dort für einige Minuten allein, weil er weiß, dass N dann der Versuchung erliegen wird, einigen Puppen den Kopf abzureißen. Es kommt, wie von O geplant. Reicht für das Bestimmen das Schaffen einer tatanreizenden Situation? 1. A.: Für das Bestimmen genügt jede Art und Weise der Beeinflussung So ausdrücklich Baumann/Weber/Mitsch, AT10, § 30 Rn 63; Lackner/Kühl23, § 26 Rn 2; in der Sache auch Herzberg, JuS 1987, 617, 620 l. Sp. u., 621 r. Sp. u.; vielleicht auch BGHSt 2, 279, 282: „Anstiftung ... begeht ..., wer durch sein Verhalten bewirkt, dass ...“ der andere sich zur Haupttat entschließt). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 26 Teilweise wird betont, dass neben der Kausalität auch die objektive Zurechnung gegeben sein muss (z. B. Herzberg, JuS 1987, 617, 620 f.). 2. A.: Für das Bestimmen ist eine kommunikative Beeinflussung erforderlich, d. h. eine mindestens konkludente Aufforderung zur Tat In der Lit. wohl überwiegend; s. nur S/S-Cramer/Heine26, § 26 Rn 4; Wessels/Beulke, AT30, Rn 568. 3. A.: Für das Bestimmen ist ein gemeinsamer Tatentschluss (ein Unrechtspakt) zwischen Anstifter und Haupttäter erforderlich (SKStGB-Hoyer2000, § 26 Rn 12; Puppe, GA 1984, 101 ff., insb. 112 f.). Im Fall 35 wäre nach der 1. Ansicht ein Bestimmen zu bejahen, nach den anderen Ansichten wäre es zu verneinen. Wir halten die erste Ansicht für zutreffend. Der heutige Wortlaut des § 26 lässt jede Form des Bestimmens genügen. Nicht einleuchten will uns die Begründung der 2. und auch 3. Ansicht, erst ihr jeweiliges Kriterium legitimiere die tätergleiche Bestrafung des Anstifters, die voraussetze, dass der Anstifter selber das Rechtsgut mittelbar angreife (so etwa S/S-Cramer/Heine26, ebd.). Denn dieser mittelbare Rechtsgutsangriff hat mit der Art und Weise der Bestimmung gar nichts zu tun. Das zeigt deutlich Fall 35, wo trotz bloß situativer Anstiftung eindeutig der O das Rechtsgut mittelbar angreift (er ist ja sogar – wegen Einsatz eines schuldlosen Werkzeugs – zugleich mittelbarer Täter). Auch das Argument der 3. Ansicht, wenn schon bei Mittäterschaft ein gemeinsamer Tatentschluss nötig sei, müsse dies für die Anstiftung erst recht gelten (SKStGB-Hoyer ebd.), überzeugt nicht. Es genügt für die tätergleiche Bestrafung der Befund, dass der Anstifter der Urheber der Tat ist. An das Bestimmen sind also u.E. keine besonderen Anforderungen zu stellen. Aber natürlich gelten für das Bestimmen alle allgemeinen Anforderungen an eine Tathandlung, also neben denen der Kausalität insb. die der objektiven Zurechnung. Vertiefung 1: In den Fällen der kommunikativen Beeinflussung (vgl. Fall 30 und Fall 33) ist die unerlaubte Gefahrschaffung (fast) immer zu bejahen (vgl. aber Fall 37!), und das aus folgendem Grund: Die Haupttat selber ist eine unerlaubte Gefahrschaffung, also salopp gesagt etwas Schlechtes. Wer einen anderen zu dessen Haupttat auffordert, beabsichtigt also etwas Schlechtes. Dieser Unwert, der im Auffordern liegt, wird auch nicht aufgewogen durch irgendeinen Wert; denn der Wert könnte nur in der Haupttat zu finden sein, aber dort ist er eben nicht zu finden, weil die Haupttat ja eine unerlaubte Gefahrschaffung ist. Vertiefung 2: In den Fällen der situativen Anstiftung gewinnt die Frage nach der Unerlaubtheit der Gefahrschaffung aber an Bedeutung. In Fall 35 ist sie zwar zu bejahen. Aber sobald man derartige Fälle in den Bereich des bloßen Eventualvorsatzes verschiebt, wird deutlich, dass das Verhalten der situativen Anstiftung rechtlich als erlaubt zu bewerten sein kann, so etwa wenn man Fall 35 dahin abwandelt, dass O nur von den gelegentlichen Neigungen des N weiß, mit ihm zu Einkaufszwecken in der Spielwarenabteilung ist, dringend zur Toilette muss und nun den N mit Eventualvorsatz zwischen den Regalreihen stehen lässt. „Aufstiftung“ = „Hochstiftung“ Fall 36: R will einen Raub begehen. A empfiehlt ihm, für alle Fälle eine schussbereite Pistole mitzunehmen. R befolgt den Rat. R hat einen schweren Raub begangen (§ 250 I Nr. 1 Buchst. a). Nach h. A. ist A strafbar wegen Anstiftung zum schweren Raub (§§ 250 I Nr. 1 Buchst. a, 26), denn er hat ja in der Tat den R zu Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 27 dieser rechtswidrigen Tat, nämlich dem schweren Raub bestimmt (BGHSt 19, 339, 340 f.; Wessels/Beulke, AT30, Rn 571). Nach der Gegenansicht scheidet Anstiftung zum schweren Raub aus, weil schon keine Anstiftung zum darin logisch zwingend enthaltenen einfachen Raub vorlag (S/S-Cramer/Heine26, § 26 Rn 8). Das überzeugt uns nicht: § 26 fragt danach, ob der Anstifter den Täter zu einer bestimmten rechtswidrigen Tat angestiftet hat. Ob der Täter schon zu anderem oder Geringerem entschlossen war, spielt nach dem Wortlaut keine Rolle. Wir sehen auch keinen Grund, den Wortlaut einzuschränken. Wie unpassend eine solche Einschränkung wäre, wird ganz deutlich etwa in dem Fall, dass T zu einer Körperverletzung entschlossen ist und A ihm nun zur Tötung des Opfers rät. Dann würden auch die Vertreter der Gegenansicht wohl nicht mehr argumentieren wollen, eine Anstiftung zum Totschlag scheide aus, weil schon keine Anstiftung zur darin logisch zwingend enthaltenen Körperverletzung vorlag. – Zum subjektiven Anstiftungstatbestand s. noch unten Fall 40. b) Subjektiver Tatbestand aa) Der Vorsatz des Anstifters (1) Geschriebene Voraussetzungen Gemäß § 16 I 1 muss sich der Vorsatz des Anstifters auf alle objektiven Umstände der Anstiftung (§ 26) erstrecken. Der Anstifter muss also Vorsatz haben erstens hinsichtlich der vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat (= Haupttat) und zweitens hinsichtlich seines Bestimmens. Zur Terminologie: Das nennt man häufig den „doppelten Anstiftervorsatz“ (z. B. SKStGBHoyer2000, § 26 Rn 30; Lackner/Kühl23, § 26 Rn 4). Probleme bereitet dabei am ehesten der auf die Haupttat bezogene Vorsatz. Nach h. A. muss der Vorsatz des Anstifters sich auf eine bestimmte Straftat beziehen. Der BGH sagt dazu: „Der Vorsatz des Anstifters muss sich auf eine bestimmte Haupttat beziehen. Welche Anforderungen dabei an die Bestimmtheit zu stellen sind, ist in Schrifttum und Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Übereinstimmung herrscht darüber, dass es nicht ausreicht, wenn der Wille des Anstifters nur darauf gerichtet ist, den Täter ohne weitere Konkretisierung überhaupt zu strafbaren Handlungen oder zu Straftaten einer lediglich dem gesetzlichen Tatbestand nach beschriebenen Art (z. B. Diebstählen) zu veranlassen ... An der Bestimmtheit der Tat fehlt es aber auch dann, wenn diese nur nach der Gattung der in Betracht kommenden Tatobjekte umrissen ist ... Der Vorsatz des Anstifters muss sich auf die Ausführung einer zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten Tat beziehen ... Da der Anstifter für die Tat des Angestifteten ebenso wie dieser selbst einstehen muss, ist zu verlangen, dass die Tat nicht nur nach Tatbestandstypus und allgemeinen Gattungsmerkmalen des Tatobjekts festgelegt ist, sondern in der Vorstellung des Anstifters in ihrem tatsächlichen, freilich noch nicht bis »ins Detail« ausgeführten Bild als wenigstens umrisshaft individualisiertes Geschehen erscheint.“ Zitat aus BGHSt 34, 63, 64–66; s. noch S/S-Cramer/Heine26, § 26 Rn 17; Tröndle/Fischer50, § 26 Rn 6; Wessels/Beulke, AT30, Rn 572. Vertiefung: Ein geringeres Maß an Bestimmtheit verlangen bspw. Kretschmer, NStZ 1998, 401, 402; LK-Roxin11, § 26 Rn 46 ff. Teilweise wird auch gesagt, der Vorsatz des Anstifters müsse sich auf keine bestimmte Straftat beziehen; er müsse nicht konkreter sein als der normale Tätervorsatz auch (Herzberg, JuS 1987, 617 ff.). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 28 Fall 37: (nach BGHSt 34, 63 ff.) T möchte ins Ausland fliehen und klagt dem A, dass er kein Geld habe. Daraufhin sagt A: „Dann müsstest du eine Bank oder Tankstelle machen.“ Dann nimmt das Gespräch eine andere Richtung. Zwei Tage später überfällt T mit gezogenem Revolver eine Bank. T hat (nach h. A.) einen schweren Raub (§ 250 II Nr. 1) begangen. A hat ihn nach h. A. nicht vorsätzlich zu dieser Tat angestiftet, weil die Tat in der Vorstellung des A nicht hinreichend bestimmt war. Vertiefung: Richtigerweise ist zunächst im objektiven Anstiftungstatbestand genauer untersuchen, ob A den schweren Raub nicht nur verursacht hat, sondern ob er ihn auch objektiv zurechenbar verursacht hat (vgl. oben bei Fall 35). Das ist bei einer solchen Allerweltsbemerkung, die dem T ohnehin nicht mehr verrät, als er eh schon weiß, wohl zu verneinen. Zur Frage des Anstiftervorsatzes kommt man dann gar nicht. Würde man aber den objektiven Anstiftungstatbestand bejahen, hat man auch den dazu passenden Vorsatz anzunehmen. Fall 38: A beauftragt den T, auf offener Straße den O zu erschießen, und beschreibt ihm dessen Aussehen. Als T dem O auflauert, kommt U des Weges. T hält U für O und erschießt ihn. T hat einen Menschen getötet. Er kannte auch alle Umstände, die zum Tatbestand des § 212 gehören, und hat daher gemäß § 16 I 1 vorsätzlich gehandelt (sog. unbeachtlicher error in obiecto). T ist also wegen Totschlags (§ 212) strafbar. Hat sich A einer Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht? Er hat die Haupttat des T verursacht. „Bestimmt“ hat er ihn aber nur, wenn sein Verhalten unerlaubt riskant war mit Blick auf die Tötung gerade des U (objektive Zurechnung). Dafür kommt es darauf an, wie wahrscheinlich es war, dass T statt des O den U tötet. Bejaht man die objektive Zurechnung, bereitet der Anstiftungsvorsatz ein Problem. Es wird meist in die Frage gekleidet, ob der „error in obiecto“ des Täters, der für diesen unbeachtlich ist, auch für den Anstifter unbeachtlich ist oder aber für ihn eine beachtliche „aberratio ictus“ darstellt. Mit dieser Fragestellung anzusetzen ist zwar weit verbreitet, aber gesetzesfern. Besser ist es, gesetzesnah mit § 16 I 1 danach zu fragen, ob A alle Umstände gekannt hat, die zum Tatbestand der objektiv verwirklichten Anstiftung zum Totschlag gehören. In der Sache muss man zwei Meinungslager unterscheiden: Eine stark vertretene Ansicht würde für A argumentieren, er habe bei seiner Bitte an T den Umstand verkannt, dass gerade der U getötet werden würde, also ohne Vorsatz gehandelt (vgl. SKStGB-Samson1993, vor § 26 Rn 55; LK-Roxin11, § 26 Rn 90 ff.; Kühl, AT3, § 20 Rn 209). Diese Ansicht sieht also im Dazwischentreten eines eigenverantwortlichen Haupttäters keine Besonderheit gegenüber den üblichen, schlichteren Fällen der „aberratio ictus“. Vertiefung: Bedenken Sie aber, dass es zur rechtlichen Behandlung der „aberratio ictus“ auch eine Gegenmeinung gibt, wonach der Vorsatz zu bejahen ist. Die (wohl noch herrschende) Gegenposition greift auf die Regeln für den „Irrtum über den Kausalverlauf” zurück und argumentiert: „Die Regeln für das Fehlgehen des Angriffs (»aberratio ictus«) finden bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden keine Anwendung. Sie sind – als Sonderfall der Kausalabweichung – für Geschehensabläufe entwickelt worden, in denen der Täter das Angriffsobjekt vor sich sieht, an seiner Stelle aber ein anderes Objekt verletzt ... Die Übertragung dieser Regeln auf andere Sachverhalte bereitet Schwierigkeiten ... und ist auch Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 29 nicht erforderlich. Die Kategorie der Zurechnung der Abweichungen vom vorgestellten Verlauf des Geschehens innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren ... reicht aus“ (BGHSt 37, 214, 219; s. auch BGH, NStZ 1998, 294, 295; S/S-Cramer/Heine26, § 26 Rn 23). Diese Meinung würde den Angriff auf U also als bloße Kausalabweichung ansehen und als solche für unbeachtlich halten, weil Verwechslungen dieser Art sich „innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren“ bewegen. Stellungnahme: Die erstgenannte Ansicht verdient den Vorzug: Die vom BGH erwähnten „Regeln für das Fehlgehen des Angriffs (»aberratio ictus«)“ sind letztlich diejenigen Regeln, die § 16 mit der Autorität des Gesetzgebers vorgibt. Sie sind allgemein gültig. Deshalb darf man sie nicht mit der Begründung missachten, sie bereiteten „Schwierigkeiten“ oder sie seien „nicht erforderlich“. Ein Rechtsanwender darf sich nicht von den gesetzlich vorgegebenen Regeln lösen, bloß weil er glaubt, er habe praktikablere oder andere, vielleicht sogar bessere Regeln. (2) Ungeschriebene Voraussetzungen (Stichwort „Lockspitzel“ = „agent provocateur“) Fall 39: T und A gehen nachts durch die Stadt. T will Zigaretten, hat aber kein Geld mehr. A zeigt auf den Passanten O, der gerade vor einem Zigarettenautomaten steht und das Münzgeld schon in der Hand hat, und sagt: „Nimm es dir doch von ihm da!“ T gefällt die Idee. Er stellt sich dem O in den Weg, sagt: „Ich brauch’ mal eben das Geld.“ und ergreift Os Hand, um ihm das Geld zu entwinden. Aber O schlägt ihn mit gekonnten Kampfsportschlägen nieder und geht gemächlich davon. a) A fühlt sich von dem unerwarteten Geschehen genauso niedergeschlagen wie T. b) A hat das genau so kommen sehen, weil er den O und dessen Kampfkünste kannte. Abwandlung: T geht zu As Überraschung mit einem gezogenen Messer auf O los, wird aber wie im Grundfall von O besiegt. T hat sich im Grundfall eines versuchten Raubes strafbar gemacht (§§ 249, 22, 23 I, 12 I), denn er wollte dem O mit Gewalt dessen Geldmünzen wegnehmen und hat spätestens mit dem Zugreifen unmittelbar dazu angesetzt. Zur Var. a: A hat den T vorsätzlich zu dessen Raubversuch bestimmt und damit alle geschriebenen Voraussetzungen des § 26 verwirklicht. Die einzige Besonderheit gegenüber den typischen Fällen einer Anstiftung ist die, dass die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ des T hier keine Vollendungstat (§ 249) war, sondern eine bloße Versuchstat (§§ 249, 22). A ist deshalb strafbar wegen Anstiftung zum Raubversuch (§§ 249, 22, 26). – Zum subjektiven Anstiftungstatbestand s. noch unten Fall 40. Vertiefung: §§ 26, 27 setzen eine „rechtswidrige Tat“ voraus. Das ist gemäß § 11 I Nr. 5 nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht. Der bloße Versuch beispielsweise des Raubes im Fall 39 verwirklicht allerdings nicht den Tatbestand des § 249. Aber er verwirklicht den Versuchstatbestand, der in §§ 249, 22, 23 I beschrieben ist: §§ 249, 22 sagen, was ein Raubversuch ist, und § 23 I bestimmt, dass dieser Raubversuch als Verbrechensversuch (§ 12 I, II) ein strafbares Tun ist. – Zum Vergleich: Der Versuch einer Beleidigung (§§ 185, 22) ist nicht strafbar und also wegen § 11 I Nr. 5 auch keine „rechtswidrige Tat“ i. S. der §§ 26, 27. Zum bloßen Versuch einer Beleidigung anzustiften ist also straflos. Auch in der Var. b wäre A, § 26 beim Wort genommen, wegen Anstiftung zum Raubversuch zu bestrafen. Denn er hat den T ja vorsätzlich zu dessen Raubversuch bestimmt. § 26 ist in seiner Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 30 Anlehnung an den „Haupttatbestand“ (hier §§ 249, 22) unselbstständig („akzessorisch“): Er verlangt nur, dass der eine die tatbestandsmäßig-rechtswidrige Haupttat vorsätzlich begeht und dass der andere ihn dazu vorsätzlich bestimmt hat. Demnach wäre es ohne Bedeutung, dass A für seine Person den für T zu fordernden Vollendungsvorsatz nicht hat. Das befremdet. Denn wenn A die aussichtslose Tat in die eigene Hand genommen, also selber auf O eingedrungen wäre, bliebe er ja straflos, weil er, der Os Unüberwindbarkeit kannte, nicht die Vorstellung gehabt hätte, § 249 zu vollenden. Vertiefung 1: Für den Anstifter auf den Vollendungsvorsatz zu verzichten hätte freilich Sinn, wenn der Strafgrund der Anstiftung darin läge, dass der Anstifter den Täter in strafrechtliche Schuld führt. Aber diese Erklärung, die sog. Schuldteilnahmetheorie, ist schon deshalb unhaltbar, weil §§ 26, 27 (vgl. auch § 29) eine schuldhaft begangene Haupttat gerade nicht verlangen. Ist somit der Strafgrund für Täter und Teilnehmer gleich, dann ist die für A so ungünstige „akzessorische“ Lösung nicht einleuchtend. Vertiefung 2 (sehr speziell): Man kann auch erwägen, § 28 I anzuwenden. Denn dass der Täter Vollendungsvorsatz hat, ist eine persönliche, für den Täter individuell festzustellende Voraussetzung, die seine Strafbarkeit begründet und somit § 28 I an sich subsumiert werden könnte. Indes wäre dann die akzessorische Lösung im Prinzip beibehalten und nur in ihrer Auswirkung abgeschwächt (bloße Strafmilderung bei A). Außerdem hatte der Gesetzgeber bei § 28 I allein solche Merkmale im Auge, in denen sich eine Sonderpflicht ausdrückt; Beispiel: A besticht Richter T und bewegt ihn zu einer Rechtsbeugung (§ 336). Um derartige Fälle ging es bei Einführung des § 28 I. An seine Anwendung auf A im Fall 39 war nicht gedacht. Nach nahezu allgemeiner Ansicht soll der Anstifter so stehen, wie er als Täter stünde. Weil er als Täter mangels Vollendungsvorsatzes straflos wäre, soll er es als Anstifter aus demselben Grund sein. Man verlangt also für eine Bestrafung aus § 26 als ungeschriebenes Merkmal Vollendungsvorsatz des Anstifters (Kühl, AT3, § 20 Rn 201 ff.; LK-Roxin11, § 26 Rn 67 ff.). Empfehlung zum Aufbau: Prüfen Sie das ungeschriebene Merkmal des Vollendungsvorsatzes erst am Ende des subjektiven Tatbestandes in § 26. Denn die Strafbarkeit kann ja schon an einem geschriebenen Merkmal scheitern. So ist es z. B. bei der Frage, ob A den T in der Abwandlung von Fall 39 zum Versuch eines schweren Raubes angestiftet hat: Objektiv hat er ihn zur tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Tat (§§ 250 II Nr. 1, 22) bestimmt, aber er tat es laut Sachverhalt nicht vorsätzlich. bb) Sonstige subjektive Merkmale? Fall 40: T klagt dem A seine Armut. Der gleichgültige A rät ihm, er solle doch dem O vorspiegeln, dass der dem T noch 300 € schulde, und das Geld einfordern. T macht das, O fällt drauf rein. T hat einen Betrug (§ 263) begangen; insbesondere hatte er die dort vorausgesetzte Bereicherungsabsicht. Zu dieser vorsätzlichen rechtswidrigen Tat hat A den T objektiv bestimmt. A hat auch vorsätzlich gehandelt. A selber hatte zwar keine Bereicherungsabsicht (auch nicht in Form der Drittbereicherungsabsicht), aber das wird für den Anstifter auch nicht verlangt. Also ist A strafbar gemäß §§ 263, 26. – Ob für ihn eine Strafmilderung nach § 28 I in Betracht kommt, ist streitig; die h. L. verneint das (z. B. Stratenwerth, AT4, § 12 Rn 196 f.; vgl. auch BGHSt 22, 375, 380 zur entsprechenden Zueignungsabsicht in § 242; anders aber SKStGB-Samson1993, § 28 Rn 20). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 31 c) Rechtswidrigkeit und Schuld Keine Besonderheiten. Lesen Sie § 29! d) Die Rechtsfolge Der Anstifter wird „gleich einem Täter“ bestraft. Beachten Sie aber § 28! 2. Beihilfe (§ 27) a) Objektiver Tatbestand aa) Die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ eines anderen (sog. Haupttat) Hierzu ist schon alles bei der Anstiftung gesagt worden (s. ab Fall 25). Machen Sie sich noch einmal klar, dass „Haupttat“ i. S. der §§ 26, 27 auch eine Anstiftung sein kann (oben Fall 34 und hier Fall 41) und auch eine Beihilfe. Fall 41: Analphabet A will den O tot sehen und den Killer K beauftragen. F, die Freundin des A, sucht ihm auf seine Bitte hin aus dem Internet die Telefonnummer des K und nennt sie ihm. A beauftragt K, K führt die Tat aus. K hat (mindestens) einen Totschlag (§ 212) begangen, A eine Anstiftung dazu (§§ 212, 26). F ist – genau genommen! – wegen „Beihilfe zur Anstiftung zum Totschlag (§§ 212, 26, 27)“ strafbar (so auch S/S-Cramer/Heine26, § 27 Rn 18); die ganz h. L. verkürzt das aber ungenau zu einer Strafbarkeit wegen „Beihilfe zum Totschlag (§§ 212, 27)“; s. z. B. BGH, NStZ 1996, 562 (563); NStZ 2000, 421 (422); Kühl, AT3, § 20 Rn 242a; Wessels/Beulke, AT30, Rn 583. Vertiefung: Bei der Beihilfe ist natürlich in der Tat denkbar, dass ein Gehilfe des Anstifters mit seinem Beitrag zugleich zur Haupttat Hilfe leistet; Beispiel: Der Anstiftergehilfe nennt dem Anstifter die genauen Umstände am Tatort, erst mit deren Mitteilung kann der Anstifter den Täter zur Tat bewegen. – Obwohl es nach der h. L. für den Schuldspruch letztlich nicht darauf ankommt, ob der Gehilfe wirklich zur Haupttat Hilfe leistet oder nur zur Anstiftung, betont auch BGH, NStZ 2000, 421 (422), dass es diesen Unterschied gibt und dass es insoweit genauer Auswertung des Sachverhaltes bedarf. bb) Das Hilfeleisten (1) Die Art und Weise des Hilfeleistens Zur Frage, was ein Hilfeleisten sei, werden üblicherweise zwei Hauptmeinungslager genannt: 1. A.: Hilfeleisten ist jeder Tatbeitrag, der für die Tatbestandsverwirklichung ursächlich ist. So die h. Lit.; etwa S/S-Cramer/Heine26, § 27 Rn 10; Kühl, AT3, § 20 Rn 214 ff., insb. 220. Dieser ursächliche Beitrag, so heißt es meist, könne die Haupttat ermöglichen, erleichtern, intensivieren oder absichern. Gelegentlich wird zu Recht betont, dass auch hier neben der Kausalität die Voraussetzungen der objektiven Zurechnung erfüllt sein müssen (z. B. Kühl, AT3, § 20 Rn 221.) 2. A.: Hilfeleisten ist jeder Tatbeitrag, der die Tatbestandsverwirklichung irgendwie fördert. So die Rspr. und Teile der Lit.; etwa BGH, NStZ 1995, 27 (28); Wessels/Beulke, AT30, Rn 582. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 32 Dazu heißt es aber – jedenfalls in der neueren Rechtsprechung –, die Förderung müsse „in irgendeiner Weise für die Haupttat kausal geworden sein, so dass die Rechtsgutsverletzung verstärkt oder die Durchführung der Tat erleichtert worden ist“ (BGH, NStZ 1995, 27, 28). Vergleicht man die näheren Beschreibungen, dann zeigt sich, dass sie die Unterschiede zwischen „Mitverursachung“ und bloßer „Förderung“ nicht mehr erkennen lassen. Dennoch empfehlen wir, in einem Fallgutachten beide Positionen zu nennen. Fast immer führen sie aber zu demselben Subsumtionsergebnis. Fall 42: T will einen Einbruch begehen. Sein Bekannter B fährt ihn im Wagen zum Tatort. Auf dem Rücksitz ist noch Ts Freund F dabei. Als T schwächelt und beginnt, den Mut zur Tat zu verlieren, stärkt ihm F mit aufmunternden Worten den Sinn. Am Tatort angekommen, steigt T aus und macht sich frohen Mutes an die Arbeit, die er Stunden später erfolgreich beendet. Unterscheiden Sie physische und psychische Beihilfe (Beihilfe „durch Tat“ und „durch Rat“)! T hat einen Diebstahl (§ 242) begangen. B hat dazu Hilfe geleistet, indem er den T zum Tatort gefahren hat (sog. physische Beihilfe). Aber auch F hat Hilfe geleistet, nämlich indem er T in seinem wankenden Tatentschluss bestärkt hat (sog. psychische Beihilfe). Fall 43: Wie Fall 42. Aber am Tatort wartet Ts Kumpel K. K hält absprachegemäß während der gesamten Zeit, die T im Gebäude verbringt, draußen Wache und ist jederzeit bereit, in kritischen Situationen den T per Handy zu warnen. Es kommt aber keine kritische Situation. Auch hier hat K dem T Hilfe geleistet. Zwar war sein Wachestehen nicht physisch kausal, weil K nicht ein einziges Mal warnend tätig geworden ist. Aber T hat sich nur deshalb ins Haus begeben, weil er sich durch Ks Anwesenheit und Wachsamkeit sicher fühlte. Auf diesem Wege ist K also durchaus kausal für die Tatbestandsverwirklichung geworden. Fall 44: (= Fall 14; vereinfacht nach BGH, NStZ 1993, 385) M, E und F sind im Auto unterwegs, E sitzt am Steuer. M kommt spontan auf die Idee, man könne das Geschäft der H ausrauben. M und E planen die Tat. F sagt, er fahre mit, wolle aber auch ein Drittel der Beute. Die Tat verläuft wie geplant: E fährt vor Hs Geschäft, M und E stürmen hinein, E hält der H eine Pistole vor, während M die Kasse lehrt, beide steigen wieder in den Wagen und E fährt davon. M und E haben einen gemeinschaftlichen Raub begangen (§§ 249, 25 II). F ist kein Mittäter, weil er keinen objektiven Beitrag geleistet hat (s. schon oben bei Fall 14). Ist F, wenn er schon ist kein Mittäter ist, wenigstens Gehilfe? Nein, und zwar auch nach der Förderungstheorie nicht. Der BGH hat zu Fall 44 gesagt: „Nach der Rechtsprechung des BGH kann zwar schon ein bloßes ‚Dabeisein’ die Tatbegehung ... fördern oder erleichtern ... In derartigen Fällen bedarf es aber sorgfältiger und genauer Feststellungen darüber, dass und wodurch die Tatbegehung in ihrer konkreten Gestaltung objektiv gefördert oder erleichtert wurde ...“ Solche Feststellungen hat er in Fall 44 nicht gefunden. Problematisch sind nur Konstellationen, in denen der Gehilfenbeitrag keine auch nur noch so indirekte Ursache für die Tatbestandsverwirklichung gewesen ist. – Finden Sie den Unterschied in den beiden folgenden Fällen! Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg Fall 45: 33 T will O erschießen. B findet das gut und gibt dem T eine Pistole mit. T will die Waffe auch wirklich einsetzen, entschließt sich aber Minuten vor der Tat, doch lieber seine eigene Pistole zu nehmen. T hat einen Totschlag (§ 212) begangen. Bs Hingabe seiner Pistole war für die Tatbegehung eindeutig nicht physisch kausal. Allenfalls eine psychische Kausalität kann man erwägen; aber dazu sagt der Sachverhalt zu wenig. Eine Ursächlichkeit des Gehilfenbeitrags für die Tatbestandsverwirklichung ist also zu verneinen. Aber hat der Gehilfenbeitrag die Tatbestandsverwirklichung „irgendwie gefördert“? Nach den neueren Beschreibungen des „Förderns“ (s. oben vor Fall 42) ist das zu verneinen. In früheren Entscheidungen haben die Gerichte aber vergleichbare Gehilfenbeiträge genügen lassen (so v. a. das besonders bekannt gewordene Urteil RGSt 6, 169 f.). Fall 46: (nach RGSt 6, 169 f.) T will stehlen gehen. G gibt ihm einen Schlüssel mit. Vor Ort will T das Schloss mit dem Schlüssel öffnen, das gelingt aber nicht. T bricht das Schloss kurzerhand auf und stiehlt. Das RG hat Beihilfe zum vollendeten Diebstahl bejaht. Das ist nicht überzeugend. Wohl aber hat T zunächst einen Diebstahlsversuch unter Verwendung des Schlüssels begangen; also ist G strafbar wegen Beihilfe zum Diebstahlsversuch (§§ 242 I, II, 22, 27) (2) Der Zeitpunkt des Hilfeleistens (Stichwort: „sukzessive Beihilfe“) Fall 47: (aus einer Examensklausur Frühjahr 2000) B will aus einer Villa kostbare Teppiche stehlen. Er bittet seinen leichtgläubigen Freund F, ihn nachts um 2 Uhr vor der Villa mit seinem Kleintransporter abzuholen; er habe dort ein Stelldichein mit einer Dame, müsse aber zum Dank dafür ausrangierte Einrichtungsgegenstände abtransportieren. Als F nachts erscheint und den B auf dem Gehweg mit den Teppichen sieht, kommen ihm Zweifel, dass es um Sperrmüll gehe. B räumt den Diebstahl ein und verspricht F 1.000 €, wenn er ihn und die Teppiche fortbringt. F macht das. Hat F eine Beihilfe zum Einbruchsdiebstahl des B begangen (§§ 244 I Nr. 3, 27)? Eine Beihilfestrafbarkeit des F kommt erst ab dem Moment der Aufklärung in Betracht; vorher hatte F ersichtlich keinen Vorsatz. Im Moment des Abtransportierens war der Einbruchsdiebstahl des B (§ 244 I Nr. 3) – jedenfalls nach h. L. – schon formell vollendet (es war zur Wegnahme der Teppiche gekommen); aber er war noch nicht materiell beendet (weil die Diebesbeute noch nicht in Sicherheit gebracht war). Ob der Gehilfe noch in dieser Phase Hilfe leisten kann, ist umstritten. Nach h. M. ist Beihilfe (§ 27) noch bis zur Beendigung der Haupttat möglich. S. nur BGHSt 4, 132, 133; S/S-Cramer/Heine26, § 27 Rn 17; Wessels/Beulke, AT30, Rn 583). Nach der Gegenansicht ist Beihilfe nur bis zur Vollendung der Haupttat möglich. So z. B. Jakobs, AT2, 22/41; LK-Roxin11 § 27 Rn 35; LK-Ruß11 § 257 Rn 5; SKStGBHoyer2000, § 27 Rn 18; SKStGB-Samson1986, § 257 Rn 26). Stellungnahme: Die „rechtswidrige Tat“, von der § 27 spricht, ist „nur“ (§ 11 I Nr. 5) genau das Verhalten, das einen Straftatbestand verwirklicht. Ist also bei einem Diebstahl mit der Wegnahme der Tatbestand verwirklicht, so verwirklicht das weitere Sichern der Beute nicht mehr den Tatbestand des § 242; damit kann es nach den klaren Worten des Gesetzes in §§ 27, 11 I Nr. 5 nicht mehr Bezugspunkt der Hilfeleistung eines Gehilfen sein. – Der Moment der „materiellen Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 34 Beendigung“ ist übrigens so unbestimmt, dass verfassungsrechtliche Bedenken laut werden; die teilen wir allerdings nicht. Vertiefung: Hat F eine Begünstigung (§ 257) begangen? Statt einer Beihilfe oder zusätzlich? Lehnt man – mit der Minderheitsmeinung – die Möglichkeit einer sukzessiven Beihilfe ab, entstehen keine Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der Beihilfe zur Begünstigung: Wirkt sich der Beitrag des Beteiligten vor der Tatbestandsverwirklichung aus, so liegt Beihilfe vor; wirkt er sich – wie im Fall 47 – erst danach aus, ist es Begünstigung. Die h. M. steht dagegen im Fall 47 vor der Wahl. „Entscheidend für die Abgrenzung sind die Vorstellung und der Wille des Täters, mit denen er seinen Beistand leistet“ (BGHSt 4, 132, 133; ebenso z. B. Wessels/Hillenkamp, BT 223, Rn 804; kritisch S/S-Stree26, § 257 Rn 8). Im Fall 47 würde der BGH vielleicht (vielleicht!) sagen, F habe mit Begünstigungsabsicht gehandelt, weil F dem B die Vorteile des Diebstahls sichern wollte. Das wäre aber eine beliebige Zuschreibung. Mit dem gleichen Recht könnte man nämlich sagen, F habe in Beihilfeabsicht gehandelt, weil er die Beendigung des Diebstahls (was ja nun einmal dasselbe ist wie die Sicherung der Beute!) unterstützen wollte. b) Subjektiver Tatbestand Wie bei der Anstiftung (ab Fall 37). c) Rechtswidrigkeit und Schuld Keine Besonderheiten. Lesen Sie § 29! d) Die Rechtsfolge (§ 27 II) Die Strafe des Gehilfen muss gemildert werden (§ 27 II 2). Beachten Sie außerdem § 28! 3. Versuch und Rücktritt bei der Teilnahme Halten Sie unbedingt die folgenden zwei Konstellationen (unter a und b) auseinander: a) Beteiligung am Versuch Ein strafbarer Versuch ist begangen worden und jemand nimmt daran als Anstifter oder Gehilfe teil. Nichts Neues gegenüber dem bisher Gesagten. Der begangene Versuch ist die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ des anderen, von der §§ 26, 27 sprechen. Vgl. Fall 39! Auch zum Rücktritt von der Teilnahme am Versuch gilt nichts Neues. Lesen Sie Fall 22 bis Fall 24 und wandeln Sie die Fälle so ab, dass T kein Mittäter ist, sondern nur ein Gehilfe! b) Versuch der Beteiligung (§ 30) Ein strafbarer Versuch ist nicht begangen worden, aber jemand hat darauf hingewirkt, dass es zu einer Straftat komme. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 35 aa) Versuch der Anstiftung (§ 30 I) Entscheidend ist, wozu jemand anzustiften versucht. Halten Sie auseinander: Straflos ist der Versuch der Anstiftung zur Beihilfe. Strafbar ist nur der Versuch der Anstiftung zur Haupttat und zur Anstiftung. Strafbar ist der Versuch der Anstiftung nur bei Verbrechen. Fall 48: Wie Fall 39. Aber T erkennt wider As Erwarten den O als Karateprofi und findet As Idee deshalb gar nicht gut. Er lässt O in Ruhe. Im Fall 48 ist T straflos. Mangels Haupttat hat A sich nicht aus § 26 strafbar gemacht. Wohl aber aus § 30 I 1 Alt. 1: Er hat versucht, den T dazu zu bestimmen, einen Raub, also ein Verbrechen zu begehen. Allerdings ist As Strafe zwingend zu mildern (§ 30 I 2). Fall 49: X will einen Einbruchdiebstahl begehen. Er bittet seinen Berufskollegen K, ihm Einbruchswerkzeug zu leihen. K lehnt höhnisch ab. X begeht die Tat mit eigenen Mitteln. X hat den straflosen Versuch einer Anstiftung zur bloßen Beihilfe zum Einbruchdiebstahl (§§ 244, 27) begangen. (Außerdem ist § 244 ohnehin kein Verbrechen; s. § 12 I). bb) Versuch der Beihilfe (straflos) Einfach: Die versuchte Beihilfe ist immer straflos. Fall 50: M erklärt seiner Frau F beim Abendbrot, er werde rauben gehen. F gibt ihm zur Erleichterung eine Pistole mit. Noch während M einem Opfer auflauert, schießt er sich aus Versehen in den Fuß. Er lässt das Rauben sein und humpelt ins Krankenhaus. Im Fall 50 ist M straflos, weil er noch nicht unmittelbar angesetzt hat zum Raubversuch. Mangels Haupttat hat F sich nicht aus § 27 strafbar gemacht. In § 30 ist die versuchte Beihilfe nicht erfasst. cc) Sonstige strafbare Verhaltensweisen vor Versuchsbeginn (§ 30 II) § 30 II beschreibt alternativ sechs Verhaltensweisen, die, wenn es zur Tatbegehung käme, Täterschaft oder Anstiftung begründen würden, aber keine bloße Beihilfe. Fall 51: A sagt zu seiner armen Schwester S, wenn sie wolle, werde er für sie ... a) am Wochenende den reichen O ausrauben. b) den X überreden, am Wochenende den reichen O auszurauben. S zeigt sich erfreut und nimmt As Vorschlag dankend an. A hat sich bereit erklärt, ein Verbrechen zu begehen (Fall 51 a) bzw. zu ihm anzustiften (Fall 51 b). S hat das Erbieten eines anderen angenommen, ein Verbrechen zu begehen (Fall 51 a) bzw. zu ihm anzustiften (Fall 51 b). Fall 52: A und S entwickeln im Gespräch den Plan, gemeinsam a) am Wochenende den reichen O auszurauben. b) den X zu überreden, am Wochenende den reichen O auszurauben. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 36 A und S haben jeweils mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen (Fall 52 a) bzw. zu ihm anzustiften (Fall 52 b). Wichtig: Zu allen sechs Tatvarianten gehört, dass derjenige, der sich bereit erklärt usw., es wirklich ernst meint, also die Erklärung nicht nur zum Schein abgibt (s. nur BGH, NStZ 1998, 403, 404; Wessels/Beulke, AT30, Rn 564). Das steht zwar nicht deutlich in § 30 II, ergibt sich aber z. B. aus § 31 I Nr. 2 („Vorhaben“). c) Rücktritt vom Versuch der Beteiligung (§ 31) § 31 nennt für jede der in § 30 genannten Formen des Beteiligungsversuches eine Rücktrittsmöglichkeit. Die Vorschrift enthält überwiegend Voraussetzungen, die schon bei § 24 behandelt worden sind. Lesen! Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016.