Derzeitiger Stand in der Zucht auf Varroatoleranz - in der AGT und ACA bzw. im internationalen Carnicazuchtverband (www.beebreed.eu) Hermann Pechhacker ([email protected]) Es gibt eine Reihe wissenschaftlicher Ergebnisse (siehe Literaturhinweise), die beweisen, dass die Selektion auf eine höhere Widerstandsfähigkeit unserer Honigbiene gegenüber der Varroamilbe erfolgreich ist. Meldungen aus der imkerlichen Praxis wie „Wir haben die varroatolerante Biene“ haben sich bisher leider nie bewahrheitet. Man denke hier zum Beispiel an die internationalen Anpreisungen der so genannten Primorskibiene aus Fernost bzw. Amerika. Erfolg versprechend bleibt letztlich allein die gezielte Zuchtarbeit auf möglichst breiter Basis. In der praktischen und wissenschaftlich fundierten Zuchtarbeit wurden von Beginn an zwei Wege verfolgt: - die Selektion in Richtung geringere Varroavermehrung in den Leistungsprüfvölkern auf möglichst breiter Basis war der erste Weg. Auf diesem Gebiet begann das Institut für Bienenkunde Lunz am See in Zusammenarbeit mit Prof. Friedrich Ruttner und der Universität Zagreb (Prof. Duro Sulimanovic) bereits 1987 mit der Suche nach Völkern mit geringerer Varroavermehrung. Hier wurden auch die Ursachen der Unterschiede zwischen den Prüfvölkern hinterfragt. Ein Auslesekriterium war neben der Varroavermehrung im Bienenvolk im Laufe der Saison auch die Nachkommensrate der Milben in der Arbeiterinnenbrut. - ein zweiter Weg war die Einbeziehung des natürlichen Selektionsdruckes in die Auslese der Zuchtvölker. Grundlegende Arbeiten stellten hier die Doktorarbeit von Dragen Bubalo (Universität Zagreb) und die Diplomarbeit von Erich Purkarthofer (Universität für Bodenkultur, Wien) am Institut für Bienenkunde in Lunz am See dar. Dragan Bubalo stellte fest, dass der Varroabefall des Drohn in der Puppenphase einen ganz großen Einfluss auf die Paarungseffizienz dieses Drohns hat. War der Drohn in seiner Puppenphase von zwei oder mehr Milben befallen, so war er nicht mehr fähig, im „Paarungswettkampf“ mitzumischen. Erich Purkarthofer beobachtete Drohnen mit verschiedenem Milbenbefall in der Puppenphase mittels Videokamera in ihrem Ausund Rückflugverhalten am Flugloch. Er fand, dass Drohnen, die von zwei oder mehr Milben in ihrer Puppenphase befallen waren, im paarungsreifen Alter und ohne sichtbare Mängel zwar ausflogen, aber in der Regel nicht mehr in den Stock zurück kehrten. Selbst wenn ein Drohn von nur einer einzigen Milbe in seiner Puppenphase befallen war, waren sein Ausflüge seltener und kürzer. Diese beiden Arbeiten zeigten deutlich, dass der Varroabefall der Drohnenvölker einen ganz erheblichen natürlichen Selektionsdruck in einer Population ausübt. - 1992 wurde auf der Basis der Leistungsprüfmethoden des Institut für Bienenkunde Lunz am See der Zuchtverband ACA (Austrian Carnica Association) gegründet. In der ACA wurde von Beginn an auch das Merkmal Varroatoleranz berücksichtigt - anfangs beurteilt mit Hilfe des Gesamtmilbenabfalles während einer effektiven Behandlung (mit Apistan) am Ende einer Prüfsaison und heute nach den weiter unten beschriebenen Methoden. - in Deutschland etablierte sich nach dem Vorbild der ACA der Zuchtverband AGT (Arbeitsgemeinschaft Toleranzzucht). Hinter diesem Zuchtverband AGT standen von Beginn an mehrere wissenschaftliche Institute. Dies hatte zur Folge, dass in der Auslese auf das Merkmal Varroatoleranz ständig für den Zuchterfolg entscheidende methodische Verbesserungen eingeführt wurden, eine sehr effektive und benutzerfreundliche Datenbank erstellt wurde und für alle wirtschaftlich relevanten Merkmale (Honigleistung, Varroatoleranz, Sanftmut, Ruhe und Schwarmneigung) Zuchtwerte nach den modernsten Methoden der Tierzucht (BLUP-Tiermodell) geschätzt werden konnten. - Die beiden Zuchtverbände ACA und AGT arbeiteten von Beginn an eng zusammen. Diese Zusammenarbeit mündete dann aufgrund der vom Bieneninstitut Hohen Neuendorf entwickelten und betreuten Zuchtdatenbank (siehe website www.beebreed.eu) in einen internationalen ( Carnica-) Zuchtverband mit derzeit nahe 10.000 (Carnica-) Kontrollvölkern pro Generation. Die derzeit aktuellen Methoden zur Auslese für das Merkmal Varroatoleranz 1. Die Auslese in der laufenden Leistungprüfung in einer möglichst großen Population ist die primäre Methode: Frühjahrmilbenfall: mindestens über 14 Tage ab Beginn der Salweidenblüte wird der natürliche Milbenabfall gesammelt und ausgezählt. Dies stellt eine grobe Beurteilung des Ausgangsbefalles der einzelnen Prüfvölker zu Beginn der Prüfsaison dar Bienenmilben im Juli: um Mitte Juli wird der Milbenbefall von mindestens 25 g Bienen aus dem Honigraum festgestellt. Aus der Anzahl der zur Salweidenblüte natürlich abgefallenen Milben pro Tag und der Anzahl ausgewaschener Milben pro g Bienen wird die Milbenvermehrung während der Saison geschätzt und in die Zuchtwertschätzung einbezogen. Pintest oder Nadeltest (Bruthygieneverhalten): in verdeckelter Arbeiterinnenbrut werden mittels einer feinen Nadel 50 Puppen tot gestochen und dann nach 7 oder 8 Stunden ausgewertet, wie viele Zellen mit toter Brut von den Stockbienen geöffnet und ausgeräumt wurden. aus den ersten beiden Merkmalsbeurteilungen oder auch unter zusätzlicher Einbeziehung des Bruthygieneverhaltens wird ein Zuchtwert für das Merkmal Varroatoleranz geschätzt 2. Vitalitätsteststandorte stellen einen sekundären Schritt in der Zuchtauslese für das Merkmal Varroatoleranz dar: bereits aufgrund der laufenden Leistungsprüfung positiv zuchtwertgeschätzte Völker werden auf einem isolierten Standort (= Belegstelle) zusammen gezogen und unter permanenter Befallskontrolle ohne Varroabehandlung weitergeführt und auch als Drohnenvölker benutzt. diese Vitalitästeststandorte dienen als zweite Stufe der Selektion (Überlebenstest oder Vitalitätstest) 3. Ausnutzung des natürlichen Selektionsdruckes auf der Drohnenseite (siehe Arbeiten von Purkarthofer und Bubalo bzw. Ralph Büchler et al)) die Vitalitätsteststandorte werden unter Ausnutzung des natürlichen Selektionsdruckes auf der Drohnenseite als Belegstellen genutzt. Drohnen aus Völkern mit starker Varroavermehrung kommen in der freien Paarung auf den Belegstellen weniger zum Zug. in diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass bei spät in der Saison begatteten Königinnen auf einer Belegstelle dieser natürliche Selektionsdruck bis zu einem gewissen Grad ebenfalls zum Tragen kommen kann – vorausgesetzt, die Drohnenvölker werden während der Saison nicht gegen die Milbe behandelt. Erfahrungsgemäß kann der Varroabefall der Drohnenvölker gegen Ende der Saison ein bereits erhebliches Niveau erreichen, weil die vermehrte Drohnenaufzucht in einem Volk auch die Varroavermehrung begünstigt. Dies wirkt sich sicher auch auf die Paarungseffizienz einzelner (genetisch befallsbereiterer oder weniger befallsbereiter?) Drohnen aus. Auch hier ist eine gewisse natürliche Auslese gegeben. In Deutschlang (AGT) werden bereits über fünf Vitalitätsteststandorte bzw. VarroatoleranzBelegstellen betrieben. In der Steiermark wird von einer ACA-Züchtergruppe (Initiatoren IM Karl Perner und IM Wilma Scherjau) die erste derartige Belegstelle in Österreich betrieben. Ein einfaches Beispiel (Tabelle 1) aus der Zuchtwertschätzung soll zeigen, dass in der ACALeistungsprüfpopulation deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Geschwistergruppen bestehen. In der Zuchtarbeit gilt es, diese zum Teil erblich bedingten Unterschiede in der Zuchtplanung zu nutzen. Vom Bieneninstitut Hohen Neuendorf (Prof. Dr. Kaspar Bienefeld) wird die Erblichkeit für das Merkmal Varroatoleranz mit h2 = ~ 0,20 geschätzt. Das heißt, dass rund 20% der Unterschiede des Merkmales Varroatoleranz zwischen den Prüfvölkern tatsächlich erblich sind, rund 80% der Unterschiede aber Umwelteinflüsse darstellen. Die Erblichkeit von h2 = ~ 0,20 stellt einen guten Wert dar. Im Vergleich: die Erblichkeit für das Merkmal Milchleistung in der Rinderzucht beträgt h2 = ~ 0,25 und der Zuchtfortschritt für dieses Merkmal Milchleistung ist gewaltig. Möglich wurde dies durch die Auslese in sehr großen Populationen und unter Einsatz der modernsten, wissenschaftlich fundierten Methoden in Auslese, Zuchtwertschätzung und Zuchtplanung! Mit www.beebreed.eu ist auch die Zucht der Carnica und damit auch der ACA auf dem richtigen Weg. Tabelle 1: Beispiele aus der Zuchtwertschätzung in der ACA-Zuchtpopulation weisen auf eine gewisse Erblichkeit des Merkmales „Varroatoleranz“ bzw. auf einen Erfolg in der Zuchtarbeit hin. Mutter Zuchtwerte Mütter n Töchter Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 87 98 106 104 9 9 16 21 Durchschnittliche Zuchtwerte Töchter 94,7 96,1 106,3 100,8 Beispiele wie in Tab. 1 können via internet von jedem Imker unter www.beebreed.eu (ohne Passwort) herausgesucht werden. Der Weg in die Zukunft - die praktische Selektionsarbeit in einer möglichst großen Population ist auch für jede erfolgreiche wissenschaftliche Weiterentwicklung der Zucht auf Varroatoleranz eine Grundvoraussetzung. Dies bedeutet selbstverständlich eine konsequente und permanente Arbeit der einzelnen Züchter und Prüfer und eine verstärkte internationale Zusammenarbeit. - besondere Anstrengungen der Wissenschaft (z.B. am Bieneninstitut Hohen Neuendorf) gehen heute auch in Richtung „Nutzung der DNA-Analyse = Gentechnik“ in der Zucht auf bessere Varoatoleranz. Hier muss allerdings klar festgehalten werden, dass dies nur erfolgreich sein kann, wenn „dahinter“ eine traditionelle Zuchtarbeit auf - möglichst breiter Basis (z.B. Internationaler Carnica-Zuchtverband) unter optimaler Nutzung der aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse steht. eine grundsätzliche Feststellung: es gibt keine andere Möglichkeit, als den bisher eingeschlagenen Weg der internationalen Zusammenarbeit der nationalen Zuchtverbände unter ständiger wissenschaftlicher Begleitung beziehungsweise Weiterentwicklung auch in Zukunft zu verfolgen! Der derzeit eingeschlagene Weg der internationalen Zusammenarbeit (AGT, ACA und Züchter aus mehreren anderen europäischen Ländern) führt sicher zum Erfolg. Literaturhinweise: Ralph Büchler, Stefan Berg, Yves Le Cont: “Breeding for resistance to Varroa destructor in Europe”; Apidologie 41 (2010): 393 – 408 (review article). In dieser wissenschaftlichen Übersicht ist die wesentliche einschlägige Literatur zusammengefasst und aufgelistet. Dieser Artikel ist unter www.llh-hessen.de/cms/bienen/Fachinformation oder über google: bieneninstitut kirchhain / Fachinformation abrufbar. Erich Purkarthofer: Untersuchungen über das Flugverhalten von Drohnen aus Völkern mit ungleichem Futterangebot bzw. unterschiedlich hohem Varroabefall während des Larvenstadiums. 1996, Diplomarbeit an der Universität für Bodenkultur, Wien D. Bubalo, H. Pechhacker, E. Licek: „The effect of Varrao destructor infestation on flight activity of drones (Apis mellifera L.)”; Wiener Tierärztliche Monatsschrift 92 (2005): 11 - 15