Rotary Club Rheintal (Originalbericht) Der Rotary-Club-Rheintal und das Projekt Haiti Prothesen für die Opfer des Erdbebens vom 12.Januar 2010 Einleitung Kurz nach dem schlimmen Erdbeben vom 12. Januar 2010 verbrachte ich zwei Monate in Haiti, um Prothesen zu bauen, die dringend benötigt wurden. Zusammen mit Berufskollegen und Physiotherapeuten von der Uniklinik Balgrist arbeitete ich in der Prothesenklinik in Deschapelles. Wir hatten es uns zum Ziel gesetzt, in der uns gegebenen Zeit so viele Prothesen wie möglich zu bauen und so auch so vielen Menschen wir möglich zu helfen. Auch wollten wir Haitianer ausbilden, damit sie mit der Arbeit weiterfahren konnten, wenn wir wieder weg waren. Durch Dr. Rolf Maibach hatte es mich nach Deschapelle verschlagen. Er war zweieinhalb Jahre als ärztlicher Direktor des Hôpital Albert Schweitzer tätig. Heute wird das Spital von Frau Dr. Silvia Ernst geleitet. Diesen Sommer bin ich wieder nach Deschapelles gereist und möchte hier meine Eindrücke kurz schildern. Ankunft Nachdem ich in Port-au-Prince gelandet bin, wird mir bewusst, wie schlimm die Situation immer noch ist. Es ist kaum zu glauben, dass das Erdbeben bereits anderthalb Jahre zurück liegt. Überall sind noch die Zeltstädte zu sehen, welche nach dem Beben provisorisch aufgebaut wurden. Die Strassen sind verstopft und voller Schlaglöchern, für einen normalen PW gibt es kein Durchkommen. Ich werde mit einem Off-Roader abgeholt. Die Luft ist verpestet wegen der vielen alten Fahrzeugen auf den Strassen. Wenn man längere Zeit hinter so einem warten muss, was oft vorkommt, kriegt man kaum mehr Luft zum Atmen. Das Leben der Menschen spielt sich auf der Strasse ab. Alle versuchen etwas zu verkaufen, sei es eine Hand voll Kohlen, alte Schuhe oder Kleider oder Nahrungsmittel wie Reis, Bananen und Früchte. Berge von Abfall türmen sich um uns herum, auf den meisten klettern Ziegen und Schweine herum, um etwas zum Fressen zu finden. Ich bin traurig und schockiert. Der neugewählte Präsident Michel Martelly scheint leider immer noch keine handlungsfähige Regierung gebildet zu haben. Die Aufbauprojekte gehen langsam voran, zu langsam. Bei einem späteren Besuch in der Hauptstadt erfreuen mich einige Lichtblicke. Die Gegend um den Marché-en-Fer, den Eisenmarkt, erstrahlt in neuem Glanz. Die historischen Markthallen von 1891 sind wieder aufgebaut. Auch gibt es neue Wohnsiedlungen am Stadtrand. Aber wie sollen diese Leute etwas verdienen können, wenn sie so weit von der Stadt weg wohnen, und es kein fruchtbares Land gibt, wo etwas gepflanzt werden könnte? Einblick in einen Arbeitstag Wie immer kommen die Patienten so gegen neun Uhr. Heute auch ein zwölf-jähriges Mädchen, Isabelle, welches kein Kniegelenk und keinen Oberschenkelknochen hat. Sie ist kein direktes Opfer des Erdbebens, sondern ist mit dieser Behinderung geboren. Da in unserer Klinik kein Unterschied gemacht wird, ob ein Patient seit dem Beben behindert ist, oder ob Krankheit oder Unfall an der Behinderung schuld sind, wird nach Möglichkeit allen geholfen. Wir passen ihr eine Prothese an und weil Isabelle noch nie im Leben ohne Krücken gelaufen ist, ist es sehr wichtig, dass die Physiotherapeuten ihr vor Ort einige Übungen und Tricks beibringen. So stellt sich beim Üben schnell der Erfolg ein, und es ist eine grosse Freude zu sehen, wie Isabelle sich von Versuch zu Versuch verbessert. Jeden Tag stelle ich fest, dass die Menschen sehr dankbar sind für unsere Hilfe. Diese Dankbarkeit freut mich und macht mir immer wieder bewusst, wie gut wir es in der Schweiz doch haben, es aber oft gar nicht zu schätzen wissen. So wird mein Einsatz jeden Tag belohnt. „Woodtli“ Heute hat uns Woodtli besucht. Ich habe mich wahnsinnig gefreut, ihn zu sehen. Im letzten Jahr hatten wir ihm eine Oberschenkelprothese angepasst. Heute ist er wieder in die Prothesenklinik gekommen und hat mich sofort erkannt. Die Freude beim Wiedersehen war gross, und ich habe gesehen, dass es ihm gut geht. Solche Begegnungen geben mir Kraft und motivieren mich dazu, weiter zu machen. Dann sehe ich konkret, dass meine Arbeit hilft, und dass ich hier Gutes tun kann. Woodtli strahlt vor Glück, trotz seiner schweren Behinderung. Ich bewundere die Lebensfreude der Haitianer und vermutete, dass das der einzige Weg ist, den schweren Alltag besser bewältigen zu können. Am Abend denke ich nochmals in Ruhe über den Tag nach. Das schönste an meiner Arbeit in Haiti ist der Kontakt zu den Menschen. Nicht nur zu den Patienten, sondern zu allen. Um mich herum blüht die Lebensfreude! Wie ist es doch erstaunlich, dass ich mitten im schlimmsten Elend so viel Offenheit, Neugier und eine unglaubliche Warmherzigkeit erfahren kann! Dank Auf diesem Weg möchte ich meinen Freunden des Rotary-Clubs Rheintal ganz herzlich für die Unterstützung danken. Ich weiss, dass alle hinter diesem Projekt stehen. Dies zeigen die vielen Spenden und die mir entgegengebrachte Wertschätzung meiner Arbeit. Herzlichen Dank auch an Dr. Rolf Maibach vom Rotary-Club Flims-Laax, der sich für den Aufbau einer orthopädischen Werkstatt beim Hôpital Albert Schweitzer stark gemacht hat. Sein unermüdlicher Einsatz hat es überhaupt ermöglicht, dass Hunderten von amputierten Menschen Prothesen angepasst werden konnten. Rot. Reto Weder