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Psychologen warnen vor einer schleichenden
Durchlöcherung der Menschenrechte
Zur Debatte um Folterungen
Jeden Tag präsentieren die US-amerikanischen Medien neue Erkenntnisse über die Vorgänge
in irakischen Gefängnissen. Immer deutlicher wird, dass es sich nicht um die Entgleisung
einzelner Soldaten, sondern um ein systematisches Vorgehen handelt, dass den Willen der
Gefangenen vor den Verhören brechen sollte. Entschuldigungen hoher Regierungsvertreter,
Untersuchungen, erste Gerichtsverfahren und Verurteilungen zeigen die Funktionstüchtigkeit
der amerikanischen Demokratie. Leicht könnte der Eindruck entstehen, das Problem sei
damit gelöst. Doch dem ist nicht so.
Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) verweist auf Wurzeln
von Folterungen und Menschenrechtsverbrechen, die durch öffentliche Verurteilungen und
Entschuldigungen nicht beseitigt werden. Soldaten sind zur Gewaltanwendung ausgebildet.
Ihre
Hemmschwellen
und
zivilgesellschaftlich
Werthaltungen
sind
durch
die
Spezialausbildung und eine abgeschlossene Organisationskultur, wie sie für das Militär
typisch ist, herabgesetzt; Sozialpsychologen sprechen von einer "Sondermoral" des Militärs.
Im Einsatz stehen Soldaten zudem unter extremem Stress und permanenter Überforderung.
Zugleich haben sie ständig die technischen Mittel und diverse Gelegenheiten zu
Menschenrechtsverletzungen, an deren Aufdeckung ihre Vorgesetzten keinerlei Interesse
haben. Diese Belastungs- und Handlungsbedingungen führen bei längeren Einsätzen zu einer
Eskalation in allen Armeen.
Die Einübung von Gehorsam und Befehl mindert zudem persönliches Verantwortungserleben.
Die Schuld kann immer auf Vorgesetzte abgeschoben werden. Zudem ist die militärische
Hierarchie für autoritär-konformistisch strukturierte Persönlichkeiten attraktiv, was zu einer
einheitlichen Subkultur in bewaffneten Organisationen beiträgt, die Duldung und
Vertuschung unterstützt. Bekannte psychologische Studien wie das "Gefängnis-Experiment"
und das "Gehorsams-Experiment" zeigen hierzu die gleichen Befunde wie Forschungen über
deutsche Täter im II. Weltkrieg, die Kriegsverbrecher bei anderen Konflikte (z.B. My Lai) und
die Folterer in diktatorischen Regimes: Auch bislang unauffällige Personen können von
diesem situativen Handlungsfeld in erschreckend kurzer Zeit zu Gewalt, Schikane und
Verbrechen hingeleitet werden.
Folterer fühlen sich häufig ganz im Einklang mit Kognitionen und Orientierungen ihrer
Gesellschaft. Diese Harmonie wird medial unterstützt durch ein Feindbild von Orient und
Islam, das aus Facetten wie Barbarei, Massenwahn und gewalttätiger Religiosität,
Unterdrückung der Frau, Terrorismus, absurdem Luxus und wissenschaftlich-technischer
Zurückgebliebenheit besteht. Ein solches Feindbild führt zur Abwertung des individuellen
Anderen. Zu den gesellschaftlichen Normen, die Gewaltbereitschaft begünstigen, gehören
weiter Erfolg und soziale Dominanz als Leitwerte westlicher Industriegesellschaften. Macht
und die Verfügung über andere Menschen ist außerdem mit der sozialen Konstruktion von
Männlichkeit und Führungsrollen verknüpft. Und schließlich ist unsere Kultur von Gewalt,
Sexualität und ihren Durchmischungen fasziniert, sie spielt mit Tabubrüchen, auch bei der
Verletzung körperlicher Grenzen. Alle diese soziokulturellen Wertmuster lockern das
persönliche Unrechtsbewusstsein der Folterer und ihrer Vorgesetzten.
Die Schaffung rechtsfreier Räume gehört mittlerweile zum offiziellen Konfliktverhalten der
amerikanischen Armee, das zeigt neben Abu Ghraib auch Guantanamo. Auch in
Großbritannien sind Terrorverdächtige inzwischen ohne jeden Rechtsschutz isoliert und
inhaftiert. Psychologisch gesehen, wäre es trotzdem eine unredliche Selbstentlastung, allein
die Interventionsstaaten anzuklagen. Auch in Deutschland wird unverblümt Folter und die
Aussetzung von Bürgerechten in Betracht gezogen, um Terrorismus zu bekämpfen. Prof.
Wolffsohn von der Bundeswehrhochschule München hat sich in diesem Kontext für Folter
ausgesprochen und sich erst nach öffentlicher Kritik relativierend geäußert. Mit Folter
gedroht hat auch Frankfurts stellvertretender Polizeipräsident Daschner, als er im Fall des
entführten Bankierssohns Metzler dem (zu diesem Zeitpunkt) mutmaßlichen Täter eine
Aussage abringen wollte. In vielen Fernsehfilmen verhindert Folter terroristische Anschläge
oder erleichtert Geiselbefreiungen und dient damit indirekt ihrer Rechtfertigung. Dies ist ein
Rückschritt auf eine zivilisatorische Stufe, die mit Inkrafttreten der Genfer Konvention 1949
als überwunden galt. Ihr Grundsatz: der Zweck heiligt nicht die Mittel. Nur Terroristen
folgten seitdem einer gegenteiligen Überzeugung.
Aus psychologischer Sicht ist das eine für die Zivilgesellschaft bedrohliche Entwicklung. Mit
zerrütteten Menschenrechten lässt sich kein einziger Terrorist abschrecken oder einfangen.
Menschenrechte sind der wichtigste Prüfstein auch für die innergesellschaftliche
Menschlichkeit eines Landes, einer Kultur: für den Schutz von Schwächeren und
Minderheiten, für Toleranz und interkulturelle Offenheit, für psychosoziale Kompetenzen wie
Perspektivenwechsel
und
Einfühlungsvermögen,
für
Verantwortlichkeitsund
Gerechtigkeitsmotive, für die Selbstkontrolle aggressiver Dominanzimpulse. All das prägt
auch das Zusammenleben und die Qualität des Umgangs in unserem Land, in unserem
Alltag. Menschenrechte aufzugeben bedeutet aus psychologischer Sicht: soziale Bindung und
Lebensqualität aufzugeben.
Es ist daher erforderlich, Menschenrechtsverletzungen zu erschweren, auch in
internationalen Konflikten. Nach dem Forschungsstand der Politischen Psychologie sind vor
allem folgende Ansatzpunkte erfolgversprechend:
1. Konfliktprävention und Mediation.
2. Unabhängige Kontrollkommissionen mit Inspektionsrechten, unter Federführung von
Menschenrechtsorganisationen. Sie stellen Öffentlichkeit her, schwächen die
Schweigemauern der Wir-Gruppen und unterstützen Perspektivenwechsel und die
Vergegenwärtigung demokratischer Grundwerte.
3. Präventive Organisationsentwicklung in den bewaffneten Staatsorganen mit bottomup-Strategien, Techniken und Zielen struktureller Demokratisierung.
4. Einsatz qualifizierter Friedenskräfte mit fundierter Ausbildung in interkultureller
Konfliktbearbeitung. Sie können wirkungsvoll den Aufbau von Zivilverwaltungen,
demokratischen Gremien, Infrastruktur und Bildungswesen unterstützen.
5. Stärkung der Qualitätskontrolle der Medien. Mehr als Selbstverpflichtungserklärungen
haben sich Beobachtungsgruppen ("Media Watch") als wirksam erwiesen.
Gesellschaftliche Akteure und Minderheiten sollten stärker an Aufsichtsgremien und
Programmgestaltung beteiligt und die Privatmedien klarer verpflichtet werden,
unseriöse Feindbilder abzubauen. Embedded journalism verzerrt die Wirklichkeit und
erschwert rationale politische Entscheidungen: Zuschauer und Entscheidungsträger
erblinden gleichermaßen.
Thomas Kliche, Christa Schaffmann
Pressemitteilung 5/04 vom 25. Mai 2004
Diesen Text finden Sie auch im Internet: BDP-Verband.org/bdp/idp/2004-03/07.shtml
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