GL Gotteslehre

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4
Möglichkeit philosophischer Auseinandersetzung mit der Gottesfrage
S.69-102
|69
Inhalt
4.1
Die praktische Dimension der Frage nach Gott
Die Frage nach der Wirklichkeit im Ganzen und nach ihrem letzten Grund war in der
griechischen und scholastischen Philosophie wesentlich verknüpft mit der Frage nach dem
Verständnis der grundlegenden Zusammenhänge menschlichen Lebens im Hinblick auf
Maßstäbe einer sinnvollen Gestaltung dieses Lebens. Mit der Entfaltung der
Naturwissenschaft tritt in der Neuzeit ein neues Wirklichkeitsverständnis in den Vordergrund,
das die Wirklichkeit als Einflussbereich menschlicher Gestaltung sieht, das aber von sich aus
nicht die Frage nach Sinn und Zweck dieser Gestaltung beantworten kann. Eine Antwort auf
diese Frage wird eher als selbstverständlich vorausgesetzt und erst mit dem Bewusstsein der
Krise eines naiven Fortschrittsoptimismus als Problem empfunden. Der Unterschied dieser
Wirklichkeitsauffassungen ist erst im Verlaufe neuzeitlichen Denkens deutlich geworden. Das
geschah besonders dort, wo die als selbstverständlich angenommenen Leitlinien menschlicher
Wirklichkeitsgestaltung fragwürdig geworden waren. Marksteine auf diesem Weg waren
zunächst die verschiedenen Kritiken an einer überschwänglichen weltanschaulichen Deutung
der erfolgreichen Naturwissenschaft und an dem mit ihr verbundenen mechanistischen und
materialistischen Weltbild. Zu den Kritikern gehören Pascal, Leibniz, Berkeley, Hume und
besonders Kant. Ähnliche Motive wurden im 19. Jahrhundert durch die Wissenschaftskritik
und im 20. Jahrhundert durch die Wissenschaftstheorie herausgearbeitet.
Die Auffassung, das neue, an der Naturwissenschaft orientierte Wirklichkeitsverständnis sei
ein voller und besserer Ersatz für bisherige Lebensorientierung, hat im 19. Jahrhundert ihren
Ausdruck im Dreistadiengesetz von A. Comte gefunden: Sowohl der einzelne |70 Mensch als
auch die gesamte Menschheit durchlaufen in ihrer geistigen Entwicklung drei einander
ablösende Stadien. Im ersten, dem theologischen Stadium, werden die Gegebenheiten als
Folge göttlicher Willensäußerungen erklärt. Im metaphysischen Stadium treten an die Stelle
der fiktiven göttlichen Kräfte abstrakte Wesenheiten und Ursachen. Im dritten, dem positiven
Stadium werden Gesetze, konstante Beziehungen zwischen beobachtbaren Gegebenheiten
erforscht. Was im Dreistadiengesetz ausgedrückt ist, dürfte bis in die Gegenwart hinein eine
weitverbreitete Einschätzung von Religion, Philosophie und Erfahrungswissenschaft sein1.
In der Kritik am Dreistadiengesetz wird darauf hingewiesen, dass die jeweils späteren Stadien
nicht voll die Funktionen der früheren Stadien übernehmen können. Was bei Comte als
einander zeitlich ablösende Phasen erscheint, sind jeweils einander ergänzende und nicht
durch einander ersetzbare Faktoren menschlicher Lebensorientierung. Sie wurden von Max
Scheler2 als Wissensformen und von Jürgen Habermas3 als Erkenntnisinteressen
herausgearbeitet. Einem naturwissenschaftlich geprägten Wirklichkeitsverständnis entspricht
die Form des Leistungswissens, das instrumentell-technische Interesse. Dem Bildungswissen
und dem hermeneutischen Interesse entspricht das Bedürfnis des Menschen nach Orientierung
in Hinblick auf den gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhang, in dem er lebt. Die Form des
Heilswissens, das emanzipatorische Interesse und die ethisch-praktischen Fragestellungen
haben ihre Funktion für die Verwirklichung des Menschen als verantwortlicher Person und
sind damit auch als bestimmend für eine Begründung und Sinngebung technischen Wissens
und Handelns anzusehen.
Mit der geistigen Entwicklung ändert sich auch die konkrete Gestalt der Wissensformen.
Erhalten bleiben aber die unterschiedli- |71 che Funktion, die jeweilige Unersetzlichkeit dieser
1
H. Zirker, Religionskritik (Leitfaden Theologie 5), Düsseldorf 1982, 56-68.
M. Scheler, Über die positivistische Geschichtsphilosophie des Wissens (Drei-Stadien-Gesetz), in: ders.,
Gesammelte Schriften VI, 27-35; ders., Philosophische Weltanschauung, ebd. IX, 75-85; ders., Die Formen des
Wissens und die Bildung, ebd. IX, 85-119.
3
J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968.
2
Formen und die Eigentümlichkeit ihrer Aufgabe und ihrer besonderen Kriterien. Davon ist zu
unterscheiden, wie einzelne Philosophen nun die besonderen Rollen der Wissensformen
ausdrücklich formulieren - dies ist von ihrer eigenen philosophischen Auffassung mitbedingt.
Max Scheler stellte noch mehr den seinsphilosophischen Aspekt und eine umfassende
Wirklichkeitssicht als Rahmen heraus, in dem Begründung und Sinngebung menschlichen
Handelns philosophisch gesucht werden können. Bei anderen wird diese Aufgabe mehr unter
dem Blickpunkt der Frage nach dem Sinn und der Verantwortbarkeit menschlichen Handelns,
also unter dem Aspekt der praktischen Philosophie, gesehen. Ein Grund dafür liegt wohl in
der Sorge, dass ein Sprechen von »Wirklichkeit« in diesem Zusammenhang das Verständnis
nicht fördert. Meist wird »Wirklichkeit« nämlich im Sinn dessen verstanden, was
erfahrungswissenschaftlich erkannt wird, und das ist der Frage gerade nicht angemessen.
Versteht man »Wirklichkeit« aber im Sinn der traditionellen Philosophie, dann scheint dieses
Verständnis zu sehr vom damaligen Weltbild belastet zu sein und das ethisch-praktische
Anliegen nicht deutlich genug zum Ausdruck zu bringen.
Diese Akzentverschiebung führt dazu, dass die Gottesfrage mehr in ihrer praktischen
Bedeutung betrachtet wird. Damit ist sicher ein grundlegender Aspekt der Gottesfrage
getroffen, der zugleich auch heute eher unmittelbar verständlich ist. Den Hintergrund dafür
bilden die Krise technisch-wirtschaftlichen Fortschrittsglaubens, die ethischen Fragen
bezüglich technischer Möglichkeiten von Kernkraft bis Umweltgestaltung, die in der neuen
Aufmerksamkeit für die Frage nach der »Qualität menschlichen Lebens« gipfeln. Gerade
diese Fragen fordern die Besinnung auf Maßstäbe heraus, nach denen wir Sinn und Qualität
menschlichen Lebens beurteilen. Persönliche kritische Urteilsbildung in diesen Fragen wird
als dringlich empfunden, insbesondere auch angesichts der Erfahrung von totalitären
Systemen, welche meinen, dekretieren zu können, was diesem Wohl förderlich sei. Solche
Erfahrung macht vorsichtig gegenüber Leitzielen, welche die Erfüllung menschlichen Hoffens
versprechen - auch wenn sie sich als plausi- |72 bel darbieten. Man hält Ausschau danach, was
zu einer vernünftig verantwortbaren Stellungnahme in solchen Fragen verhilft. Dazu ist aber
die logische Eigenart dieser Fragestellungen und ihrer Beantwortung zu berücksichtigen.
4.2
Die logische Eigenart der Gottesfrage - der Beitrag der Analytischen Philosophie
Im Laufe der letzten fünfzig Jahre nahm die Auseinandersetzung philosophischer
Strömungen, die sich an der Sprachanalyse und Wissenschaftstheorie orientieren, mit
religionsphilosophischen Fragen immer mehr zu. Viele der einschlägigen Untersuchungen
können dem Gebiet der Religionskritik zugeordnet werden.4 Hier sollen einige in der
Diskussion dieser philosophischen Richtungen herausgearbeitete Zusammenhänge
aufgegriffen und aufgezeigt werden, die für ein Verständnis der Eigenart der philosophischen
Beschäftigung mit der Gottesfrage von Bedeutung sind und in manchen Punkten
weiterführen.
4.2.1 Formen der Sprachanalyse
Gemeinsam ist den genannten Philosophien, dass sie als Weg, wie die Philosophie ihre
klärende Aufgabe erfüllen kann, die Analyse der Sprache ansehen, in der Probleme ihren
Ausdruck finden. Eine grobe Unterscheidung von einschlägigen Richtungen berücksichtigt
die besondere Weise, in der Sprache analysiert wird. Eine Philosophie der idealen Sprache
sucht mehrdeutige und vage Formulierungen durch Formulierungen zu ersetzen, die dem
Ideal einer eindeutigen und präzisen Sprache besser genügen. Sie wird gewöhnlich mit dem
>Tractatus logico-philosophicus< von Wittgenstein in Verbindung gebracht und durch B.
4
Siehe H. Zirker, Religionskritik, 177-202.
Russell, den Logischen Empirismus (Wiener Kreis, Carnap) und Ayer repräsentiert gesehen.
Ihr sind auch verschiedene Kritiker des Empirismus wie Quine und Bochenski zuzurechnen.
Eng verbunden damit ist die Bemühung, für den Erkenntnisgehalt der Sprache die
Untersuchungen der Wissenschaftstheorie fruchtbar zu machen. Die ideal- |73 sprachliche
Analyse hat sich zunächst gerade in der Analyse des Erkenntnisgehalts der (Erfahrungs- und
Formal-)Wissenschaften bewährt. Deshalb könnte man auch Vertreter des Kritischen
Rationalismus (Kritizismus) im Sinne von Popper hier einordnen.
Als Philosophie der natürlichen oder normalen Sprache werden jene Bestrebungen
bezeichnet, die durch Beispiele den Gebrauch der gewöhnlichen Sprache aufzeigen und von
da aus Schwierigkeiten aufzuklären suchen, die sich in weniger durchsichtigen
Anwendungsfällen der Sprache ergeben und Anlass für philosophische Fragestellungen
bieten. Hier denkt man meistens an die späteren Schriften von Wittgenstein, besonders an
seine >Philosophischen Untersuchungen<, und rechnet dazu auch Denker wie G. Ryle und
Austin.
Diese Art der Sprachanalyse hat sich zum Teil weiterentwickelt zu Theorien der
gewöhnlichen Sprache und ihrer Verwendung, wie z. B. in der Sprechakt-Theorie. Der
Versuch, die in der gewöhnlichen Sprache aufgewiesenen Strukturen in semantischen
Theorien darzustellen, schlägt wieder eine Brücke zur idealsprachlichen Analyse. Hier ist
nicht der Ort, die Vielfalt dieser Positionen darzustellen. Es sollen nur einige wichtige
Beiträge verschiedener Vertreter der Sprachanalyse zum Verständnis religiösen Sprechens
von Gott und zur philosophischen Besinnung darauf aufgewiesen werden.
4.2.2 Ergebnisse der Sprachanalyse
Religiöser Glaube ist nicht als naturwissenschaftliche Erkenntnis, religiöses Sprechen nicht
als erfahrungswissenschaftliches Sprechen aufzufassen. Die schon von Kant her vertraute
Überzeugung, dass Naturwissenschaft keine metaphysischen Folgerungen zulässt, wurde nun
zunächst von der empiristischen Wissenschaftstheorie und Sprachanalyse im Gefolge des
Logischen Empirismus neu aufgewiesen. Dieser Aufweis war zunächst mit positivistischen
und religionskritischen Motiven verbunden: Die erfahrungswissenschaftliche Erkenntnis
wurde als erfolgreichste und damit auch maßgebende Ausprägung menschlicher
Wirklichkeitserkenntnis angesehen. Damit wurde dann religiöses Sprechen von Gott
verglichen. Dieser Vergleich sollte aufweisen, dass in Aussagen, die über |74 Gott gemacht
werden, bereits der Sinn der in diesen Aussagen vorkommenden Ausdrücke nicht dem
zugrunde gelegten Maßstab entspreche. Zum Teil folgerte man daraus einen Agnostizismus über Gott seien keine kognitiv sinnvollen Aussagen möglich, weder bejahende noch
verneinende -, zum Teil wurde dies durchaus mit einer Hochschätzung dessen verbunden,
worum es in der Religion geht - etwa das »Mystische« (bei Wittgenstein), über das man zwar
nicht sprechen kann, das aber darum nicht unbedeutend ist für den Menschen. Zum Teil
wurden diese Analysen aber auch verwendet, um einen Atheismus zu begründen: 5 Denn für
den Gottesglauben sei es konstitutiv, dass man von Gott als von einem notwendig
Existierenden rede. Nach der Auffassung des Logischen Empirismus könne sich der Ausdruck
»notwendig« aber nicht auf Gegenstände beziehen, sondern nur auf logische Zusammenhänge
unseres Sprechens. Wenn sich religiöse Sprache von wissenschaftlicher unterscheidet, worin
besteht dann ihre besondere Eigenart? Damit haben sich zunächst Vertreter der Philosophie
der normalen Sprache beschäftigt. In einer ersten Phase erlangt die von Hare vorgeschlagene
und an Hume erinnernde Auffassung Bedeutung, religiösen Glauben als einen »blik« und
religiöse Rede als Ausdruck eines solchen »blik« zu verstehen. »Blik« ist dabei ein
Kunstwort, das eine grundlegende Einstellung bezeichnet, aus der heraus ein Mensch lebt, das
5
J.N. Findlay, Can God's Existence be disproved? in: New
Theology, hrsg. von A. G. N. Flew und A. Ch. MacIntyre, London 1955, 47-56.
Essays
in
Philosophical
ihm Begegnende auffasst und bewertet. Ein solcher blik ermöglicht damit überhaupt erst
Erfahrung und kann durch diese nicht widerlegt werden. Religiöse Sprache dient dann nicht
zur Begründung, sondern zur Bezeugung eines blik. Hier werden also der persönliche
Charakter einer religiösen Überzeugung und der wesentlich praktische Bezug einer solchen
Überzeugung herausgestellt. Nicht aber kommt in der blik-Theorie der rationale Anspruch
zum Zug, der z. B. im christlichen Glaubensverständnis auftritt.
Die blik-Theorie wurde dann zusammen mit der Sprechakt-Theorie weiterentwickelt. Nicht
jeder Sprechakt, der einen Geltungsanspruch erhebt,. erhebt einen Wahrheitsanspruch, wie
dies bei |75 Sprechakten der Behauptung der Fall ist. Der Anspruch kann sich auf
Wahrhaftigkeit oder Ehrlichkeit beziehen oder Vertrauenswürdigkeit, wie etwa im Akt, in
dem man jemandem etwas verspricht. Die Analyse der Sprechakte zeigt aber auch, dass
Sprechakte von Voraussetzungen abhängen, die so sind, dass ohne sie der betreffende
Sprechakt nicht gelingen kann. Zu solchen Voraussetzungen gehören auch Tatsachen und
wahre Aussagen. So liegt es nahe, auch Sprechakte, die in religiöser Sprache vorkommen,
hinsichtlich der Bedingungen ihres Gelingens zu untersuchen, also auch Akte wie Gebet, Lob,
Bezeugung und Verkündigung.
Wird nun der praktische Charakter dessen, was in religiöser Sprache ausgedrückt wird, in den
Vordergrund gestellt, so erhebt sich die Frage, wie die indikativen Sätze zu verstehen sind,
welche Rolle sie spielen: Drücken sie Voraussetzungen für religiöse Sprechakte aus? Sind sie
Anwendungsbedingungen für jene Normen oder Imperative, um die es in der religiösen
Lebensform geht? Oder sind sie ein - wenn auch verschlüsselter - Ausdruck dieser Normen
selbst? Oder handelt es sich einfach um Behauptungen - deren Sinn dann näher zu entfalten
ist?6
I. T. Ramsey hat viel Beachtung gefunden mit seinem Versuch, das Eigentümliche des
Gebrauchs von Wörtern der alltäglichen Sprache im Zusammenhang religiösen Sprechens
herauszuarbeiten. Nach ihm7 werden in Aussagesätzen der religiösen Sprache zwar bereits
vertraute Wörter verwendet, aber in einer ungewöhnlichen Zusammenstellung. Er sucht diese
Eigentümlichkeit folgendermaßen verständlich zu machen: Eine religiöse Einstellung hat zum
Inhalt eine bestimmte Sicht, ein bestimmtes Verständnis des uns im Leben Begegnenden und
damit auch eine bestimmte Bewertung, die für unsere Entscheidungen bestimmend wird.
Darin besteht die Ähnlichkeit mit der blik-Theorie. Ramsey betont aber, dass uns ein |76
derartiges Verständnis in bestimmten Situationen aufgeht. Solche Situationen nennt er
»disclosure«, Erschließung: in ihnen erschließt sich dem betreffenden Menschen ein
Sinnzusammenhang. Nun wurzelt die religiöse Sprache wesentlich in solchen Erschließungen,
sucht sie lebendigzuhalten oder auch herbeizuführen. Die grammatikalisch-syntaktische
Eigenart religiösen Sprechens ist nach Ramsey daraus erklärbar. Um nämlich über den Inhalt
einer solchen Erschließung zu sprechen, müssen wir die Ausdrücke der gewöhnlichen
Sprache verwenden. Das durch die Ausdrücke Bezeichnete dient dann als »Modell« für das in
der Erschließung Erfasste. Deshalb müssen diese Ausdrücke in Richtung auf das in der
Erschließung Erfasste modifiziert werden. Dazu dienen weitere Ausdrücke, die
»Qualifikatoren«, z. B. »All-«, »Ur-«, »unendlich«. Sie deuten einen Prozess an, in dem das
Modell transformiert und dem von der Erschließung her bekannten Sinngehalt angenähert
wird. Ramsey meint damit in neuer Form den Kern der mittelalterlichen Lehre von der
Analogie in der Rede von Gott wieder gewonnen zu haben.
Aufgrund der genannten Untersuchungen ist folgendes festzuhalten: Die religiöse Sprache
und
die
in
ihr
ausgedrückte
Glaubensüberzeugung
dürfen
nicht
mit
erfahrungswissenschaftlicher Sprache und Erkenntnis verwechselt werden. In beiden
Bereichen geht es um verschiedene Fragen. Der religiöse Glaube, der sich in religiöser
6
Vgl. R. B. Braithewaite, An Empiricist's View of the Nature of Religious Belief, Cambridge 1955; R. M. Hare,
The Language of Morals, Oxford 1952 (deutsch: Die Sprache der Moral, Frankfurt 1972).
7
1. T. Ramsey, Religious Language, London 1957; ders., Models and Mystery, London 1964.
Sprache ausdrückt, hat wesentlich ethisch-praktische Bedeutung und schließt eine persönliche
Stellungnahme ein. Daher ist eine intersubjektive Rechtfertigung im Sinne der
Erfahrungswissenschaften hier nicht zu erwarten. Andererseits ist die praktische
Stellungnahme, die im religiösen Glauben enthalten ist, unter - wenn auch modifizierter Verwendung von allgemein verständlichen Wörtern ausdrückbar. Allerdings wird diese
Ausdrucksweise nur verständlich im Rahmen jener Fragestellung und Betrachtungsweise, in
der es um religiös-weltanschauliche Fragen geht. Dann aber dient das verwendete sprachliche
Material dem Ausdruck dieser Überzeugung, auch in Aussagen, wenigstens in dem Sinn, in
dem Kants Postulate der praktischen Vernunft in Hinblick auf einen bestimmten
Begriffsrahmen die notwendigen Voraussetzungen des Praktischen entfalten. |77
Von Vertretern des Kritischen Rationalismus8 wurde diesen Versuchen, die Eigenart
religiösen Sprechens zu beschreiben, entgegengehalten, dass sie die wichtige Frage nach der
Geltung solcher Sätze nicht aufgreifen. Damit soll nicht gefordert werden, dass religiöse
Sprache nach dem Modell der Erfahrungswissenschaften gemessen werde; Popper9 selbst hat
sein Falsifikationskriterium als Abgrenzungskriterium verstanden und durchaus die
Möglichkeit spezifisch philosophischer Probleme eingeräumt. Wohl aber wird darauf
bestanden, dass rationales Argumentieren in Hinblick auf die Geltungsfrage möglich sein
müsse. Dazu gehöre die Angabe des Problems, um das es gehe, und von Wegen, auf denen
über Lösungsvorschläge argumentiert und kritisch prüfend diskutiert werden könne.
Die Frage nach logischer Struktur, Sinn und Geltung religiöser Sätze wurde von J. M.
Bochenski10 aufgegriffen. Im Rahmen allgemeiner Strukturelemente der Sprache arbeitete er
die Eigenart von Satzmengen heraus, in denen sich eine auf religiösen Glauben gestützte
Sprache ausdrückt. Bemerkenswert ist hier, dass die religiöse Sprache nicht einfach an der
Erfahrungswissenschaft gemessen wird, wenn auch in einem allgemeineren Rahmen ein
Vergleich angestellt wird. Die Unterschiede werden aus der je eigentümlichen Aufgabe
verständlich gemacht. Ähnlich werden auch die Frage nach dem Sinn von Ausdrücken der
religiösen Sprache und die Frage nach Verfahren der Rechtfertigung von
Geltungsansprüchen, insbesondere von Wahrheitsanspruch, in einen allgemeinen
Zusammenhang gestellt, von dem her empirische Verifikation und Überprüfung durch
Experiment und messende Beobachtung besondere Fälle sind. In Abhebung vom dualen
Theorieschema oder von ähnlichen Modellen der Struktur erfahrungswissenschaftlicher
Theorien lässt sich dann die Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen
herausarbeiten und die Eigenart einer angemessenen Argumentation verständlich machen. |78
In Hinblick auf die rationale Struktur solcher Überzeugungen hat schon F. Ferré11 in
Anschluss an A. N. Whitehead und Ramsey Kriterien zur Beurteilung von
Geltungsansprüchen in diesem Bereich entfaltet. Fasst man diese Ansätze zusammen, so
ergibt sich ein bestimmtes Bild der logischen Struktur von Glaubensüberzeugungen,
allgemeiner von religiös-weltanschaulichen Auffassungen, auch von solchen, die etwa die
Sinnhaftigkeit menschlichen Lebens grundsätzlich bezweifeln oder die einen Materialismus
vertreten. Diese Struktur stellt die Faktoren heraus, die bei einer persönlichen
Auseinandersetzung mit Glaubensüberzeugungen ins Spiel kommen, die als Gründe relevant
sind und die Entwicklungen in solchen Auffassungen, wie sie wohl bei jedem vorkommen,
verstehen lassen. Vor dem Hintergrund dieser Struktur religiösweltanschaulicher
Überzeugungen lässt sich dann sowohl theologisches als auch metaphysisches
8
P. J. Etges, Kritik der Analytischen Theologie, Hamburg 1973. Vgl. H. Albert, Traktat über kritische Vernunft,
Tübingen 1968; ders., Theologische Holzwege, Tübingen 1973.
9
K. Popper, Über die Unwiderlegbarkeit philosophischer Theorien einschließlich jener, welche falsch sind, in:
Club Voltaire, 1, München 1963, 271-279.
10
J.M.Bochenski, Logik der Religion, Köln 1968.
11
F. Ferrē, Language, Logic and God, New York 1961,162f.
Argumentieren, wie es in philosophischer Gotteslehre vorkommt, interpretieren. Wird dieser
Hintergrund vernachlässigt, so wird der Fragepunkt verfehlt.
4.3
Logische Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen
4.3.1 »Weltanschauung«
Unter Weltanschauung wird hier die jeweilige Überzeugung und Einstellung eines Menschen
verstanden, die sich in der Gestaltung seines Lebens auswirkt. Genauer gesagt ist dies seine
gelebte Weltanschauung. Von ihr getragen ist dann eventuell eine ausdrückliche
Formulierung dieser Haltung. Die ausdrückliche Formulierung ist deshalb von der gelebten
Weltanschauung getragen, weil die Bedeutung, die einer ausdrücklichen Formulierung im
eigenen Nachdenken oder in der Begegnung mit anderen zugemessen wird, selbst von der
Weltanschauung abhängt. Kommt es zum Versuch einer ausdrücklichen Formulierung, so
kann dieser eine mehr oder weniger angemessene Entfaltung der gelebten Weltanschauung
sein.
Mehr oder weniger angemessen kann sie sein, weil eventuell von |79 der gelebten
Überzeugung her kein Wert auf eine angemessene Formulierung gelegt wird oder diese nicht
gelingt. Auch ist zu beachten, dass sich die gelebte Weltanschauung selbst im Laufe des
Lebens eines Menschen modifiziert. Die ausdrückliche Fassung kann und wird oft dazu
beitragen, kann aber auch nachhinken. Als eine Aufgabe der Philosophie kann man es
ansehen, diese Spannung und vor allem Probleme, die aus dieser Spannung entstehen, zu
klären. Manchmal wird die gelebte Weltanschauung selbst als »Philosophie« bezeichnet.
»Wir haben alle unsere Philosophien, ob wir dessen gewahr werden oder nicht, und die taugen
nicht viel. Aber ihre Auswirkungen auf unser Handeln und unser Leben sind oft verheerend.
Deshalb ist der Versuch notwendig, unsere Philosophie durch Kritik zu verbessern. Das ist
meine einzige Entschuldigung dafür, dass es überhaupt noch Philosophie gibt.“12
»Der Mensch kann nie bloß bei diesem oder jenem allein denkend oder handelnd sich
aufhalten. Er will wissen, was alles zumal in seiner Einheit, in der ihm alles schon immer
gegenwärtig ist, sei; er fragt nach den letzten Gründen, nach dem einen Grund aller
Wirklichkeit, und insofern er alles einzelne als seiend erkennt, indem er in dieser Erkenntnis
immer schon vor sich selbst gebracht ist, nach dem Sein alles Seienden; er treibt Metaphysik.
Und selbst wenn er es unterlässt oder sogar ausdrücklich ablehnt, so zu fragen, gibt er auf
diese Frage doch eine Antwort: Er erklärt die Frage als gleichgültig oder als sinnlos und hat
damit schon eine Antwort gegeben: Dass das Sein des Seienden jenes >Etwas< ist, das uns
gleichgültig, dunkel und sinnleer aus jedem Seienden heraus anblickt und so den Fragenden
selbst als ins Leere fragend erscheinen lässt. Oder der Mensch macht unausgesprochen ein
bestimmtes Seiendes zum Sein: den Stoff oder die Wirtschaft, den Lebensdrang oder den Tod
und die Resignation. Denn immer, wenn der Mensch seine eigene Existenz in ein solches
Seiendes restlos hineinvergibt, erklärt er durch diese Absolutsetzung eines Seienden dieses
zum Mittelpunkt alles dessen, was ihn umgibt und was er ist, und alles andere nur zu Hilfen
und Äußerungen dieses einen. Er sagt so, was er |80 unter Sein versteht und verstehen will und
wie er so sich selbst als Seinsverständnis interpretiert: er treibt Metaphysik. Wir müssen also
Metaphysik treiben, weil wir es immer schon tun.«13
Nach G. D. Kaufmann14 erscheint die Rede von Gott »einerseits im Kontext des menschlichen
Spürens von Begrenzung, Endlichkeit, Schuld und Sünde und andererseits seiner Frage nach
Sinn und Wert und Bedeutung seiner selbst, seines Lebens und seiner Welt«.15 »Als ein
12
K. Popper, Objektive Erkenntnis, Hamburg 1973, 45.
K. Rahner, Hörer des Wortes, Freiburg 21971, 45 f.
14
G. D. Kaufmann, On the Meaning of >God<, in: The Harvard Theological Review 59 (1966) 105-132.
Deutsch vom Verfasser.
15
Ebd. 109.
13
Seiendes, das in einer Welt symbolischer Bedeutungen (also als ein sprechendes Seiendes)
und Werte (also als ein sich entscheidendes und handelndes Seiendes, das eine Wahl
zwischen Alternativen trifft) lebt, fragt der Mensch nach Sinn und Wert seiner eigenen
Existenz. «16 Wird dieser Frage nicht ausgewichen, so führt sie dazu, das letztlich
Begrenzende zu vergegenwärtigen. »Rede über Gott erscheint, wenn die letzte Grenze
verstanden wird in Analogie zu der Erfahrung persönlichen Begrenztwerdens, wie es im
Umgang und Zusammenwirken mit anderen persönlichen Willen bekannt ist.«17 »Wenn ein
persönlicher Begrenzender die analoge Grundlage für das Verständnis der letzten Grenze ist,
resultiert eine Lehre von Gott. Die letzte Grenze wird dann in quasi-personalen Ausdrücken
aufgefasst, die sehr entscheidend mittels Begriffen verstanden werden, die ursprünglich einer
Sprache entstammen, die verwendet wird, wenn man sich mit interpersonaler Erfahrung
beschäftigt. «18 Wird Gott so aufgefasst, dann »kann Gott nicht identifiziert werden mit dem,
was für unsere Erfahrung oder in ihr zugänglich ist, nicht einmal mit der letzten Grenze
unserer Erfahrung; eher muss diese Grenze aufgefasst werden als Mittel, durch welches uns
Gott begegnet (wie Geräusche und Gesten Mittel sind für endliche Personen), wobei Gott
selbst aufgefasst wird als die dynamisch wirkende Realität jenseits der Grenze«.19 |81
Festzuhalten ist hier:
a) Eine Stellungnahme zur Gottesfrage ist nur sinnvoll im Zusammenhang einer
weltanschaulichen Fragestellung im angegebenen Sinn.
b) Zur Frage steht nicht, ob ein Mensch aus einer weltanschaulichen Haltung heraus lebt.
»Weltanschauung« wurde ja gerade als lebenstragende Haltung eingeführt. Unterschiede gibt
es im Inhalt der Weltanschauung und in der Bereitschaft, sie zu entfalten und sie zu prüfen.
c) Philosophie und auch Metaphysik werden verstanden als Hilfen für solche Entfaltung und
Prüfung. Zu diesem Zweck soll nun die logische Struktur solcher weltanschaulicher
Auffassungen umrissen werden.
4.3.2 Strukturelemente
Will man sich die logische Struktur einer solchen weltanschaulichen oder lebenstragenden
Überzeugung deutlich machen, dann muss man sie sich als ausdrücklich entfaltet vorstellen.
Im Sinne der blik-Theorie und des genannten Verständnisses von Weltanschauung gehört
dazu, dass das Begegnende (Erfahrung in einem sehr weiten Sinn) in einer bestimmten
1?Veise_aufgefasst (symbolische Repräsentation) und auch bewertet wird (praktische
Relevanz). Sucht man diese Auffassungsweise, die von Mensch zu Mensch, jedenfalls von
Weltanschauung zu Weltanschauung verschieden sein kann, ausdrücklich zu formulieren,
dann gilt: sie enthält ein Begriffsgerüst und Sätze von allgemeinem Charakter, die für
selbstverständlich gehalten werden und die die besondere Deutung bzw. spontane Auffassung
der Erfahrungsgegebenheiten als begründet verstehen lassen.
4.3.3 Erfahrungsbezug
Sehen wir einstweilen davon ab, dass die Erfahrungsgegebenheiten elbst schon durch die in
einem Begriffsgerüst beanspruchten Einsichten mitbestimmt sind und dass es schwer ist, die
Erfahrungsgegebenheiten unabhängig von jedem solchen Einfluss herauszuarbeiten, wie dies
der Empirismus versucht hatte. Wohl aber kann es in einem Gespräch vorkommen, dass die
Diskussionspartner fak- |82 tisch in manchen dieser deutenden Elemente übereinstimmen,
während sie sich in der weiteren Deutung unterscheiden. In diesem Sinn kann es jeweils
gemeinsame Erfahrungsgehalte geben. Je nach Ausmaß der Übereinstimmung im Bereich der
vorausgesetzten Einsichten oder allgemeinen Sätze, die in die spontane Erfahrung eingehen,
ändert sich die Grenze zwischen »Erfahrungsgebenheiten« und »Deutungen«. Zu den
Aufgaben der erkenntnistheoretischen Reflexion gehört es, nicht nur die kontroversen
16
Ebd. 111.
Ebd. 122.
18
Ebd. 124.
19
Ebd. 126.
17
Annahmen, sondern auch die Voraussetzungen der spontanen Erfahrung, die tatsächlich
gemeinsam angenommen werden, ausdrücklich zu machen und einer Prüfung zu unterziehen.
Was hier unter »Erfahrungsgegebenheiten« verstanden wird, ist sehr weit gefasst. Sie sollen
ja alles das umfassen, was uns im täglichen Leben begegnet und womit wir uns
auseinanderzusetzen haben. Es handelt sich daher nicht nur um Messergebnisse von
Experimenten, sondern um Gehalte der lebensweltlichen Erfahrung. Dazu gehört auch das,
was als Ergebnis der Wissenschaften auftritt. Aber es geht nicht nur um Tatsachen oder was
als solche angesehen wird, sondern auch um Erfahrung spontaner Wertungen verschiedener
Art: von Schmerz und Freude bis zum spontanen Erfassen des Wertes einer geachteten oder
geliebten Person. Obwohl damit die ganze Lebenserfahrung umspannt ist, die für jeden
Menschen persönlich und unwiederholbar ist, gibt es darin doch typisch wiederkehrende
Erfahrungen, über die man sich mit anderen verständigen kann. Diese werden gerade auch in
dichterischer Sprache immer wieder angesprochen, verstanden und vergegenwärtigt.
Methodisch solche Erfahrungen zu vergegenwärtigen und ausdrücklich zu machen ist eines
der Anliegen phänomenologischen Vorgehens.
4.3.4 Gehalt
Die allgemeinen Sätze, welche die Einsichten ausdrücken, die dem spontanen Erfassen der
Gegebenheiten zugrunde liegen, werden oft erst in philosophischer Besinnung entfaltet,
besonders wenn es Unterschiede in der Deutung der Gegebenheiten gibt. Häufiger wird
jedoch der eigentümliche Gehalt einer Weltanschauung, nen- |83 nen wir ihn den Kern der
Weltanschauung, zum Ausdruck gebracht. Dieser Kern, der zusammen mit den für
selbstverständlich gehaltenen Einsichten entfaltet und deutend auf die Gegebenheiten bezogen
wird, kann seinen Ausdruck in einer bildhaft-symbolischen Weise finden.
Wir betrachten hier - wenigstens rekonstruierend - jene ausdrückliche Form, in der der Kern
der Weltanschauung in Form von Sätzen entfaltet wird. Bei einem religiösen Glauben besteht
dieser Kern in den zentralen Glaubensgehalten, z. B. im Glauben an Gott als Vater, der sich in
Jesus Christus mitgeteilt hat. Auf solche Formulierungen ist anzuwenden, was Ramsey
aufgezeigt hat und was in der scholastischen Philosophie und Theologie als analoge Weise,
von Gott zu sprechen, entfaltet wurde. Das schließt zunächst eine Vertrautheit mit Modellen
ein - man könnte von Modell- oder Symbolerfahrung sprechen. Weiters setzt es voraus, dass
es einem überhaupt aufgegangen ist, dass man sich mit Fragen beschäftigt, die den Sinn oder
das Verständnis unseres Lebens, seiner Grundausrichtung, betreffen. Manche würden das
»Transzendenzerfahrung« nennen und als Hilfe, diese Dimension in unserem Leben wirksam
werden zu lassen, die Meditation empfehlen. Es entspricht dies der »disclosure«
(Erschließungssituation) bei Ramsey. Erst auf diesem Hintergrund ist der Rahmen dafür
geschaffen, dass man nun mittels Qualifikation der Modelle oder scholastisch auf bejahende,
verneinende und steigernde Weise (vgl. 7.1) den Kern einer solchen Überzeugung sinnvoll
zur Sprache bringt. In einer weniger diskursiven Sprachform verwendet etwa die Bibel dazu
Erzählungen und Gleichnisse, welche in der bildhaften Rede auf die entscheidenden
Vergleichspunkte aufmerksam machen und diese von unwesentlichen oder irreführenden
Momenten, die sich am Modell auch finden, abheben.
4.3.5 Erklärung
Die durch den Kern der Weltanschauung geschehende Deutung des Begegnenden ist eine Art
von Erklärung, vielleicht besser: Interpretation. Sie ist nämlich nicht eine Erklärung im
naturwissenschaftlichen Sinn, die es erlaubt, einzelne Prognosen zu stellen, |84 indem aus
gesetzesartigen Aussagen und Randbedingungen Beobachtungssätze abgeleitet werden. Die
Erklärung ist hier eher mit einer Einbettung, einer Klassifikation zu vergleichen. Das
Begegnende wird in verschiedene Bereiche oder Klassen unterschieden. Dadurch wird es
möglich, die für einen Bereich geltenden Gesetze und Kriterien von anderen Bereichen
abzuheben. Dadurch können Unklarheiten beseitigt werden, die sich durch unbesehenes
Übertragen ergeben. Dadurch wird es aber auch möglich, nach dem Zusammenhang dieser
Bereiche zu fragen und die Bedeutung der Inhalte des einen Bereichs für den anderen
herauszuarbeiten. Weil eine solche Deutung oder Erklärung das vielfältige Begegnende in
einer geordneten Ganzheit (lat.: integrum) zu verstehen versucht, könnte man auch von einer
integrativen Erklärung oder Interpretation sprechen. Sie ist für die Funktion der
Weltanschauung eigentümlich und ist auch die spezifisch philosophische Erklärungsweise.
Wegen der wesentlich praktischen Dimension solcher lebenstragenden Überzeugungen wird
mit der Unterscheidung von Bereichen auch eine Bewertung verbunden. Durch die Bewertung
wird eine praktische, ethische Relevanz des in bestimmten Bereichen Erfahrenen für unsere
Lebensgestaltung ausdrücklich. Man kann auch sagen, dass die theoretische Deutung und die
praktische Bewertung selbst verschiedene Bereiche sind, die zu unterscheiden sind und deren
Zusammenordnung in einer integrativen Erklärung gesucht wird, womit der Rahmen für die
praktische Relevanz des Erfahrenen erstellt wird.
Wegen dieser wesentlich praktischen Dimension von Weltanschauung wird der symbolischanalog dargestellte Kern einer Lebensüberzeugung zwar häufig in Aussagesätzen formuliert,
diese werden aber so verstanden, dass sie bestimmte Wertungen und Normen begründen. Sie
sind damit implizit normativ bzw. axiologisch (griech.: āxios = wertvoll). Dies entspricht der
klassischen Wirklichkeitsauffassung, dergemäß Sein und Wert nicht getrennt, sondern, wenn
auch unterscheidbar, wesentlich aufeinander bezogen sind. |85
4.3.6 Beispiel
Diese Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen lässt sich am Beginn des
Apostolischen Glaubensbekenntnisses veranschaulichen. »Ich glaube« dient der Einleitung,
um die Art des Sprechaktes deutlich zu machen. »An Gott, den Vater, den Allmächtigen«
spricht das, was den Kern des Glaubens ausmacht, mit einem aus der familiären Erfahrung
vertrauten Wort, nämlich »Vater«, an. Zugleich wird dieses Wort mit einem anderen
verbunden, nämlich »allmächtig«, das auf die Veränderung des Sinngehalts von »Vater«
hinweist; die bei der Übertragung dieses Wortes aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auf
Gott zu berücksichtigen ist. Hintergrund für diese Veränderung bilden Texte des Neuen
Testaments, z. B. das Gleichnis vom verlorenen Sohn, von den Lilien des Feldes usw.
Zugleich wird dies als mit praktischen Folgerungen verbunden verstanden, etwa dem
Doppelgebot der Gottesund der Nächstenliebe und damit mit einer bestimmten hohen
Bewertung der menschlichen Person.
4.4
Sinn von Argumenten in religiös-weltanschaulichen Fragen
Weltanschauliche Überzeugungen scheinen eher die persönliche Sicht eines Menschen zum
Ausdruck zu bringen, nicht aber einer argumentativen Begründung oder Widerlegung
zugänglich zu sein. Wollen wir unser Verständnis diesbezüglicher Äußerungen eines
Menschen überprüfen, so müssen wir beachten, welche Folgerungen sich aus seiner
geäußerten Überzeugung ergeben: theoretische, die sich in Aussagen über seine Sicht und
Einschätzung von Dingen und Situationen ausdrücken; praktische, die sich in einer dieser
Überzeugung entsprechenden Handlungsweise darstellen oder auch in Handlungsnormen, die
als durch diese Überzeugung begründet angesehen werden. Auch kann es aufschlussreich
sein, zu hören, durch welche Gegebenheiten jemand seine Überzeugung als gestützt
betrachtet.
Nun ist aber der sprachliche Ausdruck für solche Folgerungen die argumentierende Rede - sie
sucht zu zeigen, dass mit der Geltung eines bestimmten Gehalts aufgrund eines als gültig
vorausgesetz- |86 ten Zusammenhangs meist allgemeiner Art (Schlussregel formaler oder
inhaltlicher Art) auch die Geltung eines anderen Gehalts garantiert sei.
In Abhebung vom Mythos ist es für Aristoteles das Charakteristische der Philosophie, dass sie
argumentiert, angibt, worauf sich Behauptungen stützen. Tatsächlich ist es in der
philosophischen Gotteslehre zu einem guten Teil um argumentierende Gottesbeweise
gegangen. Auch die Überlegung über die Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen
hat uns Elemente gezeigt, die sich nach Kriterien überprüfen und für die sich Gründe, die eine
solche Überzeugung stützen, anführen lassen. Die Elemente der logischen Struktur
weltanschaulicher Überzeugungen geben Aufschluss über Sinn und Grenze von
argumentierendem Gespräch in einem Dialog über religiös-weltanschauliche Fragen. Als
Hilfe zur Klärung der Gesprächssituation kann das allgemeine Kommunikationsschema
dienen. Was darin zunächst als Code oder Verständnisvoraussetzung auftritt, ist dann genauer
durch die differenzierte Struktur weltanschaulicher Auffassungen zu ersetzen.
4.4.1 Das allgemeine Kommunikationsschema
Zum Verständnis der Gesprächssituation oder allgemeiner des Verstehens von Äußerungen
von Menschen wurde durch die Hermeneutik20 (Dilthey, Heidegger, Gadamer) die Bedeutung
der Verständnisvoraussetzungen aufgewiesen, von denen das tatsächliche Verstehen auch im
einzelnen abhängt. Auch von der Weiterentwicklung der Sprachanalyse her ist deutlich
geworden, dass für das Verstehen und Analysieren von Argumentationen und, allgemeiner,
von sprachlichen Äußerungen nicht nur eine logisch-formale Analyse genügt, sondern dass
auch die von den Argumentierenden gemachten Voraussetzungen 21 und auch die Eigenart des
|87 Sprachvollzugs als Tätigkeit (Wittgenstein, Searle'22, P.Lorenzen23) für ein Gelingen von
Bedeutung sind.
Verständnisvoraussetzungen und Grenzen des Verstehens
Verstehensbedingungen, erläutert am allgemeinen Kommunikationsschema:
--------------------------------------------------------------------- °
Sprecher
Mitteilung
Hörer
°
Mitteilungs- <--- Übereinstimmung? ---> Verständnis <-------intention
--> Äußerung
Satz
Sprechen-Hören
Satz
Sprache, Überteilweise
zeugungen, Verständnis- Übereinstimmung
voraussetzungen des
Sprechers
Wahrnehmung ---- °
Sprache, Überzeugungen,Verständnis°voraussetzungen des
Hörers
°
gemeinsame Verständnisvoraussetzungen
Erfahrung, Lebenszusammenhang
-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- °
----------------------------------------------------------------------
20
Vgl. E. Coreth, Grundfragen der Hermeneutik, Freiburg 1969.
St. Toulmin, The Use of Arguments, Cambridge 1969 (deutsch: Der Gebrauch von Argumenten, Königstein
1975).
22
J. R. Searle, Speech Acts, Cambridge 1969 (deutsch: Sprechakte, Frankfurt 1971)
23
P. Lorenzen, Einführung in die Operative Logik und Mathematik, Berlin 1955; P. Lorenzen/ O. Schwemmer,
Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie, Mannheim 1973.
21
Für die Kommunikation wichtige Faktoren, die vor allem am Misslingen des Verstehens
deutlich werden, lassen sich schematisch verdeutlichen, indem unterschieden werden: die
beteiligten Personen (Sprecher, Hörer - im Gespräch wechseln sie natürlich die Rollen); der
(sprachliche) Ausdruck, der Satz, der gesprochen wurde und wie er gehört wird; das
Verständnis dieser Äußerung durch den Sprecher (Mitteilungsintention) und durch den Hörer
(Verständnis); die Verständnisvoraussetzungen (Kenntnis der Sprache), die sich in größerem
oder geringerem Maß decken und zu denen auch der Bezug zu einem oft nur teilweise
übereinstimmenden Lebens- und Erfahrungsbereich gehört. Unterschiede merken wir am
ehesten und können sie daher auch am |88 leichtesten beheben, wenn sich die Verwendung der
Ausdrücke auf einen gemeinsamen Lebens- und Erfahrungsbereich mit weitgehend
übereinstimmender und faktisch akzeptierter Lebensform bezieht.24
4.4.2 Schwierigkeiten der Verständigung in religiösweltanschaulichen Fragen
Zum Verständnis der Situation eines religiös-weltanschaulichen Dialogs ist das allgemeine
Kommunikationsschema dahingehend zu ergänzen, dass die Verständnisvoraussetzungen
entsprechend der Struktur von lebenstragenden Überzeugungen genauer gefasst werden. Dann
tritt zutage, welche typischen Verständnisschwierigkeiten auftreten können. Einige davon
seien hier angeführt: Zunächst muss bereits damit gerechnet werden, dass die ausdrücklich begrifflich oder in bildhaften Symbolen -formulierte Weltanschauung die gelebte
Weltanschauung nicht voll und angemessen entfaltet. Dies zeigt sich dann, wenn die
theoretischen und praktischen Folgerungen, die der Vertreter einer Weltanschauung ziehen zu
müssen meint, dem Partner nicht verständlich erscheinen. In diesem Fall stellt sich die Frage,
ob man als Sinn der Äußerung jene Überzeugung auffassen soll, die im Leben des
Betreffenden wirksam ist, aber nur unangemessen zum Ausdruck kam (wobei freilich für den
Betreffenden dieser Ausdruck durchaus für die in seinen weiteren Folgerungen zutage
tretende Auffassung steht - operativer Sinn der Äußerung), oder ob die Äußerung in einem
von den gemeinsamen Verständnisvoraussetzungen her naheliegenden (manifesten) Sinn zu
verstehen ist. Wenn man dem Partner gerecht werden will und zugleich nach Verbesserung
des Verständnisses sucht, wird man auf eine Präzisierung der Äußerung um einer größeren
Angemessenheit willen Wert legen. Auf dem Weg dahin wird man mit einem
Auseinanderklaffen des manifesten und des operativen Sinnes rechnen und jeweils beachten,
worauf man sich bezieht.
Als Beispiel dafür denke man an die Berücksichtigung des Sprech- |89 aktes, in dem ein
indikativer Satz geäußert wird. Für den einen kann er eine (eventuell sogar dem
Symbolverständnis seiner Weltsicht entsprechende) im übertragenen Sinn zu verstehende
Äußerung seines Bekenntnisses zu einem bestimmten Glauben sein, für den anderen ist er
vielleicht eine Tatsachenbeschreibung, die als solche intersubjektiver Überprüfung durch
Beobachtung zugänglich sein müsste.
Versuchen wir das allgemeiner zu fassen. Nennen wir die Weise, wie jemand die Äußerung
eines Partners auffasst, interpretiert, eine Interpretation. Wenn wir auch als Ideal eine voll
angemessene Interpretation anstreben, so wird diese doch gewöhnlich nicht erreicht. Wir sind
oft schon zufrieden, wenn die Interpretation für einen bestimmten Mitteilungszweck
hinreichend ist, auch wenn sie unter anderer Rücksicht dem Partner nicht gerecht wird.
Solange eine solche eingeschränkte Interpretation nur im Zusammenhang des
Mitteilungszweckes, dem sie angemessen ist, verwendet wird, liegt kein Problem vor. Nur ist
die Gefahr damit verbunden, dass wir aufgrund dieses Teilerfolgs unversehens diese
Interpretation auch auf andere Zusammenhänge ausdehnen, in denen sie der Intention des
Sprechers nicht mehr angemessen ist, so dass er sich hier für missverstanden halten muss.
24
Vgl. K. Studhalter, Ethik, Religion und Lebensform bei Ludwig Wittgenstein, Innsbruck 1973.
Ebenso wird man dem Sprecher nicht gerecht, wenn man die eingeschränkte Interpretation für
alles hält, was er mitteilen wollte und gemeint hat, wenn man also seine Intention auf den
Gehalt der eingeschränkten Interpretation reduziert. Lenkt man z. B. die Aufmerksamkeit
darauf, welche praktischen Folgerungen die Auffassung des Partners enthält, und ist man hier
erfolgreich, so dass man eine unter dieser Rücksicht zwar eingeschränkte, aber angemessene
Interpretation erreicht, so wird man dem Partner doch in vielen Fällen nicht gerecht, wenn
man der Ansicht ist, damit sei schon alles, was der Partner meint, erfasst. Das ist der Fall,
wenn jemand getreu die praktischen Folgerungen, die das Bekenntnis zu Gott enthält, erfasst
und dann meint, damit schon alles berücksichtigt zu haben, was jemand glaubt, wenn er an
Gott glaubt. Als methodische Folgerung ergibt sich daraus, dass bei einer gelungenen
eingeschränkten Interpretation der besondere Gesichtspunkt, unter dem sie angemessen ist,
berücksichtigt rücksichtigt werden muss, damit sie nicht reduktionistisch wird. |90
Die Angemessenheit der Interpretation unter einem neuen Gesichtspunkt muss erst noch
überprüft werden.
Sonderfälle eingeschränkter Interpretation sind jene, die negativ und positiv genannt werden
können (vgl. 1.1.2.4). Eine negative Interpretation liegt vor, wenn das Interesse vor allem auf
jene Momente an der Äußerung des Parnters gelenkt wird, die eine begründete Ablehnung
verdienen. Ein solches Moment mag ein unglücklicher Ausdruck der vom Partner vertretenen
Auffassung sein - Unangemessenheit des Ausdrucks gegenüber der gelebten Überzeugung oder auch eine nicht zureichende Begründung für seine Behauptung, die etwa in der
Verwendung von historisch bedingten und überholten Vorstellungen besteht. Ein Beispiel
dafür wären die klassischen Gottesbeweise, die oft deshalb auf Ablehnung stoßen, weil sie
mit einem heute überholten Weltbild verbunden gewesen sind. Eine solche Interpretation hat
ihren Wert für die Herausarbeitung von Unterschieden in Auffassungen und dient der Klärung
und Profilierung der Meinungen. Die Tendenz zu einer solchen Interpretation ist spontan oft
dort am Werk, wo es um die Abhebung des eigenen Standpunktes gegenüber anderen geht.
Die Gefahr einer solchen Interpretation und das philosophisch Unzulängliche an ihr besteht
darin, dass man sich die Widerlegung zu einfach macht und die in der vielleicht überholten
Formulierung enthaltenen und heute noch bedenkenswerten Gründe und Anliegen des
Partners nicht berücksichtigt. Eine positive Interpretation legt den Nachdruck auf die
Entfaltung und eventuell auch Ergänzung der Anliegen und Gründe, die in der betreffenden
Auffassung wirksam sind und die vielleicht in einer unzulänglichen Weise ausgedrückt
worden waren. Die Aufmerksamkeit wird auf das Anliegen des Partners und auf das als
begründet Akzeptierbare gelenkt. Erst durch eine solche Interpretation wird man dem Partner
eher gerecht und kann aus der Auseinandersetzung mit ihm lernen. Freilich darf auch diese
eingeschränkte Interpretation noch nicht als unter jeder Rücksicht angemessen angesehen
werden - sie wird sich daher mit der negativen Interpretation zu einer kritisch positiven
verbinden müssen, will man einem Verwischen von Unterschieden vorbauen. Die Tendenz zu
einer spontanen positiven Interpretation tritt vor allem dort auf, |91 wo man die Äußerungen
einer geschätzten Person auffasst, was leicht mit einer unkritischen Haltung verbunden sein
kann. Wenn in wichtigen Punkten Gegensätze bestehen, fühlt sich dann der Partner zu schnell
vereinnahmt. So werden wir damit rechnen müssen, dass eine gesuchte angemessene
Interpretation zwischen negativer und positiver liegt, ohne dass wir schon in der Lage sind,
den Ort genau anzugeben. Diese Unbestimmtheit wirkt sich dann auch auf eine sinnvolle
Anwendung genetischer ideologiekritischer Erklärungen aus - denn diese setzen ja die
Berechtigung der negativen Interpretation voraus: Sie sollen erklären, warum das, was doch
nicht als berechtigt anzusehen ist, vom Partner dennoch akzeptiert wird. Verschiedene
Dialog-Theorien suchen diese Situation methodisch zu bewältigen.25
4.4.3 Kriterien
In den Kriterien, die Ferré in Anlehnung an Whitehead und Ramsey formuliert, kommen
einige Bedingungen zum Ausdruck, die notwendig dafür sind, dass eine Weltanschauung ihre
grundlegenden Funktionen erfüllt. Diese funktionalen Kriterien sind jedoch nicht zu
verwechseln mit dem Anspruch, eine der Wirklichkeit gemäße Auffassung zu vertreten, den
jemand mit seiner Überzeugung verbindet. Sie machen vielmehr gerade verständlich, wie
jemand etwa Irrtümer in seiner Auffassung erkennt und in vernünftig rekonstruierbarer Weise
seine Anschauung ändert. Die Kriterien fordern, dass der Kern einer Weltanschauung in dem
Sinn widerspruchsfrei ist, dass nicht jede beliebige Folgerung daraus gezogen werden kann denn dann würde sie nicht ihre deutende und strukturierende Funktion erfüllen. Das soll nicht
heißen, dass nicht tatsächlich Widersprüche in den faktischen weltanschaulichen
Überzeugungen vorkommen: Vielmehr soll es heißen, dass ein Aufdecken solcher
Widersprüche als Einwand anzuerkennen ist. Entsprechendes gilt für alle Kriterien. Weiters
wird durch |92 diese Kriterien gefordert, dass die weltanschauliche Auffassung in dem Sinn
einheitlich oder zusammenhängend ist, dass sie nicht aus verschiedenen, nicht miteinander
koordinierten Deutungssystemen besteht. Das wäre z. B. ein Einwand gegen eine extreme
Theorie der doppelten Wahrheit. Bezüglich des im Leben Begegnenden wird gefordert, dass
sich die Weltanschauung auf dieses bezieht, um es zu deuten und zu bewerten, und dass sie
grundsätzlich alles Begegnende berücksichtigt und nichts willkürlich ausschließt.
Diese funktionalen Kriterien und das Ansprechen einer Weltanschauung als »Deutung« der
Gegebenheiten dürfen nicht in dem Sinn missverstanden werden, als handle es sich bei einer
weltanschaulichen Überzeugung um eine unverbindliche Meinung. Vielmehr ist sie ja gerade
als lebenstragende Einstellung von ihrem Vertreter aufgefasst als etwas, was die Wirklichkeit
seines Lebens betrifft und in diesem Sinne wahr. ist. Gerade deshalb kann aber die
Entdeckung von Gegebenheiten oder Zusammenhängen, die als Einwände anzusehen sind, zu
einer Korrektur führen. Was dabei als Einwand auftreten und eine vernünftig rekonstruierbare
Änderung begründen kann, das wird gerade in der philosophischen Reflexion als Struktur der
Weltanschauung unter dem Bild einer Deutung des Gegebenen und durch die funktionalen
Kriterien als Weg zur erhofften Verbesserung einer solchen Auffassung entfaltet.
4.4.4 Weltanschauungskritik
Die genannten Kriterien weisen den Weg, wie tatsächlich vorkommende weltanschauliche
Auffassungen kritisch diskutiert und ihre Änderungen als rational begründet verstanden
werden können. Gerade das aber macht auf Elemente in weltanschaulichen Auffassungen
aufmerksam, die als nicht vernünftig begründbar, weil den Kriterien widersprechend
anzusehen sind. Hier ist der Ort, wo man sinnvoll nach einer psychologischen und
wissenssoziologischen Erklärung solcher Verzerrungen und Engführungen Ausschau hält.
Unangebracht wäre es, aus einer solchen Erklärung zu folgern, die betreffende Auffassung
entbehre der Geltung. Ist aber aufgrund der Kriterien eine Auffassung als nicht vernünftig
ver- |93 tretbar anzusehen, dann kann eine psychologische und wissenssoziologische Erklärung
verständlich machen, warum sie dennoch tatsächlich vertreten wird und Gegengründe
ignoriert werden. Ob jedoch eine Auffassung als rational nicht vertretbar angesehen wird,
hängt von der philosophischen Position zu der Frage ab, welche Klärung weltanschaulicher
Auffassungen überhaupt möglich sei. So ist es verständlich, dass verschiedene Autoren in
unterschiedlichem Ausmaß weltanschauliche Auffassungen als nicht rational begründbar
25
W. Kamlah/P. Lorenzen, Logische Propädeutik oder Vorschule des vernünftigen Redens, Mannheim 1967; J.
Habermas, Was heißt Universalpragmatik? in: K. O. Apel (Hrsg.), Sprachpragmatik und Philosophie, Frankfurt
1976,174-272; Dialog als Methode = Neue Hefte für Philosophie, Heft 2/3, Göttingen 1972.
ansehen und daher meinen, sie genetisch und ideologiekritisch erklären zu müssen.26 Solche
Untersuchungen sind aber auch für einen, der der rationalen Klärung in weltanschaulichen
Fragen mehr zutraut, deshalb von Bedeutung, weil sie auf mögliche Gefahren einer
Verzerrung aufmerksam machen und außerdem helfen können zur Erklärung von
Auffassungen, die auch von dem der rationalen Kritik mehr zutrauenden Standpunkt aus nicht
gerechtfertigt werden können. Ein weiterer Spielraum für die Anwendung der genetisch und
ideologiekritsch erklärenden Methoden ergibt sich daraus, dass es oft nicht ganz leicht ist, den
Gehalt einer weltanschaulichen Überzeugung angemessen und ohne Missverständnisse zu
erfassen. Während daher der positiven Interpretation einer bestimmten Auffassung eine
derartige Erklärung nicht angebracht erscheint, wird sie einer negativen Interpretation
unumgänglich erscheinen. Die Frage ist dann, welche Interpretation die angemessenere ist;
wenn dies nicht auszumachen ist, wird man zumindest zur Vorsicht gemahnt.
4.5
Weisen der Begründung
Wenn eine begründende Rede im Dialog vorkommt, sind mehrere Fälle zu unterscheiden, je
nachdem, ob die Voraussetzungen der Folgerung den Dialogpartnern gemeinsam zugänglich
und von ihnen akzeptiert sind oder nicht. Gehören die Voraussetzungen (Ge- |94 gebenheiten,
Zusammenhänge) dem Bereich der gemeinsamen Verständnisvoraussetzungen an, dann ist
eine interpersonale Begründung möglich, durch die der zu begründende Gehalt, der
ursprünglich nicht dem gemeinsamen Verständnisbereich angehörte, auf diesen bezogen wird.
Dadurch ist eine Erweiterung des gemeinsamen Bereichs möglich. Das betrifft sowohl Fragen
nach dem Sinn von Ausdrücken, was für die Interpretation wichtig ist, als auch die
Bejahbarkeit von Aussagen oder die Anerkennung der Gültigkeit von Normen. Doch sind hier
einige wichtige Einschränkungen zu beachten:
Zunächst wird in vielen Fällen nur eine eingeschränkte Interpretation der Auffassung des
Partners im Bereich gemeinsamen Verstehens rekonstruiert werden können. Das kann auch
dadurch berücksichtigt werden, dass man übereinkommt, in einem bestimmten Bereich
gemeinsamen Vorgehens, z. B. in einer bestimmten Wissenschaft, die Ausdrücke
terminologisch nur in dem so geklärten Sinn zu verstehen. Dabei darf man jedoch nicht
vergessen, dass es sich um eine methodische Festlegung handelt, die man für Fragen
außerhalb dieses Bereiches nicht ohne weiteres voraussetzen kann.
Weiters ist zu beachten, dass die faktische Gemeinsamkeit zwischen den Dialogpartnern noch
keine Garantie ist für die Geltung des gemeinsam Akzeptierten - es könnte sich ja auch um
ein gemeinsames Vorurteil handeln. Aufgabe der kritischen Besinnung der Philosophie ist es,
das Beachten dieser Möglichkeit wachzuhalten, wenn es ihr nicht gelingt, die Berechtigung
des gemeinsamen Akzeptierten zu prüfen und aufzuweisen. Ein Weg, der diese
philosophische Kritik wachrufen kann, ist das Einbeziehen weiterer Dialogpartner. Was
nämlich für zwei Partner oder auch für eine bestimmte Gruppe zum gemeinsamen
Verständnis- und Überzeugungsbereich gehört, muss für die zusätzlichen Partner durchaus
nicht dazugehören. So kann der Verdacht entstehen, es handle sich bei der gemeinsamen
Überzeugung um ein Gruppenvorurteil, vor allem wenn es nicht gelingt, sie von den
gemeinsam akzeptierten Voraussetzungen der umfassenderen Personengruppe her
interpersonal zu begründen. Wenn dieses Verfahren der Beiziehung weiterer Dialogpartner
auch wiederholt wer- |95 den kann, so wird doch dadurch allein noch nicht eine Begründung
der faktisch gemeinsamen Überzeugungen geliefert, mag die Zahl ihrer Vertreter auch noch
so groß sein.
26
Vgl. E. Topitsch, Vom Ursprung und Ende der Metaphysik, Wien 1958; ders., Gottwerdung und Revolution,
Pullach 1973; eine Anwendung ideologiekritischer Überlegungen auf Fehlformen religiösen Verhaltens versucht
A. Grabner-Haider, Ideologie und Religion, Wien 1981.
Was man gelegentlich als zwingenden wissenschaftlichen Beweis bezeichnet, dürfte darin
bestehen, dass bestimmte Auffassungen eines bestimmten Bereichs (Wissenschaft) aufgrund
der gemeinsamen Voraussetzungen dieses Bereichs interpersonal begründet werden können.
Philosophische Kritik der Wissenschaft weist darauf hin, dass für eine über diesen Bereich
hinausgehende Verwendung dieser Auffassungen die entsprechenden Voraussetzungen
überprüft werden müßten. Ebenso weist sie darauf hin, dass dies nicht auf dieselbe Weise mit
einem solchen zwingenden Beweis geschehen könne. Hier wird einerseits ein indirekter Weg
der Rechtfertigung versucht, andererseits ein direkter, der zum Problem persönlicher
Begründung führt.
Der indirekte Weg besteht darin, dass bezüglich bestimmter Überzeugungen nicht bloß
faktisches Übereinkommen verlangt, sondern zu zeigen versucht wird, dass ohne
Anerkennung dieser Überzeugung gar nicht gesprochen, die Geltung dieser Überzeugung gar
nicht in Frage gestellt werden könnte und dass jede Korrektur unserer Überzeugungen diese
Überzeugung bereits als berechtigt voraussetzt.
Dieses Vorgehen begegnet allerdings einigen Schwierigkeiten: Von den üblichen
interpersonalen wissenschaftlichen Begründungen unterscheidet es sich dadurch, dass man
sich für den Nachweis der Unabdingbarkeit für jede weitere Korrektur unseres Wissens nicht
auf einen bestimmten, gegenständlich abgegrenzten Fragenbereich beschränken kann. Eine
solche Voraussetzung muss als unabdingbare operative Struktur unseres Sprechens und
Wissens, das heißt als eine immer wiederkehrende und selbst die Prüfung der Geltung unserer
Auffassungen erst ermöglichende Vorgehensweise herausgearbeitet weden. 27 |96
Was in einem solchen Nachweis gezeigt wird, ist die Berechtigung dieser operativen Struktur
und damit einer Aussage, insofern sie diese Struktur zum Ausdruck bringt. Nun sind aber im
Laufe der Denkgeschichte mit solchen Formulierungen immer wieder noch weitere Gehalte
faktisch verbunden worden. Später erwiesen sie sich als unberechtigt, damit war das ganze
Verfahren fragwürdig geworden. Darum muss bei diesem indirekten Verfahren der operative
Sinn genau herausgearbeitet werden. Nur dieser kann für berechtigt gehalten werden, nicht
aber eine bestimmte seiner Formulierungen, schon gar nicht ungeprüft damit verbundene
Gehalte. Sofern nicht die Gewähr gegeben ist, dass die betreffende Formulierung von allen
Betroffenen genau als Ausdruck der notwendig als gültig vorauszusetzenden operativen
Struktur verstanden wird, wird darum dieses indirekte Verfahren auch nicht als interpersonale
Begründung der betreffenden Aussagen Anerkennung finden. Andererseits kann man es aber
als Weg betrachten, der gerade auf den berechtigten Sinn dieser Aussage hinführt und ihn von
anderen Interpretationen kritisch abhebt.28 Ein anderes Missverständnis dieses im Kern
transzendentalphilosophischen Vorgehens besteht darin, dass man die operative Struktur im
Rahmen einer bestimmten einzelnen Wissenschaft sieht und erklärt und so zu einem
Psychologismus oder Biologismus kommt: Die unabdingbaren Voraussetzungen, das nicht
nur faktische, sondern unabdingbare Apriori menschlichen Erkennens, wird als
phylogenetisches Aposteriori, Produkt eines evolutiven Selektionsprozesses aufgefasst.29 Die
daraus gezogene Folgerung, dass sich die spezifisch menschlichen Erkenntnisformen für den
näheren Lebensbereich des Menschen bewährt hätten und deshalb als gültig anzusehen seien,
würde in etwa der bedingten Geltung des lebensweltlichen Aprioris menschlichen Erkennens
entsprechen. Nicht aber werden dadurch die operativen Strukturen und deren Geltung |97
27
B. J. F. Lonergan, Insight. A Study of Human Understanding, London 1957, sucht die tragenden operativen
Strukturen menschlichen Erkennens aufzuweisen und von da aus auch den Geltungsanspruch operativ zu fassen.
Vgl. O. Muck, Die transzendentale Methode in der scholastischen Philosophie der Gegenwart, Innsbruck 1964,
234-258.
28
Die Struktur dieses Vorgehens wurde entfaltet in O. Muck, The Logical Structure of Transcendental Method,
in: International Philosophical Quarterly 9 (1969) 342 bis 364.
29
G. Vollmer Evolutionäre Erkenntnistheorie, Stuttgart 1975; R. Riedl, Biologie der Erkenntnis. Die
stammesgeschichtlichen Grundlagen der Vernunft, Berlin 1980.
verständlich, die für die Entfaltung der vorausgesetzten biologischen Theorien und eine
kritische Besinnung auf die Geltung unseres Erkennens erforderlich sind.
Sofern man wegen der angedeuteten Schwierigkeiten eine solche indirekte Begründung nicht
gelten lassen will, auch nicht die noch zu besprechende direkte, weil sie nicht interpersonal
ist, kann man das Anliegen der philosophischen Kritik auch dadurch zur Geltung bringen,
dass man den Weg, den faktischen Konsens durch Erweiterung des Bereiches der
Dialogpartner als nur faktisch und gruppenbezogen zu erkennen, dadurch methodisch
auswertet, dass man im Gedankenexperiment die Voraussetzungen zu variieren versucht,
alternative Ansätze entwickelt und sie auf ihre Durchführbarkeit hin überprüft. Hier gehört es
zur Methode, faktische Voraussetzungen als grundsätzlich revidierbar, fallibel, anzusehen und
zur Überprüfung von Alternativen bereit zu sein. Dies entspricht dem Vorgehen des
Kritischen Rationalismus.30
Der Vorteil dieses Vorgehens dürfte in der leichteren Handhabung liegen, der Nachteil darin,
dass die auclieses Vorgehen tragenden operativen Strukturen unbedacht bleiben und dem
berechtigten Kern faktischer Überzeugungen nicht entsprechend Rechnung getragen wird.31
Ein anderer Weg zur Begründung von Überzeugungen ist die direkte Berufung auf Einsicht,
unmittelbare Gewissheit. Sie wird einerseits bezüglich Erfahrungsgegebenheiten angewandt,
andererseits bezüglich grundlegender allgemeiner Aussagen. Gerade aber in diesem zweiten
Fall wird eingewendet, dass zwar solchen Aussagen - z. B. in den klassischen Gottesbeweisen
- große Beweislast aufgeladen werde, dass aber der genannte Weg der Rechtfertigung
unzureichend sei: Entweder akzeptiert der Gesprächspartner nicht die Gewissheit dieser
Aussage - und dann ist bereits eine Pattstel- |98 lung erreicht -, oder er anerkennt sie, dann aber
ist keine Gewähr gegeben, dass es sich um eine Einsicht in die Berechtigung, nicht nur um
eine faktische Übereinstimmung handelt. Hier stellt sich allgemeiner das Problem des Sinnes
von Begründungen, von argumentativer Rede, wenn die Voraussetzungen vom Partner nicht
geteilt werden. Nennen wir eine solche Begründung, wenn sie von Voraussetzungen
Gebrauch macht, die nicht von allen Partnern geteilt, wohl aber vom Begründenden als gültig
anerkannt werden, eine persönliche Begründung. Welchen Sinn hat sie? Sie kann zunächst
nicht den Partner von der Geltung der betreffenden Aussage überzeugen. Die Ernsthaftigkeit
dessen, der die Begründung vorbringt, vorausgesetzt, kann sie jedoch wichtige Dienste leisten
zur Prüfung der Interpretation der Auffassung des Partners. Sie kann auf Gründe, die zwar
noch nicht als triftig anerkannt werden, aber einer Prüfung würdig sein können, und damit auf
eventuell übersehene Gesichtspunkte aufmerksam machen. Außerdem kann auch die
Stimmigkeit einer nur persönlichen Begründung vom Partner überprüft werden. Die
Diskussion darüber kann neue Hinweise für die Angemessenheit der Interpretation der
Auffassung des Partners enthalten. Jedenfalls bringt die persönliche Begründung theoretische
und praktische Folgerungszusammenhänge an den Tag, die sich wenigstens in der Sicht
dessen ergeben, der die Begründung vorbringt. Das gibt Hilfen für eine Verbesserung des
Verständnisses. Ähnliches gilt nicht nur für einzelne Dialogpartner, sondern auch für das
Verständnis von Gruppen untereinander, die sich in ihrer Argumentation auf Voraussetzungen
stützen, die innerhalb ihrer Gruppe geteilt werden, nicht aber außerhalb. Das mag der Fall
sein bei einem Gespräch von Christen mit Nichtchristen oder in einem ökumenischen Dialog.
Aus allen diesen Überlegungen ergibt sich, wie schwierig es oft ist, ein gegenseitiges
angemessenes Verständnis in religiös-weltanschaulichen Fragen zu erreichen.
30
H. Albert, Traktat über kritische Vernunft.
Vgl. C. F. Gethmann, Logische Deduktion und transzendentale Konstitution. Zur Kritik des Kritischen
Rationalismus am methodologischen Theorem der Begründung, in: W. Czapiewski (Hrsg.), Verlust des
Subjekts, Kevelaer 1975, 11-76; K. Huber, Der Ausschluss derTheologie aus den Wissenschaften durch
Sprachregelung in der Erlanger Schule, in: Scienza e noncredenza, Cittā de] Vaticano 1980, 8-34.
31
Für ein fruchtbares Bemühen um Verständnis wird man beachten, wie vorsichtig man im
Urteil über die Überzeugung anderer Personen sein und dass man Interpretationshypothesen
einer strengen Überprüfung aussetzen muss. Dafür spielt die Berücksichtigung und
Verwendung sowohl interpersonaler als auch persönlicher Be- |99 gründung eine wichtige
Rolle. Entsprechend der Struktur der weltanschaulichen Thematik geht es dabei nicht nur um
theoretische Gehalte, sondern besonders auch um den Bezug zur Lebenserfahrung und
Lebenspraxis.
Aufgrund der Schwierigkeit einer konklusiven Anwendung der rationalen Kriterien für
weltanschauliche Überzeugungen wird man von der Argumentation nicht sofort eine
Rechtfertigung oder Widerlegung erwarten können. Die Hauptaufgabe der Argumentation in
diesem Bereich besteht in der Vergrößerung des gemeinsamen Verständnishorizonts, damit in
einem angemesseneren Verstehen der Überzeugung des anderen und in einem Kennenlernen
seiner Gründe. Die Frucht solchen Bemühens ist eine größere Vorsicht und Toleranz in der
persönlichen Haltung gegenüber der Überzeugung anderer durch Gewahrwerden der
Komplexität der Faktoren. Dies aber kann zugleich bisher nicht beachtete Gesichtspunkte und
Gründe zur Geltung bringen, die die eigene Überzeugung ändern, klären, reifen lassen. Aus
diesem Grund ist eine Argumentation in weltanschaulichen Fragen, auch wenn von ihr keine
schnelle Entscheidung erwartet werden kann, durchaus sinnvoll und wichtig.
Angesichts dieser Lage zögert man oft, Begründungen im Bereich der Gottesfrage »Beweis«
zu nennen. Oft denkt man nämlich an eine einzelwissenschaftliche Begründung oder
mathematische Beweisführung. weisführung. Um diesem Missverständnis vorzubauen, sucht
man andere Ausdrücke: So wird von einem »Aufweis von Erkenntnisgründen« gesprochen,
weil es genau darum im aristotelisch-thomistischen Verständnis von »Beweis« geht. Weil die
Erkenntnisgründe auf das Dasein Gottes verweisen, wird auch von »Hinweis« gesprochen.
Dabei kommt zum Ausdruck, dass mit dem Aufweis der Erkenntnisgründe noch nicht
vorentschieden ist, welche persönliche Stellung jemand ihnen gegenüber bezieht, und dass
ohne eine solche Stellungnahme das Dasein Gottes nicht bejaht werden kann. Dass das Ziel
eines solchen Beweises nicht das Zustandekommen eines . »Ergebnisses der Wissenschaft«
ist, auf das man sich einfach berufen kann, sondern dass es um eine wesentlich persönlich
anzueig- nende Einsicht und Überzeugung geht, wird in dem Ausdruck „Vergewisserung“
nahe gelegt. In beiden Fällen wird das berücksichtigt, was in der Neuscholastik bezüglich der
durch Gottesbeweis vermit- |100 telten Gewissheit herausgearbeitet wurde: dass sie wesentlich
freie Gewissheit (certitudo libera) ist. Mehrvom Gedankengang der Gottesbeweise her, die
meist von unmittelbarer Erfahrung ausgehend diese auf ihre sachlich vorausgesetzten
Bedingungen befragen, als deren grundlegendste sich Gottes Dasein erweist, wird
gelegentlich auch von einem »Erweis« des Daseins Gottes gesprochen. Als Erweis für
denjenigen, der den Gedankengang als persönliche Vergewisserung vollzieht und einsieht, ist
er unterschieden von einem Beweis, den man in der Wissenschaft oder vor Gericht vorbringen
kann. Weniger glücklich erscheint die Verwendung von »Aufweis des Daseins Gottes«, weil
man meist etwas aufweist, was durch unmittelbares Hinblicken ersichtlich ist. Eine solche
unmittelbare Begründung ist aber bezüglich der Gottesfrage nicht möglich.
4.6
Sinn der Analyse philosophischer Beweise
Wenn ein Philosoph eine Beweisführung vorlegt, dann beansprucht er zunächst, dass er für
seine persönliche Begründung und Meinungsbildung zureichende Erkenntnisgründe entfaltet.
Damit ist noch nicht gegeben, dass der Leser sich bereits dieselbe begründete Meinung
gebildet hat, auch nicht, dass er sich zur Verteidigung dieser Auffassung einfach darauf
berufen kann, dass sie bewiesen s sei. Diese Berufung ist nur sinnvoll als Einladung zur
Auseinandersetzung mit diesem Beweisgang.
Die Auseinandersetzung mit dem Beweisgang kann zunächst untersuchen, wie die logische
Begründungsstruktur ist und auf welchen Voraussetzungen oder Überzeugungen die
Begründung auf- baut. Hier kann zugleich der operative Sinn der verwendeten Begriffe erklärt
werden. Außerdem kann überprüft werden, ob sich der Gedankengang auf Erfahrungen stützt,
die auch dem Leser zugänglich sind oder von ihm wenigstens durch äquivalente ersetzt ;
werden können, die dieselbe Begründungsfunktion haben.
In einem weiteren Schritt der Auseinandersetzung kann überprüft werden, wie die die
Begründung tragenden Überzeugungen und Kriterien beschaffen sind: ob sie grundsätzlich
generell anwendbar sind, oder ob sie als Spezialisierung von generell anwendbaren.
Überzeugungen und Kriterien angesehen werden können; ob man |100 sie im gleichen Sinn, in
dem sie in der Begründung verwendet wurden, akzeptiert - eine Hilfe zur Beurteilung der
Gleichheit besteht im Vergleich der als notwendig angesehenen Folgerungen-; ob die
Anerkennung aufgrund eigener Einsicht oder Meinungsbildung erfolgt und ob sie vielleicht
gar als Entfaltung von generellen Grundsätzen verstanden werden kann, die unser Denken
und Sprechen ermöglichen und die sich indirekt rechtfertigen lassen. Eine Weise dieser
Rechtfertigung besteht auch in dem Versuch, alternative Annahmen zu machen und zu
diskutieren, ob sie konsequent angewendet werden können, ob sie, wenn das der Fall ist, zu
entgegen gesetzten oder zu denselben Ergebnissen führen und ob ihre Anwendung nur durch
künstliche Zusatzannahmen aufrechterhalten werden kann.
In der Analyse der Beweisführung kann sich aber auch herausstellen, dass die Folgerungen,
die sich aus den akzeptierbaren Voraussetzungen ergeben, nicht mit dem übereinstimmen,
was nach unserem Verständnis durch den Schlusssatz des Beweises behauptet wird. Hier kann
es nützlich sein, einen eingeschränkten, durch die angeführten Gründe erweisbaren
begründeten Sinn von dem durch das gewöhnliche Verständnis oder sogar durch die weitere
Verwendung dieses Satzes durch den betreffenden Philosophen beanspruchten. Sinn des
Schlusssatzes zu unterscheiden. Zweckmäßigerweise wird durch terminologische
Unterscheidungen die Verschiedenheit des Sinnes zum Ausdruck gebracht. Das soll
Fehlschlüsse aufdecken und vermeiden helfen. Dies ist eine Anwendung der Struktur der
Kommunikationssituation und der Funktion von Begründungen zur Verbesserung des
Verständnisses in philosophischen und weltanschaulichen Fragebereichen, wo wegen des
umfassenden Gesichtspunktes sich dem Verständnis besondere Schwierigkeiten
entgegenstellen.
Der Nutzen einer solchen Auseinandersetzung mit philosophischen Beweisgängen liegt im
Kennenlernen von Begründungen und damit von Gesichtspunkten, die bei dem Bemühen um
eine zwar persönliche, aber vernünftig verantwortbare Meinungsbildung zu berücksichtigen
sind. Der Nutzen liegt aber auch in der Entfaltung von Unterscheidungen und damit in einer
Differenzierung von Gesichtspunkten, deren Beachtung vor zu schnellen Ver- |102
allgemeinerungen - der Hauptirrtumsquelle - warnen kann. Das sehen wir auch als
Bildungsziel der folgenden Auseinandersetzung mit einigen Gedankengängen zur Gottesfrage
an. Die Auswahl geschieht dabei so, dass einerseits Gedankengänge bevorzugt werden, auf
die man sich immer wieder beruft - die also wirkungsgeschichtlich bedeutsam für die
Theologie sind -, dass andererseits auch auf die Auseinandersetzung mit solchen
Überlegungen Wert gelegt wird, die auf wichtige Unterscheidungen und Zusammenhänge
aufmerksam machen - die also begründungsgeschichtlich bedeutsam sind.
Literatur
Analytische Religionsphilosophie:
I. U. Dalferth (Hrsg.), Sprachlogik des Glaubens, München 1974, beinhaltet Texte mit Einführung
Ders., Religiöse Rede von Gott, München 1981, enthält systematische Verarbeitung
A. Grabner-Haider, Vernunft und Religion. Ansätze einer Analytischen Religionsphilosophie, Graz 1978
H. Schrödter, Analytische Religionsphilosophie, Freiburg 1979
J. Track, Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Sprechen von Gott, Göttingen 1977
Fragehintergrund philosophischer Gotteslehre:
H. Peukert, Wissenschaftstheorie - Handlungstheorie - Fundamentale Theologie, Düsseldorf 1976 (auch als stw
231, Frankfurt 1978)
R. Schaeffler, Fähigkeit zur Erfahrung. Zur transzendentalen Hermeneutik des Sprechens von Gott, Freiburg
1982
O. Muck, Sprachlogische Aspekte religiös-weltanschaulichen Dialogs, in: Zeitschrift für Katholische Theologie
97 (1975) 41-55.
INHALT:
Möglichkeit philosophischer Auseinandersetzung mit der Gottesfrage
Die praktische Dimension der Frage nach Gott
Die logische Eigenart der Gottesfrage - der Beitrag der Analytischen Philosophie
Formen der Sprachanalyse
Ergebnisse der Sprachanalyse
Logische Struktur religiös-weltanschaulicher Überzeugungen
»Weltanschauung«
Strukturelemente
Erfahrungsbezug
Gehalt
Erklärung
Beispiel
Sinn von Argumenten in religiös-weltanschaulichen Fragen
Das allgemeine Kommunikationsschema
Schwierigkeiten der Verständigung in religiösweltanschaulichen Fragen
Kriterien
Weltanschauungskritik
Weisen der Begründung
Sinn der Analyse philosophischer Beweise
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