Herzauge und die Liebe - RPI

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Herzauge und die Liebe
Ich habe einen Text aus 1. Joh. 4, 16b und 18a in Verbindung mit dem Farbholzschnitt Herzauge
von HAP Grieshaber ausgewählt.
Der Text: „Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht
rechnet mit Strafe.“
Das Bild ist ein Farbholzschnitt von Hap Grieshaber (Helmut, Andreas, Paul, 15.02.1909 in Rot
(Oberschwaben) geboren, gestorben 12.05. 1981) in Größe 29,3 x 23,2 cm. Es entstand 1937 als
Titelbild eines gleichnamigen Kinderbuches.
Grieshaber verbindet häufig wie auch in diesem Bild symbolhafte Darstellungen mit dem
gedruckten Wort.
Er sieht Kunst niemals losgelöst von Weltgestaltung und -verantwortung. Für ihn nimmt die Kunst
an der Entwicklung der Gesellschaft mahnend, prophetisch und parteilich Anteil für die
Unterdrückten. Seine Bilder strahlen kreatürliches Mitfühlen aus, es geht ihm um den Versuch aus
dem Chaos wuchernden Lebens das Element der Fruchtbarkeit herauszuheben.
Ursprünglich war das Bild „Herzauge“ ein politischer Appell an seine Zeitgenossen. »Könnt ihr
denn nicht mehr sehen«, war seine Frage, »nicht mit euren Gefühlen wahrnehmen und das Herz
sprechen lassen?«. »Opportunismus und Angst hatten die Menschen bewogen, lieber nichts
zu sehen, nichts zu hören und nichts zu sagen, was außerhalb der Nazidoktrin lag, also sich dem
Mitmenschen in seiner Not und Betroffenheit nicht mehr zu stellen.
Die damals und auch weiterhin so oft unterbrochene Verbindung vom Auge zum Herzen wollte
Grieshabers durch seinen Holzschnitt aufdecken. Darum bleibt sein Bild „Herzauge“ eine
beständige Frage an uns, ob wir mit Kopf und Herz leben, oder nur verkopft und zweckbestimmt.
Grieshaber betont: »Wir sehen nicht, weil wir aus Feigheit erst wissen wollen, ehe wir zu
empfinden wagen.«
Zum Bild:
Ich sehe: Ich sehe einen Menschen, ob Mann oder Frau ist nicht erkennbar, schwarz auf rosa
Untergrund. Der Körper ist im Wesentlichen im Umriss dargestellt, ohne ausgeprägte
Körperkonturen. Neben dem Körper befindet sich ein rotes Herz und in schwarz der Schriftzug
„Herzauge“. Im Brustbereich des Körpers sehe ich einen Ausschnitt, ein Loch, in das in rot ein
Auge gemalt ist. Im Kopfbereich ist an der Stelle, an der das Auge zu vermuten wäre, ebenfalls ein
Loch. Es scheint, als sei das Herz aus dem Körper entfernt worden und das Auge an Stelle des
Herzens gesetzt worden. Bewegt sich das Herz vom Körper weg, oder befindet es sich auf der
Suche nach seinem Ort?
Gegeneinanderwirkende Kräfte prägen das Bild. Das kräftige, daumenähnliche Bein scheint die
Figur fest zu verankern, scheint unverrückbar. Steht es für Sicherheit und Stabilität, oder eher für
Unbeweglichkeit? Das andere Bein ist schlank, beinahe elegant. Es erinnert an die tänzerische
Haltung einiger Nanas von Niki de Saint Phalle. Es schwingt aus, als wolle es die Trägheit des
ersten Beines überwinden. Oder hält es die Balance für einen fast nach hinten kippenden Körper?
Die beiden Arme scheinen fest vor dem Körper verschränkt zu sein, wie angewachsen. Die
versteckten Hände können nicht zugreifen, nichts bewegen. Oder halten sie das Auge in seiner
Position? Der schlanke Hals führt zu einem gut geformten, aber leeren Kopf mit toter Augenhöhle.
Ein Mund ist nicht zu entdecken. Die Schädeldecke wirkt wie aufgesägt, und dieses geheimnisvolle
Gebilde mit seinen Verästelungen senkt sich über und in den Kopf oder aber es entspringt dem
Kopf. Das bleibt offen.
Für mich ist das Bild, gerade auch auf dem Hintergrund der Intentionen Grieshabers eine
Aufforderung, das eigene Sehen, die eigenen Schwerpunkte die eigene Sichtweise zu überprüfen.
Das Bild fragt mich: „Wie siehst du? Siehst du nur mit dem Kopf, oder mit dem Auge des Herzens?
Wo ist dein Herz? Ist es noch Teil von dir, oder hat es sich von dir gelöst? Wodurch ist dein Leben
bestimmt?“
Diese Frage stellt in gleicher Weise aber auch unser Text. Auch er fragt, wodurch ist dein Leben
bestimmt, was sind die prägenden, gestaltenden Kräfte deines Lebens? Die Furcht (vor anderen, vor
der öffentlichen Meinung, vor Anfeindungen) oder die Liebe?
Der Mensch, so lehrt uns unsere Lebenserfahrung, hat die Freiheit zu schöpfen und zu zerstören,
Leben zu schaffen und Leben zu vernichten. Diese Freiheit kann sinnvoll eingesetzt, aber auch
missbraucht werden.
Der christliche Glaube sagt: Das Ganze funktioniert nur mit der Liebe, der Liebe, die ihre Kraft aus
Gott zieht. Sie ermöglicht, mit dem Herzen zu sehen, im Leben und im anderen das Gute zu sehen
und zu entdecken und ohne Furcht das zu tun, was man als richtig erkannt hat, was das Herz
eingibt. Wer in dieser Liebe lebt, richtet sich nicht nach dem, was alle denken, schwimmt nicht mit
dem Strom, erfüllt nicht immer die Erwartungen seiner Umwelt.
Und an dieser Stelle treffen sich der Farbholzschnitt von Hap Grieshaber, unser Text und die
künstlerische Aussage bzw. die Lebensaussage von Niki de Saint Phalle.
Alle drei fordern uns auf, unser Leben nicht nach den gängigen Lebensmustern zu führen, sondern
unter Wegweisung unseres Herzen einen anderen Weg zu gehen, den Weg der Liebe, auch wenn
man damit nicht nur Zustimmung und Begeisterung, sondern auch Widerstand hervorruft.
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