Philosophische Fakultät der FSU Jena Veranstaltung: J. Rawls – Theorie der Gerechtigkeit SS 09 Dozent: T. Henning Protokollantin: Theresa Truckenbrodt Protokoll zur Sitzung vom 09.06.2009 Nachdem wir in den vorangegangenen Sitzungen bereits genauer über die beiden Grundsätze und vor allem über ihre Auslegungsfreudigkeit diskutiert hatten, ging es nun um den Urzustand selbst und um die Rechtfertigung der Umverteilung, die Rawls in seinem 2. Grundsatz als unabdingbar angibt. Außerdem stellten wir uns die Frage, warum Menschen im Urzustand gerade seine beiden Grundsätze wählen würden und warum ausgerecht hier nach der Maximin-Regel gehandelt werden sollte. Zu aller erst aber wurden gewisse Standards festgelegt, die der Mensch im Urzustand besitzt: 1. Er kann sich bedingt durch den Schleier des Nichtwissens weder Vorteile noch Nachteile verschaffen, da seine spätere Rolle in der Gesellschaft unklar ist. Jeglicher Egosimus ist ausgeschaltet. 2. Selbst im Urzustand wissen die Menschen, dass sie Interessen und Ziele oder Wünsche verfolgen können und auch Anspruch auf ein glückliches Leben stellen werden. 3. Der Mensch als Einzelner ist vernünftig und kennt kein Neid, da keine Vergleichssituation vorliegen kann. Rawls schafft damit also den wissenden Unwissenden, der nach dem größtmöglichen Spielraum zur späteren Verwirklichung von unterschiedlichen Interessen in der Gesellschaft sucht, um sich nicht selbst einzuschränken. Deshalb ist nach Rawls eine grundlegende Gleichverteilung von Grundrechten, die wir schon häufig genannt haben, unbedingt notwendig. Er verfolgt also hier teilweise die egalitaristische Theorie der Güterverteilung. Doch wenn das schon die ultimative Lösung für eine perfekte Gesellschaft wäre, würde es keinen zweiten Grundsatz geben, der den ersten sozusagen erweitert. In ihm heißt es nämlich: „Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass […] sie zu jedermanns Vorteil dienen und sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedermann offen stehen.“ Jetzt kommt also eine Umverteilung ins Spiel aber warum? Dieser Frage folgte eine Diskussionsrunde, in der unterschiedliche Thesen zur Beantwortung aufgestellt wurden. Letzten Endes kamen wir zu folgenden Schlussfolgerungen: Eine dauernde Gleichverteilung der Güter würde zum Verlust des wirtschaftlichen Wettbewerbs und der Konkurrenz führen. Durch höhere Vergütung soll außerdem eine Motivation geschaffen werden, die dafür sorgt, dass u.a. genug Bewerber für wichtige Berufe vorhanden sind. Ein weiterer Aspekt ist die Erleichterung der Organisation einer Gesellschaft, sobald einzelne Vertreter für eine größere Gemeinschaft sprechen. Ohne eine Umverteilung in bestimmten Situationen (siehe demokratische Freiheit) würde eine Ungerechtigkeit in Bezug auf den, mit dem Beruf verbundenen, Aufwand entstehen. Z.B. benötigt ein Arzt ein mehrjähriges Studium, wohingegen eine Reinigungskraft nur einen Schulabschluss der 10. Klasse benötigt. Die verlängerte Ausbildungszeit und die damit verlorene Arbeitszeit sollten durch höhere Löhne entschädigt werden. Ebenso Berufe, die aufgrund körperlicher Hochanstrengung nur bis zu einem gewissen Alter ausgeübt werden können z.B. Profisportler. Diese Gründe sind ausschlaggebende Argumente für die Notwendigkeit des zweiten Grundsatzes aber auch für die lexikalische Ordnung, in der er zum ersten Grundsatz steht. Nun stellte sich aber die Frage, warum gerade diese beiden Grundsätze im Urzustand gewählt werden würden und keine anderen, die z. B. dem Utilitarismus entsprechen. Die Antwort von Rawls: 1. wegen dem Schleier des Nichtwissens und 2. der damit verbundenen Entscheidung unter Unsicherheit. Von den drei Entscheidungstheorien, sei also neben der Entscheidung unter Sicherheit und der unter Risiko, die Entscheidung unter Unsicherheit diejenige, mit der wir es im Urzustand zu tun hätten. Denn genau dann nehmen die Menschen eine unparteiische Haltung ein und können daher keinerlei Wahrscheinlichkeiten für die Wahlmöglichkeiten festlegen. Veranschaulicht haben wir das an dem Beispiel des Kostümfestes. Verkleiden Nicht verkleiden Kostümfest 8 6 Kein Kostümfest 4 10 Man weiß, dass es entweder ein Kostümfest ist oder keins aber man weiß nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit einer der beiden Fälle auch tatsächlich eintritt und man kann sich entscheiden, ob man sich verkleidet oder nicht. Demnach, verteilt man nach eigenem Ermessen Nutzenwerte (=Zahlen, je höher, desto größerer Nutzen). Nun entstehen zwei Möglichkeiten, nach denen man sein Handeln auslegen kann: 1. Die Maximax-Stragtegie: Man betrachtet nur die höchsten Nutzenwerte und sucht sich das heraus, bei dem man sich den größten Nutzen verspricht. Das wäre in unserem Beispiel also, dass man sich nicht verkleidet, da es den größten Nutzen (10) bringt, falls es kein Kostümfest ist. 2. Die Maximin-Strategie: Hier geht man von den schlimmsten Fällen aus, die eintreten könnten und wählt davon das aus, was den besseren Nutzenwert besitzt. Im Beispiel wäre das dann ebenfalls, dass man sich nicht verkleidet (6), da es immer noch besser ist, unverkleidet auf einem Kostümfest zu erscheinen als anders herum. 3. Das Maximin-Prinzip verspricht also keinen so hohen Nutzenwert wie die Maximax-Strategie und dennoch sagt Rawls, dass die Menschen im Urzustand nach der Maximin-Regel entscheiden würden. Maßgebend dafür ist für ihn die außergewöhnliche Situation des Urzustandes, die vorallem 3 Eigenschaften besitz unter denen das Maximin-Prinzip einleuchtend ist: - Man befindet sich in einem Zustand völliger Unsicherheit, in dem man Entscheidungen zu treffen hat, die für eine ganze Gesellschaft relevant sind und die man rechtfertigen muss. - Es existiert ein Schwellenwert, der ein Überlebensminimum markiert. Was darüber hinaus nach dem Maximin-Prinzip als Gewinn anfällt, ist relativ gleichgültig gegenüber dem, was man verlieren könnte. Also je schlimmer die Alternativen von dem sind, auf das man verzichten müsste, desto größere Sicherheit fordert man. - Ein befriedigendes Minimum muss auf jeden Fall gewährleistet bleiben, da es sonst zu unannehmbaren Grundsätzen führen würde. Der Urzustand mit seinen typischen Merkmalen der Unsicherheit und Unwissenheit führt also nach Rawls zu den Überlegungen einer Gleichverteilung zur Sicherung eines Minimums und zur weiteren Umverteilung in besonderen Fällen, für den Erhalt der Wirtschaftlichkeit und der Organisation einer Gesellschaft. Daher würden wahrscheinlich alle Menschen seine beiden Grundsätze als die logische und vernünftige Wahl anerkennen.