1 Aktuelle Lage der Russlanddeutschen: Probleme und Perspektiven Sehr geehrter Herr Rill, Sehr geehrter Herr Fetsch, Meine Damen und Herren, Liebe Landsleute! 1. Historische Voraussetzungen der aktuellen Lage der Russlanddeutschen. Seit Beginn der Umsiedlung nach Russland (1764) und bis 1941, konnten die Deutschstämmigen im Russischen Reich bzw. in der UdSSR ihre kulturelle Identität behalten. Eine entscheidende Rolle spielte dabei die Kompaktansiedlung. Eine wichtige Bedeutung für die Erhaltung der nationalen Identität spielten das Netz der muttersprachiger Kultur- und Bildungseinrichtungen, Einfluß der Kirche, zahlreiche deutschsprachige Medien. Diese Faktoren trugen zur Schaffung und Pflege einer spezifischen kulturellen Atmosphäre in deutschen Siedlungen und Gemeinden bei und zur Wiedergabe von Kulturtraditionen in der Familie. Eine große Rolle spielten dabei auch das wirtschaftliche Potential und die öffentliche Initiative der deutschstämmigen Bevölkerung sowie die Herausbildung der nationalen Elite. 2 Eine wichtige Rolle spielten immer die Selbstverwaltung und Selbstorganisation der deutschen Kolonien und Gemeinden. In der UdSSR bestanden sogar eine Zeitlang (hauptsächlich in den 1920er Jahren) Hunderte territoriale deutsche nationale Verwaltungen wie Dorfsowjets und Rayons. Seit 1918 wurde ein Gebiet und seit 1924 die Republik der Wolga-Deutschen gegründet, die bis 1941 bestand. Mit Beginn des Krieges 1941 wurden im Laufe von September-Dezember ca. 800 Tausend Deutschstämmige aus dem europäischen Teil der UdSSR nach Sibirien und Kasachstan deportiert. Die kompakte Ansiedlungsstätten der Deutschstämmigen wurden abgeschafft und die Deutschen im riesigen Raum des asiatischen Teils der UdSSR verstreut. Die Deportierungen Lebensumfeld und die zerstörten soziokulturelle das traditionelle Infrastruktur der deutschstämmigen Bevölkerung. Während des Krieges sind Tausende Russlanddeutsche zur „Trudarmee“ gezwungen, ums Leben gekommen und die Gesundheit verloren. Bis Dezember 1955 mussten alle Deutschstämmige der UdSSR in Sonderansiedlungen mit Begrenzung ihrer Rechte und Freiheit leben. Bis Ende der 1980er Jahre wurde gegenüber den Deutschstämmigen eine Politik der Unterdrückung ihres 3 Nationalbewusstseins, Verfolgung des Glaubens, Diskriminierung bei der Arbeitseinstellung und Aufnahme in Hochschulen, betrieben. Somit war die staatliche Politik des sowjetischen Regimes im Laufe fast eines halben Jahrhunderts praktisch auf die Assimilierung der deutschstämmigen Bevölkerung ausgerichtet. Eine direkte Folge dieser Politik war der zunehmende Verlust bei der Russlanddeutschen ihrer Muttersprache und Kultur. Das sieht man besonders an Personen mittleren Alters und Jugendliche. Sie hatten keine Möglichkeit die notwendigen Kenntnisse in der Familie zu bekommen, sowie keinen Zugang zu nationalen Bildungs- und Kultureinrichtungen. Erst am Höhepunkt der von Gorbatchow angefangenen Ära der „Glasnost“ und „Perestrojka“ begann die geistige Befreiung und Rehabilitation der Russlanddeutschen in ihrem eigenen Selbstbewusstsein sowie in den Augen der Vertreter anderer Nationalitäten. Das Deutschtum hörte auf, ein Nachteil zu sein. Seit Ende der 1980er Jahre gewann die deutsche Minderheit gewisse begrenzte Möglichkeiten für die Wiederherstellung ihrer Identität, Wiedergeburt ihrer Muttersprache und Kultur. Jedoch haben die Assimilationsprozesse einen ernsten Charakter angenommen. 4 Die disperse Ansiedlung, das Fehlen der Elemente der kulturellen und Bildungsinfrastruktur, ein niedriges Niveau des Deutschunterrichts schufen Probleme für die Wiederherstellung der kulturellen Identität. Am 14.11.1989 wurde die Deklaration des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Rehabilitation der Opfer politischer Repressalien“ angenommen. Am 21.04.1991 verabschiedete der Oberste Sowjet der Russischen Föderation das Gesetz „Über die Rehabilitation repressierter Völker“. Danach wurden auch weitere Gesetzesakte verabschiedet, die auf politische und rechtliche Rehabilitation der ehemaligen Sowjetdeutschen gerichtet waren. Eine Reihe der Gesetzesakte und Erlasse des Präsidenten der RF wurden nicht voll realisiert. Insbesondere wurde keine territoriale Rehabilitation der Russlanddeutschen (in Form der Wiederherstellung ihrer Autonomen Republik an der Wolga) durchgeführt. 2. Sozial-demographische Wandlungen in den letzten 20 Jahren. Durch die Repressalien, Angst, Unzufriedenheit mit ihrer nationalen und religiösen Lage, Sorge um die Zukunft der Kinder, Wirtschaftskrise und eine instabile gesellschaftspolitischen Situation im Lande in den 80er- 90er Jahren des 20. Jh. hat eine massenhafte Auswanderung der 5 ehemaligen Sowjetdeutschen nach Deutschland begonnen. Die Charakteristik der Auswanderung der deutschstämmigen Bevölkerung aus ehemaligen Sowjetrepubliken in Zahlen ist bekannt. Bei der Volkszählung von 1989, lebten in der UdSSR 2,1 Mio. Russlanddeutschen. Bis 1998 sind über 1,5 Mio. aus den ehemaligen Sowjetrepubliken ausgewandert. In Russland zeigte die Völkerzählung 2002 rund 600 000 deutschstämmigen Bevölkerung und den 15. Platz unter den Völkern Russlands. 1959 belegten wir in dieser Liste den Platz 9. 1989 gab es in der RSFSR immer noch fünf Föderationssubjekte, wo die meisten Deutschstämmigen in mononationalen Ehen lebten. Dies waren die Region Altaj, Gebiete Orenburg, Omsk und Wolgograd sowie Republik Kalmykien. Heute gibt es kaum solche Regionen. Diese Tendenz hat auch die beiden deutschen Nationalrayons erfasst. Diese Nationalrayons konnten am Leben bleiben nur durch den Zustrom der deutschstämmigen Bevölkerung aus anderen Regionen, insbesondere aus Kasachstan. Wollen wir in diesem Zusammenhang als ein weiteres grundlegendes Kriterium den Anteil der Deutschen Russlands (RSFSR) betrachten, die Deutsch für ihre Muttersprache hielten. Diese Zahl ging bereits in den UdSSRZeiten zurück: 1926 waren es 95,2%, 1959 – 69,0%, und 1989 6 41,8%. 2002 ist die Zahl noch weiter auf 31,6% gesunken. In 1994 haben nur 12,9% der Deutschen Russlands Deutsch zu Hause als Kommunikationssprache benutzt. Wie bereits vermerkt, hat sich die demographische Lage der Deutschen in Russland in erster Linie durch die Massenauswanderung verändert. Weniger bekannter, aber ein wichtiger Grund ist die Migration der Deutschstämmigen aus den Republiken der früheren UdSSR. Eine Folge der Massenmigration ist der weitere Rückgang der Russlanddeutschen, Verstärkung der dispersen Ansiedlung und das Verschwinden der Kompaktansiedlungen. Dies führte zu einer weiteren Verschlechterung der sprachlichen und kulturellen Situation der deutschen Minderheit in Russland und andren Staaten des postsowjetischen Raums. Im letzten Jahrzehnt verstärkte sich die Urbanisierung der deutschen Bevölkerung, die Zahl von Mischehen stieg an. Auch solche modernen Prozesse wie die Globalisierung haben die Deutschen nicht unberührt gelassen. All das trägt zu ernsthaften Schwierigkeiten im sozialkulturellen Umfeld der Minderheit bei. 3. Aktuelle gesellschaftspolitische und sozial-kulturelle Situation der Russlanddeutschen. 7 Vor dem Hintergrund der negativen Prozesse eines massenhaften Schwundes der kulturellen Identität und Assimilation in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann der Prozess des Aufbaus und Entwicklung einer neuen sozial-kulturellen Infrastruktur der deutschstämmigen Bevölkerung. Im heutigen Russland basiert sie auf den öffentlichen Strukturen (in Russland unter dem Begriff „Begegnungszentren“ zusammengefasst) mit ihren zahlreichen Aktivisten; den sich herausbildenden Regionale Koordinierungsräten als Organen der Selbstorganisation der deutschen Minderheit; Medien der Russlanddeutschen; zwei deutschen Nationalrayons in Sibirien; religiösen Gemeinden. Begegnungszentren. Seit Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts entstand in den meisten Regionen der Russischen Föderation unter Berücksichtigung der Belange und auf der Grundlage der öffentlichen Initiative ein weit verzweigtes Netz der Begegnungszentren (BZ). Heute werden von ihren Aktivitäten mehr als 400 Groß- und Kleinstädte, Siedlungen und Dörfer in 57 Föderationssubjekten erfasst. Bei den Zentren arbeiten 1600 Deutschkurse, Sonntagsschulen, Kinder- und Jugendclubs, Bibliotheken, schöpferische Zirkel und Interessengemeinschaften. Hier werden verschiedene Kultur-, Informations- und Umgangsveranstaltungen durchgeführt. Die 8 meisten Programme der Zentren sind nicht nur für Russlanddeutsche und ihre Angehörigen, sondern auch für die Vertreter anderer Nationalitäten offen und werden auf kostenfreier Basis durchgeführt. Dank dem Vorhandensein so eines Netzes der BZ haben Russlanddeutsche und ihre Angehörigen, die das wollen, die Möglichkeit für Deutschstudium, Aneignung der deutschen Kultur praktisch am Wohnort. Viele Zentren arbeiten mit staatlichen Organen vor Ort zusammen. Ein Teil von ihnen bekommt eine Unterstützung von den regionalen Administrationen. Von der überwiegenden Mehrzahl der BZ werden Projekte mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland abgewickelt. Einige regionale Zentren erhalten Fördermittel auch seitens des russischen Staates. Der wichtigste jährliche öffentliche Event für die Begegnungszentren der Russlanddeutschen ist in den letzten Jahren ein jährliches Forum der Begegnungszentren, das vom Internationalen Verband der deutschen Kultur (IVDK) veranstaltet wird. Ein großes Problem der BZ sind ungenügende grundlegende Bedingungen für die erfolgreiche Tätigkeit: Räume, Personalversorgung, Ausstattung. 9 Auf föderaler Ebene werden die Interessen der Russlanddeutschen von einer Reihe öffentlicher Vereinigungen vertreten. Die im Jahr 1991 gegründete Assoziation öffentlicher Vereinigungen „Internationaler Verband der deutschen Kultur“ (IVDK) vereinigt heute eine beträchtliche Zahl der Begegnungszentren in 57 Föderationssubjekten. Heute ist der Internationale Verband der deutschen Kultur die einzige anerkannte koordinierende Dachorganisation der Begegnungszentren der Russlanddeutschen. Seit 1992 wirkt der Verband aktiv bei der Umsetzung von Fördermaßnahmen für die deutschstämmige Bevölkerung mit, die von der russischen Regierung und der deutschen Bundesregierung für Deutschstämmige unternommen werden. Im Laufe dieser Jahre wurden vom IVDK über 700 Projekte abgewickelt. In 37 Regionen Russlands arbeiten mehr als 90 Klubs deutscher Jugendlichen. Auf föderaler Ebene werden die Interessen junger Russlanddeutscher von der 1997 gegründeten Überregionale gesellschaftliche Organisation „Jugendring der Russlanddeutschen“ (JdR) Der IVDK und der JDR arbeiten eng zusammen und kooperieren im öffentlichen Bereich und bei der Projektarbeit. 10 In 29 Subjekten der Russischen Föderation wurden auf der Grundlage des Gesetzes „Über National-Kulturelle Autonomien“ regionale national-kulturelle Autonomien der Russlanddeutschen gegründet. Rechtlich gehören die regionalen NKA zur 1997 gegründeten Föderalen National-kulturellen Autonomie der Russlanddeutschen (FNKA). Gleichzeitig sind 21 regionale Autonomien Mitglieder des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur. Gesetzgebung zugelassen. Dies wird Von der von der FNKA russischen wird keine Projektarbeit zugunsten der Russlanddeutschen geführt. Probleme und Widersprüche in den Beziehungen der öffentlichen Kräfte. Im Laufe des gesamten Bestehens der öffentlichen Vereinigungen der Russlanddeutschen (seit 1989) bestanden zwischen ihnen gewisse Widersprüche. Von außen gesehen, verbirgt sich ihr Grund in unterschiedlicher Zielsetzung, kurz zu sagen: entweder Wiederherstellung der Republik oder kulturelle Entwicklung der deutschen Minderheit. Für die künftige deutsche Minderheit ist die weitere Herausbildung der Selbstsorganisation der Russlanddeutschen von wichtiger Bedeutung. Eines der Probleme besteht hierbei 11 im Vorliegen verschiedener Standpunkte unter föderalen öffentlichen Vereinigungen. In der letzten Zeit wurde im Zuge des Bestrebens nach Konsolidierung der Begegnungszentren gerade auf Anregung des IVDK Regionale Koordinierungsräte der Begegnungszentren (Abkürzung RKK) gebildet, die berufen sind, wichtige Organe bei der Selbstorganisation und Selbstverwaltung der Begegnungszentren der 7 föderalen Verwaltungsbezirke der Russischen Föderation zu werden. Unter Bedingungen des riesigen russischen Raums und einer recht großen Zahl Russlanddeutschen der sollen öffentlichen Strukturen die als RKK der denjenigen Verbindungsgliedern agieren, die einerseits den BZ ihrer jeweiligen Region näher stehen und daher ihren Betrieb unter Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten koordinieren können. Andererseits sollen gerade die RRK die Anforderungen für die Durchführung der Politik auf föderaler Ebene gestalten. Besonders wäre anzumerken, dass sich in den RRK auf demokratischer Grundlage Zentren und Organisationen verschiedener Form zusammengeschlossen haben: Hier arbeiten die NKA und Begegnungszentren zusammen, die den auf föderaler Ebene gegenseitig entgegenstehenden Verbänden der Russlanddeutschen angehören. Somit sind die RRK in der Lage, 12 als Konsolidierungspunkte der bis heute zersplitterten öffentlichen Bewegung der Russlanddeutschen zu agieren. Für die künftige deutsche Minderheit ist die Einrichtung eines effizienten und demokratischen Systems der Selbstorganisation der Russlanddeutschen von strategischer Bedeutung. Unter realen Bedingungen der Russischen Föderation kann so ein System nur auf der Basis der Begegnungszentren aufgebaut werden. Informationsraum der Russlanddeutschen. In den Regionen Russlands werden für Russlanddeutsche mit einer Auflage von jeweils bis 1500 Exemplaren eine Reihe russisch- und deutschsprachiger Zeitungen herausgegeben, unter denen zwischenregionale wie die «Sankt-Petersburger Zeitung» (St.-Petersburg), «Rundschau» (Uljanowsk), «Sibirische Zeitung» (Nowosibirsk), "Neues Leben" (Moskau) und lokale wie «Ihre Zeitung» (Deutscher Nationalrayon Asowo, Gebiet Omsk) , «Zeitung für Dich» (Barnaul) und Neue Zeit“ (Deutscher Nationalrayon im Altaj) zu nennen sind. Eine führende Rolle beim Informieren der deutschstämmigen Bevölkerung gehört dem Internationalen Verband der deutschen Kultur, der alle öffentliche BZ der Russlanddeutschen seit vielen Jahren gezielt eine ganze Reihe 13 der Medien für die deutsche Minderheit herausgibt und verbreitet, nämlich: - Московская немецкая газета / Moskauer Deutsche Zeitung hat zum Ziel, den Informationsgrad der deutschen Bevölkerung zu steigern und ihren Bedarf an deutschsprachigen Periodika zu decken. Die Herausgabe von MDZ / МНГ ist ferner ein wichtiger Beitrag der Russlanddeutschen zur Entwicklung der deutsch-russischen Zusammenarbeit. - methodisches Informationsbulletin „Sodruzhestwo“ (Gemeinschaft), wird für die Aktivisten und Besucher der BZ herausgegeben; “wissenschaftliches Informationsbulletin“, wird für die Forscher in der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen herausgegeben. - Мethodisches Bulletin "Deutsch Kreativ", setzt sich zum Ziel, das berufliche Niveau der Deutschlehrer zu steigern; - zur Verbesserung des Deutschstudiums durch Kinder und Jugendliche wird eine Reihe deutschsprachiger Zeitschriften herausgegeben, die an russisches Schulsystem stark angepasst sind, nämlich: "Schrumdi" für Kinder von "Schrumdirum" für Kinder von 6-9 Jahren, 8-13 Jahren und "Warum Darum" für Jugendliche von 13-17 Jahren. 14 Die Gesamtjahresauflage der Periodika des IVDK beträgt ca. 600 Tausend Exemplare. Im Internet-Raum sind die Russlanddeutschen in Russland unter www.rusdeutsch.ru in russischer und deutscher Sprache präsent. Es funktionieren auch andere Internetauftritte der Organisationen der Russlanddeutschen. Deutsche Nationalrayons: 1991-92 wurden auf Verordnung des damaligen Obersten Sowjets Russlands in Sibirien zwei Deutsche Nationalrayons gegründet: der Deutsche Nationalrayon Asowo im Gebiet Omsk und der Deutsche Nationalrayon in der Region Altaj mit Halbtstadt als Verwaltungszentrum. In erster Linie dank der kompakten Ansiedlung wurden in den beiden Regionen gute Rahmenbedingungen für die Erhaltung der kulturellen Identität geschaffen. Die Rayons sind wichtige Zentren der ethnischen Konsolidierung der Russlanddeutschen Sibiriens. Dabei ist ihre Rolle im Leben der deutschen Minderheit allgemein nicht so bedeutend. In erster Linie hängt dies damit zusammen, dass auf den Territorien der beiden Rayons lediglich ca. 13,0 Russlanddeutsche und ihre Angehörigen leben, was einen Anteil von 2% von der Gesamtzahl der deutschstämmigen Bevölkerung Russlands ausmacht. 15 Religiöse Gemeinden. In vielen Städten und Siedlungen sind im letzten Jahrzehnt religiöse Gemeinden entstanden, die auch von Russlanddeutschen und ihren Angehörigen besucht werden. In einer Begegnungszentren Reihe und der Standorte kirchliche arbeiten Organisationen die aktiv zusammen. Dabei ist zu beachten, dass die Russlanddeutschen und ihre Angehörigen einen recht niedrigen Prozentsatz innerhalb der gesamten Zahl ihrer Besucher ausmachen. Heute kommt unter Bedingungen einer äußerst dispersen Ansiedlung der deutschen Minderheit die führende Rolle in den Fragen der Erhaltung Zusammengehörigkeit der der kulturellen Identität Russlanddeutschen und den Begegnungszentren zu. Die BZ bilden diejenigen unikalen Strukturen, die es den meisten Russlanddeutschen und ihren Angehörigen erlauben, am Wohnort Deutsch zu lernen, ihre kulturelle Identität zu pflegen und zu entwickeln, der heranwachsenden Generation Kulturtraditionen zu überliefern und somit in einem gewissen Maße die nationalen Besonderheiten nachzuholen, die einst eingebüßt wurden. Für die Begegnungszentren besteht keine reale Alternative. 16 4. Aktuelle Probleme der heutigen Entwicklung der deutschen Minderheit in Russland. Rehabilitation. Rechtliche Lage der Russlanddeutschen. Eine große Bedeutung für die Zukunft der deutschen Minderheit hat ihre reale Rehabilitation. Es ist anzumerken, dass in dieser grundsätzlichen Frage dramatische Kollisionen zwischen der rechtlichen Rehabilitation der Russlanddeutschen als Einzelpersonen und der effektiven Rehabilitation der gesamten Ethnie der Russlanddeutschen, zwischen dem Inhalt der von der Russischen Föderation verabschiedeten Gesetze und der Praxis ihrer Umsetzung sowie zwischen deklarierten Absichten und den erzielten praktischen Ergebnissen entstehen. Heute sind Russlanddeutsche gleichberechtigte Staatsbürger der Russischen Föderation, haben gleiche Rechte wie auch andere Bürger, diese sind durch das einheitliche Grundgesetz und Gesetzesakte festgelegt. Es gibt keine Diskriminierung nach dem nationalen Prinzip mehr. Soll es etwa bedeuten, dass Russlanddeutsche voll rehabilitiert worden sind? Da gebe ich zur Antwort: Nein. So was bedeutet es nicht. Heute wird die rechtliche Lage der Russlanddeutschen durch eine Reihe interner Gesetzesakte und internationaler Verpflichtungen des russischen Staates geregelt. 17 Einerseits wurde eine ganze Reihe der Gesetzesakte und Präsidialerlasse verabschiedet, die eine gewisse Grundlage für die Prozesse der praktischen Rehabilitation bilden. Darüber hinaus wurde von der Russischen Föderation eine Reihe internationaler Verpflichtungen Dokumente bei der unterzeichnet, in denen Unterstützung der sie nationalen Minderheiten übernehmen. Trotz der Vielzahl der Dokumente ist festzustellen, dass die unternommenen Bemühungen noch keine zu erwartenden Ergebnisse zeigten. Die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Selbsterhaltung der Ethnie, für eine stabile Entwicklung der deutschen Minderheit sind noch nicht im vollen Umfang geschaffen worden. Somit bleibt die Frage nach einer vollen politischrechtlichen Rehabilitation der Russlanddeutschen als eines Volkes, ihrer praktischen Ergebnisse für die heutigen Generationen und der Einflussnahme auf die Zukunft der deutschen Minderheit nach wie vor offen. Ein weiteres Thema, das bis vor kurzem breite öffentliche Diskussion hervorrief, ist das Projekt der Wiederherstellung der Republik der Wolga-Deutschen. Im Prinzip könnte man auch denjenigen zustimmen, die behaupten, dass es bei kompakter Ansiedlung viel einfacher wäre, die kulturelle Identität der 18 deutschen Minderheit zu pflegen und zu entwickeln. Es steht außer jedem Zweifel, dass die Republik den Russlanddeutschen gesetzeswidrig genommen wurde. Die Repressalien waren verbrecherisch. Bereits Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bestanden wirklich Chancen für die Wiederherstellung einer territorialen Autonomie in der WolgaRegion. Die Frage ist nur, wie realistisch dieses Projekt unter heutigen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen wäre? Wie reimt es sich mit den allgemeinen Interessen und Tendenzen des Staates zusammen, dessen Bürger Russlanddeutsche sind? Wären viele der 600 Tausende Russlanddeutschen bereit, ihre bereits eingerichteten Wohnorte zu verlassen, um in einer neuen Gegend das Leben neu zu beginnen? Und schließlich die allerwichtigste Frage: Ist es möglich, auf diesem Wege das angestrebte Resultat, nämlich die Erhaltung und Entwicklung der deutschen Minderheit zu erreichen? Seit 50 Jahren leben die Kalmyken nach der Rückkehr aus ihren Deportierungsorten kompakt. Die Prozesse des Verlustes der nationalen Identität und Muttersprache nehmen aber staendig zu. Trotz des Vorhandenseins eines Territoriums entwickeln sich die Assimilationsprozesse bei Mordwinen, Tschuwaschen, Mari, Chakassen und einer Reihe anderer Völker 19 Russlands. Daraus kann man schlussfolgern, dass es nicht allein an der kompakten Ansiedlung liegt. Das Projekt der Wiederherstellung der Republik ist auch aus rechtlicher Sicht aussichtlos. Das 1993 angenommene Grundgesetz ist auf den Aufbau der neuen russischen Staatlichkeit auf den Grundsätzen des Föderalismus und der lokalen Selbstverwaltung ausgerichtet. Es setzt keine Schaffung territorialer Gebilde nach dem nationalen Prinzip. Die künftige Lösung nationaler Probleme wird ausschließlich auf dem Wege der national-kulturellen Entwicklung gesehen. Bedeutende Kompetenzen werden in dieser Frage den Regionen und der lokalen Selbstverwaltung gegeben. Somit wäre die Wiederherstellung der territorialen Staatlichkeit der Russlanddeutschen nur durch Änderung der geltenden Verfassung durch eine Umwendung heutiger Vektoren der internen Entwicklung des Staates möglich. Dazu gibt es in der Gesellschaft keine einflussreichen öffentlichen Kräfte, die so ein Projekt unterstützen würden. Und schließlich hält heute nur ein unbedeutender Teil der Russlanddeutschen (ältere Personen) dieses Projekt für realistisch und aktuell. Dabei ist die Zahl derjenigen, die bereit wären, selbst in die Republik umzuziehen, sehr gering. Dabei wäre anzumerken, dass die meisten Leute sich für die 20 Notwendigkeit einer Fortsetzung der praktischen Rehabilitation der deutschstämmigen Bevölkerung ausgesprochen haben, und sie sprachen sich aus, dass dazu die Fördermaßnahmen seitens der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland weiter weitergeführt werden sollen. Fördermaßnahmen für die deutsche Minderheit. Fördermechanismen. Von der russischen und der deutschen Regierungen werden die Maßnahmen zur Unterstützung der Russlanddeutschen im Rahmen des Deutsch-Russischen Regierungskommission für Angelegenheiten der Russlanddeutschen abgestimmt und auf der Grundlage eines besonderen Protokolls über Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland vom 10.07.1992 realisiert. Neben den Vertretern der involvierten Ministerien und Ämter der beiden Länder gehören der Kommission repräsentative Vertreter der öffentlichen Organisationen der Russlanddeutschen an (heute sind es der IVDK und die FNKA). Die deutschstämmige Bevölkerung des Landes wird von der russischen Regierung unterstützt. Es wurde das Föderale Zielprogramm der Wiedergeburt der sozial-ökonomischen und kulturellen Basis der Russlanddeutschen für den Zeitraum von 21 1997-2006 angenommen, Präsidialprogramms das bekam. den Seit Status 1990 eines erhalten Russlanddeutsche auch eine Förderung seitens der deutschen Bundesregierung. Heute beträgt die deutsche Förderung ca. € 10 Mio. im Jahr und wird in die Umsetzung der Projekte zur Erhaltung der deutschen Kultur, Muttersprache und Traditionen, Unterstützung der Jugend- und Bildungsprogramme investiert. Die Umsetzung der Projekte erfolgt über das System der Begegnungszentren. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts wurden die Fördermittel für Russlanddeutsche seitens der Bundesrepublik Deutschland fast um das 5fache (!) abgebaut. 2007 hat der Rückgang der Fördermittel zugunsten der deutschen Minderheit erstmals in den letzten Jahren aufgehört und die Zahlen haben sich stabilisiert. Dies ist in einem großen Maße durch die Bemühungen des neuen Beauftragten der deutschen Bundesregierung für die Angelegenheiten der Umsiedler und nationalen Minderheiten Hrn. Dr. Ch. Bergner möglich geworden. Es wäre anzumerken, dass ein weiterer Abbau der Fördermittel durch die deutsche Seite einen akuten Mangel an Mitteln für die Tätigkeit des Netzes von Begegnungszentren zur Folge haben und infolge dessen die Prozesse eines teilweisen 22 Verlustes des im Laufe der letzten Jahre aufgebauten Potentials der deutschen Minderheit in Gang setzen würde. 5. Schussfolgerungen. 1. Aus historischen Gründen werden heute Russlanddeutsche weder durch sprachliche Gemeinsamkeit, noch durch kompakte Ansiedlung zusammengehalten. In erster Linie liegen der kulturellen Identität und Zusammengehörigkeit der deutschen Schicksals, Minderheiten des die historischen Gemeinsamkeit ihres Gedächtnisses, das Zugehörigkeitsgefühl, die Familientraditionen, Überlieferungen der Vertreter der älteren Generationen, insbesondere die über durchgemachte Strapazen und Ungerechtigkeit zugrunde. Von großer Bedeutung ist die kulturelle Anziehungskraft der historischen Heimat, persönliche Beziehungen zu Verwandten, die nach Deutschland ausgesiedelt sind. 2. Der Verlust durch viele Russlanddeutsche der Muttersprache und Kulturtraditionen war nicht die Folge ihrer Bereitschaft, auf ihre nationale Kultur und gar auf ihr Deutschtum zu verzichten. Es war ein direktes Ergebnis der stalinistischen repressiven Politik und ist untrennbar mit den 23 Folgen des Zweiten Weltkrieges verbunden. Infolge von Deportierungen, langjährigen Repressalien und Diskriminierungen sind Russlanddeutsche immer noch nicht in der Lage, ihre kulturelle Identität selbst zu erhalten und zu entwickeln. 3. Die den Russlanddeutschen von den Regierungen der beiden Länder zuteil werdende Unterstützung ermöglichte die Schaffung einiger ethnokulturelle erforderlich Anfangsvoraussetzungen, Wiedergeburt waren, und der die für die Russlanddeutschen stabilisierte die Lage der deutschstämmigen Bevölkerung in den Orten ihrer heutigen Ansiedlung. Jedoch ist es noch nicht gelungen, einen entscheidenden Erfolg zu erreichen, nach dem die Prozesse der Wiederherstellung und Entwicklung der kulturellen Identität und Zusammengehörigkeit der Russlanddeutschen auf einer autonomen Grundlage ablaufen würden. Aus diesem Grund soll die praktische Rehabilitation der Russlanddeutschen fortgesetzt werden. Russlanddeutsche benötigen die Fortsetzung der Fördermaßnahmen seitens der beiden Staaten. 4. Deutschland übernahm die Verantwortung für die Folgen des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges und bekundete nach dem Fall des Eisernen Vorhangs seine Solidarität mit 24 deutschen Minderheiten im Ausland. Die Russlanddeutschen haben Anspruch auf die Fortsetzung der Unterstützung. 5. Ziel dieser Fördermaßnahmen, Hauptpunkt für die Anwendung von Bemühungen der beiden Staaten soll die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Erhaltung und Entwicklung der kulturellen Identität und Zusammengehörigkeit der Russlanddeutschen in den Orten ihrer Ansiedlung werden, wobei sie sich auf die demokratische Selbstorganisation der deutschen Minderheit stützen. 6. Das kann nur über das Netz der Begegnungszentren erreicht werden. Mangels kompakter Ansiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung profilieren sich diese als Stützpunkte der ethnischen Konsolidierung der deutschen Minderheit. Es liegt auf der Hand, dass das System der BZ nicht in der Lage ist, all die Möglichkeiten voll auszugleichen, die es bei kompakter Ansiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung sowie bei Vorhandensein der vor dem 2.Weltkrieg vorliegenden sozial-kulturellen Infrastruktur gegeben hatte. Gleichzeitig kann man mit Zuversicht sagen, dass es den Begegnungszentren im Maßstab der gesamten Ethnie der Russlanddeutschen und auch landesweit keine reale Alternative gibt. 25 7. Die weitere Entwicklung der Begegnungszentren soll sich in der nächsten Phase vor allem auf die Schaffung erforderlicher Voraussetzungen für eine vollwertige, effiziente Arbeit, Verbesserung der Arbeitsinhalte, der Kommunikation und Koordinierung zwischen ihnen konzentriert werden. 6. Vorstellungen über weitere Entwicklung der deutschen Minderheit. Neue aktuelle Punkte der Kraftanwendung 1. Stärkung des Netzes von Begegnungszentren. Stabilisierung ihrer Arbeit. In den Zentren sollen erforderliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um allen Interessenten aus der Zahl der Russlanddeutschen reale Möglichkeiten für Deutschstudium, Aneignung der deutschen Kultur und Traditionen, Erhaltung des historischen Gedächtnisses zu geben. 2. Entwicklung der Selbstorganisation der Russlanddeutschen. Die demokratischen Prozesse der weiteren Herausbildung der Selbstorganisation der Russlanddeutschen sollen weiterentwickelt werden. In der Perspektive soll von der deutschen Minderheit eine einheitliche leistungsstarke Selbstorganisation geschaffen werden, die auf der Basis der Begegnungszentren funktioniert. Zu stärken ist die Rolle der 26 Selbstorganisation bei der Besprechung und politischen Beschlussfassung zugunsten der Russlanddeutschen. Die auf legitimen Foren kollegial getroffenen Vorschläge der Begegnungszentren sollen einen wichtigen Teil des neuen Konzeptes der deutschen Bundesregierung über Unterstützung der deutschen Minderheiten in postsowjetischen Ländern bilden. Konkrete Fördermaßnahmen zugunsten des Netzes von Begegnungszentren sollen in einem größeren Maße auf realen Bedürfnissen und Belangen der Zentren selbst basieren und dem Standpunkt der Selbstorganisation der BZ verstärkt Rechnung tragen. 3. Verstärkte Einbindung der BZ in die bilaterale deutschrussische Zusammenarbeit. Die kulturelle Anziehungskraft der historischen Heimat ist eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Erhaltung und Entwicklung der deutschen Minderheit in Russland. Mit der Zeit sollen sich die BZ immer mehr als unmittelbare Teilnehmer einer sich ausweitenden deutsch-russischen kulturellen Zusammenarbeit, als richtige Freundschaftsbrücken zwischen den Völkern der beiden Länder etablieren. 4. Partnerschaften der Begegnungszentren. Heute sind viele russlanddeutsche Familien zerrissen. Ein Teil ihrer Mitglieder bleibt in Russland oder in anderen GUS 27 Ländern, ein anderer Teil wandert nach Deutschland aus. In dieser Situation ist es wichtig, Zusammenarbeit zwischen den Russlanddeutschen anzubahnen, die im riesigen europäisch- asiatischen Raum verstreut sind. Eine besondere Rolle kommt dabei den Partnerschaften zwischen den Begegnungszentren der Deutschen in der GUS und den Ortsgruppen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland zu. 5. Künftig soll die Rolle der BZ als Zentren für die Verbreitung der deutschen Sprache und Kultur, der praktischen Kenntnisse über das heutige Leben in Deutschland kontinuierlich gesteigert werden. Die BZ sollen sich als reale Treffpunkte für lebendige praktische humanitäre Zusammenarbeit und Partnerschaft mit der Bundesrepublik Deutschland etablieren. 6. Verstärkung der Kinder- und Jugendarbeit Ausbau des Schul- und Jugendaustausches. Bei einer effektiven Entwicklung dieser Richtung bekommen wir hochgebieldete, zweisprachige junge Leute, mit Kenntnis der Möglichkeit, Kulturtraditionen zur Annäherung und geben zwischen ihnen die Russland und Deutschland sowie zwischen Russland und dem vereinten Europa beizutragen.