Lernziel: Der Übungsleiter ist in der Lage, ein zielgruppengerechtes und individuell differenziertes Bewegungsangebot zu gestalten I.1.09 Berücksichtigung von Begleiterkrankungen (siehe „Handbuch zur Herzgruppenbetreuung“ Kapitel 7, Seite 100f, Kapitel 14, Seite 216 und „Materialien Herzsport“, III.6.2) Grundlagen – Info Im Herzsport ist neben dem Primärproblem, der Herzerkrankung, immer auch mit körperlichen Einschränkungen aufgrund von zusätzlichen, meist andersartigen Erkrankungen (Sekundärerkrankung oder besser Sekundärproblem) zu rechnen. Hierzu gehören (siehe Folie I.1.09, F 01) arterielle Durchblutungsstörungen Venenerkrankungen Arthrose speziell in den Gelenken der oberen und unteren Extremitäten Wirbelsäulen-Erkrankungen Osteoporose Asthma Diabetes Tumorerkrankungen Neurologische Erkrankungen Einschränkungen des Sehvermögens aber auch Verletzungen oder Operationen, die zu einer Behinderung oder wenigstens zu einer eingeschränkten Bewegungsfähigkeit geführt haben. Die genannten Erkrankungen führen oft zu erheblichen Bewegungseinschränkungen, zum anderen sind es auch Erkrankungen, die durch Sport positiv beeinflusst werden können, wenn gewisse Aspekte berücksichtigt werden. So sind wirbelsäulenschonende und rückengerechte Übungen zu wählen, um einerseits Wirbelsäulen-Erkrankungen vorzubeugen und andererseits Bewegungsmöglichkeiten trotz entsprechender Beschwerden aufzuzeigen. Bei Osteoporose-Patienten gilt es neben dem Haltungsaufbau auf fließende kontinuierliche Bewegungsabläufe ohne stärkere Erschütterungen hinzuarbeiten. Ebenso wie Teilnehmende mit Arthrose in den unteren Extremitäten sollten Teilnehmende mit Osteoporose möglichst in der Entlastung arbeiten. Eine Belastung mit gemäßigter Intensität Begleiterkrankungen / 1.09 / Seite 1 von 7 und Dauer ist anzustreben, um entsprechende Körperteile nicht zu stark und zu lange zu belasten. Bei der Wahl der Geräte, etwa harte oder weiche, langsame oder schnelle Bälle, sind Osteoporose- sowie MarcumarPatienten beziehungsweise eventuelle Sehbehinderungen zu berücksichtigen. Beim Aufwärmen oder in der Gymnastik sollte die Übungsleiterin grundsätzlich auch Übungen zur Durchblutungsförderung der unteren Extremitäten auswählen, um Venenerkrankungen und arteriellen Durchblutungsstörungen entgegenzuwirken. Stretching-Übungen gehören ebenfalls in jede Sportstunde, um den Verlust der Flexibilitätsfähigkeit auszugleichen. Sekundärprobleme müssen ernst genommen werden, weil sie oftmals die eigentliche Schwierigkeit des Herzsports darstellen (siehe auch Gestaltung der Herzsportstunde, I.2.10). Das bedeutet aber auch, dass die Übungsleiterin genau Bescheid weiß (siehe Folie I.1.09, F 02, F 03), 1. welche Sekundärprobleme bei ihren Teilnehmenden auftreten; 2. wie sich entsprechende Sekundärprobleme auf die Bewegungs- und Belastungsfähigkeit auswirken; 3. wie und ob diese Sekundärprobleme durch Bewegungstherapie positiv zu beeinflussen sind und 4. worauf man bei entsprechenden Sekundärproblemen unbedingt achten muss: a) welche Bewegungen sind zu vermeiden? b) welche Bewegung ist besonders zweckmäßig? c) welche Dosierung ist möglich? Konkret heißt das: welche Intensität, welches Bewegungsausmaß, welche Aufgabenstellung und welche Ausgangsstellung kann gewählt werden? Im Einzelnen bedeutet dies (siehe Arbeitsauftrag I.1.09, M 02): Diabetes Insbesondere durch Ausdauerbelastung kann der Blutzuckerwert positiv im Sinne einer verstärkten Reduzierung beeinflusst werden (siehe I.3.1). Es handelt sich hier um einen aktuellen Effekt. Hypoglykämische Zustände sind zu vermeiden. Sinkt der Blutzuckerwert zu stark ab, ist die Versorgung der Gehirnzellen mit Energie nicht mehr gewährleistet. Daher ist es sinnvoll, vor Beginn des Sports den Blutzuckerwert zu bestimmen, die Insulingabe zu senken oder eine kleinere Kohlenhydratmahlzeit einzunehmen. Da bei Diabetikern mit zunehmender Krankheitsdauer häufig Probleme im Bereich der Sinnesorgane / Nervensystems als auch im Bereich des Gefäßsystems auftreten, sollten viele Übungen zur Koordinationsschulung als auch zum Gefäßtraining angeboten werden. Stärkere Seh-, Durchblu- Begleiterkrankungen / 1.09 / Seite 2 von 7 tungs- und Gefühlsstörungen erhöhen die Verletzungsgefahr. Überhöhte Druckanstiege sind zu vermeiden. Wirbelsäulenerkrankungen Sowohl aufgrund des Alters als auch krankhaft bedingte Veränderungen der Wirbelsäule müssen bei der Auswahl des Sportangebotes berücksichtigt werden. Wirbelsäulenerkrankungen bringen oft Verkrampfungen der Muskulatur und muskuläre Dysbalancen mit sich, die ausgeglichen werden sollen. Es muss darauf geachtet werden, dass bereits bestehende Erkrankungen nicht durch ungeeignete Übungen verschlechtert/verstärkt werden. Das Übungsangebot stammt aus der Wirbelsäulengymnastik und Rückenschule. Es sind wirbelsäulen-schonende und rückengerechte Übungen zu wählen. Wichtig ist dabei die symmetrische (rechts- und linksseitige) Kräftigung der haltungsaufbauenden Muskulatur (Gesäß, Bauch, Schultergürtel, Nacken). Spezielle Therapie kann im Rahmen des Herzsports nicht geboten werden! Osteoporose Bei Osteoporose-Patienten sind zwei Aspekte zu beachten: Erstens können poröse Knochen sehr schnell brechen. Dementsprechend muss auf Übungen verzichtet werden, die verbunden sind mit stärkeren Einwirkungen auf den Körper, etwa Stöße oder große Hebel. Es sind Bewegungsaufgaben mit körperlicher Auseinandersetzung oder Sturzgefahr zu vermeiden und eher weiche oder leichte Geräte zu wählen oder entsprechende Aufgabenstellungen zu suchen bzw. Anweisungen zu geben. Das Heben und Tragen schwerer Gegenstände ist zu vermeiden. Zweitens kann im Rahmen des Herzsports zwar keine gezielte Osteoporose-Therapie stattfinden, aber die Frakturgefährdung kann positiv beeinflusst werden. Ziel ist, durch Verbessern der Muskelkraft, den Knochenaufbau zu fördern, und durch Verbessern der Koordination und durch Falltraining zur Sturzprophylaxe Frakturen zu vermeiden. Im Vordergrund stehen demnach Übungen zur Kräftigung von Rücken-, Bauch-, Bein- und Armmuskulatur, möglichst durch dynamische Übungen, um gleichzeitig auch die Koordination zu fördern, Dehngymnastik sowie abwechslungsreiche und vielseitige Übungen zur Ausdauer- und Koordinationsschulung. Unkontrollierte Scher-, Dreh- und Druckbelastungen sind zu vermeiden. Auf fließende kontinuierliche Bewegungsabläufe ohne stärkere Erschütterungen ist hinzuarbeiten. Dabei bestimmt die Häufigkeit der Übungen in Verbindung mit der Intensität den knochenaufbauenden Ef- Begleiterkrankungen / 1.09 / Seite 3 von 7 fekt. Bei fortgeschrittener Osteoporose ist es günstiger, in der Entlastung zu arbeiten. Die Schmerzgrenze ist belastungsbegrenzender Faktor. Es gibt zwei Problemzonen, denen man stets Beachtung schenken sollte und wo man förderliche Reize setzen kann. Brustkyphose: Durch Kräftigung des Trapezmuskels kann dem Fortschreiten der Buckelbildung entgegengewirkt werden. Hüfte: Durch Kräftigen und Dehnen der Hüftmuskulatur kann die Beweglichkeit des Hüftgelenkes positiv beeinflusst werden, so dass auch das Gehen und Ausgleichbewegungen im unebenen Gelände verbessert werden. Im Stadium der Entzündung gilt Sportverbot, da sich entzündliche Prozesse durch körperliche Belastung auf die inneren Organe ausweiten können. Arthrose Durch Arthrose sind viele Bewegungen eingeschränkt. Aber nur durch Bewegung wird die Versorgung eines Gelenkes angeregt. Die Versorgung ist wiederum wichtig für die Funktionalität eines Gelenkes. Bei Vorliegen einer Arthrose sollte im Herzsport beachtet werden: - Langsames aber richtiges Aufwärmen - Bis an den Schmerz heran, aber nicht in den Schmerz hinein üben - Unphysiologische Bewegungen vermeiden! Arterielle Durchblutungsstörungen (pAVK) PAVK ist besonders charakterisiert durch ständiges „Stehen bleiben Müssen“, die Schaufenster-Krankheit, bedingt durch die Durchblutungsstörungen in Becken und Beinen. Ziel einer Einflussnahme durch Sport ist, die schmerzfreie Gehstrecke zu verlängern. Dies wird erreicht durch - eine verbesserte Koordination und damit geringerem O2-Verbrauch bei gleicher Belastung und durch - eine verbesserte muskuläre O2-Ausschöpfung, d.h. einer Verschiebung der aerob-anaeroben Schwelle An Bewegungsangeboten sollen im Vordergrund stehen: Gefäßtraining: Übungen zur Verbesserung der lokalen aeroben Ausdauer im Bereich der unteren Extremitäten durch Koordinations- und flexibilitätsfördernde Übungen, Geh-, Lauf- oder Ergometertraining. Dabei darf die Belastung nie über die Schmerzgrenze hinausgehen, Krafttraining und Pressatmung sind zu vermeiden. Begleiterkrankungen / 1.09 / Seite 4 von 7 Venenerkrankungen Kranke Venen bewirken eine Stauung in den unteren Extremitäten. Dadurch entstehen Krampfadern, Beinschwellungen und Ödeme bis hin zu Beingeschwüren oder offenen Beinen mit erhöhter Thrombosegefahr. Es gilt im Herzsport, diese Stauungen zu vermeiden: - Bewegen der Wadenmuskeln durch Gehübungen, Fußgymnastik - keine längeren Stehphasen, besser in der Entlastung oder Halbentlastung üben - Hautverletzungen vermeiden (bei Gefährdung für offene Beine) Bei Entzündungszeichen, etwa Überwärmung, Ekzeme, Geschwüre oder Entzündungen an der Haut ist ärztliche Behandlung erforderlich und Sport sollte vermieden werden. Asthma Asthma-Kranke haben besonders Schwierigkeiten bei Abkühlung bzw. Wasserverlust der Atemwege bei erhöhtem Atemminutenvolumen (bei kalter und trockener Luft), bei Luftverschmutzung und bei Einwirkung von Allergenen, etwa Gräserpollen. Das Ausatmen ist erschwert. Durch Stärken der Atemmuskulatur kann der bei Asthmakranken bestehende erhöhte Atemwiderstand überwunden werden. Grundregeln für den Sport bei Atemwegserkrankungen sind: - während der Übung ruhig und gleichmäßig atmen, nicht die Luft anhalten, keine Pressatmung - einatmen möglichst durch die Nase, ausatmen durch den Mund (Lippenbremse) - Ausatmen länger als einatmen - Atemrhythmus und Übung aufeinander abstimmen Gut geeignet sind intervallartige Belastungsformen, die ein Auskühlen der Bronchien nicht hervorrufen, z.B. in Spielen. Ausdauerbelastungen in langsamem Tempo werden selbst in kalter Umgebung recht gut vertragen, da die Belastungsintensität und damit das Atemminutenvolumen und die Luftströmung in den Bronchien relativ niedrig liegen. Vorsicht ist immer bei höherer Belastungsintensität geboten, da Anstrengung Asthmaanfälle auslösen kann. Das Spektrum an Sportarten, das üblicherweise dem Herzkranken empfohlen wird, ist nicht geeignet für einen Asthmakranken! Begleiterkrankungen / 1.09 / Seite 5 von 7 Tumorerkrankungen Kennzeichnend für Tumor-Patienten sind ihre Ängstlichkeit und wenig körperliches Selbstvertrauen. Hier sollten neben körperaufbauenden Übungen viele Spiele zur Förderung der Kommunikation und der Interaktion stattfinden, um das Selbstwertgefühl zu stärken. Wichtig bei Tumor-Patienten ist die Phase der Behandlung, in der sie sich gerade befinden und wie sich diese auf ihre Belastbarkeit auswirkt. Ein leichtes Sportprogramm hilft, eine Chemotherapie besser zu vertragen, es treten weniger Infekte, Depressionen und Müdigkeit auf. Tumor-Patienten klagen oft über Müdigkeit und schnelle Erschöpfung. Neurologische Erkrankungen (Parkinson, Schlaganfall) Schlaganfall-Patienten sind immer wieder im Herzsport zu finden, da es sich hier auch um eine arteriosklerotische Erkrankung handelt, die dann aufgrund zu hohen Blutdrucks zu einer Blutung ins Gehirn führt. Teilnehmende mit Schlaganfall, die im Herzsport teilnehmen, sind meist weitgehend rehabilitiert, Probleme, die auftreten sind: Lähmungen, Schwindel, verschlechterte koordinative Fähigkeiten, technisch anspruchsvollere Bewegungen können nicht mehr ausgeführt werden. Im Sport ist insofern darauf einzugehen, dass differenzierte Bewegungsanweisungen zu geben sind bzw. von vornherein nur ein spezifisches Übungsspektrum ausgewählt wird (unter Umständen muss hier ein sehr individuelles Programm aufgestellt werden). Schwindelerscheinungen können vermieden werden durch Übungen, die nicht mit schnellen Drehungen, mit schnellen Lagewechseln, mit schnellen Auf- und Ab-, Vorwärts- und Rückwärts-Bewegungen verbunden sind. SchlaganfallPatienten haben oft auch ein langsameres Auffassungs- und Reaktionsvermögen. Insgesamt wird hier der Sport langsamer ablaufen. Auf entsprechende Gerätewahl ist zu achten. Außerdem sind dringend Druckerhöhungen durch statische Arbeit sowie Pressatmung zu vermeiden. Koordinations- und Flexibilitätsschulung stehen im Vordergrund. Parkinson-Patienten, gekennzeichnet durch Bewegungsarmut, Muskelstarre bei erhöhtem Muskeltonus, vorgebeugtem Gang mit kleinen Schritten und Ruhezittern, kann man helfen durch Entspannungsübungen, speziell der Tiefenmuskelentspannung nach Jakobsen. Ansonsten ist bei ihnen eine intensive Koordinationsschulung besonders wichtig. Einschränkungen des Sehvermögens (grauer Star) Die Sehfähigkeit lässt bei vielen im Alter nach, hinzukommen auch Augenerkrankungen, die beim Sporttreiben berücksichtigt werden müssen: - Beugeübungen sind bei einigen Augenerkrankungen nicht erlaubt Begleiterkrankungen / 1.09 / Seite 6 von 7 - Drucksteigernde Übungen sowie Pressatmung sind zu vermeiden - Schnelle Rückschlagspiele (etwa Badminton, Volleyball), wo der Ball in der Luft gehalten wird, sind problematisch - Es sind farbintensive Geräte (Bälle) und Markierungen (Netz) zu wählen Oft bieten langsamere Fluggeräte (Bälle, Tücher) Erleichterung Didaktisch-methodische Überlegungen zur Erarbei tung In diese Thematik kann eingestiegen werden mit einer Auswertung der Hospitationsprotokolle (siehe Arbeitsauftrag I.1.09, M 01). Sinnvoll ist dies allerdings erst, wenn einige Grundkenntnisse über die Erkrankungen (siehe III.6.2) vorliegen. Anschließen könnte sich Arbeitsauftrag I.1.09, M 02 und die entsprechende Auswertung im Plenum. Lehrmaterialien: Folie I.1.09, F 01: Begleiterkrankungen Folie I.1.09, F 02: Berücksichtigung von Begleiterkrankungen – Didaktik Folie I.1.09, F 03: Begleiterkrankung und Sport Arbeitsauftrag I.1.09, M 01: Beobachtungsaufgabe Gruppenarbeit I.1.09, M 02: Begleiterkrankungen und Konsequenzen für den Sport Teilnehmermaterialien Textauszug (I.1.09 TN) Literatur - Kirchner / Rohm / Wittemann: Seniorensport, Theorie und Praxis, Meyer & Meyer Verlag, 1998 - LSB NRW: Materialien Sport der Älteren, IB Gesundheit: Alterungsprozesse - Rost, R. (Hrsg.): Lehrbuch der Sportmedizin, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 2001 - Rost, R.: Sport- und Bewegungstherapie bei inneren Krankheiten, Deutscher Ärzte-Verlag, Köln, 1991 Begleiterkrankungen / 1.09 / Seite 7 von 7