Sutor - Evangelische Akademie Tutzing

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Prof. Dr. Bernd Sutor, Tutzing September 2003
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Evangelische Akademie Tutzing
Ethik und Organisation im Krankenhaus
Tagung am 24./25. September 2003
Rahmenthema:
Welche Bedeutung haben religiöse Prägungen der Beteiligten (bzw. deren Fehlen) bei
ethischen Beratungen und Entscheidungen?
Als Studiendekan der Medizinischen Fakultät der LMU München bin ich für die Ausbildung
von Ärztinnen und Ärzten an unserer Universität verantwortlich und möchte deshalb hier
einige Gedanken zur Möglichkeit der Vermittlung von ethischen Grundsätzen und Prinzipien
im Rahmen des Studiums der Humanmedizin einbringen.
Ärztliches Handeln muß sich an bestimmten ethischen Grundsätzen ausrichten. Hierüber
besteht ein sehr weitreichender Konsens, selbst innerhalb von Gesellschaften mit
multikultureller Struktur und auch zwischen Gesellschaften mit unterschiedlichem soziokulturellem und religiösem Hintergrund. In Deutschland hat der Gesetzgeber unter anderem
auch
deshalb
einen
entsprechenden
Passus
in
die
neu
formulierte
Ärztliche
Ausbildungsordnung, die Ärztliche Approbationsordnung, aufgenommen:
Folie 1:
Ärztliche Approbationsordnung
vom 27. Juni 2002
§1, Absatz 1:
„Die Ausbildung zum Arzt…..soll:
 die geistigen, historischen und ethischen
Grundlagen ärztlichen Verhaltens vermitteln.“
Hier wird im Paragraph 1, Absatz 1 die Vermittlung der ethischen Grundlagen ärztlichen
Verhaltens im Rahmen der ärztlichen Ausbildung quasi verordnet.
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Es stellt sich natürlich nun die Frage, welche „ethischen Grundlagen ärztlichen Handelns“ den
Studierenden nahe gebracht werden sollen. Die neue Ärztliche Approbationsordnung macht
hierzu, wahrscheinlich aus gutem Grund, keine Aussagen.
Die große Schwierigkeit bei der Vermittlung ethischer Grundsätze und Prinzipien im Rahmen
der ärztlichen Ausbildung besteht vor allem darin, dass sowohl die Lehrenden als auch die
Lernenden sehr heterogene Gruppen von Individuen mit unterschiedlichen Weltanschauungen
und religiösem Hintergrund darstellen. Man müßte also das Curriculum für das Fach Ethik in
der Medizin entweder sehr breit anlegen, sodass sich viele Weltanschauungen und Religionen
darin wieder finden. Oder man müßte einen Grundkonsens, also einen „kleinsten
gemeinsamen Nenner“ für die ethischen Grundlagen ärztlichen Verhaltens finden. Beide
Vorgehensweisen entsprächen, meiner Ansicht nach, einem Unterfangen, das dem der
Quadratur des Kreises gleich kommt. Selbst in den durch die christlich-abendländische
Tradition geprägten Ländern Europas bestehen stark divergierende Auffassungen über
fundamentale Fragen der Medizinethik, wie zum Beispiel in der Frage der aktiven Sterbehilfe.
Häufig wird als „kleinster gemeinsamer Nenner“ für ärztliches Handeln „die Minderung des
Leidensdruckes des einzelnen Patienten“ genannt.
Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als einen Zustand vollständigen
körperlichen, psychischen und sozialen Wohlergehens. Eine Konsequenz aus dieser
Definition ist, dass man jede Abweichung von diesem Zustand als Krankheit auffassen kann,
die - je nach Schwere der Erkrankung - starken oder weniger starken Leidensdruck erzeugt.
Vom Arzt bzw. von der Ärztin wird erwartet, alle zur Verfügung stehenden Mittel und
Möglichkeiten einzusetzen, um diesen Leidendruck zu vermindern bzw. den Zustand
vollständigen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlergehens wieder herzustellen.
Diese Erwartungshaltung der Menschen und der Gesellschaft gegenüber der Medizin wird,
meiner Ansicht nach, durch eine Verlautbarung des Bundesgesundheitsministeriums auf
seiner Homepage treffend wiedergegeben:
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Folie 2:
„Die Gesundheit ist eines der höchsten Lebensgüter. Es ist das Ziel
der Gesundheitspolitik, die Gesundheit der Bürger zu erhalten, zu
fördern und im Krankheitsfall wieder herzustellen. Gesünder leben,
länger leben und aktiver leben zu können, dies ist für jeden
Bürger bestmöglich zu gewährleisten. Das Gesundheitswesen
qualitativ auf hohem Stand und gleichzeitig finanzierbar zu halten,
ist die Herausforderung, vor der die Gesundheitspolitik heute und
auch in Zukunft steht. Der Zugang zu den Möglichkeiten, gesund
zu bleiben oder gesund zu werden, muss für jeden Bürger ohne
Rücksicht auf seine finanzielle Situation, auf seinen Platz in der
Gesellschaft und unabhängig von seinem Wohnort gegeben sein.
Dazu bedarf es eines umfassenden Systems gesundheitlicher
Sicherung, das allen Bürgern wirksam und ohne Hindernisse zur
Verfügung steht.“
http://www.bmgs.bund.de/deu/drv/themen/gesundheit
Die, meiner Ansicht nach, problematischen Aussagen habe ich hervorgehoben. Ziel ärztlichen
Handelns muß es demnach sein, alle vorhandenen Mittel und Möglichkeiten anzuschöpfen,
damit der Einzelne gesünder leben, länger leben und aktiver leben kann. Zudem muß für den
Einzelnen der Zugang zu diesen Mitteln und Möglichkeiten gewährleistet sein.
Für mich stellen sich hier zwei Fragen:
1. Was muß man unter „den Möglichkeiten, gesund zu bleiben und gesund zu werden“
verstehen? Sind es nur solche Therapiemöglichkeiten, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist
und die für alle Mitglieder einer Gesellschaft ethisch unbedenklich sind? Oder umfaßt dies
auch solche Therapieformen, die medizinisch möglich sind, deren Wirksamkeit hinreichend
belegt wurde, die aber bei vielen Menschen aus weltanschaulichen und religiösen Gründen
ethische
Bedenken
hervorrufen?
Als
Beispiel
möchte
ich
hier
die
Nervenzelltransplantationsverfahren zur Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen
nennen. Sicherlich wäre es, aus medizinischer Sicht, ein großer Erfolg und für die Betroffenen
von unschätzbarem Wert, wenn es gelänge, mit diesen Verfahren einen Patienten vom
Morbus Parkinson zu heilen. Wissenschaftliche Experimente und Einsatz dieser Verfahren
auch bereits beim Menschen haben gezeigt, dass der Ersatz von degenerierten, körpereigenen
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Nervenzellen durch Einbringung fremder Nervenzellen tatsächlich eine, zumindest
vorübergehende Besserung des Leidens von Parkinson-Patienten bewirkt.
Man muß aber auch nach dem Preis für diesen Erfolg fragen. Die zu dieser Therapie
notwendigen Nervenzellen müssen aus humanen Feten gewonnen werden. Dies ist aber nur
durch Abtreibungen nach der 12. Schwangerschaftswoche möglich. Zum anderen ist unser
Wissen über das Gehirn zu fragmentarisch, um mit Sicherheit ausschließen zu können, dass
die Injektion von fremden Nervenzellen in das Gehirn eines Menschen zu weitreichenden
Änderungen der Gehirnfunktion, bis hin zu Persönlichkeitsveränderungen, führt.
Natürlich ist die Heilung der Krankheit des einzelnen Menschen das wichtigste Ziel der
Medizin. Die Medizin muß sich aber der Diskussion über die Art und Weise, wie sie dieses
Ziel erreichen will, stellen. Innerhalb einer Gesellschaft sollte ein Konsens über die ethische
Vertretbarkeit von Therapieformen gefunden werden. Eine Therapie kann nicht nur auf Grund
der Tatsache, dass sie nachweislich zur Minderung des Leidensdruckes eines Einzelnen führt,
als ethisch unbedenklich gelten, wenn gleichzeitig Wertvorstellungen der Gesamtgesellschaft
in Frage gestellt werden. Zu nennen wären z.B. die Würde des Menschen, die ein Sterben in
Würde beinhaltet, im Zusammenhang mit hochtechnisierter Intensivmedizin; oder
gentechnische Eingriffe, die sich auf die Keimbahn auswirken.
Die ärztliche Ausbildung muß gewährleisten, dass sich die Studierenden bereits während ihres
Studiums ausreichend mit diesen Konflikten auseinandersetzen können. Die Studierenden
müssen während des Studiums die Zeit erhalten, um sich darüber einigermaßen klar zu
werden, wie sie in bestimmten Situation handeln würden. Später, im Praxisalltag, steht ihnen
diese Zeit nicht mehr zur Verfügung. Man verlangt dann häufig schnelle Entscheidungen, die
für den Patienten weitreichend sein können.
Damit komme ich zur zweiten Frage, die sich mir im Zusammenhang mit der Verlautbarung
des Bundesgesundheitsministeriums stellt.
2. Kann man von einem Arzt oder einer Ärztin, entgegen seiner bzw. ihrer religiösen,
weltanschaulichen Überzeugungen, die Anwendung einer medizinisch wirksamen, aber
ethisch umstrittenen Therapieform verlangen, weil man andererseits den Patienten den
Zugang zu allen vorhandenen Therapie-Möglichkeiten gewährleisten will? Natürlich nicht, so
meine ich. Genauso wie den Patienten gleichsam das „Recht auf Gesundheit bzw. auf
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bestmögliche Behandlung einer Krankheit“ zugesichert wird, muß dem Arzt bzw. der Ärztin
das Recht zugestanden werden, nach eigenen weltanschaulichen, religiösen Überzeugungen
zu handeln. Auch hier müssen sich die Studierenden relativ frühzeitig mit ihren eigenen
Überzeugungen auseinandersetzen und sich über ihre Einstellungen klar werden. Nur dann ist
es möglich, im Patientengespräch und in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion
glaubwürdig zu bleiben.
In US-amerikanischen Universitäten werden den Studierenden Kurse zur Gesprächsführung
angeboten, in denen man zum Beispiel, überspitzt ausgedrückt, den Studierenden
Gesprächsbausteine zur Verfügung stellt, um damit einem Patienten eine schlechte Nachricht
überbringen zu können. Sicherlich ist Übung in Gesprächsführung notwendig und deshalb ist
es auch Element des neuen Curriculums an der LMU München. Allerdings müssen die
Studierenden auch lernen, dass sie dem Patienten als Indivuduum, das heißt als ein Mensch
mit religiösem Glauben oder humantiären Überzeugungen und den daraus resultierenden
ethischen Einstellungen gegenübertreten. Die medizinischen Ausbildungsstätten müssen den
Studierenden in dieser Hinsicht Hilfestellung geben.
Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass es sehr schwer ist, ein allgemein akzeptiertes
Curriculum für das Fach Ethik in der Medizin zu formulieren. Verschärft wird dieses Problem
durch den rasanten Fortschritt der medizinischen Wissenschaften. Immer neue Verfahren der
Diagnostik und immer neue Therapiekonzepte stellen die Gesellschaft in immer kürzeren
Zeitabständen vor zunehmend schwierigere ethische Fragen, deren Lösung, wenn überhaupt
möglich, Zeit in Anspruch nimmt, die aber selten zur Verfügung steht. Auf diese Weise
werden häufig Tatsachen geschaffen, die dann einfach als Faktum hingenommen werden
müssen, ohne ausreichend reflektiert worden zu sein. Dieses Problem wird mit zunehmender
Globalisierung der Medizin immer größer werden. Internationale Netzwerke von
universitären und privatwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen führen schnell und
hocheffizient Forschungsprojekte durch, wie z.B. das Human Genome Project, die die
Wissenslandschaft drastisch verändern und neue, z.T. nicht vorhersehbare, ethische Fragen
aufwerfen.
Vor diesem Hintergrund muß also, entsprechend der neuen Ärztlichen Approbationsordnung,
Ethik in der Medizin verpflichtend unterrichtet werden. An der Medizinischen Fakultät der
LMU München haben wir uns zunächst die gegenwärtige Situation des Unterrichtes im Fach
Ethik in der Medizin betrachtet und folgendes festgestellt:
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 Das Fach Ethik in der Medizin hatte bisher einen geringen Stellenwert im Rahmen der
ärztlichen Ausbildung.
 Besonders während der letzten Jahre dominierte die Vermittlung der Einstellung, dass
sich ärztliches Handeln v.a. an ökonomischen Notwendigkeiten auszurichten hat. Das
Gespräch mit den Patienten soll auf das Notwendigste reduziert werden. Z.B. soll in
kürzester Zeit eine aussagekräftige Ananmnese erstellt werden können. Ich erinnere
mich hier an eine Aussage eines Arztes gegenüber Studierenden. Er sagte: „Zwölf
Minuten Zeit für eine Anamnese ist viel“.
 Den Studierenden sowie den Ärztinnen und Ärzten fehlen oft die kommunikativen
Mittel, d.h. das Handwerkszeug zur Gesprächsführung.
 Ratschläge und Entscheidungshilfen, die die Patienten vom Arzt bzw. von der Ärztin
erhalten, bestehen häufig in der Mitteilung von Risikofaktoren sowie Mortalitäts- und
Morbiditätsraten (z.B: „Diese Operation hat eine Erfolgschance von 85%, die
Wahrscheinlichkeit von Spätfolgen mit Krankheitswert liegt bei 3%). Da diese Zahlen
auf wissenschaftlichen Studien beruhen, stellen sie nach Meinung vieler eine objektive
und damit auch „rechtssichere“ Auskunft dar.
 Religiöse Prägungen, weltanschauliche Überzeugungen und daraus resultierende
ethische Einstellungen eines Artzes oder einer Ärztin stehen immer im Spannungsfeld
des medizinisch Machbaren, des ökonomisch Vertretbaren und des juristisch
Unangreifbaren. Auf diese Situation werden die Studierenden während ihres Studiums
nur ungenügend vorbereitet.
Bevor ich Ihnen nun die Neuerungen des Studienplans an der Medizinischen Fakultät der
LMU München kurz vorstelle, möchte ich vorausschicken, dass es uns natürlich auch nicht
gelungen ist, ein Curriculum für das Fach Ethik in der Medizin zu erstellen. Wir haben sehr
schnell die Diskussion darüber aufgeben müssen, waren uns aber über die Notwendigkeit
einig, den Studierenden die Bedeutung des Faches, seines Inhaltes und alles was damit
zusammenhängt, sehr deutlich zu machen.
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Folie 3:
Studium der
Humanmedizin
an der
LMU München
1. Studienabschnitt
L-Kurs
2 Jahre
1. Abschnitt der ärztlichen Prüfung
2. Studienabschnitt
4 Jahre
Famulatur
Praktisches Jahr
1 Jahr
2.Abschnitt der ärztlichen Prüfung
18-monatige Tätigkeit als Arzt im Praktikum
Nach der neuen Ärztlichen Approbationsordnung gliedert sich das Medizinstudium in zwei
Abschnitte. Im ersten Abschnitt werden, wie bisher, vor allem Struktur und Funktion des
menschlichen Körpers unterrichtet, allerdings bei deutlich verstärkter Integration klinischer
Inhalte. Der zweite Studienabschnitt besteht an der LMU München aus Leitsymptomorientierten Unterrichtsmodulen. Das bedeutet, dass die Unterrichtung der Studierenden in
den
klassischen
klinischen
Fächern
weitgehend
zugunsten
einer
integrativen
Betrachtungsweise der Krankheiten und des kranken Menschen reduziert wurde.
Das Fach Ethik in der Medizin findet sich im sogenannten L-Kurs, der meines Wissens nach
in dieser Form nur von der LMU München angeboten wird.
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Folie 4:
Longitudinal-Kurs (L-Kurs)
Beginn: 1. Semester, Ende: 10. Semester

Vermittlung von Methoden der Gesprächführung,

Erlernen der standardisierten, systematischen Anamnese, der körperlichen
Untersuchung und der Dokumentation,

Einführung in die ambulante Medizin,
 Bewußtseinsbildung für den dynamischen Wandel von diagnostischen
und therapeutischen Konzepten,
 Einführung der Studierenden in die ärztliche Rolle und Verantwortung
den Patienten gegenüber,
 Einführung der Studierenden in die ärztliche Rolle und Verantwortung
der Gesellschaft gegenüber.
www.mecum-online.de
L-Kurs bedeutet Longitudinal-Kurs, er erstreckt sich über das ganze Studium vom 1. bis zum
10. Semester. Der L-Kurs findet immer Mittwochs statt und die verpflichtende Vorgabe ist,
diesen Tag von Unterricht in allen anderen Fächern frei zu halten. Auf diese Weise wollen wir
die Wichtigkeit der Inhalte des L-Kurses hervorheben.
Im 1. Semester wird eine Ringvorlesung angeboten, in der Naturwissenschaftler, Juristen,
Theologen und Philosophen Vorlesungen aus dem Bereich der Grenzgebiete der jeweiligen
Fächer zur Medizin halten werden. Ab dem 2. Semester werden die Studierenden dann auf
den Kontakt mit Patienten vorbereitet, z.B. durch Vermittlung von Methoden der
Gesprächsführung und durch das Erlernen der Grundlagen der Anamneseerhebung sowie der
körperlichen Untersuchung. Der erste Patientenkontakt erfolgt dann im 3. Semester, also viel
früher als bisher. Vor allem im 2. Studienabschnitt werden die Studierenden im Rahmen der
Einführung in die ambulante Medizin sehr häufig mit unterschiedlichen Patienten in
Berührung kommen.
Im Verlauf des 2. Studienabschnitts wird das klinische Wissen der Studierenden durch die
Leitsymptom-orientierten Unterrichtsmodule immer weiter aufgebaut. Zeitgleich soll im LKurs bei den Studierenden das Bewußtsein für den dynamischen Wandel von diagnostischen
und therapeutischen Konzepten gebildet werden. In Seminaren und Tutorien müssen sie sich
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mit unterschiedlichen Therapiekonzepten und ihrer vom Wissensstand der Medizin
abhängigen Gültigkeit aktiv auseinandersetzen.
Eine wesentliche Rolle bei der Einführung der Studierenden in die Problematik der
Medizinethik spielt die Palliativmedizin. Über zwei Semester hinweg müssen die
Studierenden an Seminaren der Palliativmedizin verpflichtend teilnehmen und mehrere
Stunden Unterricht mit Patienten in der Abteilung für Palliativmedizin ableisten.
Die zuletzt genannten Unterrichtveranstaltungen, in denen die Studierenden Patienten in
Extremsituationen antreffen, bilden den Ausgangspunkt für Seminare und Tutorien, in denen
den Studierenden ausreichend Zeit für die Auseinandersetzung mit Fragestellungen der Ethik
in der Medizin zur Verfügung gestellt wird.
Wie oben ausgeführt, können wir auf Grund des Fehlens einer allgemeingültigen Basis den
Studierenden keine allgemeingültigen ethischen Verhaltensregeln vorschreiben. Wir hoffen
aber, dass wir sie im Rahmen des L-Kurses regelrecht dazu zwingen werden, sich zunehmend
mit ethischen Fragen in der Medizin zu befassen.
Eine wichtige Eigenschaft des L-Kurses ist sein helixförmiger Aufbau. Wichtige Themen, wie
z.B. Ananmeseerhebung und Patientengespräch, werden in verschiedenen Semestern
wiederholt. Entscheidend ist, dass sich dabei die Betrachtungsweise der Studierenden auf
Grund
ihres
fortschreitenden
Studiums
ändert.
Verschiedene
Aspekte
eines
Themenkomplexes können dann neu erkannt, anders interpretiert oder einfach besser
verstanden werden.
Auf Grund der Kürze der Zeit kann ich hier die Inhalte des L-Kurses nur sehr fragmentarisch
darstellen. Für Interessenten gebe ich hier die Adresse der Internetseite des Studiendekanats
der Medizinischen Fakultät der LMU München an. Dort finden Sie den ausführlichen
Studienplan.
Dieser Kurs soll die Studierenden zum einen in die ärztliche Rolle und Verantwortung den
Patienten gegenüber und zum anderen der Gesellschaft gegenüber einführen. Wir sind uns
dessen bewußt, dass der Begriff „Verantwortung“ in diesem Zusammenhang äußerst
problematisch ist. In seinem Hauptwerk: „Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik
für die technologische Zivilisation“ hat Hans Jonas 1979 einen Imperativ der Verantwortung
formuliert. Er sagt:
„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen mit der Permanenz menschenwürdigen
Lebens verträglich sind“.
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In seinem im Jahre 1985 veröffentlichten Buch: „Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des
Prinzips Verantwortung“ führt Hans Jonas aus, dass sich Weiterentwicklungen von Therapien
in der Medizin nicht nur daran messen lassen müssen, ob sie dem Einzelnen helfen, sondern
auch daran, ob sie auch in der Zukunft die Menschheit nicht gefährden. Die Konsequenz
daraus ist die Forderung an die medizinische Wissenschaft, die zukünftigen Auswirkungen
von neuen therapeutischen Möglichkeiten soweit wie möglich zu erforschen. Dies gilt vor
allem für die Anwendung der Gentechnik in der Medizin.
Ich meine, dass es gerade in unserer Zeit dringend notwendig ist, Studierende der
Humanmedizin frühzeitig mit den Problemen der Medizinethik zu konfrontieren und bei
ihnen ein Gespür dafür zu schaffen, dass jeder Fortschritt der Medizin auch ethische Fragen in
sich bergen, die beantwortet werden müssen. Wenn uns dies nicht gelingt, dann werden die
zukünftigen Ärztinnen und Ärzte mit ethischen Beratungen und Entscheidungen häufig
überfordert sein.
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