Prof. Dr. Rolf D. Herzberg Übersicht und ergänzende Ausführungen zur Vorlesung Strafrecht – Allgemeiner Teil Erstes Kapitel: Einführung A. Die Aufgaben des Strafrechts – – – – Rechtsgüterschutz? negative oder positive Generalprävention? Spezialprävention? Schuldvergeltung? B. Die Unterscheidung von anderen Rechtsgebieten Fall 1: Nach einer Feier setzt A sich betrunken ans Steuer seines Autos, um nach Hause zu fahren. Unterwegs gerät er infolge seiner Trunkenheit auf die Gegenfahrbahn und stößt dort mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammen. Dessen Fahrer wird schwer verletzt. Später wird festgestellt, daß A zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 1,5 ‰ hatte. Zweites Kapitel: Methodik der Rechtsfindung Fall 2: A schlägt auf der Straße mit einem Knüppel den Hund des B tot. A. Das Aufsuchen der in Betracht kommenden Rechtsnormen I. Die Vorschriften im Besonderen Teil oder im Nebenstrafrecht II. Bei Auswahl mehrerer Strafvorschriften: Festlegung der Prüfungsfolge III. Ausfüllung und Begrenzung der Strafnormen durch allgemeine Vorschriften, insbesondere des Allgemeinen Teils Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 2 B. Die Systematisierung der Strafvoraussetzungen I. Tatbestand II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Sonstige Strafvoraussetzungen C. Auslegung und Subsumtion I. Der juristische Syllogismus II. Die Auslegung: Merkmale Fallbezogene Konkretisierung der gesetzlichen 1. Die Auslegungskriterien und ihre rechtliche Verbindlichkeit a) Der allgemeine Sprachgebrauch („grammatische Auslegung“) und das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot, insbesondere das des Art. 103 II GG b) Die gesetzliche Systematik („systematische Auslegung“) und der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG c) Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, der Wille des Gesetzgebers („historische Auslegung“) und das Demokratieprinzip des Art. 20 I GG d) Der Sinn und Zweck des Gesetzes („teleologische Auslegung“ als Sinngebung bei Entscheidungsspielräumen innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben) 2. Zum Verhältnis der Auslegungskriterien 3. Definitionen, Meinungen und Theorien: mit Hilfe jener Kriterien gewonnene Auslegungshypothesen III. Die Gestaltung des Gutachtens: Gutachten- und Urteilsstil – Darstellung von Auslegungsproblemen in der Fallösung Von den meisten Prüfern (und erst recht von den Korrekturassistenten) wird großer Wert darauf gelegt, daß die Verfasser von Fallösungen den sogenannten Gutachtenstil pflegen und den sogenannten Urteilsstil vermeiden. Den Unterschied kann man sich am besten anhand eines Falles klarmachen, dessen Lösung in einem Punkt begründungsbedürftig ist. Fall 3: Die Geschwister B und S haben zu gleichen Teilen ihre Mutter beerbt. Zur Erbmasse gehören Schmuckstücke, die die S in ihrer Wohnung verwahrt. Ihr Bruder B besucht S und nimmt heimlich einen von mehreren Ringen an sich in der Erwartung, daß S der Schwund nicht auffallen werde. Hier muß man fragen, ob sich B wegen Diebstahls strafbar gemacht hat. Im Gutachtenstil entwickelt, würde die Prüfung des Merkmals „fremd“ so zu formulieren sein: Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 3 „Möglicherweise hat B einen Diebstahl begangen. Es fragt sich, ob der Ring für B eine ‘fremde’ bewegliche Sache war. Fremd ist eine Sache dann, wenn sie im Eigentum eines anderen steht; dafür genügt auch Miteigentum. S könnte gemäß §§ 1922, 2032 I BGB durch den Erbfall Eigentum an dem Ring erlangt haben. S hat – zusammen mit B – ihre Mutter beerbt, und der Ring gehörte zur Erbmasse. Also ist S Miteigentümerin geworden. Folglich war der Ring für B eine ‘fremde’ Sache.“ Das gleiche würde man im Urteilsstil wie folgt ausdrücken: „B hat einen Diebstahl begangen. Denn der Ring war für ihn eine fremde bewegliche Sache. Fremd ist eine Sache nämlich dann, wenn sie im Eigentum eines anderen steht; dafür genügt auch Miteigentum. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Denn S hat gemäß §§ 1922, 2032 I BGB Miteigentum erworben, weil sie – zusammen mit B – ihre Mutter beerbt hat und der Ring zur Erbmasse gehörte.“ Der Unterschied liegt also in Folgendem: Wer den Fall im Gutachtenstil löst, beginnt mit einer Frage, nennt die Voraussetzungen, unter denen sie bejaht oder verneint werden muß, prüft das Vorliegen dieser Voraussetzungen und endet mit der Antwort auf die gestellte Frage. Ist die Lösung im Urteilsstil abgefaßt, so beginnt sie umgekehrt mit dem Ergebnis. Die Überlegungen, die dazu geführt haben, erscheinen in der Form von Begründungen, die alle mit einem „Denn“ oder „Weil“ beginnen könnten. Man sollte im Studium und Examen die Forderung, im Gutachtenstil zu schreiben, beachten und wichtig nehmen, obwohl man für seine Vorzugswürdigkeit schwerlich Sachgründe nennen kann. Die Fallösung könnte im Urteilsstil genauso vollständig und stringent begründet werden. Daraus erklären sich auch die zahlreichen Ausnahmen von der Regel. Sie sind viel häufiger erlaubt, ja geboten, als manche Belehrung (etwa von AG-Leitern) den Anschein erweckt. Man darf vor allem dann, wenn etwas evident oder nahezu evident ist, Feststellungen ohne Begründungen oder mit ganz kurzen Begründungen im Urteilsstil treffen. So kann man im Fall 3 einfach sagen: „Der Ring ist eine bewegliche Sache“ (begründungslose Feststellung). Eine Kurzbegründung im Urteilsstil ist etwa angebracht, wenn für einen betrunkenen Radfahrer § 316 geprüft wird. Zum Merkmal „Fahrzeug“ könnte man dann schreiben: „Das Fahrrad war ein ‘Fahrzeug’ im Sinne dieser Vorschrift, denn sie beschränkt sich nicht auf Kraftfahrzeuge, läßt also Fahrräder genügen.“ Der knappe „Feststellungsstil“ eignet sich manchmal sogar, einen ganzen Tatbestand mit einem einzigen Satz zu erledigen. Wenn z. B. im Aufgabentext steht, daß A den B erschießt, dann erfüllt A das Merkmal „Wer“, B das Merkmal „einen Menschen“ und das Erschießen die Merkmale „tötet“ i. S. d. § 212 I und „selbst begeht“ i. S. d. 25 I Alt. 1. Dies alles ist evident und sollte darum mit einem Satz festgestellt werden, etwa so: „A hat B gemäß §§ 212 I, 25 I Alt. 1 getötet.“ Heißt es dagegen, A habe den Hund des B erschossen, so ist umgekehrt evident, daß der Hund das Merkmal „einen Menschen“ nicht erfüllt. Festgestellt wird dies stillschweigend, indem man § 212 gar nicht erst erwähnt. Andererseits ist offensichtlich, daß der Hund ein „Wirbeltier“ i. S. d. § 17 TierSchG ist. Dies sollte man darum wieder nur beiläufig erwähnen, etwa in einer Apposition: „A hat B’s Hund, also ein Wirbeltier, getötet.“ Problematisch ist im letzten Fall dagegen die Frage, ob der Hund dem Begriff „Sache“ in § 303 I unterfällt. Darum muß man, wie schon zum Fall 2 vorgetragen, seine Entscheidung im Wege einer fallbezogenen Auslegung begründen. Es versteht sich, daß Ausführungen dieses Sinnes in Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 4 einer Hausarbeit eingehender sein können und sollen als in einer Klausur. Auch dort heißt es allerdings Scheinbegründungen vermeiden. Fall 4: Im Zimmer des Hotelgastes A funktioniert das Fernsehgerät nicht. Um ein Tennismatch zu sehen, geht er ohne zu fragen in das Zimmer des Gastes B, das zufällig unverschlossen ist. B stellt Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. Die Frage ist hier, ob A in die „Wohnung“ des B eingedrungen ist und sich dadurch nach § 123 I strafbar gemacht hat. Im Rahmen einer Hausarbeit fanden sich dazu Ausführungen wie diese: „Es müßte sich bei dem Hotelzimmer um eine Wohnung handeln. Wohnung ist der Inbegriff von Räumlichkeiten, deren Hauptzweck darin besteht, Menschen zur ständigen Benutzung zu dienen, ohne daß sie in erster Linie Arbeitsräume sind. Der Aufenthalt braucht nicht auf längere Dauer berechnet zu sein. Also fällt auch ein Hotelzimmer unter den Begriff der Wohnung i. S. des § 123.“ Die Schwäche dieser Deduktion liegt darin, daß lediglich Behauptungen aufgestellt werden, so daß ihr die Überzeugungskraft fehlt. Die Sache wird auch kaum besser dadurch, daß man solche Behauptungen mit Kommentarstellen als „allgemeine Meinung“ oder „herrschende Ansicht“ belegt. Denn der Leser spürt, daß die gebotene „Definition“ viel zu verschwommen ist, als daß man guten Gewissens aus ihr ableiten könnte, ein Hotelzimmer sei eine „Wohnung“; ihr zufolge wären ja auch Sporthallen, Kinosäle und Büchereien „Wohnungen“. – Eine an den Auslegungskriterien orientierte Erörterung könnte dagegen etwa so lauten: „Das Hotelzimmer könnte eine Wohnung des B sein. Daß Hotelgäste in ihren Zimmern ‘wohnen’, sagt man ohne weiteres. Andererseits ist ein bewohntes Hotelzimmer kein typischer Fall dessen, was man alltagssprachlich als ‘Wohnung’ bezeichnet. Der Wortsinn schafft also noch keine Klarheit. Diese gewinnt man erst durch einen Vergleich mit dem eindeutigen Fall einer ‘Wohnung’ i. S. des § 123 I. Was für sie die Strafdrohung rechtfertigt, ist das Interesse an der Respektierung der häuslichen Privatsphäre. Ein ganz ähnliches Interesse hat aber B hinsichtlich seines Hotelzimmers. Hier wie dort will er sich in einen abgeschirmten Bereich zurückziehen und sich darin entspannen können. Freilich gibt es auch Unterschiede. Das Hotelzimmer ist von vornherein weniger abgeschirmt; so darf das Hotelpersonal das Zimmer ja grundsätzlich bei Abwesenheit des B betreten. Jedoch geschieht das dann mit B’s Einverständnis und schmälert deshalb nicht sein Interesse, daß niemand ohne seinen Willen das Zimmer betritt. Weiter ließe sich vorbringen, daß für B das Hotelzimmer, anders als seine eigentliche Wohnung, nur vorübergehend der räumliche Mittelpunkt seines Privatlebens ist. Aber auch das ist kein Grund für eine Ungleichbehandlung. Bei der typischen Wohnung differenziert man ebensowenig danach, wie lange ihr Inhaber darin wohnen wird; und das zu Recht, denn auch bei nur kurzen Aufenthalten besteht ein Interesse an der Respektierung der Privatsphäre. Das Hotelzimmer ist demnach eine Wohnung i. S. des § 123 I.“ Als Klausurlösung kann das natürlich nicht vorbildlich sein. Bei ihr muß man sich mit einer kürzeren Begründung der folgenden Art begnügen: „Das Hotelzimmer könnte eine Wohnung des B sein. Einerseits nennt man ein einzelnes Zimmer kaum schon ‘Wohnung’, andererseits sagt man aber immerhin, daß der Hotelgast darin ‘wohnt’. Der Wortlaut ist also offen. Ein Hotelzimmer hat während der Dauer des Aufenthaltes für den Gast dieselbe Funktion wie seine heimische Wohnung: Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 5 Das Zimmer bietet ihm einen Ort der Abgeschiedenheit, den er abschließen kann. Es sind keine Sachgründe ersichtlich, weshalb man sein Interesse an der Respektierung dieser Privatsphäre nicht ebenso schützen sollte wie bei der heimischen Wohnung.“ Wenn sich Auslegungszweifel in Theorien und Meinungsstreitigkeiten ausdrücken, ist es natürlich besonders wichtig, deren Sachargumente zu behandeln. Aber es gilt im Auge zu behalten, daß solche Streite in der Fallösung etwas Sekundäres sind und eben nur im Rahmen der Merkmalsauslegung Bedeutung gewinnen. D. Die Analogie und das Analogieverbot der Art. 103 II GG, § 1 StGB Fall 5: R hat einen Raub begangen. Seine Lebensgefährtin G bewahrt ihn vor einer Bestrafung, indem sie ihm durch eine Falschaussage vor der Polizei absichtlich ein falsches Alibi verschafft. Fall 6: S macht ohne Wissen des E mit dessen Jolle einen einstündigen Segeltörn und bringt sie dann wieder an ihren Anlegeplatz zurück. E. Die Grenze zwischen Auslegung und Analogie – Der mögliche allgemeinsprachliche Wortsinn als Grenze der Auslegung? F.Ein jedes Mal auftauchendes Problem: Merkmalsdefinitionen in der Fallösung? Fall 7: O hat den Hund seines Nachbarn T tödlich vergiftet. T ist darüber so außer sich, daß er O aufsucht und eine geladene Pistole offen auf ihn richtet. Mit den Worten „Jetzt soll es Dir gehen wie meinem Troll!“ schießt er ihn tot. Mord, § 211? In Betracht kommt hier allein das Merkmal „aus niedrigen Beweggründen“. Ist es zu bejahen? Äußerst verbreitet ist die Belehrung, zur Beantwortung einer solchen Frage müsse man „zunächst einmal das Merkmal definieren“. Will man die Forderung erfüllen, so könnte man sich hier orientieren am Leitsatz des Urteils BGHSt 3, 132: „Niedrig ist ein Tötungsbeweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Wertung durch hemmungslose, triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich ist.“ Ist aber damit für die Lösung des Falles irgend etwas gewonnen? Fällt einem die Antwort auf die Frage „niedrig oder nicht niedrig“ wenigstens leichter, wenn man den Begriff durch seine Definition ersetzt? Jedenfalls in der meist angenommenen Allgemeingültigkeit ist die Forderung, ein Merkmal zu definieren, bevor man es im Hinblick auf den konkreten Fall auslegt oder ohne Umschweife darunter subsumiert, unberechtigt. Oft nämlich ist die Definitionsformel nicht klarer als das Merkmal selbst. Manchmal sogar wirkt sie verunklarend und irreführend (vgl. Fall 7: Muß der Beweggrund nur „niedrig“, d.h. nicht „niedrigst“ sein, dann kann es nicht stimmen, daß er auf „tiefster“ Stufe stehen muß). Man muß sich also fragen, ob die Definition, die man sich eingeprägt hat oder die man ad hoc bildet, das Auslegungs- und Wertungsproblem nur vom Ausgangsbegriff in andere Begriffe verschiebt oder ob sie wenigstens möglicherweise für den Leser, als welchen man sich tunlichst eine juristisch unkundige Person vorstellen sollte, einen Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 6 Erkenntnisgewinn bringt. Die Definition der körperlichen Mißhandlung (§ 223) als „üble und unangemessene Behandlung“ verschiebt das Wertungsproblem, ob z.B. eine erzieherische Ohrfeige von Mutters Hand „miß“lich ist, nur auf die Frage, ob sie „übel“ und „unangemessen“ ist; man tritt sozusagen auf der Stelle. Hingegen kann die anerkannte Definition bei Merkmalen wie „Wegnahme“ (§ 242) oder „unecht“ (§ 267) Erkenntnis vermitteln. Fall 8: A steckt mit Zueignungsabsicht eine wertvolle Sonnenbrille ein, die der Eigentümer E im Wald verloren hat. Fall 9: Vater V behauptet in einem Entschuldigungsschreiben für die Schule, daß sein Sohn S krank sei. In Wahrheit ist S gesund und hilft seinem Vater im Betrieb. Hier erleichtern die Definitionsformeln zu den Merkmalen „wegnimmt“ bzw. „unecht“ jedenfalls dem Unkundigen die Erkenntnis, daß die unter Juristen anerkannte Deutung in casu zur Verneinung der fraglichen Merkmale führt. Die absolut richtige Belehrung, die aus diesen Überlegungen folgt, muß aber im Hinblick auf die Prüfererwartung relativiert werden. Man sollte der – ein Versäumnis rügenden – Frage „Definition des Merkmals?“, die man oft als Randbemerkung findet, auch dann vorbeugen, wenn man sie im Gespräch mit dem Kritiker als unberechtigt zurückweisen könnte. Im Folgenden zu diesem examenswichtigen methodischen Problem einige Hinweise, die für die Qualität schriftlicher Arbeiten Bedeutung gewinnen können. – Eine Definition ist nur dann verbindlich, d.h. mehr als ein von manchen oder vielen vertretener Erklärungsvorschlag, wenn das Gesetz selbst sie liefert. So ergibt sich z.B. im Falle einer Strafvereitelung, die ein Onkel seinem Neffen leistet, aus der Angehörigendefinition in § 11 I Nr. 1 zwingend , daß dem Onkel § 258 VI nicht zugute kommt. – Definitionen im Kommentar sind selbst bei allgemeiner Anerkennung nicht bindend. Fall 10: A, B und C klingeln um 1.30 Uhr bei dem erkrankten Kegelbruder K, um bei ihm weiter zu zechen. K läßt sie mißmutig herein. Als er beim nächsten Kegelabend mit ihnen in Streit gerät, stellt er Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. Die nahezu einhellige Definition des Merkmals „eindringt“ durch „Betreten gegen oder ohne den Willen des Hausrechtsinhabers“ legt es hier nahe, wegen K’s mißmutigem Einverständnis schon den Tatbestand des § 123 zu verneinen. Man sollte das unter Hinweis auf die Definition auch tun, weil eine gleichbleibende Gesetzesanwendung wertvoll ist. Aber die Lösung ist nicht etwa logisch zwingend. Denn die Definition ist nur ein Auslegungsvorschlag, den man annehmen oder ablehnen kann. Man kann das Eindringen und damit den Tatbestand bejahen und K’s Zustimmung erst als Rechtfertigungsgrund – ist das Eindringen auch „widerrechtlich“? – prüfen (so LK-Schäfer, 10. Aufl., 1988, § 123 Rdnr. 24). – Vielen Prüfern ist nicht klar, daß Definitionen, die das Auslegungsproblem nur verschieben, im Grunde nutzlos sind und daß ihre Einsetzung bloß Wortemacherei ist und der jeweiligen Wertung lediglich eine Scheinbegründung gibt. Sie haben aber sehr wohl ein Gespür, daß Lösungen dieser Art schwach sind, und bewerten sie entsprechend. Darum empfiehlt es sich, in der Lösung offenzulegen, daß die Definition die entscheidende Wertungsfrage nicht beantwortet, sondern nur verschiebt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 7 Fall 11: Dem S droht der wirtschaftliche Zusammenbruch. Um ihn abzuwenden, bringt er seinen Hauptgläubiger G um in der Hoffnung, daß G’s Erben die Forderungen nicht kennen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 8 Man könnte in einer Hausarbeit (bei Klausuren fehlt die Zeit) etwa sagen: „’Habgier’ wird definiert als ungewöhnliche, ungesunde und sittlich anstößige Steigerung des Erwerbssinns oder als ungezügeltes und rücksichtsloses Gewinnstreben um jeden Preis oder auch kurz als verwerfliches Gewinnstreben. Das sind aber bloße Umschreibungen des gesetzlichen Begriffes, welche die Beantwortung der entscheidenden Wertungsfrage nicht im Mindesten erleichtern. Aufschlußreicher ist eine systematische Auslegung in dem Sinne, daß man typische und anerkannte Fälle der Habgier mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleicht. Solche klaren Fälle sind etwa der des Raubmörders, der es auf die Brieftasche seines Opfers abgesehen hat, und der des für Geld gedungenen Killers. Von solchen Fällen weicht der vorliegende darin ab, daß S nur die Befreiung von Passiva verfolgt, daß er nur die Entziehung von Vermögensbestandteilen verhindern will. Außerdem liegt ein Unterschied darin, daß S um seiner wirtschaftlichen Existenz willen, also aus einer Notlage heraus, einen Menschen tötet ...“ Damit ist das Wertungsproblem immerhin genauer beschrieben und eingegrenzt. Zu seiner Lösung müßte man sich nun fragen, ob die dargelegten Unterschiede überhaupt Unrechts- oder Schuldrelevanz haben – was u.E. zu bejahen ist – und ob sie so gewichtig sind, daß sie die Rechtsfolge des § 211 unangemessen erscheinen lassen. – Je vollständiger man der Gefahr vorbaut, daß das Fehlen von Definitionen gerügt wird, desto mehr lauert das entgegengesetzte Unheil, daß der Prüfer Definitionen als unförderlich und überflüssig moniert (z.B. bei der Subsumtion eines Schmuckstückes unter die Begriffe „Sache“ und „beweglich“). Zum Beleg ein reales Erlebnis aus der Prüferpraxis. Fall 12: M will mit seiner Frau einkaufen und schließt von außen die Tür zum Zimmer seines Schwiegervaters V ab, damit V im Haus keine Unordnung anrichtet. Die Tat war im Rahmen einer Examensklausur u.a. an § 239 zu messen. Derselbe (!) Erstgutachter hat in einer Arbeit die Definition zum Merkmal „einsperrt“ mit der Kritik „überflüssig, weil evident“ versehen und in einer anderen rügend die Frage vermerkt: „Definition“? Denn ihr Verfasser hatte das Merkmal als evident erfüllt bejaht, ohne die „überflüssige“ Begriffserklärung hinzuschreiben. Es ist unmöglich, eine Empfehlung zu formulieren, die garantiert vor beiden Kritiken schützt. Am klügsten scheint uns noch der Rat, daß man mit Fingerspitzengefühl abwechselnd mal direkt subsumiert und mal eine Definition vorschaltet. Fall 13: A hat es auf B’s Portemonnaie abgesehen. Er schlägt mit beiden Fäusten so lange zu, bis B zu Boden sinkt und sich nicht mehr wehrt, entreißt ihm die Geldbörse und läuft davon. An sich ist hier keine einzige Voraussetzung des § 249 zweifelhaft. Auch dem juristischen Laien muß man nur die Vorschrift zu lesen geben, und er erkennt ohne Hilfe und Erklärung, daß A wegen Raubes strafbar ist. Jede Begründung ist darum für den Leser langweilig und belästigend. Aber die Merkmale nur aufzuzählen und als gegeben festzustellen, würde ich dennoch nicht empfehlen. Vgl. Herzberg, JuS 1990, 728 ff. und 810 ff. (815): „Achte auf ein ausgewogenes Verhältnis von nackten Subsumtionen und solchen, denen du eine Erklärung gibst, selbst wenn sie keinem Zweifel unterliegen! Angewandt auf unser Beispiel: Wenn du ... ‘bewegliche Sache’ Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 9 ohne weiteres bejahen willst, dann erkläre dem Leser danach aber wenigstens die Fremdheit, und wenn du Vorsatz und Absicht nur eben zu erwähnen vorhast, dann schaffe vorsorglich Ausgleich bei der ‘Gewalt’ und der ‘Wegnahme’, indem du hier schulmäßige Ausführungen machst.“ – Oft hält man beim Lösen eines Falles eine Definition für ratsam, hat aber keine Fomulierung im Kopf. Es ist dann höchst riskant, eine vollständige Definition ad hoc zu kreieren. Solche Versuche scheitern fast immer, weil man vom Gemeinten ohnehin nur eine ungenaue Vorstellung hat und schon gar nicht auf die Schnelle alle Grenzfälle bedenken kann, die man noch einbeziehen oder schon aussondern will. Versuchen Sie nur einmal probehalber, Merkmale wie „Betrieb“ (§ 14), „Verstrickung“ (§ 136), „Behörde“ (§ 156), „Geheimnis“ (§ 203), „Gewässer“ (§ 324) oder „Anlage“ (§ 325) zu definieren! Außerdem liegt es oft so, daß angesichts sehr verschiedener Grenzziehungen und entsprechend verschiedener Definitionsvorschläge der von Ihnen „erfundenen“ Definition von seiten des Prüfers die Ablehnung als „falsch“ oder „fragwürdig“ droht. Wer sich, wie es viele tun, nach Wessels/Hettinger, BT 1, 22. Aufl. 1999, Rdnr. 383 richtet, könnte z.B. für die „Gewalt“ folgende Definition fordern: „Gewalt ist der körperlich wirkende Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch eine physische Einwirkung sonstiger Art, die als gegenwärtige Übelszufügung nach ihrer Zielrichtung, Intensität und Wirkungsweise dazu bestimmt und geeignet ist, die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen aufzuheben oder zu beeinträchtigen“. Abgesehen davon, daß diese Definition angreifbar und m.E. falsch ist, erscheint es aussichtslos, sie und Dutzende andere auswendig zu lernen. Aus allen diesen Gründen ist es oft ratsam, sich mit einer sog. Teildefinition zu begnügen. Vgl. Puppe, JA 1989, 345 ff. (398). Im Fall 13 könnte man etwa sagen: „Gewalt gegen eine Person liegt jedenfalls dann vor, wenn der Täter mit körperlicher Kraftentfaltung jemanden zu Boden streckt.“ Eine solche Definition abstrahiert zwar etwas vom konkreten Fall, erhebt aber gar nicht erst den Anspruch, für alle Zweifelsfälle eine Aussage zu machen. Auch eine negative Teilausgrenzung ist möglich und oft empfehlenswert. Fall 14: Die Studentin S übernachtet notgedrungen in ihrem VW-Golf. Der Kommilitone K will mit ihr anbändeln und setzt sich trotz ihrem Protest auf den Rücksitz. Angesichts solcher Problemobjekte wie Hotelzimmer, Campingzelt, Wohnwagen ist es gefährlich, eine abschließende Definition des Begriffes „Wohnung“ zu formulieren. Das ist aber auch nicht nötig. Vielmehr reicht es aus zu sagen: „Was man unter dem Begriff ‘Wohnung’ versteht, ist im einzelnen zweifelhaft. Einigkeit besteht aber darin, daß ein Pkw, auch wenn er zum Schlafen dient, dem Begriff nicht unterfällt.“ – Unabhängig vom begrenzten Wert, den die Definitionen bei schriftlichen Arbeiten haben, empfiehlt es sich auf jeden Fall im Hinblick auf die mündliche Prüfung, sich zu besonders wichtigen Vorschriften gängige Begriffsbestimmungen einzuprägen. Manche Prüfer lieben es nämlich, darauf zielende Wissensfragen bei einer Fallerörterung einzustreuen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 10 Drittes Kapitel: Der Allgemeine Teil des Strafrechts A. Das vorsätzliche vollendete Handlungsdelikt und die allgemeinen Deliktsvoraussetzungen I. Der Tatbestand 1. Der objektive Tatbestand a) Das Handlungsmerkmal (Beispiele: töten [eines Menschen], § 212; wegnehmen [einer fremden beweglichen Sache], § 242; beschädigen [einer fremden Sache], § 303) unterteilt sich in: aa) Handlung Fall 15: Frau F steht vor einer Vitrine ihres Gastgebers G. Als sie von dessen Bernhardiner B angesprungen wird, stürzt sie unter der Last in die Vitrine. Sie verletzt sich und es gehen Gläser des G zu Bruch. Fall 16: M nimmt ihren Säugling jeden Abend zu sich ins Bett in der Hoffnung, ihn eines Nachts zu ersticken, wenn sie sich im Schlaf herumwälzt. So kommt es tatsächlich. bb) tatbestandlicher Erfolg Fall 17: A poltert erbost durch die Terassentür in das Haus seines Nachbarn B, beschimpft ihn als „Drecksau“, gibt ihm eine Ohrfeige und zertrümmert eine Blumenvase. Ausführlich zur Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten: Viele Delikte setzen einen Erfolg voraus, der als äußeres Faktum deutlich getrennt werden kann von der Handlung, die ihn verursacht, und ebensogut durch ein Naturereignis ausgelöst werden kann; z. B. der Tod eines Menschen (§ 212) oder eines Wirbeltieres (§ 17 TierSchG), der Brand eines Gebäudes (§ 306), eine Überschwemmung (§ 313). Diese Delikte nennt man Erfolgsdelikte. Bei ihnen ist es üblich und zweckmäßig, zwischen dem Erfolg und der ihn pflichtwidrig verursachenden Handlung zu trennen. Bei anderen Delikten ist der tatbestandliche Erfolg regelmäßig oder häufig mit der Handlung so eng verbunden, daß sich die getrennte Prüfung nicht lohnt. So liegt der tatbestandliche Erfolg des § 173 schon in der Vollziehung des Beischlafs, fällt also in eins mit der tatbestandlichen Handlung. Wegen dieser Eigentümlichkeit wird § 173 als Tätigkeitsdelikt bezeichnet. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß auch bei den Delikten, die gemeinhin zu den Tätigkeitsdelikten gerechnet werden, Handlung und Erfolg getrennt sein können. Das gilt selbst für § 153, der bei vielen das Paradebeispiel eines Tätigkeitsdeliktes bildet. Fall 18: In der Hauptverhandlung behauptet Zeuge Z zu Unrecht, der Angeklagte sei zur Tatzeit bei ihm zu Besuch gewesen. Richter R zweifelt die Aussage an und fragt mehrmals nach. Z beharrt auf seiner falschen Bekundung. R meint, Z solle „die Sache noch mal überschlafen“. Er kündigt an, die Vernehmung des Z am nächsten Morgen fortzusetzen, und schließt die Sitzung. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 11 Es ist allgemein anerkannt, daß das Delikt des § 153 erst mit Abschluß der Vernehmung vollendet ist (BGHSt 8, 301, 314). Obwohl Z vor Gericht die Unwahrheit bekundet hat, ist der Tatbestand noch nicht verwirklicht. Man kann hier also gerade nicht sagen, „daß der bloße Vollzug eines bestimmt gearteten Aktes als solcher bereits den Tatbestand erfüllt“ (Stratenwerth, AT4, 8/8, 100). Eine andere Straftat, die als Tätigkeitsdelikt angeführt wird, ist der Hausfriedensbruch, § 123 (Roxin, AT 16, 10/54, 103; Röhl, Allg. Rechtslehre2, 2001, 464). Daran ist richtig, daß dieses Vergehen normalerweise so verübt wird, daß Handlung und Erfolg in eins fallen, z. B. wenn ein Zeitschriftenwerber den Protest der Hausfrau mißachtet und sich durch die Etagentür drängt. Die h. L. nimmt aber an, daß man das Delikt auch „durch einen anderen“ (§ 25 I Alt. 1), also in mittelbarer Täterschaft, begehen kann (z.B. Schönke/Schröder-Lenckner26, § 123 Rdnr. 35). Damit aber erfaßt sie auch Fälle, in denen die Handlung des Täters und der Erfolg auseinanderfallen. Fall 19: Die Nachbarn A und B sind zerstritten. Trotzdem gestattet A seiner dreizehnjährigen Tochter T, über den Zaun zu klettern und B’s Swimmingpool zu benutzen. Hier ist die Handlung des A, womit er den Hausfriedensbruch als mittelbarer Täter begeht, das Aussprechen der Erlaubnis gegenüber T. Der Erfolg tritt davon gelöst ein, nämlich als T das Grundstück des B betritt. Der Erfolg (der „Eindrang“ der T) ist also von A’s Handlung (der Gestattung) genauso abtrennbar wie etwa die Todesfolge von der Handlung des Schießens. Auch bei den sog. Tätigkeitsdelikten ist also die Abspaltung eines Erfolges immer möglich – zumindest gedanklich, meist sogar zeitlich. Außerdem hat die These, daß die Tätigkeitsdelikte keinen Erfolg voraussetzen, zur Konsequenz, daß man bei ihnen auf die Voraussetzung der „objektiven Zurechnung“ (also: der Pflichtwidrigkeit im Hinblick auf den eingetretenen Erfolg) verzichten muß. Denn hier würde das Gesetz dann ja gerade keinen Erfolg fordern, so daß die Frage der Zurechnung des Erfolges gegenstandslos wäre. Im Fall 19 müßte man also dem A das Überklettern des Zaunes durch T auch dann anlasten, wenn er im Hinblick darauf nicht pflichtwidrig gehandelt hätte, etwa wenn ihm der Sohn des B glaubhaft dessen Einverständnis vorgetäuscht hätte. Das widerspräche aber der bei den anerkannten Erfolgsdelikten geltenden Regel, daß dem Täter nur das angelastet werden darf, was er pflichtwidrig verursacht hat. Die verbreitete Unterscheidung zwischen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten wirkt also nicht erhellend und verdeckt strukturelle Gemeinsamkeiten. Man sollte sie aufgeben. Eine andere, pragmatische Frage ist, ob es sich lohnt, einen deliktsspezifischen Erfolg isoliert vorab zu bejahen, oder ob man besser daran tut, ihn zusammen mit der Handlung festzustellen. Insoweit kann man allerdings als Faustregel gelten lassen, den Erfolg bei den sog. Erfolgsdelikten vorab festzustellen und es bei den sog. Tätigkeitsdelikten nicht zu tun. Daß es sich nur um eine Faustregel handelt, zeigt Fall 19, wo die Handlung des A und der Erfolg getrennt sind, und Fall 18, wo man sogar trotz vollzogener Tätigkeit des Z das Ausbleiben des Erfolges feststellen muß. cc) Kausalität Fall 20: A will B totschießen, verletzt ihm aber nur durch einen Streifschuss den Arm, so dass B zur Behandlung ins Krankenhaus muss, wo er bei einer Brandkatastrophe umkommt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 12 Fall 21: Der Trunkenbold M tyrannisiert auf das Brutalste seine Frau F und die erwachsene Tochter T. F und T spielen seit langem mit dem Gedanken, M zu vergiften, und haben, wenngleich noch unschlüssig, „für alle Fälle“ Gift besorgt. Eines Tages versetzt T, ohne Absprache mit F, Ms Schnaps mit dem Gift. Wenig später will F dasselbe tun, erkennt aber an der geringfügigen Verfärbung und Geruchsveränderung, dass T schon gehandelt hat, und fügt deshalb kein weiteres Gift hinzu. M trinkt vom Schnaps und stirbt an dem Gift. Wegen Mordes angeklagt, verteidigt sich T, sie habe jedenfalls keinen vollendeten Mord begangen, weil M auch dann, ganz genauso und im selben Zeitpunkt gestorben wäre, wenn sie die Tat nicht begangen hätte. Fall 22: Der Albaner A will illegal nach Deutschland und schwimmt nachts durch die Oder. Einige Skinheads beobachten das zufällig. Als A einen Krampf erleidet und um Hilfe ruft, will R, ein leidlicher Schwimmer, A helfen, wird aber von S solange festgehalten, bis A untergeht. dd) objektive Zurechnung (Voraussetzungen: 1. Schaffung einer rechtlich mißbilligten Gefahr = Überschreitung des erlaubten Risikos = Pflichtwidrigkeit. – 2. Verwirklichung dieses Risikos im Erfolg) Dazu siehe Fall 21. Fall 23: I ist HIV-positiv. Trotzdem verkehrt er mit seinem Partner P und steckt ihn dadurch an. a) I hat P nicht aufgeklärt, aber ein Kondom benutzt. b) I hat P aufgeklärt, aber ungeschützt mit ihm verkehrt. c) I hat P nicht aufgeklärt und ungeschützt mit ihm verkehrt. Zehn Jahre später stirbt P an den Folgen der Infektion. (Vgl. BGHSt 36, 1 ff.) b) Andere Merkmale des objektiven Tatbestandes, insbesondere die objektiv-subjektiven Mischmerkmale (Beispiele für rein objektive Merkmale: ausdrückliches und ernstliches Verlangen, § 216; Amtsträger, § 340. Beispiele für objektiv-subjektive Merkmale: grausam, § 211; Gewalt, § 240; zueignen, § 246; dem Wilde nachstellen, § 292). 2. Der subjektive Tatbestand a) Der kongruente (zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes passende) Vorsatz aa) Die bei Begehung der Tat vorhandene Kenntnis der Umstände, die zum gesetzlichen Tatbe stand gehören (Umkehrschluß aus § 16 Abs. 1 S. 1) (1)Die sachliche Kongruenz von Vorsatz und Tat (a)Die Kenntnis tatsächlicher Umstände – Der Irrtum über außertatbestandliche Eigenschaften des Tatobjekts (error in obiecto) Fall 24: Der gehörnte Ehemann erschießt den Begleiter seiner Frau in dem Glauben, ihren Liebhaber vor sich zu haben. Tatsächlich ist es nur ein Arbeitskollege. – Das Fehlgehen der Tat (aberratio ictus) und der abweichende Kausalverlauf Fall 25: Attentäter A zielt auf den Präsidenten P, tötet aber den Leibwächter L, der sich dazwischen wirft. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 13 Der – zunächst nur phänomenologische – Unterschied der Konstellation von Fall 25 zu der des error in obiecto (Fall 24) liegt darin, daß A das anvisierte Objekt – den Präsidenten P – nicht trifft; er trifft vielmehr ein anderes Objekt, den Leibwächter L. Ganz überwiegend würde man A wegen versuchten Totschlags an P in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung des L bestrafen. Diese Lösung überzeugt: Vorsätzlich handelt nur, wer alle Umstände kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören (§ 16 I 1). Bei § 212 I sind das alle tatsächlichen Umstände, die nötig sind, um die gesetzlichen Merkmale „Wer einen Menschen tötet“ zu erfüllen. Das Handlungsmerkmal „tötet“ läßt sich aufgliedern in die Untermerkmale Handlung, Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung. Zur objektiven Zurechnung wiederum gehören die Merkmale „rechtlich mißbilligte Gefahrschaffung“ und „Risikoverwirklichung“. Im Tod des L ist die Gefahr zum Schaden geworden, daß L sich in die Schußlinie werfen würde. Dieses Risiko hat A objektiv geschaffen, als er schoß. Aber diesen Umstand hat er sich subjektiv nicht vorgestellt. Er kannte also einen Umstand nicht, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, nämlich den, für L eine Gefahr zu schaffen. Deshalb hat er L unvorsätzlich getötet. – Hätte A sich hingegen vorgestellt, vielleicht gerate L in die Schußlinie und werde tödlich getroffen, dann hätte er den Umstand der Gefahrschaffung gekannt und also Vorsatz gehabt. Er wäre dann wegen Totschlags an L in Tateinheit mit versuchter Tötung des P zu bestrafen (h.M.; z.B. Schönke/SchröderCramer/Sternberg-Lieben26, § 15 Rdnr. 90 f.; ausführlich Wessels/Beulke, AT, 30. Aufl. 2000, Rdnr. 251). Bedenken Sie bei der Lösung einschlägiger Fälle, daß Sachverhalte der aberratio ictus mitunter schon im objektiven Tatbestand Probleme bereiten! Fall 26: T schickt an den alleinwohnenden X eine Briefbombe, die beim Öffnen des Briefes explodieren soll. X legt den Brief gegen seine Gewohnheiten auf den Schreibtisch, ohne ihn zu öffnen, und geht abends in die Disco. Tief in der Nacht bricht Y bei X ein, sucht nach Wertsachen, öffnet den Brief und wird von der explodierenden Bombe verletzt. Hier ist nicht erst die subjektive, sondern schon die objektive Zurechnung fraglich. Denn in den Verletzungen des Y realisierte sich eine bei Absendung der Bombe extrem geringe Gefahr. Mit Blick auf den konkret eingetretenen Erfolg hat T also wohl keine rechtlich mißbilligte Gefahr geschaffen. Fall 27: A will den B „zusammenschlagen“. Dazu kommt es zwar nicht, weil B sich noch rechtzeitig in seinen Wagen flüchtet. Aus Angst vor seinem Verfolger bekommt er aber heftige Magenschmerzen (BGH, MDR 1975, 22). Im Fall 27 irrt der Täter darüber, wie im einzelnen seine Handlung den Taterfolg verursacht. Man trennt diese Fallgruppe üblicherweise streng von der aberratio ictus. Auch diese Trennung ist zunächst rein phänomenologisch: Bei der aberratio ictus weicht der objektive Kausalverlauf vom vorgestellten so stark ab, daß der Erfolg sogar am „falschen“ Objekt eintritt; als „Irrtum über den Kausalverlauf“ behandelt man hingegen nur Fälle, in denen der Täter immerhin das anvisierte Objekt trifft. Rechtlich kommt es in beiden Konstellationen auf dieselbe Frage an: Hat der Täter den Umstand gekannt, daß er unerlaubt eine zum Schaden gewordene Gefahr geschaffen hat? Dabei ist allerdings fraglich, wie konkret oder abstrakt diese Gefahr zu beschreiben ist. Darüber sogleich! Im Fall 27 ist zunächst zu erörtern, ob A den objektiven Tatbestand des § 223 verwirklicht hat. Er hat bei B eine körperliche Mißhandlung verursacht. Aber A muß die zum Schaden gewordene Gefahr auch pflichtwidrig geschaffen haben. Es kommt also darauf an, ob es objektiv Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 14 „vorhersehbar“ ist, daß jemand, auf den man Faustschläge androhend zugeht, vor Angst heftige Magenschmerzen bekommt. Verneint man das (z. B. wegen extremer Unwahrscheinlichkeit), so hat T schon objektiv keine Körperverletzung begangen. – Beachten Sie also auch bei Fällen, die sie mit dem Stichwort „Irrtum über den Kausalverlauf“ belegt finden, daß schon der objektive Tatbestand unerfüllt sein kann! Das ist hier sogar häufiger als bei der behandelten aberratio ictus. Bejaht man hingegen im Fall 27, daß A hinsichtlich der Magenschmerzen eine rechtlich mißbilligte Gefahr für B geschaffen hat (was m.E. näher liegt), dann ist der objektive Tatbestand gegeben. Aber der Vorsatz ist zu verneinen: Zu den Umständen des objektiven Tatbestandes gehört auch der Umstand, daß der Täter unerlaubt eine zum Schaden gewordene Gefahr geschaffen hat. Fraglich ist, wie diese Gefahr zu beschreiben ist: abstrakt als Gefahr einer Körperverletzung oder konkret als Gefahr von Magenschmerzen. Die Lösung ergibt sich aus der Verbindung von Tatbestand und Rechtsfolge: Die Erfüllung der abstrakten Tatbestandsmerkmale zieht dem Richter nur den Strafrahmen. Um das konkrete Strafmaß festsetzen zu können, muß er das Unrecht, also die Tatbestandsmerkmale und damit im Fall 27 auch das Erfolgsmerkmal, konkretisieren, und zwar so weit, wie es für die Strafzumessung erforderlich ist. Weil es für diese auf Art und Intensität der Körperverletzung ankommt, muß die Gefahr hier konkretisiert werden als die Gefahr der Magenschmerzen (ausführlicher dazu Schlehofer, Vorsatz und Tatabweichung, 1996, S. 122 ff., v.a. 129 f.). Weil A diese Gefahr nicht kannte (sondern nur die von Faustschlägen), ist der Vorsatz zu verneinen (vgl. zum konkreten Fall auch Jakobs, AT, 2. Aufl. 1991, 8/69, der ebenfalls – entgegen dem BGH – den Vorsatz verneint). Die Rechtsprechung und viele in der Literatur sagen zu Konstellationen wie in Fall 27, der Vorsatz müsse „den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Umrissen“ umfassen, und fügen hinzu, Abweichungen zwischen dem vorgestellten und dem tatsächlichen Kausalverlauf seien dann unwesentlich, wenn sie sich erstens „noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten“ und zweitens „keine andere rechtliche Bewertung der Tat rechtfertigen“ (Näheres bei Wessels/Beulke, 30. Aufl. 2000, Rdnr. 258). Die „Vorhersehbarkeit“ ist jedoch ein Maßstab, der in Wahrheit schon für die objektive Zurechnung gilt. Sie muß also hier, wo sich nur noch die Frage nach dem kongruenten Vorsatz stellt, bereits bejaht sein und kann keine Rolle mehr spielen. Die zweite Voraussetzung ist ein leerer Begriff, weil sie keine Kriterien benennt. Darum sind die Wertungen, die man an dieser Stelle findet, auch stets unsicher und verschwommen. Wir empfehlen, eine „andere rechtliche Bewertung der Tat“ (herrschende Formel) immer dann für angebracht zu erklären, wenn der Täter – wie im Fall 27 – die Gefahr nicht gekannt hat, die sich im nach Art und Intensität konkretisierten Erfolg verwirklicht hat (Schlehofer, aaO., S. 129 f.). So läßt sich die vage Frage nach der „anderen rechtlichen Bewertung der Tat“ etwas präziser fassen; außerdem bringt man so beide Lösungsansätze zur Sprache und zur Übereinstimmung. – Die Kumulation von Abweichungen Fall 28: M geht mit ihrem 4jährigen Sohn S zum Sommerfest des Kindergartens, obwohl sie bei S am Morgen die ersten Symptome der Windpocken entdeckt hat. Sie hält mit Recht für wahrscheinlich, daß S andere Kinder anstecken wird, meint aber, daß die Krankheit für Kinder nicht weiter schlimm sei. Tatsächlich überträgt S während des Festes die Viren auf drei andere Kinder und außerdem, woran M überhaupt nicht gedacht hat, auf die Erzieherin E. Später erkranken die angesteckten Kinder an Windpocken. Bei E führt die Infizierung, wie häufig bei Erwachsenen, zu einer Gürtelrose, die viel schmerzhafter und langwieriger ist als Windpocken im Kindesalter. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 15 (b) Die Kenntnis normativer Umstände (ausführlich und aktuell dazu Herzberg/Hardtung, Grundfälle zur Abgrenzung von Tatumstandsirrtum und Verbotsirrtum, JuS 1999, 1073 ff.) Fall 29: Nachdem beim Patienten P der Herztod eingetreten ist, schaltet die Krankenschwester S die Herz-Lungen-Maschine ab, weil sie P auch für hirntot hält.. Fall 30: A wirft die ihm und seiner Frau gehörenden Sektgläser an die Wand, wähnend, sie seien für ihn nicht fremd. (2) Die zeitliche Kongruenz von Vorsatz und Tat (Die Kenntnis „bei Begehung der Tat“, § 16 Abs. 1 S. 1) Fall 31: Der Dieb D bietet dem Antiquitätenhändler A eines seiner Beutestücke an. A hat zwar das Gefühl, es schon einmal gesehen zu haben, schöpft aber keinen Verdacht und kauft. Zwei Tage später fällt ihm ein, woher er es kannte: aus der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“, wo über den Diebstahl berichtet worden war. Fall 32: E mischt ihrem tyrannischen Ehemann M am Mittag ein tödliches Gift in die Suppe, die er sich am Abend aufwärmen soll. Danach besucht E ihre Freundin F. a) E hat um die tödliche Wirkung gewußt. Als sie Skrupel bekommt, redet ihr F ein, daß es nur ein harmloses Brechmittel sei. b) E hat das Gift für ein harmloses Brechmittel gehalten. Als F sie aufklärt, ist ihr M’s Tod auch recht. Am Abend ißt M von der Suppe und stirbt. bb) Das Wollen der Tatbestandsverwirklichung als Vorsatzelement? (1)bei der Absicht Fall 33: Um die Bestrafung des Terroristen B zu verhindern, verhilft ihm A mit falschen Papieren zur Flucht nach Libyen. (2) bei der Wissentlichkeit Fall 34: S, fanatisches Mitglied einer Sekte, glaubt in ihrem Führer F den Mensch gewordenen Erlöser zu erkennen. Um der ungläubigen Welt die Augen zu öffnen, faßt er folgenden Plan: Während einer öffentlichen Predigt will er aus nächster Nähe auf den Kopf des F schießen. Er weiß, daß F dadurch nach menschlichem Ermessen mit aller Wahrscheinlichkeit zu Tode kommen würde. Sein Glaube sagt ihm aber, daß der Allmächtige seine schützende Hand über F halten und die Kugel an dessen Kopf abprallen lassen werde. Dann sei der Beweis für F’s Mission erbracht. Tatsächlich führt der Kopfschuß jedoch zum sofortigen Tod des F. (3) beim bedingten Vorsatz Fall 35: K und J hatten beschlossen, ihren gemeinsamen Bekannten M zu berauben. Zu diesem Zweck wollten sie M mit einem ledernen Hosenriemen würgen. Ihnen war klar, daß M dadurch ums Leben kommen könnte. Dennoch führten sie den Plan aus. Durch die Drosselung erstickte M. (BGHSt 7, 363). Fall 36: Siehe Fall 23 c. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 16 Fall 37: Um eine verpaßte Ausfahrt zu erreichen, benutzt G die Autobahn bewußt entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Es kommt dadurch zu einem Unfall, der drei anderen Menschen das Leben kostet. Fall 38: Der Sadist S fordert Frau F auf, seinen Revolver, in dessen Trommel eine einzige Kugel steckt, an den Kopf ihres schlafenden Mannes zu halten und abzudrücken. Als Belohnung für ihren Mut verspricht er ihr 10.000 €. F erfasst das Tötungsrisiko zutreffend mit knapp 17 %. Um des Geldes willen riskiert sie die Tat. Das Unwahrscheinlichere tritt ein, M stirbt. Fall 39: E hetzt seinen Hund auf die Katze des Nachbarn, damit sie auf einen Baum fliehe und dabei tödlich abstürze. E’s Wunsch erfüllt sich. cc) Fortsetzung: Zur Problematik des Wollens als weiterer Vorsatzvoraussetzung und zur Prüfung des Vorsatzes im Fallgutachten (1)Oft kommt es nicht darauf an, ob der Vorsatz neben der Kenntnis ein „Wollen“ voraussetzt. Denn in vielen Fällen ist im Sachverhalt eine Einstellung des Täters vorgegeben, die allen Ansichten als „voluntatives Element“ genügt. So z. B. dann, wenn der Täter Vorsatz in der Form der „Absicht“ („dolus directus 1. Grades“) hat. Fall 40: Der Jugendliche J hat sich über seinen Klassenlehrer K geärgert und wirft von der Straße aus einen Stein in Richtung der Wohnzimmerfensterscheibe des K, um sie zu zertrümmern. Er beurteilt es als unwahrscheinlich, daß der Stein trifft. Zu seiner Freude erreicht und zerstört er aber die Scheibe. J hat den objektiven Tatbestand des § 303 erfüllt. Die Vorsatzprüfung könnte man etwa so formulieren: J müßte vorsätzlich gehandelt haben (§ 15). Wie aus der Umkehrung des § 16 I 1 folgt, ist für den Vorsatz zumindest erforderlich, daß der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. J kannte sie alle, denn er sah ja die Möglichkeit, daß sein Wurf die fremde Scheibe zerstören werde. Ob der Vorsatz über die Kenntnis der Tatbestandsverwirklichung hinaus auch deren „Wollen“ verlangt, kann hier dahinstehen, weil J die Tatbestandsverwirklichung beabsichtigt, sie also im denkbar stärksten Sinne gewollt hat. Aber auch wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung nicht wünscht, kann der Fall so liegen, daß sich die Problematisierung des „voluntativen Elementes“ verbietet. Gemeint sind die Fälle, wo der Täter Vorsatz in Form der sog. „Wissentlichkeit“ hat. Fall 41: Mutter M legt ihr Neugeborenes nachts in den Wald. Sie hätte lieber, wenn jemand es dort fände, ist aber überzeugt, daß dies nicht geschehen und das Kind sterben werde. So kommt es auch. Es ist üblich, den Vorsatz der M als „Wissentlichkeit“ oder „dolus directus 2. Grades“ zu bezeichnen. Ähnlich wie zu Fall 40 ließe sich an der fraglichen Stelle der Vorsatz so begründen: Ob der Vorsatz über die Kenntnis der Tatbestandsverwirklichung hinaus auch deren „Wollen“ verlangt, kann hier dahinstehen. Denn die es verlangen, sehen es immer gegeben, wenn „Wissentlichkeit“ vorliegt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 17 Beachten Sie, daß ein Fall der Wissentlichkeit auch angenommen wird, wenn der Täter etwas beabsichtigt, wovon er weiß, daß es – gegebenenfalls – mit Sicherheit die Tatbestandsverwirklichung zur Folge hätte! Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 18 Fall 42: Attentäter A will den Politiker P töten und montiert einen Sprengkörper in dessen Privatjet. Er fürchtet die Entdeckung vor dem Start, ist aber überzeugt, daß, wenn es zur Explosion kommt, sowohl P wie dessen Frau F, die mitfliegen wird, sterben müssen. Dies tut ihm für F leid. Hier liegt hinsichtlich der Tötung des P Vorsatz in der Form von Absicht vor. Bezüglich der F wird allgemein Wissentlichkeit angenommen, obwohl A auch ihren Tod nicht als sicher voraussah. Aber man läßt genügen, daß er die Explosion beabsichtigte und für den Fall ihres Eintritts sicher war, daß F sterben würde. (2)Dringend abzuraten ist von einem Verfahren, das dogmatische Formeln und Kürzel zum Ausgangspunkt macht und das Gesetz in den Hintergrund drängt. So geht vor, wer Lehrbüchern eine Vorsatzdefinition entnimmt, etwa „Vorsatz ist Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale“ (Jescheck/Weigend, AT, 5. Aufl. 1996, S. 293), und sie als ein Dogma hinstellt, wonach man sich zu richten hat. Prüfer mit Durchblick würden das rügen, etwa mit der Randbemerkung: „Fragwürdig und umstritten; daß zum Vorsatz auch ein ‘Wollen’ gehört, wird von vielen verneint.“ Außerdem gerät man zumindest bei solchen Fällen in Schwierigkeiten und in die Gefahr des Selbstwiderspruches, wo das „Wollen“ problematisch ist und die Verneinung sich aufdrängt, aber viele den Vorsatz dennoch bejahen würden, weil dies in der Sache geboten erscheint. So liegt es etwa im Fall 43: (= Fall 38), wenn F ganz fest auf ihr Glück „vertraut“, die Todesgefahr „nicht ernstnimmt“ und einen schlimmen Ausgang ganz entschieden „mißbilligt“. F kannte den Umstand, daß ihr Abdrücken die unerlaubt große Gefahr des Todes eines Menschen schuf. Damit wollen sich aber die meisten zur Feststellung des Tötungsvorsatzes nicht begnügen. Zum „kognitiven“ müsse eben das „voluntative Element“ kommen. Wann es gegeben ist, versucht man durch verschiedene Formeln und Begriffe auszudrücken. In Kommentaren, Lehrbüchern und Hausarbeiten ordnen die Autoren solchen Formeln und Begriffen entsprechende „Theorien“ zu. Das bedeutet m.E. eine Überschätzung ihrer Aussagekraft und Unterscheidbarkeit. In Examensarbeiten wirken die einschlägigen, oft sehr langen Passagen selten vorteilhaft. Bei den meisten hängt das u.a. mit dem irrigen Glauben zusammen, man könne jeder Theorie für den konkreten Fall ein bestimmtes Ergebnis schlüssig abgewinnen. In Wahrheit wollen die Verfechter der jeweiligen Formel sich aber keineswegs „festnageln“ lassen. So ist Fall 43 ersichtlich mit Angaben versehen, die es ganz nahe legen, in Anwendung der zum „voluntativen Element“ angebotenen Kriterien den Vorsatz zu verneinen. Denn der Sachverhalt gibt ja vor, daß F den Tod gerade nicht „billigend in Kauf nimmt“, daß ihr der Tod nicht „gleichgültig“ ist, daß sie die Todesgefahr nicht „ernstnimmt“, daß sie vielmehr auf einen schadlosen Ausgang „fest vertraut“. Dennoch darf man vermuten, daß die meisten, die mit solchen Formeln arbeiten, eher geneigt wären, den Tötungsvorsatz der F zu bejahen. Sie würden an der für maßgeblich erklärten Formel zwar festhalten, sie aber so verstehen, daß sie mit den Sachverhaltsangaben vereinbar wäre: „Im Rechtssinne“ habe F die Todesfolge sehr wohl „gebilligt“ (vgl. Fall 35 und BGHSt 7, 363, 369, Lederriemenfall), ihre Gefahr „ernstgenommen“ und auf ihr Ausbleiben „nicht vertraut“. Bei dieser Sichtweise läuft es also, beispielhaft gesprochen, darauf hinaus, daß der Täter regelmäßig dann, wenn er eine objektiv große und darum ernstzunehmende Gefahr erkannt hat, sie auch subjektiv ernstgenommen hat. Solche Manipulationen weisen nach meiner Überzeugung darauf hin, daß der richtige Ansatz zur Lösung die Preisgabe des „Wollens“ als Vorsatzvoraussetzung ist. Dies ist der Ausgangspunkt der Möglichkeits- und der Wahrscheinlichkeitstheorie, die allerdings eine fruchtbare Fortführung des richtigen Ansatzes vermissen lassen. Ich sehe die Dinge – in geraffter Darstellung – wie folgt: Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 19 Entscheidend ist allein, daß der Täter eine bestimmte Vorstellung hat. Welche voluntativ-emotionale Einstellung diese Vorstellung begleitet, kann dagegen für den Vorsatz keine Rolle spielen; es wird erst bei der Strafzumessung wichtig. Genauer gesagt, kommt es darauf an, ob sich der Täter eine nicht nur unerlaubte, sondern auch zugespitzte oder „unmittelbare“ (vgl. § 22!) Gefahr vorgestellt hat. Wer darin ganz konsequent ist, wird diese nicht nur unerlaubte, sondern zugespitzte Gefahr bereits im objektiven Tatbestand des vollendeten Vorsatzdeliktes fordern und prüfen. Eine so angelegte Fallösung würde aber von den meisten Prüfern nicht verstanden und fehlerhaft genannt werden. Daß erst im subjektiven Tatbestand die Würfel fallen, ob bedingter Vorsatz oder bewußte Fahrlässigkeit vorliegt, gilt fast allen als gesichert und selbstverständlich. Man sollte das als Prüfling in Rechnung stellen und sich auch beim vollendeten Vorsatzdelikt für den objektiven Tatbestand mit der „objektiven Zurechnung“ (unerlaubte Schaffung einer Gefahr, die sich im Erfolg realisiert) begnügen. (3)Normalerweise begegnen einem die problematischen Fälle nicht mit Angaben, die über die Vorstellung des Täters hinaus auch seine emotional-voluntative Einstellung schildern. Das entspricht der Lebenswirklichkeit, weil auch der Richter einigermaßen zuverlässig allenfalls die Vorstellung (Kenntnis) des Täters klären kann. Was die begleitende Einstellung anbetrifft, so tappt er meistens im Dunklen und sieht sich auf „Indizien“ angewiesen. Was dabei herauskommt, kann man etwa am Urteil BGHSt 36, 1, 10 zum Körperverletzungs- und Tötungsvorsatz bei Sexualkontakten eines HIV-Infizierten studieren: „Die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement muß sich mit ... (der) Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen ... Geboten ist ... eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände. Hierbei können je nach der Eigenart des Falles unterschiedliche Wertungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen. Aus dem Vorleben des Täters sowie aus seinen Äußerungen vor, bei oder nach der Tat können sich Hinweise auf seine Einstellung zu den geschützten Rechtsgütern ergeben. Für den Nachweis bedingten Vorsatzes kann insbesondere an die vom Täter erkannte objektive Größe und Nähe der Gefahr angeknüpft werden.“ Solche Aufforderung zur „Gesamtschau“ und zur Beachtung aller möglichen (unbegrenzt vieler) „Wertungsgesichtspunkte“ bedeutet die totale Resignation vor der Aufgabe, die dem BGH und der Rechtswissenschaft gestellt ist, nämlich das Kriterium zu finden, wonach sich einigermaßen zuverlässig („rechtssicher“) entscheiden läßt, ob der Vorsatz vorliegt oder nicht vorliegt. Für den folgenden Vorschlag einer Lösungsformulierung zu Fall 43 sei davon ausgegangen, daß zur Einstellung der F nur gesagt ist: „Sie hofft beim Abdrücken inständig, daß es gutgehen werde.“ Wir empfehlen, dann für die Lösung die Erkenntnis zu nutzen, daß auch die Verfechter des voluntativen Elementes bei bewußter Schaffung einer derartig drastischen Todesgefahr, ungeachtet entgegengesetzter Beteuerungen, das „Wollen“ in Wahrheit direkt aus dem „Wissen“ ableiten. Man könnte also seine Lösung wie folgt fassen: F müßte vorsätzlich gehandelt haben (§ 15). Wie aus der Umkehrung des § 16 I 1 folgt, ist für den Vorsatz zumindest erforderlich, daß der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennt, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. F hatte nicht das sichere Wissen, daß sich eine Kugel lösen und M töten werde. Aber sie kannte die unerlaubte Gefahr dieser Auswirkung. Fraglich ist, ob das für den Vorsatz genügt. Die Kenntnis einer unerlaubten Gefahr der Tatbestandsverwirklichung hat auch, wer nur „bewußt fahrlässig“ handelt. Für den Vorsatz ist also mehr erforderlich. Die zusätzliche Voraussetzung Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 20 könnte entweder die Vorstellung einer besonderen, nämlich zugespitzt-unmittelbaren Gefahr sein oder ein „Wollen“ der Tatbestandsverwirklichung, verstanden etwa als „Ernstnehmen“ oder „billigendes Inkaufnehmen“. Traditionell und immer noch herrschend ist die Auffassung, die ein solches „Wollen“ fordert. Von diesem Standpunkt aus liegt es nahe, den Vorsatz der F zu verneinen, weil sie inständig gehofft, vielleicht sogar fest darauf vertraut hat, daß es gutgehen werde, und den Tod, jedenfalls im üblichen Sprachsinne, keineswegs „gebilligt“ hat. Die h.M., vor allem die Rspr., begnügt sich aber mit einer „Billigung im Rechtssinne“ und tendiert zumindest stark dahin, das „Wollen“ dem Täter zuzuschreiben, wenn er die Schaffung einer zugespitztunmittelbaren Gefahr gekannt hat. Das war hier der Fall. Es ist davon auszugehen, daß beide Ansichten hier zum selben Ergebnis führen. Der Vorsatz des A ist also von beiden Standpunkten aus zu bejahen. (4)Zum voluntativen Moment Farbe bekennen muß man dagegen im folgenden Fall 44: Vater V befiehlt seinem 15jährigen Sohn S, mit dem Mofa zum Supermarkt zu fahren und Schnaps zu kaufen. S weigert sich, weil er seinen Helm verliehen hat, gehorcht aber, als V mit Prügeln droht. V weiß, daß der Helm vorgeschrieben ist, nimmt die Verletzungsgefahr aber gleichgültig hin. Tatsächlich stürzt S und erleidet Prellungen am Kopf, die der Helm verhindert hätte. V hat die Verletzung des S verursacht. Das Erzwingen der Mofafahrt war im Hinblick auf die Verletzungsfolge sorgfaltswidrig, weil die Gefahrschaffung unerlaubt war (vgl. § 21a II StVO). In dieser Unerlaubtheit liegt der Unterschied zum Fall der beabsichtigten Todesverursachung durch Erschrecken, wo der Täter ein (noch) erlaubtes Risiko setzt, so daß ihm der Erfolg schon objektiv nicht zugerechnet werden kann. V hatte – wie F im Fall 43 – auch die Kenntnis einer unerlaubten Gefahr der Tatbestandsverwirklichung. Verlangt man, wie es u.E. richtig ist, für den Vorsatz zur Abgrenzung von der bewußten Fahrlässigkeit die Kenntnis einer besonderen unerlaubten, nämlich zugespitzt-unmittelbaren Gefahr, so ist der Vorsatz hier zu verneinen. Denn als V seine Tat beging (vgl. § 16 I 1), d. h. den S zu fahren nötigte, war das Verletzungsrisiko für S keine derart qualifizierte, sondern eine sehr geringe, wenn auch schon unerlaubte Gefahr. Nach der herrschenden Auffassung dagegen wäre das Wollen und damit der Vorsatz zu bejahen, weil V die Verletzungsfolge gleichgültig hingenommen („billigend in Kauf genommen“) hat. Hier müßte man sich also mit der Frage nach der Berechtigung des voluntativen Elementes auseinandersetzen. Wie gesagt, halten wir es nicht für berechtigt, so daß V nur wegen fahrlässiger und nicht wegen vorsätzlicher Körperverletzung bestraft werden kann. (5)Bei unvoreingenommenem Studium von Urteilen, die das „Wollen“ fordern und prüfen, gewinnt man den Eindruck, daß diese angeblich gültige zweite Vorsatzvoraussetzung bejaht oder verneint wird, je nachdem, ob die Richter im Hinblick auf die Persönlichkeit des Täters die Bestrafung wegen des Vorsatzdeliktes (meistens geht es um Mord und Totschlag!) für angemessen oder für unangemessen halten. Aufschlußreich ist der vom BGH (JR 1988, 115) beurteilte Fall 45: Karatekämpfer K wohnt mit seiner Freundin und deren ein Jahr altem Kind S zusammen. Aus Wut über dessen Schreien versetzt er ihm mit aller Kraft einen Handkantenschlag gegen den Kopf. S stirbt. Das Landgericht hatte K wegen Totschlags verurteilt. Der BGH hält dem LG entgegen, es habe „weder bedacht, daß vor der Billigung des Todes eine erhöhte Hemmschwelle liegt“, noch habe es „in seine Erwägungen die Persönlichkeit des A ... einbezogen. Von Bedeutung ist hierbei die Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 21 Einstellung des A und sein Verhalten gegenüber Kindern, die er zu betreuen hat, daß es ... nie zu irgendwelchen vergleichbaren Gewalthandlungen den Kindern gegenüber gekommen war und daß er sich auch gegenüber S grundsätzlich fürsorglich verhalten hat“. – Spüren Sie die Hilflosigkeit, die aus dem Fehlen eines echten Kriteriums erwächst? Die „Billigung“ ist kein solches, sie ist in Fällen dieser Art nach Belieben zu bejahen oder zu verneinen. So fragt der BGH denn nach A’s „Einstellung ... und ... Verhalten gegenüber Kindern ...“ Aber wenn man das generalisiert, dann könnte man sagen: Der BGH macht bei der einzelnen Tat den Vorsatz davon abhängig, ob der Angeklagte im allgemeinen ein anständiger Kerl ist! Überzeugender scheint uns die hier favorisierte Sichtweise. Wenn K, wovon beide Urteile ausgehen, die Todesgefahr richtig erkannt hat, dann muß man nur noch fragen, ob es sich bei der erkannten Gefahr über deren Unerlaubtheit hinaus um eine zugespitzt-unmittelbare handelte. Das ist wohl eindeutig zu bejahen. Also handelte K mit (bedingtem) Tötungsvorsatz. b) Andere Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes (Beispiele: aus Habgier, § 211; in Zueignungsabsicht, § 242; zur Täuschung im Rechtsverkehr, § 267). II. Die Rechtswidrigkeit 1. Die Rechtswidrigkeit als Abwesenheit von Rechtfertigungsgründen 2. Das Verhältnis der Rechtswidrigkeit zum Tatbestand, insbesondere die Abgrenzung der tatbestandlichen Pflichtwidrigkeit („objektive Zurechnung“) von der Rechtswidrigkeit Fall 46: A erschießt einen fremden Rottweiler, weil dieser ein Kind zu zerfleischen droht. Fall 47: A muß auf einem Parkplatz mit seinem Mercedes S 600 rückwärts aus der Parklücke. Er setzt zurück, ohne in den Spiegel zu blicken. Dadurch wird B, der gerade dazu ansetzte, den Lack am Kofferraum zu zerkratzen, seitlich weggestoßen. Er stürzt schmerzhaft zu Boden und kann sein Vorhaben nicht ausführen. 3. Einzelne Rechtfertigungsgründe a) Einwilligung Fall 48: F hat sich zur Durchführung einer Schönheitsoperation in die Privatklinik P begeben. Als die Assistenzärztin A ihr bei einer Voruntersuchung Blut abnehmen will, erklärt sich F nur unter der Bedingung einverstanden, daß ihr Blut nicht auf HI-Viren getestet werde. a) A sichert F das wahrheitswidrig zu. Tatsächlich wird der AIDS-Test später versehentlich unterlassen. b) A entgegnet, daß der Chefarzt sie ohne AIDS-Test nicht operieren werde. Daraufhin läßt F sich widerwillig Blut abnehmen. b) Mutmaßliche Einwilligung Fall 49: N betritt den Garten des abwesenden E, um dessen Polsterliege vor einem Wolkenbruch zu schützen. c) Notwehr, § 32 Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 22 Fall 50: Bei einem Streit mit seiner Ehefrau E geht M auf E los, um sie zu verprügeln. E sieht keinen anderen Ausweg, als zu einem Messer zu greifen und es M in die Brust zu stoßen. Die Verletzung ist tödlich (vgl. BGH, NJW 1975, 62 f.). d) Vorläufige Festnahme, § 127 StPO Fall 51: Kaufhausdetektiv K sieht, wie der Rentner R einen Taschenrechner einsteckt. Als R es ablehnt, sich auszuweisen, hält K ihn fest und führt ihn ab in das Büro des Geschäftsführers. Dort stellt sich heraus, daß es sich um R’s Taschenrechner handelte. e) Selbsthilfe, §§ 229, 230 BGB Fall 52: A sieht auf der Straße den ihm unbekannten B im Besitz des Fahrrades, das ihm vor zwei Wochen gestohlen worden ist. Als B die Herausgabe verweigert, hält A ihn gewaltsam fest und entreißt ihm das Fahrrad. f) Die Notstände; § 228 BGB, § 904 BGB; § 34 StGB Fall 53: Der preisgekrönte Schäferhund des E droht A’s alte Katze zu töten. A kann sie nur retten, indem er den Hund totschlägt. Fall 54: Auf einer Wanderung erleidet M einen Herzinfarkt. Seine Frau F will Hilfe holen und klingelt bei E. Als niemand öffnet, zerstört sie eine Scheibe, dringt ein und telefoniert nach einem Krankenwagen. g) Weitere Rechtfertigungsgründe Beispiele: § 193; das elterliche Züchtigungsrecht 4. Die Prinzipien der Rechtfertigung und ihre Bedeutung für Erweiterungen des Rechtfertigungskatalogs Fall 55: Bei einem Spaziergang im Park sieht A, wie B seinen Hund auf ein Eichhörnchen hetzt. Um das Eichhörnchen zu retten, ergreift A einen Knüppel und wirft ihn nach dem Hund. Schmerzhaft getroffen gibt dieser die Jagd nach dem Eichhörnchen auf. 5. Konkurrenz von Rechtfertigungsgründen a) Kumulation Fall 56: Passant P beschädigt und öffnet das abgeschlossene Auto des E, um den darin liegenden Säugling vor dem Hitzetod zu retten (vgl. § 904 BGB und „mutmaßliche Einwilligung“). b) Sperrwirkung Fall 57: A und B erkennen auf dem Flughafen den steckbrieflich gesuchten Frauenmörder M. Sie überrumpeln ihn und alarmieren die Polizei (vgl. § 127 StPO und § 34 StGB). 6. Partieller Unrechtsausschluß? (Fehlannahme und Verkennung rechtfertigender Umstände) a) Kein Unrechtserfolg bei objektiver Rechtfertigungslage? (oft behandelt als Problem des Fehlens „subjektiver Rechtfertigungselemente“). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 23 Fall 58: F lauert im Dunklen, mit einem Nudelholz bewaffnet, an der Haustür. Als sich die Tür leise öffnet, glaubt sie, es sei ihr wieder einmal betrunken heimkehrender Mann. Tatsächlich handelt es sich um den gefährlichen Einbrecher E. F schlägt ihn bewußtlos. b) Kein Unrechtsvorsatz bei Vorstellung einer objektiven Rechtfertigungslage? (Problem des „Er- laubnistatbestandsirrtums“) Fall 59: Mieter M hört aus der benachbarten Mietwohnung des Rentners R lautes Stöhnen. Er ist sofort überzeugt, R stöhne wegen eines lebensbedrohlichen Herzinfarktes um Hilfe und sei nicht mehr in der Lage, ihm zu öffnen. Darum wirft er sich mit aller Kraft gegen die Tür und zerstört sie. Drinnen erkennt er, was er leicht schon von außen hätte erkennen können: Die Geräusche rühren her von einem Thriller im Fernsehen. Fall 60: A läuft mit gezücktem Messer auf B zu und schreit: „Ich bring’ dich um!“ N fürchtet um B’s Leben und stellt A ein Bein. A stürzt und verletzt sich. In Wahrheit handelte es sich um einen Scheinangriff, verabredet von A und B, um Passanten zu erschrecken. c) Ausführliche Problemdarstellung Im Studium und Examen sind Strafrechtsfälle mit irrenden Tätern besonders beliebt. Eingehend befaßt haben wir uns bisher mit dem sog. Tatbestandsirrtum (besser: Tatumstandsirrtum), d.h. dem Kenntnismangel, der nach § 16 den Vorsatz entfallen läßt. Z.B. fehlt die Kenntnis der zum gesetzlichen Tatbestand (§ 223) gehörenden Umstände, wenn jemand im Kaufhaus einem starr dastehenden jungen Mann zum Spaß mit dem Regenschirm auf den Kopf schlägt im Glauben, es handle sich um eine Modepuppe. Gestreift wurde auch mehrfach der umgekehrte Fall des (untauglichen) Versuchs, wo der Täter sich irrig die „Verwirklichung des Tatbestandes“ vorstellt (§ 22): Er schlägt einer Modepuppe auf den Kopf im Glauben, es handle sich um einen Menschen. Beide Irrtümer – Tatumstandsirrtum und umgekehrter Tatumstandsirrtum – begegnen uns auf der Ebene der Rechtswidrigkeit wieder. So entspricht dem ersten der sog. Erlaubnistatbestandsirrtum (obwohl gleichfalls unglücklich, soll es bei diesem Terminus bleiben), oben veranschaulicht durch Fall 59. Und dem zweiten entspricht die Verkennung rechtfertigender Umstände (= Fehlen des „subjektiven Rechtfertigungselementes“, auch umgekehrter ETI genannt), oben konkretisiert durch Fall 58. Der Erlaubnistatbestandsirrtum (ETI) ist in seiner Rechtsfolge ganz besonders umstritten. Es wird im ersten Examen erwartet, daß der Prüfling den ETI präzise definieren, von anderen Irrtümern, vor allem dem „Erlaubnisirrtum“ (= Verbotsirrtum, § 17) richtig unterscheiden und die wichtigsten einschlägigen Theorien aufzählen kann. Wir empfehlen dringend, neben der hier folgenden Darstellung auch die von Wessels/Beulke, AT31, Rdnr. 453 ff., oder – noch besser – die von Roxin, AT3, § 14, Rdnr. 51-76, zu studieren. „Als Erlaubnistatbestandsirrtum bezeichnet man den Irrtum über die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes. Er liegt vor, wenn der Täter irrig Umstände für gegeben hält, die im Falle ihres wirklichen Gegebenseins die Tat rechtfertigen würden“ (Wessels/Beulke, Rdnr. 457). Zum Streit der Theorien sollten Sie das Folgende wissen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 24 – Die strenge Schuldtheorie sieht im ETI lediglich einen Verbotsirrtum und beurteilt ihn nach § 17. Sie setzt ihn also gleich mit Irrtümern, wie sie in unserem Fall 65 und Fall 66 vorliegen. Der Vater im Fall 59 hat danach deliktischen Vorsatz und verwirklicht das volle Unrecht des § 223. Allenfalls die Schuld kann nach § 17 S. 1 zu verneinen sein. Ist auch sie zu bejahen, weil der Irrtum vermeidbar war (Fall 59), wird der Täter, wenn auch vielleicht gemildert (§ 17 S. 2) aus dem Vorsatzdelikt bestraft. Näheres bei Wessels/Beulke, Rdnr. 469; Roxin, § 14, Rdnr. 59, 63-69. – Als rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie bezeichnet man eine Lehre, die der strengen Schuldtheorie nicht in den Ergebnissen, aber im Begrifflichen nahekommt (Wessels/Beulke, Rdnr. 478 f., 481, 484; Roxin, § 14, Rdnr. 56, 71-75). Nach ihr läßt der ETI den Vorsatz unberührt. Es soll das komplette Unrecht des Vorsatzdelikts vorliegen. Doch wendet diese Lehre auf der Schuldebene § 16 I 1 in dem Sinne analog an, daß sie die „Vorsatzschuld und eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat“ ausschließt. „Der ETI wird somit lediglich in seinen Rechtsfolgen dem in § 16 I 1 geregelten Tatbestandsirrtum gleichgestellt. Beruht die Fehlvorstellung des Täters auf einem Sorgfaltsmangel, kommt analog § 16 I 2 eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung in Betracht, sofern ein diesbezüglicher Fahrlässigkeitstatbestand im Gesetz existiert“ (Wessels/Beulke, Rdnr. 478). Im Fall 59 soll also V „an sich“ eine vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 I rechtswidrig begangen haben, aber doch nur nach § 229 strafbar sein. Wessels’ Satz von der Gleichstellung in den Rechtsfolgen ist freilich ungenau. Denn die Rechtsfolge des § 16 I 1 und damit des Tatumstandsirrtums lautet: „handelt nicht vorsätzlich“. Beim ETI soll der Vorsatz aber gerade nicht verneint werden. Das Gemeinsame soll nur sein: keine Strafbarkeit aus dem Vorsatzdelikt. Die rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie sieht gerade darin, daß sie den Vorsatz zwar begrifflich bejaht, aber die Bestrafung aus dem Vorsatzdelikt sperrt und auf die Fahrlässigkeitsdelikte „verweist“, ihre Pointe und Überlegenheit. Denn sie hält es bei dieser Differenzierung für konsequent, trotz des ETI eine „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ i.S. der §§ 26, 27 anzunehmen und ggf. andere wegen Anstiftung oder Beihilfe (zur Vorsatztat!) zu bestrafen. Wessels/Beulke legen das ausführlich dar in Rdnrn. 453, 481: A fällt im Garten des E einen Baum in der irrigen Meinung, E habe ihm dies erlaubt. B hat ihm die Motorsäge geliehen in der Annahme, A setze sich bewußt über E’s Willen hinweg. Nach Wessels/Beulke keine Bestrafung des A, weil er im ETI handelt und fahrlässige Sachbeschädigung nicht strafbedroht ist; wohl aber Strafbarkeit des B nach §§ 303, 27, weil er Hilfe geleistet hat zu A’s „vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat“. – Einen klareren Standpunkt beziehen die Anhänger einer Lehre, die meist eingeschränkte Schuldtheorie genannt wird, u.E. aber besser Unrechtstheorie hieße. Gemeint sind alle diejenigen, die im Falle des ETI den Vorsatz auch begrifflich und damit schon das Unrecht des Vorsatzdelikts, also das Vorsatzunrecht und nicht erst die Vorsatzschuld, verneinen. Wir wählen die Bezeichnung „Unrechtstheorie“, um den Gegensatz zu den Schuldtheorien zu betonen, die beide dem ETI erst bei der Schuld Relevanz geben. Der Terminus hat sich aber noch nicht durchgesetzt. Die Verneinung schon des Vorsatzunrechtes im Falle des ETI wird von manchen als direkte Anwendung des § 16 I 1 erklärt. Man bezeichnet diese Spielart der Unrechtstheorie als Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen. Für sie „ist die fälschliche Annahme rechtfertigender Umstände ein Tatbestandsirrtum, der in unmittelbarer Anwendung des § 16 I 1 den Vorsatz ausschließt und ggf. zu einer Bestrafung wegen fahrlässiger Tat führt. Zum ‘gesetzlichen Tatbestand’ i.S. des § 16 I 1 gehört nach dieser Lehre also auch das Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 25 Nichtvorliegen rechtfertigender Umstände“ (Roxin, § 14, Rdnr. 53; ausführlicher und ablehnend Wessels/Beulke, Rdnrn. 473-475). Verbreiteter ist jedoch die Verneinung des Vorsatzunrechtes in lediglich analoger Anwendung des § 16 I 1. Diese Variante der Unrechtstheorie (speziell sie wird meist als „eingeschränkte Schuldtheorie“ bezeichnet) „geht also davon aus, daß der ‘gesetzliche Tatbestand’ in § 16 I 1 nur den in den Tatbeschreibungen des Besonderen Teils erfaßten Deliktstypus in Bezug nimmt, will aber die irrtümliche Annahme einer rechtfertigenden Situation wie einen Tatbestandsirrtum behandeln“ (Roxin, § 14, Rdnr. 54, der in Rdnr. 62 ff. dieser Lehre den Vorzug gibt; ablehnend Wessels/Beulke, Rdnr. 476 f.). In der Fallbearbeitung steht man vor zwei Problemen. Erstens: An welcher Stelle der Deliktsprüfung ist der ETI zu behandeln? Zweitens: Welche Lehre verdient in sachlicher Hinsicht den Vorzug? Die erste Frage ist eine formale, eine Aufbaufrage, die sich u.E. klar beantworten läßt. Wählt man den üblichen dreistufigen Aufbau – Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld –, dann ist der ETI noch innerhalb der Rechtswidrigkeit zu erörtern, und zwar im Anschluß an die Feststellung, daß objektiv kein Rechtfertigungsgrund eingreift. Diese Einordnung ist zwingend auch für den, der in der Sache eine der beiden Schuldtheorien für richtig hält. Begründung: Wie die Existenz der Unrechtstheorie zeigt, ist es zumindest diskutabel (und u.E. sogar richtig), im Fall des ETI bereits den Vorsatz zu verneinen. Nach heute fast einhelliger, auch hier zugrunde gelegter Ansicht ist der Vorsatz kein Element der Schuld, sondern des Unrechts. Folgerichtig muß man den Vorsatz auch innerhalb des Unrechts prüfen. Unterteilt man das Unrecht in „Tatbestand“ und „Rechtswidrigkeit“, so ergibt sich zwangsläufig auch eine Zweiteilung der Vorsatzprüfung: Im „Tatbestand“ ist der Vorsatz im Hinblick auf die objektiven Tatbestandsmerkmale, in der „Rechtswidrigkeit“ im Hinblick auf die Abwesenheit von Rechtfertigungslagen zu prüfen. Deshalb mehren sich die Empfehlungen, den ETI schon bei der Rechtswidrigkeit zur Sprache zu bringen; so z.B. Kühl, AT, § 13 Rdnr. 77; Schlehofer, JuS 1992, 572, 578; ähnlich Schlüchter, Strafrecht AT2, S. 79 ff. Die immer noch verbreitete Empfehlung, den ETI erst in der „Schuld“ zu behandeln, ist demnach verfehlt, und zwar auch für die, die den Vorsatz trotz des ETI bejahen und selber der Ansicht sind, der ETI wirke sich erst auf der Ebene der Schuld aus. Auch sie müssen ja an deliktssystematisch richtiger Stelle zumindest die Frage nach der Vorsatzverneinung stellen. Wer den Vorsatz bejaht, tut allerdings recht daran, den ETI in der „Schuld“ weiterzubehandeln. Dort muß er zunächst erwägen, ob i.S. der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie analog § 16 I 1 wenigstens die „Vorsatzschuld“ (was immer das bedeuten mag) ausgeschlossen ist. Wer mit der strengen Schuldtheorie auch das ablehnt, muß jedenfalls einen Verbotsirrtum i.S.d. § 17 annehmen und klären, ob er vermeidbar war. Was die zweite Frage (welche Lehre ist vorzugswürdig?) betrifft, so entscheiden sich die Studierenden erfahrungsgemäß meistens für die rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie. Der Grund ist wohl, daß sie als die „herrschende Lehre“ gilt und ihre bejahend-verneinende Lösung (zwar Vorsatz, aber kein Vorsatzdelikt) bei oberflächlichem Hinsehen als goldener Mittelweg erscheint, der bei der Teilnahme Strafbarkeitslücken verhindert. In Wahrheit herrscht diese Lehre aber durchaus nicht. Die Unrechtstheorie hat mehr Anhänger, u.a. den BGH, und sogar viel mehr, wenn man den Blick auf die kritischen Überprüfungen der neueren Zeit beschränkt. Und die „goldene Mitte“ erweist sich, wenn man die Sache ernstlich bedenkt, als schlechter Kompromiß, Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 26 der in Teilnahmefällen zu Wertungswidersprüchen führt. Es gibt nämlich keine stichhaltigen Gründe, dem ETI eine andere und geringere Relevanz zu geben als dem Tatumstandsirrtum. Im einen wie im anderen Fall geht der Täter von Umständen aus, die, wenn sie vorlägen, das deliktsspezifische Unrecht entfallen lassen würden. Wegen dieser Gleichwertigkeit ist es auch falsch, im einen Fall eine teilnahmefähige, d.h. „vorsätzliche“ Tat i.S. der §§ 26, 27, anzunehmen, obwohl sich das im anderen eindeutig verbietet. Zur Veranschaulichung Fall 61: Frau F hat den Witwer W zum Freund gewonnen und ist zu ihm gezogen. Es kommt zwischen ihnen zum Streit, weil sie die Wohnung entrümpeln will. Während W spazieren geht, sortiert F eine riesige Ansammlung von Biergläsern aus. Selbst ohne Führerschein, bittet sie den 18jährigen Nachbarn N, die Gläser mit W’s Pkw wegzuschaffen und im Glascontainer zu zertrümmern. Dabei bemerkt sie lächelnd, er solle sich ja nicht von W erwischen lassen. N hält das für einen Scherz und glaubt leichtfertigerweise, daß die Benutzung des Autos und die Beseitigung der Gläser der Wunsch auch des W sei. F ihrerseits ist überzeugt, N habe begriffen, daß er gegen den Willen des W handle. Ein Handeln „gegen den Willen des Berechtigten“ ist bei § 248b unstreitig Tatbestandsvoraussetzung. Was dieses Delikt angeht, würden darum alle Irrtumslehren übereinstimmend für N einen vorsatzausschließenden Irrtum i.S. von § 16 I 1 annehmen und die Strafbarkeit verneinen. Bei § 303 dagegen wird das Fehlen der Eigentümerzustimmung von den meisten erst bei Prüfung der Rechtswidrigkeit festgestellt. Auf dieser Basis würde also sowohl die rechtsfolgenverweisende wie die strenge Schuldtheorie den Deliktsvorsatz bejahen und die letztgenannte Lehre den N sogar – wegen Vermeidbarkeit des Irrtums – aus § 303 bestrafen. Für diese verschiedene Beurteilung je nachdem, ob man den einen oder anderen Übergriff auf W’s Eigentum (Auto/Biergläser) ins Auge faßt, kann man aber nichts Einleuchtendes anführen. Der Gesetzgeber hätte die Voraussetzung „gegen den Willen“ genauso gut in den § 303 hineinschreiben oder umgekehrt in § 248b weglassen können. Außerdem kann man, wie es viele tun, das Fehlen der Einwilligung generell als (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal auffassen und damit den Schuldtheorien einfach die Grundlage entziehen: Der ETI wäre keiner mehr, sondern wäre in einen Tatumstandsirrtum verwandelt, der zweifelsfrei nach § 16 den Vorsatz entfallen ließe. Die hier verworfenen Irrtumslehren machen sich also abhängig von Zufälligkeiten der Gesetzesfassung und von dogmatischen Einordnungen, die im Grunde beliebig sind. Darum spricht es nicht für, sondern gegen sie, daß sie in unserem Beispiel eine Begründung bieten, F wegen Anstiftung zur Sachzerstörung (§§ 303, 26) zu bestrafen. F hat N ja ebenso zu einer Ingebrauchnahme des Autos gegen W’s Willen bestimmt (§ 248b). Der Gesetzgeber hat aber entschieden, daß es insoweit wegen der Gutgläubigkeit des N an einer von ihm „vorsätzlich begangenen ... Tat“ (§ 26) fehlt und deshalb F nicht als Anstifterin aus §§ 248b, 26 bestraft werden kann. Dann bedeutet es einen Wertungswiderspruch, die F hinsichtlich der anderen Eigentums- und Willensmißachtung aus §§ 303, 26 zu bestrafen. – Merken Sie sich Fall 61 und die durch ihn veranschaulichte Argumentation! Sie zeigen auf, wie sehr man sich doch hüten muß, dem zu trauen, was alle Welt anerkennt. Denn dem Argument der Strafbarkeitslücke, die in Teilnahmefällen drohe und die die rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie zu verhindern wisse, geben alle Gewicht, auch die Gegner dieser Lehre. Denkt man tiefer nach, dann entpuppt sich das Teilnahmeargument als Eigentor: Es ist von Übel, eine Strafbarkeit aus sich ableiten zu müssen, die einen Wertungswiderspruch zu feststehender, vom Gesetz eindeutig gewollter Straflosigkeit bedeutet. Im Folgenden finden Sie eine Anleitung, wie man im Sinne der vorstehenden Rechtsausführungen die Lösung zu Fall 59 formulieren kann, soweit sie die Rechtswidrigkeit bei Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 27 § 303 betrifft. Die Zusätze in eckigen Klammern haben erläuternden Sinn; sie gehören nicht zur eigentlichen Lösung. 1. Damit M nach § 34 gerechtfertigt ist, muss eine Gefahr für R bestanden haben. Dies bestimmt sich nach einem Ex-ante-Urteil. Auch M hätte erkennen können, dass dem R kein Schaden drohte. Eine Gefahr lag also nicht vor. R ist nicht wegen rechtfertigenden Notstandes gerechtfertigt. [Orientiert man sich am konventionellen Aufbau – „objektiv vor subjektiv“ –, muss man hier feststellen, dass der Täter auch im Hinblick auf das Fehlen der rechtfertigenden Umstände sorgfaltspflichtwidrig gehandelt, also das erlaubte Risiko überschritten hat; siehe soeben zu Fall 59. Im Fall 59 ist die Pflichtwidrigkeit mit der vorgenommenen Ex-ante-Gefahr-Beurteilung bejaht und erledigt.) Weil die Notwendigkeit dieses Prüfungspunktes aber von kaum einem Korrektor erkannt wird, empfiehlt es sich zur Zeit noch, bei einer – wie hier – gegebenen Sorgfaltspflichtverletzung den Punkt zu überspringen und sich auf die Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums zu beschränken. Fehlt allerdings die Sorgfaltspflichtverletzung, wie im Fall 60, dann muss man Farbe bekennen und richtigerweise auf eben dieses Defizit abstellen. Andernfalls droht ein Widerspruch: Das Unrecht des schwereren Vorsatzdeliktes wäre gegeben, das des leichteren Fahrlässigkeitsdeliktes wäre es nicht.] M ist also nicht objektiv gerechtfertigt. 2. Möglicherweise liegt das Unrecht des Vorsatzdeliktes § 303 nicht vor, weil M irrig Umstände annimmt, welche ihm hier das Recht zur Zerstörung der Tür geben würden (sog. Erlaubnistatbestandsirrtum). [Wie schon oben nach Fall 60 gesagt, behandeln viele den Erlaubnistatbestandsirrtum erst bei der Schuld; vgl. etwa Wessels/Beulke, AT31, Rdnr. 479 i.V.m. S. 325. Danach sollte man sich nicht richten. Denn es ist zumindest diskutabel – und u.E. sogar richtig –, bei Erlaubnistatbestandsirrtümern bereits das Unrecht des Vorsatzdeliktes zu verneinen; vgl. nur Schönke/Schröder-Lenckner26, Vor § 32 Rdnr. 21. Man übergeht also unzulässigerweise einen Zweifel, wenn man die Rechtswidrigkeit bejaht, ohne sich mit diesem Standpunkt auseinanderzusetzen. Deshalb mehren sich die Empfehlungen, den Erlaubnistatbestandsirrtum schon bei der Rechtswidrigkeit zur Sprache zu bringen; so z.B. Kühl, § 13 Rdnr. 77; Schlehofer, JuS 1992, 572, 578.] M müsste sich die Voraussetzungen des § 34 vorgestellt haben. M hat geglaubt, ... Er hat sich also die Umstände des § 34 vorgestellt, ein Erlaubnistatbestandsirrtum liegt mithin vor. [Denken Sie im Gutachten unbedingt daran, den Erlaubnistatbestandsirrtum nachzuweisen! Bis in die Examensarbeiten hinein ist die Neigung groß, voreilig zu den „Theorien“ über die Behandlung dieses Irrtums Stellung zu nehmen; das ist ein grober methodischer Fehler.] Vielleicht ist der Erlaubnistatbestandsirrtum als vorsatzausschließender Umstandsirrtum i.S.d. § 16 I 1 zu behandeln. Dann müsste M einen Umstand verkannt haben, der „zum gesetzlichen Tatbestand gehört“. Verkannt hat M das Fehlen der rechtfertigenden Umstände. Es kommt also darauf an, ob dieses Fehlen zu den Umständen gehört, die im „gesetzlichen Tatbestand“ beschrieben sind. Manche Autoren bejahen das (Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen). Die wohl h.M. tut das zwar nicht, sie wendet § 16 I 1 aber analog auf den Erlaubnistatbestandsirrtum an und verneint so ebenfalls den Vorsatz (eingeschränkte Schuldtheorie [u.E. besser: Unrechtstheorie]). Beide Ansichten verneinen also bereits das Unrecht des Vorsatzdeliktes. Andere Lehren dagegen bejahen das Unrecht des Vorsatzdeliktes und verschieben das Problem in die Schuld. Dort verneinen sie dann entweder die „Vorsatzschuld“ (rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie) oder wenden § 17 an (strenge Schuldtheorie). Nur vom letzten Standpunkt aus kommt es hier darauf an, ob M’s Irrtum vermeidbar war. M hätte die Sachlage leicht und schnell klären können. Dadurch hätte er seinen Irrtum beseitigt. Dieser war somit vermeidbar. Nur nach der strengen Schuldtheorie ist M also nach § 303 zu bestrafen. Den Vorzug verdient jedoch die Verneinung des Vorsatzunrechtes, wobei offenbleiben kann, ob man § 16 I 1 direkt oder analog anwendet. Für die Gleichbehandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums mit Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 28 dem Tatbestandsirrtum i.e.S. spricht, dass beide Irrtümer den Täter Umstände verkennen lassen, die sein Verhalten objektiv zum Unrecht machen. Wegen der Gleichartigkeit von Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen gibt es auch keine sachlichen Unterschiede zwischen beiden, anhand deren man dogmatisch sauber eine Grenze zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit ziehen könnte. [Das Problem und der Theorienstreit haben bekanntlich ein besonders großes Gewicht. Es bedarf also in Hausarbeiten einer ausführlicheren Darstellung, vgl. zu Fall 61 Herzberg/Scheinfeld, Der Erlaubnisttatbestandsirrtum – dargestellt in Form eines Seminarvortrages, demnächst in der JuS.] Somit fehlt es am Vorsatzunrecht. M hat also § 303 nicht rechtswidrig verwirklicht und kann aus dieser Vorschrift nicht bestraft werden. [Auch wenn man nicht den Unrechtstheorien folgt, ist es richtig, sie in der Rechtswidrigkeit zu diskutieren. Hat man sie verworfen – wofür es u.E. keine guten Gründe gibt! –, muß man die Rechtswidrigkeit bejahen und in der Schuld zu den beiden restlichen Theorien – rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie, strenge Schuldtheorie – Stellung nehmen.] ---------------Der ETI ist ein Lieblingskind der Dogmatik. Deshalb neigt man dazu, die Konstellation des ETI zu bejahen und dann in ihm das Problem des Falles zu erblicken. Man übersieht dabei leicht, daß manchmal nur scheinbar ein ETI vorliegt und das wirkliche Problem ein anderes ist, das sich – an den üblichen Aufbauregeln gemessen – schon vorher stellt. Der Fall kann nämlich so liegen, daß der Täter trotz seines Irrtums objektiv rechtmäßig gehandelt hat. Das ist immer dann der Fall, wenn die Vorstellung rechtfertigender Umstände ohne Sorgfaltsverstoß entstanden ist, so im schon oben unter II 6 b abgedruckten Fall 60: A läuft mit gezücktem Messer auf B zu und schreit: „Ich bring dich um!“ N fürchtet um B’s Leben und stellt A ein Bein. A stürzt und verletzt sich. In Wahrheit handelte es sich um einen Scheinangriff, verabredet von A und B, um Passanten zu erschrecken. Hier handelt N schon objektiv rechtens, weil seine Annahme oder auch nur sein zweifelndes Fürmöglich-Halten, A werde B erstechen, nicht sorgfaltswidrig war. Deshalb scheidet sowohl eine vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 als auch eine fahrlässige nach § 229 aus. Üblicherweise gelangt man zu diesem Befund erst auf dem Umweg über die Feststellung eines ETI, und das auch nur dann, wenn – wie hier – ein Fahrlässigkeitsdelikt in Betracht kommt. Man übergeht – bewußt oder unbewußt – die in den Rechtfertigungsgründen wiederkehrende Frage des objektiv erlaubten Risikos und beruft sich sogleich auf ein rein subjektives Defizit, das nach h. A. jedenfalls die Bestrafung wegen des Vorsatzdelikts verbietet. Strenggenommen ist das nicht korrekt. Man müßte mindestens ausdrücken, daß offenbleibt, ob es auch auf der Ebene der Rechtfertigungsgründe ein „erlaubtes Risiko“ gibt, und sich darauf berufen, daß jedenfalls das Unrecht des Vorsatzdelikts entfalle, weil der Täter sich rechtfertigende Umstände vorgestellt habe. Hier zeigt sich wieder die Vorzugswürdigkeit der Unrechtstheorie. Denn die Schuldtheorien verleiten dazu, das Unrecht des Vorsatzdeliktes zu bejahen und erst die Schuld zu verneinen, obwohl der irrende Täter nicht pflichtwidrig gehandelt hat. Wer aber keine Sorgfaltspflicht verletzt, kann auch kein Unrecht tun. Handgreiflich wird der Widerspruch, wenn man im Sinne der rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie beim Vorsatzdelikt (§ 223) die Rechtswidrigkeit angenommen hat und nach dem Umstieg auf das Fahrlässigkeitsdelikt (§ 229) dem Täter zubilligt, daß er sorgfaltspflichtgemäß und also rechtmäßig gehandelt hat. Aber auch vom Standpunkt der Unrechtstheorie aus versagt die „Jedenfalls“-Begründung, wenn sich der Täter nicht sicher war. So kann N in unserem Beispiel beides für möglich halten: daß der Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 29 Prof. Dr. Rolf D. Herzberg Angriff echt und daß er gespielt ist. Als „Putativnotwehr“ kann man sein Vorgehen gegen A dann nicht bezeichnen. N hält ja ernsthaft für möglich, keinen Angriff des A auf B abzuwehren und A unnötigerweise zu verletzen. Also muß man Farbe bekennen und sagen: N’s Eingreifen zur Abwehr des vielleicht echten, vielleicht gespielten Angriffs war in der Ungewißheit der Lage das kleinere Übel, als wenn er untätig geblieben wäre; deshalb war sein Eingreifen sorgfaltsgemäß, also objektiv rechtmäßig. ---------------Auch die Verkennung rechtfertigender Umstände ist in ihrer Rechtsfolge umstritten. Blicken wir auf Fall 58! Rein objektiv betrachtet hat F sich gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff in erforderlicher und gebotener Weise verteidigt (§ 32). Sie war sich dessen nur nicht bewußt; ihr fehlte allein das – fast allgemein geforderte – subjektive Rechtfertigungselement, bei § 32 oft ungenau als „Verteidigungswille“ bezeichnet. Herrschend ist inzwischen die Auffassung, daß der Täter jedenfalls nicht aus dem vollendeten Vorsatzdelikt bestraft werden darf. Vielmehr soll er nur wegen Versuchs, sofern strafbedroht, bestraft werden können. Umstritten ist, ob es sich dabei um eine direkte oder um eine entsprechende Anwendung der Versuchsregeln handelt. Dies zu entscheiden ist hier nicht der richtige Ort. Zutreffend ist jedenfalls die Verneinung des vollendeten Vorsatzdeliktes: Der tatbestandliche Erfolgsunwert der Körperverletzung wird durch den Erfolgswert der Verteidigung des Eigentums aufgewogen. Also kann F auch nicht wegen Vollendung bestraft werden, weil sie keinen schlimmen Erfolg vollendet hat. Höchstens ihre Handlung selbst kann noch Unrecht sein, und zwar deshalb, weil F die Notwehrlage nicht erkannte und sich also vorstellte, einen schlimmen Erfolg anzurichten. Dies ist allerdings nicht mehr im Rahmen des vollendeten Delikts zu prüfen, sondern selbständig als Versuch. 7. Rechtfertigung bei rechtswidrigem Vorverhalten? Fall 62: Dem Kind K ist sein Ball in einen hochumzäunten Garten geflogen, worin ein Bullterrier herumläuft. A ermöglicht K das Hinüberklettern. Wie vorausgesehen, muß er den Hund erschießen, weil dieser das Kind anfällt. III. Die Schuld 1. Allgemeine Kennzeichnung Schuld im strafrechtlichen Sinne setzt die Fähigkeit voraus, „das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“ (§ 3 JGG; vgl. auch §§ 20, 17 StGB). Deshalb eigentlich: ganz individuelle Beurteilung durch den Richter. Aber: Wir können diese Fähigkeit niemals erkennen, ja nicht einmal sicher sein, ob es sie überhaupt gibt (Determinismus-Streit: Ist der Mensch frei darin, einen eigenen Willen zu bilden?); richterliche Feststellungen wären darum unberechenbar und würden extrem divergieren. Darum: Unwiderlegliche Vermutungen und andere gesetzliche Vorgaben. 2. Die einzelnen Schuldregeln a) Zur „Schuldfähigkeit“ (defizitäre Beschaffenheit des Täters bei Tatbegehung?) – Kindlichkeit (§ 19 StGB) – Jugendliche Unreife (§ 3 JGG) Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 30 Fall 63: Der 13jährige A und der 15jährige B verprügeln den C. – Volljährigkeit (Umkehrschluß aus §§ 19 StGB, 3 JGG: die Schuldfähigkeit wird grundsätz lich vermutet) – Psychisch abnorme Befindlichkeit (§ 20) – vgl. auch § 21 (Strafmilderung bei verminderter Schuldfähigkeit) Fall 64: Nach einer Zechtour fährt A betrunken mit seinem Auto nach Hause. a) Seine Blutalkoholkonzentration beträgt 2 ‰. . b) Seine Blutalkoholkonzentration beträgt 3 ‰. – Verbotsirrtum (§ 17) Fall 65: Aus Dankbarkeit für das gute Erstvotum zu seiner Dissertation schenkt Assistent A seinem Doktorvater, Prof. P, eine Kiste Wein. P nimmt das Geschenk ohne Unrechtsbewußtsein dankend an (vgl. § 331). Fall 66: Die Krankenschwester K gibt dem unheilbar kranken P auf dessen ernstliches Verlangen hin eine tödliche Injektion, nachdem der Arzt A sie durch Vorlage eines gedruckten Gesetzentwurfs überzeugt hat, in solchem Fall sei neuerdings auch aktive Sterbehilfe erlaubt. – Bejahung des Unrechtes trotz festgestellter Unfähigkeit? § 17 und § 20 StGB sowie – weniger deutlich – auch § 3 JGG verneinen die Schuld für den Fall des Nichtvermeidenkönnens bzw. der Unfähigkeit. Diese Gesetzesentscheidung wirft eine Frage auf, die selten gestellt wird. Lediglich die Schuld zu verneinen impliziert die Bejahung der Rechtswidrigkeit und damit die Annahme, daß der schuldlose Täter sich pflichtwidrig verhalten habe. Ist das vereinbar mit dem alten und anerkannten Rechtsgrundsatz „ultra posse nemo obligatur“ (über sein Können hinaus kann niemand verpflichtet sein)? Beiläufig: Eine Umformung des Rechtssatzes des Juristen P. Iuventius Celsus (um 100 n.Chr.): „Impossibilium nulla obligatio est“ („Digesten“ L, 17, 185). Fall 67: A zecht in einer Kneipe. Er gerät mit einem anderen Gast in Streit und schlägt ihm wütend die Faust ins Gesicht. Seine Blutalkoholkonzentration beträgt 3,5 ‰. Käme es zur Verhandlung vor dem Strafrichter, so würde dieser dem A attestieren, daß er beim Zuschlagen sehr wohl eine rechtswidrige Körperverletzung (§ 223) begangen habe, also die Rechtspflicht zur Unterlassung gehabt habe. Konzediert würde ihm lediglich die Steuerungsunfähigkeit und deshalb ein Handeln ohne Schuld (§ 20). Die Feststellung der Rechtsund Pflichtwidrigkeit der Tat kann auch durchaus schon strafrechtliche Folgen haben, nämlich unter den Voraussetzungen des § 64 die „Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“. Wie verträgt sich das mit der genannten Regel, daß man immer nur im Rahmen seiner Fähigkeit zu einem Handeln oder Unterlassen verpflichtet sein kann? So haben wir doch auch im Fall 15 durch Verneinung schon der Handlungsqualität Frau F zugestanden, daß sie durch ihren Sturz in die Glasvitrine keineswegs das Unrecht einer Sachbeschädigung begangen hat. Ebenso würden wir bei einem Säugling, der durch lautes Schreien während einer Bestattungsfeier störend wirkt (vgl. § 167a), die Unfähigkeit, das Verbot zu vernehmen und sein Verhalten dem Verbot gemäß zu steuern, schon ganz fundamental berücksichtigen, d.h. wiederum Handeln und Unrecht verneinen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 31 Der Grund für die abweichende Beurteilung des A im Vergleich zu F und Säugling liegt in folgendem: Die „Steuerungsunfähigkeit“ des A ist keine empirisch nachweisbare Unfähigkeit wie die der hilflos stürzenden F und des Säuglings. Wir wissen zu wenig über das menschliche Gehirn, um so sicher wie bei F und dem Säugling beurteilen zu können, ob A zum erwünschten Nichtschlagen fähig oder unfähig war. Vielleicht war er trotz seiner Wut und Enthemmung immer noch fähig, sich zurückzuhalten. Und vielleicht wäre er andererseits sogar im nüchternen Zustand unfähig gewesen, sich zurückzuhalten. Diese Fähigkeit zur Selbstbeherrschung hängt davon ab, daß der Mensch frei ist darin, einen eigenen Willen zu bilden. Ob aber der Mensch einen solchen freien Willen hat oder nicht, ist ungeklärt; und es ist auch nicht zu sehen, wie diese Frage geklärt werden könnte. Daß das Zuschlagen für einen Nüchternen vermeidbar und für einen schwer Betrunkenen unvermeidbar war, beides kann man also nicht als sicher, sondern nur als möglich annehmen. Wenn § 20 dennoch ein entschiedenes Urteil fordert, nämlich daß wir die Fähigkeit entweder bejahen oder verneinen, dann kann diese Entscheidung nicht auf tatsächlicher Erkenntnis beruhen. Vielmehr ist sie bloße Zuschreibung. So also auch die des Richters im Fall 67. Seine Entscheidung, dem A Steuerungsunfähigkeit zuzubilligen, ist verbunden mit der stillschweigenden Annahme, A sei zur Selbstbeherrschung vielleicht doch fähig gewesen. (Von diesem immer bestehenden philosophischen Zweifel ist jener zu unterscheiden, der zur Anwendung des § 20 „in dubio pro reo“ führt. Dazu kommt es, wenn die Voraussetzungen des § 20 nur möglicherweise erfüllt sind; so im Fall 67, wenn ungewiß bleibt, wieviel A getrunken hat, und lediglich nicht auszuschließen ist, daß er infolge des Rausches schuldunfähig war.) Wenn man sich dies klarmacht – nämlich daß A vielleicht doch sich zu beherrschen fähig war –, dann wird deutlich, daß die Aufrechterhaltung des rechtlichen Verbotes auch gegenüber dem schwer betrunkenen A im verfassungsrechtlichen Sinne „geeignet“ ist, ihn zum gewünschten Nichtschlagen zu motivieren. Denn es ist immerhin möglich und man kann darauf hoffen, daß auch beim schwer Betrunkenen das rechtliche Verbot hemmend wirkt. Auf diese Chance durch die Verneinung des Unrechts zu verzichten wäre unzweckmäßig. Immerhin aber hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 20 vom Vorwurf der „Schuld“ und damit von der Strafandrohung abgesehen, weil es gute Gründe gibt, zu vermuten, daß es ein Mensch in A’s Zustand jedenfalls viel schwerer hat, sein Verhalten normgemäß zu steuern. Daß es – entgegen dem ersten Anschein – bei der Schuldverneinung in Wahrheit nur um die Zuschreibung und nicht um die Erkenntnis von Unvermeidbarkeit geht, wird noch deutlicher bei der Einsichtsunfähigkeit. Diese wird dem Täter durch § 17 S. 1 sogar unabhängig von den in § 20 vorausgesetzten sog. „biologischen Ursachen“ als schuldausschließend zugestanden. Wie aber gelangt man zu dem Urteil, daß der Täter die „Einsicht, Unrecht zu tun“, nicht erlangen konnte, d.h. seinen Verbotsirrtum „nicht vermeiden konnte“? Ganz offensichtlich anders, als man beim Säugling die Unfähigkeit feststellt, das Verbot überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Das zeigt Fall 68: B lernt auf einem Fest seine Halbschwester S kennen, von der er seit der Kindheit getrennt war. Sie verlieben sich und möchten miteinander auch sexuell verkehren. B fragt Rechtsanwalt R, ob ihnen das erlaubt sei. R bejaht die Frage, weil er nicht gut zugehört hat und irrig annimmt, B und S seien Stiefgeschwister. B teilt die Auskunft seiner Schwester mit. In der Folge haben B und S miteinander Geschlechtsverkehr. Beide verstoßen damit gegen § 173 II 2. Ihnen fehlte aber die „Einsicht, Unrecht zu tun“. Legt man die Rechtsprechung des BGH zugrunde, so konnten sie diesen Irrtum nicht vermeiden. Denn danach genügt für die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums in der Regel schon die (falsche) „Rechtsauskunft einer verläßlichen Person“ (BGHSt 40, 257 [264]). Eine wirkliche Unfähigkeit, die Unrechtseinsicht zu erlangen, kann damit nicht gemeint sein; die beiden hätten ja nur einen Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 32 zweiten Anwalt fragen müssen. Also handelt es sich in Wahrheit um nichts anderes als um das Zugeständnis, sich mit der gebotenen Sorgfalt über die Rechtslage informiert zu haben: Seinen Irrtum, kein „Unrecht zu tun“, kann schon derjenige „nicht vermeiden“, der sich sorgfaltsgemäß erkundigt hat! In anderen Schuldregeln taucht denn auch die Voraussetzung einer Unfähigkeit zur erwünschten Aktivität oder Passivität gar nicht erst auf. So in § 19: Schon von seinem Wortlaut her kommt es nicht darauf an, ob z.B. der Dreizehnjährige, der seinen Kameraden verprügelt, unfähig war, sein Unrecht einzusehen und sich zu beherrschen. Sein kindliches Alter genügt dem Gesetz, die Schuld zu verneinen. b) Zur „Entschuldigung“ (stand der Täter bei Tatbegehung in einer äußeren Situation typischer Bedrängnis?) – Notwehrüberschreitung (§ 33) Fall 69: Die extrem schreckhafte F hat sich zum Schutz vor Einbrechern mit einer Pistole bewaffnet. Als sie nachts tatsächlich im Keller einem Dieb gegenübersteht, schreit sie auf und schießt sofort. D wird schwer verletzt. F hätte auch durch bloße Drohung mit der Waffe den Angriff auf ihr Eigentum abwehren können. – Entschuldigender Notstand (§ 35) Fall 70: M, ein ehemaliges Mafia-Mitglied, tötet auftragsgemäß einen Staatsanwalt unter dem Druck der Drohung, daß sonst sein Kind K, das von anderen Mafiosi entführt worden ist, ermordet werde. – Übergesetzlicher entschuldigender Notstand Fall 71: Der Arzt A liefert wenige Geisteskranke der Vernichtung von „lebensunwertem Leben“ aus, weil sonst statt seiner ein anderer Arzt kurze Zeit später viel mehr Kranke in den Tod schicken würde (vgl. BGH, NJW 1953, 512 f.). 3. Irrtumsfälle a) Erhebliche Irrtümer Fall 72: Abwandlung von Fall 70: Das Kind ist bei der Drohung bereits tot. b) Unerhebliche Irrtümer Fall 73: Der 14jährige Tierquäler hält sich irrig für 13. Fall 74: A war geistig erkrankt. Er ist wieder gesund, steht aber aufgrund der früheren Erkrankung noch unter Betreuung (vgl. § 1896 BGB). Er glaubt deshalb, auch schuldunfähig i.S. von § 20 zu sein. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 33 4. Schuldhaftes Vorverhalten und Schuldausschluß (actio libera in causa, sed non libera in actione) Fall 75: A fährt im eigenen Pkw zu seiner Stammkneipe. Dort trinkt er sich gezielt den Mut an, seinen zänkischen Nachbarn N zu verprügeln. Wie von ihm vorausgesehen, fährt er später volltrunken nach Hause (vgl. § 316) und verprügelt den N (vgl. § 223). IV. Weitere Strafvoraussetzungen 1. Strafbarkeitsvoraussetzungen (noch materiellrechtlich!) – objektive Bedingungen der Strafbarkeit (z.B. die Nichterweislichkeit bei § 186, die schwere Folge bei § 231, die Zahlungseinstellung bei § 283 [VI], die rechtswidrige Tat im Rausch bei § 323a) – Fehlen von Strafausschließungsgründen (Indemnität, § 36; jugendliches Alter bei § 173 [III]) – Fehlen von Strafaufhebungsgründen („Tätige Reue“, z.B. § 306e). 2. Strafverfolgungsvoraussetzungen (schon prozeßrechtlich!) Z. B. Strafantrag, §§ 77 ff. StGB; Immunitätsaufhebung, Art. 46 II GG; keine Verjährung, §§ 78 ff. StGB). C. Das vorsätzliche vollendete Unterlassungsdelikt I. Echte und unechte Unterlassungsdelikte Fall 76: M, die Mutter eines kranken Kleinkindes, offenbart ihrem Freund F die feste Absicht, am nächsten Wochenende für drei Tage zu verreisen und Gott über das Schicksal des Kindes entscheiden zu lassen. F behält sein Wissen für sich. Am Samstag erkennt M’s Nachbarin N, daß das Kind allein ist und der Hilfe bedarf. Sie leistet aber keine und läßt das Kind sterben. Die Straftat der M (§§ 212, 13) ist ein sog. unechtes Unterlassungsdelikt. F und N hingegen begehen (nur) ein sog. echtes Unterlassungsdelikt (§ 138 I Nr. 6 bzw. § 323c). II. Der Tatbestand des unechten Unterlassungsdelikts – die Voraussetzungen des § 13 I StGB 1. Das Unterlassen der Erfolgsabwendung Ein verbreitetes Mißverständnis ist die Annahme, das „unechte Unterlassungsdelikt“ sei im Vergleich zum entsprechenden „Handlungsdelikt“ ein „aliud“; wer z.B. eine Sachbeschädigung durch Handeln begehe, etwa durch Zerschmettern einer Vase, erfülle nur die Voraussetzungen des § 303 und nicht auch die des § 13, weil er ja eben handle und nicht unterlasse. Das stimmt nicht. Man muß das Verhalten des Vasenzertrümmerers nur nachdenklich Merkmal für Merkmal Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 34 an § 13 messen und man erkennt, daß in seinem Handlungs- das (unechte) Unterlassungsdelikt als ein Minus enthalten ist. Das Unterlassen der Erfolgsabwendung insbesondere ist deshalb gegeben, weil der Täter es unterläßt, sich zurückzuhalten, sich zu beherrschen, sich zu zügeln (oder wie immer man das Nichtunterdrücken des Handlungsimpulses bezeichnen will), und es infolgedessen zum Zerstörungserfolg kommt. Das Verhältnis zwischen dem Handlungs- und dem entsprechenden (unechten) Unterlassungsdelikt ist das gleiche wie das zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger, zwischen vollendeter und versuchter Straftat oder auch wie das zwischen Raub und Diebstahl: Alle Voraussetzungen des zweiten Delikts gelten genauso für das erste, welches aber noch ein weiteres Merkmal aufweist (eingehende Darstellung bei Herzberg, JuS 1996, 377). Das Beispiel der Vasenzerstörung wirft auch ein Licht auf die beliebte rechtstheoretische Unterscheidung zwischen „Verbot“ und „Gebot“ (Leseempfehlung: Klaus F. Röhl, Praktische Rechtstheorie: Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen und das fahrlässige Unterlassungsdelikt, JA 1999, 895). Mir scheint es unergiebig und irreführend, den in einem Straftatbestand jeweils enthaltenen Rechtsbefehl im Sinne eines Gegensatzes der einen oder der anderen Kategorie zuzuordnen. Ist etwa in einem Kloster den Mönchen zeitweilig das Reden verboten, so ist ihnen damit zugleich das Schweigen geboten. Ver- und Gebot sind nur verschiedene Aspekte der Rechtsnorm, wie eine Münze uns mal die eine, mal die andere Seite zeigt. § 303 lesend, hat man natürlich das aktive Tun und dessen Verbot vor Augen. Aber man muß sich eben nur den inneren Vorgang der Motivierung und Entschlußbildung bewußt machen, um die Unterlassung und das Gebot, sich von der Zerstörung zurückzuhalten, zu begreifen. Umgekehrt denkt man bei § 323c („wer ... nicht Hilfe leistet“) primär gewiß an das Untätigbleiben und das Gebot, aktiv zu helfen. Aber in der Mißachtung des Gebotes steckt die Entschließung, nicht zu helfen, und diese ist durch § 323c genauso verboten wie alles äußere Tun, das die Hilfe unmöglich macht, z.B. das Weglaufen vom Unglücksort. Die Gefahr der Irreführung zeigt sich m.E. im genannten Aufsatz. Nach Röhl ist „jede Fahrlässigkeit eine Unterlassung pflichtmäßigen Handelns“ (S. 900). Er lehrt, „daß das fahrlässige Erfolgsdelikt immer in einer Unterlassung besteht“ (S. 901). Betrachtet man die §§ 222, 229, so rückt allerdings, das ist zuzugeben, der Unterlassungs- und Gebotsaspekt stärker in den Vordergrund. Das verrät schon der Terminus „fahrlässig“. Man läßt „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht“ (§ 276 I 1 BGB), also gewissermaßen den Dingen ihren Lauf. Aber bei Lichte besehen ist das ja keine Besonderheit des Fahrlässigkeitsdeliktes. Die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist als „objektive Zurechnung“ genauso Tatbestandsvoraussetzung des entsprechenden Vorsatzdeliktes (s.o., S. 11). Wenn man nun, wie Röhl, für das Fahrlässigkeitsdelikt eine Sonderbetrachtung fordert, verwickelt man sich in Widersprüche. Fall 77: A will einen abgebrochenen Ast loswerden und wirft ihn über die Hecke in Nachbars Garten. Der Ast trifft ein dort spielendes Kind und verletzt es am Auge. A hat ein Körperverletzungsdelikt begangen. Es wäre nun nicht einleuchtend, wollte man den Gegensatz bilden, daß er im Falle des Vorsatzes durch Handeln gegen ein Verbot (§ 223) verstoßen, hingegen im Falle der Fahrlässigkeit durch Unterlassen ein Gebot (§ 229) mißachtet habe. Denn beide Tatbestände stimmen, vom Vorsatz abgesehen, in ihren Voraussetzungen vollkommen überein. Dann müssen beide Vorschriften auch darin übereinstimmen, daß sie sowohl die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gebieten wie deren Mißachtung durch Werfen verbieten. Vor allem aber führt Röhls Sicht zu einem falschen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Ergebnis: Bei fahrlässigem Werfen des A hätte der Richter die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 II. Es ist offensichtlich, daß der Gesetzgeber auch für fahrlässige Straftaten differenzieren wollte zwischen Handlungs- und Unterlassungsdelikten (im Beispiel Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 35 etwa zwischen dem eigenen Werfen und dem Nichteinschreiten gegen das eigene Kind, wenn dieses den Ast wirft). Nach Röhl bestünde in sämtlichen Anwendungsfällen der §§ 222, 229 die Strafmilderungsmöglichkeit, die § 13 II ersichtlich nur für bestimmte Fälle einräumen wollte. 2. Die zusätzliche Voraussetzung des tatbestandlichen Handelns („Abgrenzung von Tun und Unterlassen“) Nach allem geht es bei der bekannten Problematik der „Abgrenzung“ genau genommen um das Kriterium, womit man erkennt, wann in Fällen des § 13 die zusätzliche Voraussetzung des Handlungsdeliktes vorliegt, so daß sich die Strafmilderung nach § 13 II verbietet und das unechte Unterlassungsdelikt im maius des Handlungsdelikts aufgeht. Fall 78: A verspürt während eines Trauergottesdienstes einen unwiderstehlichen Lachreiz. Er weiß, daß sein Lachen eine skandalöse Störung wäre und er sie nur durch schnelles Hinausgehen vermeiden könnte. Das ist ihm zu lästig. Er bleibt und kann so nicht verhindern, daß er in schallendes Gelächter ausbricht. A hat hier den zum Tatbestand des § 167a gehörenden Erfolg zumindest „nicht abgewendet“ (§ 13). Es fragt sich aber, ob sein Verhalten über ein bloßes Unterlassen hinausgeht und schon als Handeln zu bewerten ist. Wenn ja, scheidet die fakultative Strafmilderung des § 13 II aus, wenn nein, steht sie dem A zu. Zur Bestimmung des qualifizierenden Kriteriums findet sich in Rechtsprechung und Literatur keine überzeugende Lösung. Der folgende Entwurf, gemeinsam verfaßt von Hardtung, Herzberg und Schlehofer, versucht dem Mangel abzuhelfen und den Studierenden für ihre schriftlichen Arbeiten etwas Praktikables an die Hand zu geben. Das geht allerdings nur, indem man – „systematische“ Auslegung! – viele Fälle miteinander vergleicht und dabei vom Gesicherten und Evidenten zur Lösung der zweifelhaften Fälle fortschreitet. Darum sind die folgenden Ausführungen verhältnismäßig lang. a) Nach allgemeinsprachlichem Verständnis zeichnet sich die Handlung gegenüber der Unterlassung durch eine willkürliche Körperbewegung oder Muskelanspannung aus. Es ist auch sehr verbreitet, diese Kennzeichnung des Handelns als Kriterium für die Abgrenzung zu verwenden. Damit erzielt man in den meisten Fällen richtige Ergebnisse. Allerdings sind es nur unproblematische Fälle, deren Einordnung man gar nicht begründen müßte: das Totschießen eines Menschen, das Wegnehmen einer Sache, das Aussprechen einer Beleidigung. Außerdem bewältigt es nicht alle unproblematischen Fälle. Fall 79: Der Medizinstudent A will beweisen, daß man „durch Gedanken töten kann“. Er richtet ein Gerät zur Messung des Hautwiderstandes so her, daß die Schreibnadel bei einem bestimmten Ausschlag einen elektrischen Kontakt herstellt und so durch Stromschlag eine Labormaus tötet. An dieses Gerät schließt er den noch ahnungslosen B an. Dann klärt er ihn auf und bittet ihn, sich etwas Aufregendes vorzustellen, um so den nötigen Ausschlag zu verursachen. Tatsächlich gelingt das dem B, indem er sich ein sexuelles Abenteuer ausmalt. B hat weder seinen Körper bewegt noch einen Muskel angespannt. Aber er begeht die Sachbeschädigung (§ 303) und die Wirbeltiertötung (§ 17 TierSchG) gleichwohl nicht durch bloßes Unterlassen. Solche Fälle werden nirgends bedacht; man darf aber davon ausgehen, daß alle hier eine Deliktsbegehung durch Handeln bejahen würden. Also sind Körperbewegung und Muskelanspannung als Kriterien zu eng. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 36 Man könnte an eine Erweiterung denken, indem man auf eine Anstrengung oder auf den Einsatz von (physischer oder psychischer) Energie abstellt. Denn Denken ist anstrengend und kostet Energie. Aber auch dieses Kriterium hat Konsequenzen, die wohl niemand akzeptieren würde. Fall 80: Frau F hört das Kind K ihrer Nachbarin N vor Hunger erbärmlich schreien. Sie könnte ohne weiteres in die Wohnung der N und K versorgen und empfindet einen starken Antrieb, dies zu tun. Weil sie aber andererseits N nicht entlasten will, unterdrückt sie die ganze Zeit über ihren Drang. Wie von F befürchtet, stirbt K. Hier darf man davon ausgehen, daß alle – umgekehrt – ein bloßes Unterlassen annehmen würden. Mit dem erwogenen Kriterium wäre das aber nicht vereinbar. Denn auch das Unterdrücken des Rettungsdranges ist Anstrengung. Unseres Erachtens verschwinden die Ungereimtheiten, wenn man für das tatbestandliche Handeln ein Verhalten im strafrechtlichen Sinne voraussetzt, durch das der Körper die Außenwelt verändert. Diese Voraussetzung ist erfüllt in so gut wie allen Fällen einer willkürlichen Körperbewegung oder Muskelanspannung. Sie ist aber auch erfüllt im Fall 79, denn von B’s Gehirn geht ja der schädliche Impuls aus, der die Schreibnadel in die Höhe treibt. Hingegen ist sie nicht erfüllt im Fall 80. F’s Gehirn verändert – bei aller Anstrengung – die Außenwelt nicht: Das Geschehen verläuft genauso, wie es verliefe, wenn es F gar nicht gäbe. (Natürlich verändert F die Außenwelt durch viele Tätigkeiten wie Herumgehen, Essenkochen usw. Aber mit diesen Akten erfüllt sie offensichtlich keinen Tötungstatbestand. Denn sie sind mit Blick auf den Tod des K weder kausal noch pflichtwidrig). Hingegen ist im Fall 78 wiederum ein Handeln anzunehmen: Der Körpervorgang des Lachens erzeugt Schallwellen und verändert so die Außenwelt. Die Konsequenz dieses Kriteriums ist, daß man auch in vollkommener körperlicher Bewegungslosigkeit „handeln“ kann. Fall 81: Der schwergewichtige G ist bei E zu Gast und sitzt ganz entspannt in einem Sessel. Als ihn ein anderer Besucher darauf hinweist, daß der Stahlrohrrahmen des Sessels der starken Belastung nicht lange standhalten könne, läßt G es darauf ankommen und bleibt ruhig sitzen. Zwei Minuten später knickt der Rahmen ein und G sinkt nach hinten. Der Körper des G verändert durch Druck auf den Sessel die Außenwelt, nämlich die Materialstruktur des Stahlrohrrahmens. G beschädigt den Sessel also durch ein Handeln. Fall 82: Assistent Dr. D hat sich über seinen Chef, Professor P, geärgert. Als P am Morgen D’s Dienstzimmer betritt und freundlich grüßt, läßt D demonstrativ die Beine auf dem Schreibtisch, bleibt bewegungslos und erwidert den Gruß nicht. Auch von D geht eine Außenweltveränderung aus: Sein Körper gibt eine Erklärung ab. Denn seit P das Zimmer betreten hat, drückt die körperliche Haltung des D aus, daß er P mißachtet. D beleidigt (§ 185) P also durch ein Handeln. b) Mit dem genannten Kriterium ist die Unterscheidung zwischen dem jeweils tatbestandlichen Handeln und Unterlassen noch nicht vollständig geleistet. Zwar kann man negativ sagen: Wenn eine Außenweltveränderung fehlt, scheidet ein Handeln aus. (Wenn demnach der Täter nicht wegen eines Handlungs-, sondern „nur“ wegen eines Unterlassungsdeliktes bestraft wird, ist damit allerdings noch nicht über eine Strafmilderung nach § 13 II entschieden. Man denke etwa an den Fall der Mutter, die ihr Kind ermordet, indem sie es qualvoll verhungern läßt! Hier wäre Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 37 es wohl unangemessen, die Strafe zu mildern.) Hingegen kann man nicht umgekehrt sagen: Wenn eine Außenweltveränderung stattfindet, liegt ein tatbestandliches Handeln vor. Denn für die Annahme eines tatbestandlichen Handelns reicht nicht jede Außenweltveränderung aus. Wie der systematische Zusammenhang zwischen dem Handlungsmerkmal und der Rechtsfolge ergibt, muß die Außenweltveränderung so schwer wiegen, daß sich schon die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 13 II verbietet. Fall 83: Frau T pflegt seit Jahren ihren steinalten, bettlägerigen Vater V. Sie wünscht seinen Tod und beschließt, ihn nicht länger zu versorgen. Ihr ist klar, daß sie nüchternen Sinnes die tödliche Unterlassung nicht übers Herz brächte, wenn sie V in seiner Not nach ihr rufen hört. a) Sie verläßt darum das Haus. Als V nach ihr ruft, hört sie ihn nicht und läßt ihn unversorgt. V stirbt. b) Sie betrinkt sich. Als V nach ihr ruft, ist die volltrunkene, nach § 20 schuldunfähige T so gleichgültig, daß sie ihn unversorgt läßt. V stirbt. T verändert die Außenwelt: Einmal durch Veränderung ihres Aufenthaltsortes, das andere Maldurch Leertrinken von Flaschen. Die Frage ist, ob das für ein tatbestandliches Handeln reicht. Möglicherweise wiegt das Weggehen bzw. das Trinken nicht schwerer, als wenn T zu Hause im nüchternen Zustand beim Rufen des V den inneren Rettungsimpuls unterdrückt und deshalb die Versorgung unterlassen hätte; und das wäre zweifellos nur ein Unterlassen gewesen (siehe oben zu Fall 80). Für die Antwort kommt es nach dem Großen Senat (BGHSt 6, 46, 59) darauf an, wo der „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ liegt. Diese Formulierung ist zu weit geraten und deshalb irreführend. Es geht ja um die Frage des Tatbestandes: Liegt ein tatbestandliches Handeln oder Unterlassen vor? Das kann man nicht mit der „Vorwerfbarkeit“ entscheiden, weil zur Vorwerfbarkeit auch die Schuld gehört, und die ist eben noch nicht an der Reihe. Das zeigt sich deutlich im Fall 83 b: Weil das Unterlassen der T, für sich betrachtet, schuldlos war (§ 20), kann hier überhaupt keine Vorwerfbarkeit und also auch nicht deren „Schwerpunkt“ liegen. Man würde das tatbestandliche Unrecht des Unterlassungsdelikts wegen des Fehlens der Schuld verneinen müssen und könnte nur noch ein Handlungsdelikt bejahen. Dieser Kritik entgeht die im Schrifttum verbreitete Antwort, die Entscheidung hänge „davon ab, bei welcher Verhaltensform der Schwerpunkt liegt“ (Schönke/Schröder-Stree, vor § 13 Rdnr. 158. Ähnlich Wessels/Beulke, Rdnr. 700). Aber diese Antwort ist in Wahrheit nur eine Wiederholung der Frage. Will man etwa für Fall 83 wissen, ob das Weggehen bzw. das Trinken der T so schwer wiegt, daß es als ein tatbestandliches Handeln anzusehen ist, dann kann man diese Frage auch dahin stellen, wo der Schwerpunkt ihres Verhaltens liegt. Der Schwerpunkt ist also Gegenstand der Frage; er kann nicht zugleich das sie beantwortende Kriterium sein. Darum bietet die zuletzt genannte Schwerpunkt-Formel nur eine Scheinlösung. Es kommt darauf an, den Schwerpunkt zu bestimmen, und statt dafür das Kriterium zu bieten, überläßt sie die Bestimmung dem Rechtsgefühl. Das richtige Kriterium erschließt sich über den Vergleich von zweifelhaften mit eindeutigen Fällen. So kann man im Fall 83 fragen, ob das Weggehen bzw. Trinken so schwer wiegt wie ein eindeutiges Handeln, etwa das Erwürgen des V, oder nur so schwer wie ein reines Unterlassen, also das bloße Nichtversorgen des V (ohne vorheriges Weggehen oder Trinken). Ein eindeutiges Unterlassen wäre es gewesen, wenn T, statt wegzugehen oder zu trinken, ihren Rettungsimpuls rein innerlich niedergerungen hätte (vgl. Fall 80). Diesem Fall und dem Fall 83 ist gemeinsam, daß die Täterin sich selbst als Rettungsfaktor ausschaltet. Der Unterschied liegt darin, daß das Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 38 einmal durch Außenweltveränderung (Fall 83), das andere Mal durch rein innere Anstrengung (Fall 80) geschieht. Würde man diesen Unterschied ausschlaggebend sein lassen, müßte man auch bei geringfügigen äußeren Selbsteinwirkungen ein Handeln bejahen: Jemand hält sich die Ohren zu oder wendet sein Gesicht ab, weil er sonst die ihm gebotene Rettungshandlung zu unterlassen nicht über das Herz brächte. Intuitiv neigt man aber wohl dahin, hier ein bloßes Unterlassen anzunehmen. Dafür gibt es auch einen rationalen Grund. Das Gewicht des Weggehens bzw. Trinkens hängt nämlich ab vom Gewicht der Gefahr, die es schafft. Diese Gefahr ist im Fall 83 die, daß T beim Rufen des V untätig bleibt. Also wiegt die Selbstausschaltung nicht schwerer als die dadurch verursachte eigene Unterlassung. T hat, indem sie sich ausschaltete, einen Totschlag (oder gar Mord) nur durch Unterlassen begangen; eine Strafmilderung nach § 13 II ist möglich. Ähnlich verhält es sich mit der Konstellation, die oft mit „Abbruch eigener Rettungsbemühungen“ (vgl. dazu den Fall bei Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 702) gekennzeichnet wird. Fall 84: Vater V erleidet beim Schwimmen im offenen Meer einen Herzanfall. Er kann sich aus eigener Kraft nicht mehr retten. Seine Tochter T eilt ihm mit dem Motorboot zur Hilfe, ergreift V an den Händen und zieht ihn ein Stück hoch. Plötzlich kommt ihr der Gedanke, V sterben zu lassen, um den Erbfall zu beschleunigen. Darum läßt sie ihn wieder los. V gleitet zurück in das Wasser und ertrinkt. Hier hat T durch Außenweltveränderung sich selbst als Rettungsfaktor ausgeschaltet, indem sie den V los ließ. Das kann aber nicht schwerer wiegen, als wenn sie es unterlassen hätte, einen anderen Retter, der keine Lust mehr hat, beim Hochziehen abzulösen. Auch T hat also nicht durch Handeln getötet. – Anders z.B. Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 702, die hier eine „vorsätzliche Tötung durch aktives Tun“ bejahen würden, weil T dem V „eine realisierbare Rettungsmöglichkeit eröffnet hat“. Daß es darauf ankommen soll, wird aber nicht begründet und leuchtet nach dem Fallvergleich im Text auch nicht ein. T hat „nur“ einen Habgiermord durch Unterlassen begangen (§§ 211, 13), weil sie V retten konnte und dafür rechtlich einstehen mußte. Ein Gegenbeispiel bildet Fall 85: S will den Tod seines bettlägerigen Schwiegervaters V. Darum entführt er seine Frau T gegen ihren Willen. V bleibt infolgedessen unversorgt und stirbt. Die Ausschaltung eines Rettungsfaktors außerhalb der eigenen Person ist nicht anders zu bewerten als die direkte Herbeiführung eines tatbestandlichen Erfolges. Das zeigen Vergleichsfälle: Wer einem Zuckerkranken das Insulin entzieht und dadurch den Tod verursacht, hat zweifellos durch Handeln getötet. Von diesem Fall unterscheidet sich der Fall 85 nicht wesentlich. Ob Leben durch bereitliegendes Insulin oder einen bereitstehenden Menschen gerettet würde, ist für das Gewicht der ausschaltenden Außenweltveränderung ohne Bedeutung. Stark umstritten ist die Konstellation, daß der Außenfaktor gleichsam als „verlängerter Arm“ des Ausschaltenden betrachtet werden kann. Fall 86: Chefarzt C hat angeordnet, daß der komatöse Patient P mit der Herz-Lungen-Maschine am Leben erhalten werden soll. Nach einigen Tagen schaltet er eigenhändig die Maschine ab, weil er erhebliche Gehirnschäden befürchtet. Diese Entscheidung entspricht nach Lage der Dinge nicht den medizinrechtlichen Regeln. C hätte vielmehr den P weiterhin am Leben halten müssen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 39 Wohl herrschend ist hier die Einstufung als bloßes Unterlassen. Man argumentiert damit, daß der Fall nicht wesentlich anders liege, als wenn etwa jemand die mit dem eigenen Körper betriebene künstliche Beatmung eines Verunglückten abbricht und so den Tod nicht länger abwendet. Allerdings ist auch diese Konstellation nicht so unstreitig, wie das Argument sie erscheinen läßt. So soll nach Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 702, das tödliche Loslassen eines Seiles, womit man das Opfer aus einem Brunnen herauszuziehen begonnen hat, als Handeln zu bewerten sein. Die Unterschiede sind aber in Wahrheit beträchtlich. Man darf das Wirken des Außenfaktors „Maschine“ nicht ebenso zurechnen wie eigenkörperliches Wirken. Das zeigt sich deutlich, wenn es nicht um nützliche, sondern um schädliche Wirkungen geht, wie im Fall 87: Der unheilbar kranke K wird wegen einer Stoffwechselentgleisung zur Erhaltung seines Lebens vom Internisten I durch einen Perfusor mit Insulin versorgt. I erkennt, daß die Dosis überhöht ist, unternimmt aber nichts dagegen, weil er K von seinen Leiden erlösen will. Nach einiger Zeit fällt P in ein hypoglykämisches Koma und stirbt. Betrachtet man im Fall 86 die Maschine als „verlängerten Arm“ des C, dann muß man folgerichtig hier den Perfusor als „verlängerten Arm“ des I betrachten. Die Konsequenz wäre, daß man das Wirken des Perfusors dem I als dessen Handeln zurechnen müßte, so daß I – nach Fassung des Tötungsvorsatzes – ein Handlungsdelikt (§ 212) begangen hätte. Dazu würde sich aber wohl niemand versteigen. Dann muß die Prämisse falsch sein: Das Wirken eines Außenfaktors steht eben strafrechtlich unter keinen Umständen dem eigenkörperlichen Wirken gleich. Also auch nicht im Fall 86: C hat den P nicht durch bloßes Unterlassen (Aufhören mit eigener Tätigkeit) getötet, sondern durch Handeln (aktives Abschalten der selbsttätigen Maschine). c) Der Ertrag der vorstehenden Fallvergleiche ist die folgende Formel: Wer den tatbestandlichen Erfolg, den er vermeiden könnte, nicht vermeidet, verursacht ihn durch Handeln, wenn während des fraglichen Verhaltens sein Körper nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele. In dieser Fassung ist das Kriterium so abstrakt, daß viele damit nichts anfangen können. Man muß es darum ausführlicher und anschaulicher formulieren: Wer den tatbestandlichen Erfolg, den er vermeiden könnte, nicht vermeidet, verursacht ihn jedenfalls durch Unterlassen, aber vielleicht sogar durch Handeln. Es kommt darauf an, ob der Erfolg von seinem Körper abhängt. Man denke sich also den Körper für den Zeitpunkt des fraglichen Verhaltens weg, löse ihn sozusagen in Luft auf für den Augenblick, da er sich anschickt, etwa das Opfer im Wasser wieder loszulassen (Fall 84) oder die Herz-Lungen-Maschine abzuschalten (Fall 86)! Wäre der Erfolg dann genauso eingetreten? Wenn ja (wie im Fall 84), liegt nur ein Unterlassen vor, und zwar auch bei aktiver Verursachung, z.B. durch Weglaufen zur Vermeidung von Mitleid (Fall 83 a). Wenn nein (wie im Fall 86), ist selbst bei passiver Verursachung, z.B. durch Verharren im überlasteten Sessel (Fall 81), ein Handeln anzunehmen. 2. Der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehörende Erfolg – nur bei den sog. Erfolgsdelikten? Fall 88: Ein Vater läßt es aus Bosheit geschehen, daß sein Kind in eine fremde Wohnung stürmt und einen verhaßten Schulkameraden verprügelt (vgl. §§ 123, 223). 3. Das rechtliche Einstehenmüssen (= Garantenpflicht) Die Garantenpflicht als Element der objektiven Zurechnung. Sie ist Sorgfaltspflicht, also Pflicht zur Wahrung der Grenzen des erlaubten Risikos a) Garantenpflichtbegründende Umstände (= Garantenstellung) Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 40 aa) Beschützergaranten – Familiäre Verbundenheit Fall 89: Eine Mutter läßt ihr Kleinkind, der erwachsene Sohn seine sieche Mutter verhungern. Fall 90: Eine Frau läßt ihren volltrunkenen Mann in der Badewanne ertrinken. Fall 91: Herr M feiert mit Freunden ein Gartenfest und fürchtet, daß sein alter Schwiegervater S sich störend dazugesellt. Darum schließt er S in dessen Dachstübchen ein. Frau F hört ihren Vater rufen, befreit ihn aber nicht. – Obhutsübernahme Fall 92: Babysitterin B ärgert sich über den frechen Schützling und läßt es absichtlich geschehen, daß er sich am Herd verbrennt. Fall 93: Bei einer Südpolexpedition lassen fünf Teilnehmer den sechsten sterben, als dieser in eine Gletscherspalte stürzt. bb) Überwachergaranten – Sachen als Gefahrquellen Fall 94: Der sadistische Hauseigentümer E beobachtet mit Vergnügen, wie auf seinem vereisten Bürgersteig Passanten stürzen. – Personen als Gefahrquellen Fall 95: M besucht mit seiner schizophrenen Frau F eine Wahlveranstaltung und läßt es zu, daß F aufs Podium stürmt und den Wahlredner ohrfeigt. – Die eigene Person als Gefahrquelle; insbesondere: vorangegangenes gefährliches Tun („Ingerenz“) Hier ordnet sich genau genommen das Handlungsdelikt ein, das aber als spezieller (und von vielen unerkannter) Fall des Unterlassens der Erfolgsabwendung ohne Heranziehung des § 13 direkt dem jeweiligen Deliktstyp des BT subsumiert wird. Fall 96: Der freche Schüler S provoziert seinen Lehrer L so lange, bis L schließlich die Beherrschung verliert und ihm „die Hand ausrutscht“. Als Handlungsdelikte eingeordnet hat unser Kriterium auch das Täterverhalten in Fall 78 (störendes Lachen, § 167a), Fall 81 (beschädigendes Sitzen, § 303) und Fall 82 (beleidigendes Verharren, § 185). Anders liegt es in den folgenden Beispielen. Fall 97: M fährt nachts mit seinem Motorrad auf einer einsamen Kreisstraße den betrunkenen Fußgänger F an. F verliert durch den Sturz das Bewußtsein und droht an seiner Zunge zu ersticken. M flüchtet, ohne vorher zu tun, was er als notwendig erkennt, nämlich F in die stabile Seitenlage zu bringen. F erstickt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 41 Fall 98: Der Arzt A ertappt in seinem Haus den Einbrecher E. E greift A so gefährlich an, daß A ihn nur durch einen Pistolenschuß abwehren kann. A läßt E verbluten, obwohl er richtig erkennt, daß E durch sofortige Hilfe gerettet würde. b) Garantenpflichtbegrenzende Umstände (erlaubtes Risiko) Fall 99: Mutter M läßt ihre siebenjährige Tochter auf einer Spielstraße Rollschuh laufen und nimmt übliche Sturzverletzungen in Kauf. Tatsächlich kommt das Kind mit blutigen Knien weinend nach Hause. 3. Die Entsprechungsklausel (§ 13 I a. E.) Fall 100: M will an der Hafenmole seine Frau F knipsen. Um auch den Leuchtturm ins Bild zu bekommen, geht er langsam ein paar Schritte rückwärts und fällt ins Wasser. F hat das kommen sehen. III. Die Rechtswidrigkeit Die Besonderheit der rechtfertigenden Pflichtenkollision Fall 101: Vater V kann aus dem brennenden Haus nur den Sohn oder die Tochter retten. Er entscheidet sich für die Tochter. IV. Die Schuld Problem der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“. Fall 102: Polizist P sieht, daß sein Sohn S bei einer Demonstration eine Schaufensterscheibe einwirft. Aus Rücksicht auf S unternimmt er nichts. Dadurch entgeht S der Strafverfolgung. Bei der „Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens“ geht es um ein Prinzip, auf das letztlich alle Schuldausschließungsgründe zurückgeführt werden können. Es ist vergleichbar dem Grundsatz des überwiegenden Interesses, auf dem fast alle Rechtfertigungsgründe beruhen. Ähnlich nun wie man speziellere Rechtfertigungsregeln nicht über § 34 entwerten darf (s.o. Fall 57), dürfen auch auf der Schuldebene die gesetzlich vertypten Regeln nicht durch Rückgriff auf das allgemeine Prinzip unterlaufen werden. Dieses Verbot kann aber wiederum nur als Grundsatz gelten. Das heißt in erster Linie für vorsätzliche Handlungsdelikte, denn auf sie sind die Schuldregeln vor allem gemünzt. So sieht es auch die heute wohl allgemeine Ansicht, die deshalb den Grundgedanken der Unzumutbarkeit als Korrektiv nur für Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte heranzieht. Denn hier wirkt der Normappell von vornherein grundsätzlich schwächer als dort, wo ggf. der Rechtsbruch in einem sowohl aktiven wie vorsätzlichen Verhalten läge. Bei Unterlassungsdelikten wird der Gedanke der Unzumutbarkeit vielfach schon im Tatbestand berücksichtigt (vgl. etwa § 323c StGB: „obwohl ... den Umständen nach zuzumuten“). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 42 D. Der Versuch (das vorsätzliche nicht vollendete Delikt) I. Die sog. Vorprüfung und die Frage ihrer Berechtigung 1. Die Nichtvollendung des Delikts Fall 103: S will in einer Skinhead-Gruppe Mitglied werden und sich gleich bewähren, indem er einen Punk mit einem Baseballschläger verprügelt. Als er den Schläger ergreift, befiehlt ihm der Gruppenführer genau diese Tat und bedroht ihn mit körperlicher Züchtigung, wenn er nicht gehorche. In dieser Weise doppelt motiviert, schlägt S zu. 2. Die Strafbarkeit des Versuchs, § 23 Abs. 1 Fall 104: A will im Treppenhaus seinem Nachbarn B eine Ohrfeige geben. B duckt sich, A schlägt ins Leere. Danach läuft B, von A verfolgt, in seine Wohnung. Es gelingt ihm gerade noch, sich in Sicherheit zu bringen, indem er A die Tür vor der Nase zuschlägt. 3. Ergebnis Der Interessierte sei verwiesen auf Hardtungs Aufsatz „Gegen die Vorprüfung beim Versuch“ in Jura 1996, 293 ff. Hinreichend ist aber schon die „Zusammenfassung“ auf S. 301: „Zum Tatbestand des Versuches gehört nicht, daß die Vollendung ausgeblieben ist (I. 1., 2.). Deshalb ist auch der erfolgreiche Versuch einer Straftat ein Versuch. Nur wird seinetwegen nicht bestraft, sobald das Delikt zur bestrafbaren Vollendung gelangt, denn dann tritt der Versuch hinter der Vollendung zurück (I. 3.). ‘Ausbleiben der Vollendung’ bedeutet folglich ‘Ausbleiben einer vollendeten Straftat’ (I. 4.). Die Vorprüfung ‘Nichtvollendung’ ist nichts weiter als eine nach vorne gezogene Prüfung der Gesetzeskonkurrenz. Bei offensichtlicher Nichtvollendung ist sie überflüssig; bei zweifelhafter Nichtvollendung ist sie deplaziert, weil dann vor dem Versuch Vollendung zu prüfen ist; immer also ist sie unangebracht (I. 5.). Dem Leser eines Strafrechtsgutachtens muß zu Beginn einer jeden Deliktsprüfung mitgeteilt werden, daß die untersuchte Norm die Rechtsfolge ‘Strafbarkeit’ ausspricht. Das gilt auch bei einer Versuchsprüfung. Dazu bedarf es aber so gut wie nie einer besonderen Vorprüfung. Vielmehr reicht bei Vergehen immer und bei Verbrechen meistens eine präzise Fassung der Überschrift, nämlich beispielsweise ‘§§ 242 I, II, 22’ und ‘§§ 212 I, 22, 23 I, 12 I’; bei der Prüfung vollendeter Delikte begnügt man sich damit ja auch (II. 1.). Nur in seltenen komplizierteren Konstellationen muß genauer belegt werden, daß die versuchte Straftat ein Verbrechen darstellt (II. 2). Die Vorprüfung beim Versuch stellt nach alldem nur scheinbar eine Besonderheit dar. Sie hat zur Hälfte keine Existenzberechtigung (Nichtvollendung), zur anderen Hälfte (Strafbarkeit) müssen wir dem Leser des Gutachtens nicht mehr und nicht weniger mitteilen als bei der Prüfung vollendeter Delikte.“ II. Der Tatbestand – die Voraussetzungen des § 22 1. Die Vorstellung von der Verwirklichung des Tatbestandes und etwaige sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale (der sog. Tatentschluß) a) Der Vorsatz aa) Die Vorstellung von der strafrechtlich mißbilligten Gefahr der Tatbestandsverwirklichung (üblicherweise bezeichnet als „Für-möglich-Halten der Tatbestandsverwirklichung“ bei „Absicht“ und dolus eventualis und als „Für-sicher-Halten der Tatbestandsverwirklichung“ bei der Wissentlichkeit). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 43 Fall 105: M will ihr schwerbehindertes Kleinkind mit Barbituraten vergiften, gibt ihm aber infolge einer Verwechslung harmlose Vitamintabletten ein. Fall 106: A sticht auf eine Voodoo-Puppe in dem Glauben ein, dadurch den Menschen zu töten, dem sie nachgebildet ist. Fall 107: Um mit seiner Sportlichkeit zu prahlen, erhöht der Schüler S den Punktwert in seiner „Sieger-Urkunde“ von den letzten Bundesjugendspielen. Er ist dabei überzeugt, sich wegen Urkundenfälschung strafbar zu machen. Fall 108: V hat sein Auto an K verkauft, aber noch nicht übereignet. Als ihm am nächsten Tag X mehr Geld bietet, verkauft und übereignet er an diesen. Er nimmt an, dadurch eine „fremde“ Sache zu unterschlagen. Fall 109: Sohn S will den Tod seines alten Vaters V. Bei einem Museumsbesuch ergreift er eine dort ausgestellte alte Pistole, legt in gespieltem Scherz auf V an und drückt ab. Seine ganz schwache Hoffnung, es werde sich ein tödlicher Schuß lösen, erfüllt sich nicht. bb) Die sog. Tatentschlossenheit als Vorsatzelement? Fall 110: A findet in der Nähe eines VW-Golf einen VW-Autoschlüssel. A hält für gut möglich, daß es der Schlüssel für den Golf ist. Ihm kommt der Gedanke, mit dem Auto eine Spritztour zu machen. a) A will den Schlüssel erst einmal ausprobieren, ist sich aber noch nicht schlüssig, ob er das Auto gegebenenfalls auch benutzen wird. b) A ist entschlossen, das Auto zu benutzen, falls der Schlüssel paßt. c) A ist entschlossen, das Auto zu benutzen, macht sich aber bewußt, daß er sein Vorhaben im letzten Moment vielleicht doch noch aufgeben wird. Der Schlüssel paßt nicht. b) Sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale (wie „aus Habgier“ in § 211, „um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern“ in § 253). 2. Das nach der Vorstellung des Täters gegebene unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung a) Das Ansetzen – ein strafrechtlich mißbilligtes? (Vgl. das Erfordernis der strafrechtlich mißbilligten Gefahrschaffung bei der objektiven Zurechnung, oben Drittes Kapitel, B I 1 a dd.) Fall 111: H, die Haushälterin des Industriellen I, will an seinem Wandsafe einmal ihr Glück versuchen und stellt willkürlich eine Zahlenkombination ein. Wenn sich der Safe öffnet, will sie mit einigen Hundertmarkscheinen ihr Gehalt aufbessern. H weiß, daß I ihr kategorisch verboten hat, an den Geldschrank zu gehen, andererseits weiß sie aber auch, daß ihre Chance nur 1:10000 ist. Es kommt, wie es zu erwarten war: Der Safe bleibt geschlossen. Fall 112: A geht im Thüringer Wald im Gebiet der ehemaligen Zonengrenze spazieren. Gegen seinen Willen ist ihm der Neufundländer seines Nachbarn E gefolgt. Das Gelände war früher schwer vermint, ist aber inzwischen durchsucht und der Öffentlichkeit freigegeben. A hat gerade von zwei Fällen gelesen, wo trotz Freigabe unentdeckte Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 44 Minen schwere Unfälle verusacht haben. In der vagen Hoffnung, den verhaßten Hund zu Tode zu bringen, wirft er einen Ast weit ins Unterholz. Der Hund holt den Ast zurück und bleibt unversehrt. Fall 113: Siehe Fall 105. b) Die Unmittelbarkeit des Ansetzens Fall 114: M, die Mutter des von T sexuell mißbrauchten Kindes K, richtet im Gerichtssaal mit Tötungsabsicht eine Pistole auf den angeklagten T und hat den Finger schon am Abzug, als sie von einem geistesgegenwärtigen Wachtmeister noch im letzten Moment am Schuß gehindert wird. Fall 115: E ruft aus Frankfurt/Oder den brandenburgischen Bundestagsabgeordneten A in Bonn an und droht, dessen Stasi-Vergangenheit zu enthüllen, wenn A ihm nicht 10.000 € Schweigegeld zahle. Fall 116: Der Terrorist T will vom Rheinufer gegenüber dem Regierungsviertel den Politiker P erschießen, wenn dieser wie gewohnt am Mittag die jenseitige Uferpromenade entlangspaziert. Als T schon den Finger am Abzug hat, nimmt ihm ein Schiff die Sicht auf P. Als es vorbei ist, ist P verschwunden. Fall 117: X und Y wollen nachts in eine Bank eindringen, um den Tresor aufzuschweißen und zu leeren. Schon beim Betreten der Bank lösen sie aber Alarm aus und werden gefaßt. Fall 118: Der Landstreicher L entdeckt, daß das Ferienhaus des E unbewohnt und die Tür nicht verschlossen ist. Er geht hinein, um sich dort für drei Monate einzuquartieren und anschließend eines der Fahrräder mitzunehmen, die sich – wie er weiß – im Haus befinden. Fall 119: Der Bankräuber B setzt der Geisel die Pistole an die Schläfe und ist entschlossen, sofort abzudrücken, wenn der Kassierer die Herausgabe des Geldes verweigert. c) Die Problematik beim Versuch, die Straftat durch einen anderen zu begehen (sog. mittelbare Täterschaft) Fall 120: Neffe N besucht seine Erbtante E und tauscht die Pille, die sie nach ärztlicher Vorschrift am nächsten Morgen dem Röhrchen entnehmen und schlucken soll, heimlich aus gegen eine täuschend ähnliche Gifttablette. Als er anderntags wiederkehrt, findet er zu seiner Enttäuschung die Tante heiter und unversehrt, weil sie ihre Medizin zu nehmen vergessen hat. Fall 121: Die zwölfjährige K, deren Eltern geschieden sind, lebt bei ihrer Mutter M und verbringt das Wochenende bei ihrem Vater V. K erzählt ihm am Samstag, daß ihre Freundin neulich die schlechte Überwachung im Kaufhof genutzt habe, ein Parfüm zu stehlen. V verspricht ihr daraufhin Geld, wenn sie ebendort am Montag für ihn eine Flasche Joop-Rasierwasser stehle. K erklärt sich, nach anfänglichem Zögern, ernstlich bereit. Danach sprechen sie von anderem. Auch als K sich am Sonntagabend verabschiedet, kommt weder sie noch V auf die Sache zurück. Um die richtige Lösung streiten im wesentlichen drei Theorien. Die erste stellt ab auf das letzte eigene Handeln des mittelbaren Täters, die zweite auf sein Entlassen des Geschehens aus dem Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 45 eigenen Herrschaftsbereich, die dritte auf das unmittelbare Ansetzen seitens des Tatmittlers. Nach meiner Überzeugung haben alle drei zum Teil recht, verfehlen aber auch alle drei die richtige Lösung, weil sie gemeinsam von einer falschen Prämisse ausgehen, nämlich der Annahme, daß der Anfang des Versuchs immer zugleich auch schon dessen Verwirklichung ist. „Die Fehler der einen wie der anderen Seite werden m.E. vermieden, wenn man die Dinge so sieht: Beim deliktischen Versuch ist zu unterscheiden zwischen Versuchshandlung und Versuchserfolg. Jene bedeutet schon die Teilerfüllung des Versuchstatbestandes, dieser muß hinzutreten, damit das Versuchsdelikt komplett zustande kommt. Dafür entscheidend ist in den Fällen unseres Themas – genau wie sonst – die unmittelbare Gefahr der Verwirklichung des Tatbestandes, gemessen an der Vorstellung des Täters beim eigenen Handeln. Der Versuch liegt also jedenfalls dann vor, wenn der Tatmittler die Zuspitzungshandlung vornimmt, die der Täter beim eigenen Handeln erwartet hat, die also im Rahmen seiner zu dieser Zeit gegebenen Vorstellung liegt. Er liegt – mit schwächerem Gewicht – auch bereits dann vor, wenn der Zeitpunkt erreicht ist, für den der Täter beim eigenen Handeln die Zuspitzungshandlung sich als frühestens möglich vorgestellt hat. Weder so noch so kommt aber das Versuchsdelikt zustande, wenn der Täter vor diesem Zeitpunkt erfährt, daß die Deliktsvollendung ausgeschlossen ist“ (Herzberg, FS für Roxin, 2001). Diese Zusammenfassung ist dermaßen dicht, daß man sie nur mit großer Mühe verstehen kann. Der Interessierte sei verwiesen auf die Abhandlung, die dem Resümee voraufgeht. III. Rechtswidrigkeit und Schuld Was ist die Beurteilungsgrundlage: die objektiven Umstände oder die, die der Täter sich vorgestellt hat? 1. Bei der Rechtswidrigkeit Fall 122: Die Ärztin A steht bei einem Hausbesuch vor der Etagentür ihres herzkranken Patienten P. Da er auf ihr Klingeln nicht öffnet und sie ein Stöhnen aus der Wohnung zu hören glaubt, nimmt sie an, P habe einen Herzanfall erlitten. A ruft vergeblich nach anderen Hausbewohnern und wirft sich schließlich mit aller Kraft gegen die Tür, um sie aufzubrechen. Die Tür ist aber so stabil, daß sie nicht den geringsten Schaden erleidet. a) A’s Annahme ist richtig. P stirbt. Wäre die Tür aufgesprungen, hätte A ihn retten können. b) A irrt. P ist nur vor dem laufenden Fernseher eingeschlafen und schnarcht. 2. Bei der Schuld Fall 123: Der 14jährige K hält sich aufgrund falscher Datierung seines Geburtstags für 13. Im Streit will er seinen Spielkameraden S mit einem Messer verletzen. S gelingt es aber zu fliehen. Fall 124: Im Fall 72 überlebt der Staatsanwalt den Anschlag. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 46 IV. Der Rücktritt gem. § 24 1. Die Rechtsfolge: „Wegen Versuchs wird nicht bestraft“ Fall 125: M bringt seiner unheilbar kranken Frau F mit Tötungsabsicht heimlich ein Gift bei. Als F bewußtlos wird, erfaßt ihn Reue. Er ruft den Notarzt und rettet F dadurch das Leben. 2. Die Voraussetzungen des § 24 a) Vorprüfungen und ungeschriebene Merkmale? aa) nach der Tätervorstellung kein „Fehlschlag“ des Versuchs? Also: Unanwendbarkeit des § 24 auf den „fehlgeschlagenen Versuch“, „Vorprüfung“, ob vielleicht ein solcher vorliegt? Fall 126: Der Student S will das durch ein Zahlenschloß gesicherte Fahrrad seines Kommilitonen K stehlen. S glaubt, die richtige Zahlenkombination zu kennen, weil er K beim Einstellen der Zahlen beobachtet hat. Als S es mit der Kombination probiert, öffnet sich das Schloß aber nicht. S nimmt an, daß es doch nicht die richtigen Zahlen gewesen seien und läßt von dem Fahrrad ab, weil er auf andere Art den Diebstahlsschutz nicht beseitigen kann. Tatsächlich stimmte die Kombination. Es war nur die letzte Zahl nicht richtig eingerastet. bb) Unbeendetheit oder Beendetheit des Versuchs? Fall 127: A sticht in Tötungsabsicht mit dem Messer auf B ein, hört dann auf und rechnet zunächst damit, daß B stirbt. Als B wütend mit der Polizei droht, läßt A ihn ziehen und hält es jetzt für recht wahrscheinlich, daß B überleben werde (vgl. BGH, NStZ 1989, 525). Resümee: Entgegen üblicher Subsumtions- und Fallösungspraxis sollte man bei § 24 weder „Vorfragen“ stellen noch „ungeschriebene Merkmale“ annehmen, sondern streng die Voraussetzungen der Vorschrift prüfen (näher Scheinfeld, JuS 2002, 250 ff.). b) Die geschriebenen Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 aa) Das freiwillige Aufgeben der weiteren Tatausführung, § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. (1)Die „weitere Ausführung der Tat“ (a) Die „Tat“ als Tatbestandsverwirklichung Fall 128: Theologiestudent T fühlt sich durch die laute Musik aus dem Nachbarzimmer des Kommilitonen K gestört und beschließt, die Kabel der Lautsprecherboxen zu zertrennen. Im letzten Augenblick zieht er aber die Kneifzange zurück, weil er K durch den Diebstahl einer Bibel aus der Lutherzeit noch mehr zu treffen hofft. Als T gerade mit dem Buch hinausgehen will, kommt K herein, stellt ihn zur Rede und entreißt ihm das Buch. (b) Die Eingrenzung der Tatbestandsverwirklichung: Einzelakt- oder Gesamtbetrachtung? Hier geht es um besonders prüfungswichtige Fragen. Darum im folgenden eine ausführliche Darstellung der typischen Klausurkonstellationen anhand der gesetzlichen Merkmale unter Einbeziehung des Diskussionsstandes in Rechtsprechung und Literatur. Fall 129: Siehe Fall 127. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 47 Fall 130: L verfolgte B. Als L ihn bereits erreicht und berührt hatte, stach B mit einem Messer auf ihn ein, um L zu entkommen. Den Tod des L nahm er in Kauf. L konnte so weit ausweichen, daß ihn nur ein Stich am Arm traf. Er wandte sich daraufhin von B ab. B erkannte, daß er noch weiter auf L einstechen konnte, tat dies aber nicht (vgl. BGH, NStZ 1994, 493). Fall 131: C stieß M ein Messer tief in den Leib, um ihm einen „Denkzettel“ zu verpassen. C nahm dabei den Tod des Opfers in Kauf. Er verließ nach dem Stich den Raum. M verspürte zunächst keine Schmerzen und blieb stehen. Als er die Verletzung bemerkte, fuhr er mit dem Fahrrad zur Polizeistation. Ohne ärztliche Hilfe hätte die erlittene Verletzung spätestens nach 24 Stunden zum Tode geführt. Den Feststellungen war „nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, daß der Angeklagte nach dem Messerstich den Eintritt des Todes des Verletzten für möglich gehalten habe“ (BGH[GS]St 39, 211). A, B und C haben sich eines versuchten Totschlags schuldig gemacht. Sie werden gem. § 24 I 1, 1. Alt. wegen des versuchten Totschlags aber nicht bestraft, wenn sie freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben haben (Situation des sog. unbeendeten Versuchs [eine unnütze Kennzeichnung, aber man sollte sie aus taktischen Gründen in Klammern hinzusetzen]). Das ihnen mögliche weitere Zustechen müßte die „weitere Ausführung der Tat“ i.S.d. § 24 I 1, 1. Alt. gewesen sein. Mit „Tat“ kann hier nach dem systematischen Zusammenhang nur die Tat gemeint sein, die der Täter versucht hat. Sie ist zu sehen in der „Verwirklichung des Tatbestandes“, wozu der Täter „nach seiner Vorstellung“ unmittelbar angesetzt hat (§ 22). Die Frage ist also, ob man den zweiten Stich, wenn A, B und C ihn vorgenommen hätten, mit dem ersten zu einer Tatbestandsverwirklichung verschmelzen würde; denn dann wäre der zweite Stich die „weitere Ausführung der Tat“. Diese Möglichkeit wird von den Vertretern der sog. Einzelakttheorie abgelehnt. Nach ihrer Auffassung muß jede auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete und nach der Tätervorstellung erfolgstaugliche Handlung als selbständiger Versuch gewertet werden (Backmann, JuS 1981, 340 f.). Nach dieser Lehre scheidet ein Rücktritt für A, B und C aus. Aber die Einzelakttheorie pauschaliert zu sehr und führt darum in manchen Fällen zu falschen Lösungen. Es ist in der Konkurrenzlehre anerkannt, daß mehrere Handlungen im natürlichen Sinne eine Gesetzesverletzung bilden können, so etwa eine Serie von Ohrfeigen (§ 223) oder eine Kaskade von Schimpfworten (§ 185). ( Vgl. Sowada, Jura 1995, 247 ff.; Warda, FS f. Oehler, S. 242 ff., beide mit weiteren Nachw. auch aus der Rspr.) Während in der Literatur viele von einer „tatbestandlichen Handlungseinheit“ (Schönke/Schröder-Stree, 26. Aufl., Vor §§ 52 ff. Rdnrn. 13 ff.) sprechen, bevorzugt die Rspr. den Begriff „natürliche Handlungseinheit“ (der Begriff ist mißverständlich, weil die Rspr. damit nicht nur die Verbindung mehrerer Handlungen zu einer Gesetzesverletzung, sondern auch die Verbindung mehrerer Gesetzesverletzungen zu einer Handlung i.S.d. § 52 I bezeichnet; ausführlicher hierzu Sowada, Jura 1995, 247 ff.; Warda, FS für Oehler, S. 242 ff.). Jenseits der begrifflichen Differenzen besteht aber Einigkeit darin, daß man ein Strafgesetz nur durch die Verwirklichung seines Tatbestandes verletzen kann. Der systematische Zusammenhang drängt deshalb dahin, die Begriffe Tat (§ 24), Verwirklichung des Tatbestandes (§ 22) und eine Gesetzesverletzung (§ 52) zur Deckung zu bringen, wie es – ohne deutliches Bewußtsein, aber der Sache nach – die sog. Gesamtbetrachtungslehre tut. Voraussetzung der wertenden Zusammenfassung des ausgeführten mit dem hinzugedachten Akt zu einer Tat (= Verwirklichung des Tatbestandes = Gesetzesverletzung) ist, daß die einheitsstiftenden Momente die trennenden überwiegen. In diesem Sinne fragt die Rspr. danach, Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 48 ob bei Weiterhandeln des Täters ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorläge, der sich auch für einen Dritten als zusammengehöriges Tun darstellen würde (BGH[GS]St 39, 221 [232]; BGH, NStZ 1994, 493 mit Anm. Otto, JK 1995, § 24/22). Anhaltspunkte hierfür sind ein enger zeitlichräumlicher Zusammenhang, die Ähnlichkeit der Begehungsweise sowie eine einheitliche Motivationslage. Bei A hätte ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang zwischen dem bereits geführten Stich und weiteren Stichen bestanden. Beim Weiterhandeln hätten Begehungsweise (Messerstiche) und Motivationslage (Tötungsabsicht) auf der Linie des ersten Zustechens gelegen, so daß sich weiteres Zustechen auch aus der Perspektive eines Dritten als einheitlicher Lebenssachverhalt dargeboten hätte. Das dem A mögliche weitere Zustechen wäre also die „weitere Ausführung der Tat“ i.S.d. § 24 I 1, 1. Alt. gewesen. Weil er ferner freiwillig darauf verzichtete, hat er i.S. dieser Vorschrift freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben. Er darf nicht wegen versuchten Totschlags bestraft werden. Bei B sprechen zwar der enge zeitlich-räumliche Zusammenhang und die ähnliche Begehungsweise dafür, den bereits geführten Stich mit weiteren Stichen zu einer Einheit zu verbinden. B hatte aber das mit dem ersten Stich verfolgte Ziel, dem L zu entkommen, bereits erreicht. Weitere Stiche hätten in dieser Situation eine Änderung der Motivation vorausgesetzt, z.B. dahin, dem L nicht nur zu entkommen, sondern ihn nunmehr auch noch zu töten. Mangels einheitlicher Motivation könnte man das mögliche weitere Zustechen mit dem ersten Stich nicht zu einer Gesetzesverletzung und Tatbestandsverwirklichung verbinden. Es wäre deshalb auch nicht die „weitere Ausführung der Tat“ i.S.d. § 24 I 1, 1. Alt. gewesen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. B hat sich wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht. Bei C wären ebenfalls ein enger zeitlich-räumlicher Zusammenhang und eine ähnliche Begehungsweise gegeben. Trennend wirkt aber, daß C sein Ziel, dem M einen „Denkzettel“ zu verpassen, erreicht hatte, so daß zusätzliche Stiche nicht mehr auf derselben Motivation beruht hätten. Betont man diesen Gesichtspunkt, so wären die zusätzlichen Stiche nicht die weitere Ausführung der Tat gewesen. Man mag aber auch darauf abstellen, daß einer solchen Situation typischerweise eine Dynamik zum Weiterhandeln innewohnt und sich das Geschehen für den Beobachter nicht etwa wie bei B als Wechsel von der Flucht zum Angriff darstellt, sondern einheitlich als Angriff. Bei dieser Sichtweise wären zusätzliche Stiche zwar die weitere Ausführung der Tat gewesen. C hat dann aber diese weitere Tatausführung nicht „aufgegeben“, weil er sein Ziel (Denkzettel) schon erreicht hatte und deshalb sein Unterlassen weiterer Stiche keine Verzichtsleistung war. (2) Das Aufgeben Fall 132: Der Pyromane P hat sich in eine Scheune geschlichen und schon ein Streichholz angezündet, um sie in Brand zu setzen. Da kommt ihm der Gedanke, daß die Brandstiftung noch mehr Freude mache, wenn in 14 Tagen die Ernte eingebracht sei. Er entschließt sich deshalb, die Tat zu verschieben und bläst das Streichholz aus. Fall 133: D will Trauben stehlen, die eine hohe Mauer überwachsen, kann sie aber bei allem Recken und Springen nicht erreichen. Daraufhin sagt er sich: „Die Trauben sind mir viel zu sauer“, und geht weiter. Fall 134: Die Haushälterin H sieht auf dem Schreibtisch des senilen Pfarrers P ein Bündel von 15 Zwanzigmarkscheinen, die P vor einigen Tagen von seinem Konto abgehoben hat. H greift danach, um es einzustecken und für sich zu behalten. Während sie das Geld Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 49 noch in der Hand hält, erscheint ihr die Tat in diesem Ausmaß zu riskant. Sie behält darum nur zwei Scheine in der Hand und legt die anderen zurück. Da kommt P herein. Er erkennt, was H vorhat, und nimmt ihr das Geld ab. (3) Die Freiwilligkeit Wie der Straftäter für seine Straftat, so muß der Zurücktretende für sein Aufgeben verantwortlich sein. Fehlt es daran, so kann jenem seine Tat nicht angelastet und diesem sein Aufgeben nicht zugute gehalten werden. Das Merkmal „freiwillig“ enthält die Verantwortlichkeitsvoraussetzungen, soweit diese nicht schon beim Aufgeben der weiteren Tatausführung [Verzichtsleistung, soeben unter (2)] berücksichtigt sind. (a)Die Exkulpationsregeln als Maßstab? Danach bietet es sich zunächst an, hier die Exkulpationsregeln (Schuldausschließungsregeln) für deliktisches Tun zum Vorbild zu nehmen. Fall 135: M hat schon mehrfach seine 13jährige Stieftochter T sexuell mißbraucht. Seine Frau F ahnt das seit langem. Eines Tages ertappt sie ihn, wie er gerade erneut zum Mißbrauch ansetzt. M fordert sie auf abzuhauen, weil er ungestört weitermachen will. F erklärt kategorisch, auf der Stelle die Polizei anzurufen und ihn für immer zu verlassen, wenn er nicht sofort aufhöre. M fürchtet beides gleichermaßen und wendet sich von T ab. Nimmt man § 35 zum Maßstab, so ist die Freiwilligkeit zu bejahen. Die Gefahr, von F verlassen zu werden, genügt für § 35 nicht: Sie betrifft weder Leben noch Leib, noch Freiheit. Ebenso wenig genügt für § 35 die Gefahr der Strafanzeige. Selbst wenn dem M ein Freiheitsverlust drohen sollte, wäre diese Gefahr wohl kaum eine gegenwärtige; außerdem müßte M sie hinnehmen, weil er sie „selbst verursacht hat“ (§ 35 I 2). Die Bejahung der Freiwilligkeit kann aber schwerlich überzeugen. Die Gefahr, bei Vollendung des Deliktes von einem unerwarteten Tatzeugen angezeigt zu werden, ist ein geradezu klassischer, allgemein anerkannter Grund für die Verneinung der Freiwilligkeit. Auch die Gefahr, von F verlassen zu werden, muß schon für sich allein genügen, die Freiwilligkeit auszuschließen. Denn sie motiviert genauso stark und beruht ebenfalls auf der die Sachlage verändernden Androhung. Der Exkulpationsmaßstab führt also zumindest in manchen Fällen irre und kann deshalb für die Interpretation des Merkmals „freiwillig“ nicht richtig sein. (b) Das „empfindliche Übel“ (§ 240 I) als Maßstab? Auch bei § 240 geht es um die Freiheit der Entscheidung für ein bestimmtes Verhalten. Der Nötigungstäter nimmt sie dem Opfer in strafbarer Weise, indem er es unter den Druck eines drohenden Übels setzt. Also könnte man auch hier den Maßstab suchen, den wir für § 24 brauchen. Und in der Tat ist der Druck eines empfindlichen Übels für die Freiwilligkeit von Bedeutung. Im Fall 135 etwa verzichtet M auf den begehrten sexuellen Mißbrauch unter dem Druck der Androhung zweier empfindlicher Übel. Jedes für sich würde man für die Verwirklichung des Nötigungstatbestandes genügen lassen. Umgekehrt ist die Freiwilligkeit zu bejahen, wenn der Druck unterhalb der Schwelle eines „empfindlichen“ Übels bleibt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 50 Fall 136: A steigt durchs Fenster in den Keller seines Nachbarn ein, um einige Flaschen teuren Wein zu stehlen. Als er feststellt, daß der ganze Fußboden mit einer flachen Wasserlache bedeckt ist, scheut er die nassen Schuhsohlen und kehrt um. Wenn man nasse Schuhsohlen überhaupt als Übel bewertet, so doch sicher nicht als ein empfindliches. Das Aufgeben ist also freiwillig, genau wie die Einwilligung ins Gefesseltwerden, die ein Indianer spielendes Kind seinem Vater mit der Wasserpistole abpreßt. Man kann aber auch das Kriterium des empfindlichen Übels nicht ohne weiteres zum Vorbild nehmen; es bedarf der Abstriche und Ergänzungen. Fall 137: R richtet auf einem Uferparkplatz durchs offene Seitenfenster seine Pistole auf die Fahrerin F und fordert sie auf, ihm ihr Geld herauszureichen. Da hört er hinter sich einen Menschen ins Wasser fallen und um Hilfe rufen. R, ein ausgezeichneter Schwimmer, empfindet es als grauenhaft, daß jemand stirbt, den er leicht retten könnte. Darum läßt er ab von F und rettet den Ertrinkenden. Wie von R vorausgesehen, fährt F sofort los. Die Rspr. und wohl auch die h.A. lassen es bei der Prüfung von Nötigungsdelikten (§§ 240, 253, 255) als ein für den Drohungsadressaten empfindliches Übel genügen, daß sein Untätigbleiben den Tod eines Menschen zur Folge hat. Daß es sich auch noch um eine ihm nahestehende Person (§ 35 I 1) handelt, wird nicht vorausgesetzt (deutlich BGH, NStZ 1987, 22 f.). Von diesem Standpunkt aus entscheidet sich auch R unter dem Druck eines empfindlichen Übels und in diesem Sinne unfrei. Darum aber einen „freiwilligen“ und strafaufhebenden Rücktritt zu verneinen widerstreitet dem Rechtsgefühl. Der tiefere Grund dafür liegt m.E. in folgendem: R handelt mit der Rettung des Ertrinkenden nicht egoistisch; er handelt auch nicht halb ego-, halb altruistisch, wie es jemand täte, der sein eigenes Kind rettet. Vielmehr handelt er im reinen Sinne altruistisch, weil er einen ihm Fernstehenden rettet. Das ist eine besonders anerkennenswerte Haltung („Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“). Deshalb wohl neigen wir dazu, R’s gute Entscheidung bei Prüfung des § 24 als freiwillig anzuerkennen. (c) Die Kombination beider Maßstäbe Vollkommen angemessen ist also weder der eine noch der andere Maßstab. Passend erscheint aber eine Kombination der genannten Maßstäbe. Die Freiwilligkeit ist zu verneinen, wenn die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Der Täter gibt auf unter dem Druck eines empfindlichen Übels (vgl. § 240), welches nur durch das Aufgeben abwendbar ist (vgl. § 35 I 1). 2. Das Übel ist eine Einbuße und nicht nur das Ausbleiben eines Vorteils (vgl. § 35 I 1). 3. Das Übel droht dem Täter selbst oder einem ihm nahestehenden Menschen (vgl. § 35 I 1). 4. Das Übel kann dem Täter nicht zugemutet werden (vgl. § 35 I 2). Umgekehrt gilt, daß man die Freiwilligkeit bejahen muß, wenn auch nur eine dieser vier Voraussetzungen nicht erfüllt ist. Zur Veranschaulichung: Die erste Voraussetzung ist erfüllt in Fall 135 und Fall 137; dagegen ist sie nicht erfüllt in Fall 136 (keine Empfindlichkeit des Übels). Ebenso wenig erfülllt ist sie in Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 51 Fall 138: Student S hat im Seminar ein Buch in die Hand genommen, das er sogleich in die Tasche stecken und stehlen will. Da spricht ihn eine Kommilitonin K an und fragt ihn, wo sie die Bundestagsdrucksachen finde. Das Gespräch zieht sich eine halbe Minute hin. S kann vor ihren Augen das Buch nicht einstecken. Er stellt es zurück und gibt sein Vorhaben auf. Sich vor K als Dieb zu offenbaren ist riskant und zumindest mit dem empfindlichen Übel der Ansehensminderung verbunden. Dieses Übel hätte S aber leicht abwenden können durch ein kurzes Zuwarten; das etwas spätere Einstecken wäre die weitere Ausführung derselben Tat gewesen. Die zweite Voraussetzung ist erfüllt z.B. in Fall 135. Dagegen ist sie nicht erfüllt in Fall 139: M steigt in Bochum-Hiltrop in den „Nacht-Expreß“, um schwarz nach Gerthe zu fahren. Als er aus der anderen Tür ein junges Mädchen aussteigen sieht, verläßt er den Bus schnell wieder, weil er dem Mädchen folgen und es sexuell mißbrauchen will. M gibt den Versuch des § 265a nicht auf, weil er im Falle der Vollendung eine Einbuße erleiden würde. Vielmehr würde ihm dann nur ein verlockender Vorteil entgehen. Daß dieser Umstand seiner Entscheidung die Freiwilligkeit nicht nimmt, deutet sich schon in § 240 I („Übel“) und noch stärker in § 35 I 1 („Gefahr“) an. Die dritte Voraussetzung ist gegeben z.B. in Fall 135, fehlt in Fall 137 und ist wiederum erfüllt in dessen Abwandlung (Aufgabe des Raubversuchs, um den eigenen Sohn aus dem Wasser zu retten). Die vierte Voraussetzung scheint uns in der Sache unstreitig; sie ist aber in der Begründung schwer zu fassen. Es geht dabei um die Konstellation, daß der Täter wegen eines Übels aufgibt, das er schon vor Versuchsbeginn vollen Umfangs antizipiert und hinzunehmen beschlossen hat. Fall 140: Frau F hat eine Wahlversammlung in der Absicht aufgesucht, den Redner R zu erstechen. Ihr ist klar, daß man sie sofort nach der Tat festnehmen wird. Sie geht zu R und zückt schon das in einem Blumenstrauß verborgene Messer. Im letzten Augenblick erscheint ihr der Preis einer langjährigen Gefängnisstrafe zu hoch. Sie steckt das Messer in den Mantel und überreicht R die Blumen. Fall 141: Voller Zorn stürzt sich T auf seinen kleinen Bruder O, um ihn mit einem Baseballschläger brutal zu verprügeln. Als er zum ersten Schlag ausholt, tut ihm O so leid, daß er den Schläger sinken läßt. Motiv des Aufgebens ist hier für beide ein empfindliches Übel. F würde es selbst erleiden, bei T bestünde es in der Verletzung des Angehörigen O. Dies macht sie an sich unfrei (s. dritte Voraussetzung). Beide haben sich aber schon vor Versuchsbeginn klargemacht, daß sie nur um den Preis dieses Übels ihre Tat vollenden können. Sie haben sich also das Übel selbst zugemutet. Darum kann ihnen auch die Rechtsordnung zumuten, es zu ertragen. Das heißt: Nach rechtlichen Maßstäben haben sie ihre Aufgebensentscheidungen, weil ohne den Druck eines unzumutbaren Übels, freiwillig getroffen. Anders liegt es im Fall 142: Die Studentin S sieht den Assistenten A sein Zimmer verlassen. Sie beschließt, hineinzugehen und das Portemonnaie des A einzustecken, plant aber, es doch sein zu Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 52 lassen, wenn jemand hereinkommt. Sie hält das für gut möglich und will ggf. ein fachliches Anliegen vorschützen. Tatsächlich kommt Professor P herein, als S gerade das Portemonnaie in A’s Jacke ertastet hat. Sie könnte es noch schnell vor P’s Augen herausnehmen und einstecken. Wie geplant, läßt sie es aber und stellt P eine Frage zur laufenden Hausarbeit. S hätte den Diebstahl noch vollenden können (vollendete Wegnahme bei Bergung der Sache in einer Tasche, sog. Enklaventheorie), hat also die weitere Tatausführung aufgegeben. Ihr aber auch die Freiwilligkeit zu bescheinigen kommt niemandem in den Sinn. Offenbar genügt es dafür nicht, daß der Täter sich sehenden Auges in die Situation begeben hat, worin er möglicherweise die weitere Tatausführung aufgeben werde. Es muß eben, wie gesagt, hinzukommen, daß er sich vor dem Versuch das Ertragen des Übels zugemutet hat. Hat er dies nicht getan, so genügt als empfindliches Übel schon ein verhältnismäßig geringer Nachteil, seine Unzumutbarkeit und damit die Unfreiwilligkeit des Aufgebens anzunehmen. Hier zeigt sich bei gleichem Ansatz eine starke quantitative Abweichung von den Wertungen bei § 35. Zum Vergleich der folgende, an dieser Vorschrift zu messende Fall 143: M befürchtet, daß er bei Aufnahme in eine neonazistische Bande sogleich durch Drohung mit Prügeln gezwungen werden würde, seinerseits einen Ausländer zu verprügeln. Er tritt dennoch der Gruppe bei. Als er wie erwartet genötigt wird, gibt er dem Druck nach und verletzt unter den Augen des Bandenführers den Asylbewerber A. Obwohl hier das dem M drohende Übel an sich drängender wirkt als das im Fall 142 der S drohende, wird dem M dennoch nach § 35 I 2 die Hinnahme des Übels zugemutet, d.h. seine Entscheidung, den A zu verprügeln, als frei gewählt bewertet. Der Grund für diese auffällige Differenz liegt im folgenden: Drängt das Übel den Bedrohten – wie im Fall 143 – zur Begehung einer rechtswidrigen Tat, dann muß er aus der Erkenntnis, daß man kein Unrecht tun darf, Widerstandskraft schöpfen. Diese Tathemmung wirkt gegen den Antrieb, durch Begehung der Tat das drohende Übel zu vermeiden; und darum muß das Übel schon ein sehr großes sein, damit das Gesetz dem Täter attestieren kann, er habe unfrei gehandelt. Ganz anders beim Aufgeben (Fall 142). Hier drängen drohendes Übel und Normappell in dieselbe Richtung, nämlich weg von der rechtswidrigen Tat. Es kommt also auch bei einem verhältnismäßig kleinen Übel insgesamt ein starker Druck heraus; darum muß die Entscheidung des Täters, dem Druck durch Verzicht auf die Vollendung nachzugeben, sehr viel öfter als unfreiwillig bewertet werden. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 53 (d) Die gängigen Kriterien zur Freiwilligkeit Das bekannteste und in studentischen Arbeiten am liebsten eingesetzte Kriterium ist die Unterscheidung zwischen autonomen und heteronomen Gründen für das Aufgeben. Eine seiner Schwächen ist das gänzliche Fehlen der Anbindung an gesetzlich vorgegebene Wertungen. Im übrigen scheint es uns die Sachfrage nur in neue Begriffe zu verschieben: Ob R im Fall 137 sich „freiwillig“ oder „autonom“ entschieden hat – das eine ist nicht im mindesten leichter zu beantworten als das andere. Zu denselben Ergebnissen wie auf unserem Wege wird man häufig über das Kriterium der „Verbrechervernunft“ kommen (vgl. Roxin, Heinitz-FS, S. 251; SK-Rudolphi, § 24 Rdnr. 25: „Tritt ein Täter nur deshalb zurück, weil ihm dies die ‘Verbrechervernunft’, d.h. seine rechtsfeindliche Einstellung, gebietet, so zeigt er damit nur seine besondere Gefährlichkeit“). Aber dieses Kriterium ist nicht zuverlässig und kann sogar die falsche Entscheidung ganz nahelegen. Fall 144: A will ein Schulkind kidnappen, den Eltern die Tötung androhen und so zu Geld kommen. Er wartet vor einer Grundschule und redet auf den 7jährigen K ein, daß er zu ihm in den Wagen steige. Als K sich bereit erklärt, sieht A die 8jährige M, die er als Tochter eines Multimillionärs erkennt. Um der reicheren Beute willen disponiert er um. Er weist K ab, bewegt statt seiner die M einzusteigen und fährt mit ihr davon. Die weitere Ausführung der im Angriff auf K liegenden Tat hat A aufgegeben; die Höchstpersönlichkeit des Schutzgutes verbietet es, den Angriff auf K mit dem auf M zu einer Tat zu verschmelzen. Gemessen an den leges artis der Verbrechervernunft geschah das aber unfreiwillig, selbst wenn man diese nach dem konkreten Verbrechertyp spezifiziert, hier also nach dem eines Kidnappers; solchen Verbrechern gebietet die Vernunft, ein möglichst lohnendes Opfer zu wählen. Dementsprechend müßte A wegen Vollendung (M) und Versuch (K) bestraft werden. Ein Ergebnis, das wohl auch die Vertreter dieser Lehre nicht wollen. Von unserem Standpunkt aus wird es vermieden. Denn danach ist entscheidend, daß das Aufgeben ohne den Druck des empfindlichen Übels, eine Einbuße zu erleiden, zustande kam. A hätte, um das Delikt an K zu vollenden, nur auf einen Vorteil verzichten müssen, nämlich auf das lohnendere Opfer [s.o. die zweite Voraussetzung unter (c)]. bb) Das freiwillige Verhindern der Vollendung, § 24 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. (1)Verursachung der Nichtvollendung Fall 145: Bei einem Streit hat X den Y mit Tötungsabsicht niedergestochen. Als X den Y schwer verletzt am Boden liegen sieht, reut ihn die Tat und er ruft einen Notarztwagen. Als Y mit diesem auf dem Weg zum Krankenhaus ist, kommt es zu einem Verkehrsunfall, infolgedessen Y stirbt. (2)Zurechnung der Nichtvollendung (a)Erforderlichkeit eines pflichtgemäßen Verhaltens Fall 146: Im Fall 145 schleppt X den Y ins Auto und fährt bis auf 100 Meter an das Krankenhaus heran. Dort legt er Y ins Gebüsch. Ein Passant findet Y dort und gibt im Krankenhaus Bescheid. Dadurch wird Y gerettet. (Vgl. BGHSt 31, 46). (b) Realisierung der durch pflichtgemäßes Verhalten geschaffenen Nichtvollendungschance Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 54 Fall 147: Siehe Fall 145. cc) Das freiwillige und ernsthafte Bemühen, die Vollendung zu verhindern, bei Nichtvollendung ohne Zutun des Zurücktretenden, § 24 Abs. 1 S. 2 Fall 148: Siehe Fall 145. Fall 149: B hat im Keller eines Landgerichts eine Bombe mit Zeitzünder gelegt. Zwei Stunden vor der erwarteten Explosion besinnt er sich um. Er ruft im Gericht an und nennt das Versteck. B weiß dabei nicht, daß a) die Bombe defekt war und deswegen ohnehin nicht explodiert wäre. b) die Bombe bereits entdeckt und entschärft worden ist. c) Die geschriebenen Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 aa) Das freiwillige Verhindern der Vollendung bei Tatbeteiligung mehrerer, § 24 Abs. 2 S. 1 Fall 150: T will sich die Juwelen aus dem Safe des E verschaffen. Er überredet E’s Haushälterin H, ihm die Kombination für den Safe zu beschaffen. H will sie T aber erst mitteilen, wenn es ihm gelungen ist, unentdeckt in die Villa des E einzudringen. Sie will ihm dann durchs Telefon die Kombination durchgeben. Als es soweit ist, bekommt H aber Skrupel. Nachdem sie T die erste der sechs Zahlen genannt und er sie eingestellt hat, hört H auf. Da T den Tresor allein nicht öffnen kann, muß er die Villa unverrichteter Dinge verlassen. bb) Die Merkmale des § 24 Abs. 2 S. 2 Fall 151: Im Fall 150 wähnt H nur, die richtige Kombination herausgefunden zu haben. Tatsächlich sind die Zahlen falsch. Fall 152: Nachdem H im Fall 150 die Nennung der weiteren fünf Zahlen verweigert und aufgelegt hat, beschließt T, auf gut Glück eine Kombination einzustellen. Das Unwahrscheinliche wird Wirklichkeit: Die Kombination stimmt. T öffnet den Tresor, nimmt die Juwelen an sich und macht sich davon. V. Die Möglichkeit des Absehens von Strafe oder der Strafmilderung beim grob unverständigen Versuch, § 23 Abs. 3 Fall 153: Die schwangere S trinkt auf Anraten ihres Verlobten V Kamillentee in dem Glauben, dadurch ihre Leibesfrucht abzutöten. (Vgl. dazu Fall 106) VI. Der sog. „abergläubische“ oder „irreale Versuch“ Beim „abergläubischen“ oder „irrealen Versuch“ geht es um Fälle, in denen sich im Vorstellungsbild des Täters schon keine Tatbestandsverwirklichung findet, so daß es bereits an der Vorstellung von der Tat und damit natürlich auch an einem Versuch i.S.d. § 22 fehlt. Die Redeweise vom „abergläubischen Versuch“ ist also strenggenommen nicht korrekt. Fall 154: A will seinen Erzfeind F töten. Er ist überzeugt, ihn totbeten zu können. So betet er denn. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 55 A stellt sich keine Verursachung des Erfolges auf naturgesetzlichem Wege vor. Nur eine solche Verursachung wird aber vom Strafrecht erfaßt. Würde man auch metaphysische Kausalverläufe anerkennen und ins Strafrecht einbeziehen, so würde man eine Verursachungsweise für möglich erklären, die in der Praxis niemals als real geworden bewiesen werden könnte. Merkmale, deren Erfülltsein nicht bewiesen werden kann, sind aber sinnlos, weil das Recht im Leben wirken soll. Aus demselben Grund übrigens ist ein „Gesundbeten“ des Opfers keinesfalls eine Vollendungsverhinderung i.S.d. § 24 I 1, 2. Alt. und nicht einmal ein „Bemühen“ i.S.d. § 24 I 2. E. Das Fahrlässigkeitsdelikt Gem. § 15 muß die Haftung für bloße Fahrlässigkeit ausdrücklich angeordnet sein (vgl. etwa §§ 222, 229, aber auch § 18). I. Die gesetzlichen Erscheinungsformen der Fahrlässigkeitstat Es gibt reine Fahrlässigkeitsdelikte (§§ 222, 315c III Nr. 2), und es gibt Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen (§§ 315c III Nr. 1, 227). Letztere bezeichnet das Gesetz in § 11 II als Vorsatzdelikte; das hat Bedeutung für die Teilnahme: Wer beispielsweise den Täter des § 315c III Nr. 1 zur Tat „bestimmt“ oder ihm „Hilfe leistet“, ist strafbar wegen Anstiftung bzw. Beihilfe (§§ 26, 27). II. Der Tatbestand 1. Die objektive Fahrlässigkeit (objektive Sorgfaltspflichtverletzung, Überschreitung des erlaubten Risikos): Das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (vgl. § 276 S. 2 BGB). Ermittelt wird sie durch eine Interessenabwägung, vergleichbar der bei § 34 StGB. Diese kann allerdings durch eine geschriebene Sorgfaltsnorm praktisch entschieden sein (Beispiele: Tempolimit, Unfallverhütungsvorschriften). a) Die deliktssystematische Einordnung Fall 155: S wirft sich in Selbstmordabsicht vor den Wagen des B. B hat keine Möglichkeit, den Unfall zu vermeiden. b) Der Inhalt Fall 156: A fährt mit 40 km/h durch eine Spielstraße. Plötzlich taucht vor ihm ein Kind auf, das hinter einem Fußball herläuft. A kann nicht mehr rechtzeitig bremsen, erfaßt das Kind und fügt ihm erhebliche Verletzungen zu. Fall 157: Vorstadtbewohner V fährt täglich zur Arbeit in die City und parkt dort seinen Pkw auf offener Straße. Eines Nachts legen ihm Terroristen unbemerkt eine Bombe in den Kofferraum. a) V transportiert die Bombe unwissentlich in die Stadt. b) Vor der Abfahrt erhält V einen warnenden anonymen Anruf, nimmt ihn aber nicht ernst. In der Stadt explodiert die Bombe. Ein Passant wird getötet. Fall 158: C, Chefarzt einer Augenklinik, hat eine neue Operationsmethode entwickelt. Er praktiziert sie aber nur bei Privatversicherten. Bei der Kassenpatientin K führt die nach Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 56 üblichem Standard durchgeführte Operation zur Erblindung. Mit C’s neuer Methode wäre das vermieden worden. Begründen Sie, warum Fahrlässigkeit vorliegt im Fall 156 und Fall 157 b, nicht aber im Fall 157 a und Fall 158! 2. „durch“ Fahrlässigkeit (der sog. Schutzzweck- und Pflichtwidrigkeitszusammenhang). Im Erfolg muß sich gerade eines derjenigen Risiken verwirklichen, deretwegen das Verhalten verboten ist. a) Die Fallgruppe des Schutzzweckzusammenhangs Fall 159: Lkw-Fahrer L befährt die Universitätsstraße mit zulässiger Geschwindigkeit und erfaßt mit seinem Fahrzeug unvermeidbar die verwirrte Rentnerin R und verletzt sie schwer. Wäre L nicht zuvor auf der Landstraße zwischen Witten und Bochum zu schnell gefahren, hätte R die Universitätsstraße längst überquert gehabt, als L dort entlang fuhr. Fall 160: A verursacht fahrlässig einen Arbeitsunfall. Das Opfer hat zunächst Glück: Es wird nur leicht verletzt. Auf dem Weg ins Krankenhaus kommt es dann aber bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Weder L noch A haben „durch Fahrlässigkeit“ einen Erfolg herbeigeführt. Die übliche Begründung lautet: Das Gebot „verursache keine Arbeitsunfälle“ (§ 229) habe nicht den Sinn zu verhindern, daß sich jemand im Krankenhaus aufhält, weil es dort brennen könnte; und das Gebot „fahre nicht zu schnell“ (§ 222) habe nicht den Sinn zu verhindern, daß jemand zu späterer Zeit die Universitätsstraße befährt, weil dann niemand auf die Fahrbahn läuft. Das ist richtig. Denn die so verstandenen Gebote wären „ungeeignet“, Todes- und Körperverletzungserfolge zu verhindern: Man weiß nicht, wann es wo brennt und wer zu welchem Zeitpunkt die Universitätsstraße überquert; und umgekehrt: Wer zu Hause verbrennt, wäre verschont geblieben, wäre er zuvor verletzt und ins Krankenhaus gebracht worden. Fall 161: Aus Ärger über die undurchsichtige Buchführung des Kaufmanns K bekommt Betriebs-prüfer P einen heftigen Magenkrampf. b) Die Fallgruppe des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs Fall 162: A fährt mit 60 km/h, wo nur 50 erlaubt sind. Völlig überraschend betritt der zerstreute Professor P die Fahrbahn. Er wird trotz Vollbremsung erfaßt und erheblich verletzt. Wäre A zur selben Sekunde an der Unglücksstelle mit 50 km/h gefahren, hätte P die gleichen Verletzungen erlitten. Beruht der Erfolg nachweisbar nicht auf dem pflichtwidrigen Verhalten, fehlt es am Pflichtwidrigkeitszusammenhang. So liegt es hier. P wäre auch bei korrekter Fahrweise verletzt worden. Fall 163: Wie Fall 162. Aber es läßt sich nicht klären, ob K bei korrekter Fahrweise des A ebenfalls verletzt worden wäre. Rspr. und viele in der Literatur sagen (BGHSt 11, 1, 7; 33, 61, 63; Wessels/Beulke, AT30, Rdnrn. 680–683): Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist nur gegeben, wenn der Erfolg gerade auf der Pflichtwidrigkeit beruht, also nur dann, wenn der Erfolg bei pflichtgemäßem Verhalten Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 57 ausgeblieben wäre. Das muß zur Überzeugung des Gerichts feststehen (vgl. § 261 StPO). Kann das Gericht diese Überzeugung nicht gewinnen, muß es seiner Entscheidung in dubio pro reo zu Grunde legen, daß der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Weil damit im Fall 163 der Pflichtwidrigkeitszusammenhang fehlt, ist A vom Vorwurf einer fahrlässigen Tötung freizusprechen. Die Gegenansicht (die sog. Risikoerhöhungslehre: Roxin, AT I3, § 11 Rdnrn. 76–87) sagt: A ist zu schnell gefahren; damit war sein Fahren sorgfaltspflichtwidrig. Und da die Verletzungen des P auf dem Fahren beruhen, beruhen sie auch auf einem sorgfaltswidrigen Verhalten, sind also „durch Fahrlässigkeit“ verursacht worden. A ist aus § 229 strafbar. Die Risikoerhöhungslehre ist ungenau: Die Gefahren, die A mit seinem Fahren schafft, hat er zum Teil durch sorgfaltsgemäßes und zum Teil durch sorgfaltswidriges Fahren geschaffen. Der lange Bremsweg etwa beruht auf dem sorgfaltswidrigen Fahren (10 weitere km/h). Also hat A die Verletzungen des P nur dann „durch Fahrlässigkeit (§ 229) verursacht, wenn der Tod gerade auf dem Stück Bremswegverlängerung beruht, das A durch sein sorgfaltswidriges Zu-schnellFahren erzeugt hat. Und eben das ist nicht nachweisbar. III. Die Rechtswidrigkeit 1. Kein Unrechtserfolg bei objektiver Rechtfertigungslage? Fall 164: Bei einem Einkaufsbummel mit seiner Frau dreht M sich plötzlich mit gestrecktem Arm zur Seite, um ihr ein neues Geschäft zu zeigen. Dabei trifft er den Taschendieb T schmerzhaft am Kopf. T hatte sich gerade angeschickt, ihm das Portemonnaie aus der Gesäßtasche zu ziehen. M hat etwas Schlechtes bewirkt, er hat T Schmerzen zugefügt. Er hat aber auch Gutes bewirkt, nämlich den rechtswidrigen Angriff auf sein Eigentum abgewehrt. Deswegen mißbilligt die Rechtsordnung den Körperverletzungserfolg nicht, sondern sieht ihn kompensiert. Was als zu Mißbilligendes allein in der Welt bleibt, ist der Handlungsunwert, der in dem unvorsichtigen Sich-zur-Seite-Drehen liegt. Bloßes Handlungsunrecht allein ist aber bei Fahrlässigkeitstaten kein Delikt. Deswegen ist M nicht strafbar nach § 229. 2. Keine Unrechtsfahrlässigkeit bei sorgfaltsgemäßer Vorstellung einer objektiven Rechtfertigungslage? Fall 165: A läuft mit gezücktem Messer auf B zu und schreit: „Ich bring’ dich um!“ N fürchtet um B’s Leben. Nach einem Warnruf gibt er einen Warnschuß ab, der als Querschläger den A verletzt. In Wahrheit handelte es sich um einen Scheinangriff, verabredet von A und B, um Passanten zu erschrecken. IV. Die Schuld Die subjektive Sorgfaltswidrigkeit – ein eigenständiges Merkmal? Allgemein wird beim Fahrlässigkeitsdelikt verlangt, daß die Tat auch subjektiv sorgfaltswidrig ist. Der Täter müsse nach seinem individuellen Leistungsvermögen fähig sein, die Sorgfaltsanforderungen zu erkennen und zu erfüllen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 58 1. Die deliktssystematische Einordnung Fall 166: Ein völlig verkalkter achtzigjähriger Arzt wird zu einer Patientin gerufen. Weil er sie mit einer anderen verwechselt, gibt er ihr mit tödlicher Wirkung die falsche Spritze. Fall 167: Ein Volltrunkener glaubt, noch ganz fahrtüchtig zu sein, und erklärt sich bereit, seinen Zechgenossen in dessen Wagen nach Hause zu chauffieren. Unterwegs überfährt er einen Fußgänger. Lesen Sie erneut den Text zu Fall 67! 2. Die Frage der sachlichen Berechtigung des Merkmals Fall 168 und Fall 169: Siehe Fall 166 und Fall 167. Fall 170: Ein ausländischer Arbeitnehmer bedient eine Kreissäge, die den Sicherheitsvorschriften nicht entspricht und verletzt dadurch einen Arbeitskollegen. a) Er hat die Gefahr genau erkannt, aber seinem Vorgesetzten geglaubt, der ihm versi- chert hatte, daß sich die Maschine in ordnungsgemäßem Zustand befinde. b) Aus Unerfahrenheit hat er jegliche Gefahr verkannt. Fall 171: A führte für seinen Dienstherrn eine mit zwei Pferden bespannte Droschke. Eines der Pferde war ein sog. „Leinenfänger“; es hatte die Angewohnheit, den Schweif über die Fahrleine zu schlagen und diese einzuklemmen. A und sein Dienstherr wußten davon. Trotzdem blieb das Pferd im Gespann. A fürchtete, entlassen zu werden, wenn er sich weigerte, mit dem Pferd zu fahren. Als dieses wieder einmal die Leine eingefangen hatte und K sich vergebens bemühte, sie herauszuziehen, wurden die Pferde wild. A verlor die Herrschaft über das Gespann. Die Pferde warfen den Passanten P um. Er geriet unter den Wagen und erlitt einen Beinbruch (RGSt 30, 25). Welcher der Fälle läßt sich mit einer geschriebenen Rechtsregel lösen? Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 59 F. Täterschaft und Teilnahme Die Abgrenzung ist nur für Vorsatztaten wichtig. Bei fahrlässigen Taten gibt es nur Täter. I. Täterschaft In jeden Straftatbestand des BT muss man eine der in § 25 genannten Begehungsformen hineinlesen. Das „Begehen“, von dem Abs. 1 und Abs. 2 des § 25 sprechen, ist der Oberbegriff für Handeln und Unterlassen. Unterscheiden Sie die drei in § 25 genannten Täterschaftsformen! Fall 172: T möchte X, Y und Z töten. a) Er hetzt seinen Rottweiler auf den X, den das Tier zerfleischt. b) Eine Woche später lässt er den Y von Z erschießen, indem er dem Z androht, anderenfalls ihn zu töten. c) Eine weitere Woche später ertränkt er den Z in der Ostsee, und zwar mit Hilfe seines Freundes M, der ebenfalls den Tod des Z wünscht. T ist im Fall 172 a strafbar aus §§ 212, 25 I Alt. 1. Aus diesen beiden Vorschriften bildet sich die Tatbestandsformulierung: „Wer einen Menschen selbst tötet, ...“ – Weil die unmittelbare Alleintäterschaft der Normalfall ist, wird § 25 I Alt. 1 in Strafrechtsgutachten gar nicht erwähnt. T ist im Fall 172 b strafbar aus §§ 212, 25 I Alt. 2. Aus diesen beiden Vorschriften bildet sich die Tatbestandsformulierung: „Wer einen Menschen durch einen anderen tötet, ...“ – Weil die sog. mittelbare Täterschaft ein Ausnahmefall ist, wird die Voraussetzung der Tatbegehung „durch einen anderen“ immer erwähnt und geprüft. T ist im Fall 172 c strafbar aus §§ 212, 25 II. Aus diesen beiden Vorschriften bildet sich die Tatbestandsformulierung: „Wer einen Menschen mit einem anderen gemeinschaftlich tötet, ...“ – Weil die sog. Mittäterschaft ebenfalls ein Ausnahmefall ist, wird die Voraussetzung der Tatbegehung von „mehreren gemeinschaftlich“ immer erwähnt und geprüft. In einfachen Fällen wie diesem prüft man die Strafbarkeit von T und M sogleich gemeinsam und sagt am Ende: „T und M haben sich wegen eines Totschlags in Mittäterschaft strafbar gemacht (§§ 212, 25 II).“ Unterscheiden Sie die zwei großen Meinungslager zur Täterschaft: Rspr.: Animus-Theorie (= subjektive Theorie) Täter ist, wer Täterwillen („animus auctoris“) hat; Teilnehmer ist, wer bloßen Teilnehmerwillen („animus socii“) hat. H. Lit.: Tatherrschaftslehre (= materiell-objektive Theorie) Täter ist, wer Tatherrschaft hat. Genauer zur Animus-Theorie Objektiv genügt jeder Tatbeitrag, sei er auch noch so gering. Subjektiv ist – zusätzlich zu den üblichen Voraussetzungen (Vorsatz, besondere subjektive Merkmale) – der Täterwille erforderlich. Ob ein Beteiligter Täterwillen hat, ist „nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 60 zu beurteilen“; „wesentliche Anhaltspunkte“ sind insbesondere „der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat“ sowie „der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängen“ (BGHSt 36, 363, 367). Ob nach diesen Indizien der Täterwille im jeweiligen Fall bejaht oder verneint werden muss, ist äußerst unklar. Mit dem Kriterium der „Tatherrschaft oder wenigstens dem Willen zur Tatherrschaft“ nähert sich die Rspr. der Tatherrschaftslehre an. Genauer zur Tatherrschaftslehre (s. etwa Kühl, AT3, § 20 Rn 26). Objektiv ist mehr als irgendein Tatbeitrag erforderlich, nämlich Tatherrschaft. Üblich ist eine sehr naturalistische Beschreibung. Danach ist Tatherrschaft das In-den-Händen-Halten des Tatgeschehens, die Steuerung des Tatablaufs; Tatherrschaft hat, wer die Tat nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann. Auch dieses Kriterium ist recht vage, aber immerhin präziser als die Frage nach dem Täterwillen. Subjektiv gibt es nur die üblichen Voraussetzungen (Vorsatz, besondere subjektive Merkmale). Nur muss sich natürlich der Vorsatz auf die objektive Tatherrschaft erstrecken: Das In-den-Händen-Halten des Geschehens muss vom Vorsatz umfasst sein. Allgemeine Hinweise zur Prüfung der Täterschaft im Gutachten Halten Sie sich an die allgemeine Aufbauregel, dass im objektiven Tatbestand die objektiven Merkmale geprüft werden und im subjektiven Tatbestand die subjektiven! Das heißt: Klären Sie im objektiven Tatbestand, ob die nötigen objektiven Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen! Nötig ist nach der Animus-Theorie nur ein ganz geringer Tatbeitrag, nach der Tatherrschaftslehre ist ein bedeutender Tatbeitrag nötig. Klären Sie im subjektiven Tatbestand, ob die nötigen subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen! Nötig ist nach der Tatherrschaftslehre nur das Übliche, nach der Animus-Theorie ist zusätzlich Täterwille nötig. Entscheiden Sie sich nur dann zwischen Animus-Theorie und Tatherrschaftslehre, wenn beide Ansichten zu verschiedenen Ergebnissen kommen! Das passiert am ehesten im objektiven Tatbestand, wenn der objektive Tatbeitrag des Beteiligten marginal und gering ist. Im subjektiven Tatbestand hingegen können Sie ein Divergieren der beiden Täterschaftslehren leicht vermeiden. Weil nämlich die Kriterien der Animus-Theorie nahezu beliebig sind, können Sie die Animus-Theorie in Ihrem konkreten Fall fast immer zu demselben Ergebnis kommen lassen, zu dem Sie auch mit der Tatherrschaftslehre kommen. Wenn eine Streitentscheidung nötig ist: Machen Sie deutlich, dass die Animus-Lehre einem schweren methodischen Einwand ausgesetzt ist, nämlich dem der Beliebigkeit ihrer Ergebnisse und des Fehlens jeglicher Kraft, die Praxis anzuleiten und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 61 1. Alleintäterschaft (§ 25 I) a) Das Selbstbegehen der Straftat (sog. unmittelbare Täterschaft), § 25 I Alt. 1 Beim Deliktsaufbau gibt es über das soeben vor 1 Gesagte hinaus keine Besonderheiten. Fall 173: T installiert abends eine Bombe mit Zeitzünder im Laderaum eines noch unbesetzten Jumbo-Jets. Als die Bombe in der Nacht planmäßig explodiert und Besatzung wie Passagiere in den Tod reißt, schläft T. Unproblematisch: T ist (u. a.) Täter eines Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln (§ 211). Machen Sie sich nur klar, dass trotz der Bezeichnung „unmittelbare Täterschaft“ Tathandlung und Taterfolg zeitlich weit auseinander liegen können (vgl. § 8). Fall 174: (LG Duisburg, Urt. v. 25.3.1993) Der 1921 geborene G hatte im April 1945 als SSRottenführer einen Evakuierungsmarsch vom Nebenlager Wiener Neudorf zum KZ Mauthausen zu bewachen. Auf ausdrücklichen Befehl seines Vorgesetzten V erschoss er den Häftling H, der nicht mehr gehen konnte. Zur Zeit des Schießens war V weit entfernt und nicht erreichbar. Strafbarkeit von G nach § 212? G hat objektiv zurechenbar den Tod eines anderen Menschen verursacht und damit nach allen Ansichten den objektiven Tatbestand des § 212 erfüllt. G hat auch vorsätzlich gehandelt. Damit ist nach Ansicht der Tatherrschaftslehre der Tatbestand komplett verwirklicht. Die AnimusTheorie fragt noch zusätzlich, ob G auch „Täterwillen“ hatte. In einem Fallgutachten können Sie dem G diesen Täterwillen ohne Bedenken attestieren, denn G war als der Todesschütze maßgeblich an der Tat beteiligt, hatte die Tatherrschaft und auch den Willen dazu (vgl. die oben vor 1 genannten Kriterien des BGH). Das LG Duisburg hat sich allerdings auf den Standpunkt gestellt, G habe keinen Täterwillen gehabt. Schon früher (als es § 25 noch nicht gab) hat die Rspr. so argumentiert und maßgeblich sein lassen, dass das Tatinteresse gering gewesen sei; RGSt 74, 84 ff. (Badewannenfall); BGHSt 18, 87 ff. (Stachynskij-Fall). Konstellationen wie Fall 174 zeigen, dass die Animus-Theorie mit dem heutigen StGB nicht vereinbar ist. Denn gemäß § 25 I Alt. 1 wird nun einmal als Täter bestraft, wer die Straftat selbst begeht. Daran besteht bei G im Fall 174 kein Zweifel. Für seine Strafbarkeit mehr zu verlangen, nämlich einen im Gesetz nirgends auch nur angedeuteten Täterwillen, ist gegen das Gesetz. Fall 175: T bemüht sich seit langem, seinen friedliebenden und gemütvollen Bernhardiner zu einem Kampfhund zu erziehen. Der Dressurerfolg ist außerordentlich mäßig: Kampfeslust und Gehorsam des Bernhardiners sind schwach und unberechenbar. Als eines Tages zwei Nachbarkinder auf der Straße vor Ts Haus spielen und lärmen, öffnet T dem Hund die Tür und ruft „Fass!” Es geschieht, was ebenso gut ungeschehen hätte bleiben könnte: Lustlos, aber in Maßen gehorsam trottet der Hund auf das Kind K zu und beißt ihm sorgenvoll in den Arm. K schreit vor Angst und Schmerzen auf, aber es fließt kein Blut. Strafbarkeit des T nach § 223? T hat unbestritten eine einfache Körperverletzung begangen. Machen Sie sich aber eines klar: Wenn man mit dem oben genannten naturalistischen Kriterium der Tatherrschaftslehre ernst Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 62 machen würde, müsste man die Täterschaft verneinen! Denn es kann überhaupt keine Rede davon sein, dass T das Tatgeschehen „in den Händen hielt“ oder die Tat „nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen“ konnte: Es war reiner Zufall, ob der Hund gehorchen und beißen würde. Der Fall zeigt, dass dieses Täterschaftskriterium also nicht richtig sein kann, denn es führt zur Verneinung von Täterschaft, wo sich alle über die Bejahung von Täterschaft einig sind. Ziehen Sie daraus zwei Lehren: 1. Wenden Sie das naturalistische Kriterium der Tatherrschaftslehre bei der unmittelbaren Täterschaft nicht an! Sie dürfen das so machen. Denn die Anhänger der Tatherrschaftslehre wenden ihr Kriterium bei der unmittelbaren Täterschaft ja selber nicht an. 2. Machen Sie Sich klar: Ein Kriterium, was schon bei der unmittelbaren Täterschaft nicht stimmt, kann konsequenterweise auch bei der mittelbaren und der Mittäterschaft nicht stimmen. Vertiefung: Es gibt neben dem naturalistischen Zweig der Tatherrschaftslehre auch einen stärker normativistischen Zweig. Er stellt nicht ab auf eine faktische Beherrschung und Steuerung des Geschehens, sondern darauf, ob sich jemand das Geschehen nach normativem Maßstab als seine Tat zurechnen lassen muss. Das ist bei aller Schwierigkeit doch ein recht präziser und weithin zuverlässig funktionierender Maßstab. Denkt man diese normative Ausrichtung zu Ende, so kann man jedenfalls für die Alleintäterschaft (unmittelbare und mittelbare Täterschaft) sagen: Ein Tatbeteiligter ist dann Täter, wenn zwischen ihm und dem Taterfolg kein anderer als Täter steht. In dieser konsequenten Ausprägung ist die normativierende Tatherrschaftslehre aber – soweit ersichtlich – noch nirgends veröffentlicht. Deshalb können Sie sich zwar gedanklich daran orientieren und sich vieles damit klar machen; aber Sie sollten dieses Kriterium nicht in Ihren Fallgutachten offen zur Schau tragen, weil Sie Ihren Prüfer damit verdutzen könnten. b) Das Begehen der Straftat „durch einen anderen“ (sog. mittelbare Täterschaft), § 25 I Alt. 2 aa) Grundlagen der mittelbaren Täterschaft Die Möglichkeit, eine Straftat „durch einen anderen“ zu begehen, war schon vor Einführung des § 25 I Alt. 2 anerkannt. Die Vorschrift begründet also keine Strafbarkeit, sondern ist nur eine Klarstellung. Vertiefung: Häufig werden unmittelbare und mittelbare Täterschaft als zwei einander ausschließende Täterschaftsformen angesehen. Genau genommen ist aber die mittelbare Täterschaft nur ein Unterfall der unmittelbaren Täterschaft. Auch derjenige nämlich, der eine Straftat „durch einen anderen” begeht, begeht die Tat ja „selbst”; denn er „selbst” ist ja der Täter. Dass das Gesetz beide Formen mit einem „oder” verknüpft, besagt nichts. Bei § 303 etwa spricht es davon, dass jemand eine Sache „beschädigt oder zerstört”; und es ist allg. A., dass das Zerstören nur ein Unterfall des Beschädigens ist. Lernen Sie die Termini „Hintermann”, „Vordermann”, „menschliches Werkzeug”, „Tatmittler”, „Tatherrschaft” und „Verantwortungsdefizit”! Bei der mittelbaren Täterschaft gibt es immer zwei Personen auf der „Täterseite“: Den „Hintermann“ (im Fall 176 den A) und den „Vordermann” (im Fall 176 b den S). Zu klären ist in einem Fallgutachten immer, ob der „Vordermann“ selber Täter ist und ob der „Hintermann“ Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 63 Täter (dann eben „mittelbarer“ Täter) ist (oder vielleicht nur Anstifter oder Gehilfe). Man pflegt zu sagen, dass der „Hintermann“ dann Täter ist, wenn er den „Vordermann“ als „menschliches Werkzeug“, als „Tatmittler“ eingesetzt hat und deshalb die „Tatherrschaft“ hat. Das wiederum bejaht man fast immer, wenn beim „Vordermann“ ein „Verantwortungsdefizit“ besteht (genauer unter bb). Fall 176: A bewirkt absichtlich die Verletzung des Kindes K, indem er ... a) seinen Hund auf K hetzt; b) seinen zehnjährigen Sohn S auffordert, K zu verprügeln. A hat im Fall 176 a die Körperverletzung (§ 223, evtl. § 224 I Nr. 2: mittels eines gefährlichen Werkzeugs) „selbst“ begangen. In der Var. b hat er sie „durch einen anderen“ begangen, nämlich durch ein schuldloses Werkzeug. Das ist unbestritten. Die Animus-Theorie würde argumentieren: A hatte in beiden Varianten Täterwillen. Das ist zwar nicht falsch und führt zum richtigen Ergebnis, ist aber eine recht beliebige Zuschreibung. Die naturalistische Tatherrschaftslehre würde argumentieren: A hielt in beiden Varianten das Geschehen steuernd in Händen. Aber wenn wir uns den Sohn S im Fall 176 b als so unzuverlässig denken wie den Bernhardiner in Fall 175, dann wird deutlich, dass die Täterschaft des A im Fall 176 b genauso wenig wie in Fall 175 und in Fall 176 a davon abhängen kann, wie zuverlässig das eingesetzte (menschliche oder sächliche) Werkzeug funktioniert. Man ist sich – bei aller Unterschiedlichkeit des gewählten eher „äußerlichen“ Kriteriums – in der Sache recht einig darüber, dass es die fehlende rechtliche Verantwortung des Tatmittlers ist, die uns zu der rechtlichen Bewertung bringt, der Hintermann sei der Täter (näher sogleich unter bb). Vertiefung: Machen Sie sich am Fall 176 klar, was es bedeutet, wenn man sagt, A habe die Körperverletzung „durch den S“ begangen! Üblicherweise sagt man: Wenn die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft vorliegen, wird dem Hintermann die Tathandlung des Vordermannes wie eine eigene Handlung zugerechnet. Konkret zum Fall 176 b: Dem A sollen die von S ausgeteilten Schläge „wie eigene Schläge des A zugerechnet“ werden. Das halten wir für eine unnötig komplizierte und auch in der Sache unzutreffende Beschreibung des rechtlichen Gedankens. Denn im Fall 176 a würde man auch nicht sagen, dem A wären die Bisse des Hundes „wie eigene Bisse des A zuzurechnen“. Man würde sich vielmehr mit der schlichten und hinreichenden Feststellung begnügen, dass sein Befehl an den Hund die Tathandlung war. Konsequenterweise muss man dann auch im Fall 176 b sagen, das sein Befehl an S die Tathandlung war. Die „Besonderheit“ der Tatbegehung „durch einen anderen“ liegt allein darin, dass die Tathandlung des A keine Sache und kein Tier in Gang gesetzt hat, sondern einen Menschen. bb) Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft (1) Ein Dritter als „anderer“ Unproblematische Fälle Fall 177: T veranlasst W zur Schließung einer Tür mit der Folge, dass O stundenlang in einem Kellerraum gefangen sitzt. a) W weiß gar nicht, dass er jemanden einschließt. b) W ist ein zwölfjähriges Kind. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 64 c) W ist geisteskrank oder vom Alkohol enthemmt. d) T täuscht W vor, O sei ein in flagranti ertappter Einbrecher. e) T ist Anwalt und überzeugt W davon, als Hausherr sei er (W) zur Schließung ohne Rücksicht auf die Folgen berechtigt. f) Als W sich weigert, droht T ernsthaft mit Prügeln. Erklären Sie, worauf jeweils die rechtliche Bewertung beruht, dass T die Freiheitsberaubung (§ 239) „durch einen anderen“ begeht, also mittelbarer Täter ist! Im Fall 177 a ist W ein vorsatzloses Werkzeug, in Var. b und c ein schuldloses, in Var. d eines im Erlaubnisumstandsirrtum (also entweder ein gerechtfertigtes oder ein entschuldigtes), in Var. e eines im unvermeidbaren Verbotsirrtum (also ein schuldloses), in Var. f ein genötigtes (also nach h. L. ein wegen § 35 schuldloses). Die Animus-Theorie würde jedes Mal argumentieren, dass T Täterwillen gehabt habe. Das ist, wie schon mehrfach betont, nicht widerlegbar, aber eben beliebig und nicht der Sachgrund. Die Tatherrschaftslehre würde jedes Mal argumentieren, dass T Tatherrschaft gehabt habe. In den Var. a, d und e würde sie von „Wissensherrschaft“ des T sprechen, in den Var. b, c und f von „Willensherrschaft“). Das ist, wie ebenfalls schon mehrfach betont, als faktische Macht, das Geschehen zu steuern, nicht überzeugend, hingegen sehr wohl unter Hinweis auf das normative Defizit des Tatmittlers, also seine fehlende strafrechtliche Verantwortung. Machen Sie sich klar, dass immer dann, wenn dem Vordermann lediglich die Schuld fehlt, auch eine Anstiftung (§ 26) vorliegt! So ist das in den Var. b, c, e (und je nach rechtlicher Bewertung bei W auch in den Var. d und f). Dann tritt die Anstiftung aber hinter der mittelbarer Täterschaft zurück. Faustregel: Strafrechtliche Verantwortung des Vordermannes weist dem Hintermann die Rolle eines bloßen Teilnehmers (Anstifter, Gehilfe) zu. Fehlt die strafrechtliche Eigenverantwortung, so handelt der Hintermann „durch einen anderen“. Aber Achtung! Mit dem Handeln „durch einen anderen“ ist der Hintermann noch nicht automatisch mittelbarer Täter. Das zeigt ... Fall 178: Der Sadist S zwingt Frau F mit Todesdrohungen dazu, ihre 14-jährige Tochter T zu quälen. F hat nicht nur den Tatbestand einer einfachen Körperverletzung (§ 223) verwirklicht, sondern sogar den einer Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 I Nr. 1). Sie hat sich aber nicht strafbar gemacht, weil sie von S dazu mit Todesdrohungen genötigt worden war (h. L.: nach § 35 entschuldigender Nötigungsnotstand). S ist mittelbarer Täter einer einfachen Körperverletzung (§§ 223, 25 I Alt. 2). Er hat aber keine Misshandlung von Schutzbefohlenen begangen. Denn das würde voraussetzen, dass die gequälte T seiner Fürsorge oder seiner Obhut unterstand oder seinem Hausstand angehört hat usw. Problematische Fälle (Auswahl) Die Probleme liegen meist bei der Frage, ob schon mittelbare Täterschaft vorliegt oder wenigstens Anstiftung. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 65 Fall 179: Frau F bereitet ihre Geburtstagsfeier vor und bittet ihre gehorsame 20-jährige Tochter T, aus dem Keller des Nachbarn N heimlich ein paar Flaschen Sekt zu besorgen. T macht das, aber nur, damit N, den sie nicht leiden kann, sich über den Verlust des Champagners ärgert. Dass ihre Mutter die Flaschen bekommt, ist der T klar, aber egal. Hat T einen Diebstahl (§ 242) begangen? Oder F? Was ist ein „dolos-absichtsloses Werkzeug“? T hat dem N fremde bewegliche Sachen weggenommen; sie hat auch vorsätzlich gehandelt, aber ohne Zueignungsabsicht. Also hat sie keinen Diebstahl begangen. F könnte einen Diebstahl in mittelbarer Täterschaft (§§ 242, 25 I Alt. 2) begangen haben. F hat zurechenbar verursacht, dass es zur Wegnahme fremder beweglicher Sachen gekommen ist. Täterin wäre sie aber nur, wenn sie die Tat „durch einen anderen“ begangen hat. Das könnte hier T sein. T hat wie gesagt vorsätzlich, aber absichtslos gehandelt. Ob das für mittelbare Täterschaft genügt, ist umstritten (Stichwort: „dolos-absichtsloses Werkzeug“). Die Rspr., also die AnimusLehre, macht das wie üblich allein vom „Täterwillen“ abhängig und könnte im Fall 179 ohne Schwierigkeiten eine mittelbare Täterschaft der F bejahen (vgl. BGH, NStE Nr. 16 zu § 242 StGB). Das Lager der Tatherrschaftslehre ist gespalten. Der faktische Zweig verlangt eine Überlegenheit des Hintermannes, die sich nicht schon aus der Nichtstrafbarkeit des Vordermannes ergibt (z. B. SKStGB-Hoyer2000, § 25 Rn 45–47; LK-Roxin11, § 25 Rn 140). Danach wäre mittelbare Täterschaft hier abzulehnen mit der Begründung, T habe wegen ihres Vorsatzes das gesamte Geschehen durchschaut und daher selber gesteuert, F hingegen habe keine Herrschaftsmacht gehabt; nicht einmal Anstiftung wäre mangels Haupttat zu bejahen (wohl aber § 246). Der normative Zweig bejaht – jedenfalls beim „dolos-absichtslosen Werkzeug” – mittelbare Täterschaft mit der Begründung, dass das Strafbarkeitsdefizit der T genüge, das Geschehen rechtlich als Tat der F zu bewerten (z. B. Jescheck/Weigend, AT5, S. 669 f.; Tröndle/Fischer50, § 25 Rn 3; anders aber Stratenwerth, AT I4, § 12 Rn 37). Diese Ansicht finden wir nach dem bislang Gesagten nur konsequent. Vertiefung: Gerade am Fall 179 lässt sich gut erklären, warum die streng normative Tatherrschaftslehre vorzugswürdig ist. Der Grund findet sich letztlich in § 26. Diese Vorschrift zeigt, indem sie dem Anstifter dieselbe Strafe wie dem Täter androht, dass das Bestimmen eines anderen zur verantwortlichen Deliktsbegehung der eigenen Deliktsbegehung materiell gleichwertig ist. Die Abgrenzung von Täterschaft und Anstiftung ist also nur formal-typisierend. Wenn T Zueignungsabsicht gehabt und damit eine dem § 26 genügende Haupttat begangen hätte, wäre F als Anstifterin „gleich einem Täter“ zu bestrafen. Wenn dagegen – wie hier mangels Zueignungsabsicht – das die Anstiftung nur formal typisierende Merkmal der Haupttat nicht erfüllt ist, ändert das nichts am Gewicht von Fs Tatbeitrag. F verdient also in beiden Fällen die gleiche Strafe (Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 I GG). Weil nun aber § 26 nicht greift, spricht alles dafür, die Wegnahmeverursachung in Zueignungsabsicht als täterschaftlichen Diebstahl zu erfassen. – Was dieser Einsicht bei vielen im Wege steht, ist vermutlich der Ausdruck der „Tatherschaft“; denn eine irgendwie geartete Herrschaft über T hat F ja nicht. Der Ausdruck „Tatherrschaft“ ist aber keiner, der sich im Gesetz findet. Deshalb darf man sich nach seinem Wortsinn nicht richten. Gemäß § 25 I 2. Fall kommt es nur darauf an, dass F den Sekt „durch einen anderen“ weggenommen hat. Und das kann man allemal sagen, und es so zu sehen, ist nach dem gerade Gesagten auch in der Sache geboten. Fall 180: Wie Fall 177 e. Aber T ist kein Anwalt, sondern Zahnarzt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 66 Ist W einer Freiheitsberaubung (§ 239) strafbar? Oder T? Gibt es einen „Täter hinter dem Täter“? W hat tatbestandlich und rechtswidrig eine Freiheitsberaubung begangen. Er handelte zwar wie im Fall 177 e im Verbotsirrtum, aber anders als dort diesmal im vermeidbaren, denn er durfte der Rechtsauskunft eines Zahnarztes nicht vertrauen. W handelte also gemäß § 17 mit Schuld und ist daher strafbar. T hat die Einsperrung des O zurechenbar verursacht. Täter wäre er aber nur, wenn er diese Einsperrung „durch einen anderen”, hier den W, begangen hätte. W befand sich wie gesagt nur im vermeidbaren Verbotsirrtum. Ob das für mittelbare Täterschaft reicht, ist umstritten. Die Rspr., also die Animus-Lehre, macht das wie üblich allein vom „Täterwillen“ abhängig und könnte im auch im Fall 180 ohne Schwierigkeiten eine mittelbare Täterschaft des T bejahen (vgl. BGHSt 35, 347, 352–354). Das Lager der Tatherrschaftslehre ist gespalten. Der faktische Zweig verlangt eine faktische Überlegenheit des Hintermannes, die durchaus auch bei Strafbarkeit des Vordermannes vorliegen können soll (z. B. Baumann/Weber/Mitsch, AT10, § 29 Rn 139; S/SCramer/Heine26, § 25 Rn 38). Danach wäre mittelbare Täterschaft hier zu bejahen mit der Begründung, T habe wegen seines überlegenen Rechtswissens das gesamte Geschehen gesteuert. Der normative Zweig verlangt für die mittelbare Täterschaft, dass der Vordermann ein strafbarkeitsausschließendes Defizit hat (so z. B. Jescheck/Weigend, AT5, S. 669; Stratenwerth, AT I4, § 12 Rn 53, 55). Danach genügt Ws bloß strafbarkeitsminderndes Defizit nicht; T ist danach also kein mittelbarer Täter, wohl aber Anstifter. Vertiefung: Wir halten es für richtig, ein strafbarkeitsausschließendes Defizit zu verlangen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Wenn man bloße Strafbarkeitsminderungen genügen lassen wollte, dürfte man nicht bei strafrahmenabsenkenden Strafmilderungen (wie z. B. § 17 S. 2) stehen bleiben, sondern müsste konsequenterweise jeden strafmildernden Gesichtspunkt genügen lassen, sogar wenn er erst bei der konkreten Strafzumessung zum Tragen käme wie zum Beispiel eine „schwere Kindheit“ des W (vgl. § 46 II: „das Vorleben des Täters“). Damit würden die Ergebnisse aber ganz unplausibel. Weil wir kein Kriterium sehen, mit dem man die strafmildernden Defizite sachlich begründet unterscheiden könnte, halten wir sie insgesamt für nicht ausreichend, eine mittelbare Täterschaft des Hintermannes zu begründen. – Zweitens: Es besteht bei bloß strafbarkeitsmindernden Defiziten des Vordermannes auch kein Bedürfnis, mittelbare Täterschaft des Hintermannes zu bejahen. Denn weil der Vordermann Täter ist, kommt für den Hintermann Anstiftung in Betracht. (2) Das Opfer als „anderer“ Fall 181: X bringt Y am Strand dazu, sein Schlauchboot mit einem Messer aufzuschlitzen. a) Er schafft das, indem er dem Y einredet, es sei ein fremdes Schlauchboot. b) Er schafft das, indem er dem Y für den Fall der Weigerung Prügel androht. c) Er schafft das, indem er ausnutzt, dass Y erst 4 Jahre alt ist und noch kein Verständnis für sein Eigentum und dessen Beschädigung hat. Im Ansatz fragen Animus-Theorie und Tatherrschaftslehre wie immer nach dem „Täterwillen“ bzw. der „Tatherrschaft“ des Hintermannes. Aber natürlich kann man hier für eine Faustformel nicht auf diejenigen Kriterien zurückgreifen, die bei einem Dritten als „anderer“ gelten. Denn jemand wie Y, der sein eigenes Rechtsgut verletzt, handelt nicht deliktisch; deshalb kann man bei ihm nicht sinnvoll danach fragen, ob er mit oder ohne Vorsatz, rechtmäßig oder rechtswidrig, mit oder ohne Schuld gehandelt hat. In der Sache lässt man deshalb maßgeblich sein, ob er Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 67 freiwillig sein Rechtsgut verletzt hat. Man greift also auf die Voraussetzungen einer Einwilligung zurück. Faustregel: Das sein eigenes Rechtsgut verletzende Opfer ist ein Werkzeug des Hintermannes, wenn es ... gar nicht erkennt, dass es sein eigenes Rechtsgut verletzt (Irrtum, „Wissensherrschaft“) oder genötigt wird (Zwang, „Willensherrschaft“). „Wissensherrschaft“ liegt vor im Fall 181 a und c, „Willensherrschaft“ in der Var. b. In allen drei Var. ist X mittelbarer Täter einer Sachbeschädigung. cc) Prüfungsaufbau bei der mittelbaren Täterschaft I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Tätermerkmale b) Tatobjekt c) Taterfolg d) Tathandlung: Hier Beschreibung, dass und wie der Täter auf den Vordermann eingewirkt hat. e) Kausalität: Hat die Einwirkung des Täters auf den Vordermann zum Erfolg geführt? f) Objektive Zurechnung War die Einwirkung des Täters auf den Vordermann im Hinblick auf den eingetretenen Erfolg eine unerlaubte Gefahrschaffung und hat sich im Erfolg genau diese unerlaubt geschaffene Gefahr verwirklicht? g) Tatbegehung „durch einen anderen“ = War der Vordermann ein „menschliches Werkzeug“? h) Weitere objektive Merkmale 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz (insb. hins. 1 g) b) Weitere subjektive Merkmale c) „Täterwille“ erforderlich und gegeben? II. Rechtswidrigkeit III. Schuld 2. Mittäterschaft, § 25 II a) Grundlagen der Mittäterschaft aa) Der typische Fall und die Idee der wechselseitigen Zurechnung (§ 25 II) Fall 182: A und B schlendern nachts durch die Stadt. Als ihnen der schmächtige Passant O entgegenkommt, sagt A zu dem kräftigen B: „Du, der hat sicher Geld dabei. Das schnapp ich mir, wenn du ihm ein bisschen Angst machst. Halbe halbe?“ B nickt. Als O sie erreicht, droht B ihm mit Schlägen und veranlasst ihn so zum Stillhalten, während A in allen Taschen nach Geld sucht und Os Portmonee an sich nimmt. Strafbarkeit von A und B gemäß §§ 240, 242, 249? Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 68 A ist nach § 25 I Alt. 1 Alleintäter eines Diebstahls (§ 242); B hat eine Nötigung (§ 240) begangen. Wegen Raubes (§ 249) können sie nur bestraft werden, wenn man jedem das vom anderen begangene Unrecht zurechnen kann. Das leistet § 25 II. Gängige Stichworte: „arbeitsteiliges Zusammenwirken“, „funktionale Tatherrschaft“. bb) Das Verhältnis zur Alleintäterschaft Im Vergleich zur unmittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 1) wirkt die Mittäterschaft immer strafbarkeitsausweitend, weil ja dem einen das vom anderen begangene Unrecht zusätzlich angelastet wird (Fall 182). Im Vergleich zur mittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) wirkt die Mittäterschaft manchmal nicht strafbarkeitsausweitend. Das zeigt Fall 183: Wie Fall 182, aber B ist schwachsinnig und A weiß das. Abwandlung: A weiß nichts von Bs Schwachsinn. B ist wegen Schuldunfähigkeit (§ 20) straflos. A ist im Hinblick auf die Wegnahme Alleintäter (§ 25 I Alt. 1) und hinsichtlich der räuberischen Drohung mittelbarer Täter (§ 25 I Alt. 2). Zugleich ist A auch Mittäter nach § 25 II, denn für Mittäterschaft ist es nicht nötig, dass der andere schuldhaft handelt (§ 29). Die Strafdrohung ist so oder so dieselbe. Vertiefung: Wie soll man A verurteilen? Am besten wegen Raubes in mittelbarer Täterschaft, wenn man die Ansicht teilt, dass die Tatbegehung „durch einen anderen“ nur ein Sonderfall der Selbstbegehung ist. Denn dann ist es überflüssig, die Raubstrafbarkeit des A über den „Umweg“ der Zurechnung fremden Unrechts nach § 25 II zu begründen. – Im Ergebnis ebenso Jakobs, AT2, 21/91; unklar bei LK-Roxin11, § 25 Rn 171. In der Abwandlung von Fall 183 kennt A die Schuldunfähigkeit des B nicht. Deshalb kann er wegen § 16 I 1 auch nicht aus § 25 I Alt. 2 als mittelbarer Täter bestraft werden: Er weiß nicht, dass er die Tat „durch einen anderen“ begeht. Es bleibt aber seine Strafbarkeit aus § 25 II. b) Voraussetzungen der Mittäterschaft aa) Besondere Tätermerkmale Fall 184: Der Kriminalbeamte K und der Zeuge Z schlagen bei einer amtlichen Gegenüberstellung gemeinsam auf den Verdächtigen V ein. K und Z sind Mittäter einer gefährlichen Körperverletzung (§§ 224 I Nr. 4, 25 II). K ist zusätzlich Alleintäter einer Körperverletzung im Amt (§§ 340 I, III, 25 I Alt. 1). Z ist insoweit kein Täter, weil er selber kein Amtsträger ist; er ist nur Gehilfe (§§ 340 I, III, 27). – Siehe LKRoxin11, § 25 Rn 169. bb) Das gemeinschaftliche Begehen Probleme bereitet das Merkmal „gemeinschaftlich begehen“. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass Mittäter nur ist, wer erstens einen objektiven Beitrag zur Tatbegehung leistet und zweitens mit dem anderen einen „gemeinsamen Tatentschluss“ gefasst hat. Man spricht häufig vom „bewussten und gewollten Zusammenwirken“ (etwa Wessels/Beulke, AT30, Rn 524). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 69 (1) Der objektive Tatbeitrag aa) Mittäter kann nur sein, wer überhaupt einen objektiven Tatbeitrag leistet. Fall 185: (vereinfacht nach BGH, NStZ 1993, 385) M, E und F sind im Auto unterwegs, E sitzt am Steuer. M kommt spontan auf die Idee, man könne das Geschäft der H ausrauben. M und E planen die Tat. F sagt, er fahre mit, wolle aber auch ein Drittel der Beute. Die Tat verläuft wie geplant: E fährt vor Hs Geschäft, M und E stürmen hinein, E hält der H eine Pistole vor, während M die Kasse lehrt, beide steigen wieder in den Wagen und E fährt davon. Strafbarkeit der Beteiligten gemäß § 249? M und E haben einen gemeinschaftlichen Raub begangen (§§ 249, 25 II). F ist kein Mittäter, weil er keinen objektiven Beitrag geleistet hat. bb) Der objektive Tatbeitrag darf nicht ganz untergeordnet sein, sondern muss einiges Gewicht haben. Fall 186: M ist eines Nachts in die Villa des verreisten V eingedrungen und schweißt in stundenlanger Mühe den Tresor auf. Um zwei Uhr morgens bringt ihm seine Frau F wie vereinbart eine Mahlzeit. Die Stärkung tut dem M gut. Im Morgengrauen verlässt er die Villa mit seiner Beute. Strafbarkeit von M und F nach § 242? Die Tatherrschaftslehre verlangt einen „wesentlichen“ Beitrag (LK-Roxin11, § 25 Rn 189,191; S/S-Cramer/Heine26, § 25 Rn 64, 69)., d. h. dass „ihm eine im Rahmen arbeitsteiliger Ausführung relevante Funktion“ (LK-Roxin11, § 25 Rn 189) zukommen muss. Die Animus-Theorie kommt im Ergebnis ebenfalls zur Verneinung von Täterschaft. Sie lässt zwar als objektiven Tatbeitrag jede noch so geringfügige Tätigkeit genügen und fragt danach, ob der Beteiligte „die Tat als eigene“ will (also Täterwillen und nicht bloßen Gehilfenwillen hat); s. dazu oben unter I vor 1. Das ermittelt sie aber in einer wertenden Betrachtung aller Umstände; wesentliche Anhaltspunkte sollen sein „der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille zur Tatherrschaft“ (BGHSt 37, 289, 291). Deshalb wird von der Rechtsprechung bei ganz untergeordneten Tätigkeiten meist Täterschaft verneint (so etwa in BGHSt 34, 124, 125). cc) Umstritten ist, ob eine Tätigkeit im Vorbereitungsstadium als Tatbeitrag ausreicht. Fall 187: (nach BGHSt 37, 289 ff.) G und H werden polizeilich gesucht. Sie rüsten sich mit geladenen Revolvern aus und verabreden, im Fall einer drohenden Verhaftung ohne Rücksicht auf das Leben anderer zu schießen. Eines Abends treten mehrere Polizeibeamte auf sie zu, um sie festzunehmen. G nimmt sofort zum Zeichen der Aufgabe die Hände hoch; H erschießt zwei Beamte. Strafbarkeit von G und H nach § 212? Unterscheiden sie neben der Animus-Theorie die „weite“ und die „enge“ Tatherrschaftslehre! H ist nach § 212 strafbar. G ist es nur dann, wenn er Mittäter des Totschlags war. Das war er nur dann, wenn er einen objektiven Tatbeitrag geleistet hat. Dafür kommt allein sein Verhalten vor Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 70 dem fraglichen Abend in Betracht. Die meisten lassen für § 25 II solch einen Beitrag genügen; so die subjektive Theorie (z. B. BGHSt 37, 289, 292 f.) und die weite Tatherrschaftslehre (etwa S/SCramer/Heine26, § 25 Rn 66; Wessels/Beulke, AT30, Rn 529). Andere verlangen einen Tatbeitrag im Ausführungsstadium; so die enge Tatherrschaftslehre (z. B. LK-Roxin11, § 25 Rn 181). Die enge Tatherrschaftslehre verdient u. E. den Vorzug: Mittäter kann nach dem Wortlaut des § 25 II nur sein, wer an der Tat-„Begehung“ mitwirkt. Man unterscheidet aber allgemein zwischen bloßen Vorbereitungshandlungen und der eigentlichen Tatbegehung (vgl. §§ 8, 9). Für einen Alleintäter wären das Einstecken der Waffe und die Erklärung, zum Todesschuss bereit zu sein, unbestritten nur Vorbereitung. Es gibt keinen Grund, das bei einem Mittäter anders zu sehen. Vertiefung: Im Gegenteil spricht das Gesetz sogar dafür, Verbrechensverabredungen noch nicht als Teil der Tatbegehung anzusehen. Gemäß §§ 30 II, 31 I Nr. 3 wird nämlich derjenige, der (wie G) mit einem anderen ein Verbrechen verabredet und danach vollkommen untätig bleibt (also nicht an der Tat mitwirkt, sie aber auch nicht verhindert), nur aus § 30 bestraft, also nur wegen des Versuches einer Beteiligung. (2) Der gemeinsame Tatentschluss aa) „Tatentschluss“ hat nur, wer den Vorsatz hat, dass sein (unter 1 näher beschriebener) objektiver Tatbeitrag zusammen mit dem Beitrag des anderen zur Verwirklichung des Tatbestandes führt. Das ist nichts weiter als der übliche Vorsatz (vgl. § 16 I 1); er bezieht sich hier auf die Umstände des jeweiligen Tatbestandes sowie auf den objektiven Umstand des gemeinschaftlichen Begehens. Der Tatentschluss ist nur dann ein „gemeinsamer“, wenn die Mittäter sich über ihre Tatentschlüsse verständigt haben. Fall 188: S hat sich über V geärgert. Als er ihn nachts ohne Freunde auf dem Parkplatz der Disco sieht, schlägt er ihn zu Boden. Dabei ist ihm klar, dass die in der Nähe stehende D jede günstige Gelegenheit zu einem Diebstahl nutzt; er will sogar, dass D sich an V bereichert. In der Tat nimmt D dem ohnmächtigen V das Geld ab. D wiederum hatte den früheren Streit zwischen S und V mitbekommen und wusste deshalb, als S sich dem V näherte, dass er ihn niederschlagen würde. S hat eine Körperverletzung (§ 223) begangen, D einen Diebstahl (§ 242). Haben Sie auch einen Raub (§ 249) begangen? Der objektive Tatbestand eines Raubes in Mittäterschaft liegt vor. Auch hatten S und D beide den Vorsatz, dass dem O mit Gewalt das Geld weggenommen werden würde; und sie hatten sogar auch Dritt- (S) bzw. Selbstzueignungsabsicht (D). Aber ihr Tatentschluss war kein „gemeinsamer“. Also haben sie keinen Raub in Mittäterschaft begangen. Vertiefung: Die Voraussetzung des sog. gemeinsamen Tatentschlusses kann man systematisch § 30 II 3. Fall entnehmen. Dort ist für den Versuch der Beteiligung (> Mittäterschaft) das Erfordernis der Verbrechensverabredung aufgestellt. Und allgemein sieht man den Versuch der Mittäterschaft als notwendiges Durchgangsstadium für das vollendete Delikt an. Dann ist es aber folgerichtig, auch für das mittäterschaftlich vollendete Delikt die „Verabredung“ zu verlangen. Das tun ja alle, sie nennen es nur verkomplizierend „gemeinsamer Tatentschluss“. Bei richtigem Verständnis gehört die Verabredung in den objektiven Tatbestand verortet. Denn „verabreden” bedeutet, objektiv für Einigkeit sorgen. Sieht man es so, wäre im subjektiven Tatbestand der Vorsatz darauf zu beziehen (§ 16 I 1). Weil dieser Aufbau zu sehr vom Üblichen abweicht, empfiehlt es sich für die Klausur bislang nicht, ihr Gutachten so aufzubauen. In der Hausarbeit hingegen haben Sie Platz und können den Leser an der Präzisierung teilhaben lassen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 71 bb) Am gemeinsamen Tatentschluss fehlt es insoweit, als ein Mittäter mehr tut, als vorher abgesprochen wurde (Mittäterexzess). Fall 189: Wie Fall 182. Aber A hat vor der Tat eine geladene Pistole eingesteckt, ohne es B zu sagen. Strafbarkeit von A und B nach §§ 249, 250? A und B haben gemäß §§ 249, 25 II einen Raub in Mittäterschaft begangen (oben bei Fall 182). A hat vorsätzlich eine Waffe bei sich geführt und hat somit einen schweren Raub begangen (§ 250 I Nr. 1 Buchst. a). – Auch für B ist § 250 objektiv verwirklicht, denn „ein anderer Beteiligter am Raub“, nämlich A, hat eine Schusswaffe bei sich geführt. Diesen Umstand hat B aber nicht gekannt. Er hat also insoweit gemäß § 16 I 1 ohne Vorsatz gehandelt und kann nicht aus § 250 bestraft werden. Vertiefung: Eine andere Frage ist, ob A aus § 250 als Mittäter oder als Alleintäter zu verurteilen ist. Genauer ist eine Verurteilung als Mittäter (so auch BGHSt 36, 231, 232). Denn die von B begangene Drohung, die für eine Bestrafung aus § 250 Voraussetzung ist, kann dem A ja nur über § 25 II zugerechnet werden. – Man darf sich nicht sprachlich davon beirren lassen, dass es dann im Fall 189 nur einen Mittäter gibt. So etwas kann zum Beispiel auch dann passieren, wenn einer von zwei Mittätern nicht bestraft werden kann, weil er z. B. schwachsinnig und wegen § 20 schuldlos ist (s. nur SKStGB-Hoyer2000, § 25 Rn 107). cc) Nach allgemeiner Ansicht kann Mittäterschaft auch dann vorliegen, wenn sich ein zunächst ganz Unbeteiligter erst im Laufe des Geschehens mit den anderen verständigt und einmischt (sukzessive Mittäterschaft). Als unproblematisch gilt Fall 190: (nach BGH, GA 1969, 214) X und Y geraten mit O in Streit und schlagen auf ihn ein. Nach den ersten zehn Schlägen bekommen sie spontane und willkommene Unterstützung von ihrem Freund Z. Strafbarkeit von X, Y und Z? Alle drei werden als Mittäter einer gefährlichen Körperverletzung bestraft (§ 224 I Nr. 4). Vertiefung: Bei der sukzessiven Mittäterschaft ist v. a. zweierlei umstritten: 1. Haftet der Hinzutretende auch für besondere Erschwerungsgründe, die schon vorher verwirklicht worden sind? 2. Ist sukzessive Mittäterschaft auch noch nach formeller Vollendung, aber vor materieller Beendigung der Tat möglich? – Siehe dazu etwa BGHSt 2, 344 (345 ff.), GA 1994, 485; Schönke/Schröder-Cramer/Heine26, § 25 Rn 91; Kühl, AT3, § 20 Rn 126 ff.; LK-Roxin11, § 25 Rn 192 ff. c) Prüfungsaufbau bei der Mittäterschaft Aufbauprobleme bestehen, weil das Merkmal der gemeinschaftlichen Begehung ein objektivsubjektives Mischmerkmal ist: Es besteht wie gezeigt aus objektiven und subjektiven Untermerkmalen. Hier eine Aufbauempfehlung zu § 249 im Fall 182: Strafbarkeit von A und B wegen Raubes in Mittäterschaft (§§ 249, 25 II) durch das Androhen von Schlägen und das Ansichnehmen des Portmonees I. Tatbestand Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 72 1. Objektiver Tatbestand a) Wegnahme einer fremden beweglichen Sache aa) Für A und B fremde bewegliche Sache? +, das Portmonee. bb) Ist es zu einer Wegnahme gekommen? +, seitens des A. b) Ist es zu einer Anwendung von Drohungen gekommen? +, seitens des B. c) Objektiver Tatbeitrag sowohl von A als auch von B? +, siehe a und b. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 73 2. Subjektiver Tatbestand a) Gemeinsamer Tatentschluss? +, Einigung Sekunden vor der Tatbegehung. b) Zueignungsabsicht? +, A beabsichtigt Selbstzueignung, B Drittzueignung. c) Täterwille erforderlich und gegeben? Täterwille von A und B kann bejaht werden; also keine Erörterung, ob der Täterwille wirklich eine Voraussetzung der Mittäterschaft ist. II. Rechtswidrigkeit und Schuld? +. Fall 184: Für K und Z §§ 224, 25 II bejahen. Für K § 340 bejahen. Für Z §§ 340, 25 verneinen und §§ 340, 27 bejahen. Fall 185: Für M und E §§ 249, 25 II bejahen. Für F §§ 249, 25 II prüfen und beim objektiven Tatbeitrag verneinen. Fall 186: Für M § 242 bejahen. Für F §§ 242, 25 II prüfen. Beim objektiven Tatbeitrag Meinungsstand nennen: Tatherrschaftslehre würde den hinreichenden Beitrag verneinen, subjektive Theorie den Täterwillen. Fall 187: Für H § 212 bejahen. Für G §§ 212, 25 II prüfen, beim objektiven Tatbeitrag Meinungsstand nennen und sich entscheiden. Fall 188: Für S § 223 bejahen. Für D § 242 bejahen. Für S und D §§ 249, 25 II prüfen und gemeinsamen Tatentschluss verneinen. Fall 189: Für A und B §§ 249, 25 II bejahen. Für A §§ 250, 25 II bejahen. Für B §§ 250, 25 II prüfen und beim gemeinsamen Tatentschluss verneinen. 3. Versuch und Rücktritt bei Allein- und Mittäterschaft a) Versuch und Rücktritt bei der unmittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 1) Keine Besonderheiten. Ausführlich im 3. Kapitel D IV. b) Versuch und Rücktritt bei der mittelbaren Täterschaft (§ 25 I Alt. 2) aa) Versuch bei der mittelbaren Täterschaft (§§ 25 I Alt. 2, 22) Die Vorstellung von der Tatbestandsverwirklichung („Tatentschluss“) muss sich auf den kompletten objektiven Tatbestand beziehen. Die Vorstellung muss bei der mittelbaren Täterschaft also auch darauf gerichtet sein, die Tat „durch einen anderen“ zu begehen. Das unmittelbare Ansetzen beim Versuch in mittelbarer Täterschaft ist umstritten. Fall 191: Vater V braucht Schnaps und Zigaretten. Deshalb ruft er seinen siebenjährigen Sohn S zu sich, um ihn zum Klauen in den Supermarkt zu schicken. a) Als S ihn fragt, was los sei, findet V doch noch Schnaps und Zigaretten in einer Schublade und schickt S wieder aus dem Zimmer. b) Er trägt dem S die Besorgung auf. Während S noch zögerlich fragt „Muss ich wirklich?”, findet V das Gesuchte und entlässt S ohne Auftrag. c) S verlässt gehorsam das Zimmer und zieht sich seine Schuhe an. Da findet V das Gesuchte und entpflichtet S. d) S kommt auf dem Weg zum Supermarkt unter ein Auto und stirbt. e) S nimmt im Supermarkt eine Flasche Schnaps in die Hand, sieht sich verstohlen um und erblickt den Ladenbesitzer, der ihn streng beobachtet. Da stellt S die Flasche wieder zurück. Hat Vater V einen Diebstahl in mittelbarer Täterschaft (§§ 242 I, 25 I Alt. 2) versucht? – 1. A.: Der mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an bereits mit der Einwirkung auf den Tatmittler. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 74 Die einen blicken dabei auf den Beginn der Einwirkung (Weber, in: Baumann/Weber/Mitsch, AT10, 29/155; Tröndle/Fischer50, § 22 Rn 26), andere auf den Abschluss der Einwirkung (Jakobs, AT2, 21/105). Das heißt für Fall 191: Nicht in Var. a, in Var. b je nach Spielart und gewiss in Var. c bis e. – 2. A.: Der mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an erst mit dem unmittelbaren Ansetzen des Tatmittlers. Merke: Es kommt nach dieser Ansicht nicht darauf an, welchen Zeitpunkt sich der mittelbare Täter für das Ansetzen des Tatmittlers vorstellt. So Kühl, AT3, § 20 Rn 91; LK-Vogler10, § 22 Rn 101; wohl auch Maurach/Gössel, AT 27, § 48 Rn 115. Das heißt für Fall 191: Erst in Var. e. – 3. A. (h. L.): Der mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an in dem Moment, in dem er nach seiner Vorstellung „die Herrschaft über das Geschehen endgültig aus der Hand gibt oder das geschützte Rechtsgut unmittelbar gefährdet wird“ (Lackner/Kühl23, § 22 Rn 9). Man muss also danach unterscheiden, ob der Tatmittler in Gegenwart des Hintermannes tätig werden soll oder in dessen Abwesenheit. a) Der anwesende mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an mit dem Eintritt einer unmittelbaren Gefahr für das Rechtsgut, d. h. mit dem unmittelbaren Ansetzen des Tatmittlers. b) Der abwesende mittelbare Täter setzt unmittelbar zur Tat an mit der Entlassung des Tatmittlers aus dem Herrschaftsbereich. Das heißt für Fall 191: Nicht in Var. a bis c, aber in Var. d und e. Aus der Lit. siehe noch Jescheck/Weigend, AT5, S. 521; LK-Roxin11, § 25 Rn 152; SKStGBRudolphi1993, § 22 Rn 20a; Wessels/Beulke, AT30, Rn 613; wohl auch S/S-Eser26, § 22 Rn 54a. Von ihnen lassen aber manche – wie der BGH, dazu sogleich – die Entlassung aus dem Herrschaftsbereich nur genügen, wenn der Tatmittler nach der Vorstellung des Hintermannes „sogleich“, „nunmehr“, „unverzüglich“ o. ä. zur Tat schreiten soll. Wer diese Einschränkung mitmacht, kann in Var. d das unmittelbare Ansetzen verneinen oder bejahen; das Kriterium ist für beide Wertungen offen. – Der BGH vermengt alle drei Ansätze. In einer der neuesten Entscheidungen heißt es: Bei der mittelbaren Täterschaft „liegt zwar ein Ansetzen des Täters zur Tat schon vor, wenn er seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat, es ist also nicht erforderlich, dass der Tatmittler seinerseits durch eigene Handlungen zur Tat ansetzt. Ein unmittelbares Ansetzen ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Tatmittler in der Vorstellung entlassen wird, er werde die tatbestandsmäßige Handlung nunmehr in engem Zusammenhang mit dem Abschluss der Einwirkung vornehmen ... Demgegenüber fehlt es hieran, wenn die Einwirkung auf den Tatmittler erst nach längerer Zeit wirken soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie einmal Wirkung entfaltet. In diesen Fällen beginnt der Versuch erst dann, wenn der Tatmittler ... seinerseits unmittelbar zur Tat ansetzt. Entscheidend für die Abgrenzung ist daher, ob nach dem Tatplan die Einzelhandlungen des Täters in ihrer Gesamtheit schon einen derartigen Angriff auf das geschützte Rechtsgut enthalten, dass es bereits gefährdet ist und der Schaden sich unmittelbar anschließen kann ..., oder ob die Begründung einer solchen Gefahr dem noch ungewissen späteren Handeln des Tatmittlers überlassen bleibt“ So BGHSt 43, 177, 180; vgl. auch BGHSt 30, 363, 365; NStZ 1986, 547. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 75 Das heißt für Fall 191: Nicht in Var. a bis c, vielleicht in Var. d und bestimmt in Var. e. Stellungnahme Hardtung: Nach den allgemeinen Lehren, wie sie sich im Skript „Vorlesung Strafrecht I“ beim Versuch finden, hat V im Fall 191 nach seiner Vorstellung „zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt“, wenn er eine Handlung vorgenommen hat, die nach seiner Vorstellung der eigentlichen Tathandlung unmittelbar vorangeht, also ohne wesentliche Zwischenakte in sie einmündet. Was ist hier die eigentliche Tathandlung? Wer einen Diebstahl durch einen anderen begeht, begeht diese Tat dadurch, dass er sein menschliches Werkzeug in Gang setzt; nicht anders, als wenn jemand seinen dressierten Hund die gewünschte Beute apportieren lässt oder einen Totschlag begeht, indem er eine Kugel abfeuert. Diese eigentliche Tathandlung ist im Fall 191 (noch etwas pauschal) das Losschicken des S, also die Zeitspanne vom Beauftragen des S bis zu dessen Verlassen der Wohnung. Die vorherigen Einwirkungen des V auf S (Herbeirufen, Beginn des Beauftragens) sind dagegen noch nicht die eigentliche Tathandlung, ebenso wenig wie das Herbeirufen des Hundes oder das Entsichern und Heben der Waffe. Das spätere Geschehen (S ist unterwegs, S ist im Supermarkt) hingegen spielt schon nach der eigentlichen Tathandlung des V, so wie das Laufen und Zuschnappen des Hundes oder das Fliegen und Zerstören der Kugel. Beim Einsatz dieser sächlichen Werkzeuge erklärt man nach allg. Ansicht nicht das Zuschnappen des Hundes oder das Einschlagen der Kugel zur Tathandlung des Täters. Dann aber ist es nur konsequent und systematisch geboten, auch beim Einsatz eines menschlichen Werkzeugs nicht das Handeln des Werkzeugs zur Tathandlung des Täters zu erklären; vielmehr muss man auf das Handeln des Täters selber blicken. Zu dieser seiner eigenen Tathandlung, d. h. zum Losschicken des S, muss V also unmittelbar angesetzt haben. Deshalb wäre es ganz unpassend, für V das unmittelbare Ansetzen des Tatmittlers maßgeblich sein zu lassen (so aber oben die 2. Ansicht und für manche Fälle der BGH). Es geht hier nun einmal um die Strafbarkeit des Hintermannes wegen Versuches und damit um sein unmittelbares Ansetzen (vgl. nur SKStGB-Rudolphi1993, § 22 Rn 20a). Das passt auch am besten zu den Vorstellungen des Gesetzgebers: Er sah beispielhaft den Versuch, einen Betrug durch einen täuschenden Brief zu begehen, in der Absendung des Briefes (Sonderausschuss-Prot. V/1747) und einen Totschlagsversuch im Losschicken des Boten mit der vergifteten Nahrung zu den Opfern (Sonderausschuss-Prot. V/1748); dem entspricht hier das Losschicken des S. Das „Losschicken“ erstreckt sich im Fall 191 allerdings über den Zeitraum von der Beauftragung des Werkzeugs bis zu dessen Losgehen. Fraglich bleibt also, wann ganz genau V unmittelbar angesetzt hat: Schon mit dem letzten Wort an S (Var. c) oder erst mit dem Verlassen der Wohnung (Var. d)? Hier neige ich zum späteren Moment. Zwar hat V mit dem letzten Wort seine Tathandlung, nämlich die Einwirkung auf S, schon komplett begangen; alles weitere Verhalten des V ist bloßes Unterlassen. Aber S ist noch im Herrschaftsbereich des V und kann jederzeit von ihm gestoppt werden. In den Gesetzgebungsmaterialien wird in einem vergleichbaren Beispiel (Täter will mittels einer Bombenexplosion töten) das unmittelbare Ansetzen nicht schon im Scharfmachen der Bombe gesehen, sondern erst darin, dass der Täter von der scharf gemachten Bombe weggeht (Schlee, SA-Prot. V/1773 f.). Ein vom Tatort abwesender mittelbarer Täter setzt also – so mein Formulierungsvorschlag – unmittelbar an, wenn er den sinnlichen Kontakt zum (sächlichen oder menschlichen) Werkzeug beendet hat. Das entspricht (wohl) dem, was andere die „Entlassung aus dem Herrschaftsbereich“ nennen. Danach hat V auch in Var. d einen Versuch begangen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 76 Stellungnahme Herzberg: Der Rückblick zeigt, dass es sich so verhält, wie zu vermuten war. Man kann nicht einfach sagen, dass im Streit um das Problem des Themas die einen Recht haben und die anderen, ohne es einzusehen, Unrecht. Richtiges und Unrichtiges findet sich vielmehr auf die verschiedenen Theorien verteilt. Die Fehler der einen wie der anderen Seite werden m.E. vermieden, wenn man die Dinge so sieht: Beim deliktischen Versuch ist zu unterscheiden zwischen Versuchshandlung und Versuchserfolg. Jene bedeutet schon die Teilerfüllung des Versuchstatbestandes, dieser muss hinzutreten, damit das Versuchsdelikt zustande kommt. Dafür entscheidend ist in den Fällen unseres Themas – genau wie sonst – die unmittelbare Gefahr der Verwirklichung des Tatbestandes, gemessen an der Vorstellung des Täters beim eigenen Handeln. Der Versuch liegt also jedenfalls dann vor, wenn der Tatmittler die Zuspitzungshandlung vornimmt, die der Täter beim eigenen Handeln erwartet hat, die also im Rahmen seiner zu dieser Zeit gegebenen Vorstellung liegt. Er liegt – mit schwächerem Gewicht – auch bereits dann vor, wenn der Zeitpunkt erreicht ist, für den der Täter beim eigenen Handeln die Zuspitzungshandlung sich als frühestens möglich vorgestellt hat. Weder so noch so kommt aber das Versuchsdelikt zustande, wenn der Täter vor diesem Zeitpunkt erfährt, dass die Deliktsvollendung ausgeschlossen ist. (Ausführlich zum Ganzen Herzberg, FS-Roxin, 749 ff.) bb) Rücktritt bei der mittelbaren Täterschaft (§ 24 I) Keine Besonderheiten. Wie beim unmittelbaren Täter gilt Abs. 1 des § 24. Der rücktrittswillige mittelbare Täter kann z. B. sein menschliches Werkzeug rechtzeitig stoppen; er kann selber die Vollendung verhindern; er kann sein Werkzeug die Vollendung verhindern lassen, so wie man sich beim Rücktritt der Hilfe eines jeden beliebigen Menschen bedienen kann (etwa indem man den Notarzt ruft, der das Leben des angeschossenen Opfers rettet). c) Versuch und Rücktritt bei der Mittäterschaft (§ 25 II) aa) Versuch bei der Mittäterschaft (§§ 25 II, 22) Die Vorstellung von der Tatbestandsverwirklichung („Tatentschluss“) muss sich auf den kompletten objektiven Tatbestand beziehen. Die Vorstellung muss bei der Mittäterschaft also auch darauf gerichtet sein, die Tat mit einem anderen „gemeinschaftlich“ zu begehen. Bedenken Sie: Für den Täter ist es ein objektiver Umstand, dass er und sein Mittäter einen gemeinsamen Tatvorsatz haben, d. h. sich verständigt haben also über ihre Vorsätze. Die Vorstellung einer Tatbegehung in Mittäterschaft hat also nur, wer sich vorstellt, sich mit einem anderen über die Tatbegehung verständigt zu haben. Das unmittelbare Ansetzen beim Versuch in Mittäterschaft ist umstritten. Fall 192: Bandenchef C will, dass T und M den O in dessen Haus töten. Der von C erdachte und auf Os Lebensgewohnheiten abgestimmte Tatplan sieht folgenden Ablauf vor: M soll um 17 Uhr an der Haustür klingeln und den allein anwesenden O, wenn er die Tür öffnet, ins Haus stoßen und ins Badezimmer drängen. Dann soll T nachkommen und den O im Bad mit einer von C zur Verfügung gestellten Waffe erschießen. Am Tattage geht M, gefolgt von T, zur Haustür und klingelt. Als O öffnet, stößt M ihn in die Wohnung. Das ist für die im und am Haus postierte Polizei das Zeichen zum Zugriff. Abwandlung: M und T werden schon von der Polizei festgenommen, als sie vor Os Haus gerade aus dem Wagen steigen. Strafbarkeit von M, T und C nach §§ 212, 25 II, 22, 23 I, 12? Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 77 – 1. A. (h. L.): Setzt ein Mittäter nach allgemeinen Regeln unmittelbar an, so setzen damit zugleich alle anderen unmittelbar an (Gesamtlösung). Arg: Jeder Mittäter muss sich die Tatbeiträge jedes anderen zurechnen lassen, also auch dessen unmittelbares Ansetzen. Etwa BGHSt 36, 249 (250); 39, 236 (238); S/S-Eser26, § 22 Rn 55. Das heißt für Fall 192: Nach h. A. hätte ein Alleintäter spätestens im Moment des Hineindrängens zum Totschlag unmittelbar angesetzt (manche würden schon das Klingeln genügen lassen). M hat selber den O ins Haus gedrängt und damit unmittelbar angesetzt. – Das wird dem noch draußen wartenden T zugerechnet. – Lässt man Cs „Mitwirkung im Vorbereitungsstadium“ für eine Mittäterschaft genügen, dann ist auch ihm das unmittelbare Ansetzen des M zuzurechnen. In der Abwandlung hat keiner unmittelbar angesetzt. – 2. A: Der einzelne Mittäter setzt unmittelbar an, wenn er zu dem seine Tatherrschaft begründenden Verhalten unmittelbar ansetzt (Einzellösung). Schilling, Der Verbrechensversuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975, S. 104 ff. Das heißt für Fall 192: M hat zu seinem Tatbeitrag, dem Hineinstoßen, unmittelbar angesetzt. – T aber hat zu seinem Tatbeitrag, dem Schießen, noch nicht unmittelbar angesetzt. – C hingegen hat seinen Tatbeitrag sogar schon komplett geleistet, hat also unmittelbar angesetzt. In der Abwandlung hat nur C unmittelbar angesetzt. – 3. A: Der einzelne Mittäter setzt unmittelbar an, wenn er zu dem seine Tatherrschaft begründenden Verhalten unmittelbar ansetzt und die mittäterschaftliche Gesamthandlung nach allgemeinen Regeln bis zum Versuch gediehen ist. SKStGB-Rudolphi1993, § 22 Rn 19a. Das heißt für Fall 192: M hat zu seinem Tatbeitrag, dem Hineinstoßen, unmittelbar angesetzt; das war zugleich das unmittelbare Ansetzen „nach allgemeinen Regeln“. – T hat zu seinem Tatbeitrag, dem Schießen, noch nicht unmittelbar angesetzt. – C hat seinen Tatbeitrag sogar schon komplett geleistet, hat also unmittelbar angesetzt; zusätzlich ist es auch (nämlich durch M) zum unmittelbaren Ansetzen „nach allgemeinen Regeln“ gekommen. In der Abwandlung hat C zwar seinen Tatbeitrag schon komplett geleistet, es fehlt aber noch das unmittelbare Ansetzen „nach allgemeinen Regeln“. Deshalb ist keiner wegen versuchten Totschlags strafbar. Stellungnahme: T stellte sich vor, dass erst M den O ins Bad drängen und dann T den O erschießen werde. Damit stellte T sich die gemeinschaftliche Begehung eines Totschlags vor. Wäre es zur Verwirklichung dieses Geschehens gekommen, würde dem T das Drängen des M zugerechnet. Solch ein Drängen ist nach allg. Ansicht ein unmittelbares Ansetzen zum Totschlag. Also hatte T eine Vorstellung, wonach ihm das unmittelbare Ansetzen des M zugerechnet wird wie sein eigenes Verhalten. Weil es im Fall 192 wie von T vorgestellt zum unmittelbaren Ansetzen des M gekommen ist, hat folglich auch T „nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt“ (§ 22). – Damit ist von den drei genannten Ansichten die erste vorzugswürdig. Vertiefung 1: Nicht stören darf man sich daran, dass Ts eigener Tatbeitrag noch in der Zukunft lag. Denn für die von § 22 zum Kriterium erhobene „Vorstellung von der Tat“ ist es vollkommen anerkannt, dass man auf die komplette Vorstellung blicken muss. Anderenfalls käme man immer Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 78 zu unsinnigen Ergebnissen: Beim Alleintäter etwa ist das Heben der Waffe und das Zielen nur deshalb ein unmittelbares Ansetzen zum Totschlag, weil der Täter beim Heben und Zielen die Vorstellung hat, gleich – also in der Zukunft! – abzudrücken; ohne Berücksichtigung dieser Zukunftsvorstellung könnte man das unmittelbare Ansetzen niemals bejahen. Vertiefung 2 (sehr speziell): Aber auch die erstgenannte Ansicht befriedigt nicht. Gemäß § 22 kommt es für einen Versuch darauf an, dass der Täter nach seiner Vorstellung unmittelbar ansetzt. Es kommt also für den Versuch – egal in welcher Täterschaftsform – niemals darauf an, was eine andere Person tatsächlich tut; es zählt immer nur, was der Täter sich vorstellt. Und die Vorstellung einer Person kann von der Realität abweichen. Das zeigt sich an der Abwandlung zu Fall 192, wenn man (was wir freilich nicht tun würden, s. Fall 187) die Mitwirkung des C im Vorbereitungsstadium als Tatbeitrag genügen lässt: C stellte sich beim Losschicken seiner Leute vor, dass sie ins Haus des O eindringen und ihn töten würden. Nach „seiner Vorstellung“ hat er also zur Verwirklichung des Totschlags angesetzt in dem Moment, den er beim Losschicken von T und M für den Tatzeitpunkt hielt, also am Tattag um 17 Uhr. bb) Rücktritt bei der Mittäterschaft (§ 24 II) Nach § 24 II 1 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Damit werden alle Fälle erfasst, die beim Alleintäter unter § 24 I 1 Alt. 1 und 2 fallen. Das dazu Gesagte gilt auch hier. Fall 193: T und M wollen als Mittäter eines Einbruchsdiebstahls den Safe öffnen. T liest von einem Zettel die Kombination ab und M stellt sie ein. Nach der zweiten Zahl besinnt sich T und geht mit dem Zettel davon. Auch M muss unverrichteter Dinge abziehen. Die einzige Besonderheit ist terminologischer Art, nämlich die, dass im Sinne des § 24 II 1 auch derjenige die Vollendung „verhindert“, der die weitere Ausführung der Tat schlicht aufgibt, so dass seine Mitbeteiligten die Tat nicht mehr erfolgreich abschließen; so z. B. T im Fall 193. Nach § 24 II 2 Alt. 1 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet wird. Das entspricht § 24 I 2. Das dazu Gesagte gilt auch hier. Fall 194: Wie Fall 193. Aber T und M wähnen nur, die richtige Kombination zu kennen. Tatsächlich sind die Zahlen falsch. T hat die Vollendung der Tat nicht verhindert, weil der Diebstahl auch bei vollständiger Nennung der vermeintlich richtigen Zahlenkombination nicht vollendet worden wäre. Ein Rücktritt nach § 24 II 1 scheidet also mangels Verursachung der Nichtvollendung aus. Angesichts der Vorstellung des T, die richtige Kombination zu kennen, hat er aber das zur Nichtvollendung Optimale geleistet. Sein schlichtes Aufhören war deshalb ein „ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern“. Weil T sich auch freiwillig bemühte und die Vollendung ohne sein Zutun ausblieb, ist ein Rücktritt nach § 24 II 2 Alt. 1 zu bejahen. Nach § 24 II 2 Alt. 2 wird wegen Versuches nicht bestraft, wer sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird. Hierzu gibt es im Abs. 1 kein Pendant. Fall 195: Wie Fall 194. Aber nachdem T die Nennung der weiteren Zahlen verweigert hat und gegangen ist, beschließt M, auf gut Glück eine völlig neue Kombination einzustellen. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 79 Das Unwahrscheinliche geschieht: Die Kombination stimmt. M öffnet den Tresor, nimmt die Juwelen an sich und macht sich davon. Man könnte schon bezweifeln, ob die geschehene Tat wirklich noch diejenige ist, die T gemeinsam mit M und dem Zahlenzettel versucht hat; man könnte sie auch als eine andere, neue Tat allein des M ansehen. Aber auch wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass die von T und M gemeinsam versuchte Tat durch Ms Weiterhandeln doch noch begangen worden ist, dann ist sie jedenfalls unabhängig von Ts früheren Tatbeitrag (Nennung zweier falscher Zahlen) begangen worden. Auch hat sich T freiwillig und ernsthaft um die Nichtvollendung bemüht, ist also zurückgetreten. II. Teilnahme Aufbauempfehlung: I. Tatbestand 1. Objektiver Tatbestand a) Die vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat eines anderen (sog. Haupttat) b) Bei § 26: Das Bestimmen Bei § 27: Das Hilfeleisten 2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Strafzumessung (§§ 26, 27 II 2; ggf. § 28) 1. Anstiftung (§ 26) a) Objektiver Tatbestand aa) Die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ eines anderen (sog. Haupttat) Beachten Sie § 11 I Nr. 5! Fall 196: Nachdem M Bankrott gegangen ist, treibt ihn seine Frau F in den Selbstmord, um in den Genuss seiner Lebensversicherung zu kommen. M hat sich selber getötet; das erfüllt weder den Tatbestand des § 212 noch den irgendeiner anderen Verbotsnorm. Damit war Ms Verhalten keine „rechtswidrige Tat“ und F kann nicht als Anstifterin bestraft werden. – Aber je nach den (nicht geschilderten) näheren Umständen kommt ein Totschlag in mittelbarer Täterschaft in Betracht. Fall 197: Autofahrer A und sein Beifahrer B haben es eilig. Als A vor einer rot werdenden Ampel bremst, ruft B: „Komm egal; gib Schub, Rakete!“ Daraufhin gibt A Vollgas und fährt sehenden Auges bei Rotlicht über die menschenleere Kreuzung. A hat zwar eine rechtswidrige Tat im üblichen Sprachsinne begangen, nämlich eine Ordnungswidrigkeit. Das genügt aber nicht für § 26. Dort wird eine „rechtswidrige Tat“ im speziellen Sinne des § 11 I Nr. 5 verlangt, nämlich eine rechtswidrige straftatbestandliche Tat. Daran fehlt es hier. Fall 198: Frau F ist der Kastanienbaum im Garten ihrer Nachbarn N ein Dorn im Auge, weil er Schatten auf ihre Terrasse wirft. Als die Eheleute N im Urlaub sind, bedrängt F ihren Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 80 Mann M, in den Nachbargarten zu gehen und dort die störenden Äste abzusägen. M gehorcht, ohne F zu sagen, dass die Eheleute N ihm das vor ihrer Abreise ausdrücklich erlaubt haben. M hat nicht den Tatbestand des Hausfriedensbruches (§ 123 I Alt. 1) verwirklicht; denn er hat zwar das befriedete Besitztum der Eheleute N betreten, aber nicht gegen deren Willen, ist also nicht „eingedrungen“ (sog. „tatbestandsausschließendes Einverständnis“). Den Tatbestand der Sachbeschädigung (§ 303) hingegen hat M – jedenfalls nach h. A. – sehr wohl erfüllt, handelte aber wegen der Einwilligung der Eheleute N gerechtfertigt (sog. „rechtfertigende Einwilligung“). Mangels Rechtswidrigkeit der Tat scheidet also eine Strafbarkeit der F wegen Anstiftung aus. Fall 199: Beim Hinausfahren aus einer Parkbucht beschädigt Autofahrer A ein anderes Fahrzeug. Beifahrer B bewegt ihn zur Weiterfahrt durch die Täuschung, es sei nichts passiert. A hat eine „rechtswidrige Tat“ i. S. der §§ 26, 11 I Nr. 5 begangen, nämlich ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 I). Er hat aber nicht vorsätzlich gehandelt, so dass B nicht wegen Anstiftung strafbar ist. – Eine Strafbarkeit des B wegen mittelbarer Täterschaft hängt insb. davon ab, ob er das Tätermerkmal „Unfallbeteiligter“ (definiert in § 142 V) erfüllt hat; hierzu fehlen im Fall nähere Angaben. Fall 200: Der Skinhead S fordert seinen Kumpel K auf, den schlafenden Obdachlosen O mit dem Stiefel ins Gesicht zu treten. K tut das, und zwar so heftig, dass O an den Verletzungen stirbt. a) An diese Folge hatte K nicht gedacht, wohl aber S. b) An diese Folge hatte keiner der beiden gedacht. Lesen Sie §§ 11 II, 18! K hat eine Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227) begangen, denn er hat den O vorsätzlich verletzt (§§ 223, 224) und dadurch fahrlässig dessen Tod verursacht (§ 18). K hat den Tod des O zwar nur fahrlässig verursacht. Er hat aber dennoch die Straftat der „Körperverletzung mit Todesfolge“ im Sinne des § 26 „vorsätzlich begangen“; das bestimmt § 11 II. Dazu hat S ihn bestimmt. In Var. a liegt auch der von § 26 verlangte Vorsatz des S vor. In Var. b hat S zwar im Hinblick auf die Todesfolge ohne Vorsatz gehandelt. Das ist aber für eine Bestrafung aus §§ 227, 26 nicht nötig. Denn § 18 besagt ausdrücklich, dass auch der Teilnehmer schon bei bloßer Fahrlässigkeit für die besondere Folge haftet. Fall 201: B bedrängt den volltrunkenen A, noch mit dem Auto zu fahren. A erkennt zwar seinen desolaten Zustand, setzt sich aber ans Steuer und fährt los. A hat vorsätzlich eine „rechtswidrige Tat“ i. S. der §§ 26, 11 I Nr. 5 begangen, nämlich eine Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 I. Er handelte wegen der Volltrunkenheit zwar höchstwahrscheinlich gemäß § 20 im Zustand der Schuldunfähigkeit; aber das spielt für die Strafbarkeit des B wegen Anstiftung keine Rolle. – In einem Gutachten wäre vor Bs Strafbarkeit aus §§ 316 I, 26 eine Strafbarkeit aus § 316 I in mittelbarer Täterschaft zu erwägen. Sie wäre aber mit der h. L. zu Recht zu verneinen, weil B selber kein „Fahrzeug geführt“ hat (§ 316 als sog. „eigenhändiges Delikt“). Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 81 Fall 202: Im Fall 193 nimmt M nur irrtümlich an, die Nachbarn hätten ihm das Betreten des Gartens und das Absägen der Äste erlaubt. M hat eine rechtswidrige Tat begangen, nämlich zunächst einmal einen Hausfriedensbruch (§ 123 I Alt. 1). Insoweit fehlte ihm aber der Vorsatz, denn er kannte nicht den Umstand, dass er gegen den Willen der Hausrechtsinhaber in deren Garten ging. Also scheidet eine Strafbarkeit der F aus §§ 123 I Alt. 1, 26 aus. Schwieriger liegen die Dinge bei §§ 303, 26: Sieht man mit der h. L. eine Einwilligung als Rechtfertigungsgrund an, dann hat M vorsätzlich den Tatbestand des § 303 verwirklicht. Ob das eine „rechtswidrige“ Tat war, hängt davon ab, wie man den Erlaubnisumstandsirrtum des M sich auswirken lässt. Steht man auf dem Standpunkt, dieser Irrtum des M lasse die Rechtswidrigkeit entfallen, scheidet eine Strafbarkeit der F wegen Anstiftung aus; lässt man den Irrtum des M erst schuldausschließend wirken, so liegt eine vorsätzliche rechtswidrige Tat des M vor und F ist wegen Anstiftung strafbar. Richtig ist die erstgenannte Lösung. Fall 203: Der masochistische M bewegt die Prostituierte P durch reichen Lohn, ihn mit der Peitsche schlimm zu quälen und zu verletzen. P ist strafbar wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 I Nr. 2), denn die Einwilligung des M war gemäß § 228 unwirksam. M hat die P zu dieser Tat bestimmt. Dennoch ist man sich darüber einig, dass M nicht wegen Anstiftung strafbar ist. Die Begründung dafür lautet: Unser Strafrecht ist ein Strafrecht zum Rechtsgüterschutz. Ein Teilnehmer (Anstifter und Gehilfe) wird aus demselben Grund wie ein Täter bestraft, nämlich weil er ein fremdes Rechtsgut verletzt (oder gefährdet). Daran aber fehlt es bei demjenigen, der zur Verletzung eines eigenen Rechtsgutes auffordert. Also muss man über den Gesetzeswortlaut hinaus eine weitere Strafbarkeitsvoraussetzung aufstellen: Die Haupttat muss gegen ein für den Anstifter fremdes Rechtsgut gerichtet sein. Konstellationen wie hier in Fall 203 laufen unter dem wenig hilfreichen Stichwort „notwendige Teilnahme“. Bei Licht besehen folgt die Straflosigkeit des M aus den allgemeinen Grundsätzen. Wie jedes Handlungsmerkmal muss auch das „Bestimmen“ eine strafrechtlich missbiligte Gefahr schaffen, die sich im Anstiftungserfolg (der Tathandlung des Haupttäters) verwirklicht. Sich selbst zu gefährden ist aber rechtlich nicht missbilligt (näher zum Ganzen Herzberg, JuS 1987, 617 ff.) bb) Das Bestimmen Merke: Bestimmen ist das Hervorrufen des Tatentschlusses. Ergänzend: 1. Umständlich sagt man auch, der Haupttäter müsse gerade durch die Anstifterhandlung zum „omnimodo facturus“ (das bedeutet: der fest zur Tat Entschlossene) werden. – 2. Wenn die Rspr. betont, ein Bestimmen erfordere „ein Hervorrufen des Tatentschlusses beim Täter und zugleich die Unterordnung unter dessen Willensentschluss“ (BGHSt 9, 370, 379 f.), so ist der zweite Teil des Zitates aus der Animus-Theorie geboren, wonach Täterschaft und Teilnahme nach dem Täterwillen zu unterscheiden seien. Wer nicht die Animus-Theorie der Rspr., sondern die Tatherrschaftslehre der h. L. bevorzugt, braucht diesen Zusatz nicht. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 82 (1) Unproblematische Fälle Prototypen des Bestimmens schildern beispielsweise Fall 197, Fall 198 und Fall 201. Auch noch unproblematisch ist ... Fall 204: Der Industrielle I will den Journalisten J beseitigen lassen, weil dieser Is illegalen Waffengeschäften auf die Spur gekommen ist, und sucht nach jemandem, der die Tat für ihn ausführt. Berufskiller K hört davon und beschließt, die Tat zu begehen, falls I ihm dafür 10.000 € zahle. Als er I ein entsprechendes Angebot macht, sagt I zu. Daraufhin tötet K den J mittels einer Autobombe. Die Tötung des J ist eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat des K. Zu ihr wurde er von I bestimmt. K hatte die Tat zwar schon erwogen (vielleicht sogar schon geplant oder sogar vorbereitet); aber er hatte noch keinen wirklichen Tatentschluss, alles hing von der Bereitschaft des I zur Zahlung ab. Also hat I den K zur Tat bestimmt. „Kettenanstiftung“ Fall 205: K wünscht den Tod des O. Er fordert A auf, den T mit Os Tötung zu beauftragen. Alles geht glatt: A beauftragt T, T tötet O. Kettenanstiftung nennt man die Anstiftung eines anderen zur Anstiftung eines Dritten zur Haupttat (die Kette kann auch noch mehr Personen enthalten). Nach h. A. ist die Kettenanstiftung „mittelbare Anstiftung zur Haupttat“ (BGHSt 6, 359, 361; Lackner/Kühl23, § 26 Rn 8; Wessels/Beulke, AT30, Rn 570); danach wäre K zu bestrafen aus §§ 212, 26 (vielleicht §§ 211, 26). Vertiefung: Die h. L. ist mit Händen zu greifen ungenau: Die Haupttat, zu der der K den A angestiftet hat, ist dessen Anstiftung zum Totschlag; also ist K strafbar gemäß §§ 212 (vielleicht § 211), 26, 26. Das Gesetz selber unterscheidet zwischen der Anstiftung zur Tatbegehung und der Anstiftung zur Anstiftung, wie § 30 I 1 beweist. – Diese richtige Strafbarkeitsbegründung wird in BGHSt 6, 359, 361 auch vollkommen korrekt nachgezeichnet. Nur verwässert der BGH dort die gewonnene Klarheit mit dem sich anschließenden Satz: „Da der Anstifter zur Anstiftung ... nach dem Gesetz zu bestrafen ist, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er ... angestiftet hat, so kann man die Anstiftung zur Anstiftung mit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum auch als mittelbare Anstiftung zur Haupttat auffassen“ (Hervorhebung von uns). (2) Problematische Fälle (Auswahl) „Situative Anstiftung“ Für das im obigen Merksatz genannte Hervorrufen des Tatentschlusses ist Mindestvoraussetzung, dass das Verhalten des Anstifters für die Entstehung des Tatentschlusses kausal ist. Das ist aber nur die unstreitige Mindestanforderung. Umstritten ist, ob für ein Bestimmen noch mehr erforderlich ist als bloße Verursachung. Fall 206: Der verschrobene O geht mit seinen 10-jährigen Neffen N in die Spielwarenabteilung eines Kaufhauses und lässt ihn dort für einige Minuten allein, weil er weiß, dass N dann der Versuchung erliegen wird, einigen Puppen den Kopf abzureißen. Es kommt, wie von O geplant. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 83 Reicht für das Bestimmen das Schaffen einer tatanreizenden Situation? 1. A.: Für das Bestimmen genügt jede Art und Weise der Beeinflussung So ausdrücklich Baumann/Weber/Mitsch, AT10, § 30 Rn 63; Lackner/Kühl23, § 26 Rn 2; in der Sache auch Herzberg, JuS 1987, 617, 620 l. Sp. u., 621 r. Sp. u.; vielleicht auch BGHSt 2, 279, 282: „Anstiftung ... begeht ..., wer durch sein Verhalten bewirkt, dass ...“ der andere sich zur Haupttat entschließt). Teilweise wird betont, dass neben der Kausalität auch die objektive Zurechnung gegeben sein muss (z. B. Herzberg, JuS 1987, 617, 620 f.). 2. A.: Für das Bestimmen ist eine kommunikative Beeinflussung erforderlich, d. h. eine mindestens konkludente Aufforderung zur Tat In der Lit. wohl überwiegend; s. nur S/S-Cramer/Heine26, § 26 Rn 4; Wessels/Beulke, AT30, Rn 568. 3. A.: Für das Bestimmen ist ein gemeinsamer Tatentschluss (ein Unrechtspakt) zwischen Anstifter und Haupttäter erforderlich (SKStGB-Hoyer2000, § 26 Rn 12; Puppe, GA 1984, 101 ff., insb. 112 f.). Im Fall 206 wäre nach der 1. Ansicht ein Bestimmen zu bejahen, nach den anderen Ansichten wäre es zu verneinen. Wir halten die erste Ansicht für zutreffend. Der heutige Wortlaut des § 26 lässt jede Form des Bestimmens genügen. Nicht einleuchten will uns die Begründung der 2. und auch 3. Ansicht, erst ihr jeweiliges Kriterium legitimiere die tätergleiche Bestrafung des Anstifters, die voraussetze, dass der Anstifter selber das Rechtsgut mittelbar angreife (so etwa S/S-Cramer/Heine26, ebd.). Denn dieser mittelbare Rechtsgutsangriff hat mit der Art und Weise der Bestimmung gar nichts zu tun. Das zeigt deutlich Fall 206, wo trotz bloß situativer Anstiftung eindeutig der O das Rechtsgut mittelbar angreift (er ist ja sogar – wegen Einsatz eines schuldlosen Werkzeugs – zugleich mittelbarer Täter). Auch das Argument der 3. Ansicht, wenn schon bei Mittäterschaft ein gemeinsamer Tatentschluss nötig sei, müsse dies für die Anstiftung erst recht gelten (SKStGB-Hoyer ebd.), überzeugt nicht. Es genügt für die tätergleiche Bestrafung der Befund, dass der Anstifter der Urheber der Tat ist. An das Bestimmen sind also u.E. keine besonderen Anforderungen zu stellen. Aber natürlich gelten für das Bestimmen alle allgemeinen Anforderungen an eine Tathandlung, also neben denen der Kausalität insb. die der objektiven Zurechnung. Vertiefung 1: In den Fällen der kommunikativen Beeinflussung (vgl. Fall 201 und Fall 204) ist die unerlaubte Gefahrschaffung (fast) immer zu bejahen (vgl. aber Fall 208!), und das aus folgendem Grund: Die Haupttat selber ist eine unerlaubte Gefahrschaffung, also salopp gesagt etwas Schlechtes. Wer einen anderen zu dessen Haupttat auffordert, beabsichtigt also etwas Schlechtes. Dieser Unwert, der im Auffordern liegt, wird auch nicht aufgewogen durch irgendeinen Wert; denn der Wert könnte nur in der Haupttat zu finden sein, aber dort ist er eben nicht zu finden, weil die Haupttat ja eine unerlaubte Gefahrschaffung ist. Vertiefung 2: In den Fällen der situativen Anstiftung gewinnt die Frage nach der Unerlaubtheit der Gefahrschaffung aber an Bedeutung. In Fall 206 ist sie zwar zu bejahen. Aber sobald man derartige Fälle in den Bereich des bloßen Eventualvorsatzes verschiebt, wird deutlich, dass das Verhalten der situativen Anstiftung rechtlich als erlaubt zu bewerten sein kann, so etwa wenn man Fall 206 dahin abwandelt, dass O nur von den gelegentlichen Neigungen des N weiß, mit ihm zu Einkaufszwecken in der Spielwarenabteilung ist, dringend zur Toilette muss und nun den N mit Eventualvorsatz zwischen den Regalreihen stehen lässt. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 84 „Aufstiftung“ = „Hochstiftung“ Fall 207: R will einen Raub begehen. A empfiehlt ihm, für alle Fälle eine schussbereite Pistole mitzunehmen. R befolgt den Rat. R hat einen schweren Raub begangen (§ 250 I Nr. 1 Buchst. a). Nach h. A. ist A strafbar wegen Anstiftung zum schweren Raub (§§ 250 I Nr. 1 Buchst. a, 26), denn er hat ja in der Tat den R zu dieser rechtswidrigen Tat, nämlich dem schweren Raub bestimmt (BGHSt 19, 339, 340 f.; Wessels/Beulke, AT30, Rn 571). Nach der Gegenansicht scheidet Anstiftung zum schweren Raub aus, weil schon keine Anstiftung zum darin logisch zwingend enthaltenen einfachen Raub vorlag (S/S-Cramer/Heine26, § 26 Rn 8). Das überzeugt uns nicht: § 26 fragt danach, ob der Anstifter den Täter zu einer bestimmten rechtswidrigen Tat angestiftet hat. Ob der Täter schon zu anderem oder Geringerem entschlossen war, spielt nach dem Wortlaut keine Rolle. Wir sehen auch keinen Grund, den Wortlaut einzuschränken. Wie unpassend eine solche Einschränkung wäre, wird ganz deutlich etwa in dem Fall, dass T zu einer Körperverletzung entschlossen ist und A ihm nun zur Tötung des Opfers rät. Dann würden auch die Vertreter der Gegenansicht wohl nicht mehr argumentieren wollen, eine Anstiftung zum Totschlag scheide aus, weil schon keine Anstiftung zur darin logisch zwingend enthaltenen Körperverletzung vorlag. – Zum subjektiven Anstiftungstatbestand s. noch unten Fall 211. b) Subjektiver Tatbestand aa) Der Vorsatz des Anstifters (1) Geschriebene Voraussetzungen Gemäß § 16 I 1 muss sich der Vorsatz des Anstifters auf alle objektiven Umstände der Anstiftung (§ 26) erstrecken. Der Anstifter muss also Vorsatz haben erstens hinsichtlich der vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat (= Haupttat) und zweitens hinsichtlich seines Bestimmens. Zur Terminologie: Das nennt man häufig den „doppelten Anstiftervorsatz“ (z. B. SKStGBHoyer2000, § 26 Rn 30; Lackner/Kühl23, § 26 Rn 4). Probleme bereitet dabei am ehesten der auf die Haupttat bezogene Vorsatz. Nach h. A. muss der Vorsatz des Anstifters sich auf eine bestimmte Straftat beziehen. Der BGH sagt dazu: „Der Vorsatz des Anstifters muss sich auf eine bestimmte Haupttat beziehen. Welche Anforderungen dabei an die Bestimmtheit zu stellen sind, ist in Schrifttum und Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Übereinstimmung herrscht darüber, dass es nicht ausreicht, wenn der Wille des Anstifters nur darauf gerichtet ist, den Täter ohne weitere Konkretisierung überhaupt zu strafbaren Handlungen oder zu Straftaten einer lediglich dem gesetzlichen Tatbestand nach beschriebenen Art (z. B. Diebstählen) zu veranlassen ... An der Bestimmtheit der Tat fehlt es aber auch dann, wenn diese nur nach der Gattung der in Betracht kommenden Tatobjekte umrissen ist ... Der Vorsatz des Anstifters muss sich auf die Ausführung einer zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten Tat beziehen ... Da der Anstifter für die Tat des Angestifteten ebenso wie dieser selbst einstehen muss, ist zu verlangen, dass die Tat nicht nur nach Tatbestandstypus und allgemeinen Gattungsmerkmalen des Tatobjekts festgelegt ist, sondern in der Vorstellung des Anstifters in ihrem tatsächlichen, freilich noch nicht bis »ins Detail« ausgeführten Bild als wenigstens umrisshaft individualisiertes Geschehen erscheint.“ Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 85 Zitat aus BGHSt 34, 63, 64–66; s. noch S/S-Cramer/Heine26, § 26 Rn 17; Tröndle/Fischer50, § 26 Rn 6; Wessels/Beulke, AT30, Rn 572. Vertiefung: Ein geringeres Maß an Bestimmtheit verlangen bspw. Kretschmer, NStZ 1998, 401, 402; LK-Roxin11, § 26 Rn 46 ff. Teilweise wird auch gesagt, der Vorsatz des Anstifters müsse sich auf keine bestimmte Straftat beziehen; er müsse nicht konkreter sein als der normale Tätervorsatz auch (Herzberg, JuS 1987, 617 ff.). Fall 208: (nach BGHSt 34, 63 ff.) T möchte ins Ausland fliehen und klagt dem A, dass er kein Geld habe. Daraufhin sagt A: „Dann müsstest du eine Bank oder Tankstelle machen.“ Dann nimmt das Gespräch eine andere Richtung. Zwei Tage später überfällt T mit gezogenem Revolver eine Bank. T hat (nach h. A.) einen schweren Raub (§ 250 II Nr. 1) begangen. A hat ihn nach h. A. nicht vorsätzlich zu dieser Tat angestiftet, weil die Tat in der Vorstellung des A nicht hinreichend bestimmt war. Vertiefung: Richtigerweise ist zunächst im objektiven Anstiftungstatbestand genauer untersuchen, ob A den schweren Raub nicht nur verursacht hat, sondern ob er ihn auch objektiv zurechenbar verursacht hat (vgl. oben bei Fall 206). Das ist bei einer solchen Allerweltsbemerkung, die dem T ohnehin nicht mehr verrät, als er eh schon weiß, wohl zu verneinen. Zur Frage des Anstiftervorsatzes kommt man dann gar nicht. Würde man aber den objektiven Anstiftungstatbestand bejahen, hat man auch den dazu passenden Vorsatz anzunehmen. Fall 209: A beauftragt den T, auf offener Straße den O zu erschießen, und beschreibt ihm dessen Aussehen. Als T dem O auflauert, kommt U des Weges. T hält U für O und erschießt ihn. T hat einen Menschen getötet. Er kannte auch alle Umstände, die zum Tatbestand des § 212 gehören, und hat daher gemäß § 16 I 1 vorsätzlich gehandelt (sog. unbeachtlicher error in obiecto). T ist also wegen Totschlags (§ 212) strafbar. Hat sich A einer Anstiftung zum Totschlag strafbar gemacht? Er hat die Haupttat des T verursacht. „Bestimmt“ hat er ihn aber nur, wenn sein Verhalten unerlaubt riskant war mit Blick auf die Tötung gerade des U (objektive Zurechnung). Dafür kommt es darauf an, wie wahrscheinlich es war, dass T statt des O den U tötet. Bejaht man die objektive Zurechnung, bereitet der Anstiftungsvorsatz ein Problem. Es wird meist in die Frage gekleidet, ob der „error in obiecto“ des Täters, der für diesen unbeachtlich ist, auch für den Anstifter unbeachtlich ist oder aber für ihn eine beachtliche „aberratio ictus“ darstellt. Mit dieser Fragestellung anzusetzen ist zwar weit verbreitet, aber gesetzesfern. Besser ist es, gesetzesnah mit § 16 I 1 danach zu fragen, ob A alle Umstände gekannt hat, die zum Tatbestand der objektiv verwirklichten Anstiftung zum Totschlag gehören. In der Sache muss man zwei Meinungslager unterscheiden: Eine stark vertretene Ansicht würde für A argumentieren, er habe bei seiner Bitte an T den Umstand verkannt, dass gerade der U getötet werden würde, also ohne Vorsatz gehandelt (vgl. SKStGB-Samson1993, vor § 26 Rn 55; LK-Roxin11, § 26 Rn 90 ff.; Kühl, AT3, § 20 Rn 209). Diese Ansicht sieht also im Dazwischentreten eines eigenverantwortlichen Haupttäters keine Besonderheit gegenüber den üblichen, schlichteren Fällen der „aberratio ictus“. Vertiefung: Bedenken Sie aber, dass es zur rechtlichen Behandlung der „aberratio ictus“ auch eine Gegenmeinung gibt, wonach der Vorsatz zu bejahen ist. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 86 Die (wohl noch herrschende) Gegenposition greift auf die Regeln für den „Irrtum über den Kausalverlauf” zurück und argumentiert: „Die Regeln für das Fehlgehen des Angriffs (»aberratio ictus«) finden bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden keine Anwendung. Sie sind – als Sonderfall der Kausalabweichung – für Geschehensabläufe entwickelt worden, in denen der Täter das Angriffsobjekt vor sich sieht, an seiner Stelle aber ein anderes Objekt verletzt ... Die Übertragung dieser Regeln auf andere Sachverhalte bereitet Schwierigkeiten ... und ist auch nicht erforderlich. Die Kategorie der Zurechnung der Abweichungen vom vorgestellten Verlauf des Geschehens innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren ... reicht aus“ (BGHSt 37, 214, 219; s. auch BGH, NStZ 1998, 294, 295; S/S-Cramer/Heine26, § 26 Rn 23). Diese Meinung würde den Angriff auf U also als bloße Kausalabweichung ansehen und als solche für unbeachtlich halten, weil Verwechslungen dieser Art sich „innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren“ bewegen. Stellungnahme: Die erstgenannte Ansicht verdient den Vorzug: Die vom BGH erwähnten „Regeln für das Fehlgehen des Angriffs (»aberratio ictus«)“ sind letztlich diejenigen Regeln, die § 16 mit der Autorität des Gesetzgebers vorgibt. Sie sind allgemein gültig. Deshalb darf man sie nicht mit der Begründung missachten, sie bereiteten „Schwierigkeiten“ oder sie seien „nicht erforderlich“. Ein Rechtsanwender darf sich nicht von den gesetzlich vorgegebenen Regeln lösen, bloß weil er glaubt, er habe praktikablere oder andere, vielleicht sogar bessere Regeln. (2) Ungeschriebene Voraussetzungen (Stichwort „Lockspitzel“ = „agent provocateur“) Fall 210: T und A gehen nachts durch die Stadt. T will Zigaretten, hat aber kein Geld mehr. A zeigt auf den Passanten O, der gerade vor einem Zigarettenautomaten steht und das Münzgeld schon in der Hand hat, und sagt: „Nimm es dir doch von ihm da!“ T gefällt die Idee. Er stellt sich dem O in den Weg, sagt: „Ich brauch’ mal eben das Geld.“ und ergreift Os Hand, um ihm das Geld zu entwinden. Aber O schlägt ihn mit gekonnten Kampfsportschlägen nieder und geht gemächlich davon. a) A fühlt sich von dem unerwarteten Geschehen genauso niedergeschlagen wie T. b) A hat das genau so kommen sehen, weil er den O und dessen Kampfkünste kannte. Abwandlung: T geht zu As Überraschung mit einem gezogenen Messer auf O los, wird aber wie im Grundfall von O besiegt. T hat sich im Grundfall eines versuchten Raubes strafbar gemacht (§§ 249, 22, 23 I, 12 I), denn er wollte dem O mit Gewalt dessen Geldmünzen wegnehmen und hat spätestens mit dem Zugreifen unmittelbar dazu angesetzt. Zur Var. a: A hat den T vorsätzlich zu dessen Raubversuch bestimmt und damit alle geschriebenen Voraussetzungen des § 26 verwirklicht. Die einzige Besonderheit gegenüber den typischen Fällen einer Anstiftung ist die, dass die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ des T hier keine Vollendungstat (§ 249) war, sondern eine bloße Versuchstat (§§ 249, 22). A ist deshalb strafbar wegen Anstiftung zum Raubversuch (§§ 249, 22, 26). – Zum subjektiven Anstiftungstatbestand s. noch unten Fall 211. Vertiefung: §§ 26, 27 setzen eine „rechtswidrige Tat“ voraus. Das ist gemäß § 11 I Nr. 5 nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht. Der bloße Versuch beispielsweise des Raubes im Fall 210 verwirklicht allerdings nicht den Tatbestand des § 249. Aber er Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 87 verwirklicht den Versuchstatbestand, der in §§ 249, 22, 23 I beschrieben ist: §§ 249, 22 sagen, was ein Raubversuch ist, und § 23 I bestimmt, dass dieser Raubversuch als Verbrechensversuch (§ 12 I, II) ein strafbares Tun ist. – Zum Vergleich: Der Versuch einer Beleidigung (§§ 185, 22) ist nicht strafbar und also wegen § 11 I Nr. 5 auch keine „rechtswidrige Tat“ i. S. der §§ 26, 27. Zum bloßen Versuch einer Beleidigung anzustiften ist also straflos. Auch in der Var. b wäre A, § 26 beim Wort genommen, wegen Anstiftung zum Raubversuch zu bestrafen. Denn er hat den T ja vorsätzlich zu dessen Raubversuch bestimmt. § 26 ist in seiner Anlehnung an den „Haupttatbestand“ (hier §§ 249, 22) unselbstständig („akzessorisch“): Er verlangt nur, dass der eine die tatbestandsmäßig-rechtswidrige Haupttat vorsätzlich begeht und dass der andere ihn dazu vorsätzlich bestimmt hat. Demnach wäre es ohne Bedeutung, dass A für seine Person den für T zu fordernden Vollendungsvorsatz nicht hat. Das befremdet. Denn wenn A die aussichtslose Tat in die eigene Hand genommen, also selber auf O eingedrungen wäre, bliebe er ja straflos, weil er, der Os Unüberwindbarkeit kannte, nicht die Vorstellung gehabt hätte, § 249 zu vollenden. Vertiefung 1: Für den Anstifter auf den Vollendungsvorsatz zu verzichten hätte freilich Sinn, wenn der Strafgrund der Anstiftung darin läge, dass der Anstifter den Täter in strafrechtliche Schuld führt. Aber diese Erklärung, die sog. Schuldteilnahmetheorie, ist schon deshalb unhaltbar, weil §§ 26, 27 (vgl. auch § 29) eine schuldhaft begangene Haupttat gerade nicht verlangen. Ist somit der Strafgrund für Täter und Teilnehmer gleich, dann ist die für A so ungünstige „akzessorische“ Lösung nicht einleuchtend. Vertiefung 2 (sehr speziell): Man kann auch erwägen, § 28 I anzuwenden. Denn dass der Täter Vollendungsvorsatz hat, ist eine persönliche, für den Täter individuell festzustellende Voraussetzung, die seine Strafbarkeit begründet und somit § 28 I an sich subsumiert werden könnte. Indes wäre dann die akzessorische Lösung im Prinzip beibehalten und nur in ihrer Auswirkung abgeschwächt (bloße Strafmilderung bei A). Außerdem hatte der Gesetzgeber bei § 28 I allein solche Merkmale im Auge, in denen sich eine Sonderpflicht ausdrückt; Beispiel: A besticht Richter T und bewegt ihn zu einer Rechtsbeugung (§ 336). Um derartige Fälle ging es bei Einführung des § 28 I. An seine Anwendung auf A im Fall 210 war nicht gedacht. Nach nahezu allgemeiner Ansicht soll der Anstifter so stehen, wie er als Täter stünde. Weil er als Täter mangels Vollendungsvorsatzes straflos wäre, soll er es als Anstifter aus demselben Grund sein. Man verlangt also für eine Bestrafung aus § 26 als ungeschriebenes Merkmal Vollendungsvorsatz des Anstifters (Kühl, AT3, § 20 Rn 201 ff.; LK-Roxin11, § 26 Rn 67 ff.). Empfehlung zum Aufbau: Prüfen Sie das ungeschriebene Merkmal des Vollendungsvorsatzes erst am Ende des subjektiven Tatbestandes in § 26. Denn die Strafbarkeit kann ja schon an einem geschriebenen Merkmal scheitern. So ist es z. B. bei der Frage, ob A den T in der Abwandlung von Fall 210 zum Versuch eines schweren Raubes angestiftet hat: Objektiv hat er ihn zur tatbestandsmäßig-rechtswidrigen Tat (§§ 250 II Nr. 1, 22) bestimmt, aber er tat es laut Sachverhalt nicht vorsätzlich. bb) Sonstige subjektive Merkmale? Fall 211: T klagt dem A seine Armut. Der gleichgültige A rät ihm, er solle doch dem O vorspiegeln, dass der dem T noch 300 € schulde, und das Geld einfordern. T macht das, O fällt drauf rein. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 88 T hat einen Betrug (§ 263) begangen; insbesondere hatte er die dort vorausgesetzte Bereicherungsabsicht. Zu dieser vorsätzlichen rechtswidrigen Tat hat A den T objektiv bestimmt. A hat auch vorsätzlich gehandelt. A selber hatte zwar keine Bereicherungsabsicht (auch nicht in Form der Drittbereicherungsabsicht), aber das wird für den Anstifter auch nicht verlangt. Also ist A strafbar gemäß §§ 263, 26. – Ob für ihn eine Strafmilderung nach § 28 I in Betracht kommt, ist streitig; die h. L. verneint das (z. B. Stratenwerth, AT4, § 12 Rn 196 f.; vgl. auch BGHSt 22, 375, 380 zur entsprechenden Zueignungsabsicht in § 242; anders aber SKStGB-Samson1993, § 28 Rn 20). c) Rechtswidrigkeit und Schuld Keine Besonderheiten. Lesen Sie § 29! d) Die Rechtsfolge Der Anstifter wird „gleich einem Täter“ bestraft. Beachten Sie aber § 28! 2. Beihilfe (§ 27) a) Objektiver Tatbestand aa) Die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ eines anderen (sog. Haupttat) Hierzu ist schon alles bei der Anstiftung gesagt worden (s. ab Fall 196). Machen Sie sich noch einmal klar, dass „Haupttat“ i. S. der §§ 26, 27 auch eine Anstiftung sein kann (oben Fall 205 und hier Fall 212) und auch eine Beihilfe. Fall 212: Analphabet A will den O tot sehen und den Killer K beauftragen. F, die Freundin des A, sucht ihm auf seine Bitte hin aus dem Internet die Telefonnummer des K und nennt sie ihm. A beauftragt K, K führt die Tat aus. K hat (mindestens) einen Totschlag (§ 212) begangen, A eine Anstiftung dazu (§§ 212, 26). F ist – genau genommen! – wegen „Beihilfe zur Anstiftung zum Totschlag (§§ 212, 26, 27)“ strafbar (so auch S/S-Cramer/Heine26, § 27 Rn 18); die ganz h. L. verkürzt das aber ungenau zu einer Strafbarkeit wegen „Beihilfe zum Totschlag (§§ 212, 27)“; s. z. B. BGH, NStZ 1996, 562 (563); NStZ 2000, 421 (422); Kühl, AT3, § 20 Rn 242a; Wessels/Beulke, AT30, Rn 583. Vertiefung: Bei der Beihilfe ist natürlich in der Tat denkbar, dass ein Gehilfe des Anstifters mit seinem Beitrag zugleich zur Haupttat Hilfe leistet; Beispiel: Der Anstiftergehilfe nennt dem Anstifter die genauen Umstände am Tatort, erst mit deren Mitteilung kann der Anstifter den Täter zur Tat bewegen. – Obwohl es nach der h. L. für den Schuldspruch letztlich nicht darauf ankommt, ob der Gehilfe wirklich zur Haupttat Hilfe leistet oder nur zur Anstiftung, betont auch BGH, NStZ 2000, 421 (422), dass es diesen Unterschied gibt und dass es insoweit genauer Auswertung des Sachverhaltes bedarf. bb) Das Hilfeleisten (1) Die Art und Weise des Hilfeleistens Zur Frage, was ein Hilfeleisten sei, werden üblicherweise zwei Hauptmeinungslager genannt: 1. A.: Hilfeleisten ist jeder Tatbeitrag, der für die Tatbestandsverwirklichung ursächlich ist. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 89 So die h. Lit.; etwa S/S-Cramer/Heine26, § 27 Rn 10; Kühl, AT3, § 20 Rn 214 ff., insb. 220. Dieser ursächliche Beitrag, so heißt es meist, könne die Haupttat ermöglichen, erleichtern, intensivieren oder absichern. Gelegentlich wird zu Recht betont, dass auch hier neben der Kausalität die Voraussetzungen der objektiven Zurechnung erfüllt sein müssen (z. B. Kühl, AT3, § 20 Rn 221.) 2. A.: Hilfeleisten ist jeder Tatbeitrag, der die Tatbestandsverwirklichung irgendwie fördert. So die Rspr. und Teile der Lit.; etwa BGH, NStZ 1995, 27 (28); Wessels/Beulke, AT30, Rn 582. Dazu heißt es aber – jedenfalls in der neueren Rechtsprechung –, die Förderung müsse „in irgendeiner Weise für die Haupttat kausal geworden sein, so dass die Rechtsgutsverletzung verstärkt oder die Durchführung der Tat erleichtert worden ist“ (BGH, NStZ 1995, 27, 28). Vergleicht man die näheren Beschreibungen, dann zeigt sich, dass sie die Unterschiede zwischen „Mitverursachung“ und bloßer „Förderung“ nicht mehr erkennen lassen. Dennoch empfehlen wir, in einem Fallgutachten beide Positionen zu nennen. Fast immer führen sie aber zu demselben Subsumtionsergebnis. Fall 213: T will einen Einbruch begehen. Sein Bekannter B fährt ihn im Wagen zum Tatort. Auf dem Rücksitz ist noch Ts Freund F dabei. Als T schwächelt und beginnt, den Mut zur Tat zu verlieren, stärkt ihm F mit aufmunternden Worten den Sinn. Am Tatort angekommen, steigt T aus und macht sich frohen Mutes an die Arbeit, die er Stunden später erfolgreich beendet. Unterscheiden Sie physische und psychische Beihilfe (Beihilfe „durch Tat“ und „durch Rat“)! T hat einen Diebstahl (§ 242) begangen. B hat dazu Hilfe geleistet, indem er den T zum Tatort gefahren hat (sog. physische Beihilfe). Aber auch F hat Hilfe geleistet, nämlich indem er T in seinem wankenden Tatentschluss bestärkt hat (sog. psychische Beihilfe). Fall 214: Wie Fall 213. Aber am Tatort wartet Ts Kumpel K. K hält absprachegemäß während der gesamten Zeit, die T im Gebäude verbringt, draußen Wache und ist jederzeit bereit, in kritischen Situationen den T per Handy zu warnen. Es kommt aber keine kritische Situation. Auch hier hat K dem T Hilfe geleistet. Zwar war sein Wachestehen nicht physisch kausal, weil K nicht ein einziges Mal warnend tätig geworden ist. Aber T hat sich nur deshalb ins Haus begeben, weil er sich durch Ks Anwesenheit und Wachsamkeit sicher fühlte. Auf diesem Wege ist K also durchaus kausal für die Tatbestandsverwirklichung geworden. Fall 215: (= Fall 185; vereinfacht nach BGH, NStZ 1993, 385) M, E und F sind im Auto unterwegs, E sitzt am Steuer. M kommt spontan auf die Idee, man könne das Geschäft der H ausrauben. M und E planen die Tat. F sagt, er fahre mit, wolle aber auch ein Drittel der Beute. Die Tat verläuft wie geplant: E fährt vor Hs Geschäft, M und E stürmen hinein, E hält der H eine Pistole vor, während M die Kasse lehrt, beide steigen wieder in den Wagen und E fährt davon. M und E haben einen gemeinschaftlichen Raub begangen (§§ 249, 25 II). F ist kein Mittäter, weil er keinen objektiven Beitrag geleistet hat (s. schon oben bei Fall 185). Ist F, wenn er schon ist kein Mittäter ist, wenigstens Gehilfe? Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 90 Nein, und zwar auch nach der Förderungstheorie nicht. Der BGH hat zu Fall 215 gesagt: „Nach der Rechtsprechung des BGH kann zwar schon ein bloßes ‚Dabeisein’ die Tatbegehung ... fördern oder erleichtern ... In derartigen Fällen bedarf es aber sorgfältiger und genauer Feststellungen darüber, dass und wodurch die Tatbegehung in ihrer konkreten Gestaltung objektiv gefördert oder erleichtert wurde ...“ Solche Feststellungen hat er in Fall 215 nicht gefunden. Problematisch sind nur Konstellationen, in denen der Gehilfenbeitrag keine auch nur noch so indirekte Ursache für die Tatbestandsverwirklichung gewesen ist. – Finden Sie den Unterschied in den beiden folgenden Fällen! Fall 216: T will O erschießen. B findet das gut und gibt dem T eine Pistole mit. T will die Waffe auch wirklich einsetzen, entschließt sich aber Minuten vor der Tat, doch lieber seine eigene Pistole zu nehmen. T hat einen Totschlag (§ 212) begangen. Bs Hingabe seiner Pistole war für die Tatbegehung eindeutig nicht physisch kausal. Allenfalls eine psychische Kausalität kann man erwägen; aber dazu sagt der Sachverhalt zu wenig. Eine Ursächlichkeit des Gehilfenbeitrags für die Tatbestandsverwirklichung ist also zu verneinen. Aber hat der Gehilfenbeitrag die Tatbestandsverwirklichung „irgendwie gefördert“? Nach den neueren Beschreibungen des „Förderns“ (s. oben vor Fall 213) ist das zu verneinen. In früheren Entscheidungen haben die Gerichte aber vergleichbare Gehilfenbeiträge genügen lassen (so v. a. das besonders bekannt gewordene Urteil RGSt 6, 169 f.). Fall 217: (nach RGSt 6, 169 f.) T will stehlen gehen. G gibt ihm einen Schlüssel mit. Vor Ort will T das Schloss mit dem Schlüssel öffnen, das gelingt aber nicht. T bricht das Schloss kurzerhand auf und stiehlt. Das RG hat Beihilfe zum vollendeten Diebstahl bejaht. Das ist nicht überzeugend. Wohl aber hat T zunächst einen Diebstahlsversuch unter Verwendung des Schlüssels begangen; also ist G strafbar wegen Beihilfe zum Diebstahlsversuch (§§ 242 I, II, 22, 27) (2) Der Zeitpunkt des Hilfeleistens (Stichwort: „sukzessive Beihilfe“) Fall 218: (aus einer Examensklausur Frühjahr 2000) B will aus einer Villa kostbare Teppiche stehlen. Er bittet seinen leichtgläubigen Freund F, ihn nachts um 2 Uhr vor der Villa mit seinem Kleintransporter abzuholen; er habe dort ein Stelldichein mit einer Dame, müsse aber zum Dank dafür ausrangierte Einrichtungsgegenstände abtransportieren. Als F nachts erscheint und den B auf dem Gehweg mit den Teppichen sieht, kommen ihm Zweifel, dass es um Sperrmüll gehe. B räumt den Diebstahl ein und verspricht F 1.000 €, wenn er ihn und die Teppiche fortbringt. F macht das. Hat F eine Beihilfe zum Einbruchsdiebstahl des B begangen (§§ 244 I Nr. 3, 27)? Eine Beihilfestrafbarkeit des F kommt erst ab dem Moment der Aufklärung in Betracht; vorher hatte F ersichtlich keinen Vorsatz. Im Moment des Abtransportierens war der Einbruchsdiebstahl des B (§ 244 I Nr. 3) – jedenfalls nach h. L. – schon formell vollendet (es war zur Wegnahme der Teppiche gekommen); aber er war noch nicht materiell beendet (weil die Diebesbeute noch nicht in Sicherheit gebracht war). Ob der Gehilfe noch in dieser Phase Hilfe leisten kann, ist umstritten. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 91 Nach h. M. ist Beihilfe (§ 27) noch bis zur Beendigung der Haupttat möglich. S. nur BGHSt 4, 132, 133; S/S-Cramer/Heine26, § 27 Rn 17; Wessels/Beulke, AT30, Rn 583). Nach der Gegenansicht ist Beihilfe nur bis zur Vollendung der Haupttat möglich. So z. B. Jakobs, AT2, 22/41; LK-Roxin11 § 27 Rn 35; LK-Ruß11 § 257 Rn 5; SKStGBHoyer2000, § 27 Rn 18; SKStGB-Samson1986, § 257 Rn 26). Stellungnahme: Die „rechtswidrige Tat“, von der § 27 spricht, ist „nur“ (§ 11 I Nr. 5) genau das Verhalten, das einen Straftatbestand verwirklicht. Ist also bei einem Diebstahl mit der Wegnahme der Tatbestand verwirklicht, so verwirklicht das weitere Sichern der Beute nicht mehr den Tatbestand des § 242; damit kann es nach den klaren Worten des Gesetzes in §§ 27, 11 I Nr. 5 nicht mehr Bezugspunkt der Hilfeleistung eines Gehilfen sein. – Der Moment der „materiellen Beendigung“ ist übrigens so unbestimmt, dass verfassungsrechtliche Bedenken laut werden; die teilen wir allerdings nicht. Vertiefung: Hat F eine Begünstigung (§ 257) begangen? Statt einer Beihilfe oder zusätzlich? Lehnt man – mit der Minderheitsmeinung – die Möglichkeit einer sukzessiven Beihilfe ab, entstehen keine Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der Beihilfe zur Begünstigung: Wirkt sich der Beitrag des Beteiligten vor der Tatbestandsverwirklichung aus, so liegt Beihilfe vor; wirkt er sich – wie im Fall 218 – erst danach aus, ist es Begünstigung. Die h. M. steht dagegen im Fall 218 vor der Wahl. „Entscheidend für die Abgrenzung sind die Vorstellung und der Wille des Täters, mit denen er seinen Beistand leistet“ (BGHSt 4, 132, 133; ebenso z. B. Wessels/Hillenkamp, BT 223, Rn 804; kritisch S/S-Stree26, § 257 Rn 8). Im Fall 218 würde der BGH vielleicht (vielleicht!) sagen, F habe mit Begünstigungsabsicht gehandelt, weil F dem B die Vorteile des Diebstahls sichern wollte. Das wäre aber eine beliebige Zuschreibung. Mit dem gleichen Recht könnte man nämlich sagen, F habe in Beihilfeabsicht gehandelt, weil er die Beendigung des Diebstahls (was ja nun einmal dasselbe ist wie die Sicherung der Beute!) unterstützen wollte. b) Subjektiver Tatbestand Wie bei der Anstiftung (ab Fall 208). c) Rechtswidrigkeit und Schuld Keine Besonderheiten. Lesen Sie § 29! d) Die Rechtsfolge (§ 27 II) Die Strafe des Gehilfen muss gemildert werden (§ 27 II 2). Beachten Sie außerdem § 28! 3. Versuch und Rücktritt bei der Teilnahme Halten Sie unbedingt die folgenden zwei Konstellationen (unter a und b) auseinander: a) Beteiligung am Versuch Ein strafbarer Versuch ist begangen worden und jemand nimmt daran als Anstifter oder Gehilfe teil. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 92 Nichts Neues gegenüber dem bisher Gesagten. Der begangene Versuch ist die „vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat“ des anderen, von der §§ 26, 27 sprechen. Vgl. Fall 210! Auch zum Rücktritt von der Teilnahme am Versuch gilt nichts Neues. Lesen Sie Fall 193 bis Fall 195 und wandeln Sie die Fälle so ab, dass T kein Mittäter ist, sondern nur ein Gehilfe! b) Versuch der Beteiligung (§ 30) Ein strafbarer Versuch ist nicht begangen worden, aber jemand hat darauf hingewirkt, dass es zu einer Straftat komme. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 93 aa) Versuch der Anstiftung (§ 30 I) Entscheidend ist, wozu jemand anzustiften versucht. Halten Sie auseinander: Straflos ist der Versuch der Anstiftung zur Beihilfe. Strafbar ist nur der Versuch der Anstiftung zur Haupttat und zur Anstiftung. Strafbar ist der Versuch der Anstiftung nur bei Verbrechen. Fall 219: Wie Fall 210. Aber T erkennt wider As Erwarten den O als Karateprofi und findet As Idee deshalb gar nicht gut. Er lässt O in Ruhe. Im Fall 219 ist T straflos. Mangels Haupttat hat A sich nicht aus § 26 strafbar gemacht. Wohl aber aus § 30 I 1 Alt. 1: Er hat versucht, den T dazu zu bestimmen, einen Raub, also ein Verbrechen zu begehen. Allerdings ist As Strafe zwingend zu mildern (§ 30 I 2). Fall 220: X will einen Einbruchdiebstahl begehen. Er bittet seinen Berufskollegen K, ihm Einbruchswerkzeug zu leihen. K lehnt höhnisch ab. X begeht die Tat mit eigenen Mitteln. X hat den straflosen Versuch einer Anstiftung zur bloßen Beihilfe zum Einbruchdiebstahl (§§ 244, 27) begangen. (Außerdem ist § 244 ohnehin kein Verbrechen; s. § 12 I). bb) Versuch der Beihilfe (straflos) Einfach: Die versuchte Beihilfe ist immer straflos. Fall 221: M erklärt seiner Frau F beim Abendbrot, er werde rauben gehen. F gibt ihm zur Erleichterung eine Pistole mit. Noch während M einem Opfer auflauert, schießt er sich aus Versehen in den Fuß. Er lässt das Rauben sein und humpelt ins Krankenhaus. Im Fall 221 ist M straflos, weil er noch nicht unmittelbar angesetzt hat zum Raubversuch. Mangels Haupttat hat F sich nicht aus § 27 strafbar gemacht. In § 30 ist die versuchte Beihilfe nicht erfasst. cc) Sonstige strafbare Verhaltensweisen vor Versuchsbeginn (§ 30 II) § 30 II beschreibt alternativ sechs Verhaltensweisen, die, wenn es zur Tatbegehung käme, Täterschaft oder Anstiftung begründen würden, aber keine bloße Beihilfe. Fall 222: A sagt zu seiner armen Schwester S, wenn sie wolle, werde er für sie ... a) am Wochenende den reichen O ausrauben. b) den X überreden, am Wochenende den reichen O auszurauben. S zeigt sich erfreut und nimmt As Vorschlag dankend an. A hat sich bereit erklärt, ein Verbrechen zu begehen (Fall 222 a) bzw. zu ihm anzustiften (Fall 222 b). S hat das Erbieten eines anderen angenommen, ein Verbrechen zu begehen (Fall 222 a) bzw. zu ihm anzustiften (Fall 222 b). Fall 223: A und S entwickeln im Gespräch den Plan, gemeinsam a) am Wochenende den reichen O auszurauben. b) den X zu überreden, am Wochenende den reichen O auszurauben. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 94 A und S haben jeweils mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen (Fall 223 a) bzw. zu ihm anzustiften (Fall 223 b). Wichtig: Zu allen sechs Tatvarianten gehört, dass derjenige, der sich bereit erklärt usw., es wirklich ernst meint, also die Erklärung nicht nur zum Schein abgibt (s. nur BGH, NStZ 1998, 403, 404; Wessels/Beulke, AT30, Rn 564). Das steht zwar nicht deutlich in § 30 II, ergibt sich aber z. B. aus § 31 I Nr. 2 („Vorhaben“). c) Rücktritt vom Versuch der Beteiligung (§ 31) § 31 nennt für jede der in § 30 genannten Formen des Beteiligungsversuches eine Rücktrittsmöglichkeit. Die Vorschrift enthält überwiegend Voraussetzungen, die schon bei § 24 behandelt worden sind. Lesen! Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 95 G. Die Konkurrenzen Fall 224: T erschießt O. Fall 225: T wirft absichtlich einen Stein durch die Fensterscheibe und gegen den Kopf des O. Fall 226: T wirft absichtlich heute einen Stein durch die Fensterscheibe des O und morgen denselben Stein gegen Os Kopf. Kein Strafrechtsgutachten ohne Konkurrenzen! Unterscheiden und lernen Sie: Gesetzeskonkurrenz (nur gelegentlich im Gesetz geregelt) Von mehreren verwirklichten Straftatbeständen „verdrängt“ der eine den anderen; der Täter wird nur wegen der einen Tatbestandsverwirklichung bestraft. – Im Fall 224 sind §§ 212 und 223 verwirklicht, T wird aber nur wegen § 212 bestraft. Tateinheit = Idealkonkurrenz (in § 52 geregelt) Im Fall 225 verwirklicht T §§ 303 und 223. Lesen Sie § 52 I und II! Höchststrafe: 5 J. Freiheitsstrafe. Tatmehrheit = Realkonkurrenz (in §§ 53–55 geregelt) Im Fall 226 verwirklicht T §§ 303 und 223. Lesen Sie §§ 53 I und 54 I 2, II! Höchststrafe: 5 J. 11 M. I. Voraussetzung aller Konkurrenzüberlegungen: mehrere Gesetzesverletzungen Fall 227: X beleidigt Y mit einem Schwall von Schimpfworten. Tags darauf rächt sich Y, indem er dem X mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzt. Konkurrenzfragen stellen sich erst dann, wenn mehrere Gesetzesverletzungen vorliegen (vgl. § 52 I). Ein Gesetz „verletzen“ kann man nur dadurch, dass man seinen Tatbestand verwirklicht. Mehrere Akte werden aber manchmal zu schon nur einer einzigen Tatbestandsverwirklichung zusammengefasst. Die Tracht Prügel etwa ist nur eine Verwirklichung des § 223 und die Kaskade von Schimpfwörtern verwirklicht nur einmal den § 185 (S/S-Stree26 Vor § 52 Rn 17; Warda, JuS 1964, 81, 84). Das stellt man in einem Gutachten am besten durch entsprechende Formulierung des Obersatzes schon bei der Prüfung des Tatbestandes klar. Nur eine Gesetzesverletzung, also nur eine Tatbestandsverwirklichung liegt vor in den Fällen der „iterativen“ (= wiederholten) und „sukzessiven“ (= sich fortlaufend vollziehenden) Tatbestandsverwirklichung. Das hat vier Voraussetzungen: Es muss sich um rechtlich gleichartige Tätigkeitsakte handeln, die in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, von einem einheitlichen Willen getragen sind und überdies nach der Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 96 Lebensauffassung als ein einheitliches Geschehen erscheinen (Sowada, Jura 1995, 245, 248; Warda, Oehler-FS, 257 f.; ähnlich BGH, NStZ 1990, 490, 491; NStZ 1993, 234). Weitere Beispiele: Schießt der Täter dreimal am Opfer vorbei und trifft es mit dem vierten Schuss tödlich in den Kopf, so ist § 212 nur einmal, und zwar sukzessiv, verletzt worden (also nicht etwa eine Vollendung nebst drei Versuchen). Ebenfalls nur einmal, und zwar diesmal iterativ, verwirklicht der Dieb den Tatbestand des § 242, indem er fünfmal in das Regal des Tabakhändlers greift und jeweils eine Schachtel Zigaretten in seine Taschen steckt. Achtung: Bei diesen Tatbestandsverwirklichungen durch mehrere Akte spricht man häufig von „natürlicher Handlungseinheit“. Dasselbe Wort wird irritierenderweise auch für etwas zwar Ähnliches, aber doch Anderes verwendet, nämlich als Bezeichnung für eine Form „einer Handlung im rechtlichen Sinne“. Dort ist mit „natürlicher Handlungseinheit“ gemeint, dass mehrere Akte zwar mehrere Straftatbestände verwirklichen, dass aber diese Gesetze durch „dieselbe Handlung“ i. S. des § 52 I verletzt werden. Genauer unten III 2 d. II. Gesetzeskonkurrenz Kriterium der h. L.: Klarstellungsinteresse Fall 228: Wie Fall 224. Aber die Kugel tritt aus Os Körper aus und verletzt noch den Z. Hat der Täter mehrere Straftatbestände verwirklicht, beispielsweise zwei, dann konkurrieren die verletzten Strafgesetze darum, zur Anwendung zu kommen, d. h. an der Bildung der konkreten Strafe beteiligt zu sein. Es kann sein, dass beide zur Anwendung kommen. Aber auch kann das eine das andere verdrängen oder umgekehrt. In Rspr. und Lit. findet man meist den Satz, dass ein Strafgesetz das andere nur dann verdrängt, wenn „der Unrechts- und Schuldgehalt einer strafbaren Handlung schon nach einem der in Betracht kommenden Strafgesetze erschöpfend bestimmt werden kann“. Das verdrängte Strafgesetz wird dann im Urteilstenor nicht aufgeführt. Zitat von Jescheck/Weigend5, S. 732. Ebenso BGHSt 25, 373; 39, 100 (108); Jakobs, AT2, 31/11 f.; Wessels/Beulke30, Rn 787. – Zu abweichenden, meist aber sehr ähnlichen Konzeptionen siehe Jescheck/Weigend5, S. 732 in Fn 1. Zu den praktischen Folgen der Gesetzeskonkurrenz Haft AT8, S. 272; Jescheck/Weigend5, S. 737 f. Wird hingegen durch die Nennung des einen Strafgesetzes der Unrechts- und Schuldgehalt nicht erschöpfend beschrieben, so wird der Rest durch die Nennung des anderen Strafgesetzes klargestellt (sog. Klarstellungsfunktion). Im Fall 228 tritt die Körperverletzung an O hinter dessen Tötung zurück. Die Körperverletzung des Z bleibt aber daneben stehen zur Klarstellung, dass durch die Tat noch ein anderer Mensch verletzt worden ist. 1. Spezialität (vgl. Fall 224) Merksatz: Ein Tatbestand ist im anderen logisch zwingend enthalten. Ein Tatbestand verhält sich zu einem anderen als lex specialis, wenn die Verwirklichung des speziellen Deliktstatbestandes zwangsläufig zugleich den in Betracht kommenden allgemeinen Tatbestand erfüllt (Wessels/Beulke30, Rn 788). Qualifikationen und Privilegierungen sind immer spezieller als ihr Grundtatbestand. So gehen mit jedem Raub (§ 249) eine Nötigung (§ 240) und Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 97 ein Diebstahl (§ 242) notwendig einher und mit jeder Tötung auf Verlangen (§ 216) ist auch der Tatbestand des Totschlags (§ 212) erfüllt. Die spezielleren §§ 249, 216 verdrängen als Qualifizierung bzw. Privilegierung die §§ 242, 240, 212. Wegen der Klarstellungsfunktion (s. o. vor 1 a. E.) tritt der generelle Tatbestand aber nur zurück, wenn der speziellere komplett verwirklicht ist. Obwohl also mit jeder Tötung auch eine Körperverletzung angestrebt wird (s. § 226), tritt die vollendete Körperverletzung (§ 223) nicht hinter dem bloß versuchten Tötungsdelikt (§§ 212, 22) zurück, denn andernfalls würde der Erfolgsunwert der vollendeten Körperverletzung im Urteil nicht zum Ausdruck kommen (so nun auch BGHSt 44, 196, 198 ff.; zum Urteil Kudlich, JA 1999, 452-454). Vertiefung: Lex specialis ist auch das Vorsatzdelikt gegenüber dem entsprechenden bloßen Fahrlässigkeitsdelikt, etwa § 212 gegenüber § 222. Denn auch der Täter des Vorsatzdeliktes verursacht i. S. des Gesetzes „fahrlässig“ den Erfolg. Die Voraussetzungen der Fahrlässigkeit sind nämlich dieselben wie die der objektiven Zurechnung beim Vorsatzdelikt. Aber die h. L. (BGHSt 39, 195, 199; SKStGB-Samson/Günther1995 Vor § 52 Rn 94) sieht diese Identität nicht deutlich und nimmt deshalb hier nicht Spezialität an, sondern materielle Subsidiarität (dazu gleich unter 3 b). – Ebenfalls besteht Spezialität zwischen vollendeter Tat und Versuch sowie zwischen Handlungsdelikt (z. B. § 212) und Unterlassungsdelikt (§§ 212, 13). Hier ist das PlusMinus-Verhältnis allerdings ebenfalls nicht anerkannt. – Zum Ganzen Herzberg, JuS 1996, 377 ff. 2. Konsumtion Merksatz: Ein Tatbestand ist regelmäßige und typische Begleittat eines anderen. Fall 229: A hebelt an Es Haus die Terrassentür auf, geht in das Wohnzimmer, steckt Es CDSammlung in ein paar große Taschen und nimmt alles mit. Die Verwirklichung des einen Tatbestandes ist zwar nicht logisch zwingend, aber doch regelmäßig und typischerweise mit der Begehung eines anderen verbunden. So geht mit der Begehung eines Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 I Nr. 3 Alt. 1) die Verwirklichung der §§ 123, 303 regelmäßig einher. Nach h. M. konsumiert daher § 244 I Nr. 3 Alt 1 den Hausfriedensbruch und die Sachbeschädigung (SKStGB-Samson/Günther1995 Vor § 52 Rn 86). Begründet wird die Konsumtion so: Der Gesetzgeber habe den Unwert der typischen Begleittaten bei der Bildung der Strafrahmen der konsumierenden Tatbestände bereits in Rechnung gestellt (Jescheck/Wiegend5, S. 735 f.). 3. Subsidiarität Merksatz: Ein Tatbestand greift nur hilfsweise, wenn ein anderer nicht greift. a) Formelle Subsidiarität Fall 230: D hat O auf offener Straße bestohlen. Staatsanwalt S klagt ihn beim Amtsrichter A wegen Diebstahls und auch wegen Unterschlagung an. In manchen Tatbeständen ist ausdrücklich angeordnet, dass sie nur zur Anwendung kommen, „wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist“ (z. B. §§ 246 I, 248b). Andere Normen ordnen Strafbarkeit nur für den Fall an, dass die sie erfüllende Tat nicht auch von genau bezeichneten anderen Tatbeständen erfasst wird (z. B. §§ 145d, 316). Bei beiden Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 98 Arten von Subsidiaritätsklauseln spricht man von formeller Subsidiarität, weil die Subsidiarität, also das Zurücktreten, im Gesetz förmlich angeordnet ist. b) Materielle Subsidiarität Fall 231: T zersticht gemeinsam mit seinem Freund F alle Autoreifen am Wagen des Herrn H. F macht mit, weil T ihn dazu aufgefordert hat. Die stillschweigende (materielle) Subsidiarität wird durch Auslegung einzelner Tatbestände ermittelt. Dabei wird geprüft, ob „nicht schon eine andere Norm eingreift und die nur hilfsweise geltende Norm verdrängt“ (Haft AT8, S. 273; Jescheck/Weigend5, S. 734). Vertiefung: Die materielle Subsidiarität kann man begründen mit einer Rechtsanalogie zu den Anordnungen der formellen Subsidiarität. Vereinzelt wird aus ihnen aber – genau entgegengesetzt – ein Umkehrschluss gezogen und die materielle Subsidiarität abgelehnt, soweit sie über Fälle annähernder Spezialität hinausgeht (NK-Puppe1995 Vor § 52 Rn 22 f.). Ein Hauptanwendungsfall der materiellen Subsidiarität ist nach h. M. bei verschiedenen Formen der Beteiligung gegeben: Die Beihilfe soll subsidiär gegenüber der Anstiftung sein und trotz gleicher Strafandrohung soll die Anstiftung gegenüber der (Mit-)Täterschaft subsidiär sein (Jescheck/Weigend5, 735; SKStGB-Samson/Günther1995 Vor § 52 Rn 94; für Tateinheit aber NKPuppe1995 Vor § 52 Rn 41). Vertiefung: Nur subsidiär sollen nach h. M. auch sein der Versuch gegenüber der Vollendung und das Fahrlässigkeitsdelikt gegenüber dem entsprechenden Vorsatzdelikt. Bei diesen Fällen ist aber genau besehen Spezialität gegeben (dazu schon oben unter 1 a. E.). Ferner soll die abstrakte Gefährdung gegenüber der konkreten und die konkrete wiederum gegenüber der Verletzung des Rechtsguts subsidiär sein. Da jeder konkreten eine abstrakte Gefährdung vorausgeht und jeder Verletzung eine konkrete Gefährdung, liegt auch in diesen Fällen genau besehen (regelmäßig) Spezialität vor (vgl. NK-Puppe1995, Vor § 52 Rn 46 ff.). 4. Verhältnis zu Tateinheit und Tatmehrheit Gesetzeskonkurrenz kommt sowohl bei Tateinheit (§ 52) als auch bei Tatmehrheit (§ 53) in Betracht. Bei Tateinheit spricht man von mitbestrafter Begleittat, bei Tatmehrheit von mitbestrafter Vor- bzw. Nachtat (vgl. BGHSt 38, 366, 368 f.; Otto Jura 1994, 276 f.; Wessels/Beulke30, Rn 794 ff.). Eine mitbestrafte Tat liegt etwa vor, wenn „eine der Straftat nachfolgende tatbestandsmäßige Handlung, den durch die erste Tat erlangten rechtswidrigen Gewinn sichern, ausnutzen oder verwerten soll, ... kein neues Rechtsgut verletzt und der Schaden quantitativ nicht über das bereits eingetretene Maß hinaus erweitert wird“ (Jescheck/Weigend5, S. 736). Fall 232: D steckt bei Rewe eine Flasche Sekt in seinen Jutebeutel. Filialleiter F schöpft Verdacht, als D den Laden verlässt. Auf dem Parkplatz fragt F den D, was denn mit der Flasche sei. D zeigt F einen Kassenbon, der dokumentiert, dass D vor einer halben Stunde eine solche Flasche Sekt bei Aldi erworben hat. F glaubt ihm, dass es sich um diese Flasche handelt, und lässt D ziehen. D hat einen Diebstahl begangen (§ 242). Er hat aber auch durch Täuschung des F bei diesem einen Irrtum erregt, der F davon abhielt den Anspruch aus § 861 BGB geltend zu machen. Dieser Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 99 Sicherungsbetrug sollte aber nur die bereits erlangte Position sichern, so dass nach h. M. der Betrug als mitbestrafte Nachtat hinter dem Diebstahl zurücktritt. Vertiefung: Welches Strafgesetz zurücktritt, richtet sich grundsätzlich nach der Höhe der angedrohten Strafe: Das leichtere Delikt tritt zurück. Dass im Fall 232 trotz gleichen Strafrahmens der Betrug als mitbestrafte Nachtat und nicht der Diebstahl als mitbestrafte Vortat zurücktritt, liegt daran, dass das Zustandekommen des Betruges vom vorangegangenen Diebstahl gewissermaßen „abhängig“ ist, und auch daran, dass in Situationen wie im Fall 232 zwar immer der Diebstahl vorliegt, aber nur sehr selten der sich anschließende Sicherungsbetrug. Merke: Mitbestrafte Begleit-, Vor- und Nachtaten treten unabhängig davon zurück, ob sie zur Haupttat in Tateinheit oder Tatmehrheit stehen. Man muss also in einem Gutachten nicht prüfen, ob „dieselbe Handlung“ vorliegt, sondern nur, ob die eine Tat zur anderen im Verhältnis der Spezialität, Konsumtion oder Subsidiarität (eben in Gesetzeskonkurrenz) steht. III. Tateinheit und Tatmehrheit (auch: Ideal- und Realkonkurrenz) – §§ 52, 53 Fall 233: Wie Fall 225. Aber der Stein trifft nach Os Kopf noch eine Glasschale, die zerspringt. Lesen Sie § 52 I und unterscheiden Sie beide Varianten! Ts Handlung (der Wurf) hat sowohl mehrere Strafgesetze verletzt, nämlich §§ 223 und 303, (sog. ungleichartige Idealkonkurrenz) als auch dasselbe Strafgesetz mehrmals, nämlich zweimal § 303, (sog. gleichartige Idealkonkurrenz). Gemäß § 52 I stehen alle drei einzelnen Tatbestandsverwirklichungen in Tateinheit. 1. Handlung im natürlichen Sinne Nach ganz h. M. liegt jedenfalls dann „dieselbe Handlung“ i. S. des § 52 I vor, wenn nur eine Handlung im natürlichen Sinne gegeben ist, also nur eine willensgetragene Körperbewegung oder Nichtbewegung: ein Schuss, ein Ausruf, ein Nicht-aus-dem-Wasser-Retten (BGHSt 1, 21; 18, 26; S/S-Stree26, Vor § 52 Rn 11; SKStGB-Samson/Günther1995 Vor § 52 Rn 21). Fall 234: Per Fernzünder bringt A eine Bombe zur Explosion, die er in einem Kaufhaus plaziert hatte, und die dort mehrere Menschen tötet, andere verletzt und zahlreiche Sachen beschädigt und zerstört. Alle Tötungs-, Körperverletzungs- und Sachbeschädigungsdelikte sind durch dieselbe Handlung im natürlichen Sinne, nämlich das Auslösen der Bombe, verwirklicht worden und stehen in Tateinheit i. S. des § 52 I (BGHSt 16, 397 f.; Kühl, AT3, 21/7). 2. Handlung im rechtlichen Sinne Aber auch mehrere Handlungen im natürlichen Sinne, die jeweils ein Strafgesetz verletzen, bilden mitunter im Rechtssinne doch „dieselbe Handlung“ in § 52 I. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 100 a) Überschneidungen der Handlungen im natürlichen Sinne aa) So können mehrere Gesetzesverletzungen in einem Handlungs-Teil zusammenfallen. Für Tateinheit ausreichend ist eine teilweise Identität der Ausführungshandlungen im objektiven Tatbestand der konkurrierenden Strafgesetze (BGHSt 7, 149, 151; 43, 317, 319; Jescheck/Weigend5, 720; Wessels/Beulke30, Rn 777). Fall 235: R schlägt dem O fest ins Gesicht und erreicht so, dass O still hält, als R ihm das Portmonee abnimmt. R hat einen Raub (§ 249) und eine Körperverletzung (§ 223) begangen. Die Körperverletzung ist nicht notwendiger Bestandteil des Raubes, weil dafür keine körperverletzende Gewalt nötig ist. Die Körperverletzung ist hier aber identisch mit derjenigen Gewalt gegen die Person, mit der der Räuber das Opfer zur Duldung der Wegnahme nötigt. Damit besteht zwischen §§ 249 und 223 Tateinheit wegen Teilidentität der Ausführungshandlungen. Vertiefung: Als Ausführungsakt gilt nach h. M. jeder Teilakt „vom Anfang der Ausführung bis zur materiellen Beendigung des Delikts“ (BGH StV 1983, 104 f.; SKStGB-Samson/Günther1995 § 52 Rn 11; Wessels/Beulke30, Rn 777); danach besteht Idealkonkurrenz zwischen einem (Bank)Raub und einer nach der Wegnahme erfolgten Geiselnahme zur Sicherung der Beute (BayObLG NJW 1983, 406). Mit dem Wortlaut ist das nicht vereinbar. Die Akte der Geiselnahme verletzen (= verwirklichen) nicht einmal teilweise den Tatbestand des Raubes. Vorzugswürdig ist es also, als zeitliche Grenze die formelle Vollendung zu nehmen. bb) Konkurrieren zwei Dauerdelikte miteinander oder ein Dauerdelikt mit einem Zustandsdelikt, so gilt nach der Rspr. das Erfordernis der Teilidentität der Ausführungshandlungen ebenfalls. Die h. L. weicht davon teilweise ab, was in Fall 236 relevant wird. Terminologie: Unter Dauerdelikten versteht man zunächst Tatbestände, die eine Tathandlung beschreiben, die sich über eine längere Zeit hinziehen kann, z. B. das Fahrzeugführen bei § 316. Außerdem werden auch solche Normen, die die „Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes verpönen“ (z. B. §§ 123, 239), als Dauerdelikte bezeichnet (BGHSt 42, 215, 216; Haft, AT8, S. 283; Lackner/Kühl23 § 52 Rn 11). – Delikte, die keine Dauerdelikte sind, sondern einen Zustand der Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung beschreiben, nennt man Zustandsdelikte. Fall 236: Der Camper C geht eines abends gegen den Willen der Freundinnen A und B zu ihnen in ihren Wohnwagen, um sich der A sexuell zu nähern. a) Als A ihn deutlich zum Gehen auffordert, nennt er sie eine „bescheuerte Kuh“. b) Als B ihn hinausstoßen will, schlägt er sie mit einem Faustschlag nieder. c) Dann erzwingt er von A einige Küsse und fasst ihren Busen an. Wie konkurriert der Hausfriedensbruch (§ 123) im Grundfall mit der Beleidigung (§ 185) in Var. a, der Körperverletzung (§ 223) in Var. b und der sexuellen Nötigung (§ 177) in Var. c? Nach allgemeiner Ansicht stehen Taten, die nur „bei Gelegenheit“ des Dauerdeliktes begangen werden, zu diesem in Tatmehrheit. Im Fall 236 a liegt also Realkonkurrenz zwischen Hausfriedensbruch und Beleidigung vor. Einig ist man sich auch darin, dass Zustandsdelikte, die der Aufrechterhaltung des vom Dauerdelikt beschriebenen rechtswidrigen Zustands dienen, mit dem Dauerdelikt in Tateinheit Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. Prof. Dr. Bernhard Hardtung / Prof. Dr. Rolf D. Herzberg 101 stehen. Das führt im Fall 236 b zur Tateinheit von Hausfriedensbruch und Körperverletzung und überzeugt auch, denn die Körperverletzung verhinderte die Beendigung des Hausfriedensbruches und war also in der Tat ein Teil der Ausführung der Hausfriedensbruchstat. Im Fall 236 c dient der Hausfriedensbruch zur Begehung der sexuellen Nötigung. Für solche Fälle der Zweck-Mittel-Relation nimmt die Rspr. Tatmehrheit an (BGHSt 18, 32 f.), die h. L. dagegen Tateinheit (vgl. S/S-Stree26 Vor § 52 Rn 91). b) Klammerwirkung Fall 237: T schlägt O bewusstlos, um ihm die Geldbörse zu rauben. Anschließend reißt T, um schneller an die Börse zu gelangen, die Jackentasche des O auf, steckt die Börse ein und verschwindet. Wie konkurrieren die §§ 249, 223, 303? Die Körperverletzung und die Sachbeschädigung sind jeweils teilidentisch mit dem Raub. Sie stehen also mit dem Raub in Tateinheit. Die Ausführungsakte der Sachbeschädigung und der Körperverletzung untereinander überschneiden sich aber nicht und stünden deshalb nach dem bisher Gesagten in Tatmehrheit. Trotzdem stehen die beiden Delikte in Tateinheit, weil der Raub eine „Klammerwirkung“ entfaltet. Ein Delikt verklammert nämlich zwei weitere immer dann zur Tateinheit, sobald es im konkreten Fall genauso schwer wiegt wie das eine der beiden weiteren Delikte; das andere kann ruhig schwerer wiegen (h. L.: BGHSt 31, 29, 31; 33, 4, 7; Haft AT8, 282; Jescheck/Weigend5, S. 721; S/S-Stree26, § 52 Rn 16, 18; zur Kritik Geppert, Jura 1997, 214 ff.). – In Fall 237 wiegt der Raub schwerer als beide anderen Taten, entfaltet also Klammerwirkung. Vertiefungshinweis: Zur Klammerwirkung siehe ausführlicher Geppert, Jura 1997, 214 ff. c) Vertiefung: Fortsetzungszusammenhang Früher hatte die Rspr. Einzelakte zu einer fortgesetzten Handlung i. S. des § 52 I verbunden, wenn sie sich gegen das gleiche Rechtsgut richteten, in der Begehungsweise gleichartig waren und von einem Gesamtvorsatz getragen wurden (BGHSt 19, 323 ff.; 23, 33 ff.; 26, 4 ff.; 36, 105 ff.). Danach standen etwa einzelne Abrechnungsbetrügereien eines Kassenarztes zueinander in Tateinheit, wenn sie alle von vornherein geplant waren, auch wenn sie sich über Jahre erstreckten. Mit der Entscheidung des Großen Senats in BGHSt 38, 138 ff. hat der BGH diese Konstruktion praktisch aufgegeben und damit abgeschafft. – Zum Ganzen Wessels/Beulke30, Rn 769 ff. d) „Natürliche Handlungseinheit“ Der Begriff der natürlichen Handlungseinheit umfasst zwei Konstellationen. aa) Erstens dient er in den Fällen der „iterativen“ (= wiederholten) und „sukzessiven“ (= sich fortlaufend vollziehenden) Tatbestandsverwirklichung dazu, nur eine einzige Tatbestandsverwirklichung, also auch nur eine Gesetzesverletzung anzunehmen. Machen Sie sich klar, dass diese Bedeutung der „natürlichen Handlungseinheit“ schon oben eine Rolle gespielt hat, nämlich oben unter A I bei Fall 227. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016. 102 bb) Zweitens dient das Rechtsinstitut der natürlichen Handlungseinheit zur Begründung von Tateinheit. Fall 238: D räumt das Warenlager seines Arbeitgebers A aus. Wie er weiß, gehören nicht alle Gegenstände dem A, sondern einige wegen eines Eigentumsvorbehaltes dem X, andere Teile der Beute sind der Y-Bank zur Sicherheit übereignet. Weil im Fall 238 unterschiedliche Rechtsgutsträger betroffen sind, verneint man herrschend die Annahme nur einer einzigen Verletzung des § 242. Man nimmt aber ziemlich unumstritten Tateinheit an. Fall 239: (BGHSt 22, 67 ff.) Der angetrunkene A fährt an einem Haltzeichen gebenden Polizeibeamten vorbei. Bei der sich anschließenden Verfolgung pendelt A mehrfach zwischen beiden Fahrbahnseiten, so dass mehrere entgegenkommende Fahrzeuge nur mit Mühe ausweichen können. Weiterhin drängt er einen zum Überholen ansetzenden Streifenwagen von der Straße ab und fährt gezielt auf einen an der Straße stehenden Polizeibeamten zu, der sich im letzten Augenblick durch einen Sprung zur Seite in Sicherheit bringen kann. Der BGH (aaO., S. 76) hat den einheitlichen Fluchtwillen des Täters genügen lassen, um Delikte wie gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, Trunkenheitsfahrt und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort zu einer natürlichen Handlungseinheit zu verbinden. Diese Rspr. zu den sog. Polizeifluchtfällen ist im Schrifttum überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Dadurch werde „der Weg geöffnet zu einer amorphen, uferlosen natürlichen Handlungseinheit gewissermaßen quer durch das Strafgesetzbuch“ (Warda, Oehler-FS, S. 241, 252), wobei das Kriterium der Einheitlichkeit des Willensentschlusses überstrapaziert werde (Sowada, Jura 1995, 245, 253). Vertiefungshinweis: Zur „natürlichen Handlungseinheit“ siehe ausführlicher Sowada, Jura 1995, 245 ff. Vorlesung AT. Stand: 15.05.2016.