Anlage Einführende Stellungnahme zur mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2010 Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Berichterstatter, sehr geehrte Damen und Herren Richter am Bundesverfassungsgericht, Wir danken dem Senat, dass er eine mündliche Verhandlung zugelassen hat. Das gemeinsame Rechtsgespräch über die Verflechtung komplexer verfassungs- und unionsrechtlicher Fragen erscheint sinnvoll. Es kann bei der Suche nach dem richtigen Platz Deutschlands im gemeinsamen europäischen Asylsystem helfen. Vor 15 Jahren wurde in diesem Saal über das neue Asylrecht der Verfassung verhandelt. Damals bestätigte der Senat die Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers, die Einzelfallprüfung der Sicherheit in Mitglied- und Drittstaaten abzuschaffen, mit der Schaffung des Konzepts der „normativen Vergewisserung. Bestätigt wurde auch die Abschaffung des Eilrechtsschutzes. Nur 17 Monate nach dem Urteil des Senates wurde der Amsterdamer Vertrag verabschiedet. Deutschland hat mit Zustimmung zu diesem Vertrag seine Hoheitsrechte für „Asyl und Einwanderung“ auf die Gemeinschaft übertragen. Einen eigenständigen Sachbereich, der vom Zustimmungsakt nicht erfasst worden wäre, jedenfalls soweit es um die Überstellung zwischen Mitgliedstaaten geht, besteht nicht mehr. Damit hat sich die verfassungsrechtliche Situation gegenüber 1993 grundlegend verändert. Seitdem ist das deutsche Asylrecht ein Bauelement im europäischen Asylsystem, das dem Grundrecht auf Asyl nach Art. 18 der Charta zur praktischen Wirksamkeit verhilft. Beruht das Asylrecht auf der Integrationsermächtigung des Art. 23 Grundgesetz, sind die bisherigen Überlegungen zum Konzept normativer Vergewisserung des Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz überholt; und damit auch die Frage, ob angesichts der verfassungsunmittelbaren Sicherheitsvermutung überhaupt eine Durchbrechung – und in welchem Umfang – gegenüber Mitgliedstaaten zulässig ist. Es gibt keine „sicheren Drittstaaten“ im Sinne der Verfassung mehr. Die verbliebenen, Norwegen und die Schweiz, kooperieren mit der Union. Der Rechtsverkehr zu diesen regelt sich nach Art. 16a Abs. 5 Grundgesetz. Die Klärung der Frage nach dem verfassungsrechtlichen Ort des deutschen Asylrechts ist damit für die nachfolgende Diskussion von grundlegender Bedeutung. Sie ist mit dem einhelligen Schrifttum und der Lissabonentscheidung zugunsten der Integrationsermächtigung zu beantworten. Der Senat verweist auf den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit: Danach will das Grundgesetz eine europäische Integration. Es steht nicht im Belieben der deutschen Verfassungsorgane, sich an der europäischen Integration zu beteiligen oder nicht. Die vom Grundgesetz gewollte Integration hat den Übergang der Zuständigkeit für Asyl und Einwanderung auf die Union zur Folge und verdrängt entgegenstehendes nationales Recht. Damit richtet sich die Frage der Überstellung von Asylsuchenden an Mitgliedstaaten nicht mehr nach der Drittstaatenregelung des Art. 16a Abs. 2, sondern nach Art. 23 des Grundgesetzes und damit nach den Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Die zweite Frage wird durch die Behauptung der Bundesregierung aufgeworfen, einschlägiges Sekundärrecht normiere stillschweigend ein Konzept normativer Vergewisserung. Allein damit hat sie aber noch nicht Beweis geführt, dass Unionsrecht auch die Abschaffung des Eilrechtsschutzes zulässt. Und die These von der – auf Mitgliedstaaten bezogenen unionsrechtlichen Sicherheitsgeltung ist bereits angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der in gefestigter Rechtsprechung lediglich von einer – widerleglichen - Vermutung der Konventionstreue der Mitgliedstaaten ausgeht, mehr als fraglich. Dies war wohl auch der Grund, warum die Mitgliedstaaten eine Normierung der Sicherheitsgeltung in der Verordnung Dublin II abgelehnt und lediglich einen unbestimmten Hinweis in die Erwägungsgründe hineingeschrieben haben. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes können Erwägungsgründe aber nicht die fehlende Rechtsgrundlage im Normenteil eines Rechtsaktes ersetzen. Die dritte Frage zielt darauf, ob im anhängigen Verfahren eine vorherige unionsrechtliche Klärung herbei geführt werden muss? Inzwischen haben das Berufungsgericht im Vereinigten Königreich und der Oberste Gerichtshof der Republik Irland dem Europäischen Gerichtshof Fragen vorgelegt, deren Klärung sie vor einer Überstellung von Asylsuchenden an Griechenland für erforderlich erachten. Wegen der Vielzahl von einstweiligen Anordnungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte haben überdies Belgien, die Niederlande, Norwegen und das Vereinigte Königreich Überstellungen von Asylsuchenden an Griechenland ausgesetzt. Ist zur schlüssigen Behauptung der Verletzung eines unionalen Schutzanspruchs durch Verweigerung von Eilrechtsschutz eine inhaltliche Klärung der Souveränitätsklausel von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung erforderlich oder kann diese dem anhängigen Hauptsacheverfahren überlassen bleiben? Der Beschwerdeführer beruft sich auf eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes. Enthält die Verordnung keine subjektiven Rechte, wäre eine Rechtsverletzung nicht möglich. Sollte der Senat der entsprechenden Behauptung der Bundesregierung folgen wollen, wäre zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten eine vorherige Klärung durch den Gerichtshof herbeizuführen. Diese Frage kann möglicherweise dahinstehen, wenn ihre Klärung nicht Voraussetzung einer zulässigen Grundrechtsrüge nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes ist, weil der Senat die Möglichkeit aus der Verordnung folgender subjektiver Recht nicht ausschließt. Das Unionsverfassungsrecht ist in der Frage des Eilrechtsschutzes eindeutig. Ohne die Rechtsmacht, den unionalen Schutzanspruch gerichtlich effektiv durchzusetzen, bleibt Schutzbedürftigen der „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ verschlossen. Der Gerichtshof hat deshalb den nationalen Richter wiederholt angewiesen, eine nationale Norm, die den Eilrechtsschutz ausschließt, nicht anzuwenden. Vielmehr ist dem Grundrecht auf Rechtsschutz nach Art. 47 der Charta zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen. Dazu verpflichtet auch die nationale Rechtsschutzgarantie. Die gerichtliche Durchsetzbarkeit ist Bestandteil des materiellen Grundrechts auf Asyl nach Art. 18 der Charta. Die deutschen Gerichte werden damit als europäische Gerichte aktiv; sie verstärken den europäischen Rechtsschutz mithilfe der nationalen Rechtsschutzgarantie. Die Bundesregierung befürchtet, dass die Funktionsfähigkeit des Dubliner Systems gefährdet würde, wäre der Eilrechtsschutz gegen Überstellungen statthaft. Nun, seit Anwendung dieses Systems zunächst mit dem Schengener Durchführungsübereinkommen am 26. März 1996 bis zum 27. August 2007, also über elf Jahre, war der Eilrechtsschutz gegen Überstellungen nach dem AsylVfG zugelassen, ohne dass das Dubliner System aus den Fugen geraten wäre. In allen anderen Mitgliedstaaten ist der Eilrechtsschutz ebenfalls zugelassen. Nicht die Beibehaltung des Eilrechtsschutzausschlusses gefährdet das europäische Asylsystem, sondern der vom Unionsverfassungsrecht nicht legitimierte Entzug von Rechtsschutz. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts stellte sich selbst in Frage, wenn er die Abschaffung des Rechtsschutzes zulassen würde. Vielen Dank, R.Mx, 28. Okt. 2010