Das Erziehungskonzept unserer Schule 1. Grundlagen für den Erziehungsauftrag der Schule Das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, die Lehrpläne bayerischer Regelschulen, die Krankenhausschulordnung, Empfehlungen der Kultusministerkonferenz für den Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler , das Positionspapier des Referates Pädagogik bei Krankheit im VDS sowie in der Gesellschaft grundlegend gültige Normen und Werthaltungen bilden die Grundlage für den Erziehungsauftrag der Schule für Kranke. 2. Der Erziehungsauftrag im Unterricht der Schule für Kranke 2. 1 Allgemein verbindliche Richtlinien Schüler und Schülerinnen, die in der Schule für Kranke unterrichtet werden, kommen aus allen Schularten sowie Jahrgangsstufen und sind zum großen Teil durch längere, sehr oft psychische Erkrankungen an einen Klinikaufenthalt gebunden. Daher ist ein einheitliches, für den gesamten Personenkreis zutreffendes Erziehungskonzept weder denk- noch umsetzbar. Im Blickfeld liegt immer der Einzelfall. Ausgehend von den verschiedenen Diagnostiken sind je nach Klinik unterschiedliche Schwerpunkte zu berücksichtigen. Bei allen Unterschieden bestehen jedoch für den Gesamtbereich der Schule verbindliche Erziehungsziele, die auf alle Schülerinnen und Schüler in den klinischen Einrichtungen der Schule für Kranke in der Region Main-Rhön zutreffen. Das sind - Achtung vor der Würde jedes Menschen und Anerkennung der Menschenrechte - partnerschaftliches, verantwortliches, rücksichtsvolles und tolerantes Verhalten - Wahrhaftigkeit, Kritikfähigkeit - Pflichtbewusstsein - sinnvolle Freizeitgestaltung - maßvolle Mediennutzung - Einhalten von Regeln - aber auch Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Höflichkeit, Anstrengungsbereitschaft 2. 2 Die Umsetzung des Erziehungsauftrages in den einzelnen Kliniken Orthopädie Werneck Kinder und Jugendliche, die in der orthopädischen Klinik behandelt werden, haben oft länger andauernde körperliche Beeinträchtigungen aufgrund der unterschiedlichsten Fehlbildungen des Stütz- und Bewegungssystems hinzunehmen. Das kann eine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit zumindest über einen längeren Zeitraum hinweg bedeuten, in Einzelfällen aber auch auf Dauer. Das Leben unter dem neuen Gesichtspunkt zu sehen, Schwerpunkte anders zu setzen, dafür ist eine grundlegende Änderung des Bewusstseins nötig, heißt Abschied nehmen von scheinbar normalen Plänen des Kinder- und Jugendlichendaseins. An diesem Punkt ist das Erziehungskonzept der Schule für Kranke gefragt. Erziehungsziele sind in diesem Fall - Stärkung des Selbstwertgefühls - Aufbau einer positiven Haltung auch veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen gegenüber - Durchhaltevermögen und Leistungsbereitschaft Verknüpfung von Erziehung und Unterricht – ein Beispiel: Christa wird innerhalb von zwei Jahren vier Mal stationär behandelt. Sie ist kleinwüchsig und darüber hinaus durch verschiedene Beeinträchtigungen von Hüftgelenk, Knien und Füßen (was durch die aufeinander folgenden Operationen verbessert werden soll) sowie Fehlbildungen der Hände in ihrer Beweglichkeit erheblich eingeschränkt. Die Aussprache ist leicht beeinträchtigt durch Lispeln. Christa besucht eine Realschule. Beim ersten Klinikaufenthalt zeigen sich deutlich die Auswirkungen der körperlichen Einschränkungen sowohl auf die Psyche als auch auf die Leistungsfähigkeit und bereitschaft der Schülerin. Christa traut sich nichts zu, ist zögerlich, spricht auch leise und wenig. Um sie auf die erforderlichen kognitiven Tätigkeiten vorzubereiten, wird ihre Gesprächsbereitschaft geweckt. Das gelingt vor allem durch Anknüpfung an Bereiche aus dem näheren und weiteren häuslichen und schulischen Umfeld. Die Wiederholung zuletzt behandelten Unterrichtsstoffes stärkt bei der Schülerin die Erkenntnis, dass sie durchaus gute Leistungen zu erbringen vermag. In kleinen Schritten werden nun die aktuellen Themen ihrer Stammschule behandelt, parallel dazu erfolgen kontinuierlich Gespräche und spielerische Übungen, die das Selbstvertrauen stärken. Die gemeinsame Arbeit mit einer weiteren Schülerin verstärkt zudem Christas Ehrgeiz und Anstrengungsbereitschaft. Hier wird sehr deutlich, dass eine Konkurrenz, die nicht unmittelbar auf das eigene schulische Leistungsverhalten Rückschlüsse zulässt, durchaus anspornend wirken kann. Im Verlauf von Christas Klinikaufenthalten stabilisiert sich ganz deutlich ihre Leistungssituation, sie spricht zunehmend mehr, vertraut ihrer Fähigkeit, mit entsprechendem Einsatz gute Arbeitsergebnisse zu erzielen und entwickelt ein Altersangemessenes Selbstbewusstsein. Psychiatrie und Forensik Werneck Überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene mit den Diagnosen Schizophrenie, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Suizidgefährdung oder Folgeerkrankungen nach Drogenabusus werden hier betreut bei einer Verweildauer von wenigen Wochen bis zu 6 Monaten und länger. Besonders die schwierigen Bedingungen der Reintegration beeinflussen Schwerpunkte, unter denen Erziehung in diesem Bereich zu sehen ist. Anzustreben ist - eine hohe Frustrationstoleranz, da der Weg zurück ins „normale“ Leben mit zahlreichen Misserfolgen verbunden sein kann. Ebenso wichtig sind aber auch - ein hohes Durchhaltevermögen und - die Bereitschaft, auf möglichst vielen Gebieten sehr gute Leistungen erzielen zu wollen. Aufgezeigt werden muss, wie Menschen auch unter erschwerten Bedingungen - persönliche Belastungen und Krisen bewältigen und - ihr Leben Sinn gebend gestalten können. Verknüpfung von Erziehung und Unterricht – ein Beispiel: Schüler Anton wird aufgrund seiner äußeren Erscheinung und seiner ausgeprägten Langsamkeit von Klassenkameraden gehänselt, verweigert deshalb den Unterricht und zeigt psychosomatische Störungen. Beim Erstgespräch blickt er stets nach unten, spricht leise und in Einwortsätzen, antwortet auf Fragen nur mit Zeitverzögerung. Direkter Blickkontakt ist nicht möglich. Ein weitergehendes Gespräch kann nicht geführt werden. In den folgenden Tagen wird der Lehrstoff behutsam angegangen, Anton wird immer wieder dazu aufgefordert, Texte vorzulesen und zu wiederholen. Die anfänglich fast unhörbare, brüchige Stimme wird von Woche zu Woche sicherer und kräftiger. Mit der Wiederholung des Lernstoffes wird dem Schüler die Sicherheit gegeben, auf dem Leistungsstand der Klasse zu sein. Für Antworten wird ihm sehr viel Zeit gelassen. Nach einiger Zeit ist festzustellen, dass er den Stoff wesentlich besser beherrscht als aufgrund seines anfänglichen Verhaltens zu vermuten war. Er wird immer wieder ermuntert bei Unklarheiten nachzufragen. So wird sein Selbstwertgefühl so weit gesteigert, dass er in Zukunft seinen Klassenkameraden gegenüber ein sicheres Auftreten zeigen kann. Psychosomatische Klinik Bad Neustadt Bei den überwiegend jugendlichen Patienten und Patientinnen finden wir die Krankheitsbilder Anorexie, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, depressive Phasen, Psychosen, Angstsyndrome. Klinikaufenthalte von zum Teil vielen Monaten bewirken eine lang andauernde, enge Zusammenarbeit zwischen Lehrer und Schüler. „Nicht die Wissensvermittlung steht vorrangig im Mittelpunkt, sondern das Bestreben, auf die Schülerinnen soweit positiv und motivierend einzuwirken, dass sie wieder an ihr Leistungsvermögen glauben und dadurch ihr Selbstwertgefühl gestärkt wird.“ Dieser Kernsatz aus dem Unterrichtsprofil in dieser Klinik beinhaltet bereits wichtige Erziehungsziele: - Aufbau von Zuversicht - Stärkung des Selbstwertgefühls Somit ist neben dem Schwerpunkt der Wissensvermittlung gleichrangig auch der Schwerpunkt Erziehungsarbeit zu sehen. Jugendliche mit diesen Krankheitsbildern haben meist schon eine längere Zeit der Erkrankung hinter sich, mussten mit vielen Frustrationen fertig werden und leiden unter einer sehr unklaren oder völlig fehlenden Zukunftsperspektive. Daher ist es nötig - Selbstbewusstsein aufzubauen, - Mut zu machen, - stabilisierend zu wirken, aber auch - Grenzen aufzuzeigen, besonders dort, wo unangemessenes Verhalten (z. B. Perfektionismus und Überangepasstheit bei Anorexien) als eine weitere Ausdrucksform der Erkrankung dominiert. Verknüpfung von Erziehung und Unterricht – ein Beispiel: Die 19-jährige Anorexie-Patientin Valerie besucht eine Fachoberschule. Aufgrund der mäßigen bzw. mangelhaften Leistungen in Englisch und Deutsch während des zurückliegenden Schuljahres und der hohen Fehlzeiten kann sie nicht zur Probe in die 12. Klasse versetzt werden. Ein erfolgreiches Abschneiden sei nicht zu erwarten. Sie müsse die 11. Klasse wiederholen, wird ihr mitgeteilt. In der augenblicklichen Situation der Krankheit wäre Valerie auch mit einem Unterricht auf Probe in der 12. Klasse völlig überfordert. Somit muss die Forderung der Schule unter dem Aspekt der Krankheit berücksichtigt werden; Maßnahmen des Nachteilsausgleichs im Sinne einer Versetzung auf Probe wären eher kontraproduktiv. Nach dieser Nachricht ist die Patientin sehr niedergeschlagen, mutlos und verzweifelt. Sie muss die 11. Klasse zum zweiten Mal wiederholen, da sie krankheitsbedingt schon einmal nicht versetzt werden konnte. In intensiven Gesprächen wird versucht, dem Mädchen Mut zu machen und es aufzumuntern. Valerie wird allmählich klar, dass die Behandlung und Therapie ihrer Krankheit für sie Vorrang haben muss um Rückschläge zu vermeiden, die dann ja wiederum dazu führen würden, dass sie die Schule nicht regelmäßig besuchen kann. Nur so kann sie sich in Zukunft unbelastet den schulischen Belangen stellen und auch Stresssituationen meistern. Um die Lücken zu schließen wird besonders in Mathematik, Deutsch und Englisch der Stoff wiederholt, der ungefähr zeitgleich in der Schule behandelt wird. Im Unterricht wird der Schülerin bewusst, dass sie konzentriert, selbständig und erfolgreich arbeiten kann, was zur Stärkung ihres Selbstwertgefühls beiträgt. Rehaklinik für Suchterkrankungen Hollstadt Neben dem spezifischen Krankheitsbild der Drogenabhängigkeit, insbesondere Polytoxikomanie, treten noch andere psychiatrische Krankheitsbilder auf, häufig ADHS und gestreute Formen von Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie organische Schädigungen (meist toxisch oder durch Infektionen bedingt). Die Verweildauer beträgt in der Regel 6 Monate, bei Regelverstößen erfolgt vorzeitige Entlassung. Den Schwerpunkt nicht nur der klinischen Therapie, sondern auch der schulischen Erziehungsarbeit bildet die Intervention, die sich jedoch auch in Richtung Prävention bewegt, und zwar unter dem Aspekt, neue Verhaltensstrategien so zu entwickeln, dass das Verhalten, das zur Einweisung in diese Klinik führt, in Zukunft verhindert werden kann. Ziel ist es, mit den Maßnahmen der Intervention präventive Verhaltensweisen aufzubauen, die von den Betroffenen selbst auch ohne den Schutzraum der RehaEinrichtung durchgeführt und angewandt werden können. Beispiele: - lernen, wie Menschen auch unter erschwerten Bedingungen persönliche Belastungen und Krisen bewältigen können - die Erfahrung machen, wie man Probleme in den Griff bekommt und wie Entscheidungen zu fällen sind - Wertehaltungen entwickeln, denen die Wirklichkeit entgegensteht und mit diesem Widerspruch fertig werden. Das betrifft zum Beispiel das Ziel der Friedfertigkeit gerade bei Personengruppen, die es gewöhnt waren, Konflikte mit dem Mittel der Gewalt zu lösen. Verknüpfung von Erziehung und Unterricht Grundlage für alle weitere Unterrichtsarbeit bildet das Konzentrationstraining, da die jungen Menschen durch den jahrelangen Drogenmissbrauch kaum noch in der Lage sind, ihre Gedanken zu ordnen, Lernstoff aufzunehmen, geradlinig Ziele zu verfolgen und dabei auch Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Bei diesen Übungen werden nicht nur Lernprozesse initiiert und Lernstrategien vermittelt, sondern Kausalketten von Bedingungsfaktoren aufgezeigt, die Lernprozesse und Lernbedingungen beschreiben. Dieses Verständnis wiederum trägt dazu bei, sich die Blockaden und Hindernisse klar zu machen, die dem eigentlichen Lernprozess im Wege stehen. Nur so wird den Patienten bewusst, welchen Weg sie nehmen müssen, auch welche Schwierigkeiten damit verbunden sind und dass ohne ein gewisses Maß an Anstrengung kein Erfolg möglich ist. Die Übungen gehen jedoch immer wieder einher mit kleinen Erfolgserlebnissen, so dass man dem Ziel, nicht nur sich konzentrieren zu können, sondern auch noch mit schwierigen Emotionen, Nervosität und Anspannung fertig zu werden, immer näher kommt. Unterstützt wird dieses Training durch rhythmisch-musikalische Begleitung sowie sportliche Anteile, so dass sich jeder und jede in irgendeiner Form angesprochen fühlt und sich wieder findet. Nur dadurch kann eine Basis geschaffen werden, auf der anschließend erfolgreich die eigentliche Lernarbeit stattfindet. Klinik für Kinder und Jugendliche des Leopoldina - Krankenhauses Schweinfurt Vertreten sind alle pädiatrischen Krankheitsbilder sowie Erkrankungen und Verletzungen des Stütz- und Bewegungssystems, psychische, psychosomatische und neurologische Erkrankungen, Erkrankungen der Verdauungsorgane, Störungen des Stoffwechsels und des Immunsystems. Häufig sind Diabetes, Epilepsie, unklares Abdomen, emotionale u./o. Verhaltensstörungen, Ernährungs- und Essstörungen. Welche Erziehungsziele sind bei diesem Personenkreis in den Vordergrund zu stellen? - Geduld mit einem unter Umständen längeren Krankheitsverlauf haben - dabei Zuversicht entwickeln - das Selbstwertgefühl aufbauen bzw. stabilisieren - eine realistische Selbsteinschätzung entwickeln - krankheitsbedingte Handicaps akzeptieren lernen - Mut für eine u.U. nach der Krankheit veränderte Lebensweise entwickeln (z.B. bei Diabetes ) - Freude an der eigenen Leistung und am Erfolg wecken - Frustrationstoleranz entwickeln: - Misserfolge verkraften lernen - (krankheitsbedingte ) Einschränkungen der schulischen Leistungsfähigkeit akzeptieren lernen - sich einem möglichen Schulwechsel oder der Wiederholung einer Klasse stellen - mit Ängsten und Befürchtungen umgehen lernen Verknüpfung von Erziehung und Unterricht – ein Beispiel: Schülerin Ulrike ist infolge einer Operation, verschiedener anderer Krankheiten und vor allem aufgrund ihrer psychischen Situation nur sehr wenig belastbar. Habituelles Kränkeln, Atemnot, Ohnmachtszustände als mögliche Folge einer aus Überforderung resultierenden Unsicherheit und die Gefahr, dass sich die ungelöste Konfliktsituation in einer körperlichen Funktionsstörung manifestiert, prägen das Erscheinungsbild. Ulrike ist leistungsmäßig sehr schwach, kann aber mit Fleiß, Eifer und Pflichtbewusstsein viel kompensieren. Sie zeigt ein starkes Anpassungsverhalten in Richtung „soziale Erwünschtheit“ und gerät so bei erhöhten Anforderungen leicht unter Druck. Bei einem möglichen Rückgriff auf klare, eindeutige fest verankerte Lösungsstrategien kann Ulrike ruhig und sicher, geradezu erleichtert, arbeiten. Das Zusammentreffen mehrerer oder unterschiedlicher oder neuer Schwierigkeiten verwirrt sie über die Maßen, macht kopflos, verursacht Zögern und Zaudern bis hin zur Stressproblematik und zum Blackout. Ulrike braucht immer wieder Zustimmung, Verstärkung, Ermutigung. Im Unterricht steht pädagogisches Handeln im Vordergrund; Verständnis, Einfühlungsvermögen und Akzeptanz sind wichtige Voraussetzungen, um vertrauensvollen Zugang zu Ulrike zu finden. Leistung wird behutsam und Mut machend gefordert; durch permanente Demonstration des erfolgreich Erlernten wird das Selbstvertrauen gestärkt. 3. Schlussbemerkung Zusammenfassend für alle Teilbereiche der Schule für Kranke in der Region MainRhön kann festgestellt werden, dass sehr viel Zeit aufgewendet werden muss für erzieherische Maßnahmen, die für weiteres erfolgreiches Lernen und Arbeiten während eines Klinikaufenthaltes die erforderliche Grundlage bilden. Nur so ist es möglich, die Kinder und jungen Menschen soweit zu festigen und zu ermutigen, dass sie nach ihrer Rückkehr in die Stammschule unbelastet in den Unterrichts- und Erziehungsprozess der jeweiligen Einrichtung reintegriert werden können.