4 Möglichkeit philosophischer Auseinandersetzung mit der Gottesfrage S.69-102 |69 Inhalt 4.1 Die praktische Dimension der Frage nach Gott Die Frage nach der Wirklichkeit im Ganzen und nach ihrem letzten Grund war in der griechischen und scholastischen Philosophie wesentlich verknüpft mit der Frage nach dem Verständnis der grundlegenden Zusammenhänge menschlichen Lebens im Hinblick auf Maßstäbe einer sinnvollen Gestaltung dieses Lebens. Mit der Entfaltung der Naturwissenschaft tritt in der Neuzeit ein neues Wirklichkeitsverständnis in den Vordergrund, das die Wirklichkeit als Einflussbereich menschlicher Gestaltung sieht, das aber von sich aus nicht die Frage nach Sinn und Zweck dieser Gestaltung beantworten kann. Eine Antwort auf diese Frage wird eher als selbstverständlich vorausgesetzt und erst mit dem Bewusstsein der Krise eines naiven Fortschrittsoptimismus als Problem empfunden. Der Unterschied dieser Wirklichkeitsauffassungen ist erst im Verlaufe neuzeitlichen Denkens deutlich geworden. Das geschah besonders dort, wo die als selbstverständlich angenommenen Leitlinien menschlicher Wirklichkeitsgestaltung fragwürdig geworden waren. Marksteine auf diesem Weg waren zunächst die verschiedenen Kritiken an einer überschwänglichen weltanschaulichen Deutung der erfolgreichen Naturwissenschaft und an dem mit ihr verbundenen mechanistischen und materialistischen Weltbild. Zu den Kritikern gehören Pascal, Leibniz, Berkeley, Hume und besonders Kant. Ähnliche Motive wurden im 19. Jahrhundert durch die Wissenschaftskritik und im 20. Jahrhundert durch die Wissenschaftstheorie herausgearbeitet. Die Auffassung, das neue, an der Naturwissenschaft orientierte Wirklichkeitsverständnis sei ein voller und besserer Ersatz für bisherige Lebensorientierung, hat im 19. Jahrhundert ihren Ausdruck im Dreistadiengesetz von A. Comte gefunden: Sowohl der einzelne |70 Mensch als auch die gesamte Menschheit durchlaufen in ihrer geistigen Entwicklung drei einander ablösende Stadien. Im ersten, dem theologischen Stadium, werden die Gegebenheiten als Folge göttlicher Willensäußerungen erklärt. Im metaphysischen Stadium treten an die Stelle der fiktiven göttlichen Kräfte abstrakte Wesenheiten und Ursachen. Im dritten, dem positiven Stadium werden Gesetze, konstante Beziehungen zwischen beobachtbaren Gegebenheiten erforscht. Was im Dreistadiengesetz ausgedrückt ist, dürfte bis in die Gegenwart hinein eine weitverbreitete Einschätzung von Religion, Philosophie und Erfahrungswissenschaft sein1. In der Kritik am Dreistadiengesetz wird darauf hingewiesen, dass die jeweils späteren Stadien nicht voll die Funktionen der früheren Stadien übernehmen können. Was bei Comte als einander zeitlich ablösende Phasen erscheint, sind jeweils einander ergänzende und nicht durch einander ersetzbare Faktoren menschlicher Lebensorientierung. Sie wurden von Max Scheler2 als Wissensformen und von Jürgen Habermas3 als Erkenntnisinteressen herausgearbeitet. Einem naturwissenschaftlich geprägten Wirklichkeitsverständnis entspricht die Form des Leistungswissens, das instrumentell-technische Interesse. Dem Bildungswissen und dem hermeneutischen Interesse entspricht das Bedürfnis des Menschen nach Orientierung in Hinblick auf den gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhang, in dem er lebt. Die Form des Heilswissens, das emanzipatorische Interesse und die ethisch-praktischen Fragestellungen haben ihre Funktion für die Verwirklichung des Menschen als verantwortlicher Person und sind damit auch als bestimmend für eine Begründung und Sinngebung technischen Wissens und Handelns anzusehen. Mit der geistigen Entwicklung ändert sich auch die konkrete Gestalt der Wissensformen. Erhalten bleiben aber die unterschiedli- |71 che Funktion, die jeweilige Unersetzlichkeit dieser 1 H. Zirker, Religionskritik (Leitfaden Theologie 5), Düsseldorf 1982, 56-68. M. Scheler, Über die positivistische Geschichtsphilosophie des Wissens (Drei-Stadien-Gesetz), in: ders., Gesammelte Schriften VI, 27-35; ders., Philosophische Weltanschauung, ebd. IX, 75-85; ders., Die Formen des Wissens und die Bildung, ebd. IX, 85-119. 3 J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968. 2 Formen und die Eigentümlichkeit ihrer Aufgabe und ihrer besonderen Kriterien. Davon ist zu unterscheiden, wie einzelne Philosophen nun die besonderen Rollen der Wissensformen ausdrücklich formulieren - dies ist von ihrer eigenen philosophischen Auffassung mitbedingt. Max Scheler stellte noch mehr den seinsphilosophischen Aspekt und eine umfassende Wirklichkeitssicht als Rahmen heraus, in dem Begründung und Sinngebung menschlichen Handelns philosophisch gesucht werden können. Bei anderen wird diese Aufgabe mehr unter dem Blickpunkt der Frage nach dem Sinn und der Verantwortbarkeit menschlichen Handelns, also unter dem Aspekt der praktischen Philosophie, gesehen. Ein Grund dafür liegt wohl in der Sorge, dass ein Sprechen von »Wirklichkeit« in diesem Zusammenhang das Verständnis nicht fördert. Meist wird »Wirklichkeit« nämlich im Sinn dessen verstanden, was erfahrungswissenschaftlich erkannt wird, und das ist der Frage gerade nicht angemessen. Versteht man »Wirklichkeit« aber im Sinn der traditionellen Philosophie, dann scheint dieses Verständnis zu sehr vom damaligen Weltbild belastet zu sein und das ethisch-praktische Anliegen nicht deutlich genug zum Ausdruck zu bringen. Diese Akzentverschiebung führt dazu, dass die Gottesfrage mehr in ihrer praktischen Bedeutung betrachtet wird. Damit ist sicher ein grundlegender Aspekt der Gottesfrage getroffen, der zugleich auch heute eher unmittelbar verständlich ist. Den Hintergrund dafür bilden die Krise technisch-wirtschaftlichen Fortschrittsglaubens, die ethischen Fragen bezüglich technischer Möglichkeiten von Kernkraft bis Umweltgestaltung, die in der neuen Aufmerksamkeit für die Frage nach der »Qualität menschlichen Lebens« gipfeln. Gerade diese Fragen fordern die Besinnung auf Maßstäbe heraus, nach denen wir Sinn und Qualität menschlichen Lebens beurteilen. Persönliche kritische Urteilsbildung in diesen Fragen wird als dringlich empfunden, insbesondere auch angesichts der Erfahrung von totalitären Systemen, welche meinen, dekretieren zu können, was diesem Wohl förderlich sei. Solche Erfahrung macht vorsichtig gegenüber Leitzielen, welche die Erfüllung menschlichen Hoffens versprechen - auch wenn sie sich als plausi- |72 bel darbieten. Man hält Ausschau danach, was zu einer vernünftig verantwortbaren Stellungnahme in solchen Fragen verhilft. Dazu ist aber die logische Eigenart dieser Fragestellungen und ihrer Beantwortung zu berücksichtigen. 4.2 Die logische Eigenart der Gottesfrage - der Beitrag der Analytischen Philosophie Im Laufe der letzten fünfzig Jahre nahm die Auseinandersetzung philosophischer Strömungen, die sich an der Sprachanalyse und Wissenschaftstheorie orientieren, mit religionsphilosophischen Fragen immer mehr zu. Viele der einschlägigen Untersuchungen können dem Gebiet der Religionskritik zugeordnet werden.4 Hier sollen einige in der Diskussion dieser philosophischen Richtungen herausgearbeitete Zusammenhänge aufgegriffen und aufgezeigt werden, die für ein Verständnis der Eigenart der philosophischen Beschäftigung mit der Gottesfrage von Bedeutung sind und in manchen Punkten weiterführen. 4.2.1 Formen der Sprachanalyse Gemeinsam ist den genannten Philosophien, dass sie als Weg, wie die Philosophie ihre klärende Aufgabe erfüllen kann, die Analyse der Sprache ansehen, in der Probleme ihren Ausdruck finden. Eine grobe Unterscheidung von einschlägigen Richtungen berücksichtigt die besondere Weise, in der Sprache analysiert wird. Eine Philosophie der idealen Sprache sucht mehrdeutige und vage Formulierungen durch Formulierungen zu ersetzen, die dem Ideal einer eindeutigen und präzisen Sprache besser genügen. Sie wird gewöhnlich mit dem >Tractatus logico-philosophicus< von Wittgenstein in Verbindung gebracht und durch B. 4 Siehe H. Zirker, Religionskritik, 177-202. Russell, den Logischen Empirismus (Wiener Kreis, Carnap) und Ayer repräsentiert gesehen. Ihr sind auch verschiedene Kritiker des Empirismus wie Quine und Bochenski zuzurechnen. Eng verbunden damit ist die Bemühung, für den Erkenntnisgehalt der Sprache die Untersuchungen der Wissenschaftstheorie fruchtbar zu machen. Die ideal- |73 sprachliche Analyse hat sich zunächst gerade in der Analyse des Erkenntnisgehalts der (Erfahrungs- und Formal-)Wissenschaften bewährt. Deshalb könnte man auch Vertreter des Kritischen Rationalismus (Kritizismus) im Sinne von Popper hier einordnen. Als Philosophie der natürlichen oder normalen Sprache werden jene Bestrebungen bezeichnet, die durch Beispiele den Gebrauch der gewöhnlichen Sprache aufzeigen und von da aus Schwierigkeiten aufzuklären suchen, die sich in weniger durchsichtigen Anwendungsfällen der Sprache ergeben und Anlass für philosophische Fragestellungen bieten. Hier denkt man meistens an die späteren Schriften von Wittgenstein, besonders an seine >Philosophischen Untersuchungen<, und rechnet dazu auch Denker wie G. Ryle und Austin. Diese Art der Sprachanalyse hat sich zum Teil weiterentwickelt zu Theorien der gewöhnlichen Sprache und ihrer Verwendung, wie z. B. in der Sprechakt-Theorie. Der Versuch, die in der gewöhnlichen Sprache aufgewiesenen Strukturen in semantischen Theorien darzustellen, schlägt wieder eine Brücke zur idealsprachlichen Analyse. Hier ist nicht der Ort, die Vielfalt dieser Positionen darzustellen. Es sollen nur einige wichtige Beiträge verschiedener Vertreter der Sprachanalyse zum Verständnis religiösen Sprechens von Gott und zur philosophischen Besinnung darauf aufgewiesen werden. 4.2.2 Ergebnisse der Sprachanalyse Religiöser Glaube ist nicht als naturwissenschaftliche Erkenntnis, religiöses Sprechen nicht als erfahrungswissenschaftliches Sprechen aufzufassen. Die schon von Kant her vertraute Überzeugung, dass Naturwissenschaft keine metaphysischen Folgerungen zulässt, wurde nun zunächst von der empiristischen Wissenschaftstheorie und Sprachanalyse im Gefolge des Logischen Empirismus neu aufgewiesen. Dieser Aufweis war zunächst mit positivistischen und religionskritischen Motiven verbunden: Die erfahrungswissenschaftliche Erkenntnis wurde als erfolgreichste und damit auch maßgebende Ausprägung menschlicher Wirklichkeitserkenntnis angesehen. Damit wurde dann religiöses Sprechen von Gott verglichen. Dieser Vergleich sollte aufweisen, dass in Aussagen, die über |74 Gott gemacht werden, bereits der Sinn der in diesen Aussagen vorkommenden Ausdrücke nicht dem zugrunde gelegten Maßstab entspreche. Zum Teil folgerte man daraus einen Agnostizismus über Gott seien keine kognitiv sinnvollen Aussagen möglich, weder bejahende noch verneinende -, zum Teil wurde dies durchaus mit einer Hochschätzung dessen verbunden, worum es in der Religion geht - etwa das »Mystische« (bei Wittgenstein), über das man zwar nicht sprechen kann, das aber darum nicht unbedeutend ist für den Menschen. Zum Teil wurden diese Analysen aber auch verwendet, um einen Atheismus zu begründen: 5 Denn für den Gottesglauben sei es konstitutiv, dass man von Gott als von einem notwendig Existierenden rede. Nach der Auffassung des Logischen Empirismus könne sich der Ausdruck »notwendig« aber nicht auf Gegenstände beziehen, sondern nur auf logische Zusammenhänge unseres Sprechens. Wenn sich religiöse Sprache von wissenschaftlicher unterscheidet, worin besteht dann ihre besondere Eigenart? Damit haben sich zunächst Vertreter der Philosophie der normalen Sprache beschäftigt. In einer ersten Phase erlangt die von Hare vorgeschlagene und an Hume erinnernde Auffassung Bedeutung, religiösen Glauben als einen »blik« und religiöse Rede als Ausdruck eines solchen »blik« zu verstehen. »Blik« ist dabei ein Kunstwort, das eine grundlegende Einstellung bezeichnet, aus der heraus ein Mensch lebt, das 5 J.N. Findlay, Can God's Existence be disproved? in: New Theology, hrsg. von A. G. N. Flew und A. Ch. MacIntyre, London 1955, 47-56. Essays in Philosophical ihm Begegnende auffasst und bewertet. Ein solcher blik ermöglicht damit überhaupt erst Erfahrung und kann durch diese nicht widerlegt werden. Religiöse Sprache dient dann nicht zur Begründung, sondern zur Bezeugung eines blik. Hier werden also der persönliche Charakter einer religiösen Überzeugung und der wesentlich praktische Bezug einer solchen Überzeugung herausgestellt. Nicht aber kommt in der blik-Theorie der rationale Anspruch zum Zug, der z. B. im christlichen Glaubensverständnis auftritt. Die blik-Theorie wurde dann zusammen mit der Sprechakt-Theorie weiterentwickelt. Nicht jeder Sprechakt, der einen Geltungsanspruch erhebt,. erhebt einen Wahrheitsanspruch, wie dies bei |75 Sprechakten der Behauptung der Fall ist. Der Anspruch kann sich auf Wahrhaftigkeit oder Ehrlichkeit beziehen oder Vertrauenswürdigkeit, wie etwa im Akt, in dem man jemandem etwas verspricht. Die Analyse der Sprechakte zeigt aber auch, dass Sprechakte von Voraussetzungen abhängen, die so sind, dass ohne sie der betreffende Sprechakt nicht gelingen kann. Zu solchen Voraussetzungen gehören auch Tatsachen und wahre Aussagen. So liegt es nahe, auch Sprechakte, die in religiöser Sprache vorkommen, hinsichtlich der Bedingungen ihres Gelingens zu untersuchen, also auch Akte wie Gebet, Lob, Bezeugung und Verkündigung. Wird nun der praktische Charakter dessen, was in religiöser Sprache ausgedrückt wird, in den Vordergrund gestellt, so erhebt sich die Frage, wie die indikativen Sätze zu verstehen sind, welche Rolle sie spielen: Drücken sie Voraussetzungen für religiöse Sprechakte aus? Sind sie Anwendungsbedingungen für jene Normen oder Imperative, um die es in der religiösen Lebensform geht? Oder sind sie ein - wenn auch verschlüsselter - Ausdruck dieser Normen selbst? Oder handelt es sich einfach um Behauptungen - deren Sinn dann näher zu entfalten ist?6 I. T. Ramsey hat viel Beachtung gefunden mit seinem Versuch, das Eigentümliche des Gebrauchs von Wörtern der alltäglichen Sprache im Zusammenhang religiösen Sprechens herauszuarbeiten. Nach ihm7 werden in Aussagesätzen der religiösen Sprache zwar bereits vertraute Wörter verwendet, aber in einer ungewöhnlichen Zusammenstellung. Er sucht diese Eigentümlichkeit folgendermaßen verständlich zu machen: Eine religiöse Einstellung hat zum Inhalt eine bestimmte Sicht, ein bestimmtes Verständnis des uns im Leben Begegnenden und damit auch eine bestimmte Bewertung, die für unsere Entscheidungen bestimmend wird. Darin besteht die Ähnlichkeit mit der blik-Theorie. Ramsey betont aber, dass uns ein |76 derartiges Verständnis in bestimmten Situationen aufgeht. Solche Situationen nennt er »disclosure«, Erschließung: in ihnen erschließt sich dem betreffenden Menschen ein Sinnzusammenhang. Nun wurzelt die religiöse Sprache wesentlich in solchen Erschließungen, sucht sie lebendigzuhalten oder auch herbeizuführen. Die grammatikalisch-syntaktische Eigenart religiösen Sprechens ist nach Ramsey daraus erklärbar. Um nämlich über den Inhalt einer solchen Erschließung zu sprechen, müssen wir die Ausdrücke der gewöhnlichen Sprache verwenden. Das durch die Ausdrücke Bezeichnete dient dann als »Modell« für das in der Erschließung Erfasste. Deshalb müssen diese Ausdrücke in Richtung auf das in der Erschließung Erfasste modifiziert werden. Dazu dienen weitere Ausdrücke, die »Qualifikatoren«, z. B. »All-«, »Ur-«, »unendlich«. Sie deuten einen Prozess an, in dem das Modell transformiert und dem von der Erschließung her bekannten Sinngehalt angenähert wird. Ramsey meint damit in neuer Form den Kern der mittelalterlichen Lehre von der Analogie in der Rede von Gott wieder gewonnen zu haben. Aufgrund der genannten Untersuchungen ist folgendes festzuhalten: Die religiöse Sprache und die in ihr ausgedrückte Glaubensüberzeugung dürfen nicht mit erfahrungswissenschaftlicher Sprache und Erkenntnis verwechselt werden. In beiden Bereichen geht es um verschiedene Fragen. Der religiöse Glaube, der sich in religiöser 6 Vgl. R. B. Braithewaite, An Empiricist's View of the Nature of Religious Belief, Cambridge 1955; R. M. Hare, The Language of Morals, Oxford 1952 (deutsch: Die Sprache der Moral, Frankfurt 1972). 7 1. T. Ramsey, Religious Language, London 1957; ders., Models and Mystery, London 1964. Sprache ausdrückt, hat wesentlich ethisch-praktische Bedeutung und schließt eine persönliche Stellungnahme ein. Daher ist eine intersubjektive Rechtfertigung im Sinne der Erfahrungswissenschaften hier nicht zu erwarten. Andererseits ist die praktische Stellungnahme, die im religiösen Glauben enthalten ist, unter - wenn auch modifizierter Verwendung von allgemein verständlichen Wörtern ausdrückbar. Allerdings wird diese Ausdrucksweise nur verständlich im Rahmen jener Fragestellung und Betrachtungsweise, in der es um religiös-weltanschauliche Fragen geht. Dann aber dient das verwendete sprachliche Material dem Ausdruck dieser Überzeugung, auch in Aussagen, wenigstens in dem Sinn, in dem Kants Postulate der praktischen Vernunft in Hinblick auf einen bestimmten Begriffsrahmen die notwendigen Voraussetzungen des Praktischen entfalten. |77 Von Vertretern des Kritischen Rationalismus8 wurde diesen Versuchen, die Eigenart religiösen Sprechens zu beschreiben, entgegengehalten, dass sie die wichtige Frage nach der Geltung solcher Sätze nicht aufgreifen. Damit soll nicht gefordert werden, dass religiöse Sprache nach dem Modell der Erfahrungswissenschaften gemessen werde; Popper9 selbst hat sein Falsifikationskriterium als Abgrenzungskriterium verstanden und durchaus die Möglichkeit spezifisch philosophischer Probleme eingeräumt. Wohl aber wird darauf bestanden, dass rationales Argumentieren in Hinblick auf die Geltungsfrage möglich sein müsse. Dazu gehöre die Angabe des Problems, um das es gehe, und von Wegen, auf denen über Lösungsvorschläge argumentiert und kritisch prüfend diskutiert werden könne. Die Frage nach logischer Struktur, Sinn und Geltung religiöser Sätze wurde von J. M. Bochenski10 aufgegriffen. Im Rahmen allgemeiner Strukturelemente der Sprache arbeitete er die Eigenart von Satzmengen heraus, in denen sich eine auf religiösen Glauben gestützte Sprache ausdrückt. Bemerkenswert ist hier, dass die religiöse Sprache nicht einfach an der Erfahrungswissenschaft gemessen wird, wenn auch in einem allgemeineren Rahmen ein Vergleich angestellt wird. Die Unterschiede werden aus der je eigentümlichen Aufgabe verständlich gemacht. Ähnlich werden auch die Frage nach dem Sinn von Ausdrücken der religiösen Sprache und die Frage nach Verfahren der Rechtfertigung von Geltungsansprüchen, insbesondere von Wahrheitsanspruch, in einen allgemeinen Zusammenhang gestellt, von dem her empirische Verifikation und Überprüfung durch Experiment und messende Beobachtung besondere Fälle sind. In Abhebung vom dualen Theorieschema oder von ähnlichen Modellen der Struktur erfahrungswissenschaftlicher Theorien lässt sich dann die Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen herausarbeiten und die Eigenart einer angemessenen Argumentation verständlich machen. |78 In Hinblick auf die rationale Struktur solcher Überzeugungen hat schon F. Ferré11 in Anschluss an A. N. Whitehead und Ramsey Kriterien zur Beurteilung von Geltungsansprüchen in diesem Bereich entfaltet. Fasst man diese Ansätze zusammen, so ergibt sich ein bestimmtes Bild der logischen Struktur von Glaubensüberzeugungen, allgemeiner von religiös-weltanschaulichen Auffassungen, auch von solchen, die etwa die Sinnhaftigkeit menschlichen Lebens grundsätzlich bezweifeln oder die einen Materialismus vertreten. Diese Struktur stellt die Faktoren heraus, die bei einer persönlichen Auseinandersetzung mit Glaubensüberzeugungen ins Spiel kommen, die als Gründe relevant sind und die Entwicklungen in solchen Auffassungen, wie sie wohl bei jedem vorkommen, verstehen lassen. Vor dem Hintergrund dieser Struktur religiösweltanschaulicher Überzeugungen lässt sich dann sowohl theologisches als auch metaphysisches 8 P. J. Etges, Kritik der Analytischen Theologie, Hamburg 1973. Vgl. H. Albert, Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1968; ders., Theologische Holzwege, Tübingen 1973. 9 K. Popper, Über die Unwiderlegbarkeit philosophischer Theorien einschließlich jener, welche falsch sind, in: Club Voltaire, 1, München 1963, 271-279. 10 J.M.Bochenski, Logik der Religion, Köln 1968. 11 F. Ferrē, Language, Logic and God, New York 1961,162f. Argumentieren, wie es in philosophischer Gotteslehre vorkommt, interpretieren. Wird dieser Hintergrund vernachlässigt, so wird der Fragepunkt verfehlt. 4.3 Logische Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen 4.3.1 »Weltanschauung« Unter Weltanschauung wird hier die jeweilige Überzeugung und Einstellung eines Menschen verstanden, die sich in der Gestaltung seines Lebens auswirkt. Genauer gesagt ist dies seine gelebte Weltanschauung. Von ihr getragen ist dann eventuell eine ausdrückliche Formulierung dieser Haltung. Die ausdrückliche Formulierung ist deshalb von der gelebten Weltanschauung getragen, weil die Bedeutung, die einer ausdrücklichen Formulierung im eigenen Nachdenken oder in der Begegnung mit anderen zugemessen wird, selbst von der Weltanschauung abhängt. Kommt es zum Versuch einer ausdrücklichen Formulierung, so kann dieser eine mehr oder weniger angemessene Entfaltung der gelebten Weltanschauung sein. Mehr oder weniger angemessen kann sie sein, weil eventuell von |79 der gelebten Überzeugung her kein Wert auf eine angemessene Formulierung gelegt wird oder diese nicht gelingt. Auch ist zu beachten, dass sich die gelebte Weltanschauung selbst im Laufe des Lebens eines Menschen modifiziert. Die ausdrückliche Fassung kann und wird oft dazu beitragen, kann aber auch nachhinken. Als eine Aufgabe der Philosophie kann man es ansehen, diese Spannung und vor allem Probleme, die aus dieser Spannung entstehen, zu klären. Manchmal wird die gelebte Weltanschauung selbst als »Philosophie« bezeichnet. »Wir haben alle unsere Philosophien, ob wir dessen gewahr werden oder nicht, und die taugen nicht viel. Aber ihre Auswirkungen auf unser Handeln und unser Leben sind oft verheerend. Deshalb ist der Versuch notwendig, unsere Philosophie durch Kritik zu verbessern. Das ist meine einzige Entschuldigung dafür, dass es überhaupt noch Philosophie gibt.“12 »Der Mensch kann nie bloß bei diesem oder jenem allein denkend oder handelnd sich aufhalten. Er will wissen, was alles zumal in seiner Einheit, in der ihm alles schon immer gegenwärtig ist, sei; er fragt nach den letzten Gründen, nach dem einen Grund aller Wirklichkeit, und insofern er alles einzelne als seiend erkennt, indem er in dieser Erkenntnis immer schon vor sich selbst gebracht ist, nach dem Sein alles Seienden; er treibt Metaphysik. Und selbst wenn er es unterlässt oder sogar ausdrücklich ablehnt, so zu fragen, gibt er auf diese Frage doch eine Antwort: Er erklärt die Frage als gleichgültig oder als sinnlos und hat damit schon eine Antwort gegeben: Dass das Sein des Seienden jenes >Etwas< ist, das uns gleichgültig, dunkel und sinnleer aus jedem Seienden heraus anblickt und so den Fragenden selbst als ins Leere fragend erscheinen lässt. Oder der Mensch macht unausgesprochen ein bestimmtes Seiendes zum Sein: den Stoff oder die Wirtschaft, den Lebensdrang oder den Tod und die Resignation. Denn immer, wenn der Mensch seine eigene Existenz in ein solches Seiendes restlos hineinvergibt, erklärt er durch diese Absolutsetzung eines Seienden dieses zum Mittelpunkt alles dessen, was ihn umgibt und was er ist, und alles andere nur zu Hilfen und Äußerungen dieses einen. Er sagt so, was er |80 unter Sein versteht und verstehen will und wie er so sich selbst als Seinsverständnis interpretiert: er treibt Metaphysik. Wir müssen also Metaphysik treiben, weil wir es immer schon tun.«13 Nach G. D. Kaufmann14 erscheint die Rede von Gott »einerseits im Kontext des menschlichen Spürens von Begrenzung, Endlichkeit, Schuld und Sünde und andererseits seiner Frage nach Sinn und Wert und Bedeutung seiner selbst, seines Lebens und seiner Welt«.15 »Als ein 12 K. Popper, Objektive Erkenntnis, Hamburg 1973, 45. K. Rahner, Hörer des Wortes, Freiburg 21971, 45 f. 14 G. D. Kaufmann, On the Meaning of >God<, in: The Harvard Theological Review 59 (1966) 105-132. Deutsch vom Verfasser. 15 Ebd. 109. 13 Seiendes, das in einer Welt symbolischer Bedeutungen (also als ein sprechendes Seiendes) und Werte (also als ein sich entscheidendes und handelndes Seiendes, das eine Wahl zwischen Alternativen trifft) lebt, fragt der Mensch nach Sinn und Wert seiner eigenen Existenz. «16 Wird dieser Frage nicht ausgewichen, so führt sie dazu, das letztlich Begrenzende zu vergegenwärtigen. »Rede über Gott erscheint, wenn die letzte Grenze verstanden wird in Analogie zu der Erfahrung persönlichen Begrenztwerdens, wie es im Umgang und Zusammenwirken mit anderen persönlichen Willen bekannt ist.«17 »Wenn ein persönlicher Begrenzender die analoge Grundlage für das Verständnis der letzten Grenze ist, resultiert eine Lehre von Gott. Die letzte Grenze wird dann in quasi-personalen Ausdrücken aufgefasst, die sehr entscheidend mittels Begriffen verstanden werden, die ursprünglich einer Sprache entstammen, die verwendet wird, wenn man sich mit interpersonaler Erfahrung beschäftigt. «18 Wird Gott so aufgefasst, dann »kann Gott nicht identifiziert werden mit dem, was für unsere Erfahrung oder in ihr zugänglich ist, nicht einmal mit der letzten Grenze unserer Erfahrung; eher muss diese Grenze aufgefasst werden als Mittel, durch welches uns Gott begegnet (wie Geräusche und Gesten Mittel sind für endliche Personen), wobei Gott selbst aufgefasst wird als die dynamisch wirkende Realität jenseits der Grenze«.19 |81 Festzuhalten ist hier: a) Eine Stellungnahme zur Gottesfrage ist nur sinnvoll im Zusammenhang einer weltanschaulichen Fragestellung im angegebenen Sinn. b) Zur Frage steht nicht, ob ein Mensch aus einer weltanschaulichen Haltung heraus lebt. »Weltanschauung« wurde ja gerade als lebenstragende Haltung eingeführt. Unterschiede gibt es im Inhalt der Weltanschauung und in der Bereitschaft, sie zu entfalten und sie zu prüfen. c) Philosophie und auch Metaphysik werden verstanden als Hilfen für solche Entfaltung und Prüfung. Zu diesem Zweck soll nun die logische Struktur solcher weltanschaulicher Auffassungen umrissen werden. 4.3.2 Strukturelemente Will man sich die logische Struktur einer solchen weltanschaulichen oder lebenstragenden Überzeugung deutlich machen, dann muss man sie sich als ausdrücklich entfaltet vorstellen. Im Sinne der blik-Theorie und des genannten Verständnisses von Weltanschauung gehört dazu, dass das Begegnende (Erfahrung in einem sehr weiten Sinn) in einer bestimmten 1?Veise_aufgefasst (symbolische Repräsentation) und auch bewertet wird (praktische Relevanz). Sucht man diese Auffassungsweise, die von Mensch zu Mensch, jedenfalls von Weltanschauung zu Weltanschauung verschieden sein kann, ausdrücklich zu formulieren, dann gilt: sie enthält ein Begriffsgerüst und Sätze von allgemeinem Charakter, die für selbstverständlich gehalten werden und die die besondere Deutung bzw. spontane Auffassung der Erfahrungsgegebenheiten als begründet verstehen lassen. 4.3.3 Erfahrungsbezug Sehen wir einstweilen davon ab, dass die Erfahrungsgegebenheiten elbst schon durch die in einem Begriffsgerüst beanspruchten Einsichten mitbestimmt sind und dass es schwer ist, die Erfahrungsgegebenheiten unabhängig von jedem solchen Einfluss herauszuarbeiten, wie dies der Empirismus versucht hatte. Wohl aber kann es in einem Gespräch vorkommen, dass die Diskussionspartner fak- |82 tisch in manchen dieser deutenden Elemente übereinstimmen, während sie sich in der weiteren Deutung unterscheiden. In diesem Sinn kann es jeweils gemeinsame Erfahrungsgehalte geben. Je nach Ausmaß der Übereinstimmung im Bereich der vorausgesetzten Einsichten oder allgemeinen Sätze, die in die spontane Erfahrung eingehen, ändert sich die Grenze zwischen »Erfahrungsgebenheiten« und »Deutungen«. Zu den Aufgaben der erkenntnistheoretischen Reflexion gehört es, nicht nur die kontroversen 16 Ebd. 111. Ebd. 122. 18 Ebd. 124. 19 Ebd. 126. 17 Annahmen, sondern auch die Voraussetzungen der spontanen Erfahrung, die tatsächlich gemeinsam angenommen werden, ausdrücklich zu machen und einer Prüfung zu unterziehen. Was hier unter »Erfahrungsgegebenheiten« verstanden wird, ist sehr weit gefasst. Sie sollen ja alles das umfassen, was uns im täglichen Leben begegnet und womit wir uns auseinanderzusetzen haben. Es handelt sich daher nicht nur um Messergebnisse von Experimenten, sondern um Gehalte der lebensweltlichen Erfahrung. Dazu gehört auch das, was als Ergebnis der Wissenschaften auftritt. Aber es geht nicht nur um Tatsachen oder was als solche angesehen wird, sondern auch um Erfahrung spontaner Wertungen verschiedener Art: von Schmerz und Freude bis zum spontanen Erfassen des Wertes einer geachteten oder geliebten Person. Obwohl damit die ganze Lebenserfahrung umspannt ist, die für jeden Menschen persönlich und unwiederholbar ist, gibt es darin doch typisch wiederkehrende Erfahrungen, über die man sich mit anderen verständigen kann. Diese werden gerade auch in dichterischer Sprache immer wieder angesprochen, verstanden und vergegenwärtigt. Methodisch solche Erfahrungen zu vergegenwärtigen und ausdrücklich zu machen ist eines der Anliegen phänomenologischen Vorgehens. 4.3.4 Gehalt Die allgemeinen Sätze, welche die Einsichten ausdrücken, die dem spontanen Erfassen der Gegebenheiten zugrunde liegen, werden oft erst in philosophischer Besinnung entfaltet, besonders wenn es Unterschiede in der Deutung der Gegebenheiten gibt. Häufiger wird jedoch der eigentümliche Gehalt einer Weltanschauung, nen- |83 nen wir ihn den Kern der Weltanschauung, zum Ausdruck gebracht. Dieser Kern, der zusammen mit den für selbstverständlich gehaltenen Einsichten entfaltet und deutend auf die Gegebenheiten bezogen wird, kann seinen Ausdruck in einer bildhaft-symbolischen Weise finden. Wir betrachten hier - wenigstens rekonstruierend - jene ausdrückliche Form, in der der Kern der Weltanschauung in Form von Sätzen entfaltet wird. Bei einem religiösen Glauben besteht dieser Kern in den zentralen Glaubensgehalten, z. B. im Glauben an Gott als Vater, der sich in Jesus Christus mitgeteilt hat. Auf solche Formulierungen ist anzuwenden, was Ramsey aufgezeigt hat und was in der scholastischen Philosophie und Theologie als analoge Weise, von Gott zu sprechen, entfaltet wurde. Das schließt zunächst eine Vertrautheit mit Modellen ein - man könnte von Modell- oder Symbolerfahrung sprechen. Weiters setzt es voraus, dass es einem überhaupt aufgegangen ist, dass man sich mit Fragen beschäftigt, die den Sinn oder das Verständnis unseres Lebens, seiner Grundausrichtung, betreffen. Manche würden das »Transzendenzerfahrung« nennen und als Hilfe, diese Dimension in unserem Leben wirksam werden zu lassen, die Meditation empfehlen. Es entspricht dies der »disclosure« (Erschließungssituation) bei Ramsey. Erst auf diesem Hintergrund ist der Rahmen dafür geschaffen, dass man nun mittels Qualifikation der Modelle oder scholastisch auf bejahende, verneinende und steigernde Weise (vgl. 7.1) den Kern einer solchen Überzeugung sinnvoll zur Sprache bringt. In einer weniger diskursiven Sprachform verwendet etwa die Bibel dazu Erzählungen und Gleichnisse, welche in der bildhaften Rede auf die entscheidenden Vergleichspunkte aufmerksam machen und diese von unwesentlichen oder irreführenden Momenten, die sich am Modell auch finden, abheben. 4.3.5 Erklärung Die durch den Kern der Weltanschauung geschehende Deutung des Begegnenden ist eine Art von Erklärung, vielleicht besser: Interpretation. Sie ist nämlich nicht eine Erklärung im naturwissenschaftlichen Sinn, die es erlaubt, einzelne Prognosen zu stellen, |84 indem aus gesetzesartigen Aussagen und Randbedingungen Beobachtungssätze abgeleitet werden. Die Erklärung ist hier eher mit einer Einbettung, einer Klassifikation zu vergleichen. Das Begegnende wird in verschiedene Bereiche oder Klassen unterschieden. Dadurch wird es möglich, die für einen Bereich geltenden Gesetze und Kriterien von anderen Bereichen abzuheben. Dadurch können Unklarheiten beseitigt werden, die sich durch unbesehenes Übertragen ergeben. Dadurch wird es aber auch möglich, nach dem Zusammenhang dieser Bereiche zu fragen und die Bedeutung der Inhalte des einen Bereichs für den anderen herauszuarbeiten. Weil eine solche Deutung oder Erklärung das vielfältige Begegnende in einer geordneten Ganzheit (lat.: integrum) zu verstehen versucht, könnte man auch von einer integrativen Erklärung oder Interpretation sprechen. Sie ist für die Funktion der Weltanschauung eigentümlich und ist auch die spezifisch philosophische Erklärungsweise. Wegen der wesentlich praktischen Dimension solcher lebenstragenden Überzeugungen wird mit der Unterscheidung von Bereichen auch eine Bewertung verbunden. Durch die Bewertung wird eine praktische, ethische Relevanz des in bestimmten Bereichen Erfahrenen für unsere Lebensgestaltung ausdrücklich. Man kann auch sagen, dass die theoretische Deutung und die praktische Bewertung selbst verschiedene Bereiche sind, die zu unterscheiden sind und deren Zusammenordnung in einer integrativen Erklärung gesucht wird, womit der Rahmen für die praktische Relevanz des Erfahrenen erstellt wird. Wegen dieser wesentlich praktischen Dimension von Weltanschauung wird der symbolischanalog dargestellte Kern einer Lebensüberzeugung zwar häufig in Aussagesätzen formuliert, diese werden aber so verstanden, dass sie bestimmte Wertungen und Normen begründen. Sie sind damit implizit normativ bzw. axiologisch (griech.: āxios = wertvoll). Dies entspricht der klassischen Wirklichkeitsauffassung, dergemäß Sein und Wert nicht getrennt, sondern, wenn auch unterscheidbar, wesentlich aufeinander bezogen sind. |85 4.3.6 Beispiel Diese Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen lässt sich am Beginn des Apostolischen Glaubensbekenntnisses veranschaulichen. »Ich glaube« dient der Einleitung, um die Art des Sprechaktes deutlich zu machen. »An Gott, den Vater, den Allmächtigen« spricht das, was den Kern des Glaubens ausmacht, mit einem aus der familiären Erfahrung vertrauten Wort, nämlich »Vater«, an. Zugleich wird dieses Wort mit einem anderen verbunden, nämlich »allmächtig«, das auf die Veränderung des Sinngehalts von »Vater« hinweist; die bei der Übertragung dieses Wortes aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auf Gott zu berücksichtigen ist. Hintergrund für diese Veränderung bilden Texte des Neuen Testaments, z. B. das Gleichnis vom verlorenen Sohn, von den Lilien des Feldes usw. Zugleich wird dies als mit praktischen Folgerungen verbunden verstanden, etwa dem Doppelgebot der Gottesund der Nächstenliebe und damit mit einer bestimmten hohen Bewertung der menschlichen Person. 4.4 Sinn von Argumenten in religiös-weltanschaulichen Fragen Weltanschauliche Überzeugungen scheinen eher die persönliche Sicht eines Menschen zum Ausdruck zu bringen, nicht aber einer argumentativen Begründung oder Widerlegung zugänglich zu sein. Wollen wir unser Verständnis diesbezüglicher Äußerungen eines Menschen überprüfen, so müssen wir beachten, welche Folgerungen sich aus seiner geäußerten Überzeugung ergeben: theoretische, die sich in Aussagen über seine Sicht und Einschätzung von Dingen und Situationen ausdrücken; praktische, die sich in einer dieser Überzeugung entsprechenden Handlungsweise darstellen oder auch in Handlungsnormen, die als durch diese Überzeugung begründet angesehen werden. Auch kann es aufschlussreich sein, zu hören, durch welche Gegebenheiten jemand seine Überzeugung als gestützt betrachtet. Nun ist aber der sprachliche Ausdruck für solche Folgerungen die argumentierende Rede - sie sucht zu zeigen, dass mit der Geltung eines bestimmten Gehalts aufgrund eines als gültig vorausgesetz- |86 ten Zusammenhangs meist allgemeiner Art (Schlussregel formaler oder inhaltlicher Art) auch die Geltung eines anderen Gehalts garantiert sei. In Abhebung vom Mythos ist es für Aristoteles das Charakteristische der Philosophie, dass sie argumentiert, angibt, worauf sich Behauptungen stützen. Tatsächlich ist es in der philosophischen Gotteslehre zu einem guten Teil um argumentierende Gottesbeweise gegangen. Auch die Überlegung über die Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen hat uns Elemente gezeigt, die sich nach Kriterien überprüfen und für die sich Gründe, die eine solche Überzeugung stützen, anführen lassen. Die Elemente der logischen Struktur weltanschaulicher Überzeugungen geben Aufschluss über Sinn und Grenze von argumentierendem Gespräch in einem Dialog über religiös-weltanschauliche Fragen. Als Hilfe zur Klärung der Gesprächssituation kann das allgemeine Kommunikationsschema dienen. Was darin zunächst als Code oder Verständnisvoraussetzung auftritt, ist dann genauer durch die differenzierte Struktur weltanschaulicher Auffassungen zu ersetzen. 4.4.1 Das allgemeine Kommunikationsschema Zum Verständnis der Gesprächssituation oder allgemeiner des Verstehens von Äußerungen von Menschen wurde durch die Hermeneutik20 (Dilthey, Heidegger, Gadamer) die Bedeutung der Verständnisvoraussetzungen aufgewiesen, von denen das tatsächliche Verstehen auch im einzelnen abhängt. Auch von der Weiterentwicklung der Sprachanalyse her ist deutlich geworden, dass für das Verstehen und Analysieren von Argumentationen und, allgemeiner, von sprachlichen Äußerungen nicht nur eine logisch-formale Analyse genügt, sondern dass auch die von den Argumentierenden gemachten Voraussetzungen 21 und auch die Eigenart des |87 Sprachvollzugs als Tätigkeit (Wittgenstein, Searle'22, P.Lorenzen23) für ein Gelingen von Bedeutung sind. Verständnisvoraussetzungen und Grenzen des Verstehens Verstehensbedingungen, erläutert am allgemeinen Kommunikationsschema: --------------------------------------------------------------------- ° Sprecher Mitteilung Hörer ° Mitteilungs- <--- Übereinstimmung? ---> Verständnis <-------intention --> Äußerung Satz Sprechen-Hören Satz Sprache, Überteilweise zeugungen, Verständnis- Übereinstimmung voraussetzungen des Sprechers Wahrnehmung ---- ° Sprache, Überzeugungen,Verständnis°voraussetzungen des Hörers ° gemeinsame Verständnisvoraussetzungen Erfahrung, Lebenszusammenhang -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- ° ---------------------------------------------------------------------- 20 Vgl. E. Coreth, Grundfragen der Hermeneutik, Freiburg 1969. St. Toulmin, The Use of Arguments, Cambridge 1969 (deutsch: Der Gebrauch von Argumenten, Königstein 1975). 22 J. R. Searle, Speech Acts, Cambridge 1969 (deutsch: Sprechakte, Frankfurt 1971) 23 P. Lorenzen, Einführung in die Operative Logik und Mathematik, Berlin 1955; P. Lorenzen/ O. Schwemmer, Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie, Mannheim 1973. 21 Für die Kommunikation wichtige Faktoren, die vor allem am Misslingen des Verstehens deutlich werden, lassen sich schematisch verdeutlichen, indem unterschieden werden: die beteiligten Personen (Sprecher, Hörer - im Gespräch wechseln sie natürlich die Rollen); der (sprachliche) Ausdruck, der Satz, der gesprochen wurde und wie er gehört wird; das Verständnis dieser Äußerung durch den Sprecher (Mitteilungsintention) und durch den Hörer (Verständnis); die Verständnisvoraussetzungen (Kenntnis der Sprache), die sich in größerem oder geringerem Maß decken und zu denen auch der Bezug zu einem oft nur teilweise übereinstimmenden Lebens- und Erfahrungsbereich gehört. Unterschiede merken wir am ehesten und können sie daher auch am |88 leichtesten beheben, wenn sich die Verwendung der Ausdrücke auf einen gemeinsamen Lebens- und Erfahrungsbereich mit weitgehend übereinstimmender und faktisch akzeptierter Lebensform bezieht.24 4.4.2 Schwierigkeiten der Verständigung in religiösweltanschaulichen Fragen Zum Verständnis der Situation eines religiös-weltanschaulichen Dialogs ist das allgemeine Kommunikationsschema dahingehend zu ergänzen, dass die Verständnisvoraussetzungen entsprechend der Struktur von lebenstragenden Überzeugungen genauer gefasst werden. Dann tritt zutage, welche typischen Verständnisschwierigkeiten auftreten können. Einige davon seien hier angeführt: Zunächst muss bereits damit gerechnet werden, dass die ausdrücklich begrifflich oder in bildhaften Symbolen -formulierte Weltanschauung die gelebte Weltanschauung nicht voll und angemessen entfaltet. Dies zeigt sich dann, wenn die theoretischen und praktischen Folgerungen, die der Vertreter einer Weltanschauung ziehen zu müssen meint, dem Partner nicht verständlich erscheinen. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob man als Sinn der Äußerung jene Überzeugung auffassen soll, die im Leben des Betreffenden wirksam ist, aber nur unangemessen zum Ausdruck kam (wobei freilich für den Betreffenden dieser Ausdruck durchaus für die in seinen weiteren Folgerungen zutage tretende Auffassung steht - operativer Sinn der Äußerung), oder ob die Äußerung in einem von den gemeinsamen Verständnisvoraussetzungen her naheliegenden (manifesten) Sinn zu verstehen ist. Wenn man dem Partner gerecht werden will und zugleich nach Verbesserung des Verständnisses sucht, wird man auf eine Präzisierung der Äußerung um einer größeren Angemessenheit willen Wert legen. Auf dem Weg dahin wird man mit einem Auseinanderklaffen des manifesten und des operativen Sinnes rechnen und jeweils beachten, worauf man sich bezieht. Als Beispiel dafür denke man an die Berücksichtigung des Sprech- |89 aktes, in dem ein indikativer Satz geäußert wird. Für den einen kann er eine (eventuell sogar dem Symbolverständnis seiner Weltsicht entsprechende) im übertragenen Sinn zu verstehende Äußerung seines Bekenntnisses zu einem bestimmten Glauben sein, für den anderen ist er vielleicht eine Tatsachenbeschreibung, die als solche intersubjektiver Überprüfung durch Beobachtung zugänglich sein müsste. Versuchen wir das allgemeiner zu fassen. Nennen wir die Weise, wie jemand die Äußerung eines Partners auffasst, interpretiert, eine Interpretation. Wenn wir auch als Ideal eine voll angemessene Interpretation anstreben, so wird diese doch gewöhnlich nicht erreicht. Wir sind oft schon zufrieden, wenn die Interpretation für einen bestimmten Mitteilungszweck hinreichend ist, auch wenn sie unter anderer Rücksicht dem Partner nicht gerecht wird. Solange eine solche eingeschränkte Interpretation nur im Zusammenhang des Mitteilungszweckes, dem sie angemessen ist, verwendet wird, liegt kein Problem vor. Nur ist die Gefahr damit verbunden, dass wir aufgrund dieses Teilerfolgs unversehens diese Interpretation auch auf andere Zusammenhänge ausdehnen, in denen sie der Intention des Sprechers nicht mehr angemessen ist, so dass er sich hier für missverstanden halten muss. 24 Vgl. K. Studhalter, Ethik, Religion und Lebensform bei Ludwig Wittgenstein, Innsbruck 1973. Ebenso wird man dem Sprecher nicht gerecht, wenn man die eingeschränkte Interpretation für alles hält, was er mitteilen wollte und gemeint hat, wenn man also seine Intention auf den Gehalt der eingeschränkten Interpretation reduziert. Lenkt man z. B. die Aufmerksamkeit darauf, welche praktischen Folgerungen die Auffassung des Partners enthält, und ist man hier erfolgreich, so dass man eine unter dieser Rücksicht zwar eingeschränkte, aber angemessene Interpretation erreicht, so wird man dem Partner doch in vielen Fällen nicht gerecht, wenn man der Ansicht ist, damit sei schon alles, was der Partner meint, erfasst. Das ist der Fall, wenn jemand getreu die praktischen Folgerungen, die das Bekenntnis zu Gott enthält, erfasst und dann meint, damit schon alles berücksichtigt zu haben, was jemand glaubt, wenn er an Gott glaubt. Als methodische Folgerung ergibt sich daraus, dass bei einer gelungenen eingeschränkten Interpretation der besondere Gesichtspunkt, unter dem sie angemessen ist, berücksichtigt rücksichtigt werden muss, damit sie nicht reduktionistisch wird. |90 Die Angemessenheit der Interpretation unter einem neuen Gesichtspunkt muss erst noch überprüft werden. Sonderfälle eingeschränkter Interpretation sind jene, die negativ und positiv genannt werden können (vgl. 1.1.2.4). Eine negative Interpretation liegt vor, wenn das Interesse vor allem auf jene Momente an der Äußerung des Parnters gelenkt wird, die eine begründete Ablehnung verdienen. Ein solches Moment mag ein unglücklicher Ausdruck der vom Partner vertretenen Auffassung sein - Unangemessenheit des Ausdrucks gegenüber der gelebten Überzeugung oder auch eine nicht zureichende Begründung für seine Behauptung, die etwa in der Verwendung von historisch bedingten und überholten Vorstellungen besteht. Ein Beispiel dafür wären die klassischen Gottesbeweise, die oft deshalb auf Ablehnung stoßen, weil sie mit einem heute überholten Weltbild verbunden gewesen sind. Eine solche Interpretation hat ihren Wert für die Herausarbeitung von Unterschieden in Auffassungen und dient der Klärung und Profilierung der Meinungen. Die Tendenz zu einer solchen Interpretation ist spontan oft dort am Werk, wo es um die Abhebung des eigenen Standpunktes gegenüber anderen geht. Die Gefahr einer solchen Interpretation und das philosophisch Unzulängliche an ihr besteht darin, dass man sich die Widerlegung zu einfach macht und die in der vielleicht überholten Formulierung enthaltenen und heute noch bedenkenswerten Gründe und Anliegen des Partners nicht berücksichtigt. Eine positive Interpretation legt den Nachdruck auf die Entfaltung und eventuell auch Ergänzung der Anliegen und Gründe, die in der betreffenden Auffassung wirksam sind und die vielleicht in einer unzulänglichen Weise ausgedrückt worden waren. Die Aufmerksamkeit wird auf das Anliegen des Partners und auf das als begründet Akzeptierbare gelenkt. Erst durch eine solche Interpretation wird man dem Partner eher gerecht und kann aus der Auseinandersetzung mit ihm lernen. Freilich darf auch diese eingeschränkte Interpretation noch nicht als unter jeder Rücksicht angemessen angesehen werden - sie wird sich daher mit der negativen Interpretation zu einer kritisch positiven verbinden müssen, will man einem Verwischen von Unterschieden vorbauen. Die Tendenz zu einer spontanen positiven Interpretation tritt vor allem dort auf, |91 wo man die Äußerungen einer geschätzten Person auffasst, was leicht mit einer unkritischen Haltung verbunden sein kann. Wenn in wichtigen Punkten Gegensätze bestehen, fühlt sich dann der Partner zu schnell vereinnahmt. So werden wir damit rechnen müssen, dass eine gesuchte angemessene Interpretation zwischen negativer und positiver liegt, ohne dass wir schon in der Lage sind, den Ort genau anzugeben. Diese Unbestimmtheit wirkt sich dann auch auf eine sinnvolle Anwendung genetischer ideologiekritischer Erklärungen aus - denn diese setzen ja die Berechtigung der negativen Interpretation voraus: Sie sollen erklären, warum das, was doch nicht als berechtigt anzusehen ist, vom Partner dennoch akzeptiert wird. Verschiedene Dialog-Theorien suchen diese Situation methodisch zu bewältigen.25 4.4.3 Kriterien In den Kriterien, die Ferré in Anlehnung an Whitehead und Ramsey formuliert, kommen einige Bedingungen zum Ausdruck, die notwendig dafür sind, dass eine Weltanschauung ihre grundlegenden Funktionen erfüllt. Diese funktionalen Kriterien sind jedoch nicht zu verwechseln mit dem Anspruch, eine der Wirklichkeit gemäße Auffassung zu vertreten, den jemand mit seiner Überzeugung verbindet. Sie machen vielmehr gerade verständlich, wie jemand etwa Irrtümer in seiner Auffassung erkennt und in vernünftig rekonstruierbarer Weise seine Anschauung ändert. Die Kriterien fordern, dass der Kern einer Weltanschauung in dem Sinn widerspruchsfrei ist, dass nicht jede beliebige Folgerung daraus gezogen werden kann denn dann würde sie nicht ihre deutende und strukturierende Funktion erfüllen. Das soll nicht heißen, dass nicht tatsächlich Widersprüche in den faktischen weltanschaulichen Überzeugungen vorkommen: Vielmehr soll es heißen, dass ein Aufdecken solcher Widersprüche als Einwand anzuerkennen ist. Entsprechendes gilt für alle Kriterien. Weiters wird durch |92 diese Kriterien gefordert, dass die weltanschauliche Auffassung in dem Sinn einheitlich oder zusammenhängend ist, dass sie nicht aus verschiedenen, nicht miteinander koordinierten Deutungssystemen besteht. Das wäre z. B. ein Einwand gegen eine extreme Theorie der doppelten Wahrheit. Bezüglich des im Leben Begegnenden wird gefordert, dass sich die Weltanschauung auf dieses bezieht, um es zu deuten und zu bewerten, und dass sie grundsätzlich alles Begegnende berücksichtigt und nichts willkürlich ausschließt. Diese funktionalen Kriterien und das Ansprechen einer Weltanschauung als »Deutung« der Gegebenheiten dürfen nicht in dem Sinn missverstanden werden, als handle es sich bei einer weltanschaulichen Überzeugung um eine unverbindliche Meinung. Vielmehr ist sie ja gerade als lebenstragende Einstellung von ihrem Vertreter aufgefasst als etwas, was die Wirklichkeit seines Lebens betrifft und in diesem Sinne wahr. ist. Gerade deshalb kann aber die Entdeckung von Gegebenheiten oder Zusammenhängen, die als Einwände anzusehen sind, zu einer Korrektur führen. Was dabei als Einwand auftreten und eine vernünftig rekonstruierbare Änderung begründen kann, das wird gerade in der philosophischen Reflexion als Struktur der Weltanschauung unter dem Bild einer Deutung des Gegebenen und durch die funktionalen Kriterien als Weg zur erhofften Verbesserung einer solchen Auffassung entfaltet. 4.4.4 Weltanschauungskritik Die genannten Kriterien weisen den Weg, wie tatsächlich vorkommende weltanschauliche Auffassungen kritisch diskutiert und ihre Änderungen als rational begründet verstanden werden können. Gerade das aber macht auf Elemente in weltanschaulichen Auffassungen aufmerksam, die als nicht vernünftig begründbar, weil den Kriterien widersprechend anzusehen sind. Hier ist der Ort, wo man sinnvoll nach einer psychologischen und wissenssoziologischen Erklärung solcher Verzerrungen und Engführungen Ausschau hält. Unangebracht wäre es, aus einer solchen Erklärung zu folgern, die betreffende Auffassung entbehre der Geltung. Ist aber aufgrund der Kriterien eine Auffassung als nicht vernünftig ver- |93 tretbar anzusehen, dann kann eine psychologische und wissenssoziologische Erklärung verständlich machen, warum sie dennoch tatsächlich vertreten wird und Gegengründe ignoriert werden. Ob jedoch eine Auffassung als rational nicht vertretbar angesehen wird, hängt von der philosophischen Position zu der Frage ab, welche Klärung weltanschaulicher Auffassungen überhaupt möglich sei. So ist es verständlich, dass verschiedene Autoren in unterschiedlichem Ausmaß weltanschauliche Auffassungen als nicht rational begründbar 25 W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik oder Vorschule des vernünftigen Redens, Mannheim 1967; J. Habermas, Was heißt Universalpragmatik? in: K. O. Apel (Hrsg.), Sprachpragmatik und Philosophie, Frankfurt 1976,174-272; Dialog als Methode = Neue Hefte für Philosophie, Heft 2/3, Göttingen 1972. ansehen und daher meinen, sie genetisch und ideologiekritisch erklären zu müssen.26 Solche Untersuchungen sind aber auch für einen, der der rationalen Klärung in weltanschaulichen Fragen mehr zutraut, deshalb von Bedeutung, weil sie auf mögliche Gefahren einer Verzerrung aufmerksam machen und außerdem helfen können zur Erklärung von Auffassungen, die auch von dem der rationalen Kritik mehr zutrauenden Standpunkt aus nicht gerechtfertigt werden können. Ein weiterer Spielraum für die Anwendung der genetisch und ideologiekritsch erklärenden Methoden ergibt sich daraus, dass es oft nicht ganz leicht ist, den Gehalt einer weltanschaulichen Überzeugung angemessen und ohne Missverständnisse zu erfassen. Während daher der positiven Interpretation einer bestimmten Auffassung eine derartige Erklärung nicht angebracht erscheint, wird sie einer negativen Interpretation unumgänglich erscheinen. Die Frage ist dann, welche Interpretation die angemessenere ist; wenn dies nicht auszumachen ist, wird man zumindest zur Vorsicht gemahnt. 4.5 Weisen der Begründung Wenn eine begründende Rede im Dialog vorkommt, sind mehrere Fälle zu unterscheiden, je nachdem, ob die Voraussetzungen der Folgerung den Dialogpartnern gemeinsam zugänglich und von ihnen akzeptiert sind oder nicht. Gehören die Voraussetzungen (Ge- |94 gebenheiten, Zusammenhänge) dem Bereich der gemeinsamen Verständnisvoraussetzungen an, dann ist eine interpersonale Begründung möglich, durch die der zu begründende Gehalt, der ursprünglich nicht dem gemeinsamen Verständnisbereich angehörte, auf diesen bezogen wird. Dadurch ist eine Erweiterung des gemeinsamen Bereichs möglich. Das betrifft sowohl Fragen nach dem Sinn von Ausdrücken, was für die Interpretation wichtig ist, als auch die Bejahbarkeit von Aussagen oder die Anerkennung der Gültigkeit von Normen. Doch sind hier einige wichtige Einschränkungen zu beachten: Zunächst wird in vielen Fällen nur eine eingeschränkte Interpretation der Auffassung des Partners im Bereich gemeinsamen Verstehens rekonstruiert werden können. Das kann auch dadurch berücksichtigt werden, dass man übereinkommt, in einem bestimmten Bereich gemeinsamen Vorgehens, z. B. in einer bestimmten Wissenschaft, die Ausdrücke terminologisch nur in dem so geklärten Sinn zu verstehen. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass es sich um eine methodische Festlegung handelt, die man für Fragen außerhalb dieses Bereiches nicht ohne weiteres voraussetzen kann. Weiters ist zu beachten, dass die faktische Gemeinsamkeit zwischen den Dialogpartnern noch keine Garantie ist für die Geltung des gemeinsam Akzeptierten - es könnte sich ja auch um ein gemeinsames Vorurteil handeln. Aufgabe der kritischen Besinnung der Philosophie ist es, das Beachten dieser Möglichkeit wachzuhalten, wenn es ihr nicht gelingt, die Berechtigung des gemeinsamen Akzeptierten zu prüfen und aufzuweisen. Ein Weg, der diese philosophische Kritik wachrufen kann, ist das Einbeziehen weiterer Dialogpartner. Was nämlich für zwei Partner oder auch für eine bestimmte Gruppe zum gemeinsamen Verständnis- und Überzeugungsbereich gehört, muss für die zusätzlichen Partner durchaus nicht dazugehören. So kann der Verdacht entstehen, es handle sich bei der gemeinsamen Überzeugung um ein Gruppenvorurteil, vor allem wenn es nicht gelingt, sie von den gemeinsam akzeptierten Voraussetzungen der umfassenderen Personengruppe her interpersonal zu begründen. Wenn dieses Verfahren der Beiziehung weiterer Dialogpartner auch wiederholt wer- |95 den kann, so wird doch dadurch allein noch nicht eine Begründung der faktisch gemeinsamen Überzeugungen geliefert, mag die Zahl ihrer Vertreter auch noch so groß sein. 26 Vgl. E. Topitsch, Vom Ursprung und Ende der Metaphysik, Wien 1958; ders., Gottwerdung und Revolution, Pullach 1973; eine Anwendung ideologiekritischer Überlegungen auf Fehlformen religiösen Verhaltens versucht A. Grabner-Haider, Ideologie und Religion, Wien 1981. Was man gelegentlich als zwingenden wissenschaftlichen Beweis bezeichnet, dürfte darin bestehen, dass bestimmte Auffassungen eines bestimmten Bereichs (Wissenschaft) aufgrund der gemeinsamen Voraussetzungen dieses Bereichs interpersonal begründet werden können. Philosophische Kritik der Wissenschaft weist darauf hin, dass für eine über diesen Bereich hinausgehende Verwendung dieser Auffassungen die entsprechenden Voraussetzungen überprüft werden müßten. Ebenso weist sie darauf hin, dass dies nicht auf dieselbe Weise mit einem solchen zwingenden Beweis geschehen könne. Hier wird einerseits ein indirekter Weg der Rechtfertigung versucht, andererseits ein direkter, der zum Problem persönlicher Begründung führt. Der indirekte Weg besteht darin, dass bezüglich bestimmter Überzeugungen nicht bloß faktisches Übereinkommen verlangt, sondern zu zeigen versucht wird, dass ohne Anerkennung dieser Überzeugung gar nicht gesprochen, die Geltung dieser Überzeugung gar nicht in Frage gestellt werden könnte und dass jede Korrektur unserer Überzeugungen diese Überzeugung bereits als berechtigt voraussetzt. Dieses Vorgehen begegnet allerdings einigen Schwierigkeiten: Von den üblichen interpersonalen wissenschaftlichen Begründungen unterscheidet es sich dadurch, dass man sich für den Nachweis der Unabdingbarkeit für jede weitere Korrektur unseres Wissens nicht auf einen bestimmten, gegenständlich abgegrenzten Fragenbereich beschränken kann. Eine solche Voraussetzung muss als unabdingbare operative Struktur unseres Sprechens und Wissens, das heißt als eine immer wiederkehrende und selbst die Prüfung der Geltung unserer Auffassungen erst ermöglichende Vorgehensweise herausgearbeitet weden. 27 |96 Was in einem solchen Nachweis gezeigt wird, ist die Berechtigung dieser operativen Struktur und damit einer Aussage, insofern sie diese Struktur zum Ausdruck bringt. Nun sind aber im Laufe der Denkgeschichte mit solchen Formulierungen immer wieder noch weitere Gehalte faktisch verbunden worden. Später erwiesen sie sich als unberechtigt, damit war das ganze Verfahren fragwürdig geworden. Darum muss bei diesem indirekten Verfahren der operative Sinn genau herausgearbeitet werden. Nur dieser kann für berechtigt gehalten werden, nicht aber eine bestimmte seiner Formulierungen, schon gar nicht ungeprüft damit verbundene Gehalte. Sofern nicht die Gewähr gegeben ist, dass die betreffende Formulierung von allen Betroffenen genau als Ausdruck der notwendig als gültig vorauszusetzenden operativen Struktur verstanden wird, wird darum dieses indirekte Verfahren auch nicht als interpersonale Begründung der betreffenden Aussagen Anerkennung finden. Andererseits kann man es aber als Weg betrachten, der gerade auf den berechtigten Sinn dieser Aussage hinführt und ihn von anderen Interpretationen kritisch abhebt.28 Ein anderes Missverständnis dieses im Kern transzendentalphilosophischen Vorgehens besteht darin, dass man die operative Struktur im Rahmen einer bestimmten einzelnen Wissenschaft sieht und erklärt und so zu einem Psychologismus oder Biologismus kommt: Die unabdingbaren Voraussetzungen, das nicht nur faktische, sondern unabdingbare Apriori menschlichen Erkennens, wird als phylogenetisches Aposteriori, Produkt eines evolutiven Selektionsprozesses aufgefasst.29 Die daraus gezogene Folgerung, dass sich die spezifisch menschlichen Erkenntnisformen für den näheren Lebensbereich des Menschen bewährt hätten und deshalb als gültig anzusehen seien, würde in etwa der bedingten Geltung des lebensweltlichen Aprioris menschlichen Erkennens entsprechen. Nicht aber werden dadurch die operativen Strukturen und deren Geltung |97 27 B. J. F. Lonergan, Insight. A Study of Human Understanding, London 1957, sucht die tragenden operativen Strukturen menschlichen Erkennens aufzuweisen und von da aus auch den Geltungsanspruch operativ zu fassen. Vgl. O. Muck, Die transzendentale Methode in der scholastischen Philosophie der Gegenwart, Innsbruck 1964, 234-258. 28 Die Struktur dieses Vorgehens wurde entfaltet in O. Muck, The Logical Structure of Transcendental Method, in: International Philosophical Quarterly 9 (1969) 342 bis 364. 29 G. Vollmer Evolutionäre Erkenntnistheorie, Stuttgart 1975; R. Riedl, Biologie der Erkenntnis. Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft, Berlin 1980. verständlich, die für die Entfaltung der vorausgesetzten biologischen Theorien und eine kritische Besinnung auf die Geltung unseres Erkennens erforderlich sind. Sofern man wegen der angedeuteten Schwierigkeiten eine solche indirekte Begründung nicht gelten lassen will, auch nicht die noch zu besprechende direkte, weil sie nicht interpersonal ist, kann man das Anliegen der philosophischen Kritik auch dadurch zur Geltung bringen, dass man den Weg, den faktischen Konsens durch Erweiterung des Bereiches der Dialogpartner als nur faktisch und gruppenbezogen zu erkennen, dadurch methodisch auswertet, dass man im Gedankenexperiment die Voraussetzungen zu variieren versucht, alternative Ansätze entwickelt und sie auf ihre Durchführbarkeit hin überprüft. Hier gehört es zur Methode, faktische Voraussetzungen als grundsätzlich revidierbar, fallibel, anzusehen und zur Überprüfung von Alternativen bereit zu sein. Dies entspricht dem Vorgehen des Kritischen Rationalismus.30 Der Vorteil dieses Vorgehens dürfte in der leichteren Handhabung liegen, der Nachteil darin, dass die auclieses Vorgehen tragenden operativen Strukturen unbedacht bleiben und dem berechtigten Kern faktischer Überzeugungen nicht entsprechend Rechnung getragen wird.31 Ein anderer Weg zur Begründung von Überzeugungen ist die direkte Berufung auf Einsicht, unmittelbare Gewissheit. Sie wird einerseits bezüglich Erfahrungsgegebenheiten angewandt, andererseits bezüglich grundlegender allgemeiner Aussagen. Gerade aber in diesem zweiten Fall wird eingewendet, dass zwar solchen Aussagen - z. B. in den klassischen Gottesbeweisen - große Beweislast aufgeladen werde, dass aber der genannte Weg der Rechtfertigung unzureichend sei: Entweder akzeptiert der Gesprächspartner nicht die Gewissheit dieser Aussage - und dann ist bereits eine Pattstel- |98 lung erreicht -, oder er anerkennt sie, dann aber ist keine Gewähr gegeben, dass es sich um eine Einsicht in die Berechtigung, nicht nur um eine faktische Übereinstimmung handelt. Hier stellt sich allgemeiner das Problem des Sinnes von Begründungen, von argumentativer Rede, wenn die Voraussetzungen vom Partner nicht geteilt werden. Nennen wir eine solche Begründung, wenn sie von Voraussetzungen Gebrauch macht, die nicht von allen Partnern geteilt, wohl aber vom Begründenden als gültig anerkannt werden, eine persönliche Begründung. Welchen Sinn hat sie? Sie kann zunächst nicht den Partner von der Geltung der betreffenden Aussage überzeugen. Die Ernsthaftigkeit dessen, der die Begründung vorbringt, vorausgesetzt, kann sie jedoch wichtige Dienste leisten zur Prüfung der Interpretation der Auffassung des Partners. Sie kann auf Gründe, die zwar noch nicht als triftig anerkannt werden, aber einer Prüfung würdig sein können, und damit auf eventuell übersehene Gesichtspunkte aufmerksam machen. Außerdem kann auch die Stimmigkeit einer nur persönlichen Begründung vom Partner überprüft werden. Die Diskussion darüber kann neue Hinweise für die Angemessenheit der Interpretation der Auffassung des Partners enthalten. Jedenfalls bringt die persönliche Begründung theoretische und praktische Folgerungszusammenhänge an den Tag, die sich wenigstens in der Sicht dessen ergeben, der die Begründung vorbringt. Das gibt Hilfen für eine Verbesserung des Verständnisses. Ähnliches gilt nicht nur für einzelne Dialogpartner, sondern auch für das Verständnis von Gruppen untereinander, die sich in ihrer Argumentation auf Voraussetzungen stützen, die innerhalb ihrer Gruppe geteilt werden, nicht aber außerhalb. Das mag der Fall sein bei einem Gespräch von Christen mit Nichtchristen oder in einem ökumenischen Dialog. Aus allen diesen Überlegungen ergibt sich, wie schwierig es oft ist, ein gegenseitiges angemessenes Verständnis in religiös-weltanschaulichen Fragen zu erreichen. 30 H. Albert, Traktat über kritische Vernunft. Vgl. C. F. Gethmann, Logische Deduktion und transzendentale Konstitution. Zur Kritik des Kritischen Rationalismus am methodologischen Theorem der Begründung, in: W. Czapiewski (Hrsg.), Verlust des Subjekts, Kevelaer 1975, 11-76; K. Huber, Der Ausschluss derTheologie aus den Wissenschaften durch Sprachregelung in der Erlanger Schule, in: Scienza e noncredenza, Cittā de] Vaticano 1980, 8-34. 31 Für ein fruchtbares Bemühen um Verständnis wird man beachten, wie vorsichtig man im Urteil über die Überzeugung anderer Personen sein und dass man Interpretationshypothesen einer strengen Überprüfung aussetzen muss. Dafür spielt die Berücksichtigung und Verwendung sowohl interpersonaler als auch persönlicher Be- |99 gründung eine wichtige Rolle. Entsprechend der Struktur der weltanschaulichen Thematik geht es dabei nicht nur um theoretische Gehalte, sondern besonders auch um den Bezug zur Lebenserfahrung und Lebenspraxis. Aufgrund der Schwierigkeit einer konklusiven Anwendung der rationalen Kriterien für weltanschauliche Überzeugungen wird man von der Argumentation nicht sofort eine Rechtfertigung oder Widerlegung erwarten können. Die Hauptaufgabe der Argumentation in diesem Bereich besteht in der Vergrößerung des gemeinsamen Verständnishorizonts, damit in einem angemesseneren Verstehen der Überzeugung des anderen und in einem Kennenlernen seiner Gründe. Die Frucht solchen Bemühens ist eine größere Vorsicht und Toleranz in der persönlichen Haltung gegenüber der Überzeugung anderer durch Gewahrwerden der Komplexität der Faktoren. Dies aber kann zugleich bisher nicht beachtete Gesichtspunkte und Gründe zur Geltung bringen, die die eigene Überzeugung ändern, klären, reifen lassen. Aus diesem Grund ist eine Argumentation in weltanschaulichen Fragen, auch wenn von ihr keine schnelle Entscheidung erwartet werden kann, durchaus sinnvoll und wichtig. Angesichts dieser Lage zögert man oft, Begründungen im Bereich der Gottesfrage »Beweis« zu nennen. Oft denkt man nämlich an eine einzelwissenschaftliche Begründung oder mathematische Beweisführung. weisführung. Um diesem Missverständnis vorzubauen, sucht man andere Ausdrücke: So wird von einem »Aufweis von Erkenntnisgründen« gesprochen, weil es genau darum im aristotelisch-thomistischen Verständnis von »Beweis« geht. Weil die Erkenntnisgründe auf das Dasein Gottes verweisen, wird auch von »Hinweis« gesprochen. Dabei kommt zum Ausdruck, dass mit dem Aufweis der Erkenntnisgründe noch nicht vorentschieden ist, welche persönliche Stellung jemand ihnen gegenüber bezieht, und dass ohne eine solche Stellungnahme das Dasein Gottes nicht bejaht werden kann. Dass das Ziel eines solchen Beweises nicht das Zustandekommen eines . »Ergebnisses der Wissenschaft« ist, auf das man sich einfach berufen kann, sondern dass es um eine wesentlich persönlich anzueig- nende Einsicht und Überzeugung geht, wird in dem Ausdruck „Vergewisserung“ nahe gelegt. In beiden Fällen wird das berücksichtigt, was in der Neuscholastik bezüglich der durch Gottesbeweis vermit- |100 telten Gewissheit herausgearbeitet wurde: dass sie wesentlich freie Gewissheit (certitudo libera) ist. Mehrvom Gedankengang der Gottesbeweise her, die meist von unmittelbarer Erfahrung ausgehend diese auf ihre sachlich vorausgesetzten Bedingungen befragen, als deren grundlegendste sich Gottes Dasein erweist, wird gelegentlich auch von einem »Erweis« des Daseins Gottes gesprochen. Als Erweis für denjenigen, der den Gedankengang als persönliche Vergewisserung vollzieht und einsieht, ist er unterschieden von einem Beweis, den man in der Wissenschaft oder vor Gericht vorbringen kann. Weniger glücklich erscheint die Verwendung von »Aufweis des Daseins Gottes«, weil man meist etwas aufweist, was durch unmittelbares Hinblicken ersichtlich ist. Eine solche unmittelbare Begründung ist aber bezüglich der Gottesfrage nicht möglich. 4.6 Sinn der Analyse philosophischer Beweise Wenn ein Philosoph eine Beweisführung vorlegt, dann beansprucht er zunächst, dass er für seine persönliche Begründung und Meinungsbildung zureichende Erkenntnisgründe entfaltet. Damit ist noch nicht gegeben, dass der Leser sich bereits dieselbe begründete Meinung gebildet hat, auch nicht, dass er sich zur Verteidigung dieser Auffassung einfach darauf berufen kann, dass sie bewiesen s sei. Diese Berufung ist nur sinnvoll als Einladung zur Auseinandersetzung mit diesem Beweisgang. Die Auseinandersetzung mit dem Beweisgang kann zunächst untersuchen, wie die logische Begründungsstruktur ist und auf welchen Voraussetzungen oder Überzeugungen die Begründung auf- baut. Hier kann zugleich der operative Sinn der verwendeten Begriffe erklärt werden. Außerdem kann überprüft werden, ob sich der Gedankengang auf Erfahrungen stützt, die auch dem Leser zugänglich sind oder von ihm wenigstens durch äquivalente ersetzt ; werden können, die dieselbe Begründungsfunktion haben. In einem weiteren Schritt der Auseinandersetzung kann überprüft werden, wie die die Begründung tragenden Überzeugungen und Kriterien beschaffen sind: ob sie grundsätzlich generell anwendbar sind, oder ob sie als Spezialisierung von generell anwendbaren. Überzeugungen und Kriterien angesehen werden können; ob man |100 sie im gleichen Sinn, in dem sie in der Begründung verwendet wurden, akzeptiert - eine Hilfe zur Beurteilung der Gleichheit besteht im Vergleich der als notwendig angesehenen Folgerungen-; ob die Anerkennung aufgrund eigener Einsicht oder Meinungsbildung erfolgt und ob sie vielleicht gar als Entfaltung von generellen Grundsätzen verstanden werden kann, die unser Denken und Sprechen ermöglichen und die sich indirekt rechtfertigen lassen. Eine Weise dieser Rechtfertigung besteht auch in dem Versuch, alternative Annahmen zu machen und zu diskutieren, ob sie konsequent angewendet werden können, ob sie, wenn das der Fall ist, zu entgegen gesetzten oder zu denselben Ergebnissen führen und ob ihre Anwendung nur durch künstliche Zusatzannahmen aufrechterhalten werden kann. In der Analyse der Beweisführung kann sich aber auch herausstellen, dass die Folgerungen, die sich aus den akzeptierbaren Voraussetzungen ergeben, nicht mit dem übereinstimmen, was nach unserem Verständnis durch den Schlusssatz des Beweises behauptet wird. Hier kann es nützlich sein, einen eingeschränkten, durch die angeführten Gründe erweisbaren begründeten Sinn von dem durch das gewöhnliche Verständnis oder sogar durch die weitere Verwendung dieses Satzes durch den betreffenden Philosophen beanspruchten. Sinn des Schlusssatzes zu unterscheiden. Zweckmäßigerweise wird durch terminologische Unterscheidungen die Verschiedenheit des Sinnes zum Ausdruck gebracht. Das soll Fehlschlüsse aufdecken und vermeiden helfen. Dies ist eine Anwendung der Struktur der Kommunikationssituation und der Funktion von Begründungen zur Verbesserung des Verständnisses in philosophischen und weltanschaulichen Fragebereichen, wo wegen des umfassenden Gesichtspunktes sich dem Verständnis besondere Schwierigkeiten entgegenstellen. Der Nutzen einer solchen Auseinandersetzung mit philosophischen Beweisgängen liegt im Kennenlernen von Begründungen und damit von Gesichtspunkten, die bei dem Bemühen um eine zwar persönliche, aber vernünftig verantwortbare Meinungsbildung zu berücksichtigen sind. Der Nutzen liegt aber auch in der Entfaltung von Unterscheidungen und damit in einer Differenzierung von Gesichtspunkten, deren Beachtung vor zu schnellen Ver- |102 allgemeinerungen - der Hauptirrtumsquelle - warnen kann. Das sehen wir auch als Bildungsziel der folgenden Auseinandersetzung mit einigen Gedankengängen zur Gottesfrage an. Die Auswahl geschieht dabei so, dass einerseits Gedankengänge bevorzugt werden, auf die man sich immer wieder beruft - die also wirkungsgeschichtlich bedeutsam für die Theologie sind -, dass andererseits auch auf die Auseinandersetzung mit solchen Überlegungen Wert gelegt wird, die auf wichtige Unterscheidungen und Zusammenhänge aufmerksam machen - die also begründungsgeschichtlich bedeutsam sind. Literatur Analytische Religionsphilosophie: I. U. Dalferth (Hrsg.), Sprachlogik des Glaubens, München 1974, beinhaltet Texte mit Einführung Ders., Religiöse Rede von Gott, München 1981, enthält systematische Verarbeitung A. Grabner-Haider, Vernunft und Religion. Ansätze einer Analytischen Religionsphilosophie, Graz 1978 H. Schrödter, Analytische Religionsphilosophie, Freiburg 1979 J. Track, Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Sprechen von Gott, Göttingen 1977 Fragehintergrund philosophischer Gotteslehre: H. Peukert, Wissenschaftstheorie - Handlungstheorie - Fundamentale Theologie, Düsseldorf 1976 (auch als stw 231, Frankfurt 1978) R. Schaeffler, Fähigkeit zur Erfahrung. Zur transzendentalen Hermeneutik des Sprechens von Gott, Freiburg 1982 O. Muck, Sprachlogische Aspekte religiös-weltanschaulichen Dialogs, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 97 (1975) 41-55. INHALT: Möglichkeit philosophischer Auseinandersetzung mit der Gottesfrage Die praktische Dimension der Frage nach Gott Die logische Eigenart der Gottesfrage - der Beitrag der Analytischen Philosophie Formen der Sprachanalyse Ergebnisse der Sprachanalyse Logische Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen »Weltanschauung« Strukturelemente Erfahrungsbezug Gehalt Erklärung Beispiel Sinn von Argumenten in religiös-weltanschaulichen Fragen Das allgemeine Kommunikationsschema Schwierigkeiten der Verständigung in religiösweltanschaulichen Fragen Kriterien Weltanschauungskritik Weisen der Begründung Sinn der Analyse philosophischer Beweise