Interview Serdar Somuncu

Werbung
Interview Serdar Somuncu
Religion als zweischneidiges Schwert
Der deutsch-türkische Kabarettist Serdar Somuncu berichtet über seine Erfahrungen
von seiner jüngsten Tournee in der Türkei, die dortige Ikonisierung Atatürks und den
gegenwärtigen Karikaturenstreit zwischen dem Westen und der islamischen Welt.
Was bringst Du in der Türkei von deinem Programm auf die Bühne?
| Bild:
Was in diesen Tagen wegen des Karikaturenstreits passiert, hat wenig mit Religion, als
vielmehr mit einer Identitätskrise in der Region zu tun, meint Serdar Somuncu | Serdar
Somuncu: Das gleiche wie hier auch. Ich lese zwei, drei Geschichten aus meinem Buch
"Getrennte Rechnungen" und erzähle zwischendurch Anekdoten aus meinem Leben. Ich
ändere nichts, weil ich es wichtig finde, dass gerade diese Geschichten auch in der Türkei
funktionieren, und das tun sie auch.
Die Menschen haben dort einen ähnlichen Horizont wie bei uns. Und wenn sie keinen haben,
dann ist das nicht abhängig davon, dass sie Deutsche oder Türken sind. Was ich festgestellt
habe, ist, dass sich die Leute in der Türkei sehr gut auskennen. Man kann viel über
Deutschland und deutsche Interna erzählen, zum Beispiel über tagespolitische Dinge, weil
sich die Menschen dafür interessieren.
Welche Unterschiede gibt es zwischen dem Humor der Deutsch-Türken der zweiten
Generation in Deutschland und deinem Publikum in der Türkei?
Somuncu: Ob man in England, in Frankreich, der Schweiz oder sonst wo liest - der Humor
der Menschen, die in die Vorstellungen kommen, ist immer unterschiedlich. Was aber gleich
ist - egal wo man liest - ist, dass die Zuschauer spüren, dass man ein ernstes Anliegen hat.
Und auf diesem Transparent kann man sehr viel mehr erzählen, ohne dass es die Zuschauer
einem übel nehmen. Es ist ein Spiel mit den Genres. Wenn ich auf der Bühne stehe - und
deswegen ist es wichtig für mich nicht als Comedien bezeichnet zu werden - ist der Witz
immer nur ein Mittel, ein Zugang auf der anderen Ebene, um andere Ebenen,
Erwartungshaltungen in der Regel, aufzulösen.
In der Türkei ist es so, dass die Menschen vielleicht nicht so unmittelbar reagieren. In
Deutschland verstehen die Menschen die Witze unmittelbarer, weil sie es gewöhnt sind, dass
man mit ihnen und über sie Witze macht. Aber dennoch haben sie die Geduld abzuwarten,
was sich hinter diesen Witzen verbergen könnte. Insofern sind die Unterschiede marginal.
Aber es gibt sie. Wie man damit umgeht, hängt davon ab, wie sensibel man ist. Und ich
glaube, dass die Türken sensibel und feinsinnig genug sind, meinen Witz auszuhalten.
Wie werden deine Witze über Hitler aufgenommen?
Somuncu: Man lacht in der Türkei - aber auch in anderen Ländern - sehr gerne über Hitler.
Und die Zuschauer haben auch keine so große Befangenheit wie in Deutschland. Das
Publikum geht damit auf angenehme Art und Weise locker um, ohne dabei vorwurfsvoll zu
sein. In Deutschland beinhaltet ja der Witz über Hitler auch einen indirekten Vorwurf, oder je nachdem wie man es betrachtet -, auch einen Angriff auf den Rezipienten. Offensichtlich
fühlen sich die Deutschen immer noch verantwortlich für Hitler. Und deswegen haben sie
auch Schwierigkeiten damit, dass man über Hitler Witze macht, was ich vollkommen absurd
finde. In der Türkei ist das nicht so. Da ist Hitler eine Figur der Zeitgeschichte.
Wo liegen die Grenzen des Humors beim türkischen Publikum?
Somuncu: Bei Atatürk. Es gibt in den letzten Jahren eine kaum auszuhaltende Ikonisierung
Atatürks in der Türkei. Atatürk ist offensichtlich die letzte Rettung vor der neu entdeckten
Religiosität der Türken. Ich glaube, dass keine Auseinandersetzung mit der türkischen
Vergangenheit stattgefunden hat, deswegen ist die Türkei noch in vielen Punkten empfindlich
zu treffen.
Die Türkei stellt berechtigterweise Ansprüche, wie zum Beispiel Teil eines modernen
Europas zu sein. Aber anderseits beruft sie sich in ihrer Grundstruktur auf eine längst
überholte Staatsphilosophie, und die fängt bei Atatürk an und hört bei Atatürk auf. So wie es
auch noch immer nicht möglich ist, Atatürk in einem kritischen Licht zu zeigen, ohne gleich
als Republikfeind zu gelten. Wenn Sie Witze machen über Atatürk, dann treffen Sie
zwangsläufig ganz seltsame Empfindungen. Ein spannender Aspekt meiner Arbeit ist auch,
die Zuschauer mit den Mitteln des Theaters und der Satire aus der Reserve zu locken.
Was denkst Du über den jüngsten Karikaturenstreit, der gegenwärtig immer weitere Kreise
zieht?
Somuncu: Es ist mir unerklärlich und ich kann schwer verstehen was gerade passiert. Ich
respektiere religiöse Gefühle anderer Menschen, aber ich reagiere sehr empfindlich auf die
Dogmen. Ich glaube, dass vielleicht daher meine Vorbehalte gegen Massenreligionen
kommen. Religiöse Dogmen haben immer etwas damit zu tun, dass man versucht
Unkontrollierbares zu reglementieren.
Das ist vielleicht gut für Menschen, die nicht ohne Grenzen existieren können. Aber
letztendlich muss man doch niemanden sagen, wann er zu fasten hat oder wann er keinen
Alkohol trinken darf. Wenn ich im Gleichgewicht bin, dann trinke ich mal Alkohol und mal
nicht. Und mir muss kein Prophet dieser Welt sagen, wann ich zu fasten habe. Wenn ich
meiner Frau vertraue, muss sie dann ein Kopftuch tragen? Religion ist für mich ein
zweischneidiges Schwert.
Was aber in diesen Tagen passiert, hat wenig mit Religion zu tun. Das hat vielmehr mit einer
Identitätskrise zu tun. Was sich im Augenblick im Karikaturenstreit entlädt, ist, dass aufgrund
einer sehr ungerechten Politik, die in den letzten 30 bis 40 Jahren insbesondere im Nahen
Osten betrieben wurde, die Menschen überreagieren und daher auch ungerecht reagieren.
Auch der Widerstand gegen eine imperialistische Politik drückt sich in den Protesten aus.
Die Menschen sind gegen das ihnen widerfahrene Unrecht machtlos geblieben. Deswegen
berufen sie sich auf das Einzige, was sie noch haben. Und das ist ihre religiöse Identität. In
Wirklichkeit aber ist es eine vorgeschobene Identität. Und ich glaube auch nicht, dass sie sich
an Karikaturen ereifern, sondern sie kämpfen gegen die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt
und widerfahren ist, wie zum Beispiel in den letzten drei Golfkriegen.
Wie sollen diese Menschen im Irak oder in Afghanistan anders reagieren als mit Wut und
Hass, in diesen zerstückelten Ländern, in denen die Amerikaner als Besatzer auftreten, wo
nichts mehr an Struktur existiert und wo ihnen jegliche Identität genommen wurde? Wie
sollen sie um die Wahrhaftigkeit ihrer Interessen kämpfen, wenn insbesondere der Westen
glaubt, er habe die Meinungshoheit und ein Monopol auf die Presse?
Es gibt mittlerweile andere Medien auf der Welt, auch in diesen Ländern - Zeitungen und
Fernsehsender, die wehrhaft geworden sind und in der Lage sind, eigene Kampagnen zu
fahren. Wobei ich nicht richtig finde, dass diese Kampagnen gemacht werden. Es ist eine neue
Qualität der Medienpolitik vorhanden, die – wie beispielsweise Al-Jazzera – Proteste
organisiert. Und die Menschen fallen darauf herein. Daher entstehen solche Bilder, die uns im
Westen Angst machen und Angst hat in diesem Fall sehr viel mit schlechtem Gewissen zu
tun.
Jetzt wurden Drohungen gegen einen Karikaturisten des Berliner Tagesspiegels
ausgesprochen. Du hast bei Deinen Auftritten auch manchmal eine schutzsichere Weste
tragen müssen...
Somuncu: Das mit dem Tagesspiegel ist lächerlich. Manche Leute schütten in diesen Tagen
soviel Öl ins Feuer, bis es richtig brennt und dann rufen sie die Feuerwehr. Ich kann das nicht
nachvollziehen. In einer solchen Situation wie jetzt, wo man weiß, dass sie total angespannt
ist, da bringe ich doch nicht noch eine Karikatur und wundere mich dann, dass irgendwelche
Idioten, die überhaupt nicht nachvollziehen können worum es geht, Mord- und
Bombendrohungen aussprechen. Es ist pure Provokation und das hat nichts mit inhaltlicher
Auseinandersetzung zu tun.
Als ich "Mein Kampf" gespielt habe, haben mich etliche, zum Teil seriöse, Redaktionen
angerufen und wollten mich nach Ostdeutschland mitnehmen. Es hieß: "Malen Sie sich doch
ein Hitlerbärtchen an und rufen 'Heil Hitler!' bis 15 Nazis kommen und Sie zu Brei schlagen
und wir filmen das Ganze." So etwas mache ich nicht. Das ist Provokation.
Ich habe etwas gegen Nazis, aber ich fahre nicht nach Ostdeutschland und provoziere Nazis,
damit sie sich verhalten wie Nazis, sondern ich versuche zu verhindern, dass sich Nazis wie
Nazis verhalten. Das ist ein Mediengeschäft, in dem etliche Leute ihre unausgegorenen Ideen
ausprobieren, damit sie eine Nachricht bekommen. Da kann ich nur sagen: Selbst schuld,
Morddrohungen aushalten.
Interview: Petra Tabeling
© Qantara.de 2006
Herunterladen