Essay Einübung im Christentum Sören Kierkegaard Vorgelegt von: Manuel Rudolf Eingereicht bei: Prof. Dr. Barbara Hallensleben Engelburg, den 03.12.2010 1 Was ich von der Lektüre “Einübung im Christentum“ von S. Kierkegaard in den Vorlesungen gelernt habe Es gibt zwei verschiedene Arten von Geschichte, nämlich die Weltgeschichte und die Heilige Geschichte oder Heilsgeschichte. Die Weltgeschichte erzählt uns von Ereignissen, die irgendwann einmal irgendwo auf dieser Erde geschehen sind: Weltgeschichte ist also „die Geschichte“ der Vergangenheit. Sie ist demzufolge an Raum und Zeit gebunden. Des Weiteren besteht sie aus zufälligen Ereignissen. Zudem sind es immer Menschen, die in ihr handeln. Die Menschen sind sozusagen die Protagonisten des weltgeschichtlichen Theaters. Ganz im Gegensatz zu ihr steht die Heilsgeschichte. Heilgeschichte handelt von den Einzeldingen, und zwar nicht von irgendwelchen, sondern von denen, in welchen sich Gott selbst in der Geschichte offenbart und am Menschen handelt. In der Heilgeschichte ist also Gott das Subjekt, der aktiv Handelnde. Und da Gott zeitlos und ewig ist sind all diese Einzeldinge, genannt Heilgeschichte, jederzeit allgegenwärtig und nie vergangen, ganz egal wann sich diese weltgeschichtlich gesehen ereignet haben. Allen Voran die Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth, welchem sich Gott vollkommen angenommen hat. An ihm ist die ganze Weltgeschichte am Himmel aufgehängt. In ihm wurde aus einem Einzelnen Ereignis das universale Heil. Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich: In ihm vereinen sich zwei Naturen in einer Person. Er ist der, welcher als der Auferstandene und Erhöhte immer über der Zeit steht und gleichzeitig ist, und welcher uns dazu einlädt, mit ihm gleichzeitig zu werden. Dazu müssen wir uns darauf einlassen und uns darauf verlassen. Diese Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus fordert von uns nur eines: Nämlich den Glauben. Er ist das einzige, das diesen unglaublich breiten und sonst unüberwindbaren Graben zwischen Mensch und Gott, zwischen Weltgeschichte und Heilsgeschichte überwinden und somit verschwinden lassen kann. (Man erinnere sich an den Aufruf der Reformation: „Sola fidae!“). Doch der Glaube entsteht nicht einfach ohne weiteres. Er hat auch seinen Preis. Was ich damit meine, werde ich im zweiten Kapitel erläutern. Einübung im Christentum 2 2 Was ich von „Einübung im Christentum“ von S. Kierkegaard von der privaten Lektüre gelernt habe S. Kierkegaard verwendet in seinem Werk einen zentralen Begriff, der für das Verständnis seiner Theologie enorm essentiell ist: „das Ärgernis“. Dieses ist seiner Meinung nach die Voraussetzung für den Glauben. Wenn man das Ärgernis abschafft, so schafft man den Glauben ab. Doch worin besteht nun dieses Ärgernis und zweitens, wann entsteht es? Es besteht darin, dass dieser Jesus von Nazareth behauptet, Gott zu sein. Ein Mensch, der irgendwann vor ca. 2000 Jahren irgendwo am Rande des Römischen Reiches gelebt haben soll, er, der Sohn eines einfachen Zimmermanns. Genau der soll Gott sein? Etwa so könnte eine der Fragen aussehen, welche uns zum Ärgernis führen. Doch genau diese Niedrigkeit ist es, bei der wir anfangen sollten: Sie ist der Ausgangspunkt eines langen Weges, welcher zum Ziel hat, dass wir uns am Schluss an ihm nicht mehr ärgern: „Selig, wer sich nicht an mir ärgert.“ Hier möchte ich noch anführen, dass die nachfolgende Erläuterung keinen Anspruch auf einen Beweis erhebt, welcher uns begreiflich machen sollte, dass Jesus Gott ist (was erstens unmöglich und zweitens blasphemisch wäre), sondern uns auf das Ärgernis aufmerksam machen sollte. Das Geheimnis besteht nämlich darin, dass Gott sich erniedrigen musste, ums uns Menschen zu erhöhen. Er erlitt auf dieser Welt alles Leiden aufs Extremste: Verspottung, Verrat und den Tod am Kreuz. Gott offenbarte sich in Jesus von Nazareth, seinem geliebten Sohn, um uns Menschen zu befreien, zu befreien von der Sünde, welche seit Adam auf dem Buckel der Menschheit lastet, um uns zum Heil zu führen. In der „Knechtgestalt“ des Jesus’ zeigt sich Gottes unendliches Erbarmen und die Unübertrefflichkeit der Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth dadurch, dass es praktisch keinen grösseren Unterschied gibt, als zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und einer „Knechtgestalt“, des niedrigsten Menschen. Zudem ist „direkte Kenntlichkeit Heidentum.“1 Wie bereits gesagt ist der Glaube das einzige, welches den Graben zwischen uns Menschen und Gott überwinden kann. Für den Glauben braucht es die Möglichkeit des Ärgernisses. Bestünde in Gott nun eine direkte Kenntlichkeit, so würde das Ärgernis wegfallen, da so ohne weiteres begriffen werden könnte, das sich in Jesus von Nazareth Gott offenbart hat. Nun gibt es über die Person Jesu in Verbindung mit seiner 1 Sören Kierkegaard, Einübung im Christentum und anderes, München 1977, 165f. Universität Fribourg Essay Propädeutik 2010 Manuel Rudolf Einübung im Christentum 3 Verkündigung etwas Wichtiges anzufügen: Da Gottes Wort in Jesus Fleisch geworden ist, darf man jenen nicht getrennt von dessen Verkündigung wahrnehmen. „Der Mitteilende ist nämlich die Reduplikation der Mitteilung“2. Man darf den „GottMenschen“ also keineswegs weglassen, während man nur seine Verkündigung wahrnimmt. Jener ist der „Gegenstand des Glaubens“, da nur durch ihn die Möglichkeit des Ärgernisses entstehen kann, und umgekehrt durch das Ärgernis der Glaube. Kierkegaard nennt das „indirekte Mitteilung“ (Im Gegensatz zur direkten Mitteilungen, welche auch unabhängig vom Mitteilenden ihren Sinn erfüllt). Und genau hier kommt nun der entscheidende Punkt, die Pointe, das was Kierkegaard mit seinem Buch meiner Meinung nach im Wesentlichen aussagen möchte: Im Christentum hat sich mit der Zeit die direkte an die Stelle der indirekten Mitteilungen eingeschlichen. Das, indem man die Möglichkeit des Ärgernisses abgeschafft hat. Man wird als Christ geboren, man lebt unter Christen, man nimmt das Christsein und somit auch den Glauben ohne weiteres an. Er wird einem bei der Geburt wie ein Stempel auf die Stirn gedrückt und damit hat sich’s. Jetzt ist man Christ und wird es auch bleiben. Doch das ist doch kein Christsein! Das ist doch kein Glaube! Glauben heisst, sich dafür entscheiden. Man steht an einer Weggabelung auf deren einem Wegweiser steht „Ärgernis“ und auf dem anderen „Glauben“. Nun hat man den Weg des Ärgernisses zugeschüttet. Dadurch ändert sich auch die Qualität des Glaubens, da er keinen Gegenpol, keinen Widersacher mehr kennt. Somit gibt es nur noch den einen Weg, den man gehen kann, den Weg des Glaubens, welcher aber gerade dadurch korrekterweise den Weg, „den sowieso alle gehen und dem ich deshalb auch einmal folge“, genannt werden sollte. Und dadurch schafft man auch den Gott-Menschen ab, denn der einzige Weg zu diesem ist der Glaube, welcher aber durch die Abschaffung der Möglichkeit des Ärgernisses abgeschafft wurde. Und was ist nun das Christentum ohne den Gottmenschen? Es ist kein Christentum mehr, d.h. man hat das Christentum abgeschafft. Der Glaube ist gegangen, und an seine Stelle das Begreifen, das ärgernislose und kindliche Annehmen, getreten. Durch das Begreifen des Christentums mässig man sich an, dass dieses nun bewiesen ist. Doch durch diesen Vorgang, der darin besteht, es für den Menschen begreiflich zu machen, und es somit auf die menschliche Ebene herunterzureissen, macht man es zu einer allzu menschlichen Angelegenheit. Eine, welche keinen Platz mehr bietet für ei- 2 Sören Kierkegaard, Einübung im Christentum und anderes, München 1977, 156f. Universität Fribourg Essay Propädeutik 2010 Manuel Rudolf Einübung im Christentum 4 nen Gott, oder besser gesagt, für den Gottmenschen, Jesus Christus, unseren Herrn. Universität Fribourg Essay Propädeutik 2010 Manuel Rudolf Einübung im Christentum 5 3 Was ich aus der Lektüre „Einübung im Christentum“von S. Kierkegaard für das Studium mitnehmen werde Dieses Buch hat mir weniger das Wissen von Fakten übermittelt als viel mehr einen tiefen Einblick gewährt in das Wesen des Christentums. Allem Voran, was Gleichzeitigkeit mit Jesus Christus bedeutet und damit verbunden das Ärgernis, welches dazu überwunden werden muss. Das, weil ich mich zugegeben selber an der Vorstellung ärgere, dass Jesus Gott sein soll. Meines Erachtens behauptet er das nicht von sich selbst und ich glaube auch daran, dass Jesus, zumindest bis zu seinem Tod, kein göttliches Selbstbewusstsein hatte, eher ein messianisches. Dieses Buch hat mir jedoch auf jeden Fall geholfen, mich ein bisschen weniger zu ärgern. Die Überwindung der Ärgernisses ist daher glaube ich ein Prozess, etwas das nicht von heute auf morgen geschehen kann. Jedoch hat mir Kierkegaard Mut geschenkt, mich diesem Prozess zu unterwerfen, obwohl ich mir ehrlich gesagt schwerlich vorstellen kann, irgendwann an den Punkt zu kommen, wo ich mich überhaupt nicht mehr ärgern werde. Universität Fribourg Essay Propädeutik 2010 Manuel Rudolf